12. Kapitel

Die mährischen Brüder

In all den furchtbaren Verfolgungen, die im 16. Jahrhundert über die Taufgesinnten in fast ganz Europa ergingen, war die Markgrafschaft Mähren das einzige Land, das ihnen einige Sicherheit bot, da es hier, wenn auch nicht volle Religionsfreiheit, sodoch Duldung der ausserkirchlichen Richtungen gab. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, dass seit Jahrhunderten in Böhmen und Mähren zahlreiche Waldensergemeinden bestanden und sich nach allen Seiten hin ausgebreitet hatten. Es ist anzunehmen, dass sich in den mähri­ schen Täufer gemeinden der Reformationszeit noch Spuren von alten Waldenser­ gemeinden vorfanden. Johannes Heknatel, Prediger der Mennonitengemeinde in Amsterdam (1698-1759), schreibt in seiner Vorrede zum « Auszug aus Schriften », dass er selber mit Brüdern in Beziehung gestanden habe, die durch ihre Voreltern mit den alten mährischen Brüdern blutsverwandt gewe­ sen seien. Sie hätten bezeugt, dass diese die Taufe der Erwachsenen geübt hätten und ausser Zweifel von Herkunft alte Waldenser gewesen seien, wie­ wohl sie ihre traditionnelle Gemeindeorganisation auf gegeben hatten. Es kann sich also nur um spärliche Ueberreste handeln, die in den Täufergemeinden auf- gegangen sind. Durch die ankommenden Flüchtlinge kam es bald zur Bildung aufstre­ bender Gemeinden von Taufgesinnten. Viele Tausende der verfolgten Brüder aus Deutschland und der Schweiz flüchteten nach Mähren. In der Chronik der Täufer vom Jahr 1527 steht folgende Notiz : « Von der Zeit an haben sich die gläubigen auss vielen Ländern Teutscher nation Verfolgung halber, im Mährer-landt versammlet. » Da dieses Land erst im Jahr 1526 unter die Herrschaft des österreichischen Kaiserhauses kam, wagte König Ferdinand nicht hier sofort mit seinem Hass gegen die evangelische Richtung aufzutreten, zumal viele Edelleute und ange­ sehene Bürger die Täufer in Schutz nahmen. Wegen ihres Fleisses und ihrer Zuverlässigkeit wurden letztere auf den Pachtgütern nicht nur geduldet, son­ dern sogar sehr geschätzt. Einer der ersten Ankömmlinge war . In der Nähe von Nikolsburg fand er 1526 bei den Grafen Leonhard und Johann von Liechtenstein freundliche Aufnahme. Auf ihrem Gut befand sich seit 1524 eine lutherische Gemeinde unter der Leitung zweier Prediger, Johannes Spitelmaiers und Oswald Glaits. Es gelang Hubmaier, Prediger und Gemeinde für seine Ansichten zu gewinnen, zumal, wie er selber berichtet, « soviel christlicher Predigt und Hand­

261 lungen geübt werden in E. G. Landschaft und sonderlich durch die erwählten christlichen Knechte Gottes Joanem Spitalmaier und Osualdum Glaytt, welche so männlich und tröstlich das Licht evangelischer Klarheit anzeigen und auf den Kerzenstock setzen, dergleichen ich noch an keinem Ort weiss, noch gesehen auf Erden. » So entstand hier eine grosse Täufergemeinde, der sich sogar die beiden Grafen von Liechtenstein anschlossen, indem sie sich taufen Hessen. Viele Hunderte wurden getauft. Durch Zuwanderung aus der Schweiz und dem südlichen Deutschland verstärkt, soll die Täufergemeinde von Nikolsburg und Umgebung auf 15000 Glieder angestiegen sein. Sie wurde zum Mittelpunkt der Täuferbewegung in Oesterreich. Ihre Leitung war in den Händen Hubmaiers. Die angesehensten Täuferlehrer Mährens kamen auf kürzere oder längere Zeit hieher, so Hans Hut, Leonhard Schiemer, Hans Schlaffer, Jakob Wiedemann und andere. Dass es zwischen diesen verschieden gearteten Führern zu Trennungen kam, darf nicht verwundern. Die erste Veranlassung dazu gab Hans Hut mit seinen überspannten Ansichten über des Christen Stellung zur Obrigkeit. Er predigte viel von der nahen Wiederkunft Christi, die den Gläubigen eine scharfe Rache an den Gottlosen verheisse. Im Blick auf diese sollten sie mit der welt­ lichen Obrigkeit nichts zu tun haben, nicht einmal Steuern zahlen. Diesen un­ richtigen Ansichten trat Hubmaier in einer öffentlichen Disputation entgegen, und ein grösser Teil der Brüder stimmten denn auch seinen nüchternen Auffas­ sungen bei. Auf die Herren von Liechtenstein machte Hut mit seinen Ideen einen so üblen Eindruck, dass sie ihn gefangen setzten. Ein Freund verhalf ihm jedoch mittels eines Strickes zur Flucht. Er kam zurück nach Augsburg wo er den Märtyrertod erlitt. Zu weiteren Zwistigkeiten kam es unter den Brüdern der Gemeinde Nikols­ burg als im März 1528 auch ihr einsichtiger Führer Hubmaier als Märtyrer ge­ storben war. An die Spitze der Gemeinde trat nun Hans Spitelmaier. Die Pre­ diger Jakob Wiedemann und Philipp Jäger machten ihm Vorwürfe wegen zu lässiger Handhabung der Gemeindezucht. Auch meinten sie, die ankommenden Fremdlinge seien nicht brüderlich auf genommen worden. Als nun gar Spitel­ maier und Graf von Liechtenstein anfingen die bewaffnete Gegenwehr zu recht- fertigen, kam es zur Trennung. Die ändern fingen an, eigene Versammlungen ab­ zuhalten. Spitelmaier trat gegen die Separatisten recht scharf auf und nannte sie Kleinhäufler und Stäbler. Diese wiederum schalten die ändern Schwertier. Leonhard von Liechtenstein wollte aber keine zweite Täufergemeinde auf seinen Gütern dulden. Er Hess Wiedemann und Jäger mit ihren Gesin­ nungsgenossen vor sich fordern und erklärte ihnen, wenn sie eine Sonder­ gemeinde aufrichten wollten, sollten sie Heber wegziehen. Da versammelten sich an 200 und zogen davon, die meisten mit Tränen in den Augen. Wiede­ mann breitete einen Mantel auf die Erde aus und ein jeder warf sein Bisschen Geld hinein. Damit war der Grund gelegt für die Gütergemeindschaft der neuen Gemeinde. Herr von Liechtenstein begleitete die Ausziehenden brüder-

262 lieh bis an die Grenze seines Gebiets. Sie wandten sich nach Austerlitz, wo man ihnen als Pächter und Arbeiter Aufnahme gewährte. Oede und verkom­ mene Ländereien wurden ihnen hier zugewiesen. Bald entstanden in Brünn, Znaim, Eibantschitz und anderen Orten weitere Täufergemeinden. Die Gemeinde zu Austerlitz wuchs rasch durch Zuzug aus ändern Län­ dern, zumal die hartbedrängten Glaubensgenossen durch besondere Sendboten eingeladen wurden nach Mähren zu kommen. In ihren Urkunden heisst es : « Indem hat sich das volkh und die gemain angefangen zu meren. Darneben sind auch die brüeder aus dem trieb und göttlicher Anmuet verursacht worden in andere Länder zu schikken, sonderlich in die Grafschaft Tirol. » — « Zu dieser Zeit (1528) als die Liebe der Wahrheit angefangen hat, unter den Völk- hern zu brünen und das Feuer Gottes also aufgegangen ist, sind auch umb der Zeugnus der Wahrheit willen in der Grafschaft Tirol vil getödt und hin- gerichtt worden. » Mehr als 600 Personen beiderlei Geschlechts seien daselbst in wenigen Jahren « zum todt gericht », andere des Landes verwiesen und dem Elend preisgegeben worden. Sie mussten ihre Güter und zum Teil ihre Kinder zurücklassen. « Derselbe Vorsteher und leerer einer in der graffschafft Tirol war der Jakob Hueter, welcher sich sambt seinem Volkh nit über lang hernach mit der gemain, die in Märhern versammlet war, verainigt, als das volkh aus der graffschafft und der Jakob Hueter sambt inen herabzoch in Märhern zum tail durch grosse Verfolgung gedrungen und geursachet. » ') Es war im Jahr 1529, als Jakob Hüter nach Austerlitz kam und sich mit dem « Ainaugeten Jakob » (Wiedemann), der dazumal die dortige Gemeinde leitete, verband. « Als sie mit dem Eltesten der gemain zu Austerlitz ein beredtnus gehabt, und auf beider tail einerley gemuet Gott zu fürchten, befunden, haben sie sich verainigt » .2) Diese Täufergruppe in Austerlitz führte den christlichen Kommunismus ein. Es war Hüters Organisationstalent zu verdanken, dass es in den dortigen Gemeinden bald zu festen Gemeindeordnungen auf dem Grundsatz brüderlicher Gütergemeinschaft kam. Unter seiner Leitung wurden die sogenannten Brü­ derhöfe oder Haushaben, wie sie sie nannten, eingerichtet. Laut seiner Ge­ meindeordnung sollte strenge Zucht herrschen und jedes Gemeindeglied durch die leitenden Brüder beaufsichtigt werden. Bald zog Hüter wieder ins Tirol und bewog viele, nach Mähren zu ziehen. Wie ein wahres Kanaan erschien den verfolgten Täufern das Ländchen Mähren. In Jakob Hüter erschien ihnen ein zweiter Moses, der alle sicheren Pfade dahin auskundschaftete und eine Gruppe nach der ändern auf Schleich­ wegen sicher ins « gelobte Land » hinüberführte. Er wusste den Späheraugen

