Un seul monde NR. 4 DEZEMBER 2000 DAS DEZA-MAGAZIN FÜR ENTWICKLUNG Un solo mondo UND ZUSAMMENARBEIT Eine Welt

Der Balkan – einst fern und fremd, heute nah und spannend Niger: Gottergebenheit, Armut und eine gehörige Portion Humor Entwicklungszusammenarbeit und Privatwirtschaft: Über Chancen und Risiken! DOSSIER Hilfe – Taliban hin oder her Die Schweiz präsidiert eine Unterstützungsgruppe für Afghanistan und rückt die Frauen in den Mittelpunkt 24

FORUM BALKAN Spannendes Engagement für weniger Spannung Krieg und Flüchtlinge haben den Balkan in den letzten Jahren unvermittelt näher gebracht und für die Schweiz auch spannender gemacht 6 «Der Balkan gehört zurück nach Europa» Ein Interview mit Wolfgang Petritsch, Hoher Repräsentant «Die Ärmsten in die Wirtschaft integrieren» der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina. Privatwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit: Drei 12 Spezialisten diskutieren über Grenzen, Möglichkeiten und Risiken Endlich: Blick nach vorne in Kosovo In Kosovo wird überall und an allem wieder aufgebaut – 26 unter tatkräftiger Zusammenarbeit mit der Schweiz Carte Blanche: 14 Louis Mombu aus Zaire lebt seit Jahren in der Schweiz und organisiert das «Festival Integration» 29

InhaltHORIZONTE KULTUR

NIGER Bissige Geschichten um Afrika und Pinocchio Ouichi und ihr langer Marsch für ein paar Über ein Ausbildungsprogramm für afrikanische Süsskartoffeln Drehbuchautoren und Szenaristen Über die Schwierigkeiten eines Landes, welches sich am unteren Ende der Armutsstatistik befindet 30 16 Süsse Droge aus der Kalebasse! Editorial 3 Der nigrische Journalist Ibbo Daddy Abdoulaye Periskop 4 verrät kulinarische Geheimnisse Einblick DEZA 25 Was eigentlich ist... ein Gegenwertsfonds? 25 20 Service 33 Agenda 35 DEZA Impressum und Bestellcoupon 35 DEZA-Standpunkt Über den Umgang mit Regierungen, die Menschenrechte mit Füssen treten 21 Nothilfe am Rande von Bogota Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Agentur der In Kolumbien leben rund zwei Millionen intern Vertriebene internationalen Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin von «Eine Welt». Die Zeitschrift ist aber unter miserabelsten Lebensbedingungen keine offizielle Publikation im engeren Sinn; in ihr sollen auch andere Meinungen zu Wort kommen; deshalb geben nicht alle Beiträge unbedingt den Standpunkt der 22 DEZA und der Bundesbehörden wieder.

2 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Editorial

Oder gehen Sie an ein Fussballspiel !

Thabo Mbeki, der heutige Präsident Südafrikas, for- Viele Stimmen des langjährigen Konferenzpublikums derte vor drei Jahren anlässlich einer internationalen lobten diesen Programmteil und tanzten enthusia- Konferenz die Geberländer auf, positive Bilder von stisch. Afrika den allgegenwärtigen Negativbildern gegen- über zu stellen. Positive Reaktionen zeitigte auch die Plakataktion, die im Juli/August während zwei Wochen in der Wir haben Mbekis Wunsch unter dem Motto «das ganzen Schweiz auf das «andere Afrika» und die andere Afrika» zum DEZA-Kommunikationsschwer- Homepage www.africanow.ch aufmerksam machte. punkt für dieses Jahr gemacht und verschiedene Reaktionen und Hinweise auf spannende Afrika- kulturelle Anlässe zum Thema Afrika unterstützt. Links treffen per E-mail aus dem In- und Ausland ein. Aufmerksamkeit über die Schweiz hinaus erfuhr die Last but not least scheint sich auch die CD «Urban Kunstaussstellung «South meets west» in Bern. Sie Africa Now», die 17 Hits von bekannten und unbe- zeigte erstmals in Europa eine Werkschau moderner kannten afrikanischen Musikformationen vereint, als Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Erfolgsgeschichte zu entwickeln. Die Medienreak- Ländern Afrikas und brach mit vielen herkömmlichen tionen waren durchwegs positiv und die Verkaufs- Klischees bezüglich afrikanischen Kunstschaffens. zahlen zeigen, dass der Sampler beim Schweizer Louis Mombu, der Organisator des «Festivals Inte- Publikum gut ankommt. gration» berichtet in der Carte blanche dieses Heftes von seinen Erfahrungen mit Schweizer Realitäten. Das «andere Afrika» existiert. Wenn Sie sich überzeu- gen wollen, schauen Sie bei www.africanow.ch hin- Was Kulturaustausch zu einem besseren Verständ- ein, besuchen Sie eine entsprechende Kulturveran- nis verschiedener Welten beitragen kann, zeigte staltung oder gehen Sie an ein Fussballspiel. auch der Beitrag des mosambikanischen Schrift- stellers Mia Couto anlässlich der Jahreskonferenz Ende August. Seine Lesung aus dem Buch «Unter Harry Sivec dem Frangipanibaum» und die anschliessende Chef Medien und Kommunikation DEZA Diskussion mit dem Publikum erlaubten einen tie- fen und bereichernden Zugang zum Gastland Mosambik, der beim Publikum einen grossen Ein- druck hinterliess. Das abschliessende Doppelkon- zert der mosambikanischen Gruppe Mabulu mit der Berner Band «The Shoppers» war Beweis, wie Musik Brücken baut.

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 3 aus Forschung und Entwicklung gegen das Patent opponierten, weil sie den Neem-Baum als Allgemeingut verteidigten, hat kürzlich das Europäische Patent- amt das einst vergebene Patent Nummer 436257 offiziell wider- rufen. «Für alle, die um die Rückgabe der Kontrolle ihrer eigenen Ressourcen und ihres traditionellen Wissens gekämpft haben, ist dies ein ganz grosser Tag», sagt die Wissenschafterin Vandana Shiva vom Forschungs-

Still Pictures institut für Wissenschaft,Techno- logie und Ökologie in Delhi. Gefragter Bio-Kaffee Freiheit für Neem-Baum (bf) Um die dramatischen Ein- (bf) Der Neem-Baum hat auf Es gärt und trocknet kommensverluste infolge riesiger internationaler Ebene einen (bf) Der Gärungs- und Trock- Verkaufseinbrüche wettzuma- überlebenswichtigen Sieg davon nungsprozess gibt dem Kakao chen, haben peruanische Kaffee- getragen und seine Freiheit aus Ghana einen einzigartigen bauern eine neue Einkom- zurück erlangt. Ein amerikani- Geschmack, dieser ist deshalb mensquelle gefunden – den sches Unternehmen liess den weltweit gefragt. Seit längerer biologischen Anbau. Seit 1989 wegen seiner «vielfältigen Zeit sind die Forschungs- das internationale Kaffee- Verwendungsmöglichkeiten» Abkommen aufgekündet wurde, interessanten Baum nämlich geht’s mit dem Kaffeepreis rauf patentieren. In der indischen und runter. Eine der Reaktionen Gesellschaft nimmt der Neem- darauf war die Gründung von Baum seit Jahrtausenden eine Fair-Trade-Organisationen. bedeutende Rolle ein:Aus den Cecovasa, eine Genossenschaft Blättern und der Rinde werden von Kaffee-Bauern in den Kleider, Nahrungsmittel und Tälern von Sandia in den Ost- Unterkünfte hergestellt, die

ausläufern der peruanischen Zweige werden als Zahnbürsten Riboud / Magnum photos Marc Anden, wurde einer ihrer verwendet, aus verschiedenen abteilungen multinationaler eriskop Lieferanten. «1995 betrug der Teilen werden Naturheilmittel Kakaokonzerne diesem Anteil unserer Fair-Trade- gewonnen, und zudem werden Geschmack auf der Spur. Jetzt Verkäufe noch vier Prozent, ihm spirituelle Kräfte nachge- sind sie fündig geworden. Sie heute sind es schon zwölf, und sagt. Nachdem nun mehrere haben das Protein isoliert, wir sind optimistisch, dass diese internationale Organisationen welches für eben diesen Ge- Verkäufe weiter zunehmen», sagt schmack verantwortlich ist, das

P Teodoro Paco, aktueller entsprechende biotechnologische Cecovasa-Präsident. Bio-Kaffee Patent ist angemeldet. Die ist nicht nur umweltfreundlicher Kakaoproduzenten aus Ghana und bringt höhere Qualität, son- sind aufgeschreckt, können doch dern ist auch preismässig für die die patentierten Proteine pro- Bauern interessant: pro Doppel- blemlos in minderwertigeren zentner kriegen sie rund 15 Kakao transferiert werden. US-Dollar mehr als für den Anstatt den Kakao an die Multis üblichen Kaffee. Unter professio- zu verkaufen und anschliessend neller Hilfe von ausgebildeten deren Endprodukte wieder zu- Ingenieur-Agronomen planen rück zu kaufen, hat Ghana nun nun viele der genossenschaftlich begonnen, mit einer eigenen organisierten Bauern, ihre ganze Kakaomarke Endprodukte Kaffeeproduktion auf biologi- herzustellen und exportiert schen Anbau umzustellen. diese bereits mit Erfolg in die Still Pictures

4 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Zeichnung von Martial Leiter Swiss cow

«Mädchen für Mädchen» ein- nach den Filmen, welche von geführt, welches die Mädchen in den grossen koreanischen den Schulen behalten will. Unter Marken gesponsert werden, wird den älteren Schülerinnen werden Werbung für «Made in Korea»- «Patinnen» ausgewählt, denen Produkte gemacht: Kosmetik man drei jüngere Mädchen an- und Elektronik,Autos, Bettwaren vertraut. Sie begleiten ihre und vieles mehr. Resultat: Die «Patenkinder» zur Schule und Importe südkoreanischer Waren am Abend wieder heim. Sie be- haben im letzten Jahr um 20 treuen sie, wachen in den Pausen Prozent zugenommen, die über sie und beschützen sie. Umsätze der entsprechenden Das Experiment hat Erfolg. Firmen sind enorm gestiegen. Viele Eltern sind beruhigt und Doch auch einfallsreiche nehmen ihre Töchter kaum Vietnamesen leben von diesem mehr aus der Schule. Phänomen, indem sie zum Still Pictures Beispiel eine vietnamesische USA und nach England. hen es vor, dass sie ihnen bei der Vietnam wird koreanisiert Version der Filmchansons auf- Übrigens: Ghana hat rund zehn Haus- oder Feldarbeit helfen. (jls) Koreanische Fernsehserien nehmen und Kassetten verkaufen Milliarden Franken Ausland- Andere, wie beispielsweise eine sind in Vietnam gross in Mode. oder T-Shirts mit den Porträts schulden. Kakaoexporte bringen angesehene Persönlichkeit aus Im Gegensatz zu Hollywood- der Stars bedrucken lassen. rund eine Milliarde pro Jahr ein Kpèkpè, befürchten das filmen entsprechen sie ganz der – gerade genügend, um die jähr- Schlimmste: «Es ist eine Ver- vietnamesischen Moral. Die lichen Zinsen dieser Schuld zu schwendung von Zeit und Jungen identifizieren sich mit begleichen. Geld, Mädchen in die Schule den Helden und Heldinnen die- zu schicken. Dazu kommt die ser Filme und tun alles, um Mädchen für Mädchen Gefahr, dass sie von einem ihnen zu gleichen, imitieren (jls) In einigen Regionen Benins Lehrer geschwängert werden.» ihren Haarschnitt, die Lippen- geben die Mädchen sehr früh Vor vier Jahren wurde deshalb stiftfarbe oder auch die Art, wie die Schule auf. Die Eltern zie- im Süden des Landes das System sie ein Hemd tragen.Vor und

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 5 Spannendes Engagement Noch vor wenigen Jahren war der Balkan für die meisten fern und fremd. Was wusste man schon darüber? Unversehens gehört jenes Gebiet heute zum nahen Ausland. Kriege und Flüchtlinge haben in kurzer Zeit eine Wahrnehmensänderung ausgelöst, wie sie die Immigration von Gastarbeitern aus Ex- Jugoslawien während Jahrzehnten nicht bewirkt hatten. Von Andres Wysling*. DOSSIER

6 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Balkan für weniger Spannung

Südosteuropa rückt näher, das Bild des Balkans Spenden für die Flüchtlings- und Wiederaufbau- verändert sich, auch das Bild der Leute vom Bal- hilfe in Bosnien und Kosovo. Das Engagement kan.An die Stelle der wenig geliebten «Jugos», die wird getragen von zwei Motiven: Mitleid mit den in den Medien vor allem als Drogenhändler und Vertriebenen einerseits, Angst vor «Überfrem- Messerstecher präsent waren, treten plötzlich auch dung» anderseits. Menschen mit Schicksalen, an deren Geschichte Das generelle Interesse der Öffentlichkeit ist eine man Anteil nahm und nimmt. Das Interesse der gute Grundlage für eine aktive Aussenpolitik der Schweizer Bevölkerung an den neu entdeckten Schweiz in Südosteuropa. Deren hauptsächliches Nachbarn zeigt sich unter anderem an reichlichen Anliegen ist es erklärtermassen, die Abreise von Flüchtlingen aus der Schweiz in ihre Heimat zu beschleunigen und die Ankunft neuer Flüchtlinge aus der Krisenregion zu vermeiden. Gegen eine Aussenpolitik mit solcher Zielsetzung hat nicht einmal die auf Abschottung bedachte Rechte viel einzuwenden, weil sie eine Verminderung der aus- ländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz wünscht. Auch die für Weltoffenheit eintretende Linke äussert kaum Einwände, weil sie ein neues Aufflackern der fremdenfeindlichen Stimmung im Lande und eine neue Verhärtung in der Asyl- diskussion vermeiden möchte. So kann sich die schweizerische Aussenpolitik im Balkan auf einen – wenn auch unbequemen – innenpolitischen Grundkonsens stützen.

