februar 2-2020 6,90 € | 8,90 sFr

Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammen­arbeit

Meinungsfreiheit Journalismus unter Druck Kampf gegen Hass im Netz

Bangladesch: Irrsinn Kohlekraft | Prostitution: Zum Verkauf www.welt-sichten.org www.welt-sichten.org wie ein Stück Fleisch | Bolivien: Christus versus Pachamama Jetzt spenden SPINAS CIVIL VOICES

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Gemeinsam für eine Landwirtschaft, die unsere Zukunft sichert. sehen-und-handeln.ch

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Liebe Leserinnen und Leser,

Melanie Kräuter in Deutschland sind das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit Redakteurin im Grundgesetz verankert. Und doch waren hier in einer repräsentativen Studie des Allensbach-Instituts zwei Drittel der Befragten der Ansicht, man müsse „sehr auf- passen, zu welchen Themen man sich wie äußert“. Ob damit die Meinungsfreiheit bei uns abnimmt, ist umstritten. Eindeutig gefährdet ist sie aber in großen Teilen des globalen Südens. In Mexiko zum Beispiel müssen Medienschaffende wegen ih- rer Arbeit um ihr Leben fürchten. Juliane Matthey hat für uns zusammengefasst, wo Journalisten ermordet, verhaftet oder zensiert werden, aber auch, wo sich die Presse­ freiheit verbessert hat. Wie Journalisten im globalen Süden von deutschen Organi- sationen fortgebildet werden, hat sich mein Kollege Moritz Elliesen angeschaut.

Wie wichtig Journalismus als vierte Gewalt ist, macht Christian Putsch in seinem Artikel über das AmaBhungane-Kollektiv klar: Dessen Recherchen zum größten Korruptions- skandal Südafrikas haben maßgeblich zum Sturz von Präsident Jacob Zuma beigetragen. Nicht zufällig versuchen Afrikas Machthaber immer Viele Journalisten im globalen Süden müssen wieder, das Internet zu blockieren, berichtet Abdi Latif Dahir. wegen ihrer Arbeit um ihr Leben fürchten – etwa in Mexiko. Andere Politiker nutzen soziale Medien für Propa­ ganda – zum Beispiel in Indien. Die regierende BJP- Partei verhält sich besonders widersprüchlich, schreibt Sangeeta Mahapatra: Zum einen hat sie selbst Wahlkampf über soziale Netzwerke betrieben, zum anderen gibt sie vor, dort Falschinformationen und Hetze bekämpfen zu wollen. Und Bernd Ludermann wendet sich gegen die Vorstellung, Meinungsfrei- heit bedeute, einfach alles sagen zu dürfen – ohne Rücksicht auf den Tatsachengehalt.

In Bolivien versuchen rechte Katholiken, nach dem Rücktritt von Evo Morales die alte Ordnung wiederherzustellen, berichtet Matthew Casey. Odile Jolys hat für uns im Sene- gal Frauen besucht, die Fisch verarbeiten; ihre Einkommen und eine Haupteiweißquelle der Bevölkerung sind in Gefahr, weil Fabriken immer mehr Sardinellen zu Fischöl oder Tierfutter verarbeiten. Und Barbara Crossette erklärt, warum die UN-Frauenorganisa­ tion UN-Women mit Frauenrechtlerinnen streitet: Soll Prostitution überall legal sein?

Eine anregende Lektüre wünscht

| 2-2020 4 inhalt G ES TTY IMA G E TTY G V IA G BLOOMBER / EE J . MUKHER. A

Mitarbeiterinnen der indischen Webseite Vishwas News prüfen Nachrichten und Videos auf Facebook. In Indien wird über die sozi- 12 alen Netzwerke zunehmend gegen Minderheiten gehetzt. 25

Große Auswahl an verschiedenen Sichtweisen: Zeitungsverkäufer in Kano, einer Stadt im Norden Nige- rias, haben verschiedene Blätter im Angebot. In vielen Ländern hat sich der Arbeitsalltag für Medienschaf- fende verschlechtert. Und wie weit die Meinungsfreiheit reicht, wird schwerpunkt: meinungsfreiheit auch zunehmend heftig in sozialen Netzwerken debattiert.  12 Journalismus unter Druck Titelbild: The New York Times/Redux/laif Weltweit hat sich die Situation für Journalisten verschlechtert – auch in Europa und den USA Juliane Matthey

18 Kritische Fragen unerwünscht Fünf „welt-sichten“-Korrespondentinnen berichten über ihre Arbeit

20 Die Unbestechlichen Wie die Journalisten des amaBhungane-Zentrums in Südafrika zum Fall von Präsident Jacob Zuma beigetragen haben Christian Putsch  Titelthemen 22 Hilfe für eine starke vierte Gewalt Deutsche Organisationen zur Medienentwicklung unterstützen Journalisten im Süden Moritz Elliesen

 25 Gegen den Hass im Netz In Indien sind Politiker für die Hetze in sozialen Medien mitverantwortlich Sangeeta Mahapatra

28 Wenn Afrikas Machthaber den Stecker ziehen Immer wieder sperren Regierungen das Internet – mit mäßigem Erfolg Abdi Latif Dahir

30 Der Staatschef meint ja bloß Nicht alle Meinungen müssen in politischen Debatten gleichermaßen Teile der Auflage enthalten je ernst genommen werden eine Beilage von Agiamondo e.V. und von Brot für die Welt sowie eine Bernd Ludermann Eigenbeilage von .

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Standpunkte

6 Auftakt

 8 Interview: „Das ist absoluter Irrsinn“ Gespräch mit dem Umweltaktivisten Anu Muhammad über Kohlekraft in Bangladesch

10 Kommentar: Gut gebrüllt, Eskabo! Die SPD- Spitze fordert weniger Waffenexporte – Selbst- kritik wäre ein guter Anfang Moritz Elliesen G ES 10 Kommentar: Auf Kosten einer unabhängigen Entwicklungspolitik. Nach dem Brexit wird das britische Entwicklungsministerium stärker natio- TTY IMA E TTY AF P/G nalen Interessen dienen Banges Warten: Junge Männer in Kampala in Uganda verfolgen in Tillmann Elliesen einem Wettbüro ein Fußballspiel der englischen Premier League. Die Anbieter von Sportwetten erobern den afrikanischen Markt. 40 11 Leitartikel: Der kurze Arm der Weltjustiz. Der Internationale Strafgerichtshof könnte besser arbeiten, doch sein Kernproblem ist politisch Bernd Ludermann

bewegungsmelder

32 Herausgeberkolumne: Der freiwillige Ansatz hat weltweit versagt welt-blicke Bernd Nilles

 34 Bolivien: Christus versus Pachamama 32 Fünf Fragen an: Richard Matey von der Abibi- Rechte Katholiken wollen die alte Ordnung wiederherstellen man-Stiftung aus Ghana Matthew Peter Casey Journal 37 Senegal: Fisch für den Trog statt für den Teller Obwohl Fisch eine Haupteiweißquelle ist, wird ein großer Teil 52 Berlin: Das Entwicklungsministerium will die des Fangs zu Tierfutter verarbeitet Liste seiner Partnerländer kürzen Odile Jolys 54 Brüssel: Der Vertrag zwischen der EU und den 40 Sportwetten: Geld auf ferne Kicker setzen AKP-Ländern wird nicht rechtzeitig fertig Wettbüros erobern den afrikanischen Markt – die sozialen Kosten sind hoch 55 Schweiz: Die Schweizer Armee will sich stärker Christopher Bunn im Ausland engagieren

 42 Prostitution: Zum Verkauf wie ein Stück Fleisch 57 Österreich: Die Zivilgesellschaft hofft auf ein In den Vereinten Nationen streiten Frauen über die Legalisierung gutes Verhältnis zur türkis-grünen Regierung von Prostitution Barbara Crossette 59 Kirche und Ökumene: Die Religionsführer im Libanon wollen keine Revolution 46 Irak: „Die Gefahr ist ein politisches Chaos“ Gespräch mit der Islamexpertin Sabrina Mervin über die Folgen 60 Global Lokal: Bei der fairen Beschaffung sind der Tötung des iranischen Generals Suleimani andere Länder in Europa deutlich weiter als Deutschland 48 Bolivien: Der Baumeister von El Alto Der Architekt Freddy Mamani knüpft an das Erbe seiner indigenen 61 Personalia Vorfahren an Knut Henkel service

62 Filmkritik

62 Rezensionen

66 Kulturtipp / Impressum

| 2-2020 6 standpunkte auftakt .com oo n rt g lobeca é, www. tt é, a C ha pp ick ick tr Pa

kurz erklärt Bezahlen per Handy hilft den Armen nicht

Herr Hilbig, mit dem Bezahldienst Wer profitiert davon? Geldtransferdienste betragen die M-Pesa kann man in Kenia über Die Telefongesellschaft Safaricom, Gebühren sogar bis zu 45 Prozent. das Handy Geld an andere über- die den Dienst betreibt, und das Wie sollen Arme sich das leisten? weisen und Rechnungen bezahlen. britische Unternehmen Vodafone, Das wird oft als Beispiel angeführt, das mit 40 Prozent beteiligt ist. Das heißt, M-Pesa könnte nützlich wie die Digitalisierung zur Reduzie- Auf M-Pesa entfallen in Kenia 95 sein, es sollte nur billiger werden, rung von Armut beitragen kann. Sie Prozent Marktanteil bei mobilen etwa durch mehr Konkurrenz? zweifeln daran. Warum? Bezahldiensten. Aufgrund dieser Ja, das wäre sinnvoll, ist aber nicht Sven Hilbig M-Pesa ist insofern eine Erfolgsge- Monopolstellung können sie Prei- einfach. Die Digitalisierung ist ist beim Hilfswerk schichte, als sich der Dienst stark se diktieren und so hohe Gebüh- gerade dadurch gekennzeichnet, Brot für die Welt verbreitet hat. In Kenia nutzen 27 ren verlangen. dass die großen Technologiekon­ verantwortlich für Millionen Menschen seine Mög- zerne Monopole aufbauen. Sie die Themen lichkeiten. Aber laut einer inter- Es gibt aber Studien, die Hinwei- sind oft der einzige Anbieter einer Handelspolitik nen Evaluierung des britischen se geben, wie M-Pesa armen Men- bestimmten Dienstleistung, oder und Digitalisie- Entwicklungsministeriums DFID, schen hilft. Etwa dadurch, dass die sie erschweren den Kunden einen rung. das M-Pesa finanziell und mit bessergestellte Tante in der Stadt Wechsel zu anderen Anbietern. Lobbyarbeit gefördert hat, hat der dem armen Neffen auf dem Land Hinter M-Pesa steckt im Grunde Dienst keine armutsmindernde Geld schicken kann, was vor M-Pe- das gleiche Geschäftsmodell wie Wirkung: Die Mehrzahl der Nutzer sa nicht möglich war. bei Facebook oder Google. Wir lebt oberhalb der Armutsschwel- Diese Studien weisen jedoch nicht müssen da kritischer hinschauen. le. Ein zweiter Grund für meine darauf hin, dass auf jede Überwei- Skepsis ist, dass zu wenig berück- sung mit M-Pesa bis zu elf Prozent Welche weiteren Risiken bergen sichtigt wird, wer tatsächlich von Gebühren entfallen, bei Über- mobile Bezahldienste? M-Pesa profitiert. weisungen auf andere mobile Sie erschweren zudem die Durch-

2-2020 | auftakt standpunkte 7

Reife Leistung

Australiens Kamele sind verzweifelt: Wäh- vom Kuckuck inspirierte Überlebensstrate- rend Koalas, Kängurus und andere fototaug- gie. „Es ist einfach unfair, dass wir abgeknallt liche Vorzeigetiere von waghalsigen Feuer- werden“, sagt ein Kamel mit geknicktem wehrmännern und Tierschützern aus dem Höcker, das anonym bleiben möchte. „Sogar seit Wochen wütenden Flammeninferno den Tierschützern hier gehen wir am Arsch gerettet werden, hat die Regierung des Bun- vorbei.“ Auch die Aussichten auf Kirchenasyl desstaats South Australia 10.000 Kamele sind eher gering. zum Abschuss freigegeben – angeblich, weil sie die Wasservorräte von Australiens Urein- Rettung könnte nun ausgerechnet aus wohnen, den Aborigines, leer saufen. Nun Ostafrika kommen – aus Somalia: Dort gel- machen Scharfschützen aus Helikoptern ten Kamele als Statussymbol, sie werden Jagd auf die Wüstenschiffe. Die Regierung be- verehrt und manchmal sogar mit Gedich- „Ein Teil der Schiiten tont aber, dass sie nach „höchsten Tierwohl- ten bedacht. Dutzende Somalier haben die unterstützt die starke standards“ abgemurkst werden. aus­tralischen Kamele via Twitter in ihre Heimat eingeladen. Die Gastfreundschaft Präsenz des Iran im Irak. Was genau sich im australischen Outback ab- hat sich inzwischen unter den australischen Aber es gibt auch viele, spielt, weiß niemand. Beobachter berichten Kamelen herumgesprochen. In einer kilo- von dramatischen Szenen: Viele Kamele hät- meterlangen Karawane ziehen sie zu Tau- die damit nicht mehr ten sich als Koalas verkleidet, um sich zu tar- senden in Richtung Melbourne, um beim einverstanden sind.“ nen. In einer Herde sollen Kamelmütter so- somalischen Generalkonsulat die erforder- gar versucht haben, ihre Jungen in die Beutel lichen Papiere für die Reise in die neue Hei- Die Islamexpertin Sabrina Mervin schlafender Kängurus zu stopfen – eine mat zu beantragen. im „welt-sichten“-Interview über die Folgen der Tötung des iranischen Generals Ghassam Suleimani (Seite 46).

Die Welt telefoniert mobil kurz erklärt In vielen Ländern haben Menschen mehr als einen Handyvertrag Bezahlen per Handy hilft den Armen nicht

setzung entwicklungspoliti- scher Ziele wie eine kostenlo- se Schulbildung, das eines der UN-Nachhaltigkeitsziele ist. Die Weltbank hat ein Netzwerk aus Finanzdienstleistern, Stiftungen und Unternehmen aufgebaut, das zum Ziel hat, dass Eltern die Schlusslicht: Eritrea (10,2)

Schulgebühren für ihre Kinder Spitzenreiter: Ver. Arab. Emirate (210,9) über das Handy zahlen können. In der Côte d‘Ivoire erstattet das Bildungsministerium den Te- 1 lekomunternehmen die für die Handyverträge Überweisungen der Eltern fälli- 20172, pro 100 Einwohner gen Gebühren. Das soll jetzt auf 176–211 andere Länder Afrikas übertra- 141–175 gen werden. Anstatt dafür Sorge 105–140 zu tragen, dass bis zum Jahr 2030 70–104 Kindern kostenlose Schulbildung 35–69 0–34 angeboten wird, verfestigen die keine Angaben mobile Bezahldienste den beste- 1. Inklusive Prepaid-Verträge henden Missstand. 2. Oder neueste verfügbare Daten

Quelle: Le Monde Diplomatique, Atlas der Globalisierung 2019 Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

| 2-2020 8 standpunkte interview

„Das ist absoluter Irrsinn“ In Bangladesch setzt die Regierung auf Kohlekraft – zum Entsetzen von Umweltschützern

Gespräch mit Anu Muhammad

Mit Hilfe internationaler Inves- In Rampal im Südwesten Bang- gesunken sind. Die Verschmutzung man zunächst mehr auf Gas und toren baut Bangladesch ein Koh- ladeschs wird derzeit das größte gefährdet die Tier- und Pflanzen- dann den Ausbau von Wind- und lekraftwerk nahe den bedrohten Kohlekraftwerk des Landes gebaut. welt in den Wäldern und damit Solarstrom setzt. Sundarbans, einem zerbrechlichen Warum protestieren Sie gegen das auch die Lebensgrundlage der Ökosystem am Golf von Bengalen. Projekt? Menschen dort. Der Strombedarf in Bangladesch Der Ökonom und Aktivist Anu Mu- Das Kraftwerk soll nur wenige ist enorm, 20 Prozent der Bevölke- hammad erklärt, welche Folgen Kilometer von den Sundarbans ent- Die Regierung behauptet, das Koh- rung sind noch immer nicht an das der Bau hat und was deutsche Fir- fernt gebaut werden, den größten lekraftwerk sei modern und sauber. Stromnetz angeschlossen. Recht- men damit zu tun haben. Mangrovenwäldern der Welt. Die Wenn die modernste Technik fertigt das nicht den Bau von Koh- Sundarbans sind auch das letzte verbaut wird, verringern sich die lekraftwerken? große Waldgebiet in Bangladesch, Umweltschäden um ein paar Pro- Bislang hatte Bangladesch viele andere Wälder sind großen zent. Aber das macht es nicht sau- kaum Kohlekraft. Wir sollten nicht Industriestrukturprojekten und ber. Das Umweltgutachten der Re- den Fehler machen, nun eine veral- dem Holzschlag zum Opfer gefal- gierung ist fehlerhaft, das sagen tete Technologie einzusetzen, son- len. Die Mangrovenwälder schüt- selbst unabhängige Experten. Die dern direkt in erneuerbare Energi- zen das Land dahinter vor den Fol- UNESCO sieht das ebenfalls kritisch en investieren. Das ist langfristig gen des Klimawandels wie den häu- und hat gedroht, den Sundarbans auch wesentlich günstiger. figer auftretenden Zyklonen und den Status eines Weltnaturerbes dem steigenden Meeresspiegel. Die wegen des Kraftwerkbaus abzuer- Überzeugt das Argument Ihre Re- Region muss unbedingt bewahrt kennen, aber das interessiert unse- gierung? Bislang ist der Anteil von werden. Stattdessen wird ein Koh- re Regierung nicht wirklich. Solar- und Windenergie in Bangla- lekraftwerk gebaut, das die Wälder desch mit rund fünf Prozent an der zerstört und zusätzlich den Klima- Warum wurde genau dieser Ort für Stromerzeugung gering. wandel anheizt. Das ist absoluter den Kraftwerkbau ausgewählt? Unsere Regierung richtet ihre Irrsinn. Das ist eine Frage, auf die uns Energiepolitik zu sehr an den In- die Regierung keine klare Antwort teressen einheimischer und inter- geben kann oder will. Eine Rolle nationaler Unternehmen aus. Au- „Auch die deutsche Zivilgesellschaft und die spielt vermutlich der Transport der ßerdem haben Indien, China, Ja- Politik können Druck machen, zum Beispiel Kohle auf dem Seeweg. Das Prob- pan und Russland, die die meisten lem ist aber nicht nur Rampal. Die Energieprojekte in Bangladesch fi- auf die Deutsche Bank.“ Regierung will den Küstenstreifen nanzieren, großen Einfluss auf un- zu einer Energieregion ausbauen. sere Regierung.

Welche Auswirkungen des Kraft- Würden Sie den Bau des Kraft- Rampal wird von Indien gefördert werks auf die Mangrovenwälder werks an einem weniger proble- und gebaut. Welche Interessen befürchten Sie? matischen Ort befürworten? stecken dahinter? Das Kraftwerk wird giftige Gase Als die Pläne für den Kraftwerk- Es geht um die wirtschaftli- und Asche ausstoßen, die die Luft bau 2010 bekannt wurden, war das chen Interessen der Investoren und und damit auch die Wälder ver- unser Ansatz. Aber über die Jahre staatseigener Unternehmen: Hin- schmutzen. Eine große Gefahr geht hinweg haben wir viel gelernt über ter dem Bau steckt der staatliche auch vom Transport der Kohle aus. die Folgen der Kohlekraft und uns Energieversorger Indiens, die Na- Jeden Tag müssen 12.000 Tonnen nach Alternativen umgesehen. tional Thermal Power Corporati- Kohle auf Schiffen durch Flüsse in Unser Netzwerk hat 2017 einen on (NTPC), die das Projekt gemein- den Sundarbans transportiert wer- alternativen Masterplan für die sam mit dem staatlichen Energie- den. Was dabei passieren kann, ha- Stromversorgung in Bangladesch versorger Bangladeschs umsetzt. ben wir vor kurzem erlebt, als meh- vorgelegt. Die Erkenntnis ist, dass Die indische Exim-Bank finanziert rere Frachter mit rund 700 Tonnen Bangladesch auf Kohlekraft und das Projekt, das ist eine öffentliche Kohle in der Nähe der Sundarbans Atomstrom verzichten kann, wenn Bank für Exportfinanzierung. Der

2-2020 | interview standpunkte 9 t a i v pr Anu Muhammad lehrt Wirtschafts- wissenschaften an der Jahangirna- gar-Universität in Savar, nahe der Hauptstadt Dhaka, und ist Sprecher „Die UNESCO hat gedroht, den Sundarbans den der Bürgerbewegung „Nationales Status eines Weltnaturerbes abzuerkennen, aber Komitee zum Schutz von Öl, Gas, Bodenschätzen, Strom und Häfen“. das interessiert unsere Regierung nicht.“

norwegische Pensionsfonds und schädlichen Geschäfte im Ausland der Regierungspartei gibt es kriti- drei europäische Banken haben nicht rechtlich haftbar gemacht sche Stimmen. deshalb ihre Beteiligungen an der werden können, muss man eben Exim-Bank zurückgezogen – im Ge- die Gesetze anpassen. Aber die Proteste gegen Rampal gensatz zur Deutschen Bank, die haben zuletzt nachgelassen … weiterhin Exim-Anleihen kauft. Wie weit ist der Bau des Kraftwerks Seit der Wahl 2018 geht die Re- in Rampal? gierung härter gegen Umweltakti- Das deutsche Ingenieursbüro Der Protest hat dazu geführt, visten und Menschenrechtler vor. Fichtner ist ebenfalls am Bau be- dass die Pläne für einen zweiten Sie schickt zivile Schlägertrupps, teiligt. Haben Sie versucht, mit der Block eingestampft wurden. Der die Teilnehmer von Demonstrati- Firma Kontakt aufzunehmen? Bau am ersten Meiler von 1320 Me- onen und Mahnwachen angreifen. Ja, aber wir haben keine Ant- gawatt geht aber voran, wenn auch Und sie lässt Aktivisten verhaften wort bekommen. Deutschland will nur langsam. oder spricht Ortsverbote aus. Der aus der Kohle aussteigen, aber deut- Protest wird kriminalisiert. sche Firmen bauen Kohlekraftwerke Wie stehen die Chancen, dass das im Ausland. Wir haben in Berlin mit Projekt noch gestoppt wird? Haben Sie das selbst zu spüren be- Abgeordneten darüber gesprochen. Es ist nicht zu spät. Die Regie- kommen? Sie sagen, dass ihnen die Hände ge- rung müsste nur auf die Bevölke- Ich wurde mehrfach verhaftet bunden sind, wenn es um die Tätig- rung hören. Es gibt Umfragen, nach und für einige Tage eingesperrt. keiten privater Unternehmen geht. denen 90 Prozent der Bevölkerung Aber man musste mich wieder Aber wenn Unternehmen für ihre den Bau ablehnen, sogar innerhalb freilassen, weil es keine rechtlich haltbare Begründung dafür gab. Ich habe auch anonyme Todesdrohun- gen erhalten. Aber was soll man tun, wir müssen weitermachen.

Hilft der Druck von außen? Wir versuchen, uns mit der in- dischen Zivilgesellschaft zu vernet- zen, damit dort der Druck auf die Re- gierung wächst. Unser Nachbarland wird auch betroffen sein, wenn die Sundarbans verschwinden. Die Re- gierung in Delhi will die Vernetzung verhindern und verweigert mir und anderen Aktivisten die Einreise. Das hat die Solidarität aber eher ver- stärkt. Auch die deutsche Zivilge- sellschaft und die Politik können Druck machen, zum Beispiel auf die Deutsche Bank oder Unternehmen wie Fichtner. Die Kraftwerksbetrei- ber werben damit, dass das Projekt r sauber wird, weil eine deutsche Fir-

mme ma beteiligt ist. Sie missbrauchen A den guten Ruf Deutschlands. a ng g Das Gespräch führte olf

W Sebastian Drescher.

| 2-2020 10 standpunkte kommentar

Gut gebrüllt, Eskabo! Die SPD-Spitze fordert weniger Waffenexporte – Selbstkritik wäre ein guter Anfang

Die Bundesregierung genehmigte Der neue SPD-Vorsitzende Nor- migte die Bundesregierung Waf- Nicht zuletzt ihn sollten Walter- 2019 Rüstungsexporte in Rekord- bert Walter-Borjans hat recht: fenexporte im Wert von mehr als Borjans und Esken in die Verant- höhe. Wenn die SPD-Vorsitzen- Dass deutsche Waffen in Krisen- acht Milliarden Euro – etwa dop- wortung nehmen, wenn die von den wirklich wollen, dass weniger regionen und Diktaturen auf- pelt so viel wie 2018. Darunter wa- ihnen beschworene „friedenspo- deutsches Kriegsgerät exportiert tauchen, ist „absolut inakzepta- ren Maschinengewehre für Kuwait litische Tradition“ der SPD mehr wird, sollten sie ihren Parteige- bel“. Und ja, die Bundesregierung und Raketenteile für Ägypten, also sein soll als eine Worthülse. nossen und Außenminister Heiko sollte Waffenexporte restriktiver Waffen für Regierungen, die an der Zählen können sie dabei auf die Maas in die Verantwortung neh- handhaben, wie der SPD-Vorsit- Seite von Saudi-Arabien im Bürger- Unterstützung der SPD-Bundes- men. zende jüngst gefordert hat. Auch krieg im Jemen mitmischen und es tagsabgeordneten, die sich auf ein seine Ko-Vorsitzende mit den Menschenrechten im ei- Positionspapier zur schärfen Kon- kritisiert die Ausfuhr von deut- genen Land nicht allzu ernst neh- trolle von Rüstungsexporten geei- schem Kriegsgerät: „In der frie- men. Schönreden lässt sich das nigt haben. Sie fordern unter ande- denspolitischen Tradition und auch nicht mit dem Verweis aus rem, keine Waffen mehr an Staaten Grundhaltung der SPD stehen wir dem Wirtschaftsministerium, die zu verkaufen, die den UN-Waffen- dafür, dass Deutschland weniger hohen Zahlen erklärten sich durch handelsvertrag nicht unterzeich- Waffen exportiert“, sagt sie. einen Antragsstau während den net haben – Exporte in Länder wie Es ist schön, dass die neue SPD- Koalitionsverhandlungen. Ägypten oder Kuwait wären dann Spitze sich so klar äußert. Doch gro- Die SPD hat das mit durchge- nicht mehr möglich. Die Abgeord- ße Töne spucken kann jeder. Wenn winkt. Federführend ist zwar das neten und all jene gesellschaftli- Walter-Borjans und Esken es ernst CDU-geführte Wirtschaftsministe- chen Initiativen, die schon lange meinen, wäre ein erster Schritt ein rium. Aber vor allem wenn es um für strengere Waffenexportregeln bisschen Selbstkritik. Seit 2013 sitzt kritische Länder geht, redet auch streiten, sollten die SPD-Vorsitzen- die SPD mit am Regierungstisch, al- das vom SPD-Genossen den in diesem Jahr an ihre marki- leine im vergangenen Jahr geneh- geleitete Außenministerium mit. gen Worte erinnern. (me)

Auf Kosten einer unabhängigen Entwicklungspolitik Nach dem Brexit wird das britische Entwicklungsministerium stärker nationalen Interessen dienen

Bis zum Austritt Großbritanniens Johnson hatte das Ministerium aber ohne eigenen Chef. Zuständig Aus Sicht von Boris Johnson ist aus der Europäischen Union Ende zuletzt mit polemischer Kritik sei in Zukunft der Außenminister, das nicht der Rede wert. Das Pro- Januar (und bis Redaktionsschluss) quasi sturmreif geschossen. Das was darauf hinauslaufen würde, gramm seiner Partei für die Zeit war offen, ob Premierminister Bo- DfID sei „außer Kontrolle“ ge- das DfID letztlich doch zu einer Ab- nach dem Brexit lautet, Großbri- ris Johnson das Department for In- raten und verhalte sich wie „ir- teilung des Außenamts zu degra- tannien stark zu machen. Für die ternational Development (DfID) gendeine unabhängige skandina- dieren. Endgültig wolle Johnson Entwicklungspolitik heißt das: Sie als eigenständiges Ministerium er- vische NGO“, polterte der Regie- sich erst nach dem Brexit äußern, hat künftig vor allem den Zweck, aus halten will. Alles andere wäre ein rungschef. Die britische Entwick- hieß es in der „Times“. den Partnerländern im Süden florie- herber Rückschlag für die britische lungshilfe sei „verschwenderisch“, So oder so: Es wird darauf hin- rende Handels- und Wirtschaftspart- Entwicklungspolitik. das Geld werde aus dem Fens- auslaufen, dass das DfID an Eigen- ner für „Global Britain“ zu machen. ter geworfen. Das Budget müs- ständigkeit verliert. Für die briti- So stand es bereits in einem DfID- se deshalb unter die Kontrolle sche Entwicklungspolitik und für Strategiepapier vom Januar 2017: des Außenministers gestellt wer- Großbritanniens Image in der Welt Ironie der Geschichte: Genau den, sagte Johnson im Dezember. ist das schlecht. Das DfID hat sich diese Verquickung von Handels-, Kurz: Das DfID solle ins Außenmi- seit seiner Gründung im Jahr 1997 Wirtschafts- und Entwicklungspo- nisterium integriert werden. einen ausgezeichneten Ruf erarbei- litik führte in den 1990er Jahren, Dann vermeldete Anfang Janu- tet. Es hat immer wieder innovati- als Entwicklungspolitik noch Sa- ar die Zeitung „Daily Mail“ eine ver- ve Ansätze gefördert, etwa in der zi- che des Außenministeriums war, meintliche Kehrtwende: Das DfID vil-militärischen Zusammenarbeit zu einem handfesten Korruptions- solle doch eigenständig bleiben. oder der ergebnisorientierten Hilfe. skandal um den Bau eines mit bri- Die Erleichterung bei britischen Die waren manchmal umstritten, tischer Hilfe gebauten Staudamms Hilfsorganisationen und Entwick- haben aber oft das entwicklungs- in Malaysia. Als der Fall aufgearbei- lungspolitikerinnen währte aller- politische Denken vorangebracht. tet war, wurde als Konsequenz ein dings nur kurz. Denn zwei Tage In Ranglisten zur Transparenz der neues Ministerium geschaffen: das später berichtete die „Times“, das Hilfe stand das DfID meistens ganz unabhängige Department for In- Ministerium bleibe zwar erhalten, oben. ternational Development. (ell)

2-2020 | leitartikel standpunkte 11

Der kurze Arm der Weltjustiz Der Internationale Strafgerichtshof könnte besser arbeiten, doch sein Kernproblem ist politisch

Von Bernd Ludermann

ie Staaten, die den Internationale Strafge- Es kann aber nichts daran ändern, dass das in- richtshof (IStGH) tragen, mussten bei ihrer ternationale Strafrecht auf kaum überwindbare po- jährlichen Versammlung im Dezember auf litische Hindernisse stößt. Der IStGH kann nur ge- Dein unerfreuliches Jahr zurückblicken. Es begann gen Täter aus Staaten vorgehen, die ihm beigetre- mit dem Freispruch für Ex-Präsident Laurent Gbag- ten sind – es sei denn der UN-Sicherheitsrat oder das bo und einen weiteren Angeklagten aus der Côte betroffene Land schalten ihn ein. Er muss einigen d`Ivoire. Die Richter fanden, das Material der Ankla- der schlimmsten Verbrechen wie in Syrien und im ge beweise nicht, dass Gbagbo die Angriffe auf Zivi- Jemen untätig zusehen, weil Kriegsverbrecher dort listen nach seiner Wahlniederlage Ende 2010 geplant den Schutz von mindestens einer UN-Vetomacht und gelenkt hatte. haben. Zur Vertreibung der Rohingya in Myanmar Schon Mitte 2018 hatte der IStGH nach sechs- kann er nur ermitteln, soweit sein Mitglied Bangla- jährigem Prozess den kongolesischen Warlord Jean- desch betroffen ist. Pierre Bemba vom Vorwurf freigesprochen, in der Und wo der IStGH tätig wird, zwingt eine Kom- Zentralafrikanischen Republik sexuelle Gewalt als bination politischer und praktischer Probleme zu Kriegsmittel eingesetzt zu haben. Er verurteilte ständigen Balanceakten. Die Ermittler sind auf die dann Mitte 2019 Bosco Ntaganda aus dem Kongo Kooperation von lokalen Behörden angewiesen und wegen Kriegsverbrechen, Folter und sexueller Ver- müssen fürchten, dass ihre Arbeit sabotiert wird – so sklavung. Doch dies war erst der vierte Schuldspruch wie beim Prozess gegen Staatschef Uhuru Kenyatta seit Beginn der Arbeit Mitte 2002. Verteidiger des in Kenia, der 2014 eingestellt wurde. Bensoudas An- Gerichts sehen das als Beleg für seine hohen juris- trag auf Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in Afgha- tischen Standards, auch bei den Rechten der Beklag- nistan haben die Richter im September abgelehnt, ten. Dennoch ist es viel Aufwand und wenig Ertrag. weil wegen des Widerstands aus den USA kaum Aus- Deshalb haben die 122 Staaten, die den IStGH tra- sicht auf Erfolg bestünde. Das stimmt, gilt aber ge- gen, Ende 2019 beschlossen, ihn jetzt von unabhän- nauso für die laufenden Ermittlungen zum Krieg in gigen Fachleuten begutachten zu lassen: das Ma- Georgien 2008, an dem Russland beteiligt war. Die nagement des Gerichts, die Arbeitsweise der Richter Entscheidung zu Afghanistan signalisiert: Wir neh- men hin, dass Großmächte Ermittlungen verhindern. Die Mitglieder und Unterstützer des IStGH soll- Die Mitglieder und Unterstützer des IStGH sollten ten die bittere Lehre akzeptieren, dass einige seiner die bittere Lehre akzeptieren, dass einige seiner hoch hochgesteckten Ziele vorerst unerreichbar sind. Da- runter das Ziel, auch Staatschefs mittels IStGH von gesteckten Ziele vorerst unerreichbar sind. Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzuschre- cken. Der einzige Staatschef, gegen den der IStGH bisher Haftbefehl erwirkt hat, ist Omar al-Bashir aus sowie die der Anklagebehörde. Das kommt zur rech- dem Sudan. Doch erst seit er vergangenes Jahr ge- ten Zeit. Bis Ende 2020 müssen ein Drittel der Rich- stürzt wurde, könnte Den Haag ihn in die Finger be- ter neu gewählt und eine neue Leitung der Ankla- kommen. Die fatale Botschaft an staatliche Verbre- gebehörde gefunden werden. Diese prägt die Stra- cher wäre dann: Klammert euch an die Macht, dann tegie und die Außenwirkung des Gerichts, denn sie seid ihr vor dem Gericht sicher. Der IStGH muss da- schlägt Fälle vor und ermittelt in betroffenen Staa- her froh sein, dass die neue Regierung des Sudan ten; die Amtszeit der Chefanklägerin Fatou Bensou- nun selbst al-Bashir wegen der Kriegsverbrechen in da aus Gambia endet Mitte 2021. Darfur einen Prozess machen will. Schwächen im IStGH können jetzt angegangen Nicht zufällig hat der IStGH bisher nur Rebel- werden – etwa bei der Koordination von Richtern len verurteilt und nur aus Kriegen, bei denen keine und Anklagebehörde. Bensouda hat gegen Gbag- Großmachtinteressen im Spiel waren. Seine Arbeit bo mühsam viel Beweismaterial gesammelt, das die kann lokale Ermittlungen anstoßen und die Über- Richter dann verworfen haben. Beide sollten besser gangsjustiz in Friedensprozessen unterstützen – was im Vorfeld abstimmen, was als Beweis nötig ist. Zu- aber auch andere tun. Der IStGH kann auch Beweise dem regt ein kenianischer Menschenrechtsexperte für später mögliche Gerichtsverfahren dokumentie- an, die Zentrale in Den Haag solle ihre Arbeit stärker ren. Aber die Straflosigkeit für Verbrecher im Dienste mit den Außenstellen koordinieren; das kann dem mächtiger Staaten beenden – das kann er in abseh- IStGH mehr Rückhalt bringen, vor allem in Afrika. barer Zeit nicht.

| 2-2020 12 schwerpunkt meinungsfreiheit Journalismus unter Druck

Die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten sind schwierig: Recherchen zu Korruption oder Menschenrechtsverletzungen sind in vielen Ländern der Welt lebensgefährlich. Medienfeindliche Hetze vergiftet auch in Europa und den USA die Atmosphäre.