1) Joseph Beck: Die Qeschichsbticher der Wiedertäufer in Oesterreich-Ungarn von 1528-1785. Wien 1883. S. 76 und 81-82.

2) Joseph Beck: a. a. O. S. 82 lf.

263 der Schergen zu entgehen, seine Genossen in ihren Schlupfwinkeln zu finden, sie zu trösten und geistlich zu versorgen . Vom Tirol aus sandte Hüter an Jörg Zaunring, einen Diener des Worts in den mährischen Gemeinden, den Auftrag « dem Herrn Schäflein zu sammeln ». Zaunring schrieb « Ein schöne Epistel an die Heiligen Gottes » mit dem Motto : « In Gottes Lieb solst für sich gan, im Glauben keinen Zweifel han, in Hoffnung auch nit abelan, geduldig unterm Creutz bestan, vor deinem Gott in Demut stan. »

Mittlerweile war es unter den Führern der Gemeinschaft zu Meinungs­ verschiedenheiten gekommen. « In mittler Zeit aber », so lesen wir in den Urkunden, « hat es sich zugetragen, nachdem der Teufel nit feyert, sunder wie ein brüllender Löw umb das haus Gottes umbher geht, (suechent allent­ halben gelegenheit, wo er möcht zertrennung anrichten und die ainigkeit im geist zerstören damit er das göttliche vertilge), hat ers derhalben am gnädigsten Ort angriffen, — als nämlich an den Eltesten der Gemain weil das Leben des gantzen volkhs an Inen steht » .3) Da einzelne Führer ihre Ansichten allzu eifersüchtig verteidigten und gewisse Wahrheiten zu sehr auf die Spitze trieben, kam es zu einer Scheidung. Etwa 150 Personen zogen nach Ausspitz und gründeten dort eine eigene Ge­ meinde, deren Glieder anfangs in grösser Armut lebten. Die Getrennten stan­ den einander unversöhnlich gegenüber und wollten keine Gemeinschaft mit­ einander haben. Schliesslich aber fühlten die Gemeinden Ausspitz und Austerlitz doch das Missliche dieser Trennung und sandten je zwei Brüder zu den Aeltesten ins Tirol, um « inen die gantz Handlung zu eröffnen, der Zerspaltung halber, und begehrten an sy, dass sie sollten zween Brüeder schicken, die solche Handlung ersuechten. » Gegen Ostern 1531 kam auch Jakob Hüter mit Sig­ mund Schützinger nach Mähren zurück. Es gelang ihm die beiden zertrennten Gemeinden « mit viel herzlicher vermahnung » in ein besseres Verhältnis zu bringen. Etliche, die sich hatten Unredlichkeiten zu schulden kommen lassen, wurden bestraft. So wurde der aus Zürich geflüchtete Pfarrer Reublin wegen Zurückhaltung von 40 Gulden als ein untreuer Ananias ausgeschlossen und Zaunring, dessen Frau Ehebruch begangen hatte, des Amtes entsetzt und an seiner Statt Schützinger berufen. Als aber Zaunring sich öffentlich beugte und mit einem herzlichen Begehren um Wiederaufnahme an die Gemeinde ge­ langte, wurde ihm der Dienst am Evangelium wieder anvertraut. Aber auch Schützinger bewährte sich nicht. Er musste wegen Selbstsucht und Eigennutz ausgeschlossen werden.

3) Joseph B eck: a. a. 0 . S. 91.

264 Die Gemeinden in Mähren hatten noch manche Zwistigkeiten zu über­ stehen. Man denke nur an die Streitigkeiten der Gabrieler, der Anhänger eines gewissen Gabriel Ascherham, mit den Vhilippern, den Anhängern Philipp Blauermeis. Jedoch trug die gemeinsame spätere Not viel dazu bei, dass die getrennten Brüder einander wieder näher kamen. Hüter und seinen Gesinnungs­ genossen gelang es nach und nach, den grössten Teil der mährischen Gemein­ den für ihre Sache zu gewinnen. Auch aus der grossen Gemeinde Nikolsburg scheinen sich viele der huterischen Richtung angeschlossen zu haben. Laut der Urkunden « hat der Brueder Jakob Hueter die wahre Gemeinschaft durch die Hilff und Gnadt Gottes in ein ziemliche bracht daher man uns noch heut die Hueterischen heisst. » Und Antje Brons schreibt: « Hüter hatte seiner Gemeinde eine geordnete Verfassung gegeben. Es gelang dem energischen Manne, die übergrosse Mehrzahl der Mitglieder in ein vollständig kommu­ nistisches Gemeindewesen zusammen zu fassen und in demselben eine strenge Organisation zu schaffen, welche länger als anderthalb Jahrunderte unverrückt standhielt. Mit seinem Geiste hinterliess er bei seinem Feuertode der Gemein­ schaft auch seinen Namen. Sie wird weiterhin nie anders als nach ihm die Hu­ terischen genannt. » Ohne Zweifel war Hüter eine der grössten Persönlichkeiten des Täufer- tums. « Ein charismatischer Führer von urchristlichem Geiste gab er seiner Gemeinde Richtung und Tadition.» (Fridmann). Im « Väterlied» wurden Jakob Hüter mehrere Strophen gewidmet, deren erste lautet:

« Die Gmein, die christlich Mutter sie hat viel Söhn verloren, bis auf den Jakob Hüter, den hat Gott auserkoren. Ein frommer Mann er war, feind allem Eigennutz, mit ihm ein kleine Schar, doch es war Gott ihr Schutz.»

In Lehre und Gemeindeorganisation unterordneten sich die huterischen Brüder dem Prinzip der Gemeinschaft. Die Gemeinden wohnten in gemein­ samen Bruderhöfen. Jeder der beitreten wollte musste zunächst allen Privat­ besitz aufgeben und auch sein Geld in die allgemeine Kasse abliefern. Aus dieser bestritt die Gemeinschaft ihre Bedürfnisse sowie den Unterhalt der wegen Alters oder Krankheit Arbeitsunfähigen. Man hatte gemeinschaftliche Wohnstätten, wo auch die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen wurden. Die Kinder wurden in eigenen Kinderstuben erzogen. Den grössern Kindern erteilte ein Schulmeister Elementarunterricht, dann übergab man sie den Dienern am Wort zur weiteren religiösen Unterweisung. Streng hielt man die Jugend von der Welt fern und gestattete keine Mischheiraten. Fleiss, Nüchternheit, Spar­ samkeit und Frömmigkeit zeichneten diese Gemeinden aus. Bald standen die Bruderhöfe auch im Ruf reich zu sein. Die Huterischen galten als zuverlässige