Im Schatten der Grossmächte Das Balkanengagement kostet Geld. Im zivilen Bereich gehört die Schweiz, gemessen an der Bevölkerungszahl, zu den grossen Geldgebern für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau in Bosnien und Kosovo. In Bosnien investierte sie in fünf Jahren über 250 Millionen Franken, in Kosovo in einem Jahr fast 120 Millionen. Diese Zahlen um- fassen nur Bundesbeiträge; private Spenden kom- men dazu.Aber im grossen Topf der internationa- len Hilfe verschwinden sie fast. Das Programm für den zivilen Wiederaufbau (ohne humanitäre Hilfe) in Bosnien kostete fünf Milliarden Dollar. Für Kosovo wird mit zwei Mil- liarden gerechnet. Den grössten Teil davon bezah- len die Europäische Union – der eigentliche Zahl- meister auf dem Balkan – und die Vereinigten Staaten. Ausserdem wenden die Nato-Länder Rie- sensummen für die Truppenstationierung auf. Im Vergleich erscheint das Engagement der Schweiz in den balkanischen Krisenzonen als finanziell nicht entscheidend und militärisch bedeutungslos. Entsprechend hat Bern politisch höchstens eine Nebenrolle zu spielen. Man hat zuweilen den Ein- druck: Die Schweizer sollen Geld schicken und allenfalls diplomatische Handlangerdienste leisten – zu sagen haben sie nichts. Diesen Aussenseiter- status hat die Schweiz nicht nur wegen ihrer geringen Grösse, sondern er ist von ihr auch selbst gewählt, mit dem Abseitsstehen bei Uno, EU und Nato. Er befreit sie allerdings nur zum Teil von der Andreas Schwaiger / Lookat Andreas Albanien 1993

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 7 mas Muscionico / Contact Lookat To Mazedonien 1988 Mitverantwortung für das, was die «Internationale Gemeinschaft» im Balkan tut oder nicht tut. Ob sie will oder nicht, sieht sich die Schweiz in die Politik der Grossmächte und vor allem der Vereinigten Staaten eingebunden, auch wenn sie diese kaum beeinflussen kann.Von den Folgen ist sie ohnehin mitbetroffen. Die schweizerische Hilfe ist gleichwohl substan- Nie wieder Tee ziell. Es stellt sich die Frage, ob das Geld sinnvoll Ein alter Albaner, der aus ausgegeben wird. Führen die hohen Ausgaben zu Pristina vertrieben wurde, erwünschten Resultaten? Die Antwort lässt sich sagt: «Mit den Serben will ich nichts mehr zu tun aus der Flüchtlingsstatistik ablesen. Aus Bosnien haben. Das serbische Volk kamen während des Kriegs (1992 bis 1995) 34000 ist schuld an dem, was

Flüchtlinge in die Schweiz, und 15000 sind wieder Keystone hier passiert ist. Sicher zurückgekehrt. Aus Kosovo (Jugoslawien) waren Kosovo 1999 gibt es einige, die nichts getan haben. Die können Mitte 1999, auf dem Höhepunkt der Vertreibung, meinetwegen bleiben. 67000 Flüchtlinge in der Schweiz, und 35000 sind Vielmehr ist nachhaltiger Spannungsabbau das Aber auch mit denen will seither zurückgekehrt, die meisten von ihnen frei- langfristige Ziel des westlichen Engagements. Es ich nichts mehr zu tun willig, im Rahmen des Programms zur Rück- entspricht offensichtlich dem Eigeninteresse der haben. Dass wir zusam- mensitzen und Tee trinken, kehrhilfe. Im gleichen Zeitraum von einem Jahr Schweiz, dass sie sich daran beteiligt. Die Rezep- so wie früher, das ist vor- wurden gegen 6000 neue Asylbewerber aus Ko- tur für Bosnien und Kosovo umfasst humanitäre bei. Vielleicht später wie- sovo (Jugoslawien) registriert. Das heisst, die Popu- Hilfe, Wiederaufbau von Wohnraum und Infra- der, aber das dauert noch lation von Flüchtlingen aus dem Balkan in der struktur, Ankurbelung der Wirtschaft, Aufbau von lange, sehr lange. Vielleicht in der nächsten oder Schweiz ist nach dem steilen Anstieg der letzten Staatsorganen, Förderung der Bürgergesellschaft, übernächsten Generation Jahre wieder stark gesunken.Aber es kommen im- und immer wieder Rückkehr der Vertriebenen. dann.» mer noch neue Balkan-Flüchtlinge, wenn auch in Generelle Leitlinie ist dabei die Wiederherstellung geringerer Zahl.Trotz Beendigung der Kriege sind der multikulturellen Gesellschaft in einer demo- die Spannungen in der Krisenregion nicht besei- kratischen Verfassung nach westlichen Vorstel- tigt. lungen. Die «multikulturelle Gesellschaft» kommt als Gemeinplatz in jeder Rede jedes westlichen Langfristiges Ziel: Spannungsabbau Politikers vor, der nach Sarajevo oder Pristina reist. Die Balkanpolitik kann nicht auf das kurzfristige Dabei ist offenkundig, dass es sie nicht mehr gibt Ziel der Flüchtlingsrückkehr beschränkt bleiben. und dass sie nicht so schnell wieder entsteht, wie

8 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Balkan

sie im Krieg zerstört wurde. Die jüngsten Balkan- Schutztruppe verhindert, welche die serbischen Rückkehrer im Wald kriege wurden mit dem Ziel der «ethnischen Enklaven rund um die Uhr bewacht. Möglicher- Knapp 20 Männer hausen Säuberung» geführt, und dieses wurde grossflächig weise noch prekärer ist die Lage der serbischspra- in einer Kirche im Bergland Nordbosniens. Der jüngste erreicht. Nach allem was geschehen ist, ist eine chigen Zigeuner, die bei den Albanern als ist 55jährig, alle andern Rückkehr zum früheren Zustand nicht möglich. Helfershelfer der serbischen Soldateska verschrien sind über 60 Jahre alt. Es In Bosnien sind die Wohngebiete der verschiede- waren. Die meisten von ihnen sind aus Kosovo sind Kroaten, die mit Hilfe nen Bevölkerungsgruppen heute getrennt, in bos- geflohen, vorwiegend nach Montenegro und der Caritas in ihr zerstörtes Dorf zurückgekehrt sind, njakische (muslimische), serbische und kroatische. Innerserbien. Die Übriggebliebenen leben meist in die Serbische Republik. Daran wird sich aller Voraussicht nach auf abseh- in Lagern unter Militärbewachung. Nur wenige Die Kirche haben sie bare Zeit wenig ändern. Eine massenhafte und konnten in ihren Häusern bleiben. Auch viele zuerst wieder hergestellt. nachhaltige Rücksiedlung von Vertriebenen in Goraner (slawische Muslime) hatten unter Über- Jetzt wollen sie die Wohnhäuser reparieren. Herrschaftsgebiete einer andern ethnischen Gruppe griffen zu leiden; unterdessen werden sie meist in In der nahen Schulbaracke (sogenannte «minority returns») ist nicht zu erwar- Ruhe gelassen. Vergleichsweise wenig Probleme haben sich serbische ten. Zwar unternimmt das Büro des Hohen Re- haben anscheinend die Türken. Doch grundsätz- Polizisten eingerichtet; präsentanten mit der Restitution von enteigneten lich herrscht ein Klima der Intoleranz, das sich sie sollen die kroatischen Rückkehrer bewachen. Wohnungen gezielte Anstrengungen in diese unter anderem in einem Sprachverbot äussert: Es Ein Diplomat hält eine Richtung. Die Erfolgsaussichten sind aber be- ist lebensgefährlich, sich in der Öffentlichkeit in Rede: «Bald werden hier schränkt. einer slawischen Sprache zu unterhalten. Die mul- kroatische und Erst in den beiden letzten Jahren ist auch mit tikulturelle Gesellschaft kann im Licht der Gege- serbische Kinder zusam- men lernen», sagt er. schweizerischer Unterstützung die Rückkehr in benheiten nur ein Fernziel der Hilfe sein.Vorder- Keiner glaubt daran. entlegene Weiler in Gang gekommen. Deren Be- hand geht es immer noch um das Erreichen von völkerung war in der Regel schon früher ethnisch handfesten Nahzielen. In erster Linie brauchen die Keystone Keystone Jugoslawien 1999 Bulgarien 1999

einheitlich zusammengesetzt. Die Rückkehrer sind häufig alte Leute. Die jungen Leute wollen vorwiegend an ihren neuen Wohnorten bleiben, zumal wenn sie jetzt in der Stadt wohnen. Die Rückkehr in die früher gemischten, heute im wesentlichen entmischten Städte steht noch am Anfang. Seit Anfang 1999 wurden in Bosnien 60000 sogenannte «minority returns» gezählt – die Gesamtzahl der im Krieg von ihren Wohnstätten Vertriebenen betrug über zwei Millionen. In Kosovo hat nach Vertreibung und Rückkehr der Albaner die Vertreibung der Serben eingesetzt. Höchstens die Hälfte von ihnen ist in Kosovo geblieben. Sie leben in verschiedenen Enklaven zusammengedrängt und sind vom Kontakt mit der Aussenwelt praktisch abgeschnitten. Ihre restlose Vertreibung wird nur durch die internationale Keystone Jugoslawien 1999

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 9 Rumänien 1990

Sternenbanner statt Leute ein Dach über dem Kopf und ein Einkom- Schweizerkreuz men. In Kosovo und Bosnien hat die Schweiz im Nur die Kula, der alte Hausbau rasch und effizient Hilfe geleistet. Bei der Wehrturm mit dicken Mauern und kleinen Einkommenserzeugung spielt sie als Arbeitsplatz Fenstern, hat den Krieg für Gastarbeiter weiterhin eine wichtige Rolle. unbeschadet überstanden. Ansonsten ist der Existenzsicherung und politische Bauernhof in der Nähe von Gjakove/Djakovica abge- Stabilität brannt. Aber schon ist der Existenzsicherung für viele ist die Grundlage für Dachstock des grossen politische Stabilität. Diese wiederum ist die Wohnhauses wieder auf- Voraussetzung für eine eigenständige ökonomi- gerichtet. Zuoberst ragt eine Stange mit dem ame- sche Entwicklung. In Bosnien ist das Resultat rikanischen Sternenbanner der Hilfe allerdings ernüchternd. Die staatlichen in den Himmel. «Da gehört Institutionen funktionieren schlecht, und eine doch die Schweizer Fahne selbsttragende Wirtschaft gibt es nicht. In Kosovo hin!», sagt der Schweizer Delegierte. «Schliesslich scheinen die Aussichten etwas besser, sie sind De Keyzer Carl / Magnum photos haben wir das Baumaterial aber gleichwohl unsicher. Man erkennt heute, dass Rumänien 1995 bezahlt.» «Ja, aber die der Wiederaufbau zerstörter Städte, Dörfer und senhafte Entwicklungen. Solche wollen die rei- Amerikaner haben uns Strassen sich mit massiver Hilfe nach den Vor- chen Länder Europas vermeiden, nach der alten befreit», sagt der Albaner. gaben eines Dreijahresplans abwickeln lässt. Die Apothekerweisheit:Vorbeugen ist billiger als Hei- Erneuerung zerstörter Gesellschaften, zerbroche- len. Die Schweiz sollte auch hier ihren Beitrag leis- ner politischer und ökonomischer Gefüge jedoch ten, im eigenen Interesse, wenngleich sie weiterhin braucht viel länger. nur eine Nebenrolle spielen kann und andere Diese Erkenntnis war die Grundlage für die Grün- Staaten und Organisationen die grossen Linien der dung des Balkan-Stabilitätspakts. In dessen Rah- Politik bestimmen. ■ men sollen nicht nur kriegszerstörte Länder und Gebiete Hilfe erhalten, sondern vor allem auch *Andres Wysling ist Auslandkorrespondent der Neuen diejenigen, die bisher eine bessere Entwicklung Zürcher Zeitung/NZZ für Südosteuropa mit Sitz in genommen haben. Es geht da um Länder wie Wien. Mazedonien, Bulgarien, Rumänien oder Alba- nien, auch Kroatien. Sie unterscheiden sich unter einander, aber sie haben eine ähnliche Grundpro- blematik: Sie befinden sich im politischen Um- bruch und kämpfen mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten; sie sind deshalb anfällig für kri-

10 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Balkan Anthony Suau / Vu Bulgarien 1994

Der Balkan (bf) Der Balkan ist einerseits ein Gebirge in Süden an die Ägäis und im Westen an das Keystone Bulgarien, andererseits wird er als Kurzbezeich- Ionische und das Adriatische Meer reicht. nung für die östlichste der drei südeuropäischen Der Balkan umfasst gegenwärtig die folgenden Halbinseln, nämlich die Balkanhalbinsel, Staaten:Albanien, Bulgarien, Bosnien- gebraucht. Diese schliesst den weitaus grössten Herzegowina, Griechenland, Bundesrepublik Te il Südosteuropas ein. Genauer gesagt, meint sie Jugoslawien, Kroatien, Mazedonien, einen Teil das Land südlich der Donau und Save bis zu Rumäniens sowie den europäischen Teil der einer Linie Ljubljana-Triest, das im Osten bis an Türkei. ■ das Schwarze Meer und das Marmarameer, im

UNGARN SLOWENIEN Zagreb Ljubljana KROATIEN RUMÄNIEN Save BOSNIEN- Belgrad Bukarest HERZEGOWINA Sarajevo Donau

JUGOSLAWIEN BULGARIEN Sofia

Skopje Istanbul MAZEDONIEN Tirana

ALBANIEN TÜRKEI GRIECHENLAND

Athen

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 11 «Der Balkan gehört zurück nach Europa»

Die Entwicklung auf dem Balkan steht heute zu einem gros- sen Teil unter Obhut der Internationalen Gemeinschaft. Wolfgang Petritsch, deren Hoher Repräsentant in Bosnien- Herzegowina, ist ein profunder Kenner der Situation auf dem Balkan. Im Interview mit Gabriela Neuhaus skizziert er Gegenwart und Zukunftsperspektiven für die Region. Keystone

Wolfgang Petritsch Der österreichische Diplo- mat Wolfgang Petritsch kennt die Entwicklung auf dem Balkan aus nächster Nähe: 1997 bis 1999 re- präsentierte er Österreich als Botschafter in Belgrad, vom Oktober 1998 bis Juli 1999 war er zudem Sondergesandter für die EU im Kosovo und vertrat diese als deren Hauptunter- händler in den Kosovo- Verhandlungen von Alain Pinoges / CIRIC Bosnien-Herzegowina, Sarajevo 1994 Rambouillet und Paris. Im Juli 1999 wurde Petritsch als Nachfolger Eine Welt: Der Balkan erlitt durch die Kriege der kommunistischen Ära, dazu kommt die will- von Carlos Westendorp heftige Rückschläge, die betroffenen Länder kommene Zunahme der Zahl von Flüchtlingen, zum Hohen Repräsentan- sind heute doppelt gefordert. Wolfgang die zurückkehren. ten der Internationalen Petritsch, wo orten Sie die Hauptprobleme Gemeinschaft in Bosnien- Herzegowina gewählt. für eine künftige Entwicklung? Sind die Konflikte auf dem Balkan über- Seine Behörde, das Office haupt «lösbar», was braucht es dazu? of the High Representati- Wolfgang Petritsch: In der Tat sind Bosnien- Es ist wichtig, dass man auf dem Balkan den fran- ve, wurde mit dem Herzegowina und einige seiner Nachbarn doppelt zösischen Begriff des «citoyen» begreift – des akti- Abkommen von Dayton geschaffen und hat zum gefordert. Die meisten Länder in Zentral- und ven Bürgers. Nationalität und Ethnie dürfen keine Ziel, den Friedensprozess Osteuropa haben in den letzten zehn Jahren einen Rolle spielen.Verbindlich für die Menschen sollen in Bosnien-Herzegowina sehr schwierigen Wandel von staatlich kontrollier- alleine gesetzlich verankerte Bürgerrechte und durchzusetzen. ter Wirtschaft und Kommunismus hin zu individuelle Rechte sein. Marktwirtschaft und Demokratie durchgemacht. Dank der Einführung neuer Immobilien- und Bosnien ist in einer noch schlimmeren Situation, Wohngesetze, die festlegen, dass und wie jeder weil diese Entwicklung durch den Krieg gebremst Bürger sein Vorkriegsheim wiederbekommt, set- worden ist.Auch ist der Übergang vom Krieg zum zen sich hier in Bosnien-Herzegowina nun Re- Frieden noch nicht vollständig geschafft. Doch ich geln und Gesetze durch. Die Umsetzung dieser denke, Bosnien-Herzegowina ist nun auf gutem Gesetze, die ich verfügt habe, ist der einzige Weg, Weg: Was ich die «Europäisierung des Landes» die ethnischen Säuberungen des Krieges zu über- nenne, unterstützen wir mit der Einführung von winden. Wir haben Zeichen, dass der gleiche Gesetzen, die EU-Richtlinien entsprechen, mit Prozess auch in Kroatien im Gang ist. Die Plänen zur Privatisierung der Unternehmen aus Situation in Jugoslawien hingegen ist leider sehr

12 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Balkan

Internationale Hilfe ist gefragt: In der Hoff- nung, verschwundene Verwandte zu finden, suchen Kosovo- Flüchtlinge eine Liste des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz mit Namen von registrierten Flüchtlin-

Andreas Schwaiger / Lookat Andreas gen in Albanien durch. Albanien 1999 unsicher. Slobodan Milosevic bleibt das grösste enger, nationalistischer Kosovo, der alle Nicht- Hindernis für einen dauerhaften Frieden in der Albaner ausschliesst, hat in einem modernen Eu- Region. ropa keine Zukunft.