Von Juliane Matthey

ehr als 400 Medienschaffende wurden in den vergangenen fünf Jahren weltweit in Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet – die meisten in Syrien, Mexiko und Afghanistan. Zuletzt ging die Zahl Mder getöteten Journalistinnen und Journalisten in Kriegs- und Krisenlän- dern deutlich zurück, während sie in Ländern ohne Kriege oder Bürgerkrie- ge in etwa gleich blieb. Im vergangenen Jahrzehnt waren oft Dutzende von Medienschaffen- den – also professionelle Journalisten, Bürgerreporter sowie Medienmitar- beiter – bei der Ausübung ihres Berufs Kriegshandlungen oder Anschlägen zum Opfer gefallen, vor allem in Syrien, Afghanistan und dem Jemen. 2019 sank diese Zahl auf 18, auch weil viele Journalisten aus diesen Ländern ge- flüchtet sind oder den Beruf aufgegeben haben. Dem standen 2019 mindestens 31 gezielt ermordete Journalisten au- ßerhalb von Kriegen gegenüber. Vor allem in Lateinamerika, aber auch etwa auf den Philippinen sterben Journalisten, weil sie über organisierte Kriminalität, Korruption, Machtmissbrauch oder Menschenrechtsverlet- zungen berichten. Die weitaus meisten dieser Verbrechen bleiben unge- straft, die Täter unbehelligt. Ermittlungen werden über Jahre verschleppt oder es werden vermeintlich Schuldige als Täter präsentiert, während die Drahtzieher oft in politischen und wirtschaftlichen Eliten oder im organi- sierten Verbrechen zu vermuten sind. Die internationale Organisation Re- porter ohne Grenzen macht sich für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauf- tragten für den Schutz von Journalisten stark, um das Problem der Straflo- sigkeit endlich wirksam anzugehen. Denn wenn Strafverfolgung fehlt, füh- len sich potenzielle Täter geradezu ermutigt, kritische Stimmen gewaltsam zum Schweigen zu bringen. Mexiko war neben dem Kriegsgebiet Syrien im Jahr 2019 das gefähr- lichste Land für Journalisten. Zwischen 2006 und 2018, seit Beginn des so- genannten Kriegs gegen die Drogenkartelle, wurden nach Recherchen von Reporter ohne Grenzen und der mexikanischen Menschenrechtsorganisa- tion Propuesta Cívica in Mexiko 116 Journalisten in Zusammenhang mit ih- rer Arbeit ermordet oder verschleppt. Oft erscheint es naheliegend, wer die Morde in Auftrag gegeben hat, etwa wenn eine Journalistin über die Tätig- keiten eines Drogenkartells berichtet hatte oder ein Journalist vor seinem Tod wegen seiner Artikel vom Bürgermeister seiner Stadt eingeschüch- tert worden war. Die Täterschaft eindeutig nachzuweisen, ist aber für Men- schenrechtsorganisationen nahezu unmöglich. Die Morde an zwei Journalisten im Jahr 2019 waren auf tragische Weise beispielhaft für das systematische Versagen der mexikanischen Behörden beim Schutz von Journalisten. Die Polizeireporterin Norma Sarabia Gardu- za wurde im Bundesstaat Tabasco ermordet, nachdem ihr der Schutz ver- wehrt worden war, um den sie aufgrund von Bedrohungen nach ihrer Arti-

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Zugeklebte Münder als Protest für die Pressefreiheit: Palästinensi- sche Journalisten demonstrieren im April 2018 im Gazastreifen gegen die Tötung ihres Kollegens Yasser Murtaja. Der Fotograf war von israe- lischen Sicherheitskräften erschos- sen worden. Said Khatib/AFP via getty images

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kelreihe über Polizeikorruption ersucht hatte. Fran- Welt kontrolliert. Wie reich sie tatsächlich sind, ist cisco Romero Díaz wurde im Bundesstaat Quinta- meist unbekannt, weil ein Großteil ihrer Vermögen na Roo erschossen, obwohl er schon im nationalen in Steuerparadiesen oder dubiosen Stiftungen ver- Schutzprogramm für Journalisten war. Man hatte borgen ist. Unter ihnen sind Carlos Slim (er besitzt ihn mit einem Panikknopf ausgestattet und ihm ei- UnoTV), Ricardo Salinas Pliego (TV Azteca) und Emi- nen Personenschützer zur Seite gestellt. Dieser war lio Azcárraga Jean (Televisa). aber zum Zeitpunkt des Mordes nicht bei ihm. Ro- mero Díaz war vor seinem Tod mehrfach bedroht bwohl die Branche boomt, werden viele me- worden – nach seiner Vermutung von kriminellen xikanische Journalisten so schlecht bezahlt, Banden. dass sie kaum von ihrer Arbeit leben können Zwischen 2006 und 2018 hatten 99 Prozent der Ound umso schutzloser gegen Druck von allen Seiten Verbrechen an Medienschaffenden in Mexiko kei- sind. Zudem ist es in Mexiko üblich, dass die Inhaber nerlei juristische Konsequenzen. Zwar gibt es staat- von Sendelizenzen zugleich in den Parlamenten auf liche Programme zum Schutz von Journalisten, doch Bundes- und Staatsebene sitzen. Staatsgelder wer- sie funktionieren kaum und sind finanziell und per- den, so der Media Ownership Monitor, zum Groß- sonell schlecht ausgestattet. Außerdem erschweren teil an regierungsfreundliche Medien vergeben, re- prekäre Arbeitsverhältnisse die Arbeit der Journalis- gierungskritische Portale erhalten nur einen gerin- ten. Wie aus dem Media Ownership Monitor von Re- gen Anteil. porter ohne Grenzen hervorgeht, werden Mexikos Die Situation in Mexiko ist besonders verhee- Medien von einigen der reichsten Unternehmer der rend, aber grundsätzlich nicht einzigartig in Latein-

Wo Pressefreiheit herrscht – und wo Zensur

2018 2017 Gambia Nicaragua 2017 2018 2018 Malaysia 2017

Pressefreiheit misst Reporter 2018 ohne Grenzen mit einem Index Äthiopien für 180 Länder. Er beruht auf Ein- 2017 schätzungen von Fachleuten 2017 und Medienschaffenden zu Viel- Zentralafr. falt und Unabhängigkeit der Republik Medien und zu ihrem Arbeitsum- 2018 feld sowie auf Daten zu Übergriffen auf Medien. Der Index reicht von 0 2017 (bester Wert) bis 100 (schlechtester Wert). Tansania In einigen Ländern hat er sich 2018 stark 2018 verbessert oder verschlechtert, die Grafik gute Lage (Index bis 15) zeigt je drei Beispiele. zufriedenstellende Lage (Index 15 bis 25) erkennbare Probleme (Index 25 bis 35) schwierige Lage (Index 35 bis 55) sehr ernste Lage (Index über 55)

Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de, Stand Ende 2018

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amerika. In Kolumbien etwa wurden zwischen 1977 Die Zahl inhaftierter Medienschaffender welt- und 2015 mindestens 152 Medienschaffende getötet. weit ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich Die Lage beruhigte sich deutlich nach dem Friedens- gestiegen. Am 1. Dezember 2019 saßen mindestens abkommen zwischen der Regierung und den FARC- 389 Medienschaffende hinter Gittern, fast die Hälfte Rebellen im Jahr 2016, doch zuletzt kam es in länd- davon in nur drei Ländern: China, Ägypten und Sau- lichen Gebieten wieder verstärkt zu Zusammenstö- di-Arabien. ßen zwischen paramilitärischen Gruppen und der Weiterhin sitzen die meisten Journalisten in Chi- na wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. In diesem Jahr hat der Zynismus des Regimes eine neue Stufe er- In Mexiko wird für die zahlreichen reicht. Es veröffentlichte ein Weißbuch, das China als Verbrechen an Medienschaffenden echte Demokratie darstellt; gleichzeitig hat sich die Zahl der inhaftierten Journalisten innerhalb eines praktisch nie jemand juristisch belangt. Jahres auf 120 verdoppelt. Mehr als zwei Fünftel da- von sind Bürgerreporter, die versucht haben, die im- mer schärfere Kontrolle der traditionellen Medien Armee. Die Gewalt in diesen Regionen führt zur Ent- zu umgehen, indem sie soziale Netzwerke als Platt- stehung von sogenannten zonas silenciadas, aus formen für ihre Berichterstattung nutzten. Doch denen so gut wie nicht berichtet wird. Im Mai 2019 auch diese werden von der Kommunistischen Partei wurde im Norden des Landes der Dokumentarfilmer zunehmend kontrolliert und zensiert. Die meisten Mauricio Lezama ermordet, der einen Film über die der neu inhaftierten Medienschaffenden sind musli- Opfer der Konflikte drehen wollte. mische Uiguren aus der Provinz Xinjiang, gegen die In Brasilien haben sich die Arbeitsbedingungen die chinesischen Behörden immer härter vorgehen. für Journalisten unter dem neuen Präsidenten Jair In Saudi-Arabien und Ägypten sitzen jeweils Wo Pressefreiheit herrscht – und wo Zensur Bolsonaro deutlich verschlechtert. Ihre Arbeit war mehr als 30 Journalisten im Gefängnis, die meisten schon immer gefährlich; seit 2010 wurden dort je- von ihnen ohne Prozess oder Anklage. In Saudi-Ara- des Jahr Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. An- bien liegt gegen 22 der 32 derzeit inhaftierten Me- dere wurden bedroht, auf Demonstrationen körper- dienschaffenden keine Anklage vor; in Ägypten wur- lich angegriffen oder mit unfairen Gerichtsprozes- den 30 der 34 Inhaftierten bislang nicht verurteilt. sen überzogen. Seit Bolsonaros Wahlkampf im Jahr In beiden Ländern werden sogar Medienschaf- 2018 prägen aber mehr als je zuvor Hetze, Desinfor- fende schikaniert, die wieder aus dem Gefängnis ent- mation und Gewalt das Klima. International promi- lassen wurden. In Ägypten wurde der unter seinem nentestes Beispiel ist der US-Journalist Glenn Green- Pseudonym Shawkan bekannte Fotojournalist Mah- wald mit seinem investigativen Portal The Intercept, mud Abu Seid im März 2019 nach mehr als fünfein- der im Sommer 2019 über Wochen beschimpft und halb Jahren aus der Haft entlassen – unter der Aufla- 2018 mit dem Tode bedroht wurde. Hintergrund waren ge, dass er für die nächsten fünf Jahre jede Nacht von 2017 Enthüllungen über die Verstrickung von Bolsona- 18 Uhr bis 6 Uhr morgens auf einer Polizeiwache ver- Gambia ros Justizminister Sérgio Moro in den als „Lava Jato“ bringen muss. Nicaragua 2017 bekannten größten Korruptionsskandal Brasiliens. 2018 The Intercept Brasil hatte private Chats des dama- uch die Türkei zählt nach wie vor zu den Län- 2018 ligen Ermittlungsrichters Moro mit Staatsanwälten dern, die viele Journalisten wegen ihrer Ar- Malaysia veröffentlicht, die nahelegten, dass sich Richter und beit einsperren. Zwar wurden einige 2019 aus Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen in dem Ader Haft entlassen oder nach langen Prozessen frei- 2017 Korruptionsfall illegal absprachen und gezielt da­ gesprochen, aber Ende 2019 saßen noch mindestens Pressefreiheit misst Reporter 2018 rauf hinarbeiteten, Ex-Präsident Lula da Silva Straf- 25 Journalisten in Haft, in den meisten Fällen unter ohne Grenzen mit einem Index Äthiopien taten nachzuweisen, um ihn von der Wahl 2018 aus- dem Vorwurf, Terrorpropaganda verbreitet zu ha- zuschließen. ben oder Mitglied der als Terrororganisation einge- für 180 Länder. Er beruht auf Ein- 2017 schätzungen von Fachleuten stuften kurdischen PKK zu sein. In vielen Dutzend 2017 ezielte Morde an Journalisten geschehen weiteren Fällen ist ein direkter Zusammenhang der und Medienschaffenden zu Viel- Zentralafr. vor allem in Ländern, in denen formell kei- Haft mit der journalistischen Arbeit wahrscheinlich, falt und Unabhängigkeit der Republik ne Zensur herrscht, Medien also theoretisch lässt sich aber derzeit nicht nachweisen – auch weil Medien und zu ihrem Arbeitsum- 2018 GKritik an den Mächtigen äußern können, in denen die türkische Justiz die Betroffenen und ihre Anwäl- feld sowie auf Daten zu Übergriffen aber gleichzeitig der Rechtsstaat darin versagt, Jour- te oft lange über die genauen Anschuldigungen im auf Medien. Der Index reicht von 0 2017 nalisten und ihr Recht auf freie Berichterstattung Unklaren lässt. (bester Wert) bis 100 (schlechtester Wert). Tansania zu schützen. Zynisch könnte man formulieren, dass Zudem wurden seit dem Putschversuch in der In einigen Ländern hat er sich 2018 stark 2018 Journalisten in Ländern mit den wirksamsten Zen- Türkei mehr als 150 Zeitungen, Radio- und Fernseh- verbessert oder verschlechtert, die Grafik gute Lage (Index bis 15) surmaßnahmen wie China, Vietnam oder Ägypten stationen verboten. Viele Fernsehsender wurden zu zeigt je drei Beispiele. zufriedenstellende Lage (Index 15 bis 25) sicherer leben. Die wenigen Medienschaffenden, die sogenannten Pinguin-Sendern gleichgeschaltet – erkennbare Probleme (Index 25 bis 35) versuchen, unabhängig zu berichten, sehen sich dort diese Bezeichnung kam im Jahr 2013 in Gebrauch, schwierige Lage (Index 35 bis 55) allerdings dem ständigen Risiko einer Inhaftierung als viele Sender unverdächtige Tierfilme anstelle von sehr ernste Lage (Index über 55) ausgesetzt. Außerdem sterben in diesen Ländern Berichten über den Protest gegen Präsident Erdoğan Journalisten auch durch Folter oder durch Verweige- im Gezi-Park ausstrahlten. Nach Recherchen von Re- Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de, Stand Ende 2018 rung medizinischer Behandlung. porter ohne Grenzen gehören inzwischen neun der

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Mexiko ist neben Syrien das zehn meistgesehenen Fernsehsender und neun der Auch in manchen Ländern, in denen keine offen- gefährlichste Land für Journalisten. zehn meistgelesenen überregionalen Tageszeitun- sichtliche staatliche Zensur herrscht und Journalis- In Mexiko-Stadt erinnern im Juli gen regierungsfreundlichen Unternehmen. ten vergleichsweise frei und sicher leben, beobach- 2018 Medienschaffende an getötete Während in der Türkei vor allem professionelle tet Reporter ohne Grenzen beunruhigende Zustände Kolleginnen und Kollegen. Journalisten juristisch verfolgt werden, steigt in eini- – etwa in den 21 Ländern, deren Medienlandschaften gen Ländern die Zahl inhaftierter sogenannter Bür- in den vergangenen fünf Jahren für das Media-Ow- Unten: Ein Reporter berichtet bei gerjournalisten, die versuchen, vor allem über sozi- nership-Monitor-Projekt untersucht wurden. Dazu einer vom syrischen Regime organi- ale Netzwerke etwa in autoritären Staaten klassische gehören neben Mexiko und Ägypten auch Alge- sierten Pressereise aus Damaskus. Zensur zu umgehen. Neben China sind das unter an- rien, Argentinien oder Serbien. In fast allen 21 Pro- Yuri Cortez/Afp via getty images derem Vietnam und der Iran, wo die klassischen Me- jektländern dominieren einige wenige einflussrei- Louai Beshara/afp via Getty images dien fast komplett auf Regierungslinie sind. che Unternehmen mit starken Verbindungen in die Politik die jeweiligen Medienmärkte und beeinflus- sen so, was ein Großteil der Bevölkerung sieht, liest und hört. In Pakistan zum Beispiel bedienen die vier Hauptfernsehsender mehr als zwei Drittel des Pub- likums, die vier Top-Zeitungen erreichen sogar 80 Prozent der Leser.

ie Arbeitsbedingungen für Journalisten sind im internationalen Vergleich in Europa, spe- ziell der Europäischen Union, noch immer Dam besten. Gleichzeitig hat sich dort wie in kaum einer anderen Weltregion die Lage der Pressefrei- heit in den vergangenen Jahren stark verschlech- tert, wie der Blick auf die Ranglisten der Pressefrei- heit zeigt. Die Medienkonzentration schreitet in vie- len Ländern fort, was häufig zu weniger Meinungs- und Themenvielfalt führt. In manchen Ländern wird auch versucht, politischen Einfluss auf die Berichter- stattung zu nehmen. In Ungarn wurden im Herbst 2018 fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst, um ihre Inhal- te zentral zu koordinieren. Auch in Deutschland und

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anderen westlichen Ländern, die in der Rangliste der in Malta erst nach mehr als zweijährigen Ermittlun- Pressefreiheit eigentlich ganz oben stehen, hat die gen voller Versäumnisse und auf großen internatio- Vielfalt gerade im Tageszeitungsbereich in den ver- nalen Druck hin geschieht. gangenen 20 Jahren dramatisch abgenommen. Und es gibt auch Länder, in denen Medien freier werden. Äthiopien etwa. Nach dem Regierungswech- sel im April 2018 entließ der neue Präsident Abiy Ah- Eine Demokratisierung wirkt sich günstig med alle inhaftierten Medienschaffenden aus dem auf die Pressefreiheit aus – zuletzt Gefängnis. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jah- ren war kein Journalist mehr in Haft. Außerdem gab zum Beispiel in Gambia und Äthiopien. er mehr als 200 seit Jahren blockierte Nachrichten- seiten und Blogs frei. Äthiopische Fernsehsender mit Sitz im Ausland können nun frei arbeiten. Eine Kom- Zudem sind Journalisten in Europa zunehmend mission soll repressive Gesetze überarbeiten, darun- medienfeindlicher Hetze ausgesetzt. Während Präsi- ter ein Terrorismusgesetz von 2009, das vor allem dent Donald Trump in den USA unliebsame Journa- dazu diente, Medienschaffende zu inhaftieren. listen zu „Staatsfeinden“ erklärt hat, kamen in den vergangenen Jahren auch von Staats- und Regie- ambia hat sich auf der Rangliste der Presse- rungschefs etwa in Serbien, Tschechien und der Slo- freiheit in den vergangenen fünf Jahren sogar wakei geschmacklose Verbalattacken auf Journalis- um mehr als 60 Plätze verbessert. Am 1. De- ten. In Deutschland kommen Vorwürfe wie „Lügen- Gzember 2016 wurde dort der seit 22 Jahren autoritär presse“ fast ausschließlich aus dem rechtspopulisti- regierende Präsident Yaya Jammeh abgewählt. Seit- schen Lager. dem können sich die Medien freier entfalten: Staat- Solch ein vergiftetes Klima kann den Boden für liche Gewalt gegen Journalisten ist zurückgegangen, Gewalt gegen Medienschaffende oder für staatli- Zensurgesetze und das Verbot privater Rundfunksen- che Repression bereiten. Das haben nicht zuletzt die der wurden aufgehoben und viele exilierte Journalis- Morde an Ján Kuciak im Februar 2018 in der Slowa- ten sind ins Land zurückgekehrt. Die Regierung hat kei und Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 in ein neues Mediengesetz in Aussicht gestellt und will Malta gezeigt. Einen Lichtblick in Zusammenhang Haftstrafen für Pressedelikte abschaffen, die Verbre- mit diesen Verbrechen, die viele zuvor in der EU für chen der Diktatur aufarbeiten und den Schutz der unvorstellbar hielten, gibt es aber doch: Die Ermitt- Meinungsfreiheit in einer neuen Verfassung fest- Juliane Matthey lungen sind inzwischen weit vorangeschritten und schreiben. Demokratisierungs- und Öffnungsten- ist Pressereferen- es besteht die Chance, dass auch die Hintermänner denzen wirken sich grundsätzlich günstig auf die tin bei Reporter zur Rechenschaft gezogen werden – auch wenn dies Pressefreiheit aus. ohne Grenzen.

| 2-2020 18 schwerpunkt Meinungsfreiheit Kritische Fragen unerwünscht Jeden Tag gehen überall auf der Welt Journalistinnen­ und Journalisten ihrer Arbeit nach. Manche riskieren dabei viel, unter Umständen sogar ihr Leben. Fünf Kolleginnen und Kollegen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, die regelmäßig für „welt-sichten“ schreiben, schildern, wie es bei ihnen um die Meinungs- und Pressefreiheit bestellt ist.

Es gibt einigen Grund zur Sorge Indien gilt als größte Demokratie der Welt. Aber eine beit einige Male belästigt worden, meistens über Twit- wachsende Welle an Nationalismus und eine zuneh- ter. Aber als amerikanische Staatsbürgerin, die für mend autokratische Führung gefährden die Mei- westliche Medien schreibt, konnte ich meistens ohne nungs- und Pressefreiheit. Störung über die Themen berichten, die mich interes- Die Regierung versperrt aus- sieren. Viel düsterer ist die Lage für einheimische Jour- ländischen Reportern den nalisten vor allem auf dem Land, die in lokalen Spra- Zugang zu Kaschmir, der chen berichten und eine sehr wichtige Arbeit machen. am stärksten militarisierten Sechs wurden im Jahr 2018 laut Reporter ohne Gren- Zone der Welt, und als Folge zen in Indien getötet. einer andauernden Internet- Insgesamt fühle ich mich sicher, aber unlängst blockade dort dringen nur we- wurde ich daran erinnert, dass auch ausländische nige Geschichten nach drau- Journalistinnen von der Regierung für ihre Arbeit ab- ßen. Die Regierung macht es gestraft werden können: Im vergangenen November ausländischen Journalistinnen wurde einem Reporter des „Time Magazine“ das Dau- außerdem sehr schwer, nach As- ervisum entzogen, nachdem er in einer Titelgeschich- sam zu reisen, den Bundesstaat te den Premierminister kritisiert hatte. Es gibt einigen Namrata Kolachalam ist Autorin im Nordosten, wo gerade zwei Grund zur Sorge, wie Indien mit den Medien umgeht. und lebt in Mumbai, Indien Millionen Menschen die Staats- Und schaut man sich an, wohin das Land sich entwi- bürgerschaft entzogen werden ckelt, braucht es mehr denn je eine faire und akkurate soll. Ich bin während meiner Ar- Berichterstattung.

Wiedersehen vor Gericht Nigeria steht in punkto Pressefreiheit schlecht über ihren eigenen Fall urteilen. Es waren auch da. Mord, Überfälle, Belästigungen und Verhaf- viele Reporter da, und es war klar, dass die Ge- tungen sind einige der Gefahren, denen Journa- schichte Schlagzeilen machen würde. Die Rich- listen während ihrer Arbeit hier ausgesetzt sind. terin hat wohl gespürt, dass sie noch schlechter Als ich vor Jahren in Lagos für das inzwischen in den Medien wegkommen könnte als ohnehin eingestellte Magazin „Newswatch“ arbeitete, gab schon, und beendete die Sitzung plötzlich. Da- es im Büro einen Witz: Wenn kritische Artikel mit war der Fall erledigt. über die Regierung erscheinen sollten, hieß es, die Für mich als Journalist war das ein Moment Autoren sollten schon mal die Zahnbürste einpa- des Sieges über die Straffreiheit für Staatsbe- cken, da sie sicher demnächst verhaftet würden. Sam Olukoya ist freier Journalist dienstete. Aber die Atmosphäre, in der ich hier Einmal habe ich an einer Story über eine kor- in Lagos, Nigeria arbeite, hat sich seitdem nicht verändert. Es rupte Richterin am Obersten Gerichtshof mitgear- ist heikel, über Offizielle zu berichten, die Mil- beitet; es war unsere Titelgeschichte der Woche. Die lionen Euro an Staatsgeldern veruntreut haben. Wenn man so etwas Richterin ließ sofort alle sieben namentlich genannten Autoren verhaf- schreibt, besteht das Risiko, verhaftet zu werden – wegen strafbarer Ver- ten. Einige Tage später wurden wir vom Gefängnis vor die Kammer der leumdung, wie die Polizei das nennt. Wenn ich meine Arbeit mache, be- Richterin aus unserer Geschichte gebracht. Wir hatten ziemlich viele steht immer die Gefahr, dass wütende Staatsangestellte oder Sicher- Anwälte dabei, und was eigentlich ein Gerichtsverfahren werden sollte, heitskräfte meine Kameras oder Aufnahmegeräte zerstören. Und als artete schnell in einen lauten Schlagabtausch zwischen ihnen und der wäre das nicht schon genug, plant die Regierung strengere Gesetze, von Richterin aus. Die Anwälte argumentierten, die Richterin könne nicht denen eines ursprünglich sogar die Todesstrafe für Hassreden vorsah.

2-2020 | meinungsfreiheit schwerpunkt 19 Kritische Fragen unerwünscht Ich habe von vielen Geschichten die Finger gelassen Ich habe vor fünf Jahren mit dem Journalismus angefangen, als ich noch zur High School ging. Ich war jung und naiv und dachte, wenn es auch sonst an Vielem fehlt in Afghanistan, es herrscht immerhin Meinungsfreiheit. Aber die Arbeit in den vergan- genen Jahren hat mir klar gemacht, dass Journalisten hier mit Angst, Drohungen und Gefahren fertigwerden müssen. Die Aufstände sind eine der wichtigsten Gefahrenquellen. Die Kämpfe zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung gehen praktisch überall weiter. Das hat zur Folge, dass ich nicht überall hinfahren kann, um zu schreiben. Eine weitere Ge- fahr für mich und andere Journalisten ist, dass Recht und Gesetz nicht viel zählen. In Afghanistan wurden im Jahr 2018 laut Reporter ohne Grenzen 15 Journalis- ten getötet. Die Regierung hat zwar die besten Gesetze zum Schutz von Journa- listen beschlossen, aber tatsächlich tut sie nichts für unsere Sicherheit. Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich in einem Korruptionsfall recherchiere. Ich habe von vielen Geschichten die Finger gelassen, einfach weil mir das Risiko zu groß war. Ezzatullah Mehrdad (links) ist freier Journalist und lebt in Kabul, Afghanistan

Der Präsident beschimpft die Presse Brasiliens Verfassung verbietet jede Form nicht in Gegenden bewegen, in denen die von Zensur. In der Praxis allerdings war organisierte Kriminalität das Sagen hat. ich in den zehn Jahren meiner Arbeit als Während der Recherche für eine Artikel- Reporterin mit einigen Hürden konfron- serie in São Paulo, der größten Stadt des tiert. Seit dem Jahr 2011 gilt ein Gesetz, das Landes, wurde ich von solchen Leuten ge- den Staat verpflichtet, sämtliche von Jour- stoppt. nalisten angefragte Informationen her- Seit Präsident Jair Bolsonaro im Amt auszugeben. Das war ein Durchbruch, aber ist, haben sich die Angriffe auf die Pres- viele meiner Anfragen wurden ignoriert se verschlimmert. Bolsonaro hat der oder ohne Angabe von Gründen zurück- Presse die Legitimation abgesprochen, gewiesen. Ein Magazin, für das ich schrei- er hat sie sogar als „Feind“ bezeichnet be, durfte sogar nach einem Gerichtsbe- und einzelne Journalisten beschimpft. Sarah Fernandes ist Journalistin und Geografin schluss nicht mehr verkauft werden, weil Nach Angaben der brasilianischen in São Paulo, Brasilien eine politische Partei klagte, ihr Gegner Journalistenvereinigung hat der Präsi- schneide darin besser ab. dent die Medien im vergangenen Jahr Ein anderes Problem ist die Gewalt zwischen Januar und Oktober in 99 in Brasilien. Journalistinnen sollten sich Äußerungen attackiert.

Gar nicht cool In El Salvador wird die Informationsfreiheit zuneh- werden. Journalisten, die für kritische Fragen bekannt mend eingeschränkt. Nayib Bukele, ein Unternehmer, sind, bekommen keine Interviews und werden sogar – der mit 38 Jahren im Juni 2019 Präsident wurde, ori- wie die Kollegen der Internetzeitungen „El Faro“ und entiert sich an Donald Trump: Er geht Journalisten „Factum“ – von Pressekonferenzen ausgeschlossen. Da- und Journalistinnen aus dem Weg und regiert mit für wurde Bukele von der Interamerikanischen Men- der Plauder-Plattform Twitter. Sein erster Monat im schenrechtskommission gerüffelt. Seine Pressestelle Amt war geprägt von nächtlichen Tweet-Orgien, in antwortete, die Fragen der Journalisten hätten Respekt denen er die Entlassung von Staatsangestellten an- vermissen lassen. Die gesetzlich vorgeschriebenen In- ordnete. Seine Faszination für solche Netzwerke ternetseiten, auf denen die Regierung Gehälter, Verträ- geht so weit, dass er am Rednerpult der UN-Gene- ge und Reisekosten veröffentlichen muss, sind schon ralversammlung erst ein Selfie von sich aufnahm, lange nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Anfragen bevor er sprach. „Dieses Selfie werden mehr Leute nach an sich öffentlicher Information bleiben meist sehen, als diese Rede hören“, sagte er. unbeantwortet. Bukele nennt sich selbst den „bestaus- Er liebt Facebook und Twitter, weil seine Mo- sehendsten und coolsten Präsidenten der Welt“. Sein Cecibel Romero ist freie nologe dort von niemandem in Frage gestellt Verhältnis zu Journalisten ist alles andere als cool. Journalistin in San Salvador

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Stefaans Brümmer, Mitgründer von amaBhungane, im Büro seiner Organisation in Kapstadt. Er hat mit Kollegen einen großen Korruptions- skandal auf­ gedeckt.

Die Unbestechlichen

Von Christian Putsch (Text und Foto)

Wie in Südafrika die er jahrzehntelang in Südafrika als inves- Kapstadt und Johannesburg beschäftigt, hatten Zu- Journalisten des tigativer Journalist arbeitet, der lässt sich mas Reich in den Grundfesten erschüttert. Brüm- nicht mehr leicht einschüchtern. So man- mer war ein logisches Ziel der Kampagne. So wie amaBhungane-Zentrums Wches Mal gerieten Stefaans Brümmer und seine Kol- auch sein Partner und amaBhungane-Mitgründer zum Sturz von Präsident legen in das Visier des Korruptionsnetzwerks, das Sam Sole. Von dem besorgten sich Zumas Anwälte Jacob Zuma beigetragen der ehemalige Präsident Jacob Zuma aufgebaut hat- sogar Mitschnitte von abgehörten Telefonaten. Be- haben. te. Dessen „Geschäftspartner“, angeführt von der in- lastendes konnten sie nicht präsentieren. dischen Gupta-Familie, hatten mit Hilfe der briti- Einmal wurde Brümmer bei einer Podiumsdis- schen PR-Firma Bell Pottinger über 200.000 Tweets kussion mehrfach von Zuma-Anhängern geschubst. abgesetzt. Überwiegend waren sie gegen weiße Un- Er sagt, er habe wegen so etwas nie Angst gehabt. ternehmer und politische Gegner gerichtet. Sie soll- „Das demokratische Südafrika hat keine Kultur der ten besonders in den Jahren 2016 und 2017 von den Gewalt gegen investigative Journalisten.“ Trotz aller kriminellen Machenschaften Zumas und der Gupta- Schwächen sei die Pressefreiheit in Südafrika relativ Familie ablenken und Aufklärer wie Brümmer dis- gut geschützt, eine von Zuma vorangetriebene Ver- kreditieren. So wurden auch Fotos mit Brümmers schärfung der Mediengesetze wurde wegen der Pro- Gesicht verbreitet. „Wir werden uns diesen weißen teste der Zivilgesellschaft nie Realität. Rassisten zur Brust nehmen“, hieß es auf einem der Der schlanke Journalist sitzt in seinem Büro, ein Bilder. dunkles, bescheiden eingerichtetes Zimmer im Hin- Brümmer ist einer der profiliertesten Journalis- terhof des berühmten Community House in einem ten Südafrikas. Die Recherchen des von ihm mitge- Arbeiterviertel Kapstadts. Schon zu Apartheidzei- gründeten amaBhungane-Zentrums, das zehn her- ten organisierte sich hier Widerstand gegen korrup- vorragende Journalistinnen und Journalisten in te Mächtige mit Hang zu Menschenrechtsverletzun-

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gen. Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisati- nommierten Zeitung „Mail&Guardian“, die rund onen hatten und haben hier ihre Räume. Eine Hei- 200.000 Euro jährlich investierte. Zusätzlich gingen mat für die Mutigen des Landes. Brümmer und Sole auf Stiftungen zu, hinter denen Und der Rastlosen. Seit Anfang 2018 ist Zumas oft steinreiche Philanthropen stecken. Mit Erfolg: Präsidentschaft Geschichte. AmaBhungane, was Im Jahr 2016 konnte sich amaBhungane von der Zei- auf Zulu „die Mistkäfer“ bedeutet, hatte Tausende tung unabhängig machen. ­E-Mails zugespielt bekommen, in denen deutlich Acht dieser Stiftungen machen zusammen in- wurde, wie die indischstämmige Gupta-Familie Zu- zwischen den größten Anteil der Finanzierung mas Regierung und staatliche Firmen unterwandert von amaBhungane aus. Mit weitem Abstand folgt und sich so umgerechnet mehrere Milliarden Euro Crowdfunding, das in diesem Jahr wohl rund 25 Pro- gesichert hatte. In das Konzerngeflecht waren meh- zent des Budgets decken wird – etwas weniger als er- rere Familienmitglieder Zumas eingewoben, der so wartet. zumindest indirekt ordentlich mitverdient haben dürfte. Immer neue Informanten fütterten amaB- hungane mit belastendem Material. Am Ende war „Unsere Pflicht ist es, die Öffentlichkeit der Präsident auch für seine Partei, den regierenden zu informieren. Wir sind African National Congress (ANC), nicht mehr trag- bar. Journalisten und nicht Aktivisten.“

uma wurde von den eigenen Leuten zum Rück- tritt gezwungen. Selten hatten Journalisten an Anton Harber, Professor für Journalismus an der einem derartigen Vorgang vergleichbaren An- Johannesburger Wits-Universität, sieht in derartigen Zteil. Es waren gelinde gesagt stressige Monate für das Finanzierungsmethoden die Zukunft. „Traditionelle amaBhungane-Zentrum. Es ging vor allem darum, Geschäftsmodelle brechen weg, es gibt definitiv eine die Identität und damit auch die Sicherheit der In- Verlagerung zu philanthropischer Finanzierung“, formanten zu schützen. Experten berieten die Jour- sagt Harber, „die herausragende Gupta-Recherche nalisten, wie sie ihre Daten geschützt sichern – mit von amaBhungane war ein starkes Argument, diese Erfolg: Niemand wurde enttarnt. Arbeit zu unterstützen.“ Wichtig sei es aber gerade Inzwischen sieht die Öffentlichkeit ihren ehe- bei von Großspendern dominierten Modellen, auf maligen Präsidenten Zuma vor allem vor Gericht, journalistische Unabhängigkeit zu bestehen, sagt wo er sich zunächst wegen lange zurückliegender der Professor, der Crowdfunding in dieser Hinsicht Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit Waf- für deutlich besser hält. fengeschäften um die Jahrtausendwende rechtfer- tigen muss. Brümmer empfindet beim Betrachten as sieht auch Brümmer so. Deshalb möchte er dieser Bilder keine Genugtuung, obwohl er damals den Anteil, der über kleinere Beträge einzel- als junger Reporter an der Aufklärung auch die- ner Bürger zusammenkommt, möglichst bald ser Vorfälle mitgewirkt hatte. „Unsere Pflicht ist es, Dauf über 50 Prozent steigern und sein Zentrum von die Öffentlichkeit zu informieren. Nicht mehr und den Stiftungen unabhängiger machen. Schon jetzt nicht weniger. Wir sind Journalisten und nicht Ak- ist in der amaBhungane-Satzung festgeschrieben, tivisten.“ dass kein einzelner Spender mehr als 20 Prozent des Und er hat gar keine Zeit für derartige Emoti- Jahresbudgets stellen soll. Unabhängigkeit bleibt das onen. Es gilt, die Finanzierung von amaBhungane oberste Gut. für das kommende Finanzjahr sicherzustellen, Tex- Ein Balanceakt, der nicht immer leicht zu bewäl- te zu redigieren und juristisch wasserdicht zu ma- tigen ist. Vor einiger Zeit berichtete amaBhungane chen, eigene Recherchen voranzutreiben. „Es gab kritisch über einen Unternehmer, der zu den Haupt- vor Zuma keinen Mangel an Themen, und es gibt geldgebern einer Stiftung zählte, die wiederum zu auch jetzt keinen“, sagt Brümmer, „ohne freie Medi- den wichtigsten Unterstützern des Zentrums gehör- en hätte dieses Land eine grundlegend andere Ent- te. Ein möglicher Interessenkonflikt lag in der Luft, wicklung genommen.“ In jungen Demokratien wie was zeigt, warum Redaktion und Verlag getrennt ar- Südafrika hätten diese Kontrollinstanzen besonde- beiten sollten. re Bedeutung. Für das kleine amaBhungane-Team ist das nur Er glaubt weiter an den Erfolg Südafrikas, trotz begrenzt möglich. Die vielfach preisgekrönten Jour- der anhaltenden Wirtschaftskrise und des verrot- nalisten Sole und Brümmer sind neben der Recher- teten ANC, der die Aufklärung von Zumas Staats- che auch für die Spendensuche verantwortlich. plünderung nur mit mäßigem Elan angeht. Und er Brümmer war in diesem Fall der Kontaktmann zur Christian Putsch glaubt weiter an die Zukunft investigativer Recher- Stiftung und überließ die Recherche schließlich rein ist freier chen, trotz der schwindenden Einnahmen – die Me- redaktionell arbeitenden Kollegen des Zentrums, Südafrika- dienkrise hat in Südafrika später eingesetzt als in um nicht den Eindruck der Befangenheit zu erwe- Korrespondent den Industrienationen, doch seit einigen Jahren gibt cken. Dass der Text von amaBhungane ungeschönt in Kapstadt es auch hier Sparrunde um Sparrunde. veröffentlicht wird, stand dabei nie infrage: „Wenn (www. Im Jahr 2009 gründeten Brümmer und Sole es eine Geschichte gibt“, sagt Brümmer, „dann muss christianputsch. amaBhungane, zunächst zusammen mit der re- man sie natürlich machen.“ com).