265 und geschickte Arbeiter. Doch herrschte bei ihnen eine gewisse Eintönigkeit des Lebens, wurde doch jede Einzelheit vom Vorsteher bestimmt. Das verlieh dem gesamten Leben und Denken ein mönchsartiges Gepräge. Doch waren nicht alle Taufgesinnten in Mähren für die Lehre der voll­ ständigen Gütergemeinschaft. Hubmaier zum Beispiel lehrte : « Ich hab je und allweg also geredet von der Gemeinschaft der güter, dass je ein mensch auff den ändern ein aufsehen haben soll, damit der hungrig gespeisst, der durstig getrenkt, der nackend beklaidt werde, Dan wir seiend ja nit Herrn unser güter, sunder Schaffner und ausstailer. Es ist gewislich kainer, der da sag, dass man dem ändern das sein nehmen solle und gemain machen, sondern viel eh den rockh zu dem mantel lassen ». In diesem allgemeinen charitativen Sinn fassten die Schweizer Brüder in Mähren die Gemeinschaft des Besitzes auf. Unter diesem Namen finden wir einen Zweig der Nikolsburger Brüder, die mit den Huterischen nicht einig gingen und denen sich viele aus der Schweiz kommende Täufer anschlossen. In Jamnitz und ändern Orschaften sammelten sich ansehnliche Gemeinden. Von diesen Schweizer Brüdern enthalten die Geschichtsbücher nur spär­ liche Berichte. Eine Anzahl der Jamnitzer Brüder geriet bei Passau in Ge­ fangenschaft. Ihr Grund- und Schirmherr Heinrich von Lomnitz sandte seinen Burggrafen nach Passau mit dem Auftrag, gegen Bürgschaft für Schaden und Kosten die Freilassung der Gefangenen zu fordern, welche auch bewilligt wurde. Damit dürfte der folgende Bericht eine gewisse Bestätigung finden. Der Märtyrerspiegel erzählt, im ersten Teil (S. 375ff), von einer noch im 16. Jahrhundert fort bestehenden, aus der Apostelzeit stammenden Gemein­ de zu Thessalonich (Saloniki). Um das Jahr 1540 seien einige Christen von den Türken als Gefangene von Mähren nach Thessalonich verschleppt und daselbst als Sklaven verkauft worden, wo sie mit Christen in Berührung gekommen, die in ihrem Leben, Handel und Wandel den Wiedertäufern in Mähren ganz ähnlich gewesen seien. Zur Erkundigung seien drei Thessalonicher Brüder nach Mähren geschickt worden, wovon folgendes Zeugnis Kunde gibt : « Ich Unterschriebener bezeuge dass in Mähren 3 Jahre lang bei mir ge­ wohnt hat ein Mann von unsern Brüdern bei 100 Jahre alt, genannt Leonhard Knar, welcher mir erzählt hat, dass zu seiner Zeit, als er ein Knecht gewesen in dem gemeinschaftlichen Haus der Gemeinde zu Popits, unter dem Haus­ vater Hans Fuhrmann, drei Brüder von der Gemeinde zu Tessalonich seien nach Hochdeutschland ausgesandt worden, um sich derer zu erkundigen, die mit ihnen im Glauben einstimmig, wie sie von Gefangenen Nachricht erhalten, dass dergleichen in Mähren wohnen sollten. » Der Schreiber berichtet dass diese drei zuerst zu den Huterischen ge­ kommen seien, aber mit ihrer Auffassung der Gütergemeinschaft nicht überein­ gestimmt hätten, da diese « mehr in einer Herrschaft und Knechtschaft als in einer Gleichheit bestund ». Mit weinenden Augen seien sie von ihnen geschie­ den und hernach nach Pausrom zu der Schweizer Gemeinde gestossen. Hier

266 hätten sie durch den Bruder Johann Peck « alle Artikel ihres Glaubens in der lateinischen Sprache verhandelt und in allem wohl übereingestimmt» und « einer den ändern für liebe Brüder erkannt, und dessen zu einem Kennzeichen des Herrn Nachtmahl mit grösser Freude mit denselben gehalten » und « sie auch für die rechte Gemeinde erklärt. » Dass diese Thessalonicher berichtet haben, die Gemeinde daselbst sei seit der Apotelzeit im Glauben unverändert geblieben, ja besitze sogar die hand­ schriftlichen Briefe des Apostels Paulus, scheint weniger glaubhaft als dass der obgenannte Leonhard Knar zusammen mit dem erwähnten Johann Peck auf Schloss Passau 9 Jahre lang gefangen gelegen und aus solcher langwierigen Gefangenschaft durch die Bürgschaft eines Herrn von Jamnitz erlöst worden ist. Denn es könnte dieser Herr von Jamnitz der vorhin erwändte Heinrich von Lomnitz gewesen sein. Nach den neueren Forschungen Mühlpfordts und Friedmanns (Menn. Lex. Bd. IV S, 311) soll es mit dieser « legendären Historie » eine gewisse geschichtliche Bewandtnis haben, da zwischen griechischen Brü­ dern aus Larissa in Thessalien und den Mährischen Täufern tatsächlich Kon­ takte stattfanden, wenn auch manches in entstellter Form an die Oeffentlich- keit gelangt sein mag. Die mündliche Ueberlieferung wurde im 17. Jahrhundert gedruckt und veröffentlicht. In einer alten Liedersammlung, die zur Haupt­ sache Lieder aus dem 17. Jahrhundert enthält, finden wir den nämlichen Bericht in Liedform gefasst, bestehend aus 36 vierzeiligen Strophen deren erste mit den Worten beginnt : « O Herr tu auf die Lefzen min ». Das Lied findet sich auch abgedruckt in dem sog. « Hand-Büchlein », das 1867 in Biel heraus­ gekommen ist. * * *

Bald kamen aber auch für die Täufer in Mähren schwere Zeiten, Mit dem Jahre 1535 begann König Ferdinand, von glühendem Hass gegen alle Evan­ gelischen erfüllt, eine allgemeine Verfolgung in der ganzen Donaumonarchie. Die Behörden und einzelne Herrschaften vermochten die Täufer vor seiner Wut nicht zu schützen. Es wurde ein Edikt gegen sie veröffentlicht, Militär nach Mähren beordert und dem Statthalter der Befehl erteilt, die Huterischen zu verjagen. Der Statthalter, ein Mann von Mitgefühl und Menschlichkeit, wollte jedoch zuerst den Weg der Güte versuchen. Er setzte sie von dem Edikt in Kenntnis und bat sie, freiwillig mit ihrer Habe abzuziehen. Wer aber binnen 24 Stunden nicht fort sei, den müsse er bei Verlust seines Vermögens durch das dazu aufgebotene Militär fortbringen lassen. Nicht niedergeschlagen, sondern festen Entschlusses antworteten sie : W ir können und wollen Mähren nicht so schnell verlassen, da wir Eigentum, Häuser und Ländereien besitzen, die wir mit eigenem Geld erworben haben. Rücksichtslos griffen die bewaffne­ ten Soldaten die wehrlosen Täufer an. « Der Jakob Hüter ,als ein Diener des Worts nahm sein Pindl auf den Rücken, desgleichen die ändern Männer, Frau­ en und Kinder, ihrem Hirten nach. Wie Schafe wurden sie vertrieben...