Sie sind seit August 1999 Hoher Repräsen- Der Balkan ist auf internationale Unterstüt- tant der Internationalen Gemeinschaft für zung angewiesen. Wie beurteilen Sie in die- Bosnien-Herzegowina. Wo sehen Sie die sem Kontext die Rolle der Schweiz? Vo r teile, wo Probleme des Vermittlers von Die Schweiz ist in Bosnien-Herzegowina seit dem aussen? Krieg äusserst aktiv. Von den 34000 Menschen, Der Vermittler, die Vermittlerin von aussen ist die in die Schweiz geflüchtet sind, ist nun fast die unvoreingenommen. Unparteilichkeit ist alles: jede Hälfte zurückgekehrt, unterstützt durch die Bewegung, die ich hier mache wird genaustens Rückkehrhilfe der Schweizer Regierung. Doch beobachtet. Zudem habe ich als Bürger Öster- die Schweiz ist nicht nur im Bereich der huma- reichs und der EU Erfahrung mit Demokratie. nitären Hilfe engagiert, sondern auch in der künf- Doch es gibt auch Gefahren «von aussen», vor tigen Entwicklung von Bosnien-Herzegowina.Vor allem die Versuchung, einfache Lösungen aufzu- allem aber ist sie ein Beispiel dafür, wie Menschen drängen. Ich glaube an die Selbstverantwortlich- verschiedener Sprachen und Ethnien zusammen keit der Bürgerinnen und Bürger. Zu meiner stän- leben und vorwärts kommen können. Dies ist die digen Enttäuschung wollen aber viele Politiker wichtigste Botschaft der Schweiz an die Bürger und gerade die nationalistisch orientierten Partei- und Bürgerinnen von Bosnien-Herzegowina. en, keine schwierigen Entscheidungen treffen. Zu oft warten sie darauf, dass man ihnen Entscheide Ihr Job ist nicht nur schwierig, sondern wie von aussen aufdrängt, so dass sie nicht Farbe be- Sie gesagt haben, auch immer wieder fru- kennen müssen. Dies ist verantwortungslos. strierend. Woher nehmen Sie die Energie zum Weitermachen? Wie beurteilen Sie die Situation im zweiten Die Arbeit ist erschöpfend, gleichzeitig aber auch grossen Konfliktgebiet auf dem Balkan, im herausfordernd und faszinierend. Wie den Balkan Kosovo? zurück nach Europa bringen, wo er hingehört? Dort ist immer noch ein versteckter Krieg im Diese Aufgabe verlangt Kreativität und Fantasie – Gang, die Situation ist äusserst schwierig.Als Son- man darf nicht aufgeben angesichts der manchmal dergesandter der Europäischen Union für den überwältigenden Grausamkeit dieser Balkan- Kosovo und als deren Hauptunterhändler bei den kriege. Die Vorstellung, dass ich dazu beitragen Gesprächen von Rambouillet, war es für mich äus- kann, ein tolerantes, multi-ethnisches Bosnien- serst schmerzlich mitzuerleben, was schliesslich Herzegowina aufzubauen, das seinen Platz einneh- herausgekommen ist. Ich denke, die Rückkehr- men wird im neuen Europa, diese Vorstellung lässt Problematik im Kosovo ist ähnlich wie in Bosnien. mich weiter machen. ■ Serben und Romas, die dazu gedrängt worden sind, ihre Häuser zu verlassen, müssen zurückkeh- (Das Interview mit Wolfgang Petritsch wurde vor dem ren können. Auch hier ist das Konzept der zivilen Sturz von Slobodan Milosevic geführt.) Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Ein

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 13 Endlich: Blick nach vorne

Anderthalb Jahre nach Kriegsende hat sich im Kosovo eine gewisse «Normalität des Wiederaufbaus» eingestellt. Überall und an allem wird gebaut: Häuser, Schulen, Strassen, Wasser- werke und an der Demokratie. Von Maria Roselli.

Vier Schwerpunkte Die DEZA ist im Balkan mit Humanitärer Hilfe als Soforthilfe, sowie mit ihrer Abteilung Zusammenarbeit mit Osteuropa und GUS (AZO), welche längerfristig plant, tätig. Die AZO bud- getiert für das Jahr 2000 zwölf Millionen Franken für den Kosovo und ist in fol- genden Hauptbereichen tätig:

Gemeinde- und Justizorganisation: Erstellung eines Katasters und eines Einwohner- registers; Projekt im Bereich Strafvollzug

Öffentliche Dienstleistungen: Wasserversorgung im Südosten Kosovos, Projekte im Erziehungs- und Ausbildungsbereich; Unterstützung eines öffent- lich-rechtlichen Radios Keystone

Privatsektorförderung: Projekte zur Unterstützung Im März 1999 schaute die ganze Welt gespannt gedenke, und wie lange diese wohl bleiben wür- der Landwirtschaft, sowie nach Rambouillet. Männer mit angespannten den. Dann verschwand der Kosovo allmählich aus von Klein- und Mittelunter- Gesichtern, in dunkeln Anzügen oder Uniformen, den Schlagzeilen. nehmen stiegen aus Limousinen oder Jeeps und verschwan- Kaum Fortschritte im Versöhnungspro- Zivilgesellschaft: den, umgeben von Leuten des Sicherheitsdienstes, Beiträge an Hilfswerke für hinter den Türen der Hoffnung. Doch die Frie- zess diverse Projekte densgespräche scheiterten. Es folgte ein 79 Tage Eineinhalb Jahre nach dem Friedensabkommen andauernder Krieg der Nato gegen die im Kosovo hat sich im Kosovo die «Normalität des Wieder- stationierten serbischen Truppen, welche ihre aufbaus» eingestellt. Rund 400 Nichtregierungs- Vertreibungspolitik gegen die albanische Bevölke- Organisationen (NGOs) und Regierungsorganisa- rung massiv verstärkten. Über 750000 Menschen tionen sind nebst der lokalen Bevölkerung am flüchteten ins Ausland, hinter ihnen ausgebrannte Wiederaufbau beteiligt. Allein durch Schweizer Häuser, zerbombte Brücken und Strassen, verwe- Wohnbauprojekte wurden 1999 2614 Häuser sende Leichen. wieder aufgebaut, bis Ende Jahr werden weitere Dann wurde ein Weg zum Frieden gefunden. Die 2395 fertig gestellt. Dennoch stehen auch diesen serbischen Truppen zogen sich aus Kosovo zurück Winter immer noch nicht für alle Menschen und schon in den folgenden Tagen kehrten genügend Wohnungen zur Verfügung. Tausende in ihre zerstörten Häuser und auf ihre In den Läden gibt es die meisten Lebensmittel verminten Felder zurück, begleitet von internatio- wieder und viele Schulen lassen die Schulglocken nalen Hilfskonvois, die sie mit den nötigsten Le- wieder läuten. Doch der Versöhnungsprozess zwi- bensmitteln versorgten. In den folgenden Mona- schen den Albanern und den Minderheiten ten war der Kosovo für die Medien noch ein (Serben,Türken, Roma) macht kaum Fortschritte, Thema, doch schon bald drehte sich ihr Interesse immer noch kommt es zu Provokationen und einzig um das so genannte Flüchtlingsproblem: Aggressionen. Welcher Staat wie viele Flüchtlinge aufzunehmen Im Koordinationsbüro (Kobü) der Schweizer Hilfe

14 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Balkan in Kosovo

tungen und das Verteilnetz in den Städten wurden repariert oder teils ersetzt. Am schlimmsten stand es um die Wasseraufbereitungsanlage in Gnjilane/ Gjilani, die Decke des Reservoirs drohte einzu- stürzen. Hier musste ein Bypass erstellt werden, um die Wasserversorgung während der Reparatu- ren der Decke und der Leitungen zu gewährlei- Keystone in Pristina arbeiten an die 25 Schweizerinnen und Schweizer und gut 125 lokale Angestellte aus dem Kosovo. «Die Stimmung ist optimistisch, überall im Kosovo wird gebaut. Doch nicht nur die Kriegsschäden müssen behoben werden, sondern auch die Schäden, die aus dem langjährigen Missmanagement und 50 Jahre Kommunismus entstanden sind», sagt Antoine Dubas, der für die

DEZA im «Kobü» Pristina arbeitet. llegrin / Vu Was unter Missmanagement gemeint ist, erklärt P. P e Céline Yvon von der DEZA-Abteilung Zusammen- sten. Dieser so genannte Roughing-Filter ermög- arbeit mit Osteuropa und GUS (AZO) am Bei- licht es, die Anlage während der Reparaturen still- spiel der Wasserversorgung im Südosten Kosovos: zulegen. Der Bypass wurde im Rahmen der «Die Wasseraufbereitungsanlagen wurden in dieser Humanitären Hilfe (HH) durch das SKH in Zu- Region seit zehn Jahren kaum mehr in Stand sammenarbeit mit lokalen Unternehmen erstellt. gehalten, die Albaner wurden aus den Werken ent- Der eigentliche Wiederaufbau der Anlage ist hin- lassen, gut die Hälfte des Trinkwassers geht verlo- gegen ein Projekt der AZO und des seco. Weg ren. Zudem waren die Anlagen während der Zeit von der humanitären Hilfe hin zur technischen des Kommunismus absolut zentralistisch geführt, Zusammenarbeit ist denn auch die Marschrich- Humanitäre Hilfe Belgrad entschied wie viel Wasser die Gemeinden tung des Schweizer Engagements im Kosovo. Für die Humanitäre Hilfe brauchten.» Die DEZA-Aktionen im Kosovo-Konflikt werden und SKH-Projekte werden Das soll jetzt dank einem Programm von DEZA zu 80 Prozent im Rahmen der Rückkehrhilfe- im laufenden Jahr von und seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) im programme durch das Bundesamt für Flüchtlinge der DEZA 43 Millionen Franken ausgegeben: Bereich Trinkwasser, welches vor allem Städte im (BFF) finanziert. 1999 wurden insgesamt 83 Milli- Materialabgabe an Rück- Südosten des Landes betrifft, anders werden. Ziel onen Franken für DEZA-Aktionen im Kosovo kehrende, Bau und des Projekts: Genügend Trinkwasser von gesicher- ausgegeben, dieses Jahr sind 55 Millionen Fran- Renovation von 500 ter Qualität produzieren und die bestehenden ken budgetiert. Das seco plant in diesem Jahr Aus- Häusern und 7 Schulen, Bau von Strassen und kommunalen Wasserwerke befähigen, das Wasser gaben in der Höhe von acht Millionen Franken Brücken; Koordination und zu kostendeckenden Preisen an die Bevölkerung und in den nächsten drei Jahren im Rahmen der Aufbau von Trinkwasser- abzugeben. Finanzhilfe weitere 27 bis 30 Millionen Franken versorgung für 150000 im Kosovo einzusetzen. ■ Menschen; Verteilung von Von der humanitären Hilfe zur techni- 1200 Rindern und Kühen, Abgabe von Saatgut; schen Zusammenarbeit Wahrung der Interessen «Als wir im August 1999 in diese Region kamen, und Bedürfnisse von war das Trinkwassernetz in sehr schlechtem Zu- Minderheiten; Ausbildung von Mitgliedern des stand», erzählt der Schweizer Ingenieur Philippe Kosovo Protection Corps; Genoud vom Schweizerischen Katastrophen- Entminung in Zusammen- hilfekorps (SKH). Verschiedene Sofortmassnah- arbeit mit dem russischen men garantierten die Trinkwasserversorgung: Die Zivilschutz- und Nothilfe- Wasserfassungen an den Quellen, die Zufuhrlei- ministerium.

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 15 Ouichi und ihr langer Marsch für ein paar Süsskartoffeln

Zeinabou ist Witwe und es bleiben ihr sieben Kinder aufzuzie- hen. Um sie zu ernähren, betreibt die 60-Jährige einen kleinen Verkaufsstand am Strassenrand, in einem Vorort nordöstlich von Niamey. Ihr Alltag widerspiegelt die Schwierigkeiten des Niger, der im Weltbericht über die menschliche Entwicklung an zweitletzter Stelle steht. Von Ibbo Daddy Abdoulaye*.