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Seit einem halben Jahrhundert werden Journalisten aus dem globalen Süden von deutschen Organisationen fortgebildet. Hilfe für Doch inzwischen umfasst die Medien­ entwicklungszusammenarbeit mehr als eine starke Trainings. Von Moritz Elliesen

echerchieren, Interviews führen, eine gute Ge- vierte Gewalt schichte schreiben: Das hat Sofia Mapuranga schon in der Journalistenschule in Harare ge- Rlernt, der Hauptstadt Simbabwes. Nicht aber, wie sie verhindert, dass die Regierung ihre E-Mails mitliest oder korrupte Unternehmer ihr Handy ausspähen. „Ich hatte keine Ahnung von digitaler Sicherheit“, er- zählt die 40-Jährige Journalistin aus Simbabwe An- fang Dezember 2019 in Berlin. Als eine der wenigen unabhängigen Journa- listinnen lebt sie gefährlich in dem südafrikani- schen Land. Auf der von Reporter ohne Grenzen er- stellten Rangliste der Pressefreiheit steht Simbabwe auf Platz 127 von 180. Der Staat darf Telefonate und den ­E-Mailverkehr von Journalisten ohne Richterbe- schluss überwachen. „Bedrohungen erleben wir tag- täglich“, sagt Mapuranga. Behörden und Unterneh- men übten Druck auf Journalisten aus, die sich kri- tisch äußern. Seit Mapuranga am Berliner Stipendienpro- gramm zur Stärkung von Journalisten im digitalen Raum von Reporter ohne Grenzen teilgenommen hat, kann sie ihre Mails verschlüsseln und weiß, wie sie mit dem Tor-Browser auf von der Regierung ge- sperrte Internetseiten gelangt. Seit 2018 lädt Repor- ter ohne Grenzen Medienschaffende aus Kriegs- und Krisenländern für vier Monate nach Berlin ein und schult sie in Sachen digitaler Sicherheit. Insgesamt 17 Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt wur- den bisher fortgebildet, zurück in ihren Heimatlän- dern sollen sie das Erlernte an Kollegen weitergeben. In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit haben Workshops für Journalisten aus dem Süden eine lange Tradition. Bereits 1965 wurden die ersten afrikanischen Radiojournalisten und -techniker von Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Auslands- senders Deutsche Welle (DW) geschult. Trainings für Journalisten aus Entwicklungsländern sind bis heu- te eine wichtige Säule der staatlichen und nichtstaat- lichen Medienentwicklungszusammenarbeit. Doch sie sind heute nur noch ein Teil der Medienförde- rung – und auch ihre Ziele haben sich verändert. In den 1960er und 1970er Jahren wollten deut- sche und internationale Geber mit dem Aufbau von

Interviews führen, fotografieren, filmen: Medientraining der Deutschen Welle Akademie in Burkina Faso. DW/K. Pape

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Radiostationen und Fernsehsendern zur Entwick- lung in anderen Bereichen beitragen, etwa der Wirt- schaft und der Bildung. „Die Ziele der Medienförde- rung waren entwicklungsbezogen gedacht“, sagt So- fie Jannusch, Koordinatorin des Forums Medien und Entwicklung, eines Netzwerks von 24 deutschsprachi- gen Medienentwicklungsorganisationen. „Beispiels- weise wurden Radiosender aufgebaut, damit dort Al- phabetisierungskurse laufen.“ Erst seit den 1980er Jahren sei der Aufbau unabhängiger Medien als vier- ter Gewalt ein eigenständiges entwicklungspoliti- sches Ziel. Heute betont das deutsche Entwicklungsministe- rium (BMZ) beide Aspekte. Die Meinungs- und Medi- enfreiheit und der freien Zugang zu Informationen seien unveräußerliche Menschenrechte und „tragen- de Pfeiler einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft“, erklärt eine BMZ-Sprecherin. Gleichzei- tig begünstigten freie Medien gute Regierungsfüh- rung und Korruptionsbekämpfung. „Sie leisten einen Beitrag zu friedlicher Konfliktlösung, zu Bildung und Was ist die richtige Kamera­ Wissen und wirtschaftlicher Entwicklung.“ einstellung? Im Flüchtlingslager Schatila im Libanon bildet die ie mit Abstand größte Partnerorganisation DW Akademie seit 2016 Flücht- des BMZ im Bereich Medienförderung ist die linge zu Bürgerjournalisten aus. DW Akademie, das 2004 gegründete Ausbil- DW/Nazir al Jezairi Ddungszentrum der Deutschen Welle. 2013 hat das BMZ die DW Akademie zum strategischen Partner er- „Bedrohungen erleben wir klärt; in seinem Auftrag setzt sie in 25 Ländern Medi- tagtäglich“: Die simbabwische enprojekte mit jeweils eigenen Schwerpunkten um. Journalistin Sofia Mapuranga Die Akademie erhält den größten Teil des jährlichen berichtet im Dezember 2019 in BMZ-Budgets für die Medienförderung – 2019 rund Berlin von ihrer Arbeit. 24 Millionen von insgesamt 30 Millionen Euro. Die Jule Halsinger/Reporter ohne grenzen restlichen 6 Millionen gingen an nichtstaatliche Or- ganisationen wie Reporter ohne Grenzen. Insgesamt hat das Entwicklungsministerium das Budget für die Medienförderung seit 2014 fast verdoppelt. Doch es fließt nicht nur mehr Geld. Im Rahmen häusern Konzepte erarbeitet, wie sie hochwertige Be- der 2013 vereinbarten Partnerschaft haben das BMZ richterstattung leisten und gleichzeitig nachhaltig und die DW Akademie einen neuen strategischen An- wirtschaften können. satz erarbeitet, der den Mediensektor als Ganzes in Auch beim früheren Kerngeschäft, der Ausbil- den Blick nimmt. Die Ausbildung von Journalisten dung und Beratung einzelner Journalisten, hat sich sei nur noch „ein Element neben anderen“, sagt Jan viel getan. „Früher wurden für ein paar Wochen Trai- Lublinski, Leiter der Abteilung Policy and Concepts ner aus Deutschland eingeflogen, um vor Ort Work- der DW Akademie. Früher war der gelernte Wissen- shops zu geben“, sagt Lublinski. Inzwischen versuche schaftsjournalist selbst als Trainer in Entwicklungs- man eher, die Ausbildungsinstitutionen in den Pro- ländern unterwegs. „Nur Journalisten auszubilden, jektländern zu stärken. So berate die Akademie Uni- ändert nicht viel“, sagt er heute. „Ein Journalist, der versitäten oder Journalistenschulen bei der Erstel- sein Handwerkszeug gelernt hat, aber in eine Redak- lung der Lehrpläne. Oft versuchten sie dabei, prakti- tion zurückkommt, die kaum Geld hat und vielleicht sche Elemente in die Ausbildung zu integrieren, etwa von Selbstzensur geprägt ist, wird nichts bewegen in Form von Lehrredaktionen oder einem Campusra- können.“ dio, sagt Lublinski. „Das ist besser, als selbst hinzuge- Unter anderem setzt sich die DW Akademie des- hen und das Training zu machen.“ halb auch für die Verbesserung der politischen und Nicht nur die DW Akademie, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für Medienschaf- parteinahen Stiftungen fördern Medienhäuser und fende ein. In der Mongolei und Myanmar habe sie Journalisten im globalen Süden – die CDU-nahe Kon- beispielsweise die Regierung beim Aufbau von Pres- rad Adenauer Stiftung (KAS) etwa in Subsahara-Afri- seräten beraten, sagt Lublinski. Grundsätzlich sei die ka, Asien und Südosteuropa. In Asien bietet sie un- Arbeit an den politischen Rahmenbedingungen aber ter anderem Seminare für investigativen Journalis- heikel: „In manchen Ländern ist das nicht gewollt.“ mus und Online-Formate an. Im Medienprogramm Die neue Strategie sieht auch vor, dass die DW Aka- Afrika spielt die Ausbildung von Journalisten keine demie gemeinsam mit Redaktionen und Medien- Rolle. „Wir müssen einem kongolesischen Journalis-

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Schweiz: Hilfe für Medien in Krisenländern

Die Schweiz unterstützt seit mehreren Jahren Zei- senländern spezialisiert ist. Unter anderem bildet tungredaktionen, Radiostationen und Fernseh- die Stiftung lokale Journalistinnen und Journalis- sender in Entwicklungsländern. Ziele seien un- ten aus und unterstützt Radiostationen. Für Men- ter anderem, eine informierte öffentliche Mei- schen, die in Konflikten leben, sei der Zugang zu nung zu fördern, die auf einer „wahrheitsgemä- zuverlässigen Informationen besonders wichtig, ßen Darstellung von Ereignissen“ aufbaue, sowie erklärt der DEZA-Sprecher. die Meinungsfreiheit zu gewährleisten, erklärt ein Die Stiftung erhält von der DEZA einen jähr- Sprecher der Schweizer Direktion für Entwicklung lichen Programmbeitrag, im Jahr 2018 mehr als und Zusammenarbeit (DEZA). Zudem führe die drei Millionen Franken. Das Gesamtbudget der Schweiz mit den Regierungen der Partnerländer DEZA für die Medienförderung lag bei 5,3 Millio- Gespräche, um die Sicherheit für Journalisten zu nen Franken. Der Großteil der Mittel wurde dem verbessern. DEZA-Sprecher zufolge in Subsahara-Afrika inves- In der Medienförderung kooperiert die DEZA tiert. Außer Hirondelle fördert die DEZA auch lo- vor allem mit der Stiftung Hirondelle, einer 1995 kale nichtstaatliche Organisationen und Redak- gegründeten Organisation zur Medienentwick- tionen. Kriterien dafür seien „ein gemeinsames lung mit Sitz in Lausanne, die auf die Unterstüt- Verständnis von demokratischem Pluralismus zung unabhängiger Medien in Konflikt- und Kri- und professionellem Journalismus“. (me)

ten nicht beibringen, was der Unterschied zwischen geraten. Insgesamt 140 Journalisten aus der ganzen einer Nachricht und einer Meinung ist“, sagt der Lei- Welt hat das Nothilfe-Referat 2018 unterstützt. ter des KAS-Medienprogramms Subsahara-Afrika, Im Forum Medien und Entwicklung tauschen Christoph Plate. sich die deutschen und eine Schweizer Organisation Plate hat mehrere Jahre für die ARD und den aus, die Medien im Süden fördern. „Das wechselsei- „Spiegel“ aus Nairobi berichtet. „Guter Journalismus tige Lernen, die Kooperation und Koordination ste- kann nur funktionieren, wenn den Journalisten ein ordentlicher Lohn gezahlt und die Anfälligkeit für Korruption reduziert wird“, sagt er. Deshalb versucht Früher wollten Geber mit dem Aufbau von die Stiftung, gemeinsam mit Verlegern und Redak- Radiostationen und Fernsehsendern zur Entwicklung teuren, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Da- bei setzt Plate vor allem auf den Austausch zwischen in anderen Bereichen beitragen. den Redaktionen: „Wenn ein Verleger aus Mali er- zählt, dass sie die Diaspora anzapfen, ist das für die Kollegen aus Südafrika vielleicht eine wertvolle Anre- hen im Vordergrund, auch wenn viele von uns auf gung“, sagt er. Auch die SPD-nahe Friedrich Ebert Stif- dieselben Geldgeber angewiesen sind“, sagt die Fo- tung hat regionale Medienentwicklungsprogramme rumskoordinatorin Jannusch. Auch der Platzhirsch, in Afrika und Lateinamerika. Die Stiftungen anderer die DW Akademie, ist Teil des Netzwerks. Die anderen Parteien wickeln einzelne Medienprojekte über ihre Organisationen leisteten mit ihrem regionalen oder Länderbüros ab. thematischen Fokus einen wichtigen Beitrag und er- gänzten die eigene Arbeit, betont Lublinski von der arüber hinaus verfolgen eine Vielzahl kleiner DW Akademie. und mittelgroßer Organisationen in der Me- Die simbabwische Journalistin Mapuranga ist dienentwicklungszusammenarbeit jeweils ei- nach dem Aufenthalt in Berlin nach Harare zurück- Dgene Schwerpunkte. Der Catholic Media Council (Ca- gekehrt. Von dort berichtet sie vor allem für die On- meco) etwa berät kirchliche Hilfswerke aus Deutsch- line-Plattform „Zimeye“ aus dem autoritär regierten land und Partnerorganisationen im globalen Süden Land. Nebenbei trifft sie sich mit Kollegen, um das bei lokalen Medienprojekten. Besonders indigene Erlernte weiterzugeben. „Meine Kollegen sind sehr Gemeinschaften seien häufig auf lokale Medien an- wissbegierig“, sagt sie. Doch vor allem für freie Jour- gewiesen, weil ihre Anliegen in den großen, überre- nalisten sei es schwierig, sich die Zeit für ihre Work- gionalen Zeitungen sowie Radio- und Fernsehsen- shops zu nehmen. „Sie müssen sich entscheiden, ob dern nicht berücksichtigt würden, sagt Christoph sie Geld verdienen oder etwas lernen wollen.“ Dietz, stellvertretender Direktor von Cameco. Ihr selbst hat die Schulung geholfen. Sie könne Die deutsche Organisation Media in Cooperation jetzt einschätzen, welche Risiken es online gibt und and Transition unterstützt Journalisten aus Kriegs- wie sie sich schützen kann. Doch im Einsatz draußen gebieten oder autoritär regierten Ländern. Reporter auf der Straße hilft ihr auch das beste Verschlüsse- ohne Grenzen hilft Journalisten, in ihrem Land un- lungsprogramm nichts: „Wenn ich eine Demonstra- terzutauchen, oder versucht ihre Ausreise zu organi- tion gegen die Regierung filme, muss ich immer mit Moritz Elliesen sieren, wenn sie ins Visier der staatlichen Behörden dem Polizeiknüppel rechnen“, sagt Mapuranga. ist Volontär bei .

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Sie sind falschen Informationen und Hetze auf der Spur: Vishwas News arbeitet in Neu-Dehli im ­Auftrag von Facebook. Anindito Mukherjee/Bloomberg via Getty Gegen den Hass im Netz

Über soziale Medien werden in Indien zunehmend Falschinformationen und Hetze gegen Minderheiten verbreitet. Die Regierung will das mit Regeln für die Plattformen eindämmen – doch hinter den Absendern stehen häufig die politischen Parteien selbst.

Von Sangeeta Mahapatra

u den meistbeachteten Hashtags auf Twitter (BJP), die zurzeit die Koalitionsregierung in der säku- zählten in Indien am 18. Oktober 2019 #Pro- laren Republik Indien anführt. phetIsGay, am 19. Oktober #BoycottAllah, am Twitter hat eine Richtlinie, nach der Hass schü- Z20. Oktober #BoycottMuslims. Innerhalb von drei rende Inhalte entfernt werden, doch davon war Tagen wurde aus religiösen Beleidigungen ein um- nichts zu bemerken. Stattdessen machte der Algo- fassender Angriff gegen die islamische Religionsge- rithmus der Plattform diese Tweets noch prominen- meinschaft, die 14 Prozent der indischen Bevölke- ter. Obwohl viele Nutzer solche Inhalte meldeten, rung stellt, mit Aufrufen, sie wirtschaftlich und sozi- löschte Twitter sie nicht und sperrte auch nicht die al ins Abseits zu drängen. Konten derer, die teils wiederholt diese Hashtags ver- Die Twitter-Profile, von denen diese Appelle aus- breiteten. gingen, lassen sich der ultrarechten Hindutva zuord- Dies taten organisierte Kräfte, darunter Twitter- nen. Das ist eine kulturell-politische Ideologie, nach Influencer und ranghohe Mitglieder der BJP. Sie ha- der Indien ein Staat der Hindus werden soll. Das ist ben Hassrhetorik über die Jahre zur Normalität ge- auch Teil der Ideologie der Bharatiya-Janata-Partei macht. Plattformbetreiber zur Verantwortung zu zie-

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metrischen Daten – mit deren Nutzerkonten in sozi- alen Medien zu verknüpfen. Das würde nicht nur das Recht auf Privatsphäre verletzen, sondern kann Nut- zer auch zu Selbstzensur veranlassen, wenn sie fürch- ten, dass Kritik an der Regierung sanktioniert wird. Für diese Furcht gibt es gute Gründe. Seit 2011 ha- ben die Zentralregierung und Regierungen der Bun- desstaaten unabhängig von politischer Ideologie und Parteizugehörigkeit das Informationstechnologiege- setz aus dem Jahr 2000 missbraucht, um Menschen aus den fadenscheinigsten Gründen zu verhaften – sie hatten etwa satirische Cartoons und Witze ge- postet oder die Regierung im Internet kritisiert. Nach dem Gesetz sind Dienste und Social-Media-Plattfor- men nicht für die Aktivitäten ihrer Nutzer verant- wortlich, aber die Nutzer können mit Sperrung ih- res Internetzugangs bestraft werden. Den Absatz des Gesetzes, der anstößige Äußerungen sehr breit defi- nierte, schaffte das Oberste Gericht im Jahr 2015 al- lerdings ab. Indien bietet ein widersprüchliches Bild: Einer- seits ermutigt die Regierung die Bürger, auf öffentli- hen kann aber nur funktionieren, wenn die Politik che Dienste per Internet zuzugreifen, was das Land rechenschaftspflichtig ist. Die Debatte über die Regu- zur größten digitalisierten Demokratie macht. An- lierung sozialer Medien muss das komplexe Umfeld dererseits hat kein Staat das Internet häufiger abge- einbeziehen, in dem die Plattformen operieren. schaltet als Indien. 2018 berichtete die #KeepItOn- Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz Koalition gemeinsam mit der Non-Profit-Organisati- (NetzDG) setzt seit 2018 weltweit Maßstäbe für die Re- on Access Now, dass von 196 solchen Abschaltungen gulierung sozialer Medien. Es macht die Anbieter von in 25 Ländern allein 134 auf Indien entfielen. Die Er- Plattformen für „illegale Inhalte“ haftbar – von der klärungen, die die Regierung hierfür anführt, reichen Beleidigung öffentlicher Amtsträger bis zur Anstif- von Störungen der öffentlichen Ordnung über Ge- tung zu Hass und Gewalt. Wenn sie gemeldete Inhal- rüchte, die Lynchjustiz auslösen könnten, bis hin zu te nicht löschen, droht ihnen eine Geldstrafe von bis Mogeleien bei Prüfungen. zu 50 Millionen Euro. Das NetzDG ist ein Paradebei- spiel für das klassische Dilemma von Demokratien: s gibt Bundesstaaten wie Kerala im Süden Oben: Werbung für Whatsapp Wie kann Hassrede bekämpft werden, ohne das Recht des Landes, die den Internetzugang zu einem im indischen Pune. Um Hetze zu auf freie Meinungsäußerung anzutasten? Im Falle grundlegenden Menschenrecht erklärt haben, bekämpfen, will die Regierung Deutschlands haben die halbjährlich vorzulegenden Eaber auch Staaten wie Kaschmir in Nordindien, wo den Messengerdienst dazu Transparenzberichte der Plattformen die Angst vor das Internet seit dem 5. August 2019 blockiert ist – bringen, Nutzerdaten übertriebener Zensur zerstreut: Die Plattformen ha- aus Sicherheitsgründen, behauptet die Regierung. herauszugeben. ben ihre Community-Richtlinien sorgsam befolgt. Hier entscheidet eher die politische Überwachung als Dhiraj singh/bloomberg via Getty die Richtlinien der Plattformen darüber, welche Äu- er indische Gesetzentwurf aus dem Jahr 2018 ßerung akzeptabel ist und welche nicht. Ebenso umstritten ist der Plan, zu Richtlinien für Plattformbetreiber orien- Viel wird über Algorithmen debattiert, die au- dass sich Nutzer mit ihrem tiert sich an den Bestimmungen des NetzDG. tomatisch Hassreden erkennen sollen. Man sollte ­biometrischen ­Ausweis etwa bei DDoch Indiens Regierung geht einen Schritt weiter: mehr darüber nachdenken, wie praktikabel das in Facebook einloggen­ sollen. Um Falschinformation und Hassrede zu bekämpfen, Ländern wie Indien ist, wo die Bundesstaaten sich Nasir Kachroo/Nurphoto via getty will sie Anbieter wie WhatsApp dazu bringen, Da- stark in Sprache und Kultur und im Grad der digi- images ten zu entschlüsseln, so dass die Identität der Nut- talen Durchdringung und Alphabetisierung unter- zer festgestellt werden kann. Im Oktober 2019 hat scheiden. Technologieexperten, die ich in Indien in- das indische Ministerium für Elektronik und Infor- terviewt habe, hatten große Schwierigkeiten, das Pro- mationstechnologie dem Obersten Gericht ein Do- blem zu lösen, wie man Hassrede mit Algorithmen kument für die Regulierung sozialer Medien vorge- erkennt. Selbst innerhalb einzelner Bundesstaaten legt mit dem Ziel, „individuelle Rechte sowie die In- werden mehrere Sprachen und Dialekte in sozialen tegrität, Souveränität und Sicherheit der Nation“ zu Medien benutzt. Algorithmen können Nuancen und schützen. Danach sollen Plattformen mit automati- Symbole in lokalen Sprachen nicht so klar entschlüs- sierten Verfahren Inhalte entfernen, die die Regie- seln, dass sie illegale Inhalte in Bildern und Videos er- rung als rechtswidrig ansieht. Was genau die sind, kennen – und die sind in sozialen Medien und Mes- wird nicht definiert, so dass die Regierung einen saging-Diensten noch verbreiteter als Texte. Zudem breiten Ermessensspielraum nutzen kann. können Algorithmen so manipuliert werden, dass Die Regierung strebt zudem an, die Aadhaar-Kar- sie die Vorurteile ihrer Schöpfer widerspiegeln. Und ten ihrer Staatsbürger – das sind Ausweise mit bio- Twitter oder Facebook müssen gute Beziehungen zu

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den politisch Mächtigen im Land unterhalten, um in zen diese Seiten oft als Informationsquelle, womit sie Indien tätig sein zu können. das Problem verschärfen. Hass im Internet spiegelt Hass in der Wirklich- Auch Messenger-Dienste mit Verschlüsselung keit wider. Auf dem Index gesellschaftlicher Feindse- wie WhatsApp, das in Indien mehr als 400 Millio- ligkeiten des Pew Research Center belegt Indien bei nen aktive Nutzer zählt, und Dienste auf Basis loka- Zwist zwischen den Religionen Platz vier. Doch um ler Sprachen wie Share Chat und Helo (mehr als 50 Hass im Internet zu regulieren, muss seine Eindäm- bis 60 Millionen Nutzer) sind genutzt worden, um mung auch in der Offline-Welt greifen. Falschinformationen zu verbreiten. Auf WhatsApp Indien hat dafür solide Gesetze. So verbietet Ar- kursierende Gerüchte, wonach Menschen Fleisch tikel 15 der indischen Verfassung Diskriminierung in von als heilig geltenden Rindern gehandelt oder ge- Wort und Tat, und mehrere Bestimmungen im Straf- gessen hätten, haben zwischen Mai 2014 und Dezem- gesetzbuch stellen Hassrede unter Strafe. Doch sie ber 2017 laut der Datenbank IndiaSpend zu 76 Lynch- bleiben bei der Anwendung auf soziale Medien oft morden durch aufgebrachte Menschenmengen ge- außen vor. Täglich werden die Gesetze gegen Hass- führt. Die Regierung hat versucht, das mit einer Re- rede auf Twitter, Facebook, Youtube und Instagram gulierung von WhatsApp unter Kontrolle zu bringen (die Zahl der Empfänger einer Message wurde be- grenzt). Aber gleichzeitig verteidigten Mitglieder der Algorithmen können aufgrund der vielen Regierungspartei die Lynchmobs. lokalen Sprachen in Indien Hassbotschaften ngesichts der wachsenden öffentlichen Kritik nur schwer erkennen. haben soziale Medien und Messaging-Dienste begonnen, sich selbst zu zensieren. Im Febru- Aar 2019 zog sich Twitter die Wut der extremen Rech- missachtet – von Armeen von bezahlten Trollen, von ten zu, weil es Nutzerkonten wegen Missbrauchs ge- den harten Anhängern politischer Parteien und auch sperrt hatte und dabei angeblich politisch einseitig von Politikern selbst. Laut einem Bericht des in Neu- vorgegangen war. Twitter India wurde vor eine parla- Delhi ansässigen Fernsehsenders NDTV vom April mentarische Kommission geladen, um dazu Stellung 2018 war Hassrede unter ranghohen indischen Poli- zu nehmen. Paradoxerweise wechselten viele liberal tikern während der von der BJP geführten Regierung denkende Inder dann im Dezember von Twitter zum (2014-2018) fast fünf Mal häufiger als in der vorange- Konkurrenten Mastodon, weil Twitter hasserfüllte gangenen Legislaturperiode (2009-2014) mit der von Rechte mit Samthandschuhen anfasse. der Kongresspartei geführten Regierung. Sie richtete Im Februar 2019, vor den indischen Parlaments- sich in den meisten Fällen gegen Muslime und Dalits, wahlen, schloss Facebook 700 für die Kongresspar- die im Kastensystem ganz unten stehen. tei eintretende Seiten sowie 15 der BJP wegen „koordi- nierten nicht authentischen Verhaltens“. WhatsApp nter diesen Umständen verwandelt sich die investierte riesige Summen in Aufklärungskampa- Regulierung der sozialen Medien derart, dass gnen zu Schrottnachrichten und Hassrede und ver- abweichende Meinungen als Hassrede ver- suchte, technische Lösungen dafür zu finden. Kurz: Uteufelt, aber die eigene Hetze als freie Meinungsäu- Plattformen haben im Trial-and-Error-Verfahren ver- ßerung gerechtfertigt wird. Unterstützer der BJP und sucht, Hassrede und Falschinformation einen Rie- auch der wichtigsten Oppositionspartei, der Kon- gel vorzuschieben. Aber sie sind keine öffentlichen gresspartei, bezichtigen sich laufend gegenseitig, Dienstleister, sondern profitorientiert – sie folgen Falschinformationen zu verbreiten und Hassrede zu finanziellen Erwägungen. Sie handeln dann, wenn befeuern. Beide und auch andere politische Partei- Hassrede und Falschinformation ihre Glaubwürdig- en haben sich IT-Zellen zugelegt, um die öffentliche keit und Geschäfte gefährden. In Indien wird disku- Meinung zu prägen und zu manipulieren. tiert, ihre automatische Anzeige der populärsten In- Ihre Strategien für den Umgang mit sozialen Me- halte abzuschalten, damit nicht diese Algorithmen dien folgen alle demselben Drehbuch: Das zentrale den Hass noch stärker verbreiten. Team der IT-Zelle verbreitet Hashtags und Falschin- Plattformen zu regulieren, ist nur eine der Lösun- formationen an bezahlte Trolle und freiwillige Hel- gen für das Problem. Entscheidend ist öffentlicher fer. Inhaltlich sind das meist Schmutzkampagnen ge- Gegendruck. Gegen Hassrede und Falschinformati- gen Politiker der Konkurrenz oder im Fall von Partei- on treten in Indien zivilgesellschaftliche Organisa- en, die einzelne religiöse oder andere Gemeinschaf- tionen auf wie Internet Freedom Foundation, Youth ten vertreten, Diffamierungen anderer Gruppen. Ki Awaaz und Citizen‘s Religious Hate Crime Watch, Trolle, Bots und Netzwerke von Nutzern mit mehre- ebenso junge Video-Blogger mit Millionen von Abon- ren Konten sorgen dafür, dass die entsprechenden nenten. Es gibt Internet-Faktenchecker von professi- Inhalte im Netz prominent auftauchen. onellen Medien, Medienkritik etwa bei NewsLaundry Sangeeta Mahapatra Zwar sind in Indien Dienste erstarkt wie AltNews, und satirische Webseiten. Soziale Medien können ist wissenschaftliche Mitarbeiterin SMHoaxSlayer und BoomLive, die Informationen auf Hass schüren aber auch bekämpfen. Um Hassbot- am GIGA Institut für Asien-Studien Richtigkeit überprüfen. Aber es blühen auch kleine schaften zu stoppen, muss der Absender zur Rechen- in Hamburg. Sie forscht zu sozialen parteiische Internetseiten, die so tun, als wären sie schaft gezogen werden – nicht nur das Medium. Medien, Demokratie und Politik. Faktenchecker. Unterstützer politischer Parteien nut- Aus dem Englischen von Julia Lauer.

| 2-2020 28 schwerpunkt meinungsfreiheit Wenn Afrikas Machthaber den Stecker g es I ma A es/ SO P g es/

ima ziehen g e tty Immer wieder schalten Regierungen in Afrika das Internet ab: Sie wollen Protestbewegungen verhindern oder angeblich die Verbreitung von Falschinformationen und Hass über soziale Medien vermeiden. Doch die Bürger findenW ege, die Blockaden zu umgehen.

Von Abdi Latif Dahir

urz nach 23 Uhr in der Nacht des 22. Juni 2019 überhaupt berechtigt? Und haben sie Erfolg damit? ging Äthiopien offline. Das Land am Horn von Der erste bekannte digitale Blackout im Afri- Afrika griff nicht zum ersten Mal zu dieser Maß- ka südlich der Sahara ereignete sich im Jahr 2007, Knahme. Da es nur einen einzigen, staatlich kontrol- als der damalige Präsident Guineas, Lansana Con- lierten Provider gibt, hatten es die Behörden leicht, té, in Reaktion auf Rücktrittsforderungen das Inter- den Internetzugang zu kappen. Sie haben das in den net abschaltete. Seitdem haben schätzungsweise 26 vergangenen Jahren immer wieder getan, wenn es der 54 afrikanischen Staaten Netzwerkunterbrechun- zu Protesten gegen die Regierung kam oder der Not- gen angeordnet. Besonders häufig griffen sie wäh- stand ausgerufen wurde. Im Juni war der Grund ein rend der Protestwelle des Arabischen Frühlings 2011 Putschversuch im nordwestlichen Bundesstaat Am- zu diesem Mittel, um soziale Unruhen und Massen- hara. Nach einem Jahr hoffnungsvoller politischer, kundgebungen einzudämmen. wirtschaftlicher und diplomatischer Fortschritte Aktivisten sagen, dass die Abschaltungen zu- drohte der blutige Umsturzversuch den demokrati- sammen mit einer schärferen Regulierung des On- schen Wandel in Äthiopien zum Erliegen zu bringen. line-Austauschs und der sozialen Medien den frei- Die Abschaltung Ende Juni beeinträchtigte User en Zugang zum Internet aushebeln und die Entwick- und Unternehmen, schürte Unzufriedenheit mit der lung offener, pluralistischer und demokratischer Ge- reformorientierten Staatsführung von Premierminis- sellschaften behindern. Demnach spielt die digitale ter Abiy Ahmed und machte es Journalisten schwer, Kommunikation eine wichtige Rolle bei Protesten Informationen zu überprüfen. Aber sie warf auch er- gegen Regierungen und bei Bemühungen, die Le- neut eine Frage auf, die sich Akademiker und Aktivis- bensverhältnisse zu verbessern. ten zunehmend stellen: Warum beschränken Regie- Andere hingegen warnen, dass auch das Internet rungen eigentlich den Internetzugang? Sind sie dazu Gewalt anheizen kann. Sie werfen den sozialen Me-

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dien vor, Gerüchte zu verbreiten, Angst zu schüren folge einer Internetblockade anzupassen vermochten, und Menschen zur Brutalität anzustacheln – so wie indem sie auf traditionellere Strategien zurückgriffen. das über das Radio während des Völkermords 1994 Für den Sudan haben neue, noch unveröffentlichte in Ruanda oder über SMS-Nachrichten während der Forschungsergebnisse ergeben, dass Beschränkungen gewaltsamen Auseinandersetzungen nach den Wah- der sozialen Medien friedliche Proteste nicht verhin- len im Jahr 2007 in Kenia getan wurde. In Kenntnis dern konnten, sondern es gerade während der Inter- dieser Geschichte und angesichts der Unmöglich- netblockaden während des Jahreswechsels 2018/2019 keit, die Online-Aktivitäten der Menschen zu kont- mit zu den größten Demonstrationen im Land kam. rollieren, haben Regierungen in ganz Afrika wieder- Über den Einzelfall hinaus jedoch können Inter- holt den Internetzugang eingeschränkt und das mit netblockaden „weitreichende Folgen haben“, sagt Ju- der Aufrechterhaltung der Ordnung begründet. liet Nanfuka vom Forschungszentrum Collaboration So wies die Kommunikationsbehörde Ugandas on International ICT Policy in East and Southern Af- im Jahr 2016 während der Wahlen, die von gewalt- rica. Sie verweigern den Bürgern Grundrechte, schlie- samen Protesten und der Verhaftung von Oppositi- ßen sie von Dienstleistungen im Gesundheits- und onskandidaten begleitet waren, die Internetprovider Bildungswesen aus und beschneiden wirtschaftliche an, den Zugang zu sperren. Anfang 2018 blockierte Möglichkeiten. Tschads Präsident Idriss Déby aus „Sicherheitsgrün- den“ die sozialen Medien für über ein Jahr, obwohl nicht einmal sieben Prozent der 15 Millionen Ein- Internetblockaden verweigern den Bürgern wohner Zugang zum Internet hat. Grundrechte und schließen sie von öffentlichen uch die Behörden der Demokratischen Repub- Dienstleistungen aus. lik Kongo haben nach einer Präsidentschafts- wahl Internetbeschränkungen verfügt. Sie Awollten damit verhindern, dass gefälschte Resulta- Laut Rydzak haben Abschaltungen auch einen te in Umlauf gebracht werden und womöglich „Cha- „allgemein abschreckenden Effekt“ auf die freie Mei- os“ und einen „Volksaufstand“ auslösen. Und während nungsäußerung und verstärken düstere Annahmen der Bürgerproteste im Januar vor einem Jahr zog Sim- über soziale Medien. „Blackouts können die Wahr- babwe den Internetstecker. Gleichzeitig verhafteten nehmung des Internets insgesamt oder einzelner so- die Behörden Oppositionsführer, die sie für Unruhen zialer Medien verändern und den Menschen den Ein- verantwortlich machten. In Kenia beließ es die Regie- druck vermitteln, dass sie unsicher sind.“ Die Folge rung 2017 bei der Drohung, den Internetzugang ein- könne sein, dass die Nutzung der Technik in schlecht zuschränken, falls die Lage „außer Kontrolle“ gerate. vernetzten Gegenden gar nicht mehr angestrebt wird. Äthiopien gehört zu den Ländern, in denen nach Zunehmend verweisen staatliche Behörden auf Aussage von Beobachtern online verbreiteter Hass die Verbreitung sogenannter Fake News, wenn sie Gewaltausbrüche zur Folge hatte. Diese Gewalt hat Blockaden des Internets bei Katastrophen, Terroran- in den vergangenen Jahren zur Vertreibung von drei schlägen und sozialen Unruhen begründen. Besser Millionen Menschen geführt. Obwohl nicht sehr vie- wäre es jedoch, wenn die Regierungen sich um Zu- le der 100 Millionen Menschen zählenden Bevölke- sammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Me- rung überhaupt Zugang zum Internet haben, fiel es dien bemühten, „um zu helfen, Desinformationen der Regierung schwer, die Verbreitung von Desinfor- aufzudecken und mit Information zu kontern“, sagt mation „mit konventionellen Mitteln“ zu unterbin- Julie Posetti, Leiterin des Journalism Innovation Pro- den, sagt Felix Horne von Human Rights Watch, der ject an der University of Oxford. Die Regulierungs- dort früher Experte für Äthiopien und Eritrea war. behörden könnten auch direkt mit den Plattformen Als Reaktion darauf hat die äthiopische Regierung zusammenarbeiten. Facebook etwa wolle 100 Mitar- ein Gesetz gegen Hassrede versprochen, und Minis- beiter einstellen, um als bedenklich gemeldete Inhal- terpräsident Abiy kündigte an, das Internet wann im- te in Sprachen wie Somali, Oromo, Suaheli und Hau- mer nötig so lange wie möglich abzuschalten. sa zu überprüfen, sagt der Leiter der Facebook-Abtei- Beobachter merken jedoch an, dass solche Blo- lung Öffentlichkeitsarbeit in Afrika, Kojo Boakye. ckaden ein stumpfes Werkzeug sind, wenn man be- Aber da sich die Verwendung von Internetsperren denkt, mit welcher Geschwindigkeit sich Gerüchte in ganz Afrika ausbreitet, werden viel mehr Nutzer und Desinformationen auch offline verbreiten. „Wir auf sogenannte virtuelle private Netzwerke (VPN) zu- dürfen nicht vergessen, dass Blockaden keine präzise, rückgreifen, um die Zensur zu umgehen, sagt Berhan zielgenaue Maßnahme sind, Hetzreden zu unterbin- Taye, die bei Access Now eine globale Kampagne lei- den. Sie sind eher das digitale Äquivalent dazu, ein tet, um Internetsperren zu stoppen. Zudem werden Problem mit dem Vorschlaghammer lösen zu wol- staatlich angeordnete Internetsperren zunehmend len“, meint Jan Rydzak, der die Dynamik von Inter- juristisch angefochten, manchmal mit Erfolg wie in netabschaltungen am Global Digital Policy Incubator Uganda, Sudan, Simbabwe, Kamerun und der Demo- Abdi Latif Dahir der Stanford University untersucht. kratischen Republik Kongo. Auf Dauer, sagt Berhan, ist Ostafrika-Korrespondent der Forscher haben gezeigt, dass sich Demonstranten „wird sich die Holzhammermethode, das Internet ein- „New York Times“. Zuvor arbeitete in Ägypten ebenso wie gewalttätige aufständische fach abzuschalten, nicht halten lassen“. er für Quartz Africa. Dort ist der Gruppen in Nigeria an das Informationsvakuum in- Aus dem Englischen von Thomas Wollermann. Artikel auch zuerst erschienen.

| 2-2020 30 r mme A a ng g olf W Der Staatschef meint ja bloß Von Bernd Ludermann

Heißt Meinungsfreiheit, dass ie Meinungsfreiheit findet zuweilen seltsame Trump tut damit so, als habe er eine private Mei- allen freisteht zu sagen, was Verteidiger. Als in Hamburg Studierende den nung geäußert. Doch was eine Aussage bedeutet, Ökonomieprofessor und Mitgründer der AfD, hängt immer auch von der Position des Sprechenden ihnen gerade in den Sinn DBernd Lucke, im Oktober an Vorlesungen gehindert und der Angesprochenen ab. In diesem Fall hat der kommt? Wer sinnvolle hatten, war das für die rechtsgerichtete Partei ein Be- oberste Vorgesetzte von Marie Yovanovitch, einer der öffentlichen Debatten will, leg unserer „linken Meinungsdiktatur“. Die zeigt sich mächtigsten Männer der Welt, die Diplomatin öffent- sollte es sich da nicht so laut , dem früheren Ko-Vorsitzen- lich heruntergeputzt. Das war ein Akt der Machtaus- den der AfD, auch in Umfragen, wonach eine Mehr- übung und ein Versuch, diese in der Öffentlichkeit zu einfach machen. heit das Gefühl hat, nicht einfach alles sagen zu kön- diskreditieren. nen. Den ursprünglichen Sinn der Meinungsfreiheit Die Vorstellung, genau das heiße Meinungs- hat Trump damit auf den Kopf gestellt. Denn der be- freiheit, verkehrt aber deren eigentlichen Sinn. Ein steht im Recht, Mächtigen zu widersprechen und Schulbeispiel hat US-Präsident Donald Trump ver- Ideologien zu hinterfragen, mit denen sie ihre Herr- gangenen November geliefert. Während der US-Kon- schaft oder ihre Privilegien begründen. Dieses Recht gress die Diplomatin Marie Yovanovitch zu Trumps ist ein Kind der europäischen Aufklärung. So wuchs Verhalten in der Ukraine-Affäre vernahm, twitter- im Namen von Meinungs- und Gedankenfreiheit im te der: Wo immer Yovanovitch Botschafterin gewe- 18. Jahrhundert in Europa der Widerspruch dagegen, sen sei, ob in Somalia oder der Ukraine, habe sich die dass der Adel qua Geburt und Gnade Gottes die Lage verschlechtert; er als Präsident habe das absolu- Macht im Staat beanspruchte. Diese früher verbrei- te Recht, Botschafter zu ernennen. Der Tweet wurde tete Ideologie wirkt heute absurd. Später wurden sofort als Einschüchterung der Zeugin angeprangert, Vorrechte der Männer in Frage gestellt und die Herr- doch der US-Präsident berief sich auf seine persönli- schaft der Europäer in den Kolonien. Inzwischen ist che Meinungsfreiheit: Er dürfe frei reden wie alle an- weitgehend akzeptiert, dass Vorstellungen von der deren auch. natürlichen Überlegenheit einer „weißen Rasse“