267 Also zogen sie mit viel nassen äugen und thränen von einander, unwissend, wo in Gott ein Ort zu wonen wird vergunen oder anzeigen. In dem ist das volkh also unter vil trüebsal fast ein Jar elendiglich im Landt herumgezogen, und weil in Märhern nit vil bleibens, ort oder platz war zu hoffen, liess sich ein Tail in Oesterreich gen Steinabrunn. » Hüter richtete durch ergreifende Reden die Niedergeschlagenen auf und mahnte sie zur Standhaftigkeit, zur Duldung und zur Hingebung in den Willen des Vaters. Gott sei Dank, sagte er, der uns gewürdigt hat, Verfolgung zu leiden für seinen Namen. Das ist es eben, was den Auserwählten des Herrn im Pilgerleben dieses irdischen Exils zu erwarten steht, das sind Zeichen, dass der himmlische Vater die Seinen heimsucht. Angesichts ihrer Not schrieb Hüter folgenden Brief an den Statthalter von Mähren : « Wir Brüder und Verehrer Gottes, seiner Wahrheit treueste Zeugen, Schüler Jesu Christi, die wir insgesamt nach Mähren gekommen sind und daselbst ruhig gelebt haben, Gnade und Schutz des allmächtigen Gottes, dem Lob und Ehre in Ewigkeit. — Dass wir alles gottlose Wesen verlassen und uns Gott dem Herrn ergeben haben um seinem göttlichen Willen zu leben... darum sind wir verfolgt und aller unserer Güter beraubt. Darum hat der Fürst der Finsternis, der grausame Tyrann Ferdinand, der Feind der göttli­ chen Wahrheit, viele der unsrigen unbarmherzig morden lassen, unsere Güter geraubt und uns von Haus und Hof vertrieben. Wir haben nie einem Menschen auf dem Hals gelegen, haben nie einem geschadet; wir haben geschwitzt unter Mühen und Armseligkeiten des Lebens und im Schweisse des Angesichts das liebe Brot verdient. Nichtsdestoweniger hat man unser Besitztum genommen und uns unbarmherzig verjagt. Da liegen wir nun in der öden Heide, unter dem blossen kalten Him m el; aber das alles leiden wir gern und danken mit heissem Dank dem Vater, dass er uns gewür­ digt hat zu leiden. Indes schmerzt es uns, dass ihr so gegen die Söhne Gottes tirannisiert. Aber Weh und abermals Weh euch, dass ihr uns wie Hunde und Bestien in die Wildnis treibt. Der Tag des Herrn wird sich nahen und schwer wird seine Hand auf euch ruhen. Von euren Händen wird er das unschuldige Blut der Heiligen Gottes fordern, das um Rache schreit. Wir haben keinen Spiess noch Waffen und dennoch sagt man, wir wollten kriegen. W ir wissen nicht, wo wir hin sollen mit unsern vielen Witwen und unerzogenen Kindlein. Wir können uns das Erdreich doch nicht verbieten las­ sen. Die Kinder sind uns von Gott gegeben und anvertraut, wir müssen für sie sorgen. Wir wollen sie nicht lassen, lieber den letzten Blutstropfen auf­ opfern. W ir haben doch Güter und Häuser, für unser Geld gekauft; sie ge­ hören noch uns zu, diese haben wir jetzt nötig, damit wir unsere Weiber, Wittwen und Kinder nicht Hungers sterben sehen. W ir Kinder des Unglücks liegen da nun in der Wüste, ausgestossen aus der menschlichen Gesellschaft, als wären wir ein Abschaum der Menschheit. Gebt uns das unsrige zurück,

268 Setzt uns wieder in unser Besitztum, wir wollen ruhig leben, wie wir stets getan haben. » 4) Aber auch der mährische Adel empfand gar bald den Verlust, den er durch die Entfernung dieser Leute erlitten hatte. Ihre ehemals mit so vielem Fleiss gebauten Aecker lagen wüst, was ihr Einkommen bedeutend vermin­ derte, so dass sie nichts sehnlicher wünschten als die Rückkehr der Vertrie­ benen. Durch Einsprache hochgestellter Beamten durften sie wieder nach Mähren zurückkehren und erhielten ihre Güter zurück. Sie mussten aber ver­ sprechen, nichts zu tun, was der öffentlichen Ruhe und der « christlichen Religion » zuwider sei. Der König Ferdinand nahm das Sendschreiben Hüters so übel auf, dass er ihm besonders nachstellte. Um der Gefahr zu entgehen, entwich dieser ins Tirol. Trotz der genauen Beschreibung seiner Person und alle diesbezüglichen Anweisungen an die Grenzjäger gelang ihm und seiner Frau die Flucht. Den­ noch sah Hüter sein Ende kommen. Er schrieb an die Brüder in Mähren, dass man auf allen Kanzeln ihn verlästere und die Häscher wie wahre Höllen­ hunde ihm nachstellten. Sein Mut blieb ungebeugt. Lasst uns, sagte er, nicht von der göttlichen Wahrheit abfallen, noch uns irre leiten lassen. Durch schnöden Verrat gelang es seinen Feinden, ihn samt seiner Frau des Nachts zu Clausen im Etschland gefangen zu nehmen. Man knebelte seinen Mund, damit er nicht zum Volk reden könne, und führte ihn nach Innsbruck. Dort trieben die Schergen ihr Höllenspiel mit ihm. Zuerst wurde er in eis­ kaltes Wasser getaucht dann in ein warmes Zimmer geführt und daselbst so lange mit Ruten geschlagen, bis sein nakter Körper ganz wund war. In die offenen Wunden gossen sie Branntwein und zündeten ihn an. Als aber Hüter auch jetzt noch sich mutig zu seinen von ihm gepredigten Lehren bekannte, « wardt er nach vil erdulteter Tyranney von den Pilatuskindern zum Todt verurteilt ». Freitag, den 3. März 1536 bestieg er den Scheiterhaufen. Die letzten Worte, die er an seine Widersacher richtete, lauteten : « Lasset uns den Glauben im Feuer probieren. Dieses Feuer schadet meiner Seel so wenig als der brennend Ofen dem Sadrach, Mesach und Abednego. » So hat dieser Held Gottes sein Leben geendet.=) Bevor Hüter aus Mähren entwichen war, hatte er die Gemeinden der Obhut seines Mitarbeiters Hans Amon empfohlen

« Gott tat den Frommen geben, aus seinen Gnaden reich, ein, der mit Werk und Leben, dem Vorigen war gleich. Hans Amon war er gnennet,

4) Hast: Geschichte der Wiedertäufer. S. 201 ff.

5) Joseph Beck: a. a. O. S. 120ff.

269 begabt mit Billigkeit, dass welcher ihn hat kennet ihm das noch Zeugnis geit.» Väterlied Str. 51

Amon blieb bis zu seinem Tode Vorsteher der Gemeinde. « Anno 1542 umb Liechtmess ist der Bruder Hans Amon, ein bewährter Evangelischer Diener Christi und der gantzen gemain Gotte Vorsteher, nach vil seinem erlittnen Kampf und Streit, nachdem er uns seines glaubens genossen, vil heilsamer leer mitgetailt zu Schäkowitz im Mäherlandt mit friedlichem herzten im herrn entschlaffen. » 6) Noch vor seinem Ableben übertrug Amon dem Leonhard Lanzenstiel die Leitung der Gesamtgemeinde. Dieser muss ein durch Leiden erprobter Bruder gewesen sein, war er doch schon in früheren Jahren mit seinem Mitarbeiter Georg Fässer fast ein Jahr lang in Mödling gefangen gewesen. Im « Väterlied » ist ihm folgende Strophe gewidmet:

« Christus der Erzhirt grechte, hat wieder um sein Gmein, mit einem treuen Knechte treulich versorget dahin, war ein rechtschaffnen Herzens, begabt mit Weisheit viel, achtet sich wenig Scherzens, hiess Leonhard Lanzenstiel.

Unter seiner Leitung kamen für die Täufer wieder bessere Tage, in welchen sie neue Haushaben errichten konnten. Diese « gute Zeit der Gemein­ de » hielt bis zu seinem Tode an. Nach Hüters Tod setzte sein Mitarbeiter Offrus Griesinger das gefähr­ liche Missionswerk fort. Auf den Tirolerbergen umherziehend lehrte und taufte er. Es gelang ihm, ein Häuflein der « Geschwistriget » nach dem än­ dern über die Grenze nach Mähren zu führen. Oefters lag er gefangen. Es gelang ihm aber immer wieder zu entkommen. Im Sommer 1538 soll er auf einer Alp sogar volle drei Tage lang mit 72 erwachsenen Personen das Fest der « Gedächtnus des Herrn » gefeiert haben. In seiner Missionsarbeit wurde er tatkräftig von Leonhard Lochmaier unterstützt. Die Regierung setzte nun alles daran Griesingers habhaft zu werden. Bei Brücken, an Strassen und auf Gebirgspässen wurden Späher aufgestellt die ihm auflauern sollten. Für seine Gefangennahme wurden von den Ge- richsbehörden 100 Gulden ausgesetzt. Mit knapper Not entging er mehrmals den Häschern. Schliesslich wurde er verraten und des Nachts in einer Senn­ hütte überfallen und gefangen nach Brixen gebracht. Er wurde streng be­ wacht, peinlich verhört und aufgefordert seine Brüder anzuzeigen. Er aber antwortete : « Ich hab mich dahin begeben alle Pein und Marter zu erdulden,

6) Joseph Beck: a. a. 0. S. 150.