Talladjé ist eines der ärmsten Quartiere Niameys. von Banditen und Kriminellen und zum Prekäre Zustände, Gesundheitsgefährdungen und Schuttabladeplatz einer städtischen Gemeinde mit Unsicherheit herrschen hier vor. Die Wohnungen einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern liegen zwischen ekelhaften, mückenverseuchten geworden ist. Er wurde in den sechziger Jahren Sümpfen voller Unrat. angepflanzt, um die Hauptstadt vor den Sandstür- Es ist sieben Uhr. Im Heim der alten Zeinabou men zu schützen, heute ist kaum mehr etwas klappern die Tassen und Rauch steigt von feuch- davon geblieben. In Quartieren wie Talladjé fehlen tem Holz auf – es ist Frühstückszeit. Ouichi, wie Wasser und Strom vollständig. Oft gehen die ihre Kinder sie nennen, beharrt darauf, dass der Männer frühmorgens weg, ohne etwas Geld für Gast wenigstens «weisses Wasser» nimmt, ein Ge- Nahrungsmittel dazulassen. Und die Frauen haben misch von Wasser und Hirseboule. Ouichi, ausge- zum Kochen nur Holz als Brennstoff. trocknet wie ein Hirsestengel, die 60 bereits hin- Auf dem Weg trifft Ouichi ihre Leidensgenossin- ter sich, ist äusserst lebhaft. Sie teilt mit fester nen. Es ist eine lange Prozession von Frauen, die Stimme Aufgaben zu, während sie die Hühner füt- früh aufgestanden sind, um für ein wenig Essen zu tert: «Rabi, du bringst den Mais in die Mühle; sorgen. Sie erzählen sich Witze, um den nicht

HORIZONTE Aïcha, du bereitest das Mittagessen vor und immer fröhlichen Alltag etwas zu vergessen. Um wischst das Haus.» Sie schimpft mit einem Buben, sich die Zeit zu vertreiben, tauschen sie den neus- der in einen Mehlsack gerollt daliegt und nicht ten Klatsch aus: diese Frau hat letzte Nacht ein aufstehen will. Kind bekommen, der Mann einer anderen hat Keines ihrer neun Kinder arbeitet. Der Älteste stu- soeben zum zweiten Mal geheiratet, wieder eine diert den Koran in Nigeria, eine Tochter ist ver- Andere hat eines ihrer Kinder an den Folgen der heiratet. Die sieben anderen wohnen noch bei ihr. Malaria verloren. Zeinabous Mann ist 1991 gestorben. Er hatte über

CIRIC dreissig Jahre in einer Handelsfirma gearbeitet, «Gott ist gross» / Magnum Photos Raymond Depardon welche sich aus dem Staub machte, ohne der Man muss aufpassen, nicht überfahren zu werden. Witwe und den Waisen die geringste Entschä- Die Taxifahrer reissen das Steuer oft brüsk herum, digung zu zahlen. um den tiefen Fahrrinnen in dieser Strasse voller Schlaglöcher auszuweichen. «Schau, da wird zwi- Nahrungsmittel nach Saison schen der Polizei und dem Handwerkerdorf von Jeden Morgen legt Ouichi auf der staubigen Wadata ein Haus gebaut», staunt die dicke Mamma Strasse zum Stadtzentrum für die Passanten und rückt ihr Kind auf dem Rücken zurecht. Kolanüsse, Doum, Süsskartoffeln und gekochte «Woher nehmen die nur das Geld für so was?» Blätter aus – lauter Nahrungsmittel, welche der Und schon gehen die Diskussionen wieder los. Jahreszeit entsprechen. Aber vorher muss sie sich Über die Herkunft solcher Vermögen, die an auf dem sieben Kilometer entfernten Markt von einem Tag auftauchen und am nächsten schon Katako eindecken. Ein veritabler Leidensweg, wieder weg sind. Über die happy few – die paar denn ihre «Knochen sind zu alt für diesen wenigen Glücklichen –, welche sich Häuser und Marsch». schöne Wagen anschaffen können. Über den Sie muss den Grüngürtel durchqueren, einen Wald obszönen Überfluss, angesichts eines furchtbaren aus Neem-Bäumen, der zu einem Zufluchtsort Elends. Und dann kommt das ewige «Gott ist

16 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Niger CIRIC Jorgen Schytte / Still Pictures Raymond Depardon / Magnum Photos Raymond Depardon gross». Das sagen die Nigrer immer dann, wenn sie tionieren: junge Bettler streiten sich um ein etwas sehen, das sie nicht verstehen können. Vor Geldstück, das ein Autofahrer ihnen zugeworfen der Moschee Imam Malik drückt sich die Gruppe hat, und werden dabei fast überfahren. Auch eine an verschleierten, ganz in Schwarz gekleideten zerlumpte einarmige Bettlerin ohne Beine ist Frauen vorbei. dabei. Sie hat Mühe, ihr Bébé zu halten, das unge- Im Schatten verfallener Gebäude drängt sich eine stüm zappelt. Zeinabous Kommentar: «Man klagt Menge um ein Wettbüro des Pari mutuel urbain oft über sein Schicksal, aber wenn man dann noch (PMU). «Die streiten sich noch darum, wie sie ihr Schlimmeres sieht, dankt man Gott.» Geld loswerden können», meint Ouichi. Seit vier Dann kommt das Kassaï-Gymnasium, in dessen Jahren ziehen diese Pferderennen auf den Pariser Umgebung es von Schwarzhändlern wimmelt. Rennbahnen die Nigrer in ihren Bann, weil sie Seitdem die Beamten ihre Löhne nicht mehr hoffen, damit leichtes Geld zu verdienen. regelmässig erhalten, schaut jeder selbst, wie er zu Die Frauen entdecken noch ein anderes unge- seinem Recht kommt. Und dann endlich der wöhnliches Schauspiel am Platz beim Lako- Markt von Katako, eine wahre Ali-Baba-Höhle Gymnasium, wo die Verkehrsampeln nicht funk- unter offenem Himmel, wo alles zu haben ist. Laut

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 17 Jorgen Schytte / Still Pictures

Das Ding im Alltag bösen Zungen sogar menschliche Organe. Das «Hilarium» Zahlreiche Versuche der Behörden, den Markt zu Die nigrischen Bauern sanieren oder zu verlagern, haben nichts gebracht. (rund 90 Prozent der Be- völkerung) schwören auf Und diese klaffende Wunde mitten in der das Hilarium. Sie heben Hauptstadt bringt nach wie vor riesige Umsätze, die Leichtigkeit und die die wegen der schleichenden Informalisierung der Vielfältigkeit dieses land- Wirtschaft jeder Kontrolle entgehen. Aber für die wirtschaftlichen Geräts hervor sowie die Wunder, kleinen Leute wie Ouichi ist Katako «ein Markt, die man damit in jeder Art wo die Waren nicht zu teuer sind». Boden vollbringen kann. Dank seinem sehr be- Kein Feilschen scheidenen Preis ist es ein kostbares Werkzeug, das Ouichi findet bei den Nahrungsmitteln ihren

alle Gemeinschaften seit üblichen Händler nicht, der ihr manchmal Kredit Jorgen Schytte / Still Pictures Urzeiten einsetzen. Es gibt. «Er ist ins Dorf gegangen, um zu sehen, wie braucht nicht viel Unterhalt es mit der Feldarbeit vorwärts geht», klärt sie ein Öffentlichkeit zu essen». Gegen 14 Uhr packt sie und hat eine lange Le- bensdauer. Dank seinen anderer Händler auf und streicht sich seinen ein, denn sie weiss, was am Morgen nicht verkauft Qualitäten wurde es zu Ayatollah-Bart. Sie fragt, wie viel ein Haufen Süss- ist, wird sie nicht mehr los. Aber ihr Arbeitstag ist einem kulturellen Wahr- kartoffeln kostet. «500 Francs CFA. Kauf sie zu noch nicht vorbei. Noch warten die Wäsche, das zeichen im Niger, der eine diesem Preis oder lass es bleiben!» Als sie anfängt schmutzige Geschirr, sie muss zum Brunnen der archaischsten Land- wirtschaften der Welt hat. zu feilschen, sagt er: «Wenn du gekommen bist, um gehen, Hirse zerstampfen ... «Die Kinder denken, Das Hilarium ist ein langer zu kaufen, dann kauf. Falls nicht, leg die Kartoffeln ich sei ein Roboter», sagt sie lächelnd. «Zum Stab aus weichem Holz, hin und geh.» Ouichi wählt zwei gute Haufen aus, Glück war bisher niemand von uns wirklich an dessen einem Ende ein zählt das Geld, das sie in der Schürze verknotet krank. Stellen Sie sich vor, wir müssen jetzt für die dreieckiger Griff aus Holz angebracht ist und am hat, genau ab und bezahlt. Und schreibt die Aufnahme ins Ambulatorium 500 Francs zahlen.» anderen eine Art Halb- Kolanüsse ab, die sie für diese Summe dazu kaufen Und die Medikamente sind oft nicht aufzutreiben mond aus sehr scharf wollte. oder zu teuer.Aber Ouichi weiss, dass das nur eine gewetztem Eisen. In den Auf dem Rückweg werden ihre Schritte unter Gnadenfrist des Schicksals ist, «denn schliesslich Händen eines erfahrenen Bauern fährt es durch die dem Gewicht der Kartoffeln und aus Müdigkeit wird jeder Mensch krank». ■ Erde wie durch Butter, lo- langsamer. In Talladjé breitet sie den Jutesack auf ckert sie auf und entfernt dem Boden aus und legt die Ware darauf aus. *Ibbo Daddy Abdoulaye ist nigrischer Journalist. das Unkraut bis zu den «Eigentlich sind es nicht diese kleinen Dinge, die Wurzeln. unser Überleben sichern, sondern Gottes unglaub- (Aus dem Französischen) liche Güte», versichert sie. Sie hat von ihrem Mann zwei kleine Stück Land geerbt, wo sie neben die- sem bescheidenen Handel noch immer etwas Bohnen oder Ebsen anbaut. Am Mittag begnügt sie sich mit einer Kolanuss: «Erwachsene finden es nicht spannend, in der

18 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Niger Schweiz und Niger Lokalentwicklung, Frauen, Rechtsstaat

Zahlen und Fakten (sku) Auf der Uno-Entwicklungsstatistik figuriert mit der Bevölkerung und die Mithilfe beim Niger seit Jahren am unteren Ende.Vor allem der Aufbau von dezentralen Verwaltungs- und Hauptstadt desolate Zustand des Erziehungs- und Gesund- Entscheidungsstrukturen zum Ziel. Durch diese Niamey heitswesens werden beanstandet. erhält die Bevölkerung mehr Gewicht in den Auf staatlicher Ebene arbeiten die Schweiz und Verhandlungen mit der Verwaltung, den traditio- Fläche 1267000 km2 Niger seit rund 25 Jahren zusammen. Ab 1990 nellen Chefs und den Entwicklungsorganisatio- erweiterte sich die Zusammenarbeit auf private nen. Demokratie-Lernprozesse und Selbstbestim- Die hauptsächlichen Akteure wie Bauern- und Menschenrechtsorga- mung werden so zu einer wichtigen Voraussetzung Ethnien nisationen, Hilfswerke und Frauengruppen. Seit für die beschlossene, aber noch nicht umgesetzte Haoussa, Djerma-Songhaï, Peul, Touareg und Kanouri 1996 konzentriert sich die Partnerschaft auf vier Dezentralisierung. Regionen: Im Süden sind es die Bezirke Gaya und Die Verbesserung der Leistungen des Rechtsstaates Sprachen das Departement Maradi. In den marginaleren ist ein neueres Ziel der Zusammenarbeit. Kenntnis Französisch (Amtssprache), Sahel- und Saharazonen, wo Viehzucht und der Rechtswege und Rechtsmittel ist eine Voraus- Haoussa (Umgangs- sprache) Kleinbewässerung dominieren und der knappe setzung für die Verteidigung der Rechte, insbeson- Regen Überlebensgrenzen setzt, ist es der Kanton dere der Benachteiligten der Gesellschaft, zu de- Religion von Nord-Téra und das Aïrgebirge. nen die grosse Mehrheit der Frauen gehört. Im Muslime (80%), Animisten Die DEZA bietet dort vorab Unterstützung an in Familien- oder Landrecht bestehen grosse Unge- und Christen Land- und Forstwirtschaft, Viehzucht, Landstras- rechtigkeiten. Die DEZA unterstützt deshalb Bevölkerung sen, Wasserversorgung, Erziehung und Erwach- Frauenorganisationen, Hilfswerke, Medien, Ge- Anzahl Einwohner: senenbildung, Spar- und Kreditsystemen. Die ver- richte und das Sozial- und Justizministerium. 10 Millionen netzten Aktionen haben die direkte Partnerschaft Lebenserwartung: 47 Jahre Einschulungsrate: durchschnittlich 30% Aus der Geschichte (18% bei den Mädchen) 1958 Der Niger heisst in einem Referendum die 1990 Blutige Unterdrückung einer Protest- Fruchtbarkeitsrate: 7,8 Kinder pro Frau interne Autonomie innerhalb einer franko- bewegung von Studenten und eines Tuareg- Kindersterblichkeit: afrikanischen Gemeinschaft gut, die Frank- Aufstands durch die Armee. Die Gewerk- 191/1000 reich seinen Kolonien anbietet. schaften fordern ein Mehrparteiensystem. Wirtschaftssektoren Landwirtschaft und 1959 Ein präsidiales Dekret verfügt die Auflösung 1991 Wiedereinführung des Mehrparteiensystems. Viehzucht: 90% der Sawaba, einer Partei, welche eine Kam- An einer nationalen Konferenz werden die Industrie und Handel: 6% pagne gegen das Referendum geführt hatte. Behörden gewählt, welche für den Übergang Staatsdienst: 4% Die Partei «Parti progressiste nigérien, section verantwortlich sein und die Rückkehr zu Ressourcen du Rassemblement démocratique africain einem normalen verfassungsmässigen Alltag Selbstversorgung: Hirse, (PPN-RDA)» wird faktisch Einheitspartei. überwachen sollen. Sorghum, Reis, Mais, Maniok 1960 Erlangung der Unabhängigkeit. Diori Hamani 1993 Erste demokratische Wahlen seit Erlangen der Anbau für den Verkauf: Erdnüsse, Zyperngras, wird zum Präsidenten der Republik gewählt. Unabhängigkeit. Mahamane Ousmane, der Baumwolle, Zwiebeln, von einer Koalition von neuen Parteien Augenbohnen 1964 Guerillaaktivitäten, von der Sawaba organi unterstützt wird, wird Präsident. Viehzucht: Rinder, Schafe, siert, haben eine massive Welle von Inhaftie- Ziegen, Pferde, Kamele Bergbau: Uran, Kohle, rungen, Zwangsexilierungen und Hinrichtun- 1996 Im Januar reisst eine Gruppe von Offizieren Mangan, Phosphat, Zinn gen ohne Gerichtsverfahren zur Folge. unter der Leitung von Stabschef Ibrahim Baré und Erdöl Maïnassara die Macht an sich. Im Juli wird 1974 Präsident Diori wird durch einen Militärputsch General Baré Präsident. Die Wahlen werden unter der Leitung von Oberstleutnant Seyni von Unregelmässigkeiten überschattet. Kountché gestürzt. Dieser verhängt den Aus- nahmezustand. 1999 Im April wird General Baré von seiner Leib- Libyen garde ermordet. Ein Rat aus jungen Offizie- Algerien 1987 General Seyni Kountché stirbt in Paris, Nach- ren übernimmt bis zur Einführung von folger wird Stabschef Ali Saïbou. Er gründet republikanischen Institutionen die gesamte Niger Mali die Einheitspartei «Mouvement national pour Macht. Im November wird der pensionierte une société de développement (MNSD)» und Oberst Tandja Mamadou Präsident, unterstützt Niamey Tschad Burkina wird deren Präsident. von 18 Parteien. Die Wahlen werden einhellig Faso Benin Nigeria als transparent bezeichnet.