2-2020 | meinungsfreiheit schwerpunkt 31

oder des Mannes über die Frau keiner vernünftigen politischen Auseinandersetzungen treffen unter- Prüfung standhalten. schiedliche legitime Interessen und Wertorientie- Gegen sie anzugehen, war anfangs gefährlich – rungen aufeinander. Es gibt kein einzig richtiges po- so wie es heute gefährlich ist, in China von der Kom- litisches Rezept, aber es gibt objektiv falsche: solche, munistischen Partei vorgegebene Ansichten zu Tibet die mit relevanten Tatsachen unvereinbar sind. Zum oder Hongkong zu bezweifeln, in der Türkei staatli- Beispiel kann man darüber streiten, ob Klimaschutz che Willkür gegen Kurden zu kritisieren oder in Russ- besser mit Verboten, mit Hilfe einer Kohlenstoff- land, Nigeria und vielen anderen Ländern Korruption steuer oder mit der Abscheidung von CO2 im Unter- an der Staatsspitze anzuprangern. Wer das wagt, zieht grund angestrebt werden sollte und wie die Kosten sich den Zorn der Mächtigen zu. Wer hingegen wie die verteilt werden. Aber dass der CO2-Ausstoß die Erd- AfD in Deutschland anstößige Ansichten äußert, ris- erhitzung befeuert und dies Gefahren von kaum ab- kiert allenfalls einen Shitstorm oder Proteste in sei- sehbarem Ausmaß bringt, ist eine für alle erkennba- ner Vorlesung. Die mögen zuweilen ebenfalls dumm re Tatsache. Sie zu bestreiten oder zu ignorieren, ist und maßlos sein. Aber gegen öffentliche Äußerungen nicht mehr diskussionswürdig. zu protestieren, ist kein Angriff auf die Meinungsfrei- Verboten werden sollte es deshalb nicht – zur heit, sondern im Gegenteil Teil dieser Freiheit. Meinungsfreiheit gehört, dass niemand ins Gefäng- nis wandert, weil er Unsinn oder Ressentiments äu- as zweite Bezeichnende an Trumps Angriff ßert (von Hetze und Beleidigungen abgesehen). Aber auf Yovanovitch ist: Er besteht aus wilden Be- es ist auch niemand verpflichtet, solche Äußerungen hauptungen ohne überprüfbare Substanz. hinzunehmen oder sie ebenso ernst zu nehmen wie DDie Unterstellung, eine US-Botschafterin habe im Al- sachlich fundierte Beiträge. Im Gegenteil muss es ein leingang politische Krisen in Somalia und der Uk- Ziel sein, im Verlauf von politischen Debatten Un- raine verschärft, ist absurd. Meinungsfreiheit heißt sinn und bloße Ressentiments aus dem Feld der rele- für Trump offenbar: Ich darf alles sagen, egal ob es vanten Meinungen auszusortieren. stimmt und was es bewirkt. Diese Auffassung hat leider viele Anhänger – und das nicht nur auf der rechten Seite des politischen Dumme, überspitzte und enthemmte Spektrums. Dumme, überspitzte oder enthemmte Äußerungen finden Gehör, befördert vom „Debattenbeiträge“ finden Gehör, besonders in so- Kampf um Klicks und Aufmerksamkeit. zialen Medien. Befördert wird das vom Kampf um Klicks und um Aufmerksamkeit; Skandalträchtiges oder Falschmeldungen zu verbreiten, ist auch ein Geschäft. Die wüste Beschimpfung der Grünen-Poli- Ist das anmaßend, weil man dazu „die Wahrheit“ tikerin Renate Künast als „Sondermüll“ und „Drecks- kennen müsste? Dies ist eine beliebte Ausflucht. Das Fotze“, die das Landgericht Berlin im September als Johannes-Evangelium berichtet, schon Pontius Pila- von der Meinungsfreiheit gedeckt eingestuft hat, tus habe sie benutzt, als er über Jesus zu Gericht saß: zeigt: Der Spielraum dessen, was straflos öffentlich Die Hohepriester verlangten die Todesstrafe, für die gesagt werden kann, ist in Deutschland nicht kleiner, Pilatus keinen Grund sah. Während der Vernehmung sondern größer geworden. Die Hemmungen sinken, beansprucht Jesus, für „die Wahrheit“ zu stehen, und Dinge zu äußern, für die man sich früher hätte schä- Pilatus fragt skeptisch: „Was ist Wahrheit?“ Deshalb men müssen. verzichtet er aber keineswegs darauf, seine Macht als Das nutzen Rechtspopulisten – und tragen zu- Statthalter des römischen Reiches auszuüben und Je- gleich gezielt dazu bei. Alexander Gauland hat zum sus, den er für unschuldig hält, kreuzigen zu lassen. Beispiel die Nazi-Herrschaft als „Vogelschiss“ in der Über Wahrheit im Sinne von Philosophie oder deutschen Geschichte heruntergespielt. „Wir versu- Religion kann tatsächlich niemand verfügen. Aber chen die Grenzen des Sagbaren auszuweiten“, hat er man kann sehr wohl prüfen, ob eine Ansicht mit Tat- Mitte 2018 selbst erklärt. Rechtspopulisten nutzen sachen übereinstimmt oder jeder Plausibilität ent- Tabubrüche, um Ansichten wieder salonfähig zu ma- behrt. Das gelingt nicht immer gleichermaßen. Aber chen, die längst und mit guten Gründen als falsch, der Anspruch wird untergraben, wenn Meinungsfrei- beleidigend oder mit demokratischem Streit unver- heit à la Donald Trump verstanden wird: Sagen zu einbar befunden worden sind. dürfen, was einem gerade passt – als eine Art Willkür. Nun ist es ein wesentlicher Bestandteil des politi- Nicht zufällig greifen Trump und andere Rechtspo- schen Wettbewerbs, dass man Aufmerksamkeit sucht pulisten gern Faktenchecker und Journalisten an, die und Deutungshoheit anstrebt. Das tun alle Parteien. ihnen widersprechen. Voraussetzung für sinnvolle Debatten ist aber, dass Wo Behauptungen – egal von wem sie stammen – dies von Zweierlei im Zaum gehalten wird: von Res- nicht mehr an ihrem Wahrheitsgehalt gemessen wer- pekt für die Person und die Ansichten des anderen den, sind öffentliche Debatten sinnlos. Das spielt de- und von der Bereitschaft, Meinungen, auch die ei- nen in die Hände, die von Lüge, Täuschung und Ver- genen, an Tatsachen zu überprüfen. Das ist der gute wirrung profitieren: Leuten, die Macht haben oder Sinn von Tabus und Konventionen. rücksichtslos danach streben. Dies ist das Gegenteil Bernd Ludermann Zwar kann man nicht aus Tatsachen eine objek- dessen, wofür die Meinungsfreiheit erkämpft wor- ist Chefredakteur tiv, wissenschaftlich, „richtige“ Politik ableiten. In den ist. von .

| 2-2020 32 bewegungsmelder herausgeberkolumne Der freiwillige Ansatz hat weltweit versagt

Im Grunde ist es einfach: Wer Menschenrechte verletzt, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Dennoch muss sich die Initiative für Konzernverantwortung gegen die Lobbyarbeit der Konzerne durchsetzen.

icht nur Staaten, sondern auch Wirtschaftsunternehmen müssen die Menschenrechte einhalten. Für Firmen gilt seit 2016 die Sorg- faltspflicht, darauf zu achten, dass bei ihren Geschäften Mensch und NUmwelt keinen Schaden erleiden. Passiert das dennoch, müssen sie die Op- fer entschädigen. Das ist in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Men- schenrechte verbrieft. Ein Abkommen „Wirtschaft und Menschenrechte“ wird in Genf bei den Vereinten Nationen verhandelt. Dennoch treten viele Konzerne Menschenrechte und Umwelt mit Fü- ßen, und ebenso viele Regierungen zieren sich, die UN-Leitprinzipien in na- tionales Recht zu übernehmen. Dies ist besonders gut in der Schweiz zu be- obachten, einem Land, das die weltweit größte Dichte an multinationalen Konzernen aufweist. Der von der Konzernverantwortungsinitiative vorge- schlagene neue Verfassungsartikel 101a zur „Verantwortung von Unterneh- men“ trifft auf den starken Widerstand der Wirtschaftsverbände und der rechtsbürgerlichen Parteien. Die Entscheidung soll noch dieses Jahr fallen, entweder im Parlament oder in einer Volksabstimmung. Dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz Menschenrechte ver- letzen, wird auch vom Bundesrat nicht in Abrede gestellt. Mal sind es Mitarbeitende des Rohstoffriesen Glencore, die Bauern in Peru prügeln und von ihrem Land vertreiben, mal zeigen Kinder im Umfeld von Bergbaubetrieben Vergiftungserschei- nungen. Der Agrarkonzern Syngenta exportiert aus der Schweiz verbotene Pestizide in den globalen Süden, und in den afrikani- schen Tochterunternehmen des Baustoffherstellers Lafarge Holcim arbeiten Kinder in Zementwerken. Die Schweiz ist ein attraktiver Standort für international operierende Firmen und der Schweizer Wohlstand wird fünf fragen an ... dadurch genährt. Das bedeutet nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer das tole- rieren. Quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Parteien ist man sich einig: Wer bei Menschenrechten und Umwelt über Rot fährt, muss Richard Matey auch Verantwortung übernehmen. Rund um die Konzernverantwortungs- Richard Matey von der Abibiman-Stiftung in Ghana arbeitet im „Reverse Programm“ des Konkreten Friedendienstes NRW drei Monate in Deutschland.

Was machen Sie gerade? gesellschaftliche Probleme. In Deutschland ist alles Ich bereite mit dem Eine-Welt-Netz eine viel formeller. Bei der Arbeit redet man auch nur Kampagne gegen Armut vor. Sie soll über die Arbeit. Bis zur Mittagspause. Aber dann set- in Ghana starten. Außerdem wer- zen wir uns alle zusammen und unterhalten uns. be ich für ein Projekt, das ich mit Das senkt den Arbeitsstress und verbindet uns Kol- meiner Organisation in Ghana ins legen stärker miteinander. Ein weiterer Unterschied Leben gerufen habe: Wir bauen tra- ist die Mülltrennung, die ich in Ghana gern fördern ditionelle Kochstellen so aus, dass würde. Hier funktioniert das wirklich gut, und ich sie effizienter und weniger gesund- denke, dass sie auch für Ghana wichtig wäre, vor al- heits- und umweltschädlich sind. lem in großen Städten wie der, in der ich lebe, Tema.

Wie unterscheiden sich die Arbeitswei- Wie sind Sie zur Abibiman-Stiftung gekommen? sen in Ghana von denen in Deutschland? Ich wollte immer schon das Leben von weniger pri- t a v In Ghana ist die Atmosphäre viel entspann- vilegierten Menschen verbessern, möglichst als i ter, die Kollegen kommunizieren mehr – nicht nur Politiker. Während meines Studiums der Integra- o t o: pr

über die Arbeit, sondern auch über persönliche oder tiven Gesellschaftsentwicklung habe ich in einem F

? 2-2020| herausgeberkolumne bewegungsmelder 3333 Der freiwillige Ansatz hat weltweit versagt Bernd Nilles ist Geschäftsleiter von initiaitve gruppieren sich inzwischen über 100 NGOs, 150 Unternehmer Fastenopfer Schweiz. und Unternehmerinnen, ein parteiübergreifendes Unterstützungskomi- tee, katholische wie reformierte Kirche und Tausende Menschen in über 300 Lokalkomitees. Auch die große Parlamentskammer, der Nationalrat, hat einem Gesetzentwurf zugestimmt, der als Gegenvorschlag die Anliegen der Initiative in vielen wichti- gen Punkten aufgreift. Trotz dieser breiten Verankerung gibt es das Gesetz noch immer nicht und es hat schon bewegte Momente erlebt: Im Jahr 2015 stimmte das Parlament über eine gesetzliche Sorgfaltsprüfung ab. Die Ab- stimmung wurde unter mysteriösen Umständen für ungültig erklärt. Im Mitmachen! September 2019 wurde eine geplante Abstimmung in der kleinen Kammer – dem Ständerat – kurzfristig abgesagt. Schließlich versuchte Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) 2019 Volk und Parlament mit einem inhaltslee- Keine Waffen ren Alternativvorschlag zu verwirren. Und zuletzt verriet ein Wirtschafts- magazin, dass die Industrieverbände Economiesuisse und Swissholdings in Kinderhände zehn Millionen Franken in eine Öffentlichkeitskampa- Wer Kinder in den Krieg schickt, kann „Es geht um viel: um die Rechte, gne investieren wollen, um vom Internationalen Gerichtshof mit le- das Leben und Überleben von das Gesetz zu verhindern. Es benslangem Freiheitsentzug bestraft geht um viel: um die Rechte werden. Theoretisch. Denn das soge- Menschen weltweit.“ von Menschen weltweit, um nannte Kindersoldatenprotokoll der die Frage, was uns unsere Vereinten Nationen erklärt seit 2002 Schöpfung wert ist, um den Zwangsrekrutierung und Wehrpflicht Ruf der Schweiz und um handfeste Wirtschaftsinteressen. für unter 18-Jährige für illegal. Praktisch In vielen Ländern steht derzeit die Frage nach der Konzernverantwor- schicken Rebellengruppen, Milizen oder tung auf der politischen Agenda: Die Niederländer haben 2019 ein Gesetz Paramilitärs, aber auch staatliche Arme- verabschiedet, das Unternehmen, die von Kinderarbeit profitieren, straf- en Jahr für Jahr Hunderttausende Kinder rechtlich haftbar macht. In Großbritannien ist mit dem Modern Slavery Act in den Kampf – in Afrika, Südamerika, 2015 ein ähnliches Gesetz zur Verhinderung von Sklaverei und Menschen- Asien und im Nahen Osten. Mit der „Ak- handel in Kraft. Deutschland, Italien, Norwegen und Belgien diskutieren tion Rote Hand“ machen zum Jahrestag über ähnliche Regelungen. Denn der freiwillige Ansatz hat weltweit versagt. der Verabschiedung des Kindersoldaten- Sollte sich das Parlament nicht zu einem Gegenvorschlag zur Initiati- protokolls am 12. Februar weltweit Aktive ve durchringen, kommt es zur Volksabstimmung. Fastenopfer wird sich als mit Demonstrationen und kreativen Ak- Mitinitiator der Initiative im Namen der vielen Opfer von Menschenrechts- tionen auf den Missbrauch von Kindern verletzungen und im Einsatz für eine nachhaltige Entwicklung weiterhin als Soldaten aufmerksam. So sammeln für die Konzernverantwortungsinitiative einsetzen. sie namentlich gezeichnete rote Hand- abdrücke und übergeben sie an Lokalpo- litiker, Abgeordnete oder Parteichefs von Regierungsparteien. Ihre Forderungen: keine Waffen in Kinderhände – Waffenex- porte stoppen! Keine unter 18-Jährigen in Team Gemeinden über Klimawandel und und Gleichgesinnte zusammenbringen Armeen – auch nicht in die Bundeswehr! Abholzung aufgeklärt. Dabei merkte ich, kann. In Afrika und Ghana hoffen wir meist Mehr Geld für Hilfspro- dass man nicht Politiker sein muss, um et- nur auf die Politiker, aber ich denke, dass gramme für Kindersol- was zu bewirken. Man muss vor allem ein Wandel mit uns selbst anfängt, dass wir in daten und Kinder in be- Teamplayer sein und darauf blicken, was uns selbst die Kraft haben, unsere Umge- waffneten Konflikten! man im eigenen Umfeld verändern kann bung zu verändern. Ich sehe aber auch, dass Weitere Informationen – so wie die Abibiman-Stiftung, die sich wir für ein wahres „Eine Welt Netzwerk“ unter: www.aktion-rote- für die Nachhaltigkeitsziele der Verein- noch die Nachwirkungen des Kolonialis- hand.de. (erb) ten Nationen einsetzt. In Tema habe ich mus überwinden müssen. Ich war in Brüs- auch eine Fridays-For-Future-Demonstrati- sel im Königlichen Museum für Zentralafri- on organisiert. Da waren knapp 200 Men- ka. Anstatt Artefakte und Bilder auszustel- schen. Deshalb war es so toll, hier in Düssel- len, müssten Europäer mehr darauf hören, dorf Tausende Demonstranten zu sehen. wie Afrikaner ihre eigenen Geschichten erzählen. Um zu verstehen, wer diese Völ- Was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft? ker waren, bevor sie kolonialisiert wurden. Ich hoffe, dass ich mein Können erweitern Das Gespräch führte Miriam de Hohenstein.

| 2-2020 34 welt-blicke bolivien Christus versus Bibeln im Präsidentenpalast und Hetze gegen die indigene Bevölkerung: Nach dem Rück- Pachamama tritt von Präsident Evo Morales versuchen in Bolivien rechte Katholiken, die alte Ordnung wiederherzustellen.

Von Matthew Peter Casey

inige Tage, nachdem der boli- vianische Staatspräsident Evo Morales unter dem Vorwurf der EWahlmanipulation im vergangenen November zum Rücktritt gezwun- gen worden war, hatte Boliviens neue Übergangspräsidentin ihren ersten öffentlichen Auftritt. Auf dem Bal- kon des Präsidentenpalastes in La Paz zeigte sich Jeanine Áñez, zuvor Sena- torin aus den Reihen der schwachen Opposition, mit einer Bibel. „Diese Bi- bel ist sehr bedeutsam für uns. Gott ist unsere Kraft“, sagte die 52-jährige Politikerin aus dem nordöstlichen De- partment Beni und hielt ein in Leder eingebundenes Exemplar des Buchs der Bücher in die Kameras. Die Anrufung des christlichen Gottes als Quelle politischer Macht mag in vielen Ländern üblich sein, für Bolivien ist es nach 14 Jahren un- ter Morales ein radikaler Bruch. Mo- rales, der dem Volk der Aymara ange- hört, war der erste indigene Führer des Landes seit der Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialherr- schaft im Jahr 1825. Indigene Men- schen und ihre Symbole wie die viel- farbige Wiphala-Flagge, die Boliviens zahlreiche indigene Gruppen reprä- sentiert, und das Andenkreuz, auch Chakana genannt, waren in seiner Amtszeit in den Machtzentralen der Hauptstadt La Paz und im ganzen Land allgegenwärtig. Morales’ Partei MAS (Movimien- to al Socialismo) besaß mit mehr als zwei Dritteln der Sitze eine gro- ße Mehrheit in beiden Kammern der

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Links: Mit einer Bibel in der Hand übernimmt Senatorin Jeanine Áñez am 12. November 2019 in Boliviens Regierungssitz La Paz das Präsidentenamt. Zwei Tage vorher ist Evo Morales zurückgetreten und Plurinationalen Legislativen Versammlung Bolivi- zahl der übrigen Einwohner betrachtet sich als eth- hat das Land verlassen. ens, was es ihr ermöglichte, umfassende Gesetze und nisch gemischt. Während der längsten Zeit seiner Aizar raldes/afp/getty images Reformen zu verabschieden. Die konservativen und Geschichte wurde Bolivien von den nichtindigenen liberalen Oppositionsparteien konnten den tiefgrei- Eliten in den Städten geführt. Die indigenen Arbei- Rechts: Der Christus der Armen – fenden Veränderungen im Land nur mit wachsender ter in den Bergwerken und auf den Feldern, die die Mitte 2015 überreicht Präsident Frustration hinterhersehen. Exportwirtschaft Boliviens seit der Kolonialzeit in Evo Morales in La Paz Papst Fran- Als der Oberste Gerichtshof des Landes 2016 den Schwung gehalten haben, wurden vielfach als Skla- ziskus ein aus Hammer und Sichel Weg für eine vierte fünfjährige Amtszeit von Morales ven, durch Schuldknechtschaft oder auf andere Wei- zusammengesetztes Kruzifix. freimachte, schlug ihre Verbitterung in offenen Zorn se ausgebeutet. Die Skulptur stammt vom 1980 um. Anführer der Morales-Gegner wurde Luis Fern- Die Religionszugehörigkeit verläuft in Bolivien ermordeten Priester Luis Espinal. ando Camacho, der einst eine katholisch-nationalis- nicht genau entlang der ethnischen Grenzen. Nur picture alliance/ap pictures tische Jugendgruppe geführt hatte und nun mit sei- rund vier Prozent der Bolivianer geben an, indige- nem Bürgerkomitee „Pro Santa Cruz“ Politik machte. ne Religionsformen zu praktizieren. Die Mehrheit – Trotz aller Widerstände kandidierte Morales für eine ungefähr drei Viertel – sind Katholiken, und 18 Pro- weitere Amtszeit und lag nach der ersten Wahlrunde zent gehören evangelikalen und anderen protestan- am 20. Oktober 2019 in Führung. tischen Gruppen an. Religion, Ethnizität und Kultur Doch die Opposition, unterstützt von der Organi- sind in der gesamten Andenregion eng miteinander sation Amerikanischer Staaten, warf Morales Wahl- verwoben. Wie anderswo in Lateinamerika kombinie- manipulation vor. Sie bezweifelte, dass er tatsächlich ren auch in Bolivien viele Indigene den christlichen mehr als zehn Prozent Vorsprung vor dem zweitplat- Glauben mit ursprünglichen religiösen Praktiken. zierten Kandidaten hatte, womit er ohne Stichwahl Diese weit verbreitete kulturelle und religiöse Vermi- automatisch zum Wahlsieger erklärt worden wäre. schung wurde von den Eliten nie gutgeheißen. Es kam zu Protesten, und am 10. November forderte das Militär Morales zum Rücktritt auf. Nachdem mit eit der Unabhängigkeit haben bolivianische Po- ihm weitere hochrangige MAS-Funktionäre ihre Äm- litiker vor allem das hispanische und katholi- ter aufgegeben hatten, fiel das Präsidentenamt der sche Erbe des Landes gefördert – nicht zusätz- Rangfolge nach Jeanine Áñez zu. Viele Beobachter ha- Slich zur indigenen Geschichte, sondern unter deren ben die Vorgänge als Staatsstreich gewertet. Ausschluss. Im 20. Jahrhundert wurde das noch ver- Die Aufklärung der Ereignisse rund um die Wahl stärkt. Indigene, die sich gegen die wirtschaftliche wird Historiker noch über Generationen beschäfti- und soziale Benachteiligung wehrten, wurden bru- gen. Eins ist jedoch schon jetzt klar: Die Übergangs- tal unterdrückt. Die bolivianische faschistische Par- regierung wird von einem Rechtsaußenflügel ge- tei agitierte für eine katholische Republik nach dem führt, der Stimmung gegen die indigene Bevölkerung Muster von Francos Spanien; Generationen von Kin- macht, indem er sie als Heiden und Sozialisten cha- dern aus der Elite lernten die Grundsätze des katho- rakterisiert. Das hat für viele Menschen verheerende lischen Nationalismus von ihren jesuitischen spa- Folgen. nischen Lehrern. Es kam zu einer machtvollen Ver- In Bolivien leben elf Millionen Menschen, 41 quickung einer antiindigenen Haltung mit einem Prozent von ihnen gehören laut der Volkszählung konservativen Katholizismus, wie sie in vielen la- von 2012 der indigenen Bevölkerung an. Die Mehr- teinamerikanischen Ländern zu finden ist.

| 2-2020 36 welt-blicke bolivien

Morales hingegen, ein ehemaliger Kokabauer nete sie die Aymara, die das neue Jahr mit den Ritua- und Gewerkschaftsführer, sah in der Indigenität die len ihrer Vorfahren begehen, als „satanisch“. Und nur Seele der nationalen Einheit Boliviens. Auf seine In- fünf Tage vor ihrer Amtseinführung machte sie sich itiative hin heißt Bolivien seit dem Jahr 2009 offizi- auf Twitter über indigene Quechua-Männer lustig, ell Plurinationaler Staat Bolivien, und per Gesetz sind die zu ritueller Kleidung moderne Schuhe und Jeans nun 36 indigene Sprachen und Ethnien anerkannt. trugen. Auch das Recht der indigenen Gemeinschaften, ihre Seit der Machtübernahme von Áñez ist in Bolivi- religiösen Traditionen auszuüben, stellte Morales en erneut die antiindigene Stimmung aufgeflammt, unter Schutz. Unter anderem ließ er ein neues Re- die vor Morales verbreitet war. Nach seinem Rück- gierungsgebäude errichten, dessen Architektur das tritt wurden Wiphala-Flaggen heruntergerissen indigene Erbe des Landes zum Ausdruck bringt. Das und verbrannt; Polizisten und Soldaten wurden da- 29 Stockwerke hohe „Große Haus des Volkes“ verbin- bei gefilmt, wie sie die Flagge von ihrer Uniform ab- det ultramodernes Design mit indigener Kunst. Die trennten. Innengestaltung ist von Tiahuanaco inspiriert, einer „Bolivien für Christus, Pachamama wird hier nie etwa 60 Kilometer westlich von La Paz liegenden Rui- wieder Fuß fassen“, erklärte Protestführer Luis Fern- nenstätte aus der Zeit vor der Inka-Zivilisation. ando Camacho, ein Bündnisgenosse von Áñez, als er im Regierungspalast vor einer auf die bolivianische Flagge gebettete Bibel niederkniete. Pachamama ist Die Übergangsregierung macht Stimmung die von den Indigenen verehrte Mutter Erde der An- gegen die indigene Bevölkerung, indem sie sie den. Camacho wurde auch schon als der „Bolsonaro Boliviens“ bezeichnet. Zwar ist der Aktivist aus San- als Heiden und Sozialisten charakterisiert. ta Cruz Katholik, doch auch Gruppen aus der Pfingst- bewegung unterstützen ihn. Diese ökumenische Un- terstützung könnte sich als Camachos Trumpf erwei- Morales, der nach seinem Rücktritt erst Asyl in sen, wenn er, wie angekündigt, bei den zurzeit für Mexiko fand und sich derzeit in Argentinien aufhält, Mai vorgesehenen Wahlen für die Präsidentschaft bemühte sich, die katholische Kirche vom boliviani- kandidiert. schen Staat zu trennen. Boliviens neue Verfassung aus dem Jahr 2009 nahm der katholischen Kirche iele indigene Bolivianer wissen, was Verfol- ihren Status als Staatsreligion, ein Überbleibsel der gung bedeutet. Sie sehen die Richtung, die das kolonialen Patronatsbeziehung zwischen der spani- Land unter Áñez eingeschlagen hat, mit Sor- schen Krone und dem Vatikan. Vge. Auch freie Wahlen können womöglich ein Aufle- Morales selbst ist Katholik. Aber er kritisiert die ben religiös motivierter antiindigener Gewalt nicht Institution der katholischen Kirche, die im 16. Jahr- verhindern. Seit dem Rücktritt von Morales strömen hundert die Kolonisierung Lateinamerikas durch seine Anhänger vom Land in die Städte und fordern Spanien und im 20. Jahrhundert die Falangisten-Par- ein Ende der Übergangsregierung. Das Militär hat tei unterstützte. Der Linken in Lateinamerika fiel es diese Proteste wiederholt mit Gewalt niedergeschla- angesichts der vielen gläubigen Christen in der Regi- gen, die Dutzende das Leben kostete; mehr als 700 on stets schwer, ihre politischen Ideen zu vermitteln. Menschen wurden verletzt. Dabei setzt die Armee Antireligiöses oder gar antikatholisches Gedanken- die Indigenen mit Unterstützern von Morales gleich. gut hatte hier nie eine Chance. „Alle, die indianische Gesichtszüge haben, werden Im Jahr 2015 überreichte Morales Papst Franzis- als Angehörige der Partei von Morales betrachtet, kus ein aus Hammer und Sichel zusammengesetztes insbesondere indigene Frauen“, sagte die feministi- Kruzifix, eine Skulptur des spanisch-bolivianischen sche Aktivistin Adriana Guzmán dem Nachrichten- Priesters Luis Espinal, der im Jahr 1980 ermordet wor- sender „Telesur“ nach der Absetzung von Morales. den war. Espinal verstand sie als Symbol der Befrei- Im schlimmsten Fall führt die Kombination aus ungstheologie, einer progressiven Strömung des Ka- rassistischem Hass und der Selbstgewissheit, im tholizismus, die sich der Sache der Armen zuwandte göttlichen Auftrag zu handeln, zu Massakern ähnlich Matthew und die Diktaturen in ganz Lateinamerika herausfor- wie in Guatemala unter Präsident Efraín Ríos Montt Peter Casey derte. Auch Morales unterstützte diese Form der Re- (1982-1983), der den Einsatz staatlicher Gewalt mit lehrt lateiname- ligiosität, die in den Erfahrungen des Volkes wurzelt. der Bibel rechtfertigte. Glücklicherweise scheint die rikanische Doch der Umgang von Morales mit religiösen Welle der Gewalt von Polizei und Militär gegen die Geschichte an Fragen stieß auf Kritik von konservativen christli- MAS-Anhänger derzeit abzuebben, nachdem die In- der Arizona State chen Gruppen, die ihm teils Heidentum, teils atheis- terimsregierung unter Druck durch ausländische Be- University in den tischen Sozialismus vorwarfen. Die derzeit amtieren- obachter geraten ist. USA. Der de Übergangsregierung hat enge Verbindungen zu Am besten wäre es, wenn die christlichen Führer, Schwerpunkt diesen Gruppen, die Morales während seiner Regie- ob Laien oder Kleriker, Gewalt im Namen der Bibel seiner Forschung rungszeit äußerst kritisch gegenüberstanden. und des Christentums nachdrücklich verurteilten ist religiös Die Interimspräsidentin Áñez ist zudem im Ver- und sich auf die Seite der Massen stellten, so wie sie motivierter lauf ihrer politischen Karriere mit offen anti-indige- es in der Blütezeit der Befreiungstheologie getan ha- Aktivismus in der nen Äußerungen hervorgetreten. In einem Tweet aus ben. Andenregion. dem Jahr 2013, der inzwischen gelöscht ist, bezeich- Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

2-2020 | senegal welt-blicke 37 Fisch für den Trog statt für den Teller

Eine Frau verarbeitet am Strand von Kafountine im Süden des Senegal frisch gefangenen Fisch.

Von Odile Jolys (Text und Fotos)

Im Senegal ist Fisch die ame Penda Ndoye hat an diesem Morgen rand. Auf Holz- und Strohtischen liegen Stücke von Haupteiweißquelle, und die viel zu tun: Die alte Dame ist die Vorsitzen- Hai, Doraden, Yabooy und vielen anderen Fischen de des Vereins der Fischverarbeiterinnen zum Trocknen in der Sonne. Yabooy ist die Bezeich- Verarbeitung schafft Tausen- Min M’bour, einer Stadt unweit von Senegals Haupt- nung für Sardinellen – in Wolof, der Umgangsspra- de Jobs, vor allem für Frauen. stadt Dakar. Mit großer Bestimmtheit regelt sie die che im Senegal. Dem landesweit beliebten Gericht Doch die sind in Gefahr, weil Probleme, die auf dem Gelände auftauchen, wo fri- Tiep – Reis, Gemüse und Fisch – geben die Sardinellen immer mehr Fabriken daraus scher Fisch getrocknet wird. Eine Frau ist empört, den Geschmack. Der Fisch ist außerdem sehr reich an ihr Geld wurde gestohlen. Mame Penda Ndoye muss Omega-3-Fettsäuren und war bisher nur für den lo- Fischöl oder Fischmehl schlichten. Eine andere hat einen Todesfall in ihrer kalen Markt bestimmt. Denn seine vielen Gräten ma- machen. Familie zu beklagen; dafür muss sie Geld sammeln. chen den Yabooy untauglich für den Export außer- Ein Jugendlicher hängt herum. Mame Penda Ndoye halb der Region. mahnt die Frauen, ihm etwas zu tun zu geben, denn „Die Sardinelle ist sehr wichtig für die Ernäh- er braucht ein kleines Einkommen. Und sie rügt eine rungssicherheit Westafrikas“, sagt Ibrahima Cissé, Frau, die getrockneten Fisch kauft, um ihn in Dakar Mitarbeiter von Greenpeace Westafrika in Dakar. Drei auf einem Markt weiterzuverkaufen, weil sie den be- Viertel der tierischen Proteine, die die Menschen im reits bezahlten Beutel zu voll stopft. Senegal zu sich nehmen, kommen vom Fisch. Der Ya- 156 dieser registrierten Kleinunternehmerin- booy steht dabei an erster Stelle. An diesem Morgen nen verarbeiten Fisch hier direkt am Meer am Stadt- ist gerade eine Frau aus Togo eifrig dabei, trockenen

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Nouakchott Am Strand von M’bour nahe andere sollen Chinesen oder einem Russen gehören. Senegals Hauptstadt Dakar Senegal Die Besitzverhältnisse sind undurchsichtig. werden Doraden, Hai und vor „Es ist einfach unmoralisch, frischen Fisch für die allem Sardinellen verarbeitet; Atlantischer Fischmehl- und Fischölproduktion zu nutzen“, em- Ozean die sind unentbehrlich für das AFRIKA pört sich Ibrahima Cissé. Stark ölhaltiger Fisch wie Ya- Nationalgericht. booy wird in der Pharmaindustrie und in der Aqua- kultur benutzt. Fischmehl wiederum dient haupt- Dakar Cayar sächlich als Futter in der Schweine- und Geflügel- M’bour MALI zucht sowie als Fischfutter in der Aquakultur. Um ein Joal Kilo Fischmehl zu produzieren, müssen vier bis fünf Kilo frischer Fisch gefangen werden. GAMBIA Weil so viel Yabooy in diesen Fabriken benötigt Abéné 100 km Kafountine © wird, ist die Art inzwischen überfischt. Die Ernäh- rungs- und Landwirtschaftsorganisation der Ver- GUINEA- GUINEA einten Nationen (FAO) hat deshalb 2018 empfohlen, BISSAU den Sardinellenfang in den Gewässern Westafrikas so Fisch zu kaufen. Sie kommt zwei Mal pro Jahr nach schnell wie möglich drastisch zu verringern. Verbrau- M’bour und will gleich einen ganzen Lieferwagen fül- cherinnen wissen es: „Der Yabooy ist in den letzten len. In Lomé, der Hauptstadt von Togo, verkauft sie Jahren teurer geworden. Früher konnte ich fünf kau- den Fisch an die Marktfrauen weiter. Der Fisch aus fen, heute bekomme ich mit dem gleichen Geld einen dem Senegal sei beliebt, sagt sie, und ja, auch sie und der ist klein“, beklagt sich eine Mutter von sieben kauft viel Yabooy. Kindern, die in Dakar lebt. „Ich koche ihn weniger oft“, Doch das Vorkommen der Sardinelle ist bedroht. sagt sie. Aber das Nationalgericht Tiep ohne Yabooy Grund dafür sind die zahlreichen Fischmehl- und kann sie sich nicht vorstellen. Fischölfabriken, die in den vergangenen knapp zehn Jahren an der Küste des Senegals, aber auch Gambi- lobal sinkt die Produktion von Fischmehl, weil as und vor allem Mauretaniens gebaut wurden, be- mehr Fisch direkt gegessen und von man- klagt Greenpeace in dem im Juni 2019 veröffentlich- chen Arten weniger gefangen wird – so ha- ten Bericht „A Waste of Fish“. Die ersten dieser Fabri- Gben Peru und Chile, zwei große Fischmehlerzeuger, ken wurden bereits in den 1960er Jahren im Senegal ihre Fangquoten für Sardellen heruntergesetzt. Nur eröffnet. „Früher zermahlten sie aber nur Abfallpro- in Westafrika steigt die Fischmehlproduktion. „Dort, dukte der Fabriken, die Konserven und Fischfilets wo die Staaten schwach sind, siedeln sich die Fabri- herstellten. Heute benutzen sie auch frischen Fisch“, ken an“, sagt der Umweltaktivist von Greenpeace. Da erklärt Cissé. Schon 2017 hatte Aprapam, ein senega- der Markt für Fischmehl groß ist, suchen Investoren lesischer Verein der Kleinfischer, wegen der Auswei- Standorte, an denen sie die Fischressourcen ausbeu- tung der Fischmehl- und Fischölfabriken Alarm ge- ten können, und versprechen den Behörden dort Ar- schlagen – mit wenig Wirkung. beitsplätze und vielleicht ein Gesundheitszentrum. Es gibt laut Greenpeace schon acht solche Fabri- Fischmehl aus dem Senegal wird laut einem ken im Senegal (und nicht weniger als 39 im Nach- Greenpeace-Bericht von 2017 zu 54 Prozent in andere barland Mauretanien); vier davon haben nach einem afrikanische Länder, zu knapp 22 Prozent nach Euro- Bericht des Fischereiministeriums im Jahr 2018 rund pa und zu rund 18 Prozent nach Japan exportiert. Das acht Prozent des gesamten senegalesischen Fisch- Fischöl geht ausschließlich in die EU und wird zum fangs verarbeitet. Zwei sind in senegalesischer Hand, Beispiel für Nahrungsergänzungsmittel verwendet.