270 die ein Mensch erdulden kann bis in Todt ee dass ichs euch sag und ein Verräter sein sollt ». Befragt, ob er nicht eine Empörung beabsichtige, sagte er : « Wenn wir das theten, so wären wir nit Christen, wie Ir, denn wann Ir Christen wäret, so würdet Ir niemand peinigen, noch martern, noch umbringen ». Die Geschichtsbücher berichten : « Anno 1538 am allheiligen Abend (zwischen 10-11 Uhr) ist der Bruder Offrus Griesinger, ein fürnemer Evan­ gelischer Diener der gemain Gottes zu Prixen im Etschland nach vil erlittnen trübsal und kuemer, zum todt verurtailt und im Feuer verbrannt worden. Also hat er Gott und sein wort im leben biss in todt bekennt und ritterlich mit seinem bluet versiglet und bezeugt, wie dann die epistlen, so er den frommen zum trost geschrieben hat, und seine Lieder von seinem frommen Leben Zeugnis geben. » Laut der gleichen Quelle ist auch Leonhard Lochmaier etliche Tage darauf mit dem Schwert hingerichtet worden. Dieser sei, « zuvor in dem vermainten Christentum ein Pfaff, nach erkannter warheit ein Diener des Evangelions der gemain Gottes gewesen, aus grossem Drang, langwiriger gefängnus und arglistigkait der Schlangen aber auss seinem Glauben verrückt worden ; hab jedoch widerruf geton, dem feindt der gütlichen warheit wider abgesagt und sein Schmerz und jamer dem Offrus schriftlich übersendet, der ihn wider auffgerichtt. » 7) Wir haben oben bereits berichtet, wie auch in Mähren die Verfolgung einsetzte und die Gläubigen nach allen Seiten hin flüchteten. Ein Teil soll sich bei Steinabrunn in Oesterreich niedergelassen haben. Daselbst suchten sie sich häuslich einzurichten und ihre Gemeinde wieder aufzubauen, aber ihre Ruhe dauerte nicht lange. « Anno 1539, den 6. Tag Dezembris, da ist des Königs Profoss von Wien mit viel Leuten, die er dazu bestellt hat in Stein­ abrunn bei der Nacht eingefallen und hat viel der Frommen (150 Personen) gefencklich angenommen und dieselben gebunden auf das Schloss Falkenstain fueren lassen. Da sein sy umb der göttlichen Warheit willen bis in die Sechst wochen gefangen gelegen. » Die Schergen hatten es hauptsächlich auf die Aeltesten und Diener ab­ gesehen, in der Hoffnung, Geld zu erhaschen. Auf die Frage wo ihr Schatz oder Geld sei, bekannten sie : Christus, ihr Herr und Heiland sei einzig und allein ihr Trost, Hoffnung und ihr liebster Schatz, Hort und bestes Teil, in dem sie Gottes Huld und Gnade erlangt hätten. Nach eingehendem Verhör wurden die Männer (etwa 90) verurteilt und nach Triest auf die Galeeren geschickt. Ergreifend ist folgender Bericht : « Die an der erkannten Warheit ge­ halten, die haben sie gleich bald in eissene ketten und bandt geschlossen, ye par und par mit den hendten zusammen. In dem sein vil Schwestern ins schloss kommen, die knieten nider, einmütig mit einander mit ernstlichem

7) Joseph Beck: a. a. 0. S. 136ff. Vgl: Märtyrerrpiegel II. Teil, S. 56-57.

271 gebet zu dem Allerhöchsten, irem Gott anhaltend, dass er sie alle well be- waren vor allem Unrechten und den sünden und welle, sowohl auf dem Meer als auf dem landt mit und bei Ihnen sein. Nach solchem gebet hat sie der Prediger aufgemant, dass sich ein yeder zur wegfart soll richten. Also haben sie angefangen mit weineten äugen ye ains vom ändern urlaub zu nemen, ains das andere gott dem Allmächtigen in seinen schütz und schirm bevolhen. Muessten also mann und weib sich scheiden und ire onerzognen kinder ver­ lassen » .8) Dieser Abschied war so herzzerreissend, dass auch des Königs Feldoberster mit seinen Trabanten sich der Tränen nicht erwehren konnte. Den meisten der so hart Bestraften gelang es in Triest mittels Stricke zur Nachtzeit über die Mauer zu entfliehen und in ihre Heimat zurückzukehren. Auf dem Heimweg dankten sie Gott auf den Knien für die gnädige Errettung. In den folgenden Jahren sind noch viele Diener des Worts hingerichtet worden. So wurde im Jahr 1542 Leonard Bernkopf in Salzburg verbrannt. Der aus Bayern stammende, seit 1525 in Nikolsburg wohnhafte Oswald Glait ist als Gefangener nach Wien transportiert worden. Nachdem alle Ueberredungskünste bei ihm nichts gefruchtet hatten, wurde er 1545 nach einem Jahr und 6 Wochen Gefangenschaft zum Tod verurteilt und nachts in der Donau ertränkt. Das gleiche Los traf Hans Gurtzheim, der nach vierjähriger Kerkerhaft im Jahr 1550 ebenfalls in der Donau ertränkt wurde. Schwere Verfolgungen mussten die Gemeinden in den Jahren 1547-1551 durchmachen. « Endlich liess der Herr kommen im siebenundvierzigsten Jahr Trübsal über die Frommen, vertilgen wollt man sie gar ; der Herr hob an zu reutern sein’n Weizenhaufen schon, gar viele täten scheitern, konten die Prob nit beston.» Väterlied, Str. 58.

Viele wanderten nach Ungarn, Preussen und anderen Orten aus. Hab und Gut wurde ihnen geraubt. Gewaltsam trieb man sie bei kaltem Winterwetter mit Frauen und Kindern aus ihren Häusern. Rücksichtslos wurden Greise, Schwa­ che und Kranke aus ihren Wohnungen verstossen. Alles Bitten und Flehen half nichts. Etliche spotteten : Wo ist denn euer Gott, dass er sich nicht euer an­ nimmt ! Doch diese Trübsal musste ihnen zum Besten dienen. Obwohl einige ab­ fielen, sind doch die meisten standhaft geblieben. In den Chroniken ist zu lesen : « Unter solchen schwären triebsal thet Gott aber vil herzue und kamen

8) Joseph Beck: a. a. O. S. 145.

272 vil zue de Gemain, hin und wieder, die fromb worden, ir Leben besserten und das Kreuz auf sich namen, mer als oft hernach in der gueten Zeit. Sie kehrten sich an den Triebsal nit, den es waren rechte Eifferer gottes. »

Schlimm erging es Hans Mandel, einer der bedeutendsten Persönlichkei­ ten unter den Täuferführern in Mähren. Im Herbst 1537 wurde er von Grie­ singer getauft, und noch im gleichen Jahre verhaftet. Zunächst lag er 26 Wo­ chen gefangen. Wiederholt schmachtete er im Kerker, so im Jahr 1544 in Landeck 22 Wochen lang. Als Sendbote der huterischen Brüdergemeinden hatte er grossen Erfolg in seiner Arbeit. Er soll über 400 Personen getauft und « zu der gemain des Herrn » gebracht haben. Im November 1560 wurde er mit zwei Brüdern, dem Jörg Rack und Eustachius Kotter gefangen genommen und nach Innsbruck überführt. « Daselbst hat man den gemeldeten Hänsel Mändl, dieweil er ein Evangelischer Diener war, (welcher viel und offt in die landt gesendt worden ist zum werck des Herren) auff Fellenburg, in einen tiefen thurm gelegt, der voll würm und Ungeziefer war. Die ändern zween, als nämlich den Jörgen, ein Diener der notturfft und Eustachius ein gemainen Bruder, hat man zu Inspruckh in den kreutherthurm gelegt ». Erst nach Neujahr 1561 wurden sie verhört und dann wieder in den gefürchteten Kerkerturm gewor­ fen, wo sie bis zum Tag ihrer Hinrichtung schmachteten. Am 10. Juni 1561 wurden die drei auf den Richtplatz geführt. Eine grosse Volksmenge hatte sich eingefunden. Bevor man das Urteil vollzog, wurde ihnen gestattet, zum Volk zu reden. Bei dieser Gelegenheit versuchten sie, die Richter zu überzeugen, dass sie das unschuldig vergossene Blut bald vor Gott verantworten müssten. Mit mächtiger Stimme ermahnten sie das umstehende Volk, Busse zu tun, von ihren Sünden abzustehen und denselben Weg der Wahrheit zu betreten, welchen sie heute mit ihrem Blut bezeugten.