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 19 Stimme aus... Niger

Süsse Droge aus der Kalebasse

Die «Boule» ist eine typisch nigrische Spezialität. diese zerstampft werden, um sie von der Kornhülle Das Gericht aus Hirse und geronnener Milch ist – der Kleie – zu befreien, welche gutes Tierfutter ein Element der nationalen Identität. Etwa so wie abgibt. Darauf wird die Hirse gewaschen und wie- die Hautverzierungen, welche von praktisch allen der in den Mörser gegeben, wo sie zu einem fei- Ethnien dieses grossen Landes im Herzen des nen weissen Mehl verarbeitet wird. Dieses wird Sahels stolz zur Schau getragen werden. dann, vermischt mit ein wenig Wasser, zu Kugeln Die Nigrer kennen als einzige das Geheimnis der gerollt, was dem Gericht den Namen gegeben hat. Gewürze und Aromen, welche der Boule ihren Nun kommt die Kochphase. Die verschieden ganz speziellen Geschmack geben. Die meisten grossen Kugeln werden in einen Topf mit viel essen das Gericht drei bis vier Mal pro Tag. Die Wasser gegeben und ungefähr eine Stunde lang Boule ist den Menschen im Niger was der Wein gekocht. Danach kommen sie nochmals in den den Franzosen oder der Emmentaler den Schwei- Mörser, wo sie bearbeitet werden, bis eine pappi- Ibbo Daddy Abdoulaye zern, das heisst ihr bester Botschafter. Aber sie ist ge, sämige Paste daraus entsteht. arbeitet für mehrere auch ein ausgezeichnetes Barometer: durch das nigrische Publikationen. Geduld… Er ist auch Niger- Studium von Art und Menge an Boule, welche die Korrespondent der Bewohnerinnen und Bewohner des Niger im Diese Paste wird mit Wasser und geronnener Presseagentur «Syfia» Verlauf des Tages verzehren, kann man mehr über Milch angerührt, darauf werden die vorher je nach und der Radiostation die Gesundheit des Landes erfahren als durch den Vorliebe bereit gestellten Gewürze und Aromen «Fréquence verte». Ausserdem ist er publizisti- genausten Armutsindikator. Diese hochwertige hinzugefügt. So erhält man die flüssige Nahrung, scher Direktor der «Échos Nahrung ist sehr reich an Protein,Vitaminen und auf welche die Nigrerinnen und Nigrer für nichts du Sahel», einer Presse- Eisen. auf der Welt verzichten würden. Nun ist die Boule agentur, welche auf Land- bereit zum Verzehr, Kenner empfehlen allerdings, wirtschaft und Entwicklung Einmütig um die Kalebasse versammelt spezialisiert ist und die er sie einige Stunden ruhen zu lassen, dadurch kann im September 1998 mit- Eigentlich gibt es verschiedene Arten von Boule, sie nur gewinnen. Wenn Sie diese Anweisungen gegründet hat. Deren und jede Region rühmt die unvergleichliche genau befolgen, werden Sie Ihre Nase nicht aus Hauptpublikation ist eine Schmackhaftigkeit ihrer Version. Aber wenn sich der Kalebasse heben, bevor Sie auf deren Grund vierteljährlich erscheinende ■ Zeitschrift über die länd- die Menschen um die Kalebasse versammeln und sehen können. liche Welt, welche von der die Kelle von Hand zu Hand gehen lassen, verges- DEZA subventioniert wird. sen die Nigrer aller Landesteile und Glaubens- (Aus dem Französischen) richtungen ihre lokalen Streitigkeiten. Und sie fin- den sich in Einmütigkeit, mit kehligen Rülpsern und Kopfnicken über diesen süssen Göttertrank, der sogar Neulinge zu faszinieren vermag. Auch die nigrische Gastfreundschaft spielt sich über die Boule ab. Den Gästen davon anzubieten, ist wie ein angeborener Reflex. Auf die Gefahr hin, Süchtige aus ihnen zu machen, die nicht mehr ohne ihre tägliche Ration auskommen können. Aber dem ist leicht abzuhelfen: Das Rezept ist ein- fach und die Boule ist an allen Strassenecken zu kaufen.

Hirse, Milch und Gewürze Um eine hervorragende Boule zu machen, braucht es natürlich Hirse, welche die Ernäh- rungsgrundlage im Niger bildet, sowie gute, geronnene Kuhmilch. Dazu kommen aber noch weitere Zutaten. Je nach Geschmack und Mittel können Hartkäse, Datteln und die verschiedensten Aromen und exotischen Gewürze beigemischt werden: Ingwer, Gewürznelken,Thymian, schwar- zer Pfeffer, weisser Pfeffer... Zuerst aber müssen schöne, goldfarbene und harte Hirsekörner ausgesucht werden. Dann müssen

20 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 DEZA-Standpunkt Iris Krebs

Politische Konditionalität als Druckmittel Positive Massnahmen vor restriktivem Handeln

Wie umgehen mit Regierungen, die Menschen- Erfolgreicher sind meist positive Massnahmen im rechte mit Füssen treten? Was tun, wenn berech- Land selbst. So zum Beispiel mit gezielten tigte Hoffnungen auf Demokratisierung von Unterstützungen von Justizministerien, Menschen- Sicherheitskräften brutal und im Keim erstickt rechtsgruppen oder der Presse. Damit lassen sich werden? Und wie können wir uns einsetzen gegen die politischen Rahmenbedingungen günstig schwerwiegende Verstösse gegen Frieden und beeinflussen und Voraussetzungen schaffen, welche Sicherheit, die grosses Leid und Not für ganze die Situation im Lande verbessern helfen. DEZA Völker bringen? Erst wenn sich trotz ernsthaften Bemühungen in Ein Aufschrei der Empörung allein bringt nichts. diesem Sinn keine Verbesserungen abzeichnen, Es ist deshalb naheliegend, internationalen For- sind einschneidende Massnahmen ins Auge zu fas- derungen aktiv Nachdruck zu verleihen. Die sen. Solche Massnahmen können sämtliche Berei- Schweiz und auch andere Länder haben dazu oft che der Schweizer Aussenbeziehungen betreffen; den Abbruch ihrer Entwicklungs- oder Ost- sie müssen deshalb kohärent gestaltet werden. Es zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern ins geht um schwerwiegende Entscheide – und sie Auge gefasst. Kein Zweifel, wir können und dür- werden nach umfassenden Abklärungen vom fen nicht zuschauen, wie Menschen leiden, weil Bundesrat selbst getroffen. ihre Regierungen nicht willens oder nicht fähig sind, sich an rechtsstaatliche Normen und interna- Doch kann dies nur «ultima ratio» sein. Denn tionale Vereinbarungen zu halten. Ist Rückzug aus letztendlich geht es darum: Mit geeigneten positi- dem Partnerland der geeignete und erfolgverspre- ven Massnahmen im Partnerland beizutragen, dass chende Wege dazu? Missstände behoben werden und das Land zur Normalität zurückfindet. ■ Erfahrungen zeigen, dass dessen Wirkung über- schätzt wird. Nicht selten werden damit auch die Walter Fust Falschen getroffen: Bevölkerungsgruppen, denen Direktor der DEZA lebenswichtige Unterstützung entzogen wird. Oder reformorientierte Kräfte in Regierung und Zivilgesellschaft, die sich ihres Handlungsspiel- raums beraubt sehen. Anstatt Druck hin zur Verbesserung kann der gegenteilige Effekt auftre- ten: Eine Verhärtung der Situation. Die Regierung sieht sich dazu legitimiert mit Hinweis auf die aus- ländische Einmischung

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 21 Nothilfe am Rande von Bogota

In Kolumbien gibt es rund zwei Millionen intern Vertriebene – Menschen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Gut die Hälfte davon siedelt sich in riesigen Hüttensiedlungen an den Stadt- rändern von Bogota an. Mit humanitärer Hilfe unterstützt die DEZA Projekte, welche die misslichsten Lebensbedingungen zu lindern versuchen. Beat Felber war vor Ort. Peter Stäger

DEZA und Kolumbien Kolumbien ist kein Schwerpunktland der DEZA, das heisst, es bestehen keine mittel- und langfristigen Prioritäten. Trotzdem leistet die DEZA über verschiedene Instrumente und Organisa- tionen Unterstützung – im Jahr 2000 mit rund fünf Millionen Franken. Der grösste Teil davon ist Humanitäre Hilfe sowie die Mitfinanzierung von Projekten schweizerischer Nichtregierungs-Organisa- tionen wie HEKS, Swissaid, Swisscontact und Terre des hommes Lausanne. Im Vordergrund stehen dabei die vermehr- te Unterstützung intern vertriebener Menschen, so- genannter«Desplazados», sowie Aktivitäten zur Stär- kung lokaler Organisatio- nen und der Wiederaufbau von sozialen Netzen der Zivilgesellschaft. Peter Stäger

Geht die Psychologin Alicia Almeida zur Arbeit, Gewaltsam vertrieben zieht sie währschafte Stiefel an. Denn das Terrain, Die Menschen, die in Altos de Cazucá leben, sind das die 32jährige bearbeitet, ist steinig. Im wahrs- alles Vertriebene eines blutigen Bürgerkriegs, unter ten Sinn des Wortes. Vom Stadtzentrum der welchem Kolumbien seit dreissig Jahren leidet. Achtmillionen-Metropole Bogota, der Hauptstadt Der grösste Teil dieser «Desplazados» sind Frauen, Kolumbiens, fährt sie rund anderthalb Stunden Kinder und Jugendliche. «Jeden Tag», sagt Alicia hinaus an den südlichen Stadtrand.Am Fusse eines Almeida, «kommen hier rund 35 Familien mit oft steilen Hügels geht’s nur noch zu Fuss weiter. Die zehn bis zwölf Mitgliedern neu an. Die meisten Strassen, so es denn überhaupt welche gibt, sind unter ihnen haben die Gewalt des Krieges hautnah hier zu steil und in zu schlechtem Zustand, als dass miterlebt, sei es, dass Familienmitglieder erschossen sie noch befahren werden könnten. So klettert wurden, sei es, dass sie gewaltsam aus ihren Häu- Alicia Almeida zwischen unzähligen Bretterhütten sern vertrieben wurden.» den Hügel hinauf, mitten hinein in die Siedlung Die Situation, welche sie bei ihrer Ankunft in die- Altos de Cazucá im Stadtteil Ciudad Berna von ser ungeplant entstandenen Siedlung antreffen, ist Bogota. schwierig. Mit Brettern bauen die Menschen ein

22 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Peter Stäger notdürftiges Zuhause und versuchen sich ansch- erlebt haben, erleben sie hier gleich ein neues liessend zu organisieren. Doch es gibt weder Was- Gewaltszenario: draussen in den Quartieren müs- ser- noch Stromleitungen, weder Läden noch sen sie in einer praktisch aussichtslosen Situation Schulen, und auch Arbeit ist hier keine zu finden. um Arbeit, um Unterkunft, um Geld kämpfen», Dafür ist die Kriminalität sehr hoch, viele Kinder sagt Alicia Almeida.Als erstes sucht sie deshalb die leiden unter schlechter Ernährung und Nahrungs- Menschen in ihren notdürftigen Behausungen auf, mittel müssen, sofern man überhaupt Geld hat, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Keine leichte von weit her geholt werden. Aufgabe in einem Land, in dem Angst und Um diesen Menschen die notdürftigste Unter- Misstrauen seit zwei Generationen tief in den stützung zu bieten, führt Mencoldes, eine Stiftung Menschen verwurzelt sind, in dem jährlich 30000 für soziale Entwicklung und humanitäre Hilfe der Gewaltopfer beklagt werden und in dem unzähli- menonitischen Kirchen Kolumbiens, seit drei ge Geiselnahmen zur Tagesordnung gehören. Jahren ein Unterstützungszentrum in Ciudad Dennoch kann das Unterstützungszentrum von Berna. Das Programm dieses Zentrums wiederum Mencoldes der Nachfrage kaum je gerecht wer- ist durch die Humanitäre Hilfe und das Schweizer den. «Wir haben permanent weit mehr Menschen, Hilfswerk HEKS kofinanziert. die unsere Kurse besuchen möchten als wir «Das Zentrum bietet pro Jahr 2000 Menschen tatsächlich aufnehmen können», sagt Nancy Yael humanitäre Hilfe», sagt Nancy Yael Bernal, die Bernal. Rund 90 Personen besuchen momentan Programm-Koordinatorin des Zentrums. «Wir zweimal die Woche die verschiedensten, sechs verteilen Nahrungsmittel, Kleider, Haushaltaus- Monate dauernden Kurse im Zentrum: Während stattungen, bieten medizinische, psychologische viele von ihnen zuerst einmal schreiben und lesen und zahnärztliche Betreuung, und wir führen ver- lernen, lassen sich andere in Nähateliers,Adminis- schiedenste Kurse durch, damit die Menschen tration, Buchhaltung, Informatik oder verschie- wieder Perspektiven, Träume und Ziele ent- densten Handwerken ausbilden. wickeln. Denn diese Menschen hier leiden nicht «Unser Ziel ist es», sagt Nancy Yael Bernal, «dass nur unter wirtschaftlicher Armut, sondern – mit die Menschen draussen in ihren Siedlungen der Gewalt, die sie erlitten haben und den Kleinstunternehmen aufbauen.» Erste Erfolge sind Traumas, unter denen sie leiden – auch unter schon zu verzeichnen. So haben beispielsweise emotionaler Armut.» Graziella Prieta, Olga Remolino und Idalyn Nachdem die «Desplazados» mit dem Lebensnot- Flores, alles mehrfache Mütter, zusammen ein wendigsten versorgt worden sind, geht es in erster Nähatelier eröffnet, Josefina Perez hat einen

Linie darum, sie im Unterstützungszentrum psy- Getränkestand ganz in der Nähe ihrer Hütte eröff- Peter Stäger chisch zu betreuen, um sie sozial, kulturell und net, und der fünffache Familienvater Juan Pablo wirtschaftlich wieder zu integrieren. Martinez näht Lederschuhe auf Bestellung. Für Alicia Almeida sind diese und weitere Beispiele Vertrauen gewinnen Motivation dafür, dass sie sich auch künftig ihre «Viele Menschen, vor allem aber die Jugendlichen, Stiefel schnürt und in die Hügel am Stadtrand von kommen hier völlig depressiv an. Nach der Bogota steigt. ■ Gewalt, die sie durch den Bürgerkrieg hautnah

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 23 Hilfe – Taliban hin oder her

Die Schweiz präsidiert dieses Jahr die Unterstützungsgruppe für Afghanistan (ASG), der die 16 wichtigsten Geberländer an- gehören. Das Land ist mehr denn je auf internationale Hilfe angewiesen: Verwüstet durch einen endlosen Konflikt kommt dieses Jahr noch eine katastrophale Dürre dazu.