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Händlerinnen, die den getrockneten Fisch kaufen, um ihn auf Märkten zu verkaufen, muss man hinzu- zählen. Der Großteil der Beschäftigten im Fischsektor arbeitet informell, ohne feste Anstellung und Bezah- lung. Die Fischmehl- und Fischölfabriken im Senegal beschäftigen gerade einmal 393 Menschen, darunter 264 Tagelöhner, so das Fischereiministerium. Das Fischverarbeitungsgelände in M’bour ist ver- hältnismäßig klein. Tausende Frauen arbeiten dage- gen in Kafountine im Süden des Landes oder in Cayar nördlich von Dakar. In Joal räuchern und trocknen circa 3000 Frauen den Fisch. Karim Sall ist dort der Vorsitzende des Vereins für die Kleinfischerei. Er ist auch verantwortlich für das Meeresschutzgebiet von Joal und Generalsekretär des Fischereikais.

er Mann, der so viele Ämter innehat, ist be- sorgt. Seiner Meinung nach sind die Fisch- mehlfabriken ein Anreiz für die Fischer, mehr Wenn es in Ginge es nach Cissé, dann sollte der senegalesische Dzu fischen. „Sie wissen, dass sie einen Abnehmer für M’bour Staat lieber Fabriken an Land ziehen, die Fisch als ihren Fang haben werden, egal was und wie viel sie Probleme gibt, Lebensmittel verarbeiten: „Der Markt ist da. Nigeria fischen“, sagt er. Sall weiß, dass an der Überfischung ist sie zur oder die Elfenbeinküste sind mögliche Abnehmer.“ nicht allein die Fischmehlfabriken schuld sind. Als Stelle: Mame „Die ausländischen Fabriken nehmen uns die weitere Gründe nennt er die wachsende Bevölkerung, Penda Ndoye, Nahrung, um mit dem Fischmehl ihre Tiere zu füt- die starke Zunahme der Pirogen, mit denen die Klein- die Vorsitzende tern“, empört sich Mame Penda Ndoye, die Vorsitzen- fischer aufs Meer fahren, die industrielle und zu we- des Vereins der de des Vereins für Fischverarbeiterinnen. Die sorgen nig kontrollierte Fischerei sowie den Klimawandel. Fischverar­bei­­ sich deswegen auch um ihr Handwerk. Denn Fisch- Allerdings erhöhten die Fischmehlfabriken unnöti- terinnen. verarbeitung ist Frauensache. Sie sind die Chefinnen gerweise den Druck auf eine stark beanspruchte Res- und haben Männer und andere Frauen als Angestell- source. „Im November konnten wir das erste Mal seit te. Alle helfen, die Fische zu transportieren, die Fisch- 1995 nicht rechtzeitig die Löhne unserer Mitarbeiter schuppen abzukratzen, die Haut zu entfernen und am Fischereikai bezahlen“, berichtet er. „Mit weniger die Fische zu putzen. Reich werden die Helfer und Fisch haben wir auch weniger Einnahmen. Die Lage Helferinnen mit dieser Arbeit nicht. Um eine Wanne ist schlecht. Ich bin sicher, dass in fünf oder sechs Jah- von circa sieben Kilogramm Fisch zu füllen, erzählt ren die Fischerei zu Ende sein wird.“ eine Frau mittleren Alters, braucht sie eine Stunde In Joal gibt es die Fischmehlfabrik seit zehn Jah- und verdient dabei 500 Franc CFA (76 Eurocent). ren. Sie war in russischer Hand und wurde vor vier „Der Besitzer einer Fabrik kauft mit seinen Mil- Jahren von Chinesen weiterverkauft und dann ver- lionen den ganzen Fisch“, klagt Mame Penda Ndoye. größert, erzählt Karim Sall. Bis 300 Tonnen Fisch kön- „Manchmal arbeiten wir bis spät abends, bis 22 Uhr, ne sie täglich verarbeiten. Die Fabrik bedeute einen weil wir in der Frühe nicht genug Fisch bekommen unfairen Wettbewerb für die Frauen, meint Karim haben“, sagt sie: Fischer und Zwischenhändler liefern Sall. „Sie ist gut organisiert. Sie hat feste Preise, ihre ei- nicht genug, wenn der Fang gering ist und die Fab- genen Zwischenhändler und kann den Fang auch im riken einen großen Teil kaufen. „Wir haben aber kei- Voraus finanzieren, was für die Fischer von Vorteil ist.“ nen anderen Beruf. Wir sind keine Bauern. Wir haben In Joal und vielen anderen Orten im Senegal pro- nur das Meer. Mit unserer Arbeit ernähren wir unse- testieren viele Bürger deshalb gegen die Fischfabri- re Familien, bezahlen die Ausbildung unserer Kinder ken. Sie protestieren gegen den Gestank aus der Fisch- und die Arztrechnungen“, fährt die 70-Jährige fort. mehlproduktion, gegen das verschmutzte Abwasser, Sie hat schon als Jugendliche hier in M’bour angefan- das ins Meer fließt, und gegen die Überfischung. Die gen, Fisch zu verarbeiten. Heute, erzählt sie, ist das Frauen, die in der Fischverarbeitung tätig sind, haben Gelände größer und besser organisiert, die Einnah- im Oktober 2019 ein Memorandum mit ihren Forde- Odile Jolys men sind höher. Es gibt sogar einen Lagerraum für rungen an das Fischereiministerium übergeben. „Wir ist freie den trockenen Fisch. „Aber es gibt nicht mehr viel zu können sie nicht zwingen, die Fabriken zu schließen, Journalistin in lagern“, beklagt sie. aber wir wollen zumindest den Vorrang beim Fisch- Dakar (Senegal) Der gesamte Fischsektor beschäftigt nach Anga- kauf bekommen“, sagt Mame Penda Ndoye. und berichtet ben des Fischereiministeriums im Senegal 600.000 Eine Antwort haben sie bisher nicht bekommen. aus Westafrika, Menschen. Greenpeace zitiert eine wissenschaftliche Außerdem hat seitdem der Minister gewechselt. Nur unter anderem Studie, die sogar von 825.000 Arbeitsplätzen spricht. an einem Standort haben sich die Menschen erfolg- für den Dazu gehören auch Jobs im Transport – vom Pfer- reich gegen eine Fischmehlfabrik gewehrt – in Abéné Evangelischen dekarrenfahrer über informelle Taxen bis hin zum im Süden des Senegals. Dort wurde entschieden: Die Pressedienst und Lastwagenfahrer. Auch die Zwischenhändler, die den Fabrik wird abgebaut und zehn Kilometer weiter, in „Neues Fisch an die Frauen verkaufen, und die zahlreichen Kafountine, angesiedelt. Deutschland“.

| 2-2020 40 welt-blicke sportwetten Geld auf ferne Kicker setzen

Von Christopher Bunn

Die Spiel- und Wettbranche etten und Glücksspiel sind ein Problem on WHO zusammen, um sich mit den Gesundheits- wird im globalen Norden der öffentlichen Gesundheit und müssen folgen des „beispiellosen Booms beim kommerziel- auch als solches behandelt werden – das len Spielen“ in den letzten Jahren zu befassen. Das mehr und mehr reguliert, Wbetonen europäische Wissenschaftler immer wieder. ist ein Fortschritt. kann sich aber in Afrika Denn die Schäden sind offensichtlich, die nicht nur Doch während die Spiel- und Wettbranche in ei- südlich der Sahara nahezu die Spielenden, sondern auch deren Familien, das nigen Regionen der Welt mehr und mehr ins Blick- ungehindert ausbreiten. Die Gemeinwesen und die Gesellschaft davontragen: feld der Politik rückt, konzentrieren sich kommer- Verlust von Hab und Gut, Suchterkrankungen und zielle Anbieter verstärkt auf Regionen, in denen die sozialen Kosten sind hoch. Depressionen bis hin zum Suizid, Gewichtsverlust, Branche (noch) weniger reguliert und überwacht Gewalt in der Familie und der Zusammenbruch von wird. Ähnlich verhielten sich schon große Tabakkon- Beziehungen. Internetgestützte Spielangebote sind zerne, als ihre Produkte stärkeren Kontrollen unter- im digitalen Zeitalter allgegenwärtig, das verstärkt worfen wurden – unter anderem mit dem Rahmen- die schädlichen Folgen. Denn Spieler können, ohne übereinkommen der WHO zur Eindämmung des Ta- Verzockt oder den richtigen mit irgendeinem anderen Menschen in Kontakt zu bakgebrauchs von 2003 oder mit der seit 2016 gel- Riecher gehabt? Im Wettbüro in kommen, jederzeit und überall Wetten abschließen. tenden EU-Tabakrichtlinie. Kampala (Uganda) verfolgen Vor allem in Europa beginnen politische Ent- Besonderen Anlass zur Sorge gibt Afrika süd- junge Männer gebannt im scheidungsträger allmählich, auf die Bedenken von lich der Sahara. Kritische Beobachter haben aufge- Fernsehen ein Fußballspiel der Wissenschaftlern, Aktivisten und Gesundheitsex- zeigt, wie rasant Spiel- und Wettunternehmen dort englischen Premier League. perten zu hören. So kam im Dezember 2019 erstmals ihre Angebote ausweiten. Dieses Wachstum bezieht afP/getty images eine Expertenrunde der Weltgesundheitsorganisati- sich auf das ganze Spektrum des Spielens: Kasinos,

2-2020 | sportwetten welt-blicke 41

Lotterien und Onlinespiele ebenso wie die beson- rikaner, die in Städten leben und Probleme mit De- ders beliebten und weit verbreiteten Sportwetten. pressionen, Angststörungen, Alkohol- oder Drogen- Der Markt für Sportwetten ist in Afrika zwar viel- konsum haben, ähnlich wie in westlichen Staaten fältig, aber die Daten zeigen, dass das Hauptaugen- ein höheres Risiko tragen, spielsüchtig zu werden. merk der regionalen Sportwetten auf dem europäi- Bemerkenswert ist auch, dass das Spielen in Südafri- schen Fußball liegt. ka ebenso wie in Uganda und Nigeria vor allem un- Die meisten afrikanischen Fußballfans verfolgen ter jungen Männern mit niedrigem Einkommen ver- die Spiele verschiedener Teams – zum Beispiel einer breitet war. Mannschaft, die in der englischen Premier League spielt, einer aus der deutschen Bundesliga, einer aus der italienischen Serie A und einem La-Liga-Team Manche Anbieter haben in Afrika Sportwetten aus Spanien. Aus diesem Trend, der vor allem junge als Möglichkeit angepriesen, ein verlässliches Männer erfasst, für die Fußball ein wichtiger Teil ih- res sozialen und kulturellen Lebens ist, schlagen die Einkommen zu erzielen. Wettbetriebe auf dem Subkontinent Gewinn. Berich- ten zufolge umwerben viele von ihnen gezielt eben diesen Personenkreis. Die bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich Spielen und Wetten sehr schädlich auf die abei präsentieren sie Sportwetten als eine öffentliche Gesundheit in Afrika südlich der Saha- gute Möglichkeit, das eigene Geld zu ver- ra auswirken. Vor allem schmälert es das zur Verfü- mehren, denn die jungen Männer könnten ja gung stehende Haushaltseinkommen. Angesichts Ddurch ihr fußballerisches „Expertenwissen“ gut ein- weit verbreiteter Armut verringert Spielen damit die schätzen, wie die jeweiligen Spiele ausgingen. Es ist Chancen auf gesunde Ernährung, Bildung und Erzie- sogar vorgekommen, dass Unternehmen ihre Spiel- hung sowie medizinische Versorgung; es verschärft und Wettangebote als eine Möglichkeit anpriesen, psychische Probleme und belastet wichtige zwi- ein „verlässliches Einkommen“ zu erzielen. Ange- schenmenschliche Beziehungen. sichts weit verbreiteter Armut und des immensen Drucks, der auf jungen Männern lastet, ihre Familien inige Regierungen in der Region haben das Pro- zu unterstützen oder auch eigene Familien zu grün- blem erkannt und bereits etwas unternommen. den, erscheint diese Verkaufsstrategie skrupellos. So vergeben ugandische Behörden keine wei- Für Uganda haben Forscher beschrieben, wie Eteren Lizenzen an Spiel- und Wettanbieter und ha- junge Menschen in Lira, einer Stadt im Norden des ben signalisiert, dass sie bestehende Lizenzen nicht Landes, versuchten, mit Fußballwetten ihr Einkom- verlängern wollen. Die kenianische Regierung hat men aufzubessern und dabei in einen Sog schädli- Lizenzen von solchen Unternehmen ausgesetzt, die chen Verhaltens gerieten. Erforscht wurden auch die Steuerschulden nicht beglichen haben. Trotz die- sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Spielens in ser Vorstöße weiten Spiel- und Wettfirmen ihre Ge- der Hauptstadt Kampala, in der sich rund ein Fünf- schäfte in der Region aus. Ein führendes Wirtschafts- tel aller Erwachsenen im vergangenen Jahr an Sport- prüfungsunternehmen bezifferte den afrikanischen wetten beteiligt haben – darunter zehn Mal mehr Markt für das Jahr 2016 auf 18 Billionen US-Dollar – Männer als Frauen. Über die Hälfte der Befragten hat „Tendenz rapide steigend“. berichtetet, dass sie wegen des Wettens weniger Geld Es wäre wichtig, dass weitere Regierungen dem für Güter des täglichen Bedarfs ausgaben. 28 Prozent Beispiel von Uganda und Kenia folgen. Es ist durch- sagten, dass ihr Wettverhalten zu häuslicher Gewalt aus möglich, die Branche politisch zu regulieren, ihre führe, und 3,4 Prozent gaben an, wegen ihres Spiel- Ausbreitung zu begrenzen und ihre Steuerschulden verhaltens schon einmal Teile ihres Haushalts ver- einzutreiben. Da viele der im südlichen Afrika täti- kauft zu haben. Die ärmste Gruppe der Befragten gen Unternehmen von Übersee betrieben werden, gab durchschnittlich 17 Prozent ihres Haushaltsein- tragen auch Regierungen und Regulierungsbehör- kommens für Wetten und Spiele aus. Insgesamt deu- den außerhalb der Region Verantwortung. Denn so tet der Bericht darauf hin, dass über ein Viertel der lange es einfach ist, mit Wetten und Spielen aus der befragten Spieler täglich wetteten und über zwei Region Geld abzuziehen, wird die Branche wachsen. Fünftel wöchentlich. Wichtig ist aber auch, in den Gemeinden ein Be- In Nigeria braucht man kaum mehr als einen In- wusstsein für die Risiken des Spielens zu schaffen. ternetzugang, um Geschäfte mit Fußballwetten zu Wir brauchen Kampagnen, die den Menschen prak- machen. Per Umfrage unter 300 fußballwettenden tisch zur Seite stehen, wenn sie dem verheerenden Nigerianern haben Forscher herausgefunden, dass Einfluss der Spielbranche in ihren Gemeinden entge- die Beteiligten auch hier vor allem junge Männer genwirken möchten. Diese Kampagnen sollten sich waren, die täglich oder zumindest vier Mal wöchent- vor allem an junge Männer richten, die Fußball lie- lich wetteten. Oft verwendeten sie dazu Geld aus der ben. Sie sollten ihre Leidenschaft für das Spiel in Bah- Christopher Bunn Arbeitslosenunterstützung. nen lenken, die ihrer Gesundheit förderlicher sind als ist Soziologe und forscht am Institut Auch aus Südafrika gibt es Umfrageergebnisse, Fußballwetten. für Gesundheit und Wohlbefinden der sowohl aus ländlichen als auch aus städtischen Um- Universität Glasgow zu globalen feldern. Eine dieser Studien hat ergeben, dass Südaf- Aus dem Englischen von Barbara Erbe. Themen der öffentlichen Gesundheit.

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Zum Verkauf wie ein Stück Fleisch Von Barbara Crossette mit Fotos von Sandra Hoyn/laif

Sollte Prostitution nicht nde Oktober 2019 schrieb die Direktorin von UN Mlambo-Ngcuka sprach auch den Streit über Be- längst verboten sein? Ja, Women, Phumzile Mlambo-Ngcuka, einen offe- griffe im Zusammenhang mit der Prostitution an. nen Brief an eine Koalition aus Frauenrechtsor- Im Jahr 2013 hatte UN Women in einem inoffiziellen sagen Frauen aus dem Süden. Eganisationen, der viele Feministinnen in Erstaunen Memorandum UN-Behörden und nichtstaatliche Der Streit droht die nächste versetzte. Darin erklärte die südafrikanische Politike- Organisationen aufgefordert, die Begriffe „Prostitu- Tagung der UN-Frauenrechts- rin und Untergeneralsekretärin der Vereinten Natio- ierte“ und „Prostitution“ durch „Sexarbeiterinnen“ kommission zu belasten. nen unmissverständlich, dass ihre UN-Behörde kei- und „Sexarbeit“ zu ersetzen. Außerdem forderte das ne Partei ergreifen werde in der zunehmend heftiger Memorandum, „das Recht aller Sexarbeiterinnen, geführten internationalen Debatte darüber, ob Pros- ihre Arbeit frei zu wählen oder sie aufzugeben und titution legalisiert werden sollte oder nicht. Zugang zu anderen Erwerbsmöglichkeiten zu ha-

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Warten auf Kunden: Sexarbeiterinnen vor reich sind Partner von UN Women bei der Durchfüh- dem Kandapara-Bordell im indischen Bezirk rung der FRK 2020 und der begleitenden Veranstal- Tangail, das Sandra Hoyn im Jahr 2016 für ihre tungen. Die Mitglieder der Koalition befürchten, die Fotoreportage besucht hat. Stimmen der ärmsten und wehrlosesten Frauen der Welt könnten womöglich nicht gehört werden. Taina Bien-Aimé sagte in einem Interview, die- ben“, anzuerkennen. Der Brief mit der neuen offizi- se Sorge sei teilweise auf das Memorandum von ellen Neutralitätserklärung von UN Women hat in UN Women aus dem Jahr 2013 zurückzuführen. Ob- beiden Lagern Bestürzung hervorgerufen. Auf der wohl es keine offizielle politische Verlautbarung war, einen Seite betonen Gegner der Legalisierung, dass durchdrang es UN-Behörden und NGOs so stark, Menschen, die in die Prostitution und andere For- dass die Befürworter einer Entkriminalisierung ver- men von Zwangsarbeit verkauft werden, insbeson- suchten, Legalisierungsgegner von den Vorberei- dere in vielen Entwicklungsländern, meistens arm tungs- und Planungssitzungen für die FRK und die seien und keine anderen Beschäftigungsmöglich- begleitenden Foren auszuschließen, zum Beispiel keiten hätten. „Nicht sie wählen die Prostitution; die indem sie sie nicht akkreditierten oder nicht an Be- Prostitution wählt sie“, bemerkte mir gegenüber ein- sprechungen teilnehmen ließen. Bei einem Regio- mal eine Aktivistin in Indien. naltreffen im Oktober in Genf provozierten solche Taina Bien-Aimé, die Präsidentin der zivilgesell- Maßnahmen für kurze Zeit kleine Straßenproteste schaftlichen Koalition gegen Frauenhandel, die ge- von ausgeschlossenen Frauen. gen die Entkriminalisierung der Prostitution kämpft, kommentierte Mlambo-Ngcukas Brief mit folgen- ie Frauenrechtskommission wird auf ihrer den Worten: „Durch diesen Brief haben wir nun nach Sitzung im März das 25-jährige Jubiläum der sechs Jahren endlich eine Neutralitätserklärung. Das bahnbrechenden vierten Weltfrauenkonfe- sollte als Sieg gelten, fühlt sich für viele aber nicht so Drenz in Beijing im Jahr 1995 feiern. Laut der Koali- an.“ Seit Oktober 2013 und dem inoffiziellen Memo- tion gegen Frauenhandel scheinen rund 15 Prozent randum habe sich die Koalition in Gesprächen mit eines 21 Mitglieder umfassenden Beratergremiums, UN Women, anderen UN-Institutionen sowie mit das aus Individuen und Gruppen besteht und in Regierungen gegen die Forderung von UN Women den Foren in Mexiko City und Paris mit der Zivilge- nach vollständiger Entkriminalisierung gewandt. sellschaft zusammenarbeitet, aus den USA zu kom- Auf der anderen Seite argumentieren die Befür- men. Dort finden NGOs mit der Open Society Foun- worter einer Legalisierung von Prostitution, die Ab- dation von George Soros als Hauptgeber großzügige schaffung von Gesetzen, die das Angebot und den finanzielle Förderungsmöglichkeiten für ihre Lob- Kauf von Sex verbieten, könne Frauen vor Bedro- byarbeit. hungen, sexueller Belästigung und Schmiergeldfor- Der Streit über den rechtlichen Status von und derungen der Polizei schützen. die Terminologie rund um das Prostitutionsgewerbe offenbart eine Nord-Süd-Kluft, in der zumeist westli- usan Davis, eine führende Frauenrechtlerin che oder englischsprachige Teilnehmerinnen die FRK und Entwicklungsexpertin in den USA, schrieb und die anschließenden Foren nutzen könnten, um in einem Kommentar zu Mlambo-Ngcukas ihre eigene Erfahrung, wie Prostitution in der reichen SBrief, es sei „sehr enttäuschend zu hören, dass bei Welt legalisiert und gehandhabt werden kann, mit den UN die Dinge rückwärts gehen. Sexarbeiterin- Nachdruck in die Diskussion einzubringen. In den In- nen auf der ganzen Welt sind auf Vernunft innerhalb dustrieländern können staatliche Aufsicht, öffentli- dieser Gremien und auf faktenbasierte Entscheidun- che Dienste und starke Interessenverbände den Frau- gen angewiesen. Ich möchte bezweifeln, dass Sexar- en in der „Sexarbeit“ in Rechts- und Gesundheitsfra- beiterinnen in vom Krieg zerrissenen Ländern die gen helfen und sie vor Missbrauch schützen. Kriminalisierung ihrer einzigen Einkommensquel- Eine andere Sichtweise ist dagegen oft aus dem le gutheißen würden. ‚Neutral bleiben‘ ist kein Kom- globalen Süden zu hören. In einer Rede in New York promiss, es ist ein Rückzieher. Wirklich beschämend.“ am Internationalen Frauentag 2015 sagte Ruchira Mlambo-Ngcukas Brief war die Antwort auf eine Gupta, Gründerin der internationalen Organisation Petition, die ihr rund 1400 Einzelpersonen und Or- Apne Aap zur Bekämpfung von Zwangsprostitution, ganisationen in sechzig Ländern geschickt hatten, das jüngste Kind, das sie in Schuldknechtschaft ge- koordiniert von der Koalition gegen Frauenhandel. sehen habe, sei erst sieben Jahre alt gewesen. Im Jahr Die Mitglieder des Bündnisses sorgen sich vor al- 2018 berichtete die Thomson Reuters Foundation, lem, dass Befürworter einer pauschalen Entkrimi- eine von ihr in Auftrag gegebene Studie stufe Indien nalisierung die Diskussionen bei der nächsten Sit- auf der Grundlage von Daten über Gesundheitsver- zung der UN-Frauenrechtskommission (FRK) vom 9. sorgung, Diskriminierung, kulturelle Traditionen, se- bis zum 20. März und den sich daran anschließen- xuelle und nicht-sexuelle Gewalt und Menschenhan- den Foren zur Generationengerechtigkeit in Mexico del als das für Frauen gefährlichste Land weltweit ein. City und in Paris beherrschen könnten. Diese Foren Bei der Entgegennahme eines Preises für ihr En- werden von einem zivilgesellschaftlichen Gremium gagement sagte Gupta: „Die Zuhälter übergaben die- organisiert, aber von UN Women und deren Bera- se kleinen Mädchen den Bordellbesitzern, und die tern einberufen und koordiniert; Mexiko und Frank- Mädchen wurden für die nächsten fünf Jahre einge-

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sperrt und jede Nacht wiederholt von acht oder zehn Freiern vergewaltigt.“ Mit zwanzig, so Gupta, sei ihre Jugend vorbei, ihr Körper gebrochen und sie würden „hinausgeworfen, weil sie nicht mehr kostendeckend sind, um am Straßenrand einen sehr schweren Tod zu sterben“. In ihrem Brief vom Oktober 2019 schrieb die Koa- lition gegen Frauenhandel, sie befürworte die Entkri- minalisierung von Frauen, die ins Prostitutionsge- werbe gezwungen oder gelockt worden seien, nicht aber die der Männer, denen sie dort als Sexkäufern begegnen. Wörtlich heißt es in dem Brief: „Prostituti- on ist weder ‚Sex‘ noch ‚Arbeit‘, sondern eine der un- werbe existieren zahlreiche und unterschiedliche Oben links: Kajol mit einem Freier. geheuerlichsten Formen männlicher Gewalt; sie ist Gesetze und Strategien – vom strikten Verbot bis zur Die 17-Jährige wurde mit neun sexuelle Gewalt, ein Eindringen in den Körper und völligen Entkriminalisierung. Zahlen der US-Regie- Jahren verheiratet, ihre Tante ein Hindernis für die Geschlechtergleichheit. Wir rung aus dem CIA World Factbook 2019 listen 35 Län- verkaufte sie an das Kandapara- fordern Gesetze, die prostituierte Frauen entkrimi- der auf, in denen Prostitution illegal ist, in 53 Län- Bordell. Sie hat einen sechs Monate nalisieren und die Bereitstellung von Hilfsmaßnah- dern ist sie legal und in 12 „eingeschränkt legal“. alten Sohn. Zwei Wochen nach men anordnen, während sie die Täter einschließlich In zahlreichen Ländern Lateinamerikas ist die dessen Geburt wurde sie wieder Sexkäufer und Ausbeuter für den von ihnen verur- Prostitution legal, etwa in Argentinien, Brasilien, zum Sex gezwungen. sachten Schaden zur Rechenschaft ziehen.“ Chile, Kolumbien, Kuba und dem überwiegenden Teil von Mittelamerika und Mexiko, die geografisch Mitte: Die 27-jährige Bonna mit ieser Ansatz, bei dem das Strafrecht nicht auf zu Nordamerika gehören. Kanada und die USA wer- Humayn. Die beiden haben sich im Frauen als Prostituierte, sondern nur auf Sex- den als legal mit Einschränkungen gelistet. Bordell kennengelernt, sind käufer angewandt wird, entspricht dem soge- In Asien ist die Gesetzeslage gemischt. Legal ist verheiratet und haben einen acht Dnannten Nordischen Modell, das zuerst in Schwe- die Prostitution in Indien und Indonesien, illegal da- Jahre alten Sohn. Humayn besucht den, Norwegen und Island eingeführt wurde. Margot gegen in China und in Thailand, wo sie beispielswei- Bonna einmal pro Woche im Bordell. Wallström, von 2014 bis 2019 schwedische Außenmi- se in der Tourismusbranche wegen laxer Gesetzes- nisterin, sagte in einem Interview, verschiedene an- überwachung trotzdem floriert. Im Nahen Osten ist dere westeuropäische Länder diskutierten über die sie überall illegal, mit Ausnahme von Israel. Verabschiedung ähnlicher Gesetze; ein Überblick der In Afrika, vor allem südlich der Sahara, fehlen oft BBC nannte unter anderem Finnland, Frankreich, Ir- entsprechende Daten, und wenn Gesetze überhaupt land und Rumänien. Frankreich verschärfte unter existieren, verändern sie sich und können nicht dem Einfluss der schwedischen Gesetze 2016 seine durchgesetzt werden, wo ungeregelte Sexarbeit au- Sexkauf-Verbote in der Hoffnung, durch höhere Stra- ßerhalb des Gesetzes weiterhin betrieben wird. Afri- fen würde das Prostitutionsgewerbe zurückgehen. kanische und internationale Epidemiologen, die da- 2019 gab es jedoch Proteste von Prostituierten, die ran arbeiten, die Übertragung von HIV zu bekämp- vorbrachten, das neue Gesetz beeinträchtige ihre se- fen, empfinden dies als beunruhigende Lücke, da xuelle und ökonomische Freiheit. HIV-Infektionen bei Frauen zugenommen haben. In Auf globaler Ebene gibt es laut Statistiken der US- zahlreichen Ländern ist Prostitution illegal, darunter amerikanischen Regierung weltweit rund 42 Millio- Ghana, Liberia, Mosambik und Südafrika. Viele an- nen Prostituierte, und das mehr oder weniger in je- dere Regierungen haben die Legalität des Prostituti- der Region. Im Umgang mit dem Prostitutionsge- onsgewerbes begrenzt oder eingeschränkt. Laut den

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Die 18-jährige Papia liegt mit zwei Freiern in ihrem Bett im Kandapara- Bordell. Papias Eltern starben, als sie noch ein Kind war, sie wurde jung verheiratet. Gemeinsam mit ihrem Mann nahm sie Heroin und kam des- wegen ins Gefängnis. Dort lernte sie eine Frau kennen, die sie zur Prostitution brachte.

US National Institutes of Health hat nur Senegal die in der ständigen Gefahr, von der Polizei schikaniert, Prostitution legalisiert und rechtlich geregelt. festgenommen oder inhaftiert zu werden“, schrieb Margot Wallström, die als schwedische Außen- Gerntholtz in einem Bericht. Die polizeilichen Über- ministerin eine „feministische Außenpolitik“ ein- griffe zwingen sie in die Schattenwelt, wo Sexarbeite- führte, ist eine starke Verfechterin ihres Nordischen rinnen häufig Gewalt von männlichen Kunden aus- Modells, in dem nur die Käufer, nicht die Verkäufer gesetzt und weniger gegen HIV geschützt sind. von Sex, kriminalisiert werden. Kritiker halten dage- Für Gerntholtz ist das Nordische Modell im We- gen, es sei nur eine Teillösung und zudem unsinnig, sentlichen eine Kompromisslösung für Politiker im weil Frauen nach wie vor stigmatisiert und gefähr- Spannungsfeld zwischen Prostitutionsaktivistinnen, det sein könnten, ohne dass das Prostitutionsgewer- die sich für die komplette Entkriminalisierung ein- be signifikant zurückgehe. setzen, und Mittelschichtwählern, die finden, dass Sexarbeit verboten gehört. ndere Kritiker des Nordischen Modells, dar- Aus ihrer schwedisch geprägten Sicht glaubt unter internationale Menschenrechtsorga- Wallström, dass beim Nordischen Modell uner- nisationen wie Amnesty International und wünschte Ergebnisse vermieden werden können; AHuman Rights Watch, befürworten eine volle Ent- was zählt, sind staatliche Richtlinien und Maßnah- kriminalisierung. Liesl Gerntholtz, amtierende Pro- men. In ihrem Interview wies sie darauf hin, dass grammdirektorin von Human Rights Watch in New schwedische Polizisten und Sozialarbeiter gelernt York, wirbt dafür in einem 2019 veröffentlichten Be- haben, Vertrauen zu den Frauen in Bordellen aufzu- richt aus Südafrika, wo Prostitution illegal ist. Dort bauen, die eine Hotline anrufen können, wenn sie stellte sie fest, dass die Legalisierung der Sexarbeit sich in Gefahr oder Bedrängnis befinden. Frauen die Möglichkeit gebe, dringend notwendiges Nach Wallströms Auffassung muss UN Women Einkommen für sich und ihre Familien zu erwirt- mehr tun, „um das Thema in eine offenere Diskus- schaften, ohne dass sie ihrer Würde beraubt oder der sion unter Feministinnen und anderen Frauen mit Ruf ihrer Familien in der Gemeinschaft beschmutzt widerstreitenden Ansichten über den Umgang mit würden. der milliardenschweren Sexindustrie zu bringen“. Die in Südafrika geborene Gerntholtz erzählt die Die Organisation müsse auch darüber nachdenken, Geschichte einer vierzigjährigen alleinerziehenden wie sie am besten mit der Tatsache umgehen kön- Mutter von zwei Kindern, die Sex verkauft, weil sie ne, dass es hier zwei Lager gebe, sagte sie. „Im Mo- mit ihrer einzigen anderen Option, dem Obstpflü- ment befinden sie sich im Krieg, und das ist nie gut, cken auf örtlichen Farmen, nicht genug Geld verdie- weil es der Sache der Frauen insgesamt schadet. Für Barbara Crossette nen kann. „Rofhiwa Mlilo, deren Namen ich zu ihrem mich stellt sich eindeutig die Frage: Wie können wir ist freie Journalistin und Autorin. Die Schutz geändert habe, wäre es lieber, ihre Arbeit, das im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit weiterkom- frühere Korrespondentin der „New York Verkaufen von Sex, stünde unter dem Schutz des Ge- men, solange Frauen wie ein Stück Fleisch gekauft Times“ und der „Times“ schreibt heute setzes, damit sie jeden Abend sicher zu ihren Kin- werden können?“ vor allem über die Vereinten Nationen dern nach Hause kommen kann. Stattdessen lebt sie Aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller. und internationale Beziehungen.

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„Die Gefahr ist ein politisches Chaos im Irak“ Dem Konflikt der USA mit dem Iran kann sich dessen Nachbarland nur schwer entziehen

Gespräch mit der Historikerin und Islamexpertin Sabrina Mervin

Die USA haben den Chef der irani- Ist der Irak mit der Tötung von Daher verhalten sich im Irak die det. Andererseits gehen die iraki- schen Revolutionsgarden Ghassam Ghassam Suleimani zum Schlacht- Sunniten im Moment recht still – schen Volksmobilisierungskomi- Suleimani im Januar im Irak getö- feld des Konflikts zwischen dem auch wenn einige begonnen ha- tees (Hashd al-Shaabi) von 2014 tet. Welche Folgen hat der Angriff, Iran und den USA geworden? ben, an den Protesten teilzuneh- auf das Rechtsgutachten zurück, dem auch der Führer einer irakisch- Ja, aber das ist nicht neu. Seit men. Politisch brisant ist jetzt nicht mit dem der irakische Ayatollah Ali schiitischen Miliz zum Opfer gefal- langem werden im Irak Spannun- die Spaltung in Schiiten und Sun- al-Sistani das Volk aufgerufen hat, len ist, für den Irak? Wie eng sind gen zwischen den USA und dem niten, sondern der Gegensatz un- sich am Kampf gegen den „Islami- die Schiiten dort mit ihren Glau- Iran ausgefochten. Doch beide ter Schiiten zwischen den Anhän- schen Staat“ zu beteiligen. Das hat bensbrüdern im Iran verbunden? Seiten waren bei ihrer jeweiligen gern und den Gegnern des Irans. eine breite Mobilisierung ausge- Einflussnahme zu einer Art Kräf- Das ist natürlich vereinfacht – zwi- löst, Kämpfer aus dem einfachen tegleichgewicht gekommen – zum schen Ministern, die quasi Tehe- Volk wurden von ganzen Famili- Glück für den Irak und weil das er- ran gehorchen, und entschlosse- en unterstützt – auch ökonomisch. möglicht hat, eine Eskalation in der nen Gegnern des Irans gibt es jede So wurde der „Islamische Staat“ im ganzen Region zu vermeiden. Ge- Menge Graustufen. Irakische Schi- Irak besiegt. Für Iraker fällt ein Ur- nau dieses Gleichgewicht ist nun iten, die nach der Tötung Suleima- teil über die Milizen daher nicht zerstört worden. nis an Trauermärschen für ihn teil- eindeutig aus, es handelt sich um genommen haben, sind nicht au- ein zwiespältiges Phänomen. Und Im Irak stehen Sunniten einer tomatisch mit seinen Aktionen im die Milizen unterscheiden sich in Mehrheit von Schiiten gegenüber. Irak einverstanden. ihrer Zusammensetzung, ihrer Ge- Wie reagieren die beiden Religi- schichte, ihrer politischen Haltung onsgemeinschaften auf die Ver- Die schiitische Gemeinschaft ist und ihrem Verhältnis zum Iran. schärfung des Konflikts zwischen uneins über das Verhältnis zum den USA und dem Iran? Iran und damit darüber, was die Sind Schiiten beider Länder durch Iraks Sunniten halten sich seit Identität als Iraker, was irakischer gemeinsame religiöse Praktiken einiger Zeit politisch sehr zurück. Nationalismus beinhaltet? verbunden? Das hat damit zu tun, dass der „Is- Ganz genau. Ein Teil der Schii- Ja. Viele Iraner pilgern zu den lamische Staat“ im Irak stark war ten unterstützt die starke Präsenz heiligen Stätten im Irak, die für und dann besiegt und quasi ver- des Irans in der Wirtschaft und in Schiiten sehr wichtig sind, darun- den politischen und religiösen In- ter Kerbala und Nadschaf; hier ist stitutionen des Iraks. Aber es gibt das Grab von Ali, der als erster Ka- „Unter den Theologen in Qom herrscht die auch viele, die damit nicht mehr lif verehrt wird. Pilgerfahrten wäh- iranische Ideologie vor, aber die Schule von einverstanden sind. Das haben sie rend des ganzen Jahres und solche lange nur privat geäußert; mit den zu bestimmten Zeiten bringen Nadschaf im Irak unterstützt die nicht.“ Protesten seit Oktober haben sie schiitische Gläubige in den Irak – das auch öffentlich auf der Stra- aus vielen Ländern, vor allem aber ße gezeigt. aus dem Iran. Wie bei jedem reli- nichtet worden ist. Damit sind auch giösen Tourismus ist das mit Han- Sunniten besiegt worden, die mit Wie stark ist der iranische Einfluss del verbunden, aus der Pilgerschaft ihm sympathisierten. Seit Anfang auf die irakische Politik, speziell entsteht ein Wirtschaftszweig. Be- Oktober gab es Massenproteste ge- auf die schiitischen Milizen? sonders enge Verbindungen gibt gen die irakische Regierung, aber Einige dieser Milizen sind eng es aber zwischen Geistlichen. Der die Sunniten haben darauf kaum mit dem Iran verbunden und ste- schiitische Klerus ist im Grunde reagiert. Denn sie möchten nicht in hen klar auf dessen Seite. Das hat transnational. Ali al-Sistani ist die den Verdacht geraten, sie wollten schon historische Gründe. Zum wichtigste religiöse Autorität im entweder den „Islamischen Staat“ Beispiel waren unter dem Regime Irak, und Schiiten, die seinen Leh- wiederbeleben oder aber das 2003 Saddam Husseins schiitische Op- ren folgen, findet man auch in Paki- gestürzte Regime von Saddam Hus- positionelle in den Iran geflohen stan, in Frankreich, in den USA und sein, das Schiiten unterdrückt hat. und haben dort Verbände gebil- sogar im Iran. Der schiitische Kle-

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Sabrina Mervin ist Historikerin und Forschungsleite- rin am Centre National de Recherche Scientifique in Paris. Sie arbeitet am „Brisant ist jetzt nicht die Spaltung in Schiiten und „Zentrum für sozialwissenschaftliche Sunniten, sondern der Gegensatz unter Schiiten Studien zur Religion“ unter anderem zur Schia und zu Islam und Politik. zwischen Anhängern und Gegnern des Iran.“ o: CÉS O R o: t fo

rus übergreift besonders die Gren- schaf oder Kerbala zurückgekehrt. irakische schiitische Klerus zum ze Iran-Irak. Zwischen beiden Zentren gibt es Iran auf Abstand geht? einen regen Austausch. Wichtig Ja. Das Verhältnis der Geistlich- Worin zeigt sich das? Haben iraki- sind aber Unterschiede in der in- keit in Nadschaf und Kerbala zu der sche Geistliche im Iran studiert? haltlichen Ausrichtung: In Qom im Iran ist komplex. Man respek- Das kommt darauf an, welcher herrscht die iranische Ideologie tiert sich gegenseitig und pflegt Generation sie angehören. Lange vor. Dagegen unterstützt die Schu- eine Art Korpsgeist, doch über die war die theologische Schule in le von Nadschaf, der Ali al-Sistani Rolle des Klerus in der Politik sind Nadschaf einflussreicher als die angehört, nicht die Theorie des ira- die Ansichten grundverschieden. in Qom im Iran und hat mehr Ima- nischen Revolutionsführers Kho- Führende irakische Geistliche ge- me und Religionsgelehrte ausge- meini, wonach Religionsgelehr- ben in Krisen politische Ratschlä- bildet. Unter dem Regime von Sad- te auch die politische Macht aus- ge, aber mit dem Anspruch, selbst dam Hussein wurden die Schiiten üben sollen. Geistliche, die in Qom zu regieren, hat das nichts gemein. Schiitische Pilger im Oktober 2019 dann unterdrückt und die Schule studiert haben, können von dieser in Kerbala mit einem Transparent, von Nadschaf erlebte einen Nie- Ideologie der islamischen Repub- Setzen die Tötung Suleimanis und das die Flaggen des Iran und des Irak dergang. Währenddessen unter- lik Iran beeinflusst sein, sie müs- die Gegenangriffe des Irans den vereint. Beide verbindet laut der stützte die Regierung im Iran nach sen aber nicht. schiitischen Klerus im Irak unter Schrift im Herzen die Liebe zu Imam der Revolution dort die Schule in Druck, sich stärker an die Seite des Hussein, den Schiiten als Märtyrer Qom finanziell und politisch, und Ali al-Sistani hat während der er- Irans zu stellen? verehren; zu seinem Grabmal in diese lebte auf. So sind manche ira- wähnten Proteste im Irak den Pre- Ich bin nicht gut darin, die Zu- Kerbala pilgern auch viele Iraner. kische Geistliche in Qom ausgebil- mierminister zum Rücktritt bewo- kunft vorherzusagen. Aber klar ist: MOHAMMED SAWAF/AFP via Getty Images det worden und dann nach Nad- gen. Ist das ein Zeichen, dass der Es ruft zwangsläufig eine Solidari- sierung hervor, dass ein fremdes Land auf irakischem Boden drei Persönlichkeiten umgebracht hat, einen Iraner, einen Iraker und ei- nen Libanesen. Die Frage ist, bis wo- hin die Solidarität gehen wird. Im- merhin war das Erste, was Ali al-Sis- tani nach der Tötung Suleimanis getan hat, zur Besonnenheit auf- zurufen. Er vertritt nicht die Positi- on, dass Suleimani gerächt werden soll. Auch andere führende Geistli- che sind nicht proiranisch.