Nach inbrünstigem Gebet und Danksagung dafür, dass der himmlische Vater ihnen Treue bis in den Tod verliehen habe, wurde die Gerichtsakte ver­ lesen und hierauf das Urteil vollzogen. Zuerst enthauptete der Henker den Eustachius Kotter. Darnach kam Jörg Rack an die Reihe. Mit frohem Mut sprach er la u t: « Hier verlass ich Weib und Kind, Haus und Hof, Leib und Leben, um des Glaubens und der Wahrheit willen. » Dann kniete er nieder, und der Henker schlug auch ihm das Haupt ab. Als Hans Mändel die beiden Enthaupte­ ten da liegen sah, sprach er : « Meine Brüder ! wer überwindet, wird alles erben ! » Darnach ergriff ihn der Henker, band ihn auf eine Leiter, zündete das Feuer an, brachte zuerst den lebendigen und dann die beiden enthaupteten Körper auf den Scheiterhaufen und verbrannte sie zusammen.9)

Jörg Rack hat uns fünf Lieder hinterlassen, Hans Mändel drei und Eusta­ chius Kotter eines welches mit den Worten beginnt:

9) Joseph B eck; a. a. 0 . S. 222 ff.

273

18 « Stärk uns o Gott in dieser Not, behüt uns vor dem ändern Tod, lass uns von dir nicht weichen. Der Feind ist gschwind, in seinen Kind, tut uns immer nachschleichen.» Bald liess die Verfolgung etwas nach. Die Gemeinden der mährischen Brü­ der benutzten diese Zeit, um sich aufzubauen und zu organisieren. In dieser Hinsicht hat der schon erwähnte Leonhard Lanzenstiel Vorzügliches geleistet. Er half in besonderer Weise die Wohlfahrt der ihm anvertrauten Gemeinden fördern. Im Jahre 1565 entschlief der müde Kämpfer nach 23jähriger Tätigkeit als Vorsteher der Gemeinden selig im Herrn. Nach Lanzenstiels Heimgang erwählten die Aeltesten der Gemeinden Peter Walpot zum Vorsteher. Er wird als « ein gar fürtrefflicher Diener des Worts, der mit dem Geist Gottes hochbegabt und ein Zier der gantzen gemein war » geschildert. Unter seiner Leitung erlebte die Gemeinschaft ihre glücklichste Zeit. Diese Periode wird deshalb « die goldene Zeit der Brüder-Gemeinde » genannt Damals wuchs die Gemeinschaft erstaunlich, sie zählte an 80 Bruderhöfe mit 80.000 Gliedern. Peter Walpot stammte aus dem Tirol. Er war 1529 zu Klausen im Etschtal als achtjähriger Knabe Augenzeuge der Verbrennung des Täuferführers Jörg Blaurock gewesen. Im Jahr 1542 wurde er zum Diener am Wort erwählt. Er war einer der bedeutendsten Führer der huterischen Täufer und hat durch For­ mulierung der biblischen Grundlagen der Täuferlehre « die Gmein Gottes er­ freut und erbauet », was sein schön lustig Büchlein etlicher Hauptartikel unseres christichen Glaubens » bestätigt. Die « Periode des Friedens » nützte Walpot, der Bischof der Gesamtge­ meinde, reichlich aus zur Stärkung der Gemeinde nach innen und nach aussen. Auf dem Bruderhof « Neumühl » errichtete er sein « administratives Zentrum », das zum Mittelpunkt der mährischen Haushaben wurde. Das « Geschichtsbuch » enthält seine letzte Rede an die Aeltesten und stellt ihm das Zeugnis aus : « Er war ein treuer Hirte, ein trefflicher Lehrer und ein gottseliger Regierer der ganzen Gemeinde. » Ihm widmet das « Väterlied » 5 Strophen ; die zweit­ letzte lautet : « Mit viel Tugend gezieret, ein sanftmütiger Mann, ein schöns Regiment geführet, weil er im Amt tat stan war guter Fried im Lande, nur allein Teurung gross stiess den Frommen zuhande doch hielt Gott rechte Mass.» Peter Walpot wurde von der ganzen Gemeinde sehr geschätzt. Mit Liebe hingen sie an ihrem Hirten. Nachdem er 36 Jahre Vorsteher der ganzen Ge­ meinde gewesen war, starb er im Jahre 1578 zu Priwitz in Mähren. * * *

274 Auf dem Gebiet der Hymnologie haben die mährischen Täufer Bedeutendes geleistet. Unter den mährischen Brüdern befanden sich mehrere hervorragende Liederdichter, die im Drange der Trübsal in ergreifender Weise ihre Leiden, in ihren Liedern zum Ausdruck brachten und den « falschen Glauben » brand­ markten. In ihnen findet sich unerschütterlicher Glaubensmut und Bekenntnis­ treue. Aus den Reihen der im Jahre 1528 gefangenen Brüder ging eine Anzahl Märtyrerlieder hervor, deren viele in den « Ausbundt» aufgenommen wurden, welcher jahrelang neben dem Psalmenbuch das Gesangbuch der süddeutschen, zum Teil auch der schweizerischen Gemeinden war. Die erste Ausgabe er­ schien 1564. Die « Lieder der huterischen Brüder », 344 an der Zahl, wurden im Jahr 1914 von den amerikanischen Brüdern in Scottdale gedruckt und veröffentlicht. Zwar hatten diese Lieder schon im 19. Jahrhundert in wissenschaftlichen Krei­ sen Beachtung gefunden. Philipp W'ackernagel (1800-1877) hat in seinem Sam­ melwerk « Das deutsche Kirchenlied » eine Anzahl der huterischen Lieder auf­ genommen. Rudolf Wolkan (1860-1927), Professor für deutsche Literaturge­ schichte an der Universität Wien, hat « Die Lieder der Wiedertäufer » bereits 1903 in einem Band herausgegeben. Dieser enthält aber nur einen Teil der hute­ rischen Liederdichtung. Im 1958 konnte der Amerikaner Peter J. Dyck, der damals in Frankfurt a. M. weilte, einen Handschriftenband huterischer Lieder erwerben von welchem ich eine Kopie anfertigen durfte. Dieser Liederband ent­ hält 91 Lieder von zum Teil bekannten Verfassern. Es seien im folgenden einige der Autoren skizziert: Der Liederdichter Hans Betz, der wahrscheinlich mit dem erwähnten Johann Peck identisch ist, und den Grundstock für den Täuferischen « Aus­ bund » geliefert hat, geriet im August 1535 mit 33 Glaubensgenossen in Passau in Gefangenschaft. Im Kerker dichtete Betz zwölf Lieder, die ihn, wie Rudolf Wolkan schreibt, « als einen theologisch tüchtig gebildeten Mann » ausweisen. Er wurde nach zwei Jahren Kerkerhaft durch den Tod von seinem Leiden erlöst. Die Leidensgeschichte eines Hans Blüetl finden wir in Lied Nr. 18 in 44 Strophen geschildert. Auf einer Missionsreise wurde er zu Ried am Inn gefangen und am 24. Juni verbrannt. Noch weniger wissen wir von einem Michel Kramer, der in Lied Nr. 19 die « verloffnen Trübsale im Ungarland » beschreibt. « Ein fürnehmer, gelehrter Schulmeister der Gemeinde in Mähren » war feronimus Käls, der im Jahr 1536 in Wien gefangen genommen und bald nach­ her verbrannt wurde. Nebst « etlichen liebreichen treffentlich eifrigen Epistlen », die er im Gefängnis geschrieben hat, stammt auch das Lied « Ich reu und klag den ganzen Tag das Elend und die Schmerzen » von ihm. Drei Lieder der erwähnten Sammlung berichten über das Schicksal von Hans Arbeiter aus Aachen, der sich den huterischen Brüdern angeschlossen hatte. Als Missionar kam er in die Rheinpfalz, wurde 1568 verhaftet und lag über ein halbes Jahr auf dem Schloss Kirrweiler gefangen, wo der Domprediger von