(jls) Die ASG wurde 1996 gegründet, im Jahr der Nordallianz getroffen. «Wir haben von ihnen ver- Machtübernahme durch die Taliban. Die überaus langt, die Menschenrechte zu respektieren und komplexe Konfliktsituation forderte von den Ge- die Hilfsorganisationen frei arbeiten zu lassen. berländern, dass sie ihre Hilfsmodalitäten aufein- Auch haben wir darauf bestanden, Zugang zu ander abstimmten, ihre Aktionen besser koordi- allen benachteiligten Gruppen zu erhalten, wozu nierten und die Friedensbemühungen der Ver- natürlich auch die Frauen gehören», sagt Serge einten Nationen effizienter unterstützten. Das Chappatte. Diese Forderungen entsprechen der Taliban-Regime, welches sich zahlreicher Men- Charta der ASG, welche ihre humanitäre Hilfe, schenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat, nach dem Vorbild der UNO, mit der Respek- wird von keinem der Mitgliedsländer der ASG tierung bestimmter Grundprinzipien verknüpft. anerkannt. «Die Geldgeber können aber die seit Serge Chappatte: «Es geht aber nicht um eine Von Witwen für Witwen über zwanzig Jahren bestehende humanitäre Krise Konditionalität im strengen Sinn, denn darunter Das Welternährungspro- nicht einfach ignorieren. Ohne internationale Hil- würde die Bevölkerung leiden.» gramm (WFP) hat ein origi- nelles Programm konzi- fe hätte Afghanistan enorme Probleme bei der piert, um die Versorgung Ernährung seiner Bevölkerung, vor allem der Frauendiskriminierung der benachteiligten Afgha- Frauen», betont Serge Chapatte, stellvertretender Indem die Taliban den Afghaninnen das Recht auf ninnen sicherzustellen, Direktor der bilateralen Entwicklungszusammen- Arbeit und auf Bewegungsfreiheit vorenthalten, ohne die Gesetze der Geschlechtertrennung zu arbeit der DEZA. hängen diese zum Überleben von einem Mann ab. verletzen. Mit der Unter- Deshalb ist ein grosser Teil der 700000 Kriegs- stützung der DEZA hat Prinzipienverknüpfte Hilfe witwen zum Betteln verurteilt. Bei Nahrungsmit- es ein Netz von 37 «Bäck- Die ASG-Mitgliedsländer übernehmen das Prä- telknappheit leiden Witwen und Waisen als erste ereien für Witwen» ge- schaffen. Dazu hat es die sidium im Turnus. Für das Jahr 2000 hat die an Hunger. Bewilligung zur Anstellung Schweiz diese Funktion übernommen. Das Koor- Die Situation der Frauen steht deshalb im Mittel- von Frauen erhalten. So dinationsbüro der DEZA im pakistanischen punkt der Anliegen der ASG, wie Serge Chappatte backen Witwen Brot aus Islamabad organisiert jeden Monat eine ASG- erläutert: «Dies erst recht, seit die Taliban vergan- Mehl, welches das WFP zur Verfügung stellt. Sitzung, um die dringendsten Koordinations- genen Juli Hilfsprojekten verboten, Frauen anzu- Befragerinnen gehen von probleme für die Hilfe zu lösen. Die DEZA hat stellen.» ■ Tür zu Tür, um bedürftigen auch bereits mehrere hochrangige Missionen in Witwen mit Kindern Ratio- Afghanistan unternommen und hat dabei sowohl (Aus dem Französischen) nierungsmarken abzuge- ben. Diese Kundinnen Vertreter der Taliban wie ihrer Gegner von der gehen dann in die Bäcke- reien und erhalten dort Brot zu einem stark sub- ventionierten Preis. Harriet Logan / Network Lookat

24 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Einblick DEZA

Neu: Gouvernanz-Sektion Die Gründung dieser Sektion Situation wegen klimatischer vielen anderen interessanten (rdd) Ab 1. Januar 2001 wird es wurde im Rahmen der Reor- Verhältnisse nochmals verschlim- Informationen auch die aktuell- in der DEZA eine Fachsektion ganisation der DEZA-Fach- mert: ein später Kälteeinbruch sten Pressemitteilungen sowie «Gouvernanz» geben. dienste entschieden. und anschliessend drei Dürre- die meisten Artikel der letzten Sie wird Kompetenzen aufbauen monate hatten verheerende Nummern von «Eine Welt» samt zu Rechtsstaatlichkeit, Menschen- Humanitäres Büro in Auswirkungen auf die Ernten. entsprechender Links abrufbar. rechten, Rolle des Staates, Moldawien Im Juni suchte Moldawiens Attraktives Müsterchen: Das Dezentralisierung und lokaler (jls) Anfangs September dieses Aussenministerium um interna- gesamte Dossier über «UNO, Entwicklung sowie ökonomi- Jahres hat die DEZA in Mol- tionale Hilfe nach.Am 8.August Entwicklung und die Schweiz» schen Gouvernanzfragen dawiens Hauptstadt Chisinau ein informierte sich DEZA-Direktor der Nummer 3/2000, mit dem (Staatshaushalt, Korruption etc.). Verbindungsbüro eröffnet, das Walter Fust vor Ort.Aufgrund Link zur offiziellen UNO- Die Rolle der Fachsektionen in vier Mitarbeiter beschäftigt. dieses Besuchs entschloss sich die Homepage www.uno.admin.ch der DEZA sind die fachliche Die ehemalige Sowjetrepublik, DEZA, Saatgut unter den von des EDA. Unterstützung der eigenen zwischen der Ukraine und der Dürre am ärgsten betroffe- Programme sowie der Partner, Rumänien gelegen, leidet mit nen Bauern zu verteilen sowie die internationale Vernetzung ihren 4,4 Millionen Einwohnern Soforthilfe für verschiedene Pro- sowie die Formulierung von ganz besonders unter dem jekte im Sozial- und Medizinal- DEZA-Politiken im jeweiligen Übergang zur Marktwirtschaft. bereich zur Verfügung zu stellen. Fachbereich. Jean-François Gemäss einer Armutsstudie der Cuenod – zur Zeit DEZA- Weltbank ist Moldawien, noch Gute Links Koordinator in Ecuador – wird hinter Albanien, das ärmste Land (bf) Auf der DEZA-Homepage die Gouvernanz-Sektion leiten. Europas. Dieses Jahr hat sich die www.deza.admin.ch sind neben

Was eigentlich ist... ein Gegenwertfonds? (drg) Ein Gegenwertfonds ist ein Fonds, der im Rahmen der bilateralen Entschuldungsmassnahmen entstanden ist. Armen Entwicklungsländern werden Devisenschulden, die sie gegen- über der Schweiz aufweisen, erlassen. Im Gegenzug verpflichten sich die Regierungen, in den eigenen Ländern einen Fonds in bestimmter Höhe in Lokalwährung einzurichten. Diese Gelder stammen vom Budget der Zentralregierung der jeweiligen Länder und werden ausserhalb des Finanzministeriums bei einer kommerziellen Lokalbank zinstragend angelegt. Diese bilatera- len Fonds werden zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten verwendet. Organisationen der Zivilgesellschaft (vor allem Hilfswerke) und staatliche Institutionen reichen Projektanträge ein, der Fonds trifft nach festgelegten Kriterien eine Auswahl und beauftragt diese mit der Durchführung. Die Schweiz hat im Rahmen ihrer bilateralen Entschuldungs- massnahmen insgesamt 18 Ländern Schulden in Höhe von 1,1 Milliarden Franken erlassen. In 12 Fällen wurden Gegenwert- mittel geäufnet, die eine Gesamthöhe von 270 Millionen Fran- ken erreichten. Meistens besteht der Fonds aus einem Exekutiv- sekretariat, dem ein technisches Komitee zur Beurteilung der Projektvorschläge zur Verfügung steht. In diesem sitzen Vertre- ter und Vertreterinnen der beiden Regierungen und der Zivilgesellschaft. Ein bilaterales Komitee, in welchem nur die Regierungen vertreten sind, entscheidet definitiv über die Finanzierungsvorschläge des Exekutivsekretariats. Keystone

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 25 «Die Ärmsten in die Wirtschaft integrieren!» Lange galt eine Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit als Tabu. Doch heute wei- chen sich die Fronten auf. Über Grenzen, Möglichkeiten und Risiken dieser Annäherung diskutieren drei ausgewiesene Fachleute: Rosmarie Michel, Oscar Knapp und Remo Gautschi. Gesprächsführung: Beat Felber.

Eine Welt: Die Armen der Welt als Zielpublikum helfen, Projekte und Programme durchzuführen. sowohl der Entwicklungszusammenarbeit als auch In den Entwicklungs- und Transitionsländern sel- der Privatwirtschaft. Entspricht dies nicht der ber ist es ein ganz klares Ziel der DEZA – das Quadratur des Kreises? übrigens auf einem gesetzlichen Auftrag beruht – auch die Privatwirtschaft auf allen Ebenen zu för- Oscar Knapp: Überhaupt nicht. Wenn die dern. Ohne funktionierende soziale und nachhal- Privatwirtschaft keine guten Rahmenbedingun- tige Marktwirtschaft kann sich Entwicklung, wie gen vorfindet, kann sie sich auch nicht gesund ent- wir uns das vorstellen, gar nicht einstellen. wickeln. Wenn sich die Privatwirtschaft hingegen entwickeln kann, profitieren auch die Armen Eine Welt: Die Armen verfügen kaum über davon. Deshalb setzt sich das seco einerseits für die Kaufkraft, was hat denn die Wirtschaft genau für makroökonomische Zusammenarbeit mit den ein Interesse an ihnen? FORUM Iris Krebs (3) Iris Krebs Keystone

Rosmarie Michel Entwicklungsländern ein, andererseits versuchen ist langjährige Vize- wir gewisse Risiken abzudecken und zusammen Präsidentin von Women’s World Banking und mehr- mit der Privatwirtschaft Projekte zu realisieren, die fache Verwaltungsrätin die Privatwirtschaft von sich aus vielleicht nicht anpacken würde. Remo Gautschi ist Vize-Direktor der DEZA Rosmarie Michel: und Leiter der Abteilung Voraussetzung für die Globa- Zusammenarbeit Ost- lisierung sind gesunde Märkte, das heisst, unsere europa und GUS-Staaten Partner müssen gleichwertig sein und die markt- wirtschaftlichen Zusammenhänge kennen. Des- Oscar Knapp ist Botschafter und Dele- halb ist es notwendig, an der Basis mit der Ent- gierter für Handelsver- wicklungsarbeit zu beginnen. Im wirtschaftlichen träge beim Leistungs- Denken ist dies nicht als Hilfe sondern als Inves- bereich «Entwicklung und tition zu verstehen. Dazu gehört auch die Vermitt- Still Pictures Transition» im Staats- Knapp: sekretariat für Wirtschaft lung von Know how in Management und Mar- Die Wirtschaft ist kaum in erster Linie (seco) keting. In diesem Sinne handelt «Women’s World daran interessiert ist, die Armen zu unterstützen. Banking» (siehe Randspalte Seite 28) weltweit. Sie ist da, um Gewinne zu erzielen. Aber sie sieht in gewissen Gegenden Möglichkeiten zu investie- Remo Gautschi: Wir müssen unterscheiden ren, und weil das oft mit erhöhten Risiken ver- zwischen der Zusammenarbeit mit der Privat- bunden ist, decken wir einen Teil dieses Risikos ab. wirtschaft hier in der Schweiz und in den Ent- Das hilft den Entwicklungsländern genauso wie wicklungsländern. Hier arbeiten wir mit Organisa- der Privatwirtschaft. Tatsächlich fängt die Wirt- tionen, Beratungsbüros etc. zusammen, die uns schaft aus ureigensten Interessen an, die Ärmsten

26 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 und Armen in den Wirtschaftsablauf zu integrie- Gautschi: Unsere Entwicklungszusammenarbeit ren, weil sie realisiert, dass sich dies sonst mittel- hat als primäres Ziel die Armutsbekämpfung. Es und langfristig gegen die Wirtschaft auswirkt. hat sich in den letzten Jahren ganz klar gezeigt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Michel: Nur gewinnorientiert handeln, heisst Entwicklung in Richtung Zivilgesellschaft wie kurzfristig denken. Diese Erkenntnis ist in der wir uns diese vorstellen und der Möglichkeit für Wirtschaft immer öfter anzutreffen. In einer die Privatwirtschaft, im jeweiligen Einsatzland sich gesunden Marktwirtschaft, die global vernetzt ist, zu entwickeln. Das eine bedingt das andere. Die sind alle Partner und Partnerinnen, sowohl die öffentlichen Gelder, die wir bei diesen Prozessen Kleinen wie die Grossen, wichtiger Bestandteil des einsetzen, müssen aber breiten Bevölkerungs- gemeinsamen Erfolgs. Es kann nicht Aufgabe der schichten vorab in den Bereichen Ausbildung, einzelnen Firmen sein, Entwicklungshilfe zu leis- Gesundheit, Sozialwesen und physischer Infra- ten. Dafür sind die öffentlichen Mittel wirksam, struktur zugute kommen. Unsere beschränkten besonders wenn sie für Gesundheit, Erziehung Mittel können wir beispielsweise nicht in grössere und Ausbildung eingesetzt werden. Unternehmen investieren, das ist nicht unsere Aufgabe. Eine Welt: Besteht nicht die Gefahr, dass die Entwicklungszusammenarbeit Aufgaben subven- Knapp: Die Erfahrung zeigt, dass wenn der Markt tioniert, die eigentlich in die Verantwortung der sich selber regeln kann, wir uns zurückziehen kön- Privatwirtschaft gehören, denken wir an die nen. Berufsausbildung?

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 27 Still Pictures

Women’s World Banking Gautschi: Solange nicht minimale Voraussetzun- Entwicklungszusammenarbeit brauchen. Diese (WWB) gen bezüglich Stabilität, Institutionen, Infrastruk- sehe ich in den nächsten Jahrzehnten als Stelle, die WWB ist das einzige glo- tur und Ausbildung existieren, investiert auch nie- Visionen, Politiken und Konzepte gemeinsam mit bale Netzwerk, das aus- schliesslich von Frauen mand. Unsere Aufgabe ist es deshalb diese Voraus- unseren Partnern entwickelt. Die Zielgruppen geleitet wird. Es besteht setzungen zu schaffen. unserer Aktionen und auch die Ausführung von aus 44 Mitgliedgesell- Programmen, das kann sehr weit im privatwirt- schaften in 37 Staaten, Eine Welt: Die DEZA besitzt einen riesigen schaftlichen Bereich liegen. vor allem im weniger ent- wickelten Süden. WWB Erfahrungsschatz und enormes Wissen über die vermittelt kleine und kleins- Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. Wird Knapp: Seit dem Fall der Berliner Mauer und te Kredite an arme Frauen, dies von der Wirtschaft auch genutzt? dem Wegfall des Blockdenkens und auch -han- die sich damit einen eige- delns redet man viel offener und kritischer unter nen Betrieb (Landwirtschaft, Kleinindustrie, Dienstleis- Michel: Die Notwendigkeit, dass wir den Ärm- Geber- und Nehmerländern über Probleme wie tung oder Handel) auf- sten – davon sind 90 Prozent Frauen – zum Exis- Korruption oder Guter Regierungsführung. bauen und so ihre Familie tenzminimum verhelfen müssen, erkennen heute Deshalb hoffe ich, dass sowohl die DEZA als auch ernähren können. zahlreiche Wirtschaftsführer. Uns alle in diesen das seco sich aus gewissen Ländern herausziehen 1999 unterstützte WWB 321000 Frauen mit insge- Prozess des Umdenkens einzubeziehen ist wichtig. und diese dem Markt überlassen können. samt 52 Millionen Dollar. Wir müssen diese Fragen diskutieren, Lösungen Die Schweiz ist nach den aufzeigen und immer wieder realistisch darüber Michel: Die Aufgabe eines staatlichen Organs ist Niederlanden und Norwe- berichten, um das nötige Interesse und Verständnis diejenige eines Regulativs, und das brauchen wir gen das drittwichtigste Geberland von Women’s zu wecken. unbedingt, weil die ganzen Motive, die wir in der World Banking. Die DEZA Privatwirtschaft haben, immer auch zu einem Teil zahlt WWB 1 Million Knapp: Ich denke schon, dass es noch Lücken egoistisch sind. Wichtig ist aber, dass wir mit der Franken pro Jahr und gibt und dass man ganz allgemein vom gegenseiti- Eingliederung der Schwächsten das globale Wirt- unterstützt ausserdem drei WWB-Mitgliedorganisatio- gen Wissen mehr profitieren könnte. Das Beispiel schaftssystem stärken. Wir sollten deshalb auch nen in Bangladesch, Südosteuropa zeigt allerdings, dass die Zusam- nicht von Wohltätigkeit oder Hilfe sprechen, son- Bosnien-Herzegowina und menarbeit schon viel besser funktioniert als früher. dern von Investitionen oder von Entwicklung und Benin. Zusammenarbeit. ■ www.swwb.org Eine Welt: Wird die Privatwirtschaft eine staatli- che Entwicklungszusammenarbeit je ersetzen kön- nen?