Rechnen Sie damit, dass die jüngs- ten Angriffe die Gegensätze zwi- schen Schiiten und Sunniten im Irak vertiefen? Nein, das erwarte ich nicht. Ich sehe eher die Gefahr, dass der Irak politisch so stark geschwächt wird, dass er in ein veritables Cha- os stürzt. Die Situation ist sehr ge- fährlich.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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Der Baumeister von El Alto Ein Architekt hat der indigenen Kultur Boliviens zu neuem Ansehen verholfen

Vom einfachen Maurer zum international gefeierten Bauherrn: Freddy Mamani entwirft in tall und zwischendurch ist das Ge- seiner Heimatstadt El Alto vornehme Häuser, die niemand übersehen kann. In seinen spektaku- klacker des Fliesenlegers zu hören, der am Ende des Saals ein geomet- lären Bauten verarbeitet er die Kultur und Ikonografie seines Volkes, der Aymara. risches Muster legt. „Chakana – das Kreuz des Südens“, erklärt Mamani Von Knut Henkel (Text und Fotos) und bittet den Besucher nach oben auf die Empore, während er den Ar- ye - acá“, hör doch – hier Das macht sich mehr und mehr beitern Anweisungen gibt und für drüben, ruft Freddy Ma- in der Architektur bemerkbar, und etwas Ruhe sorgt. mani und winkt zur Bus- Freddy Mamani profitiert davon. „Ja, das ist etwas anderes als das, haltestelleO hinüber, wo die Klein- Entspannt lehnt der Architekt an was ich an der Uni vorgesetzt be- busse in Richtung Viacha halten. der Eingangstür seiner jüngsten kommen habe“, sagt er schmun- Mamani, ein nicht gerade großer Kreation – einer Auftragsarbeit für zelnd, als er die Blicke wahrnimmt, Mann mit dichtem schwarzem einen Gastronomen aus El Alto. Die die über Wände und die Decke wan- Haar, steht vor einer knallbunten ist fast fertig: Karminrot, Orange, dern, die mit unzähligen Spiegeln, Häuserzeile, die aus dem Backstein- etwas Lila und Beige prägen die Fas- überladenen Lüstern und vielfäl- rot der benachbarten Bauten her- sade. Sie wird von dunkel getön- tigen, gemusterten Kunststoffele- aussticht wie ein Flamingo aus ei- ten Scheiben durchbrochen, die ein menten in Orange, Grün, Karmin- ner Gruppe Graugänse. Vier Häu- klassisches Muster wiedergeben. rot, Lila und anderen Farben deko- ser mit imposanten, von geome- Mamani weist mit einem Kopf- riert sind. Überladen, schrill wirkt trischen Mustern durchzogenen nicken den Weg ins Treppenhaus, das, Worthülsen wie poppiger an- Fassaden prägen den Häuserblock. das in satten Orangetönen er- diner Barock schwirren dem Besu- Die Dachgeschosse im dritten, vier- strahlt. „Im Erdgeschoss werden La- cher durch den Kopf. ten oder auch fünften Stock zieren denflächen zur Miete angeboten“, eigenwillige Giebel, die vorwitzig erklärt Mamani die Struktur des och das Ganze hat System, in den strahlend blauen Himmel fünfstöckigen Gebäudes. „Der zwei- ist alles andere als beliebig über El Alto ragen. te und dritte Stock ist dem Salón – Mamani weiß genau, was Cholets werden derartige Bau- de Eventos, eine Art Festsaal, vor- Der tut. „An der Uni haben mich die ten in Bolivien genannt, ein Wort- behalten und ganz oben, auf zwei großen internationalen Architek- spiel zwischen Chalet und Cholo: Etagen, wohnt der Besitzer mit sei- ten wenig fasziniert. Ich habe mich Letzteres ist ein ursprünglich ab- ner Familie. Das ist fast immer so in da schon gefragt: Wo ist unsere ei- wertender Begriff für einen Mann den Cholets, die wir bauen.“ gene Architektur – wo tauchen wir indigener Herkunft. Heute stehen Das „wir“ steht für einen Fami- denn auf?“, sagt er und zieht die die extravaganten, farbenfrohen lienbetrieb, an dessen Spitze Fred- Augenbrauen hoch. Er habe El Alto Entwürfe von Architekten wie Fred- dy Mamani steht. Er ist das inno- vor Augen gehabt und sich gefragt, dy Mamani jedoch für den Auf- vative Hirn, hat als 13-Jähriger als warum über moderne Architektur bruch und das neue indigene Selbst- Maurer auf Baustellen angeheuert, diskutiert werde, wenn sie doch gar bewusstsein in Bolivien. Das ist be- um etwas zum Familieneinkom- nichts mit den eigenen Lebensum- sonders ausgeprägt in El Alto, der men beizusteuern, dann sein Di­ ständen zu tun habe. Die seien ge- über La Paz auf einer Hochebene plom als Bauingenieur gemacht prägt vom Rotorange der Backstei- liegenden Boomtown Boliviens. Vor und später Architektur studiert – ne, vom staubigen Beigegrau der rund 35 Jahren als Schlaf- und Zu- allerdings ohne abzuschließen, wie Erde und von der Abwesenheit des wandererstadt gegründet, hat El seine Kritiker monieren. Nun öff- Grüns der Pflanzen. Alto heute mehr als eine Million Ein- net er die Tür zum Salón de Even- „Darüber habe ich lange nach- wohner und ist zu einer quirligen tos, wo gearbeitet wird: Eine Kreis- gedacht und mich dann entschie- ökonomischen Drehscheibe des bo- säge frisst sich wimmernd durch den, etwas Neues auszuprobieren. livianischen Hochlandes geworden. Holz, ein Hammer dröhnt auf Me- Das war im Jahr 2002 – da habe ich

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Knallbunte Farben, geometrische Formen: Freddy Mamani entwirft sogenannte Cholets. Diese Häuser sollen das neue indigene Selbst­ bewusstsein der Bolivianer widerspiegeln.

mein erstes Cholet entworfen.“ „Sa- lon de Grand Palace“ heißt es, es steht direkt gegenüber der Univer- sität von El Alto und ist ein Refe- renzbau in und für El Alto. Für Ma- mani war es der Auftakt für den Bau von rund siebzig Cholets allein in seiner Heimatstadt. Weitere sind in Brasilien, in Chile, aber auch in Peru in Auftrag gegeben worden. Mit diesen spektakulären Bau- ten hat der älteste Sohn eines Dorf- lehrers auch international für Auf- sehen gesorgt. Von der Stiftung Car- tier ist er nach Paris eingeladen worden, am New Yorker Museum of Modern Art war er, aber auch in Buenos Aires, wo er Vorträge zur neoandinen Architektur gehalten zweiten Hälfte der 1990er Jahre hat. „Cholets sind die Gebäude ei- hat. Mehr doziert als gebaut habe und haben mit dem Gaskrieg im ner wohlhabenden Oberschicht der er zuletzt, sagt er lächelnd. Jahr 2003 einen kräftigen Schub Aymara, die zeigen, was sie haben Das soll sich nun wieder än- bekommen. Damals gab es hefti- und wie es sich vermehren lässt“, dern. Im Oktober hat er zwei gen Widerstand gegen die Pläne der sagt Mamani. Zwischen 250.000 neue Aufträge entgegengenom- Regierung von Gonzalo Sánchez de und 500.000 US-Dollar kostet im men, nachdem er drei Entwür- Lozada, die Gasvorkommen Bolivi- Schnitt ein Cholet. Von den vier fe basierend auf einem Traum ens zu verkaufen. El Alto war das Gebäuden, die den Block gegen- schnell beim Frühstück zu Papier Zentrum dieses Widerstands mit über vom Hospital Corea prägen, gebracht hatte. Fünf Aufträge sind rund 70 Toten, woraufhin der Prä- hat Mamani drei entworfen – ein es nun, die ihn in den kommen- sident in die USA flüchten musste. Beleg dafür, dass seine Architektur den Monaten auf Trab halten wer- Das habe „viel in den Köpfen gelöst die lange gering geschätzte Kultur den – ohne die Baustelle unter uns, – und Evo ist ein Ergebnis davon“, und Ikonographie der Aymara zum die bald fertig ist. An Ideen fehlt es sagt Rodríguez. Evo Morales war der Bestandteil der Identität der Alte- dem jugendlich wirkenden Vater erste indigene Präsident Boliviens, ños gemacht hat. von vier Kindern nicht. Nur sein der von fast allen nur bei seinem Das hat ihm Preise, Renommee Rücken zwingt ihn immer mal wie- Vornamen genannt wird und der und Einladungen beschert und das der, halblang zu machen – eine Er- im vergangenen November wegen Image von El Alto aufgewertet. innerung an die Teenagerjahre als der Manipulationsvorwürfe nach Doch ungeachtet seiner Verdiens- Maurer auf dem Bau. den Präsidentenwahlen am 20. Ok- te hat Mamani bisher nie öffentli- Damals war El Alto noch klein, tober zurückgetreten ist. che Aufträge erhalten. „Die Aufträ- vor allem Schlafstadt oberhalb ge für das Stadion von El Alto und von La Paz, wo die Menschen Ar- on Morales, der wie Mamani auch für den neuen Busbahnhof beit fanden. Heute ist es oft um- zur Ethnie der Aymara zählt, wurden vergeben, ohne dass ich et- gedreht, sagt der Pädagoge Mario hält der Architekt viel, weil was davon mitbekommen habe“, Knut Henkel Rodríguez, der oben in El Alto ein Ver Bolivien ein stabiles ökonomi- sagt Mamani. Das wurmt den Ar- ist freier Journalist in Hamburg Kulturzentrum leitet, aber unten sches Wachstum gebracht habe, chitekten von El Alto, der gern ein und bereist mehrmals im Jahr in La Paz lebt. Der Wandel und der auch wenn er bisher kaum von neues Ziel hätte: öffentliche Gebäu- Lateinamerika. Aufstieg El Altos beginnen in der Aufträgen der Regierung profitiert de zu entwerfen.

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berlin Händeringend auf Geld- und Partnersuche Die Bundesregierung präsentiert eine neue Klimaversicherung

Auf der 25. Klimakonferenz im De- zember in Madrid hat das Entwick- lungsministerium den Natural Di- saster Fund (NDF) Deutschland vorgestellt. Der Fonds soll Hilfsor- ganisationen und Mikrofinanzins- titutionen in Entwicklungsländern absichern, damit diese nach Wet- terextremen Hilfe leisten können. Bauern in der Eine langfristige Lösung ist das Region Turkana im nicht, monieren Fachleute aus der heißen Nordwesten Zivilgesellschaft. Kenias graben einen Kanal, der Wasser Der Natural Disaster Fund (NDF) ist auf ihre ausgedörr- ein indirekter Versicherungsansatz ten Felder leiten soll. zur Absicherung gegen Klimarisi- Eine Klimaversiche- ken. Er soll bis zum Jahr 2025 zwi- rung ist für sie keine schen 66 und 105 Millionen arme Option. und besonders gefährdete Men- luis tato/afp/ schen zusätzlich gegen Klimarisi- getty images ken absichern, erklärt eine Spre- cherin des Bundesentwicklungs- ministeriums (BMZ). sellschaft mitwirkt. Deutschland riestaaten ihre Geldbeutel nicht auf- versuche händeringend, Partner Diese potenziellen Nutznießer fördert unter ihrem Dach unter- machen“, sagt Sabine Minninger, Re- an Bord zu bekommen, sagt Min- schließen jedoch keinen individu- schiedliche Modelle, indem es Ka- ferentin für Klimapolitik bei Brot ninger. Denn Klimarisiken seien ellen Versicherungsvertrag ab. Der pital für Schadensfälle bereitstellt für die Welt. Sie begrüßt den Ein- ein Verlustgeschäft. Warum soll- Natural Disaster Fund ist für staat- und andere Staaten und Versiche- satz des BMZ, mit dem neuen Fonds ten Versicherungen einspringen, liche Akteure wie Städte oder Ge- rungsgesellschaften ermutigt, das bei anderen Staaten und Versiche- wo Staaten versagen und den Aus- meinden, aber auch Mikrofinanz­ auch zu tun. rungskonzernen Beiträge zu mo- stieg aus der Kohle nicht hinbekä- institute oder zivilgesellschaftli- Hilfswerke oder Organisationen bilisieren. „Es ist ein Versuch, Risi- men, fragt sie. Minninger plädiert che Hilfsorganisationen, die sich wie Germanwatch unterstützen sol- ken auf möglichst viele Schultern dafür, neue Finanzquellen zu er- als sogenannte Intermediäre ver- che Versicherungslösungen, verlan- zu verteilen“, sagt Minninger. „Die schließen: eine verbindliche globa- sichern. Kommt es etwa durch ex- gen aber, dass sie in breitere Strate- Regierung übernimmt Verantwor- le Besteuerung von CO2, um nach tremes Wetter zu Schäden, können gien gegen Folgeschäden der Klima- tung dafür, dass betroffene Men- dem Verursacherprinzip klimabe- sie die Leistungen aus der Versiche- krise eingebettet werden. Und die schen schnell und unbürokratisch dingte Verluste und Schäden in den rung einsetzen, um dringende Be- sind schwierig. „Freiwillige Initiati- Geld oder Lebensmittel bekommen ärmsten Ländern auszugleichen. darfe der Menschen zu finanzieren. ven wie die des BMZ für Klimaversi- und wieder auf die Beine kommen.“ „Bei steigenden Prämien werden Bei einer Stadt oder Gemeinde cherungen sind ein willkommener Ein Zukunftsmodell sei das arme Länder es nicht schaffen, alles wären das etwa die Kosten für die Versuch, einen kleinen Ersatz dafür aber nicht. Im Grunde kehre das über Versicherungen abzupuffern.“ Notfall- oder Gesundheitsversor- zu schaffen, dass die großen Indust- BMZ den Scherbenhaufen auf und Marina Zapf gung, bei einem Mikrofinanzinsti- tut zusätzliche Kredite, die die be- troffene Bevölkerung für den Wie- deraufbau braucht. Die vom NDF studie abgesicherten Risiken werden „teil- weise an den internationalen Versi- Energiewende: Gute Nachrichten, aber ... cherungsmarkt abgetreten“, erklärt die BMZ-Sprecherin. Der Rückver- Sind Deutschlands Klimaziele doch noch zu schaffen? Zu- nerung: Ziel der Bundesregierung sicherer Hannover Re steuert 50 mindest kommt eine Studie der Berliner Denkfabrik Ago- ist es, bis 2020 die CO2-Emissionen Millionen Euro zu dem Fonds bei, ra Energiewende zu dem Schluss, dass die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu senken und bis das BMZ 25 Millionen. in Deutschland im vergangenen Jahr stark gesunken sind: 2030 um 55 Prozent. Das Ziel für Der NDF gehört zur Klima- um 50 Millionen Tonnen (sechs Prozent) im Vergleich zum 2020 scheint angesichts dieser Er- risikoversicherungsinitiative In- Vorjahr 2018. Mit insgesamt 811 Millionen Tonnen im Jahr gebnisse nicht mehr unerreichbar, suResilience Global Partnership 2019 wurden damit 35 Prozent weniger Kohlenstoffdi- dennoch halten es die Forscher für des BMZ, an der auch die Zivilge- oxid in die Atmosphäre geblasen als noch 1990. Zur Erin- unwahrscheinlich.

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140 GW 800g/kWh

Ironischerweise sind die CO2- dazu geführt, dass fossile Kraftwer- Benzin120 GW und Diesel als im Vorjahr Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2019 Emissionen im Stromsektor auch ke ihre Stromproduktion im Jah- verbraucht. 600g/kWh Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen Strommix des CO2-Emissionsfaktor 100 GW sowie Ausblick auf 2020 dank der in Deutschland schon resverlauf mehrmals deutlich re- Außerdem warnen die For- ANALYSE spürbaren Veränderungen des Kli- duziert haben, weil sie nicht mehr scher:80 GWDass der Anteil der Wind- mas gesunken: Es gab mehr Sonne wettbewerbsfähig waren. Gleich- energie an der Stromproduktion 400g/kWh und mehr Wind. Die erneuerbaren zeitig profitierten die Gaskraftwer- gestiegen60 GW sei, täusche über das fast

Energien deckten 42,6 Prozent des ke. Sie brauchen weniger CO2-Zer- völlige und -verbrauch Stromerzeugung 40 GWErliegen des Windkraftaus- 200g/kWh Bruttostromverbrauchs ab und da- tifikate für ihre Stromerzeugung baus im vergangenen Jahr hinweg. * mit zum ersten Mal etwa genauso und erhöhten ihren Stromabsatz Denn20 der GW ist 2019 um 80 Prozent viel wie Kernenergie, Braun- und um elf Prozent. eingebrochen. Um in Zukunft auf 0 GW *Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch 2019 0g/kWh

Steinkohle zusammen. Zugleich ist Soweit die guten Nachrichten, 65 Prozent Anteil01:00 02:00 erneuerbare03:00 05:00 Ener07:00- 10:00 11:00 12:00 13:00 14:00 15:00 16:00 17:00 18:00 19:00 20:00 21:00 22:00 23:00 8. Juni 04:00 06:00 08:00 09:00 der Stromverbrauch im vergange- jetzt die schlechten: Im Verkehrs- gien zu kommen,Konv. Kraftwerke müsse der AusSolar- Wind Onshore Wind Oshore nen Jahr gesunken – das hatte laut sektor sind die Kohlenstoffdioxid- bau der WindkraftWasserkraft noch viel stärkerBiomasse Agora EnergiewendeStromverbrauch Steinkohle Braunkohle Kernenergie Pumpspeicher Erdgas der Studie mit dem mäßigen Wirt- Emissionen gestiegen. Das erklä- gefördert stattAndere erschwert werden.CO2-Emissionsfaktor Die Energiewende des Strommix im Stromsektor: schaftswachstum und der milden ren die Forscher vor allem mit der Insgesamt kommen die Forscher Stand der Dinge 2019 Agora Energiewende; Stand: 03.01.2020, 14:00 Witterung zu tun. Eine weitere Ur- steigenden Nachfrage an spritfres- zu dem Schluss, dass die bisher be- Rückblick auf die wesentlichen sache für den Emissionsrückgang senden SUVs, deren Marktanteil in- schlossenen Maßnahmen des Kli- Entwicklungen sowie Ausblick seien die gestiegenen Preise für zwischen bei 30 Prozent liegt. Im mapakets nicht reichen werden, auf 2020 CO2-Zertifikate im EU-Emissions- Verkehrs- und im Gebäudesektor um die Klimaziele zu erreichen. Berlin, Januar 2020, 70 Seiten handel. Diese haben laut AGORA wurde 2019 mehr Erdgas, Heizöl, (mek) www. agora-energiewende.de

berlin Mehr Mittel für multilaterale Organisationen Der Etat für das Entwicklungsministerium steigt in diesem Jahr

Mit der Hilfe des Bundestags hat Vereinten Nationen, ihre Sonderor- mus“ des Budgets: Mit den Klima- Stiftungen und Kirchen, die mit je sich Entwicklungsminister Gerd ganisationen und andere interna- zusagen von 500 Millionen Euro rund 300 Millionen gefördert wer- Müller (CSU) für das Jahr 2020 ei- tionale Einrichtungen. Dazu gehö- „können wir in Entwicklungslän- den, bekommen dieses Jahr 21 und nen etwas üppigeren Haushalt ge- ren ein Plus von 10 Millionen Euro dern CO2 in solch einer Menge ein- 31 Millionen Euro mehr. Die Mittel sichert als ursprünglich geplant. für das Kinderhilfswerk Unicef, von sparen, für die wir in Deutschland für nichtstaatliche Entwicklungsor- Kritik gibt es dennoch, vor allem 7 Millionen für den Bevölkerungs- 5 Milliarden Euro bezahlen müss- ganisationen (private Träger) stei- mit Blick auf die mittelfristige Fi- fonds UNFPA und 10 Millionen für ten“, sagte der CDU-Abgeordnete gen um 30 auf insgesamt 180 Mil- nanzplanung. das Entwicklungsprogramm UNDP. Carsten Körber. lionen Euro. Ein neuer Haushalts- Die Globale Bildungspartnerschaft Die SPD hätte sich noch mehr titel Klimaschutz für private Trä- Für sein Ressort kann Müller in die- bekommt mit 50 Millionen Euro Geld für multilaterale Organisatio- ger wurde mit 50 Millionen Euro sem Jahr insgesamt 10,88 Milliar- 13 Millionen Euro mehr als im Jahr nen und Projekte gewünscht – wie ausgestattet. den Euro ausgeben, das sind rund 2019. Gestärkt wird auch die Glo- auch die Opposition, die nicht mit Die Entwicklungspartnerschaft 630 Millionen Euro mehr als im bal Polio Eradication Initiative im Kritik sparte. Ohne Beiträge zur EU- mit der Wirtschaft, vor allem in Af- vergangenen Jahr. Die Steigerung Kampf gegen Kinderlähmung mit Entwicklungspolitik stagniere der rika, erhält 15 Millionen mehr. Zu von 6,1 Prozent fiel geringer aus 35 Millionen Euro. Satte 100 Mil- multilaterale Anteil bei mageren 20 wenig nach Ansicht der FDP, die für als im Vorjahr, als um 9,2 Prozent lionen Euro mehr als im Vorjahr Prozent, rechneten die Grünen vor. mehr staatliche Risikoabsicherung aufgestockt wurde. Die Regierung (2019: 434,44 Millionen Euro) han- Die FDP kritisierte, dass Deutsch- und unbürokratische Kredite für hatte den Haushaltsentwurf noch delten die Abgeordneten für multi- land zwar im UN-Sicherheitsrat sit- Mittelständler in Afrika und den vor dem Bundestagsbeschluss im laterale Hilfsprojekte zum weltwei- ze, bei der Förderung der UN-Or- ärmsten Ländern plädierte. Für den November 2019 um 500 Millio- ten Umweltschutz, zur Erhaltung ganisationen aber ein Scheinrie- Entwicklungsinvestitionsfonds sei nen Euro für die Umsetzung des der Biodiversität und zum Klima- se bleibe. Diese würden mit sehr eine Milliarde Euro bis 2021 ver- Klimaschutzprogramms 2030 er- schutz aus. eng gefassten Vorgaben, wie das sprochen worden, aber bisher seien gänzt und er wurde in den Beratun- Geld aus Deutschland verwendet nur 125 Millionen für das vergan- gen der Ausschüsse nochmals um Gut 500 Millionen Euro für werden darf, sogar in ihrem Han- gene und 160 Millionen für dieses 140 Millionen Euro erhöht. Umwelt- und Klimaschutz deln behindert. Diese Zweckbin- Jahr hinterlegt. Die größten Posten sind mit 4,6 Während die bilaterale Zusammen- dung beschädige das System, sagte Schlimmes befürchten der zi- Milliarden Euro (2019: 4,66 Milli- arbeit leicht zurückgefahren wur- Olaf in der Beek (FDP). Dem Welt- vilgesellschaftliche Dachverband arden) die bilaterale staatliche Zu- de, steigt somit das Engagement ernährungsprogramm etwa werde Venro und die Opposition von der sammenarbeit sowie mit zusam- für multilaterale Organisationen – vorgeschrieben, in welchen Krisen mittelfristigen Finanzplanung. men 3,37 Milliarden Euro die Bei- wenn auch bescheiden. Die Christ- es arbeiten dürfe. Denn die sieht bis zum Jahr 2023 ei- träge zur Entwicklungshilfe der demokraten unterstreichen den- Erhöht wurden auch die Mittel nen Rückgang auf jährlich 9,5 Mil- Europäischen Union und an die noch den „starken Multilateralis- für die Zivilgesellschaft. Politische liarden Euro vor. Die Linke hält das

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für dramatisch, planlos und cha- lem multilaterale Vorhaben und Topf für das Programm Eine Welt schied der , dass das BMZ otisch, weil Projekte ohne feste Klimaschutzprojekte sowie Projek- ohne Hunger werden 140 Millionen nicht mehr als fünf solcher Son- mehrjährige Zusagen nicht hinrei- te in fragilen Regionen und in der Euro abgezogen, aus dem für Ausbil- derinitiativen betreiben darf und chend abgesichert werden könnten. zivilen Krisenprävention. dung und Beschäftigung 20 Millio- höchstens 10 Prozent des Haushalts Auch die Grünen nannten den Etat Einen Dämpfer musste Minister nen Euro. Vergangenes Jahr kamen dafür verwenden. Die Linke wertete „kurzsichtig und deswegen nicht Müller für seine Sonderinitiativen vier Initiativen auf rund eine Milli- das als „Misstrauensantrag“, letzt- wirklich ehrgeizig“. Fehlende Pla- einstecken, die vielen im Bundestag arde Euro, mit dem Löwenanteil für lich bestätigt es aber nur den Sta- nungssicherheit gefährde vor al- zu undurchsichtig sind. Aus dem den Topf Fluchtursachen. Nun ent- tus quo. Marina Zapf

Berlin Rückzug aus manchen der ärmsten Länder? Das Entwicklungsministerium will die Liste seiner Partnerländer kürzen

Anfang 2020 sollen in einem zwei- dafür, dass diese Änderung nicht gerien, Libyen und Tunesien und des deutschen Beitrags im Verhält- stufigen Verfahren Länder von der zuungunsten der ärmsten und ein- im Nahen Osten mit Ländern wie nis zu anderen Gebern geprüft wer- Liste der deutschen Entwicklungs- kommensschwächsten Länder aus- dem Irak, Jordanien, Libanon und den. In einem zweiten Schritt soll partner gestrichen werden. Bun- gefallen war. Syrien. Nicht wenige davon gehör- die Zusammenarbeit anhand von destagsabgeordnete befürchten, Der Kreis der Kooperationslän- ten in den vergangenen Jahren zu strategischen Kriterien beurteilt dass dabei die wirtschaftlich am der beschränkt sich heute nicht nur den 20 Topempfängern bilateraler werden. Dabei geht es um geopo- wenigsten entwickelten Länder auf 50 Partnerstaaten, mit denen staatlicher Hilfe. Von den 50 Staa- litische Interessen, die Qualität unter die Räder kommen. Länderprogramme vereinbart wer- ten, in denen das Entwicklungsmi- der bisherigen Zusammenarbeit, den, die alle Instrumente der bilate- nisterium mit Länderprogrammen die Relevanz internationaler Ver- Es ist die erste große Verkleinerung ralen staatlichen Zusammenarbeit tätig ist, zählt etwa die Hälfte zur pflichtungen sowie die Geschichte seit dem Jahr 2008, als in der rot- umfassen können. Hinzu kommen Gruppe der ärmsten Länder, davon der Beziehungen zwischen beiden grünen Koalition die Zahl der Ko- 30 weitere Kooperationsländer im liegen weniger als die Hälfte in Ländern. Am Ende des Auswahlver- operationsländer mit umfassen- Rahmen thematischer und regio- Afrika. fahrens will die Leitung des Minis- den Länderprogrammen von über naler Programme etwa zur Krisen- teriums entscheiden, welche Län- 80 auf 58 verringert wurde. Damit prävention oder zum Klimaschutz. Es geht um Bedürftigkeit, aber der auf der Liste bleiben sollen und kam Deutschland den Empfehlun- Dazu gehören die Länder des Pro- auch um politische Interessen welche nicht. gen des Industrieländerclubs OECD gramms Fragile Staaten Westafri- Im Oktober hatte das BMZ den Ent- Während die Entscheidung for- nach, der seinen Mitgliedern im ka (Côte d’Ivoire, Sierra Leone, Li- wicklungsausschuss des Bundes- mal dem BMZ obliegt, herrscht un- Sinne einer wirksamen Arbeitstei- beria, Guinea) sowie die Krisenlän- tags über die geplante Reform in- ter Abgeordneten dennoch Unmut, lung empfohlen hatte, das jewei- der Somalia und Zentralafrikani- formiert, ohne jedoch mitzuteilen, dass sie nicht eingebunden sind. So lige Know-how auf weniger Part- sche Republik. welche Länder voraussichtlich ge- fordert Helin (Lin- nerländer zu konzentrieren. Der Verstärkt gefördert hat Deutsch- strichen werden sollen. Demnach ke) nachvollziehbare Kriterien. Es OECD-Ausschuss für Entwicklungs- land in den vergangenen Jahren zu- soll die bisherige Kooperation in sei unklar, welche Voraussetzun- hilfe lobte in seinem Gutachten zur dem aus sicherheitspolitischen Mo- einem ersten Schritt anhand ver- gen die Partnerländer nach welcher deutschen Entwicklungszusam- tiven und im Rahmen der Flücht- schiedener Kriterien wie der Be- Gewichtung künftig erfüllen soll- menarbeit (Peer Review) im Jahr lingspolitik Regionalprogramme dürftigkeit des Landes, der Regie- ten. Kritisch sieht sie zudem die zu- 2010 die Bundesregierung noch in Nordafrika mit Ländern wie Al- rungsführung und der Signifikanz nehmende Konzentration auf soge-

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nannte Reformchampions wie im Compact with Africa. Die Zusam- menarbeit mit armen Partnerlän- dern sei dagegen chronisch unter- finanziert. Sie sehe die Gefahr, dass weniger der menschliche Bedarf an öffentlicher Daseinsvorsorge ins Gewicht falle, sondern stärker die Förderung privatwirtschaftlicher Interessen in den Partnerländern. Die Grünen halten es für unab- Im Camp Zaata- dingbar, die Kooperation mit Afrika ri im Libanon für stärker in den Vordergrund zu rü- Flüchtlinge aus cken. Grundsätzlich müsse die Be- Syrien zapft ein dürftigkeit entscheiden und nicht Mann Trink- die Interessenslage von Außen- wasser. In der wirtschafts- und Sicherheitspoli- Anlage steckt tik. Auch müsse es Gewissheit ge- auch deutsche ben, dass ein anderer Partner aus Entwicklungs- der Gebergemeinschaft die deut- hilfe. schen Aufgaben übernehme, wenn picture alliance/ ein Land aus der Liste falle. AP photo Die Sorge, dass die ärmsten Länder durch das Raster fallen, zieht sich durch alle Fraktionen. rung von insgesamt 80 auf 50 Län- plädiert ohnehin für mehr multi- tagsfraktion, Christoph Hoffmann, Selbst der Koalitionspartner SPD der dürfe aber nicht in Stein gemei- laterale als zwischenstaatliche Hil- die Gelegenheit sein, die Zusam- sagt harte Gefechte mit dem CSU- ßelt sein, meint er: Die Zusammen- fe, weil diese besser koordiniert sei menarbeit mit China und Indien geführten Ministerium voraus. Der arbeit mit der Gruppe der ärmsten und nicht jedes Land etwas ande- auf den Prüfstand zu stellen und SPD-Bundestagsabgeordnete Sa- Länder und der fragilen Staaten res mache. Im Verhältnis zu den vor allem „mit dem großen Manko scha Raabe befürchtet, dass über- dürfe nicht eingestellt werden. Schwellenländern sollte die Über- der Despotenhilfe“ aufzuräumen. wiegend Partnerstaaten mit min- Die FDP schließlich hält das arbeitung der Länderliste nach Das gelte für Brasilien ebenso wie destens mittlerem Einkommen Vorhaben, die Liste zu straffen, Meinung des entwicklungspoliti- für Kamerun oder die DR Kongo. zum Zug kommen. Die Verkleine- grundsätzlich für angemessen. Sie schen Sprechers der FDP-Bundes- Marina Zapf

brüssel „Die Vielfalt der EU ist ein Vorteil“ Ein Gespräch darüber, wie die Europäische Union ihre Entwicklungspolitik besser verkaufen könnte

Selbstdarstellung und Eigenwer- Entwicklungsländern umspannt. Warum nicht? bung spielen nicht nur für Unter- Sollte die EU etwas Ähnliches ent- Früher sind die Europäische nehmen eine Rolle, sondern auch wickeln? Union und andere Industrielän- für Staaten und die EU. In einem Die Belt-and-Road-Initiative der davon ausgegangen: Wir ha- Bericht zur Entwicklungsfinanzie- steht vor allem für große Infra- ben Erfahrung, wie Entwicklung rung haben Fachleute im Okto- strukturprojekte und Konnekti- funktioniert, und teilen diese Er- ber eine umfassende Markenpo- vitätspolitik. Mit ihr sollen Han- fahrungen mit Entwicklungslän- litik („branding“) und ein neues delsrouten und die wirtschaftliche dern. Angesichts des Klimawandels Leitbild für die EU-Entwicklungs- Zusammenarbeit zwischen China ist die Situation heute grundlegend politik angeregt. Christine Hacke- und den Ländern auf dieser Route anders. Denn in der EU wissen wir nesch vom Deutschen Institut für verbessert werden. Damit verbin- auch noch nicht, wie CO2-neutrale Entwicklungspolitik erklärt, wie det sich ein bestimmtes Entwick- Gesellschaften und Wirtschaftsmo-

das aussehen könnte und warum lungsmodell: China stellt Ländern delle aussehen können, wir befin- die China dabei nicht als Vorbild taugt. zum Beispiel in Afrika vor, wie Ent- den uns selbst in einem Suchpro- wicklung in China funktioniert hat zess. Die Europäische Union könn- Christine Hackenesch leitet das China hat mit der „Belt-and-Road- und was diese davon lernen kön- te dies zum Anlass nehmen und Forschungsprogramm Inter- und Initiative“ einen einprägsamen nen. Aber es ist fraglich, ob das so afrikanischen Ländern einen Dia- transnationale Zusammenarbeit Slogan in der Außendarstellung, funktioniert. Und die EU sollte die- log anbieten, wie zukunftsfähige beim Deutschen Institut für der auch die Zusammenarbeit mit sen Ansatz nicht übernehmen. Gesellschaftsmodelle, ausgehend Entwicklungspolitik in Bonn.