275 Speyer Dr. Lamprecht mehrmals mit ihm disputierte. Im Jahr 1575 ist Arbei­ ter in Sabatisch gestorben. Ein weiterer huterischer Sänger war Klaus Felbinger, der im Jahr 1558 « in den Dienst des Evangilij erwählt und fürgestellt » worden war. Am Palm­ sonntag 1560 wurde er gefangen und nach Landshut überführt, dort ins Ge­ fängnis geworfen und in Ketten gelegt. Hier versuchten die Geistlichen, ihn für die katholische Kirche zu gewinnen. Jedoch alle Bemühungen waren umsonst. In den Auseinandersetzungen legte Felbinger ein solch theologisches Wissen an den Tag, dass er allgemeines Erstaunen hervorrief. Da alle Bemühungen, ihn zur Kirche zurückzuführen, fehlschlugen, wurde Felbinger zum Tode verurteilt und am 10. Juli 1560 enthauptet. Von ihm sind ausserdem eine schriftliche Verantwortung seines Glaubens, drei Sendschreiben an die Brüder in Mähren sowie fünf Lieder erhalten. Ein Sendbote der Brüder war Michel Veldtaler, der mehrmals mit knapper Not den Häschern entging. Im Jahr 1557 gelang es endlich, den berüchtigten Mann zu fangen. Mit einem Seil wurde er in einen tiefen Turm hinabgelassen, wo er einige Zeit in Einzelhaft zubringen musste ; er wurde aber bald wieder freigelassen. In zwei Liedern hat er seine Erlebnisse besungen. Im Jahr 1560 wurde er zum Diener am Wort erwählt. Er starb 1587. Einer der « Sängermeister », Georg Bruckmaier, hat die führenden Persön­ lichkeiten der huterischen Bewegung in dem schon erwähnten Väterlied « Gott du gewaltger Herre » besungen. Das Lied, das auch « Wächterlied » genannt wird, enthält im ganzen 105 Strophen. Bruckmaier hat es bis zur 75. Strophe verfasst; mehrere unbekannte Dichter haben es nach seinem Tod fortgesetzt. Georg Bruckmaier wurde auf einer Missionsreise in Oberösterreich verhaftet und nach dem Schloss Burghausen geführt. Die Theologen suchten ihn vom Glauben abzubringen, aber vergebens. Nachdem er vierzehn Wochen daselbst im Kerker gelegen, wurde er auf das Rathaus geführt, wo er mit zwei Glaubens­ genossen zum Tod verurteilt wurde. Die drei wurden Ende des Jahres 1585 enthauptet und anschliessend verbrannt. Bruckmaier hat ausser dem obgenannten « Väterlied » noch drei Lieder hinterlassen. Einer der fruchtbarsten huterischen Liederdichter war Hänsl Raiffer, nach seinem Handwerk auch Schmied genannt. Von ihm berichten die Chroniken, dass er « auch viel schöne geistliche Lieder und Lobgesäng gemacht, so noch in der Gemein gesungen werden. » Raiffer besingt die wahre Gemeinschaft mit Christus, den rechten christlichen Glauben und legt besonderes Gewicht auf die Liebe als das wahre Kernstück des Christentums. Als Sendbote der huterischen Gemeinden wurde Raiffer in Aachen am 9. Januar 1558 mit elf Mitbrüdern des Nachts in einer Gebetstunde von den Schergen überfallen und verhaftet. Die Chroniken berichten, wie die « Pilatus­ kinder « mit Lichter in der Hand das Haus umstellten und sie, « mit Spiess und Helleparten, mit Stricken und Banden » bewaffnet, überfielen und gefangen wegführten. Unter schweren Folterungen wurde Raiffer einem eingehenden

276 Verhör unterzogen. Da er aber in seinem Glauben standhaft blieb, wurde er zum Tod verurteilt. Als er zur Richtstätte geführt wurde, gab es einen grossen Volksauflauf, angesichts dessen er bemerkte : « Wie habe ich nur eine schöne Hochzeit, darauf so viel Volks kommt. » Mit einem Strick wurde Raiffer er­ würgt, an eine Säule gebunden und verbrannt. Dies geschah zu Aachen am 19. Oktober 1558. Von seinem Mitgefangenen Heinrich Adam, der zwei Tage später gleich wie sein Mitbruder hingerichtet wurde, besitzen wir vier Lieder. Der letzte Sänger, den unsere Geschichtsquelle, der erwähnte Handschrif­ tenband, nennt, ist Paul Glock, der neunzehn Jahre lang um seines Glaubens willen im württembergischen Schloss Hohenwittlingen gefangen lag. Alle Ver­ suche « der Obrigkeit, von Edelleuten, von Burgern, Doktoren und lutherische Pfaffen und falschen Brüdern », ihn von seinem Glauben zu dem kirchlichen zu bekehren, schlugen fehl. Wiewohl er standhaft blieb wurde er am Neujahrstag 1577 freigelassen. Bald wurde Paul Glock zum Diener am Wort eingesegnet. Am 30. Januar 1585 ist er zu Schäkowitz im Herrn entschlafen. Ausser seinen Liedern sind eine Anzahl Sendbriefe von ihm erhalten geblieben.

Von ausserordentlicher Wichtigkeit ist die historiologische Arbeit Kaspar Braitmichels. Er ist der Verfasser oder, besser gesagt, der Anfänger des gewalti­ gen Gemeindegeschichtsbuches der mährischen Täufer. Das Original des um­ fangreichen Werkes, das sich heute im Besitz der huterischen Brüder in Kanada befindet, ist die eigentliche Geschichtsquelle der Täufer in Mähren, Oesterreich, Ungarn, Tirol und zum Teil auch in Süddeutschland. Die handschriftlichen Chroniken aus dem 16. Jahrhundert, die Joseph Beck im vorigen Jahrhundert gesammelt und veröffentlicht hat, sollen diesem grossen Geschichtsbuch entstam­ men. Es war eine Art Gemeindearchiv. Braitmichel darf als zuverlässiger Chro­ nist bezeichnet werden. Stand er doch selber mitten in der täuferischen Bewe­ gung und machte viel Leiden und Kämpfe der Gemeinde mit. Schon 1530 wurde er zum « Diener der Notdurft » erwählt, und 1548 wurde ihm der Dienst am Evangelium anvertraut. Er war einer der Mitgefangenen auf Schloss Falken­ stein, die bei einem Gottesdienst zu Steinabrunn überfallen worden waren. Bis ins hohe Alter durfte er der Gemeinde dienen und ist im Jahr 1573 zu Auster­ litz im Herrn entschlafen. Eine bemerkenswerte Schöpfung des huterischen Geistes ist die poetische Abfassung der Psalmen. So hat bereits Wolf gang Sailer « alle 150 Psalmen gesangweis gestellt und sunst viel schöne Lobgesäng und tröstliche Lieder ge­ macht. » Diese Psalmen in Gedichtform, von denen ich in der Nationalbiblio­ thek in Wien eine Kopie machen durfte, sind zum Teil recht schön und wert­ voll. Das huterische Täufertum hat somit die Ehre das erste poetische Psalmen­ werk hervorgebracht zu haben. Sein Verfasser ist im Jahr 1550 gestorben. Von den zusätzlich genannten « schönen Lobgesäng und tröstlichen Liedern » hat später Andreas Ehrenpreis neunzehn in seine berühmte Sammlung aufgenom­ men.

277 Unabhängig von Sailer machte sich ]akob Dachser an die poetische Bear­ beitung der Psalmen. Dachser ist in Ingolstadt geboren und wurde nach seinen theologischen Studien katholischer Priester in Wien. « Wegen verwegener Ver­ teidigung lutherischer Sätze » denunziert, musste er Wien aber bald verlassen und kehrte in seine Vaterstadt zurück, wo er zum Magister der dortigen Uni­ versität ernannt wurde. Aber auch hier geriet er bald wegen seiner reforma- torischen Ansichten mit der Priesterschaft in K onflikt; nach mehrwöchiger Haft wurde er aus dem Gebiet ausgewiesen. Er kam nach Augsburg wo er im Auftrag der Lutheraner das Augsburger Gesangbuch « Form und Ordnung Gaistlicher Gesang und Psalmen » bearbeitete. Im Jahr 1527 trat Dachser zu den Täufern über und wurde von Hans Hut getauft. Der begabte Theologe wurde zum Vorsteher der Augsburger Täufergemeinde gewählt. Durch seine führende Stellung in der Augsburgergemeinde gelangte Dachser zu einer geisti­ gen Bedeutung, die bald die Aufmerksamkeit nicht nur der Geistlichen, sondern auch der Behörden wach rief. Nach der Märtyrersynode zu Augsburg wurde er verhaftet. Vom 28. August 1527 bis zum 16. Mai 1531, also fast vier Jahre lang lag er im Gefängnis. Durch diese lange Kerkerhaft zermürbt, leistete Dachser, nicht zuletzt auf Zureden des Predigers Andreas Muskulus (1514-1581) und auf die Bitten seiner Frau hin, schliesslich den Widerruf. Eine grosse Zahl seiner Psalmdichtungen, etwa 40, hat Jakob Dachser im Kerker, also als Täufer, geschrieben. Dachser, der nach seiner Freilassung « wegen leibschwacher Blö­ digkeit » in der Stadt bleiben durfte, gelangte bald zu neuem Ansehen, denn im Jahr 1531 wurde ein Neudruck des Augsburger Gesangbuches beschlossen und ihm die Bearbeitung übertragen. In diese Neuausgabenahm er auchseine 40 im Gefängnis gedichteten Psalmen auf. Mit diesen legte er den Grund zu seinem im Jahr 1538 veröffentlichten « ganzten psalter Davids ». Dieser nimmt sich aus wie : « Ein Strauss von Davids schönen Psalmen, die er im Morgenland gepflückt, die er erlauscht, wohl unter Palmen als sein Geist war davon entzückt.»