Gautschi: Markt und Privatwirtschaft werden auch in Zukunft nicht alles regeln können. So gut wir bei uns weiterhin eine Rolle für den Staat sehen, so gut werden wir weiterhin eine staatliche

28 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Carte blanche

Als ob’s das erste Mal wäre

Fast überall in Europa schiessen Probleme stellte. Komplizierter Ganz wichtig ist, dass die Musi- Festivals afrikanischer Musik aus war es dagegen, von der Polizei kerinnen und Musiker aus dem dem Boden. Leider werden nur die nötigen Bewilligungen zu ganzen schwarzen Kulturraum sehr wenige dieser Anlässe von erhalten und Sponsoren zu fin- kommen. Denn vergessen wir Afrikanern organisiert. In dieser den.Von Anfang an waren dies nicht, dass auch in der Karibik, Hinsicht ist das «Festival die beiden schwierigsten auf den Antillen, in Brasilien – Integration» von Zürich, welches Aufgaben. Und sie sind es nach kurz, auf dem ganzen amerikani- im September zum vierten Mal wie vor. schen Kontinent Schwarze stattfand, eine Ausnahme. Ich bin leben. Spricht man von einem nämlich, als gebürtiger Kongo- Heute besteht das Organisations- «afrikanischen Festival», meint Lang lese, seit 1996 Hauptorganisator komitee aus zwölf Personen. man damit im Prinzip ein aus- dieses Anlasses. Bereits vier Mal haben wir das schliesslich Afrika gewidmeter Walter Louis Mombu Festival erfolgreich durchgeführt. Anlass. Deshalb spreche ich lie- ist in Zaire geboren, der heutigen Als Afrikaner organisiere ich Trotzdem haben wir damit das ber von einem «Festival der Demokratischen Republik Kongo. diese Tage nicht auf europäische Ver trauen bestimmter Ansprech- Integration», denn mit diesem Im Alter von acht Jahren kam er Art. Ein wenig Chaos ist nötig, partner nicht gewonnen, welche Ausdruck werden die Grenzen mit seiner Familie nach Belgien. Dort durchlief er eine Offiziers- es ist ein Element der afrikani- uns noch immer behandeln, als zwischen den schwarzen ausbildung in der Königlichen schen Kultur! Trotzdem organi- wäre es das erste Mal. Das Ein- Gemeinschaften aufgehoben. Militärschule. Seit zwölf Jahren siere ich sie nicht so, wie man holen von amtlichen Bewilli- Diese müssen sich der Tatsache lebt er in Zürich, wo er zuerst als das in Afrika täte, wo die Plätze gungen bleibt ein wahres bewusst werden, dass sie ihre Werkzeugmacher arbeitete. Dann wagte er den Schritt in die Kultur gratis sind und die Infrastruktur Hindernisrennen. Und die Kultur miteinander teilen. und gründete 1993 den Verein rudimentär. Hier muss alles nach Sponsoren sind zurückhaltend. Africa Freedom. Dieser organisier- europäischen Regeln geschehen, Wenn sie sehen, dass der Anlass «Integration» will nicht nur die te zuerst Konzerte und seit 1996 von der Logistik über die von einem Afrikaner organisiert afrikanische Kultur mit ihren das «Festival Integration». Beleuchtung, die Säle und so wird, fürchten sie, dass er nicht traditionellen Instrumenten wie fort bis hin zur Technik.Und seriös ist oder überhaupt undurch- Tam-tam, Cora usw. vorstellen. nicht zu vergessen, die Werbung. führbar. Das Festival hat auch den Das Ganze verschlingt viel Geld. Ehrgeiz, die Schwarzen im Exil Dieses Jahr belief sich unser Dagegen erleichtert die Tatsache, wieder zusammenzubringen und Budget auf 180000 Franken. dass ich Afrikaner bin, die ihre Anstrengungen zur Kontakte mit den Künstlerinnen Integration in den europäischen Es waren Freunde aus Senegal, und Künstlern beträchtlich. Das Gesellschaften zu unterstützen. Mitglieder der Association Africa sind meine Brüder und Schwes- Africa Freedom legt auch seit Freedom, welche mir 1996 vor- tern.Wir können offen über jeher Wert darauf, ein mit schlugen, ein Kulturfestival zu Fragen zu Gagen, Unterkunft aktuellen Fragen verbundenes organisieren. Ich habe die oder anderen mit ihrem Konzert soziales Thema in das Programm Herausforderung angenommen, verbundenen Aspekten sprechen. aufzunehmen. Dieses Jahr war zusammen mit einem kleinen Sie verstehen meine Situation es eine Debatte über die Aids- dreiköpfigen Team. Schnell ein- und sind bereit, gegebenenfalls Epidemie in Afrika. ■ mal stellten wir fest, dass die Konzessionen zu machen. Suche nach Künstlerinnen und (Aus dem Französischen) Künstlern uns kaum vor Roland Hohberg

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 29 Bissige Geschichten um Afrika und Pinocchio

Gegenwärtig läuft ein einzigartiges Ausbildungsprogramm für afrikanische Drehbuchautoren und Szenaristen: Africa & Pinocchio. Acht Teams erarbeiten zusammen eine Serie von Fernsehfilmen für afrikanische Kinder. Toni Linder* hat in ein Seminar in Senegal hineingeschaut. oni Linder (7) T

KULTUR Dakar, ein Sitzungszimmer im «Maison des Élus», Mai 2000. Teilnehmer, der senegalesische Der bedeutende afrikanische Drehbuchautor Ababacar Diop. einen konstruktivkritischen Romancier Ahmadou Kourouma «Er tut das, weil er von klein auf Dialog führen können. provoziert angehende Dreh- die Erfahrung machen musste, Gleichzeitig gab es bisher kaum buchautorinnen und -autoren: dass die Weissen die schwarze Ausbildungsmöglichkeiten, die «Euer Respekt ist fehl am Platz. Kultur gering schätzen.» auf die spezifische Lage afrikani- Ihr müsst mit unseren Mythen scher Drehbuchautorinnen und spielerisch umgehen. Sie sollten Grosse Gestalten werfen ihre -autoren eingehen. Diese bloss Material für eure Vorstel- Schatten Defizite will das im Dezember lungskraft sein. Geht doch kriti- Der fehlende Biss der Autoren 1999 gestartete Ausbildungspro- Das bisher mindestens in Afrika scher an unsere eigene Kultur ist nur eine Schwäche. Eine wei- gramm «Africa & Pinocchio» einzigartige Programm bietet heran!» tere: das afrikanische Kino wird abtragen helfen. Die Initiative Ausbildung am konkreten Die Szene: ein Seminar des immer noch von grossen Ge- zum Programm ergriff FOCAL, Filmprojekt.Acht Teams erarbei- Ausbildungsprogramms «Africa stalte(r)n beherrscht, die sich um die Schweizer «Stiftung Weiter- ten zusammen je ein ausfüh- & Pinocchio». Die Organisa- vieles selber kümmern – sie bildung Film und Audiovision». rungsreifes Projekt eines TV- toren haben den scharfsinnigen, schreiben das Drehbuch, pro- Sie arbeitet zusammen mit ihrem Kurzfilms für afrikanische für seinen galligen Humor duzieren und realisieren den französischen Pendent ACT Kinder. Jedes Team besteht aus bekannten Kourouma als Film. Und behandeln ihre Pro- Formation und mit CINESEAS, einer Drehbuchautorin oder Referenten eingeladen. Der duzenten entsprechend stiefmüt- der Vereinigung der senegalesi- einem -autor und einer Produ- Altmeister soll den vorwiegend terlich, als notwendiges Übel. schen Filmemacher. Die CINE- zentin oder einem Produzenten. jungen Filmemachern Mut zum Folge: die wenigsten afrikani- SEAS-Leute tragen «Africa & kreativen Risiko machen. «Der schen Produzenten lernen es, Pinocchio» entscheidend mit. Afrika ist nicht Japan afrikanische Autor tendiert dazu, ihre Rolle so zu spielen, wie sie Ohne lokale Verankerung würde Warum gerade kurze Kinder- seine eigene Kultur zu beschüt- erfahrungsgemäss am meisten das Programm wenig Sinn filme für das afrikanische zen. Er stellt sie deshalb kaum in bringt. Nämlich als echte Part- machen. Es wird übrigens von Fernsehen? Pierre Aghté von Frage», erklärt einer der ner des Regisseurs, die mit ihm der DEZA unterstützt. FOCAL, der geistige Vater des

30 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Projekts: «Die Kursteilnehmer möchten natürlich alle am liebs- ten einen Kinofilm drehen.Wir um den Film mit dessen Geld setzen jedoch auf 26-Minuten- realisieren zu können. Da wird Filme im TV-Format, weil dafür dann entsprechend didaktisch viel eher Geld aufzutreiben ist; und brav auf den Lieblingsthe- die Chancen stehen also gut, dass men der Hilfswerke herumgerit- die Projekte anschliessend auch ten: Umwelt,AIDS, Frauen- verwirklicht werden.» förderung, und so weiter. Solche Gut gemachte Filme für Kinder ausgereifte Fernsehprojekte für Drehbücher sind zwar gut sind auf afrikanischen Stationen Afrikas TV-Stationen entstanden. gemeint, fesseln aber kaum leider rar. Viele von ihnen zeigen Bereits in der Anfangsphase von jemanden. Und schon gar nicht ausserdem eine Welt, die wenig «Africa & Pinocchio» hat sich Kinder!» mit derjenigen afrikanischer gezeigt, dass die teilnehmenden Unter dem Coaching des Kinder zu tun hat. Kinder in Autorinnen und Autoren allzu Schweizer Drehbuchautors und Afrika leben nun mal ganz brave, stets politisch korrekte Regisseurs Denis Rabaglia anders als Kinder in Tokio, Los Drehbücher im Kopf haben. Der («Azurro») werden die Dreh- Angeles oder Zürich. Beraten mosambikanische Produzent buchskizzen in Dakar von solch und betreut werden die Pedro Pimenta, einer der beiden höflichen Verbeugungen vor der Autoren-Produzenten-Teams Mentoren im Ausbildungs- Hilfswerksmentalität des dabei von TV-Profis aus dem programm, erklärt dies so: «Viele Nordens befreit. Und dramatur- Norden und aus dem Süden. afrikanische Autoren schreiben gisch auf den Punkt gebracht. Der ganze Ausbildungsprozess so, als müssten sie das Filmpro- Dabei fliegt dann beispielsweise dauert ein Jahr.Am Ende haben jekt anschliessend einem Hilfs- ein umweltpolitischer Aspekt alle etwas gelernt – und sind acht werk aus dem Norden vorlegen, raus aus dem Kurzfilmkonzept.

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 31 oni Linder (3) T

Dafür macht Rabaglia den «Diese Frage scheint euch Euro- «Contes à rebours» im Autoren Mut, ihre Stories kürzer päer viel mehr zu beschäftigten November 2000 während dem und prägnanter zu fassen, ihre als uns Teilnehmer», meint der Abschlussseminar in Toulouse. Protagonisten echter und leben- nigrische Drehbuchautor Alfred Von der Qualität der acht diger agieren zu lassen, Konflikte Dogbe. «Unsere afrikanische Projektdossiers wird es dann zuzuspitzen. Eigenart leidet gewiss nicht abhängen, ob das nötige Geld darunter, dass wir an diesem gefunden wird, um die Klassische Strickmuster Kurs die Methode Hollywoods Kurzfilme auch tatsächlich zu Rabaglia bringt seinen Autoren lernen. Unsere Vorstellungskraft produzieren. Und um allenfalls und Produzenten das Drehbuch ist stark genug, um davon abzu- eine zweite Auflage des Ausbil- in seiner klassischen Struktur weichen, wenn es nötig ist.» dungsprogramms zu starten. nahe.Also so, wie es in den Dogbe ist viel zu höflich, um Organisatoren und Teilnehmer Filmschulen des grossen Vorbilds direkt auszusprechen, wie sind in dieser Beziehung durch- Hollywood gelehrt wird. Das hat Bedenken dieser Währung auf aus optimistisch. ■ denn auch prompt zu Reaktio- Afrikanerinnen und Afrikaner nen aus der Schweiz geführt; wirken können: als paternalisti- * Toni Linder ist Mitarbeiter der von «Marktfaschismus» war da sche Geringschätzung afrika- Sektion Medien und die Rede. Und davon, die afrika- nischer Kreativität. Kommunikation der DEZA nischen Autoren würden so ihre Das Seminar in Dakar ist das Identität, wenn nicht gar ihre zweite im ganzen Ausbildungs- Seele verlieren, die typisch afri- zyklus. Im August trafen sich kanischen Geschichten würden Betreuer und Teams in Segou, so auf der Strecke bleiben. Mali. Den letzten Schliff be- Die Teilnehmer am Seminar lä- kommen die Filmprojekte der cheln über solche Vorstellungen. Serie mit dem Arbeitstitel

32 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Bildung und Entwicklung der in Traditionen und Mythen (bf) Interessiert in Publikationen verwurzelten Dorfbewohner, die und Veranstaltungen zu Nord- zunehmend mit Fortschritt und Süd-Beziehungen,Viel- Entwicklung konfrontiert werden. kulturalität, Rassismus, Ta jjib Salich, «Eine Handvoll Internet Menschenrechte, Frieden und Datteln, Erzählungen aus dem Nachhaltigkeit? Seit 1997 nimmt Sudan», Lenos Verlag, Basel 2000 sich die Stiftung «Bildung und Entwicklung» genau diesen Bitterböse Anklage Schwerpunktthemen an. Nun (bf) Ahmadou Kourouma von geht sie unter der Adresse der westafrikanischen Elfenbein- www.globaleducation.ch aufs küste wurde 1963 mit seinem Web. Wer sich einklickt, findet Roman «Der schwarze Fürst» im westlichen Grasland von nicht nur einen aktualisierten schlagartig weltberühmt. Danach Kamerun, hat die Holzschnit- Veranstaltungskalender, sondern verfasste er ein Theaterstück, das zerei jahrhundertealte Tradition. auch eine Liste mit empfehlens- ihm 20 Jahre Exil einbrachte. Der Schweizer Autor Hans werten Neuerscheinungen zum Heute lebt und schreibt der ehe- Knöpfli lebte jahrzehntelang in Globalen Lernen, eine Übersicht malige Versicherungsmathema- dieser Region, studierte das über die Kurse, welche die tiker wieder in seiner Heimat. lokale Handwerk und hat nun Stiftung mit Hauptsitz in Bern Und wieder hat er einen Coup seinen zweiten Band über die in ihren drei Regionalstellen gelandet. Sein jüngstes Werk Holzskulpturen und ihre Zürich, Lausanne und Lugano «Die Nächte des grossen Jägers» Symbolik veröffentlicht. anbietet, sowie zahlreiche weite- steht in Frankreich seit Monaten «Sculpture and Symbolism – re nützliche Informationen. ganz zuoberst auf den Bestsel- Woodcarvers and Blacksmiths» Stiftung «Bildung und Entwick- lerlisten und wird gleichzeitig als richtet sich sowohl an Hand- lung»; www.globaleducation.ch der politische Roman Afrikas werkerinnen und Handwerker gefeiert. Fesselnd und scharfzün- als auch an Laien, die sich für Zusammenprall von Orient gig erzählt Kourouma erstaun- afrikanische Kultur und Hand- und Okzident liche Geschichten von grossen werk interessieren. Das Werk (bf) Der Sudanese Tajjib Salich Jägern und blutrünstigen Dikta- beinhaltet detailgetreue gehört, trotz seines vergleichs- toren. Mit umwerfender Komik Beschreibungen und Fotografien weise kleinen Werks, zweifellos schildert er das Leben und die verschiedenster Schnitzereien zu den herausragendsten zeit- Liebesabenteuer seiner Anti- und Schnitztechniken genauso Bücher genössischen arabischen Autoren. helden und aus dem Lobgesang wie spannende Portraits von