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tik oder die Folgen der Digitalisie- macht, stellt sich erneut die Frage: rung für den Arbeitsmarkt angeht. Was heißt das für die Entwicklungs- Das sollte man auch so nach außen zusammenarbeit und ihr Leitbild? kommunizieren. Wichtig wäre auch das „wording“: Wenn die EU den Ansatz für ihre Aber ist es nicht besser, wenn die Kooperation mit Drittländern nut- EU nach außen eine einheitliche zen möchte, ist es schwierig, die In- Botschaft sendet? itiative als „European“ Green Deal Das schließt sich nicht aus. Die zu bezeichnen. einheitliche Botschaft kann lauten, dass die Vielfalt – zum Beispiel an Noch ein ganz praktischer Aspekt Erfahrungen – ein Teil dessen ist, der Außendarstellung: Sollte die was Europa zu bieten hat. blaue Europaflagge mit den gel- ben Sternen öfter in Entwicklungs- Die neue EU-Kommission unter Ur- ländern zu sehen sein, um EU-ge- sula von der Leyen hat gerade ihr förderte Projekte und Programme erstes großes Projekt vorgestellt, sichtbarer zu machen? Mitarbeiterin eines von der EU geförderten Projekts für syrische Flüchtlinge den „European Green Deal“, der Die EU steht in der Außendar- in der Türkei. Die EU könnte stärker mit ihrer Entwicklungszusammen-­ die EU klimaneutral machen und stellung traditionell vor dem Pro- arbeit werben, ohne dass immer die Europaflagge draufkleben muss. zugleich Partner außerhalb der blem, dass ein wichtiger Teil ihrer diego cupolo/european union EU mobilisieren soll, ihr auf die- Unterstützung Budgethilfe ist, also sem Weg zu folgen. Ist das auch über die Systeme der Partnerlän- ein Leitbild für die Entwicklungs- der ausgegeben wird. Das ist auch von unterschiedlichen Situationen, he die globalen Herausforderun- zusammenarbeit? gut so. Natürlich ist solche Förde- aussehen können. gen nicht angehen können. Dabei Der europäische Konsens für rung nicht so sichtbar, wie wenn hat die EU (ebenso wie andere) kei- Entwicklungspolitik von 2017 hat die Chinesen zum Beispiel ein Sta- Zeigt sich dieses Verständnis im ne Blaupausen für zukunftsfähige einen wichtigen Schritt gemacht, dion bauen. Aber ich würde nicht neuen Titel der EU-Kommissarin Gesellschaftsmodelle. Durch ihre indem er Fragen der Innenpolitik raten, dass die EU ihre Politik nur für internationale Partnerschaften, interne Vielfalt hat die EU aber ei- mit solchen der Außen- und Ent- deshalb ändert, um ihr Logo öfter die keine EU-Entwicklungskom- nen Vorteil gegenüber zentral re- wicklungspolitik verbunden und auf etwas draufkleben zu können. missarin mehr sein soll? gierten Ländern wie China. Un- indem er die Nachhaltigkeitsziele Am wichtigsten ist, welche inhalt- Ja genau. Die EU müsste nach terschiedliche EU-Mitgliedstaa- in der Entwicklungszusammenar- lichen Ziele und Strategien die EU außen deutlich machen, dass wir ten machen sehr verschiedene Er- beit verankert hat. Wenn jetzt die verfolgt. Und dann kann man über- ohne internationale und transna- fahrungen, was zum Beispiel die EU-Kommission den sogenann- legen, wie man das „verkauft“. tionale Kooperation auf Augenhö- Transformation der Energiepoli- ten Green Deal zu ihrem Leitmotiv Das Gespräch führte Phillipp Saure.

brüssel Nachsitzen für Post-Cotonou Der Vertrag zwischen der EU und den AKP-Ländern wird nicht rechtzeitig fertig

Das Nachfolgeabkommen für den Die EU-Kommission hält sich les, Botschafter aus Guyana und Vi- der Diplomat, der nicht nament- Cotonou-Vertrag zwischen der Euro- über den Verlauf der Verhandlun- zechef der zentralen Verhandlungs- lich genannt werden möchte. päischen Union und der Gruppe der gen weitgehend bedeckt. Sie gin- gruppe der AKP-Botschafter. Der Zeitplan ist relevant, weil AKP-Länder (Afrika, Karibik, Pazifik) gen „gut voran“, Fortschritte gebe es Sobald beide Seiten eine poli- zum 1. Januar 2021 der nächste sie- kann nicht wie geplant Anfang März sowohl beim für die gesamte AKP- tische Einigung verkünden, muss benjährige EU-Haushaltsrahmen in Kraft treten. Die Verhandlungen Gruppe geltenden Grundlagenver- der Vertrag bis zum vorläufigen In- in Kraft tritt. Die Entwicklungsfi- haben sich verzögert. Als harter Bro- trag („Foundation“) als auch bei den krafttreten noch rechtlich geprüft nanzierung soll nach derzeitigen cken erweist sich Migration. drei regionalen Säulen für Afrika, und übersetzt werden; zudem ste- EU-Plänen neu geordnet und der Karibik und Pazifik, die die Bezie- hen die Annahmeprozeduren in für die AKP reservierte Europäische Der im Jahr 2000 geschlossene hungen mit der EU für die jeweili- der EU und den AKP-Ländern aus. Entwicklungsfonds aufgelöst wer- Cotonou-Vertrag läuft am 29. Fe- ge Region konkretisieren, teilte eine Ein Diplomat eines EU-Mitglied- den, was die AKP-Seite nicht will. Es bruar 2020 aus. Seit Herbst 2018 Sprecherin mit. Einige Sektionen staates setzt dafür grob neun Mo- ist daher spannend, ob und wie ein wird der Nachfolgepakt verhandelt, seien bereits von den Chefverhand- nate an. Damit der Vertrag bis Jah- neues EU-Finanzinstrument mit der die Beziehungen zwischen den lern gutgeheißen worden. Deren resende unter Dach und Fach sein dem Cotonou-Nachfolgeabkom- dann wohl 27 EU-Staaten und 79 letztes Treffen war Ende September. kann, müsste die Einigung also spä- men verbunden wird. Die AKP-Sei- AKP-Ländern auf eine neue Basis Das nächste ist für den 14. Februar testens im März/April erfolgen. Er te hat Botschafter Hales zufolge je- stellen soll. in Brüssel geplant, sagt David A. Ha- sei „vorsichtig optimistisch“, sagt denfalls vier Schlüsselforderungen:

2-2020 | brüssel | schweiz journal 55

ein für die AKP-Staaten reservier- Migranten in ihren Herkunftslän- Verhandlungen –, reguläre Wege für tischen Europaabgeordneten Györ- tes Finanzpaket, Zugang zu Beihil- dern seien „kontrovers“. Während Bürger aus Entwicklungsländern gy Hölvényi (Ungarn) zufolge will fen für alle AKP-Staaten unabhän- die EU detaillierte Regelungen fest- zu schaffen. Erst wenn die EU dies die EU-Kommission die bisherige gig von ihrer Wirtschaftsleistung, klopfen wolle, etwa Fristen für die getan habe, könne sie der AKP-Sei- gemeinsame Parlamentarische Berechenbarkeit und eine Betei- Ausstellung von für Rückführun- te vernünftige Angebote machen, Versammlung von AKP und EU ab- ligung der AKP an der Verwaltung gen nötigen Dokumenten, wolle urteilt die Vertreterin der katholi- schaffen und entsprechend der re- der Gelder. die AKP-Seite den Text allgemeiner schen Organisation. Zugleich kri- gionalen Säulen drei Versammlun- Ein Hauptstreitthema bleibt halten, sagt der Diplomat. tisiert sie die AKP. In deren Ver- gen mit Vertretern der jeweiligen die Migration. Dem europäischen handlungsmandat liege der Fokus Region und der EU an ihre Stelle Diplomaten zufolge sind fünf der Der AKP-Gruppe geht es vor zu sehr auf den Finanzen. Damit setzen. Der Erhalt der jetzigen In- sechs strategischen Prioritäten des allem um Entwicklungshilfe würde die klassische Geber-Neh- stitution, die zwei Mal jährlich zu- Grundlagenvertrags durchverhan- Hildegard Hagemann von der mer-Beziehung zementiert. „Für sammentritt und der Hölvényi an- delt, abgesehen von wenigen strei- Deutschen Kommission Justitia et ein Abkommen, das progressiv-vi- gehört, bilde jedoch „eine rote Li- tigen Punkten. Weitgehend offen Pax sieht Fehler in den Verhand- sionär sein sollte, ist das sehr ent- nie“ für das Europaparlament – das sei dagegen das Kapitel zu Migrati- lungsansätzen beider Seiten. Bei täuschend“, sagt Hagemann. dem Post-Cotonou-Abkommen am on; vor allem die Punkte Rückfüh- der Migration versäume die EU – Auch innerhalb der EU gibt es Ende zustimmen muss. rungen und Wiederaufnahme von unabhängig von den Post-Cotonou- Spannungen. Dem christdemokra- Phillipp Saure

schweiz Die Schweizer Armee will sich stärker im Ausland engagieren Wie weit die Unterstützung für UN-Missionen gehen soll, ist umstritten

Die Schweiz will mit den Vereinten die Schweizer militärische Frie- militärische Friedensmissionen digung, Bevölkerungsschutz und Nationen bei der Ausbildung von densförderung betreffen. Der Ein- geschaffen. Die Schweizer Armee Sport (VBS) auf Anfrage. Soldaten für Friedensmissionen in satz der Swiss Company (Swisscoy) stellt ihr bereits von den UN zerti- Die Erfolgsbilanzen von UN- Zukunft enger kooperieren. Dage- im Rahmen der multinationalen fiziertes Ausbildungszentrum in Friedensmissionen beurteilt das gen haben selbst Armeegegner kei- Kosovo Force soll über Dezember Stans in der Zentralschweiz zur Ver- Departement als gemischt. Die ne Einwände. Wohl aber gegen Plä- 2020 hinaus verlängert und das fügung. Die Schweiz profitiere so Schweiz unterstütze die Reform­ ne der Regierung, Schweizer Solda- Kontingent von heute maximal 165 vom Zugang zu Erfahrungen der anstrengungen seit 2015, die das ten wieder an größeren bewaffne- auf 195 Personen erweitert werden. UN in der militärischen Friedens- Personal von truppenstellenden ten Einsätzen teilnehmen zu lassen. Der Bundesrat hat zudem die recht- förderung und unterstütze die Re- Staaten besser auf die Aufgaben in liche Grundlage für eine engere Zu- formbemühungen der UN im Be- den Missionen vorbereiten sollen, Ende November fällte der Bundes- sammenarbeit mit den Vereinten reich Ausbildung, schreibt das zu- schreibt das VBS. Am Ausbildungs- rat gleich zwei Entscheidungen, die Nationen bei der Ausbildung für ständige Departement für Vertei- zentrum in Stans werden nach ei-

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Infos für Aussteller & Besucher auf: autarkia.info 56 journal schweiz

nem Pilotkurs im Februar 2019 von Seit 1999 beteiligt die Schweiz nun an vor allem das für „Schlüs- sich an der internationalen selpositionen vorgesehene Perso- Kosovo-Schutztruppe KFOR. nal“, darunter Stabsoffiziere, mit picture alliance/keystone neu konzipierten UN-Lehrmitteln ausgebildet. Schweizer Armeeangehörige vor mehr als 25 Jahren mit einem sind im Balkan, im Nahen Osten so- größeren Kontingent an der UN- wie in Afrika unter anderem in Mali Mission in der Westsahara. und Südsudan und an der Demar- Die Gesellschaft für eine kationslinie zwischen Nord- und Schweiz ohne Armee (GSoA) lehnt Südkorea, der ältesten Schweizer diese Pläne der Schweizer Armee militärischen Friedensmission, im strikt ab. Einzelne Schweizer Sol- Einsatz. Die internationalen Frie- daten und Soldatinnen sollten sich densmissionen seien ein wichti- den Friedenstruppen der Vereinten ges Instrument in der Außen-, Si- Nationen anschließen dürfen, doch cherheits- und Friedenspolitik der ein Kampfeinsatz der Schweizer Ar- Schweiz, die seit 1815 als neutrales mee kommt für die GSoA nicht in- Land gilt, schreibt das VBS: „Die frage – „auch wenn sich dieser Ein- Steigerung der Qualität in diesem satz ausschließlich im Rahmen Bereich ist somit direkt auch im densmission, etwa als Militärbeob- eines „weiteren Kontingentes in der einer UN-Mission bewegt“. Der Interesse der Schweiz.“ Die mili- achter auf den Golanhöhen oder Größe einer Kompanie“ als Ziel, wie SRF-Bericht zeige, dass solche Über- tärische Friedensförderung ist im im Kongo. Weitere Schweizer Ar- das Schweizer Radio und Fernsehen legungen im Departement für Ver- Schweizer Militärgesetz verankert. meeangehörige sind im Rahmen SRF berichtete. teidigung „bereits jetzt in größerem Einsätze können auf der Grundlage von OSZE-Missionen etwa in der Die UN habe ihr grundsätzli- Rahmen diskutiert werden“, schreibt eines UN- oder OSZE- Mandates an- Ukraine unter anderem als Stabs- ches Interesse an einem größeren die GSoA auf Anfrage. geordnet werden, müssen aber den offiziere im Einsatz. Einsatz der Schweiz bereits ange- Vor 30 Jahren hatte die GSoA Grundsätzen der schweizerischen Bei diesen Einsätzen sind die meldet, wurde Mäder im SRF-Be- eine Initiative zur Abschaffung der Außen- und Sicherheitspolitik­ ent- Schweizer Armeeangehörigen nur richt weiter zitiert. Gemäß dem VBS Schweizer Armee lanciert. Im No- sprechen. Im Gesetz steht auch: zum Selbstschutz bewaffnet. Doch ist ein entsprechender Bericht zu vember 1989 stimmten mehr als ein „Die Teilnahme an Kampfhand- im Oktober sagte Markus Mäder, rechtlichen und politischen Fra- Drittel der Bürgerinnen und Bür- lungen zur Friedenserzwingung Chef Internationale Beziehungen gen in Arbeit und soll in der ers- ger, bei einer Beteiligung von fast 70 ist ausgeschlossen.“ in der Gruppe Verteidigung im Ar- ten Jahreshälfte 2020 dem Parla- Prozent, für die Abschaffung der Ar- Gegenwärtig sind rund 250 meestab, dass die Schweiz eine Teil- ment vorgelegt werden, das längere mee. Seit diesem Tag hat die Armee Schweizerinnen und Schweizer in nahme an einer größeren und be- bewaffnete Einsätze von mehr als nach Ansicht der GSoA „ihre domi- 19 Ländern im Einsatz, darunter gut waffneten UN-Mission wieder in 100 Armeeangehörigen genehmi- nante Rolle in unserer Gesellschaft 30 Personen in auf ein Jahr befris- Betracht ziehen müsse. Auf einer gen muss. Mit 85 Soldaten beteilig- verloren“. Die GSoA engagiert sich teten Einsätzen mit einer UN-Frie- Tagung nannte er die Entsendung te sich die Schweizer Armee zuletzt heute gegen Waffenexporte und mi- litärische Auslandseinsätze. Gegen das Ausbildungsabkom- men mit den Vereinten Nationen Nur wenige Schweizer Frauen im Einsatz hat die GSoA im Prinzip keine Ein- Die Schweizer Armee hat grundsätzlich keine Proble- aus. Es gibt rund 1300 ausgebildete Soldatinnen, wände. Es berge allerdings die Ge- me, angefragtes Personal für militärische Friedens- weniger als 300 von ihnen haben den Rang eines fahr, dass dadurch Auslandsein- missionen bereitzustellen. Das sagt Daniel Seck- Offiziers. UN-Einsätze erfordern aber meist eine Of- sätze der Schweizer Armee größe- ler, der stellvertretende Kommunikationschef von fiziersausbildung. „Frauen müssten freiwillig die re Zustimmung im Parlament und SWISSINT, dem für die internationale Friedensför- Rekrutenschule besuchen, dann freiwillig die Offi- in der Schweizer Bevölkerung er- derung zuständigen Ausbildungszentrum in Stans. ziersschule und dann freiwillig ins Ausland gehen. halten könnten. Nicht alle Stellen in der Swisscoy in Kosovo oder Das sind sehr viele Freiwilligkeiten“, sagt Seckler. Militärische Friedensmissio- der EUFOR in Bosnien erfordern militärische Vor- Schweizerinnen sind vor allem als medizinisches nen sollten nicht im Vordergrund kenntnisse. Das ermöglicht es auch Frauen, die in Personal, in Beobachtungsteams oder in der Mi- stehen, sondern die zivile und der Schweiz nicht wehrpflichtig sind, an militäri- nenräumungen im Einsatz. politische Konfliktbearbeitung, schen Friedensmissionen teilzunehmen. Im Balkan Die erste Schweizer Verteidigungsministerin Vi- schreibt die GSoA. Maßnahmen stellen sie gegenwärtig gut ein Fünftel des Schwei- ola Amherd, seit Januar 2019 im Amt, sagte in einer wie die Unterstützung von De- zer Kontingents. Ansprache im vergangenen August, dass sie den Frau- mokratisierungsprozessen und Anders sieht es bei UN-Einsätzen aus: Die Ver- enanteil in den Streitkräften und in den Friedens- die Stärkung der Zivilgesellschaft einten Nationen wollen den Frauenanteil bei allen missionen steigern möchte. Sie hat dazu einen Be- im Ausland müssten gestärkt und militärischen Friedensmissionen bis 2030 auf 15 richt in Auftrag gegeben. Sie ist überzeugt: „Mehr ausreichend finanziert werden. Nur Prozent erhöhen. Für die Schweiz ist es schwierig, Frauen, die Militärdienst leisten, bringen auch der die zivile Friedensförderung wirke dieser Vorgabe zu entsprechen, denn Frauen ma- Armee viel. Es ist nicht nur in der Wirtschaft so, dass langfristig. „Militärische Interven- chen gerade mal 0,7 Prozent der Schweizer Armee gemischte Teams bessere Leistungen bringen.“ (cst) tionen können das nicht garantie- ren.“ Christina Stucky

2-2020 | österreich journal 57

österreich Zivilgesellschaft unter Druck Organisationen hoffen auf Entspannung unter der neuen Regierung

Bis zum Ende der rechtskonser- Die Chefs von ÖVP und den Grünen, vativen ÖVP-FPÖ-Regierung im Sebastian Kurz (links) und Werner Frühsommer 2019 hat sich die ös- Kogler, vor der ersten Kabinetts­ terreichische Zivilgesellschaft zu- sitzung Anfang Januar in Wien. nehmend eingeengt gefühlt. Jetzt picture alliance/apa/picturedesk.com sei die Lage etwas entspannter, hieß es auf einer Veranstaltung im Dezember in Wien – als noch nicht ließ Jäggle nicht gelten: „Aufgabe klar war, dass die ÖVP sich mit den des Staates ist nicht zu selektieren, Grünen auf eine Koalition einigen welche Initiative genehm ist und würde. welche nicht.“ Für ihn hat der Staat grundsätzlich die Verantwortung, Romy Grasgruber-Kerl, Geschäfts- zivilgesellschaftliches Engagement führerin des Netzwerks Soziale Ver- zu fördern. antwortung, sagte in Wien, die Lage Die bei Fridays for Future en- sei „durchaus ernst“, aber etwas gagierte Agnes Pürstinger hofft auf entspannter als vor einem Jahr. Die eine Trendwende in der Klimapo- Aktivistin bezog sich auf die Rechts- litik unter der neuen Regierung. regierung von Sebastian Kurz, dem Michael Obrovsky von der Öster- sie „fehlende Dialogbereitschaft“ reichischen Forschungsstiftung attestierte. Mit seinem Antritt im für Entwicklungspolitik (ÖFSE) ist Dezember 2017 seien „von einem destinformationen versorgt wer- müssten. „Planungssicherheit ist durchaus optimistisch: Anders als Tag auf den anderen die Türen ge- den. Unter diesen Bann fiel auch eine der zentralen Forderungen“, die Bewegungen der 1970er und schlossen worden“. Auch bei Be- die kritische Wochenzeitung „Fal- so Romy Grasgruber-Kerl. 1980er Jahre habe man heute die amten seien keine Termine mehr ter“, die darauf allerdings einen Den Einwand, für eine Regie- Wissenschaft mit im Boot, wenn es zu bekommen gewesen. Vielmehr Boom bei Neuabos verzeichnete – rung, die für ihr rechtes Programm um eine Wende in der Klima- und habe es Angriffe auf Repräsentan- ein deutliches Lebenszeichen für gewählt wurde, sei es doch legitim, Migrationspolitik gehe. ten von NGOs „vom Bundeskanzler den Widerstandsgeist in der Be- ihre eigenen Anliegen zu fördern, Ralf Leonhard abwärts“ gegeben. Kurz selbst, ein völkerung. Vertreter der harten Flüchtlings- Martin Jäggle, im Jahr 2012 als politik, hat die privaten Seeretter Dekan der theologischen Fakultät im Mittelmeer wie Carola Racke- an der Uni Wien emeritiert, veror- Eckpunkte türkis-grüner Entwicklungspolitik te wiederholt als „Handlanger der tet den Beginn der Krise schon un- Beim Kapitel Entwicklungszusammenarbeit im neuen Regierungs- Schleppermafia“ attackiert. Flucht- ter der letzten SPÖ-ÖVP-Regierung programm konnten sich die Grünen nur teilweise durchsetzen. Im- willige würden sich in seeuntüchti- (2013 - 2017), als der damalige Au- merhin gibt es ein Bekenntnis zur Agenda 2030 der Vereinten Nati- gen Booten aufs Meer wagen, weil ßenminister Sebastian Kurz dem onen und zu entwicklungspolitischer Kohärenz in der Regierungs- sie mit Rettung rechnen könnten. entwicklungspolitischen „Südwind- politik. Der humanitären Hilfe etwa „für Flüchtlingslager vor Ort, Den heimischen NGOs wurde von Magazin“ mit Hinweis auf angebli- aber auch für den Auslandskatastrophenfonds“ winkt eine „sub- der Regierung immer wieder vor- che EU-Vorschriften über Nacht die stanzielle Erhöhung“. Die Mittel für bi- und multilaterale Zusam- geworfen, eine „Asylindustrie“ zu staatlichen Zuschüsse strich. An- menarbeit – „mit Fokus auf bilaterale Mittel“ – sollen „schrittwei- betreiben, um an Spendengelder ders als etwa die Schweiz oder die se“ Richtung 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts erhöht wer- zu kommen. USA habe Österreich keine Traditi- den. Einen Stufenplan zum Erreichen dieses Ziels, den die Grünen Nicht nur rhetorisch, auch in on privater Stiftungen und Mäze- seit Jahren fordern, sucht man allerdings vergebens. Die ÖVP hat konkreten Aktionen sahen sich ne, die Projekte im öffentlichen In- in das Kapitel eine „verstärkte Fokussierung auf das Thema Mi­ die Organisationen der Zivilgesell- teresse finanzieren. Wenn ein Ver- gration“ hineinredigiert, etwa dadurch, dass zusätzliche Mittel in schaft von der ÖVP-FPÖ-Regierung ein Arbeit erledige, die eigentlich Herkunfts- und Transitländern von Migranten nach Österreich bedroht. Eine ihrer ersten Aktionen dem Staat obliege, wie die Versor- verwendet werden. war, die Förderung für Vereine zu gung und Betreuung von Flüchtlin- Im NGO-Dachverband Globale Verantwortung freut man sich streichen, die sich für Frauenrech- gen oder die Beratung von Gewalt­ trotzdem über die Verbesserungen. „Mit einer konsequenten Um- te und gegen Gewalt in der Familie opfern, sei er auf staatliche Förde- setzung der Vorhaben würde die Entwicklungspolitik definitiv eine einsetzen. Innenminister Herbert rung angewiesen. Die Beantragung Aufwertung erfahren. In Zeiten zunehmender, oft langanhalten- Kickl unternahm mehrere Anläufe, sei oft demütigend. Meist würden der Krisen und Konflikte könnte Österreich so zu mehr politischer die Pressefreiheit zu demontieren. Gelder erst zur Jahresmitte zuge- Stabilität und sozialer Sicherheit für Menschen beitragen“, erklärte Bestimmte Medien sollten nur mit sagt, so dass Vereine monatelang Geschäftsführerin Anneliese Vilim in einer Pressemitteilung. (rld) den gesetzlich notwendigen Min- auf eigene Rechnung tätig werden

| 2-2020 58 journal kirche und ökumene

kirche und ökumene Nigeria: Über Hexerei wollen viele nicht reden Eine internationale Konferenz sorgt für Aufregung

Eine wissenschaftliche Konferenz wollten, die selbst Magie praktizie- Die Konferenz sei ein gutes Bei- Konferenz mitbekommen. „Manche zum Thema Hexerei hat Ende No- ren oder schon einmal der Zaube- spiel dafür, wie heikel das Thema waren total dagegen, andere wiede- vember in Nigeria zu wochenlan- rei beschuldigt wurden, brach ein in Afrika ist, sagt Claudia Währisch- rum sprachen sich dafür aus, das gen Diskussionen geführt. Vor al- Sturm der Entrüstung los – erst in Oblau, Leiterin der Abteilung Evan- Thema als Teil des traditionellen af- lem christliche Gruppen forderten, den lokalen Medien, dann unter gelisation der Vereinten Evange- rikanischen Wissens zu betrachten, sie abzusagen. Fachleute weisen Studierenden, die ihre Universi- lischen Mission in Wuppertal. Sie über das man sich informieren und darauf hin, wie heikel das Thema tät bereits an Hexen und Zaube- forscht seit Jahren zum kirchlichen mit dem man umzugehen lernen in Afrika ist – was auch die westli- rer übergeben sahen. Auch der re- Umgang mit dem Hexenglauben. müsse“, sagt sie. che Entwicklungshilfe berücksich- gionale Zweig der Christian Asso- „Neutral kann man darüber nicht Eine akademische Auseinan- tigen sollte. ciation of Nigeria (CAN), ein Dach- reden, auch in den Kirchen nicht. dersetzung und Aufarbeitung sei verband verschiedener Kirchen, Viele fürchten, dass allein das Spre- wichtig, denn viele Menschen- Die Angst, mit einem Zauber belegt schaltete sich ein; die Pentecostal chen über Hexerei bereits den bö- rechtsverletzungen bis hin zu zu werden oder gar selbst der Hexe- Fellowship, in der 82 Pfingstkirchen sen Kräften Macht über einen gibt.“ Lynchmord würden im Rahmen rei beschuldigt zu werden, ist in vie- in Nigeria organisiert sind, forderte, von Hexenglauben verübt. Schnell len Ländern Afrikas in allen Bevöl- die Tagung abzusagen. Über Tage Wenn Menschen an Dämonen würden Außenseiter in der Gesell- kerungsschichten weit verbreitet. und Wochen berichteten nigeria- glauben, hat das Auswirkungen schaft oder auch alte Frauen für Ende November fand an der Nsuk- nische Medien immer wieder von Das bestätigt auch Judith Bach- Missernten, Krankheit oder sons- ka-Universität im Südosten Nigeri- der bevorstehenden Tagung. mann, die an der Uni Heidelberg tiges Unglück verantwortlich ge- as eine zweitägige Fachkonferenz Erst als die Universität den zum Thema Hexenglauben in Nige- macht und der Hexerei beschuldigt. zu diesem Thema statt. Der Veran- Namen von „Internationale Kon- ria promoviert hat. „Hexerei ist ein Bachmann gibt aber zu beden- stalter, das Zentrum für politische ferenz zu Hexerei“ in „Internatio- Reizwort, das insbesondere in den ken, dass sich auch der aufgeklärte Studien und Forschungen, wollte nale und Interdisziplinäre Konfe- Medien große Aufmerksamkeit be- Westen mit seinen Klischees ausei- „die Hexerei und ihre zugrunde renz über Dimensionen menschli- kommt“, sagt sie. Sobald man aber nandersetzen müsse. „Wir tun das liegenden Prinzipien verständlich chen Verhaltens“ änderte, konnte einzelne Leute zu ihren Erfahrun- gerne als Aberglaube ab und wol- machen“ und zeigen, welche Aus- sie stattfinden. Die Organisatoren gen befrage, verstummten sie aus len uns damit nicht weiter beschäf- wirkungen sie „auf das menschli- legten außerdem die Eröffnungsze- Angst, sie könnten sich anfällig für tigen“, sagt die Theologin. „Um zu che Leben, die Gesellschaft und den remonie in die Hände eines katho- Zauber und Magie machen oder Lösungen zu kommen, müssen wir Fortschritt“ hat. lischen Priesters, der zusammen verdächtigt werden, selbst Hexen aber die Menschen in ihrer Realität Doch kaum wurde bekannt, mit dem Chor der Universitätsge- zu sein, berichtet sie von ihrer Feld- ernst nehmen.“ Wenn jemand glau- dass sich dort nicht nur Fachleu- meinde und allen Beteiligten einen forschung. Über die sozialen Medi- be, verhext zu sein, helfe es wenig, te, sondern auch Personen treffen Gottesdienst feierte. en habe sie die Aufregung um die ihm zu sagen, dass sei nur Aber- glaube, sagt Bachmann. Das sieht auch Währisch-Oblau so. „Wenn Menschen an Dämonen glauben, hat das sehr wohl Auswir- kungen auf ihre Lebenswirklich- keit“, sagt sie und nennt den Kampf gegen Ebola als Beispiel: Wenn vie- le Menschen in den betroffenen Ge- bieten davon ausgingen, dass hin- ter Ebola ein böser Zauber stecke, dürften westliche Hilfsorganisatio- nen das nicht einfach als Aberglau- be abtun. Das bedeute zum Beispiel, Ein traditionel- sich mit der spirituellen Dimensi- ler Heiler im on von Hexerei auseinanderzuset- Dorf Magbu- zen. „Theologisch kann das heißen, moh in Sierra den Menschen zu erklären, dass Je- Leone befreit sus stärker ist als all die Dämonen“, einen unter sagt Währisch-Oblau. Erst aus der einem Tuch ver- Sicherheit eines gefestigten Glau- borgenen Mann bens heraus könne ein tief verwur- von einem Fluch. zeltes Phänomen wie der Hexen- lynn rossi/Afp/ glaube dekonstruiert werden. getty images Katja Dorothea Buck

2-2020 | kirche und ökumene journal 59

kirche und ökumene Solidarität ja, Revolution nein Die Religionsführer im Libanon wollen am konfessionellen Proporz in der Politik festhalten

Im Libanon sind sich die Führungen on habe schon seit Jahren das gan- von Sunniten, Schiiten, Drusen und ze Land im Griff. „Wir haben in den Christen einig. Sie stellen sich hin- Gemeinden und in unseren Ein- ter die Protestbewegung und for- richtungen irgendwie immer ver- dern ein Ende der Korruption. Dass Weihnachtlicher sucht, trotz allem die Dinge am die politische Macht entlang religi- Protest im Laufen zu halten.“ Die aktuelle Si- öser Grenzen aufgeteilt wird, stel- vergangenen tuation sei „wie ein schrecklicher len sie aber nicht infrage. Dezember vor Sturm, bei dem wir nicht wissen, der Moham- wann und wie er ausgehen wird“. Dass sich Kirchenführer im Liba- med-al-Amin- Auch Mohammed Abu Zaid non zu einem gemeinsamen State- Moschee in ist pessimistisch. Der sunnitische ment durchringen, kommt nicht Beirut. Theologe ist Imam an einer Mo- oft vor. Nach Beginn der Demons- anwar amro/AFP/ schee in Saida. „Selbst wenn die gan- trationen am 17. Oktober aber dau- Getty images ze Politikerriege nun ausgewech- erte es gerade eine Woche, bis die selt wird, wird das nicht reichen“, katholischen, orthodoxen und sagt er. „Minister kommen und ge- evangelischen Oberhäupter sowie sche Macht entlang von Religions- sondern die Zugehörigkeit zu ei- hen. Aber in den unteren Ebenen die Äbte und Äbtissinnen verschie- grenzen aufgeteilt. Anfangs teilten ner bestimmten Konfession. in den Ministerien und Behörden dener Ordensgemeinschaften mit Christen und Muslime die Posten Derweil spitzt sich die wirt- sitzen Leute, die ihren Posten nur einem Aufruf an die Öffentlichkeit jeweils zur Hälfte unter sich auf. schaftliche Lage für die sechs Mil- über Beziehungen bekommen ha- gingen. Darin stellten sie sich in un- Seit dem Ende des Bürgerkriegs lionen Libanesen dramatisch zu. ben.“ Sie blieben oft über viele Jahre gewohnter Einmütigkeit hinter die im Jahr 1990 gilt die im Friedens- Das Land hat keine Devisen mehr und machten die eigentliche Politik. Forderungen der Demonstranten abkommen von Taif festgehaltene und kann keine Lebensmittel mehr „Sie wissen, wo die Lücken in den nach Demokratie, Rechtsstaatlich- Regel, dass der Präsident ein ma- aus dem Ausland importieren. Ent- Gesetzen sind, um staatliche Gel- keit und einem Ende der Korrupti- ronitischer Christ sein muss, der sprechend haben sich die Preise für der in private Hände umzuleiten.“ on. Mit deutlichen Worten werfen Premierminister ein sunnitischer Lebensmittel und Benzin verviel- Er gehe davon aus, dass es mehre- sie den Politikern Gier und Klientel- Muslim und der Parlamentsspre- facht; Lehrer an staatlichen Schu- re Jahrzehnte brauche, das System wirtschaft vor und fordern „tiefge- cher ein Schiit. Auch Minister- und len bekommen nur noch die Hälf- wirklich zu verändern. Um das zu hende Reformen, Veränderungen Verwaltungsposten werden nach te ihres Gehalts, Anfang Dezember verdeutlichen, greift er auf ein Bei- im Kabinett und eine Erneuerung diesem Schlüssel vergeben. mussten mehr als hundert Einrich- spiel aus der Bibel zurück, die Flucht der Verwaltung“. Doch eine Forde- So bemüht die Kirchenführer tungen für Menschen mit Behinde- des Volkes Israel aus Ägypten: „Sie rung der Demonstranten haben die auch sind, sich auf die Seite des rung schließen, weil sie kein Geld mussten erst 40 Jahre in der Wüste Kirchenführer ausgeklammert: das Volkes zu stellen: Jeder im Libanon mehr hatten, um das Personal zu verbringen, bevor sie in das gelob- Ende des sogenannten konfessio- weiß, dass sie und die Führer der bezahlen. Viele dieser Einrichtun- te Land ziehen konnten. Diese Zeit nellen Systems. muslimischen Religionsgemein- gen sind kirchlich geführt. „Wir füh- hat es gebraucht, damit eine neue Im Libanon gibt es 18 offiziell schaften Teil des konfessionellen len uns alle einfach ausgebrannt“, Generation heranwachsen kann, anerkannte Religionen und Kon- Systems sind, in dem bei der Posten- sagt eine evangelische Pfarrerin in die nicht mehr die Mentalität von fessionen. Seit der Gründung des vergabe oft nicht Kompetenz oder Beirut, die nicht namentlich ge- Sklaven hat.“ Staates im Jahr 1943 ist die politi- Expertise ausschlaggebend sind, nannt werden will. Die Korrupti- Katja Dorothea Buck

kirche und ökumene — kurz notiert

In der Demokratischen Republik ebene die Bevölkerung für Proble- Wäldern des Kongobeckens einset- in der gemeinsamen Abschluss- Kongo wurde Anfang Dezember me wie Abholzung und Schwund zen sowie Vorschläge für den Um- erklärung. die interreligiöse Initiative für den der Artenvielfalt sowie für die Rech- weltschutz und für nachhaltiges Im Kongo sind etwa 56 Milli- Schutz des Regenwaldes im Kongo te von Indigenen sensibilisieren. Wirtschaften machen. „Wir wol- onen Menschen vom Regenwald gegründet. Darin wirken die katho- Die Initiative arbeitet mit dem len die Möglichkeiten nutzen, die und seinen Ressourcen wie Holz lische Bischofskonferenz und die Umweltprogramm der Vereinten wir als religiöse Führer und als In- und Nahrungsmittel unmittelbar Kirche Christi im Kongo sowie zi- Nationen (UNEP) und der interna- teressensgruppen haben, um auf abhängig. Der Regenwald im Kon- vilgesellschaftliche Organisationen tionalen Interfaith Rainforest Initi- der Basis von ethischen und gött- gobecken ist nach dem Amazonas- und Vertreter von indigenen Stäm- ative (IRI) zusammen. Sie will sich lichen Geboten Wege zu finden im Regenwald der zweitgrößte auf der men zusammen. Mit Kampagnen auch gegenüber Politik und Wirt- Kampf gegen die Abholzung des Erde und ebenso stark von Raubbau wollen sie künftig auf Gemeinde- schaft gegen den Raubbau in den tropischen Regenwalds“, heißt es und Klimawandel bedroht. (kb)

| 2-2020 60 journal global lokal

global lokal Faire Beschaffung im Schneckentempo Andere Länder in Europa sind deutlich weiter als in Deutschland

Organisationen der Zivilgesell- unter anderem aus Skandinavien, schaft fordern seit Jahren, dass die Großbritannien, den Niederlanden, öffentliche Hand nur solche Waren Spanien und der Schweiz. Genau für Schulen, Krankenhäuser oder ein Mitglied stammt aus Deutsch- Behörden einkaufen soll, die un- land, die Arbeitsgemeinschaft der ter fairen Bedingungen produziert IT-Verantwortlichen der Hochschu- wurden. Es gibt einige wegweisen- len und wissenschaftlichen Ein- de Modellprojekte, aber darüber richtungen in Schleswig-Holstein hinaus hat sich wenig bewegt. (ITSH-edu).