Weltweite Berühmtheit erlangte des Hofpoeten wird unmerklich Schmiedehandwerker oder Service der seit vielen Jahren in London eine bitterböse Anklage jeglichen Köhlern. lebende Schriftsteller mit seinem Machtmissbrauchs. «Sculpture and Symbolism – ersten Roman «Zeit der Nord- Ahmadou Kourouma, «Die Nächte Woodcarvers and Blacksmiths» wanderung», einem Kultbuch des grossen Jägers», Peter Hammer erscheint in Englisch und ist der arabischen Intellektuellen Verlag erhältlich bei: «Zur Kalebasse», und Klassiker der arabischen Kunsthandwerk aus Übersee, Literatur. Nun liegen (auf Missionsstrasse 21, 4003 Basel Deutsch) mit «Eine Handvoll Datteln» neun Erzählungen vor, Naturschutz und die er zwar vor bereits über 40 Entwicklungsländer Jahren geschrieben hat, die je- (bf) Täglich sterben zahlreiche doch erstaunlicherweise – trotz Tier- und Pflanzenarten aus, von Globalisierung – nichts von ihrer denen die meisten weder ent- Aktualität eingebüsst haben. Sie deckt noch wissenschaftlich be- alle kreisen um das grosse Thema schrieben sind. Dieser Arten- von Tajjib, den Zusammenprall schwund ist besonders drastisch von Orient und Okzident, von Holzschnitzerei und ihre in Entwicklungsländern, in Tradition und Moderne. In einer Symbolik denen die biologische Vielfalt poetischen und bildhaften (bf) In der Grenzregion zwi- um ein Vielfaches höher ist als in Sprache schildert er die isla- schen westafrikanischer Savanne den Industriestaaten. mische Kultur und das Leben und mittelafrikanischem Urwald, Naturschutz in Entwicklungs-

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 33 ländern besitzt daher für den und Vertrautes – in Afrika und Kollektion von eklektischen wie globalen Erhalt naturnaher Öko- der Schweiz. Der von der DEZA stimmigen Compilations, wobei systeme absolute Priorität. Im mitunterstützte Film erntete an die Schwerpunkte in der Musik Buch «Naturschutz in Entwick- seiner Uraufführung am Interna- Lateinamerikas und Afrikas lungsländern» stellen 37 Experten tionalen Filmfestival Locarno sowie in der keltischen Tradition aus Naturschutz und Entwick- 2000 riesigen Applaus. liegen. In diesem Rahmen ist lungszusammenarbeit – von der «Q Begegnungen auf der Milch- auch der Sampler «Festa Brasil» Biologin über die Soziologin bis strasse» läuft ab Mitte November in erschienen. Er bietet laut Cover- hin zum Biochemiker und Agrar- den Schweizer Kinos der von der DEZA präsentierte Te x t eine «Non-Stop-Party» mit ökonomen – aktuelle Probleme Sampler «Urban Africa Now!». Headlinern wie dem Shooting- und neue Lösungsansätze für den Er reflektiert die pulsierende star Chico César oder der legen- Erhalt der biologischen Vielfalt Musikszene afrikanischer Städte, dären Diva Gal Costa; zu hören in Entwicklungsländern dar, und wo und Wassoulou- ist aber auch die kristallklare haben damit auf diesem Gebiet Sound branden, wo , Stimme von Rita Ribeiro oder ein Standardwerk geschaffen. Bikutsi, , Jive und die virtuosen Gitarrenriffs von «Naturschutz in Entwicklungs- in die Beine fahren, wo Pepeu Gomes. So dokumentiert ländern», Max Kasparek Verlag Zoblazo, und Hip- das Putu-Album mit 12 Titeln Hop rappen, wo die mitreissenden brasilianischen Begegnungen auf der Drum’n’Bass-Welle rollt und der Reggae aus der Bahia-Region Milchstrasse Vielleicht bin ich morgen Disco-Stil Kwaitò groovt. Dazu und Forróklänge aus dem Nord- (bf) In matten Dunst gehüllte schon tot tragen Musikstücke von hierzu- osten Brasiliens, wo Akkordeon, Schneegipfel, blauer Himmel, (dg) Tagtäglich werden Men- lande noch unbekannten afrika- Flöte, Gitarre und das Stampfen satte Wiesen, fette Kühe. Kuh- schen in Kolumbien ermordet, nischen Stars wie Brenda Fassie, der tanzenden Füsse im Mittel- glocken klingen. Ein Mann unter ihnen viele Jugendliche. Régis Gizavo oder Mabulu punkt stehen. Bei dieser bro- hockt auf einer Krete und ver- Sie sind Opfer skrupelloser ebenso bei, wie international delnden Mixtur von afrobrasilia- sucht stumm, eine Kuh anzulo- Gewalt, eines mörderischen bekannte Musikgrössen wie nischem Feeling heisst’s:Vamos cken. Das Bild wäre kitschig, Kampfes um Drogen, Geld und Youssou N’Dour oder Cheikh pra esta festa! handelte es sich bei dem Vieh- Macht. Dagegen wehren sich Lô. Selbst Insidern bringt diese «Festa Brasil», Putumayo World hirten nicht um einen Peul- Jugendliche wie Ever in Bogota gelungene Mischung einige Music/Disques Office Bauern aus Burkina Faso, der oder Dora aus Medellin. Sie besondere Aha-Erlebnisse, ist zum Schutz vor der Kälte seinen kämpfen für eine friedliche, doch fast die Hälfte der Stücke Transglobale Kollektion Turban um den Kopf gewickelt sichere Zukunft ihres Landes. in Europa nicht erhältlich, und (er) Da prägen Flöten- und hat. Die Szene spielt im Film Nicht mit Gewalt, sondern mit einige Aufnahmen sind CD- Sitarklänge einen Hip-Hop- «Q Begegnungen auf der Milch- Rap-Musik. Sie schreiben Premieren! Sie ist ideal für Track. Da vermählt sich Dance- strasse» des Schweizers Jürg Opern, die sie in den Armen- Newcomer der afrikanischen floor-Sound mit Latin Rhyth-

Film Neuenschwander und bringt vierteln aufführen und in denen Musikszene, erfährt doch deren men. Rai- und Rap-Attacks poetisch auf den Punkt, um was sie ausdrücken, was sie bewegt. Neugierde durch ein sehr infor- lösen sich ab. Eingespielt wurden es im Film geht: Um Menschen, Der Film schildert die Angst, die mativ und ansprechend gestal- House, Jungle, Dub, Reggae, die im Fremden das Vertraute Not, aber auch den Lebenswillen tetes Booklet zusätzlichen Salsa ... Zu hören sind u.a. Indian entdecken und im Vertrauten das von Ever und Dora. Antrieb. Ein perfektes Weih- Ropeman, Sly and Robbie, Cheb Fremde. Drei Viehzüchter und Rita Erben, Deutschland 1996. nachtsgeschenk! Mami, Manu Chao, P 18, Sergent Milchhändler aus Mali und Deutsch,Video VHS, 30 Min., «Urban Africa Now!»,Trace/COD Garcia, Baaba Maal. Mit dem Burkina Faso reisen in die Dokumentarfilm Album «Phat Global #1» nah- Schweiz zu drei Berufskollegen Verleih/Verkauf: Fachstelle «Filme Afro-brasilianisches Feeling men die Produzenten des Palm im Berner Seeland und für eine Welt»,Tel. 031 398 20 88, (er) Die attraktiv-bunten CDs Pictures-Labels sozusagen eine Oberland. Plötzlich entdeckt [email protected], des US-Label «Putumayo World transglobale Auswahl von bereits man Gemeinsamkeiten und www.filmeeinewelt.ch Music» bilden eine interessante produzierten Titeln verschiedens- Unterschiede,Veränderungen ter Stilrichtungen, Künstlerinnen Eindrückliche Reflexion und Künstlern vor und präsentie- (er) Sampler sind in. Die ren damit auf fast berauschend- bekanntesten Titel verschiedener sinnliche Art eine engagierte Interpretinnen und Interpreten World Music-Szene in einem

Musik werden unter dem einzigen faszinierend neuen Kriterium der Musikrichtung Zusammenspiel. beliebig austauschbar zusammen- «Phat Global #1», Palm gestellt. Einen anderen Weg geht Pictures/COD Music

34 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 Kreolische Klänge Cheikha Rimitti ist mit ihrem «Blues Weiterbildung Internationale AZouk ist die Musik der französisch-gendaaus dem Oran» zweifellos eine der Landwirtschaft sprachigen Karibikinseln Guadeloupe wichtigsten Figuren der Musik des Die Schweizerischen Hochschule für und Martinique sowie von Maghreb. Landwirtschaft in Zollikofen bietet französisch Guayana. Kreolisch ist 17. Januar 2001 im Kaufleuten in zahlreiche, attraktive Weiter- gleichzeitig ihre Sprache und Kultur. Zürich bildungskurse im Bereich Interna- Die Gruppe «La Compagnie Créole» tionale Landwirtschaft an. Zur ist einer ihrer prominentesten Meister des arabischen Gesangs Auswahl stehen Kurse in folgenden Vertreterinnen und wird in Neukale- Die Ateliers d’ethnomusicologie Themenbereichen: Landwirtschaft donien genauso verehrt wie im holen Mohammad Aman, einen der und weltweite Entwicklung; Indischen Ozean, erst recht seit sie reichhaltigen Kunstschaffen Kubas. virtuosesten Künstler des arabischen Ingenieurmethoden, Systemanalysen; ihre zehnköpfige Formation mit Bis 13. Januar 2001 in der Havana- Gesangs für ein einmaliges Konzert Tropische Pflanzenproduktion; jüngeren Zouk-Musikern aus Afrika Galerie, Dienerstrasse 50 in Zürich in die Schweiz. Sowohl in seiner Tropische Tierproduktion; Agrar- und der Karibik erweiterte. saudiarabischen Heimat, er kommt wirtschaft, Agrarmärkte und 14. Dezember im Théâtre Benno Grosse alte Dame des Raï aus Mekka, als auch an seinen Kon- Agrarpolitik. Der Studiengang Besson, Rue du Casino in Yverdon «Remettez!» bedeutet «schenken Sie zerten in Bahrain, Tunesien oder Internationale Landwirtschaft nochmals ein!»: Daher rührt der Ägypten gilt er seit 30 Jahren als kann auch als Nachdiplomstudium Artistas de Camagüey Name der 1923 in Algerien gebore- grosser Meister seines Fachs. besucht werden. Bestellen Sie Insgesamt gibt es in Kuba elf nen Sadia Bédief, besser bekannt als Mohammad Aman ist einer der ganz genauere Informationen zu den Kunstschulen. Diejenige von Cama- Cheikha Rimitti. Seit über einem wenigen, der die vielen verschiede- Weiterbildungsmöglichkeiten bei: güey galt lange als sehr hermetisch halben Jahrhundert singt die grosse nen Gesangsrichtungen arabischer Schweizerische Hochschule für und stark durch die sowjetischen alte Dame des Raï. Während dem Musik beherrscht: von Maqâm Landwirtschaft, Länggasse 85, 3052 Akademien beeinflusst. Fünf Maler, zweiten Weltkrieg fing sie an, über Majassan, der Poesie klassisch Zollikofen/Bern, Telefon 031 910 21 Bildhauer und Fotografen aus der damalige Realitäten zu improvisieren, religiöser Lider, über Danat, lyrisch 11, E-Mail: Provinz Camagüey – Agustín und jetzt spürt sie diese Wurzeln urbaner Gesänge bis hin zu [email protected], Bejarano, Aziyadé Ruiz, Carlos des Raï wieder auf: Zu sparsamer Muwashshah, dem traditionell Internet: www.shl.bfh.ch Montes de Oca, Hugo Rubio und Perkussion und Flötenklängen arabischen Gesang. Ramón Casas – stellen ihre Werke sangen damals Frauen von schlech- 26. Januar 2001 in der Salle Frank nun erstmals in der Schweiz aus. tem Ruf in den Nachtclubs von Martin des Collège Calvin, Rue de la «Artistas de Camagüey» zeigt eine Oran offenherzige Texte über Vallée in Genf ganz spezielle Facette aus dem Alkohol, Liebe, Sehnsucht und Sex.

«Schweiz global», das Magazin des Voraussetzungen und Auswirkungen der Eidgenössischen Departements für Globalisierung und ihren politischen auswärtige Angelegenheiten (EDA), stellt Implikationen. aktuelle Themen der schweizerischen Aussenpolitik vor. Es erscheint vier- bis Gratisabonnemente können bestellt fünfmal jährlich in Deutsch, Französisch werden bei: und Italienisch. «Schweiz global» Schwerpunktmässig befasst sich die c/o Schaer Thun AG nächste Nummer (erscheint Anfang Industriestr. 12 Januar) mit dem Dialog der Zivilisationen, 3661 Uetendorf dem die Uno das kommende Jahr widmet. Die letzte, im Oktober publizierte Ausgabe fragt im Dossier nach den

Impressum «Eine Welt» erscheint viermal jährlich in deutscher, französischer und italienischer Sprache. «Eine Welt» Herausgeberin Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) Bestellcoupon und Adressänderung des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA). • Ich möchte «Eine Welt» abonnieren. Das Magazin der DEZA ist gratis und erscheint viermal jährlich in Deutsch, Französisch und Italienisch. Ich möchte folgende Anzahl Exemplare: ...... in Deutsch, ...... in Französisch, ...... in Italienisch.

Redaktionskomitee Harry Sivec (verantwortlich) Catherine Vuffray (vuc) • Ich wünsche weitere Gratisexemplare der Nummer 4/2000 von «Eine Welt» und zwar: Andreas Stuber (sbs) Sarah Grosjean (gjs) Reinhard Voegele (vor) Joachim Ahrens (ahj) ...... Ex. in Deutsch, ...... Ex. in Französisch, ..... Ex. in Italienisch. Gabriella Spirli (sgb) Beat Felber (bf) Redaktionelle Mitarbeit Beat Felber (bf – Produktion) •Meine neue Adresse lautet Gabriela Neuhaus (gn) Maria Roselli (mr) Jane-Lise Schneeberger (jls) Gestaltung (Bitte in Blockschrift) Laurent Cocchi, Lausanne Name und Vorname: Lithografie City Comp SA, Morges Druck Vogt-Schild / Habegger AG, Solothurn Wiedergabe Ev. Organisation/Institution: Der Nachdruck von Artikeln ist, nach Bewilligung durch die Redaktion, unter Quellenangabe gestattet. Belegexemplare erwünscht. Adresse: Abonnemente «Eine Welt» ist gratis erhältlich bei: DEZA, Sektion Medien und Kommunikation, 3003 Bern, Postleitzahl, Ort: Tel. 031 322 44 12 Fax 031 324 13 48 E-mail: [email protected] Bei Adressänderungen legen Sie bitte die alte Adressetikette bei! 26139 Der Umwelt zuliebe gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Senden Sie den Coupon an: DEZA, Sektion Medien und Kommunikation, 3003 Bern Gesamtauflage 42000

Umschlag Hiem Lam Duc / Vu Internet: www.deza.admin.ch

Eine Welt Nr.4 / Dezember 2000 35 In der nächsten Nummer:

Entschuldung – das Engagement der Schweiz, kritische Meinungen, progressive Ansätze Keystone

DIREKTION FÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEIT DEZA