Mit „fair“ ist die Einhaltung sozi- Von echter Transparenz aler und arbeitsrechtlicher Stan- noch weit entfernt dards in der Produktion gemeint, Auditoren von Electronics Watch wie sie etwa die Internationale Ar- gehen nicht nur in die Fabriken beitsorganisation ILO festgehalten und schauen sich die Arbeitsbe- hat. Rund 340 Milliarden Euro ge- dingungen an. In Zusammenarbeit ben staatliche Institutionen in mit lokalen Organisationen drän- Deutschland jedes Jahr aus. Es wäre Fair gekleidet: Die Schutzanzüge der Dortmunder Feuerwehr gen sie auch auf Verbesserungen, ein wichtiges Signal, wenn dieses werden unter Beachtung sozialer Mindeststandards hergestellt. wenn Arbeiter zum Beispiel über- Geld nicht nur nach wirtschaftli- guido kirchner/picture alliance/dpa mäßige Überstunden leisten oder chen Kriterien ausgegeben, son- illegale Anwerbegebühren bei der dern in fair und ökologisch herge- Einstellung zahlen müssen. Bis zu stellte Waren fließen würde. mand einen vollständigen Über- Natursteinen, Tee, Kaffee, Kakao, einer fairen Lieferkette gibt es hier Vor allem Kommunen kaufen blick darüber, was wo eingekauft Blumen, Spielwaren oder Sport- aber noch sehr viel zu tun. Proble- fair gehandelte Produkte wie Kaf- wird. Außerdem gebe es für die bällen die Berücksichtigung der me in einigen Fabriken, zum Bei- fee, Tee, Orangensaft und Schoko- kommunalen Einkäufer zu wenig ILO-Kernnormen zwingend vor- spiel in Thailand, konnten behoben lade für ihre Kantinen. Darüber Beratung und fachliche Unterstüt- geschrieben. Andere Bundesländer werden, doch „von echter Transpa- hinaus haben Städte wie zum Bei- zung in Hinblick auf soziale Krite- sind diesem Beispiel bisher nicht renz entlang der gesamten Liefer- spiel Dortmund, Köln, Bonn und rien. in dieser Konsequenz gefolgt. In kette sind wir noch weit entfernt“, Stuttgart zusammen mit der Frau- Nordrhein-Westfalen gab es zwar sagt Pawlicki. enrechtsorganisation Femnet Mo- Malmö in Schweden schickt ähnliche Ansätze in einem Tarif­ Neben Lebensmitteln, Textilien dellausschreibungen zu Arbeits- sogar eigene Kontrolleure treue- und Vergabegesetz sowie ei- und IT-Geräten gibt es jedoch gan- bekleidung oder Arbeitsschuhen Europäische Metropolen wie Lon- ner zentralen Kompetenzstelle für ze Produktgruppen, die erst lang- durchgeführt und bei Herstellern don, Barcelona oder Malmö in nachhaltige Beschaffung, die al- sam in den Fokus der Aufmerksam- eingekauft, die garantieren, dass Schweden sind da viel weiter und lerdings beide nach einem Regie- keit geraten. So standen Ende 2019 Arbeiterinnen und Arbeiter in der haben für sensible Waren durch- rungswechsel im Jahr 2017 wieder beim runden Tisch des Eine-Welt- Fertigung der Textilien angemesse- gängig soziale und ökologische Kri- gekippt wurden. Netzwerks Bayern zum Thema „So- ne Löhne erhalten, keine übermä- terien eingeführt, die beim Einkauf Peter Pawlicki von der Organi- zial- und Umweltstandards bei Un- ßigen Überstunden leisten müssen, berücksichtigt werden müssen. In sation Electronics Watch bestätigt ternehmen“ auch Medikamente Gewerkschaften bilden dürfen und Malmö wurde die Abteilung für den Eindruck, dass etliche Kommu- auf der Tagesordnung. Hersteller den notwendigen Arbeitsschutz er- den Einkauf personell verdoppelt. nen und Regionen in Europa weiter wie Sandoz-Hexal bemühen sich halten. Rund 500 Millionen Euro Die Stadt nimmt die Aufgabe ei- sind. Electronics Watch ermöglicht nach eigenen Angaben um die Ein- gibt die öffentliche Hand nach An- nes nachhaltigen Einkaufs so ernst, es der öffentlichen Hand in Euro- haltung der ILO-Kernnormen in ih- gaben von Femnet jährlich für Tex- dass sie sogar teilweise eigene Kon- pa, Lieferketten von Druckern, Ko- ren asiatischen Produktionsstätten. tilien aus. trolleure in Fabriken schickt. pierern, PCs, Laptops oder Smart- Hauptproblem dabei sei der schar- Gemessen an dieser Summe In Deutschland fehlt es auch phones zu überprüfen und zu ve- fe Preiskampf, so Thilo Fuchs von sind solche Modellprojekte zwar an klaren politischen Vorgaben. rifizieren, ob sich die rund zehn bis Sandoz-Hexal. Denn beim Einkauf wichtig, aber doch eher symboli- Denn das Beispiel Bremen zeigt, 15 Hersteller auf dem Markt an ar- der öffentlichen Hand in Deutsch- scher Natur. Warum kommt der dass es geht. Im Stadtstaat wurde beitsrechtliche Standards halten. land zählt nur der Preis. Die Rabatt- faire Einkauf nicht darüber hin- die Beschaffung zentralisiert; au- Die unabhängige Organisation fi- systeme der Krankenkassen funkti- aus? Öffentliche Beschaffung sei ßerdem gibt es klare Vorgaben. Seit nanziert sich über die Beiträge sei- onieren so, dass der günstigste An- in Deutschland aufgrund der fö- 2011 ist nach der Bremischen Kern- ner rund 330 Mitgliedsorganisa- bieter eines Medikaments zum Zug deralen Struktur stark zersplittert, arbeitsnormenverordnung bei Pro- tionen wie zum Beispiel Kommu- kommt. Unter welchen Bedingun- sagt Rosa Grabe von Femnet. In den dukten wie Arbeits- und Dienstbe- nen, Gewerkschaften, Universitä- gen dieses hergestellt wurde, inte- Kommunen etwa habe kaum je- kleidung sowie anderen Textilien, ten und staatlichen Einrichtungen ressiert dabei nicht. Claudia Mende

2-2020 | personalia journal 61

personalia

Venro KfW Entwicklungsbank internationalen Finanzmärkte. chen. Den Vorsitz des Beirats teilt Bernd Bornhorst, bei Misereor Der Verwaltungsrat der KfW Zuletzt hat Ellmers elf Jahre beim sie sich mit Sabine Schlacke. Leiter der Abteilung Politik und hat Joachim Nagel für weitere European Network on Debt and globale Zukunftsfragen, ist im fünf Jahre als Vorstandsmit- Development (Eurodad) in Brüs- Deutsche Welthungerhilfe Dezember für weitere zwei Jahre glied der Förderbank bestä- sel gearbeitet, unter anderem Susanne Fotiadis ist seit Novem- als Vorsitzender des Verbands tigt. Nagel ist seit 2017 im als Leiter der Politikabteilung. ber neues Mitglied des Vor- Entwicklungspolitik und hu- KfW-Vorstand und verantwor- stands der Welthungerhilfe und manitäre Hilfe (Venro) bestätigt tet die Förderung von Entwick- WBGU dort verantwortlich für den worden. Neu in den Venro-Vor- lungs- und Schwellenländern. Karen Pittel ist Bereich Marketing und Kom- stand gewählt wurden Micha- neue Ko-Vorsit- munikation. Davor war sie 13 el Herbst von der Christoffel- Rat für zende des Jahre Mitglied der Geschäftslei- Blindenmission (siehe unten), Nachhaltige Entwicklung Wissenschaftli- tung von UNICEF Deutschland. Carsten Montag von der Kin- Die Präsidentin des evangeli- chen Beirats der dernothilfe und Gudrun Schatt- schen Hilfswerks Brot für die Bundesregie- Don Bosco Mondo schneider von World Vision. Welt, Cornelia Füllkrug-Weit- rung für Martin J. Wilde ist als hauptamt- zel, gehört seit Januar dem Rat Globale Umweltveränderungen licher Geschäftsführer bei Don Brot für die Welt für Nachhaltige Entwicklung (WBGU). Sie folgt auf Dirk Bosco ausgeschieden und wird Franziska Reich an. Insgesamt wurden acht Messner, der seit Januar Präsident das Hilfswerk im März ganz ver- leitet seit Januar von 15 Mitgliedern des Rates des Bundesumweltamtes ist und lassen, da er seinen Lebensmit- das Referat zum Jahreswechsel neu beru- aus dem Wissenschaftlichen telpunkt nach Ghana verlegt. Die Kommunikati- fen. Das Gremium berät die Beirat ausscheidet. Pittel ist neue Geschäftsführung besteht on und Medien Bundesregierung bei der Um- Direktorin des Zentrums für aus Silvia Cromm, bisher stellver- bei Brot für die setzung der Agenda 2030. Energie, Klima und Ressourcen tretende Geschäftsführerin, Betti- Welt und der des ifo-Instituts in München und na Ruoff, bisher Verwaltungsleite- Diakonie Katastrophenhilfe. Sie Global Policy Forum Professorin für Volkswirtschafts- rin, und Holger Bauer, bisher Lei- übernimmt den Posten von Anne Seit Januar leitet Bodo Ellmers lehre an der Universität Mün- ter Private Kooperationspartner. Dreyer, die das Referat zuletzt beim Global Policy Forum den kommissarisch geleitet hat. Reich Bereich „Finanzierung nachhalti- war viele Jahre als Reporterin, ger Entwicklung.“ Seine Tätigkeit Autorin und Textchefin des umfasst die Forschung, Poli- Michael Herbst von der CBM im Venro-Vorstand „Stern“ tätig und hat dort zuletzt tikentwicklung und Advocacy das Ressort Politik und Wirt- zu Fragen der Entwicklunsgfi- Der Leiter der Politischen Arbeit bei der Chri- schaft sowie das Berliner Büro ge- nanzierung, Steuergerechtig- stoffel-Blindenmission, Michael Herbst, ist seit leitet. keit sowie der Regulierung der Dezember Mitglied im Vorstand von Venro, dem Dachverband nichtstaatlicher Entwick- lungsorganisationen. Herbst ist seit fünf Jah- Mark Carney neuer UN-Beauftragter ren bei der CBM, bei Venro ist er seit dem Jahr für Klimafinanzierung 2016 Sprecher der Arbeitsgruppe Behinderung und Entwicklung. Ein Anliegen von Herbst als Der Kanadier Mark Carney, bislang Chef der Bank Vorstandsmitglied ist es, eine menschenrechts­ of England, ist seit Januar UN-Sonderbeauftrag- basierte Entwicklungszusammenarbeit vor- ter für Klimaschutz und Klimafinanzierung. Er anzubringen und – zusammen mit den Venro-Arbeitsgruppen Gender folgt auf den US-amerikanischen Milliardär Mi- und Kinderrechte – die Teilhabe marginalisierter Gruppen wie Frauen, chael Bloomberg, der US-Präsident werden Kinder und Jugendliche sowie behinderte Menschen zu stärken. Für die möchte. Carneys Aufgabe ist es, die Arbeit von Venro-Mitgliedsorganisationen soll zu diesem Zweck ein bereits beste- Finanzinstitutionen weltweit auf den Klima- hender Maßnahmenplan erweitert werden, was sie dafür intern, also schutz auszurichten und privates Kapital zu mo- etwa in der Personalpolitik, aber auch in ihrer Programmarbeit tun kön- bilisieren. UN-Generalsekretär Antonio Guter- nen. Die Themen Behinderung und Inklusion haben bei Venro „an Be- res sagte, Carney sei ein Pionier, der die Fi- deutung gewonnen“, sagt Herbst. nanzwelt in Sachen Klimaschutz zum Handeln gedrängt habe. Carney Mit Blick auf die staatliche Entwicklungszusammenarbeit sagt plädiert dafür, die Gefahren des Klimawandels verständlicher zu machen Herbst, dort müssten diese Themen als Querschnittsaufgabe verankert und den Umgang damit grundlegend zu ändern. werden. Was das in der Praxis heißt, welche Mindestanforderungen da- Im vergangenen Oktober hatte er darauf hingewiesen, dass derzeit für erfüllt sein müssen, dazu will Venro eine Position formulieren, mit das globale Finanzsystem klimaschädliche Geschäfte fördere, die auf der man dann „in Gespräche gehen“ könne, sagt Herbst. Der 53-Jährige eine Erderwärmung um mehr als vier Grad Celsius hinauslaufen. In sei- lobt das Auswärtige Amt für seine Initiativen, Behinderung und Inklusi- nem neuen Amt wolle er eine Plattform bieten, sagte Carney, „um die on in der humanitären Hilfe stärker zu berücksichtigen. Für die derzeiti- Risiken des Klimawandels und die Chancen, die der Übergang zu einer ge Spitze des Entwicklungsministeriums hingegen sei das nicht das Nettonull-Emissionen-Ökonomie bietet, ins Herz der Entscheidungs- „Lieblingsthema“; sie habe andere Prioritäten, etwa die Hilfe für Afrika findung auf den Finanzmärkten zu bringen“. oder das Thema Lieferketten.

| 2-2020 62 service filmkritik | rezensionen

filmkritik Selbstbewusstsein ertanzen

São Paulo beherbergt die weltweit einzige Ballettschu- les, um ihr Familienleben mit ihrer Karriere und der le für Blinde und Sehbehinderte. Am Beispiel einer Bal- Lehrtätigkeit zu vereinbaren. lerina und einer Tanzschülerin zeigt der Dokumentarfil- Die zweite Protagonistin ist die 14-jährige Tha- mer Alexandre Peralta, wie schwierig ihr Alltag in Bra- lia, die in ihrer Schule ausgegrenzt wird, viel online silien für sie ist und wie beglückend das Balletttanzen. chattet und zu Hause Geschichten schreibt. Sie wird aufopferungsvoll von ihrer Mutter zur AFB begleitet Die von Fernanda Bianchini gegründete Associa- und betreut. Unter den Kolleginnen dort findet Tha- tion of Ballet and Art for Blind People (AFB) in der lia echte Freunde und ertanzt sich ein Stück Unab- brasilianischen Metropole São Paulo ist die welt- hängigkeit. weit erste und einzige Ballettschule für Blinde und Der Regisseur, der an der USC School of Cine- Sehbehinderte (siehe die Reportage in welt-sichten matic Arts in Los Angeles Film- und Fernsehpro- 3/2019). Sie begann 1995 mit nur zehn Schülerinnen duktion studiert hat, kombiniert in der einfühlsa- und Schülern und unterrichtet vor allem junge Men- men Außenseiterstudie geschickt Trainingseinhei- schen aus einkommensschwachen Familien. Heute ten, Proben und Auftritte der Balletttruppe mit auf- nehmen dort mehr als 300 Studierende Tanzunter- merksamen Beobachtungen aus dem Alltag und richt, etwa 60 Prozent von ihnen sind blind oder seh- Privatleben der Hauptfiguren. Deren Vorgeschich- behindert, weitere 30 Prozent haben andere Handi- ten illustriert er zwischendurch mit Familienfotos Looking at the Stars caps. Neben klassischem Ballett gibt es dort auch und -videos. Brasilien 2016 kostenlose Kurse in Gesellschaftstanz, Pattaya-Tanz, Eher beiläufig bringt der Film Vorurteile und Res- Regie: Alexandre Peralta Körperausdruck, Seniorentanz und Theater. sentiments gegenüber Behinderten zum Vorschein, 89 Minuten Bianchini hat eine eigene Unterrichtsmethode mit denen sich Geyza und Thalia konfrontiert sehen. Kinostart: 13. Februar 2020 entwickelt, um das vermeintlich Unmögliche doch So berichtet Thalia, dass Schulkameradinnen sie möglich zu machen: dass Blinde klassisches Bal- nicht in schulische Projekte integrieren, weil sie ver- lett tanzen. Das Kernstück ist: Schüler und Schüle- muten, sie könne dazu nicht genug beitragen. Gey- rinnen erlernen die Bewegungen, indem sie die der za wiederum enthüllt, dass sie unsicher ist, ob sie als Lehrenden ertasten und wiederholen. Die unglaub- Blinde ihr Baby so gut versorgen kann wie eine Se- liche Ausdauer und die intensiven Proben haben hende. dazu geführt, dass die blinden Tänzer Einladungen Im Lauf des Films, dessen Dreharbeiten sich über zu renommierten Festivals auf der ganzen Welt er- etwa zwei Jahre erstrecken, wird deutlich, welch gro- halten. ßen Inklusionsbeitrag das Ballett für die Tanzschü- Der Regisseur ist in der Nähe der AFB zur Schu- lerinnen und -schüler leisten kann. Selbst wenn sie le gegangen und hat die Einrichtung bereits 2014 später nicht davon leben können und sich wie Tha- in dem Kurzfilm „Looking at the Stars“ porträtiert. lia auch anderen kreativen Aktivitäten wie etwa In der jetzigen Langversion erweitert und vertieft dem Schreiben widmen, stärkt das Ballett doch ihr Peralta dieses Porträt. Eine seiner beiden Protago- Selbstwertgefühl und vergrößert die Chancen auf nistinnen ist Geyza Pereira da Silva, die in der Schu- gesellschaftliche Anerkennung und Respekt. Kinos le selbst ausgebildet wurde. Sie erblindete mit neun in Deutschland können den Film, der 2017 auf dem Jahren und ist heute Primaballerina und Ballettleh- Bentonville Film Festival in den USA den Diversity rerin an Fernandas Schule. Wenn sie tanzt, sieht ihr Award gewonnen hat, auch als barrierefreie Fassung niemand an, wie unsicher sie sich oft in ihrem Alltag mit Audiodeskription und Untertiteln für Gehörlose fühlt. Auch nach der Geburt ihres Kindes tut sie al- vorführen. Reinhard Kleber

rezensionen Populärer als Hollywood-Filme

Fatima Bhutto führt durch die Medienwelt Indiens, der Spielregeln der Branche neu gestalten: Bollywood Türkei und Südkoreas und spinnt dabei auf lebendige aus Indien, TV-Serien (Dizi) aus der Türkei und K- Fatima Bhutto Weise ein Netz zwischen Geschichte, Politik und Kultur Pop aus Südkorea. Die Autorin erläutert, dass die New Kings of the World des globalen Ostens. meisten Hollywoodfilme jenseits westlicher Län- Dispatches from Bollywood, Dizi, der hauptsächlich die wirtschaftlichen und kultu- and K-Pop Die pakistanische Journalistin und Schriftstellerin rellen Eliten ansprachen und -sprechen. Viele Zu- New York, Columbia Global Reports Fatima Bhutto erkundet in ihrem Werk drei einfluss- schauer außerhalb dieser Eliten könnten und woll- 206 Seiten, ca. 13 Euro reiche Popkulturen, die ihrer Einschätzung nach die ten sich nicht mit Hollywood-Stereotypen, wie etwa

2-2020 | rezensionen service 63

der Schauspieler Brad Pitt oder eine Serie wie „Sex Darüber hinaus beleuchtet Bhutto in zwei kürze- and the City“ verkörpern, identifizieren. So zitiert ren Abschnitten Aufstieg und Anziehungskraft tür- Bhutto einen peruanischen Bollywood-Fan, der im kischer Dizis – das sind den Soap Operas ähnliche gesellschaftlichen Abseits steht und sich überhaupt Fernsehserien, die sich an klassische türkische Lite- nicht mit Filmen mit einem Happy End à la Holly- ratur anlehnen – sowie des südkoreanischen K-Pops, wood anfreunden kann. Immer wieder stützt sich also der koreanisch-sprachigen Popmusik, die es mit die Autorin in ihrer Beurteilung auf Gespräche mit Produktionen wie Gangnam Style auch in die westli- Menschen aus ländlichen Gebieten Perus und Indi- chen Charts geschafft hat. ens sowie mit syrischen Flüchtlingen. Ihre Schluss- Insgesamt beschreibt sie detailreich und auf le- folgerung: Jenseits der gesellschaftlichen Eliten sei bendige Weise drei aufstrebende „kulturelle Mäch- eine zunehmende Abkehr vom „perfekten“ Holly- te“ und bringt dabei neben Zahlen und Fakten auch wood und eine Zuwendung zu traditionelleren Pop- eigene Erfahrungen mit ein. Aufgewachsen in Paki- kulturen wie der indischen oder der türkischen zu stan zur Zeit der Militärdiktatur, erlebte sie die Be- erkennen. deutung von Filmen aus Indien und der Türkei in ih- Das Buch beschreibt größtenteils die Position rer Gesellschaft als stillen Protest gegen das damali- der indischen Filmindustrie in der Welt, welche als ge Regime. aufstrebende kulturelle Macht und neue „Soft Pow- Es werden zahlreiche Originaltitel östlicher Pro- er“ dargestellt wird. Neben Bollywood wird auch des- duktionen aufgeführt, die zwar von der Autorin sen größter Star beleuchtet: der indische Schauspie- übersetzt und erläutert werden, allerdings den Le- ler Shah Rukh Khan. Er wurde nicht nur in Indien zur sefluss etwas erschweren. Im Gesamten ist das Buch Identifikationsfigur, sondern begeisterte durch sein aber einfach und eingängig zu lesen und macht Lust allzu menschliches Auftreten auf der Leinwand Zu- auf Filme und Serien des Ostens. schauer in aller Welt. Katharina Haupenthal

Fiktive Berichte realer Figuren

Auf der Suche nach den Anfängen des Kolonialismus von dort per Schiff nach Großbritannien verladen im südlichen Afrika lässt Petina Gappah fiktiv die werden konnte. Dienstboten des schottischen Afrikaforschers David Li- Anschaulich berichten freigekaufte frühe- vingstone zu Wort kommen. Die multiperspektivische re Sklaven aus unterschiedlichen Gebieten Ostaf- Geschichte ist nichts für sensible Gemüter. rikas – laut Gappah waren es historisch 69 Men- schen – von ihren Erfahrungen. So stellt die zupa- Im Mai 1873 starb David Livingstone im heutigen ckende Köchin Halima das ganze Unterfangen aus Sambia. Der 60-jährige schottische Missionar und der Sicht einer Frau dar. Diese wichtigste Protago- Mediziner erlag der Ruhr, schon zuvor war er mehr- nistin des Buches war als Tochter einer Sklavin in ei- mals schwer erkrankt. Dennoch war er Zeit seines nem reichen Haushalt auf Sansibar aufgewachsen. Lebens zu immer neuen Expeditionen aufgebro- Ihre Kindheitserinnerungen durchziehen als Rück- chen, um die Nilquellen zu finden. Seine Bemühun- blenden den beschwerlichen Reisealltag, dazu zäh- Petina Gappah gen, Menschen zum Christentum zu bekehren, blie- len Begegnungen mit Sklavenkarawanen. Da Hali- Aus der Dunkelheit strahlendes Licht ben zwar ebenso erfolglos wie seine Suche nach den ma zeitweise ein kleines Mädchen versorgt, das un- Roman Quellen. Aber er trug zur geografischen Erschlie- ter mysteriösen Umständen umgebracht wird, kom- S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main 2019 ßung des südlichen Afrika bei. Und anders als etli- men Elternschaft, Geschlechterbeziehungen und 429 Seiten, 24 Euro che seiner rassistischen Zeitgenossen quälte er sei- Kommunikation zwischen den Frauen im Leichen- ne Dienstboten nicht. Dennoch gilt Livingstone ge- zug zur Sprache. Thematisiert werden auch Hierar- meinhin als Vorbote kolonialer Eroberung. Ebenso chien zwischen den Männern und die List, mit Hil- ambivalent erscheint heute seine Praxis, als Gegner fe verschiedener Notlügen die Ängste der örtlichen der Sklaverei einerseits Sklaven freizukaufen und Bevölkerung vor Ansteckungen durch die Leiche zu andererseits gute Kontakte mit arabischen Sklaven- mindern. händlern zu pflegen. Gappah erzählt die konfliktreiche Reise aus ver- Die Autorin Petina Gappah wuchs in der frü- schiedenen Perspektiven. So widmet sie einen Teil heren britischen Kolonie Rhodesien, dem heuti- ihres Buches Jacob Wainwright, der als Kind im heu- gen Simbabwe, auf. Sie wollte mehr über den Mann tigen Malawi versklavt und dann befreit wurde – an- wissen, dessen selbsterklärtes Ziel es war, „Licht ins schließend besuchte er eine Missionsschule in Indi- dunkle Afrika zu bringen“. Für ihren Roman forschte en und erhielt dort seinen Namen. Er wurde Living­ die promovierte Juristin in etlichen Archiven. stones Assistent und leitete nach dessen Tod den Auf der Basis historischer Fakten lässt Gappah Li- Trauerzug. Aus der Sicht eines Kolonisierten, der vingstones Dienstboten fiktiv zu Wort kommen, die koloniale Vorgaben übernahm und verinnerlichte, dessen Leiche damals über 2000 Kilometer vom hält er als Chronist den monatelangen Fußmarsch Landesinneren an die Küste schleppten, damit sie durch unbekanntes Gebiet in seinem Tagebuch fest.

| 2-2020 64 service rezensionen

Während Livingstones Aufzeichnungen, die sei- lik. Auch deshalb greift Gappah zur Fiktion, um ver- ne Träger ebenfalls bis an die Küste schleppten borgenen Stimmen mehr Gehör zu verschaffen. Wer und damit der Nachwelt erhielten, wissenschaft- herausfinden will, ob ihr das gelingt, sollte sich dar- lich längst ausgewertet sind, wurde das reale Tage- auf einstellen, dass diese Geschichte nichts für sen- buch des gebildeten Transportleiters erst 2019 pub- sible Gemüter ist. Rita Schäfer

Sakralisierung des Staates

Die Politikwissenschafterin Farhat Haq belegt in ihrer ermordet, der sich für die Abschaffung der Geset- großartigen Untersuchung der pakistanischen Blas- ze eingesetzt hatte. Sein 2016 hingerichteter Mör- phemiegesetze, dass die in ihrer Rigidität ein moder- der wird heute von Teilen der Bevölkerung wie ein nes Phänomen sind und kein Relikt aus einer traditio- Heiliger verehrt. Seitdem kommt es immer wieder nellen Gesellschaft. vor, dass islamistisch orientierte Mobs Menschen töten, weil sie vermeintlich gegen das Gesetz versto- Wer den Propheten Mohammed beleidigt, muss in ßen haben. Pakistan schlimmstenfalls mit der Todesstrafe rech- Farhat Haq zeigt, dass die Blasphemiegesetze nen. In keinem anderen muslimischen Land der heute einen sakralen Status genießen, den es so in Welt, so die Autorin, hängen die Blasphemiegeset- der vormodernen Sharia-Gesetzgebung nicht gab. ze wie ein Damoklesschwert über dem gesamten öf- Während die Rechtsgelehrten traditionell einen Un- fentlichen Leben. terschied zwischen dem Willen Gottes (Sharia) und Farhat Haq Denn der Vorwurf der Gotteslästerung wird häu- seiner menschlichen Interpretation (fiqh) machten, Sharia and the State in Pakistan fig auch benutzt, um politische Gegner oder auch nur überhöht der moderne pakistanische Staat die Blas- Blasphemy Politics unliebsame Nachbarn zu bedrohen. Die in Pakistan phemiegesetze als göttlich legitimiert. Deshalb ge- Routledge Studies in South Asian geborene und in den USA lehrende Politikwissen- lingt es Kritikern auch nicht, die Gesetze zu refor- Politics, New York 2019 schaftlerin Farhat Haq zeigt detailliert und überzeu- mieren, obwohl einige säkular orientierte Politiker 192 Seiten, ca. 106 Euro gend, dass es sich um ein modernes Phänomen han- dies mehrfach versprochen haben. E-Book ca. 21 Euro delt und kein Relikt der islamischen Rechtstradition. Das Buch ist für ein wissenschaftliches Werk gut Das ursprünglich aus Indien stammende Ge- verständlich geschrieben. Mit einer Fülle von De- setz geht auf die britische Kolonialzeit zurück. Ur- tails zur Politik in Pakistan und zur Instrumentali- sprünglich von den Kolonialherren erlassen, um die sierung der Blasphemiegesetze durch islamistische christliche Minderheit in Indien zu schützen, stan- Gruppierungen kann Farhat Haq so manches Miss- den Blasphemiegesetze in Pakistan bis in die 1990er verständnis über Sharia und Politik in dem asiati- Jahre bloß auf dem Papier. Nach der Unabhängigkeit schen Land ausräumen. Die islamische Welt ist nicht Pakistans wurde die Beleidigung Mohammeds dann per se engstirnig. Warum eine über Jahrhunderte to- unter Diktator Mohammed Zia ul-Haq mit der To- lerante Kultur sich heute zu großen Teilen rigide ver- desstrafe belegt. Der eigentliche Wendepunkt kam engt hat, macht die Autorin am Beispiel Pakistan gut 2011. In dem Jahr wurde der Gouverneur des Punjab nachvollziehbar. Claudia Mende

Soft Power in Südostasien

Angesichts des rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs beschreibt. Lange Zeit verfolgte die chinesische Füh- der Volksrepublik China setzt sich der Sammelband rung die Strategie, das eigene Licht unter den Schef- mit dem machtpolitischen Fußabdruck chinesischer fel zu stellen und geduldig abzuwarten. Diese Devise Wirtschafts-, Entwicklungs- und Kulturpolitik in Süd- geht auf Deng Xiaoping zurück, der als Parteichef ab ostasien auseinander. 1979 China weg vom Maoismus hin zur wirtschaftli- chen Liberalisierung geführt hat. Mit dem Machtan- Das von der Historikerin Maria Diokno von der Uni- tritt von Xi Jinping im Jahr 2012 begann China aber, versity of the Philippines, dem Soziologen Hsin-Hu- seine Macht offener und direkter einzusetzen, bei- ang Michael Hsiao von der National Taiwan Univer- spielsweise beim Ausbau seines Militärs und wenn sity und dem Politologen Alan Hao Yan von der Nati- es seine Territorialansprüche im Südchinesischen Maria Serena I. Diokno, Hsin-Huang onal Chengchi University in Taiwan herausgegebene Meer aggressiv durchsetzt. Der von der Regierung Xi Michael Hsiao, Alan H. Yang (Hrsg.) Buch beruht auf einem von der japanischen Regie- vertretene chinesische Nationalismus gerät dabei in China‘s Footprints in Southeast Asia rung geförderten Forschungsprojekt. Besonders auf- Widerspruch sowohl zur traditionellen kommunisti- National University of Singapore Press, schlussreich ist das zweite Kapitel, in dem Teng-Chi schen Ideologie des Klassenkampfs als auch zu den Singapur 2019, Chang den Diskurs innerhalb der chinesischen Füh- propagierten „harmonischen Beziehungen“ mit den 249 Seiten, ca. 21 Euro rungselite über den außenpolitischen Kurs Chinas Nachbarn.

2-2020 | rezensionen service 65

In dem Sammelband werden die dokumentier- gion und um auswärtige Kulturpolitik in Verbin- ten „Fußabdrücke“ Chinas als Ausdruck von chinesi- dung mit der Gründung neuer Konfuzius-Institute. scher „weicher Macht“ (Soft Power) interpretiert. Die- Da die Länderbeispiele auf Myanmar, Malaysia, In- sen Begriff hat in den 1990er Jahren der US-Politik- donesien und die Philippinen begrenzt sind, kom- wissenschaftler Joseph Nye in die Debatte über die men die teilweise tiefen Meinungsunterscheide in- internationalen Beziehungen eingeführt; er bezeich- nerhalb der gesamten Gemeinschaft südostasiati- net die Fähigkeit eines Staates, seine Ziele nicht mit scher Staaten (ASEAN) über das Verhältnis zu China, offenem Zwang oder militärischer Gewalt, sondern beispielsweise in Bezug auf die Territorialstreitig- mit Überzeugungskraft und der Verbreitung der ei- keiten im Südchinesischen Meer, allerdings kaum genen, als universell dargestellten Werte durchzu- zum Vorschein. setzen. Besorgt fragen die Autorinnen und Autoren Das Buch enthält eine Fülle interessanter, wenn des Sammelbandes, ob die langjährige Phase der chi- auch inzwischen teilweise veralteter Informationen nesischen Soft Power nun durch eine harte und ag- und Fallbeispiele. Die Beiträge sind aber einseitig auf gressive Interessenpolitik abgelöst werden könnte. die Kritik an der chinesischen Machtpolitik fixiert. In den sehr unterschiedlichen Einzelbeiträ- Die Machtpolitik südostasiatischer Staaten und der gen geht es um die Handels- und Investitionsbe- anderen Großmächte gerät dabei genauso aus dem ziehungen zwischen China und Südostasien, um Blick wie die Bedeutung internationaler Regime, die „Neue Seidenstraße“-Initiative, um staatliche etwa der Welthandelsorganisation, sowie transnati- Entwicklungszusammenarbeit Chinas mit der Re- onaler Unternehmen. Hartwig Hummel

Starke Kritik, starker Protest, starkes Ego

Christian Felber legt sich einmal mehr mit der Main- Das Buch richtet sich vor allem an Studierende stream-Ökonomie an: In seinem Buch kritisiert er die der Wirtschaftswissenschaft, Politologie, Soziologie zunehmende Mathematisierung der Wirtschaftswis- und Rechtswissenschaft, die ja auch Pflichtveranstal- senschaften – leider mit zuweilen zweifelhaften Be- tungen zu Mikro- und Makroökonomie absolvieren legen. müssen „und dabei den schlechtesten Teil des Lehr- angebots abbekommen“. Felbers Ansicht nach sind Wirtschaftswissenschaftler brechen komplizierte Zu- die meistverwendeten Lehrbücher der Mikro- und sammenhänge gern auf griffige Formeln herunter. Makroökonomik haarsträubend fehlerhaft, ideolo- Das ärgert Christian Felber, der Gründungsmitglied gisch aufgeladen und voller politischer Meinung von Attac Österreich ist. Seiner Meinung nach ver- und Manipulation. sucht man damit, eine naturwissenschaftliche Ge- Ebendies werfen ihm allerdings auch seine Kri- setzmäßigkeit vorzuspiegeln, die der Ökonomie als tiker vor: Er wende sich gegen die von vielen Öko- Christian Felber Sozialwissenschaft nicht angemessen sei. Viele Wirt- nomen vermittelte Illusion, dass es nur eine öko- This is not Economy schaftswissenschaftler rechneten in Modellen und nomische Denkweise gebe, wolle die aber er- Deuticke Verlag, Wien 2019 erklärten dann schlicht alle empirisch nachgewiese- setzen durch eine einzige andere Denkweise: 256 Seiten, 20 Euro nen Abweichungen zu Ausnahmen, die das Modell Felbers alternatives Wirtschaftsmodell der Gemein- nicht infrage stellten. wohlökonomie. Kein Wunder, so Felber, dass von den Neolibe- Das wird inzwischen an einigen Universitäten ralen keiner die Finanz- und Wirtschaftskrise von gelehrt, hat aber einer praktischen Bewährungs- 2008 vorhergesehen habe. Sie blendeten die Wirt- probe in Gestalt einer Bank für Gemeinwohl nicht schaftsgeschichte aus und verschwendeten bei ihren standgehalten. Umso mehr scheint Felber den öf- Wachstumsmodellen keinen Gedanken an die Be- fentlichen Disput zu suchen. Dass er in einem ös- grenztheit der natürlichen Ressourcen. Raubbau an terreichischen Schulbuch für Geografie und Wirt- der Natur gelte als effizienter als nachhaltiges Wirt- schaftskunde für die Oberstufe auf einer Grafik schaften: „Aber auf einem toten Planeten gibt es kei- über Wirtschaftstheorien neben Karl Marx, John ne Arbeitsplätze“. Als Beweis dienen ihm die deut- Maynard Keynes, Milton Friedman und August von schen Wirtschaftsuniversitäten, in denen „reflexi- Hayek auftauchte, hat zu erfolgreichen Protesten ve Fächer“ wie etwa Geschichte des ökonomischen von Ökonomen geführt. Felbers in einem Werbe- Denkens und Wirtschaftsethik nur 1,3 Prozent der video geäußerte Prognose, das Buch werde „einige Curricula ausmachten. Mainstream-Ökonomen in eine Sinnkrise stürzen“, Felber belegt seine Thesen mit einer Unzahl von zeugt zwar von viel Selbstbewusstsein, ist bisher Zitaten, die zeigen, dass seine Kritik so neu oder ein- aber nicht eingetroffen. zigartig nicht ist. Dennoch zerreißen Experten, die Man kann über die Wissenschaftlichkeit von Fel- in Wirtschaftswissenschaft sattelfester sind als der bers Thesen unterschiedlicher Meinung sein. Wenn Rezensent, sein Buch in der Luft. Sie halten ihm vor, es aber darum geht, Denk- und Diskussionsanstöße besonders krasse Beispiele herauszugreifen, um sie zu liefern, so ist ihm das sicher gelungen. dann zu demontieren. Ralf Leonhard

| 2-2020 66 service kulturtipp | impressum

kulturtipp Impressum

Redaktion: Bernd Ludermann (bl, verantw.), Migrationsgeschichte der Menschheit Tillmann Elliesen (ell), Barbara Erbe (erb), Melanie Kräuter (mek), Moritz Elliesen (me, Volontär), Sebastian Drescher (sdr, online)

Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/M.; Postfach 50 05 50, 60394 Frankfurt/M. Telefon: 069-580 98 138; E-Mail: [email protected]

Ständig Mitarbeitende: Katja Dorothea Buck (kb), Tübingen; Ralf Leonhard (rld), Wien; Claudia Mende (cm), München; Phillipp Saure (ps), Brüssel; Christina Stucky (cst), Bern; Marina Zapf (maz), Berlin

Ansprechpartner in Österreich: Gottfried Mernyi, Kindernot­hilfe Öster- reich, 1010 Wien, Dorotheergasse 18

Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (VFEP), Klaus Seitz (Vorsitzender), Brot für die Welt, Caroline-Michaelis- Straße 1, 10115 Berlin

Mitglieder im VFEP: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt (Berlin), Christoffel- Blindenmission (Bens­heim), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen)

Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kom- munen in der Einen Welt/Engagement Global gGmbH. Die Glockenbecher-Kultur ist für gen. Die Zeitreise beginnt mit der tik werden in Informationsboxen ihre verzierten Keramikbecher Wanderung des lange ausgestor- aufbereitet. Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, berühmt. Vor rund 4500 Jahren benen Homo erectus von Afrika Auch ganz praktisch lässt sich Zimmerstraße 90, 10117 Berlin, wanderten ihre Vertreter durch nach Europa und Asien vor etwa in der Ausstellung nachvollzie- Tel.: 030-325321-433, www.m-public.de das heutige Europa. zwei Millionen Jahren. Demge- hen, wie unsere Vorfahren gelebt Grafische Gestaltung: Neanderthalmuseum/Neumann genüber liegt der zweite zeitliche haben: Repliken und 3-D-Drucke Angelika Fritsch, Matthias Koch Abschnitt der Ausstellung ver- von Originalfunden wie Werkzeu- gleichsweise nahe an der Gegen- ge, Waffen und Schädelfragmen- Millionen von Jahren bevor die wart: Er zeigt, wie vor 200.000 te laden zum Anfassen und Er- Gedruckt auf ersten Grenzbäume aufgestellt Jahren der anatomisch moder- forschen ein. Zudem präsentiert 100% Recyc- lingpapier mit wurden, wanderten unsere Urah- ne Mensch in Ostafrika entstand das Museum Fundstücke aus der dem blauen nen über den Erdball: Auf der Su- und von dort nach Europa und Alt- und Jungsteinzeit aus der ei- Engel. che nach Essen, Wasser und ande- Asien zog. genen Sammlung. Ein Audiogui- ren Ressourcen legten sie Tausen- Neben den Migrationsströ- de führt die Besucher durch die de Kilometer zurück, besiedelten men der frühsten Menschheits- Reise in die Vergangenheit. Die zuvor unbekannte Orte und tra- geschichte gibt die Schau außer- Debatte um Flucht und Migration fen auf Artgenossen, mit denen dem einen Einblick in zwei gro- wird hierzulande oft in schrillen sie sich arrangieren mussten. Die ße Wanderungsbewegungen der Tönen geführt. Durch die Reise Ausstellung im Landesmuseum Jungsteinzeit: die Einwanderung in die Vergangenheit will die Aus- Druck: Strube Druck&Medien OHG, Natur und Mensch Oldenburg von Ackerbauern und Viehzüch- stellung auch auf aktuelle und zu- Stimmerswiesen 3, 34587 Felsberg zeigt, dass Migration kein moder- tern aus der heutigen Türkei nach künftige Migrationsbewegungen Verlegerischer Dienstleister: nes Phänomen ist, sondern ein Europa vor etwa 7500 Jahren so- einen anderen und gelasseneren Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Frankfurt/M. grundlegender Bestandteil des wie die Migrationsbewegungen Blick eröffnen. menschlichen Lebens. von Menschen der sogenannten Preis der Einzel-Nr.: 6,90 Euro / Dabei greift die Wanderaus- Schnurkeramik-Kultur und Ver- Oldenburg 8,90 sFr zuzügl. Versandkosten Preis im Jahresabonnement: stellung vier zeitliche Abschnitte tretern der Glockenbecher-Kul- bis 22. März 2020 54,90 Euro, ermäßigt 41,18 Euro. der frühen Menschheitsgeschich- tur vor rund 4500 Jahren. Groß- 2 Millionen Jahre Migration Preisänderungen vorbehalten.

te auf und betrachtet sie unter formatige Wimmelbilder bieten Landesmuseum Natur und Mensch Den Einzelverkauf im Bahnhofsbuch- dem Gesichtspunkt der Migra- einen Eindruck von der Lebens- Oldenburg handel betreut stella Distribution tion – es geht um Ursachen, Me- weise der Menschen in der jewei- Telefon: +49-441-40570-300 GmbH, Hamburg chanismen und die Auswirkun- ligen Zeit; wissenschaftliche For- E-Mail: [email protected] gen dieser Migrationsbewegun- schungsfelder wie die Paläogene- www.naturundmensch.de ISSN 1865-7966 „welt-sichten“

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