Einige dieser Psalmen stammen allerdings von anderen Autoren und sind von Dachser leicht überarbeitet worden ; wir finden Psalmen von Ludwig Oehler, Wolfgang Dachstein, Hans Sachs, Matthias Greiter, Martin Luther und Heinrich Vogther. Ein Exemplar dieser seltenen Ausgabe besitzt die Universi­ tätsbibliothek München. Von dem Liederdichter Georg Grünwald berichtet die Chronik : « Anno 1530 ist der Brueder Georg Grüenwald ein Schuester, ein gar in Gott eüffriger Brueder und Diener Jesu Christi, zu Kopfstain um der göttlichen Wahrheit willen gefangen, zum Tod verurteilt und verbrannt worden gantz beständig im Glauben. » Er hat das Lied : « Kommt her zu mir spricht Gottes Sohn » ge­ dichtet, das eigentümlicherweise später in den Kirchengesangbüchern Aufnahme gefunden hat.

278 Weitaus der bedeutenste Dichter der huterischen Brüder war Peter Riede­ mann. Er war aber auch der hervorragenste Theologe der ganzen Gemeinschaft, so dass er « der zweite Gründer der huterischen Bruderschaft » genannt wird. Seine Schriften « Wie man das Haus Gottes bauen soll» und « Von den sieben Pfeiler an diesem Hause » (Sprüche 9, 1) sind von Bedeutung. Sein wichtiges auf 1. Petr. 3, 15 aufgebautes, erst 1565 veröffentlichtes Werk, die «Rechen­ schaft unserer Religion, unserer Lehre und unseres Glaubens », ist eine Haupt­ quelle der huterischen Lehre. Das umfangreiche Werk, in welchem die Glau­ bensartikel der Gemeinde « der wiedergeborenen Kinder des neuen Testaments » behandelt werden, wurde gröstenteils im Gefängnis geschrieben. In ihm hat Riedemann die Grundzüge einer Gemeindeordnung entworfen. Riedemann wurde im Jahr 1506 zu Hirschberg in Schlesien geboren. Schon in jungen Jahren trat er zu den mährischen Täufern über und wurde als 23jähri- ger Mann zum « Diener des Worts verordnet ». Er muss ein bedeutender Send­ bote gewesen sein, da er « der grosse Peter » genannt wurde. Schon im Jahr 1529 wurde er zu Gmünden gefangen und musste mehr als drei Jahre daselbst im Kerker zubringen. Nach seiner Befreiung wandte er er sich nach Mähren, kehrte aber bald zurück nach Franken und wurde in Nürnberg verhaftet, wo er wiederum mehr als vier Jahre gefangen gehalten wurde. Nach dieser Gefan­ genschaft zog er nach Hessen, aber auch hier wurde er verhaftet und schmach­ tete 18 Monate lang im Kerker ; er hat also ungefähr neun Jahre im Kerker zugebracht. Als 50jähriger Mann starb er in Ungarn. Seine Sendschreiben an die Brüder und Gemeinden, zum Teil im Gefängnis geschrieben, sind in den Geschichtsbüchern der huterischen Brüder abgedruckt (von Johan Loserth). « Desgleichen » hat er « viel holdselige, christliche, geistliche, auch biblische Lieder und Gesang gedichtet in seinen Gefängnissen und bei der Gemein. Denn er war reich an allen göttlichen Geheimnissen und die Gab geistliches Worts floss von ihm heraus wie ein Wasserquell, der überläuft, es hatten alle Seelen Freud die ihn hörten. » 10) Rudolf Wolkan schreibt in seinem Werk « Die Lieder der Wiedertäufer » : « Riedemanns Lieder sind kennzeichnend und bedeutungsvoll für die Folge­ zeit ». « Eigenes Leid besingt er und fremdes, dogmatische und moralische Lieder hat er verfasst, ein Lob Marias und die Leidensgeschichte Christi gesungen. Er berührt die Zeitverhältnisse und klagt über Deutschlands Verfall. » Der unermüdliche Dichter Peter Riedemann hat im ganzen 45 wertvolle Lieder hinterlassen. Sein poetisches Glaubensbekenntnis finden wir im « Aus­ bund » in Lied, Nr. 2. Sein letztes Lied in der Sammlung beginnt mit den Worten : « Wie fein lieblich ist dein Gebäu, zugerichtet ins Herren Treu, du Gottesstadt, wer für dich gat, sieht dass er sein Werk in dir hat. »

10) Loserth Joh.: Geschichtsbücher der huterischen Brüder, S. 270.

279 Die letzte Strophe lau tet:

« Euch will ich lieben Brüder mein also befehlen der Gnaden sein, der führ uns gleich mit in sein Rieh dass wir uns freuen ewiglich ! »

Antoni Erforter, der hervorragendste Täufer Kärntens, « ein kampffrohes Gemüt, der an dem endlichen Sieg seines Glaubens nicht verzweifelte », zog nach Mähren und wurde dort zum Diener des Worts « verordnet». Er ist der Verfasser einer « Trostepistel » an die 136 gefangenen Täufer auf dem Schloss Falkenstein. Erforter, der 1541 gestorben ist, hat auch einige wertvolle Lieder hinterlassen. Ein weniger bekannter Liederdichter war Wolf Mair der am 10. November 1559 in Salzburg hingerichtet worden ist.

* * *

Die Sendboten der huterischen Gemeinschaft hatten keinen leichten Auf­ trag, da sie beständig in Gefahr standen. Einer dieser Beauftragten war Veit Grünberger, der sieben Jahre Kerkerhaft durchmachte. Er wurde beim Verhör sogar gefragt, ob Hüter ihr Messias sei. Er aber erwiderte : « Christus ist unser Messias. Ich schäm mich des Jakob Hüter nicht. Man hat ihn zu Innsbruck um göttlicher Wahrheit willen verbrannt. Ihr aber habt einen feinen Messias zu Rom und einen hier in der Stadt». Es ist bemerkenswert, mit welcher Vorsicht und welchem Gebetsernst, die Brüder ihre Vorsteher und Diener erwählten. Wie oft begegnet uns in den Ge­ schichtsbüchern die Notiz, der und der Bruder sei für den Dienst am Evange­ lium erwählt, der Gemeinde vorgestellt, und durch Handauflegung der Aeltesten als Diener des Evangeliums bestätigt worden. So lesen wir zum Beispiel in einer Chronik : « Anno 1578, halt nach des Peter Walpots todt oder abgang (aus diesem jammertal) hat die gantze gemain gottes treulich zu Gott im Him­ mel gebeten, daz er inen durch ainhellige Zeugnus einen frommen treuen mann zu einem hirten und regierer über sein volkh zeige. Balt hernach an dem 5ten Tag February, haben sich fast alle Diener und Haushalter und auch sonst vil gemainer Brüeder in der Gemain Gottes auf der Neumühl versamlet. Daselbs haben sich die Brüeder miteinander in guetem wol bedacht, (und sich mit Gott beraten umb ein ändern treuen Bischoff und Hirten). Da hat inen Gott nach irem bitten und begeren den Br. Hansel Kräl durch einhelliges Zeugnus ange- zaigt. Da haben ihm die Br. die gemain Gottes befolhen zu versorgen und zu regieren, sich auch entboten, im auch nach dem willen Gottes gehorsam zu sein. » Hans Kräl war einer, der sich im Kampf und Trübsal bewährt hatte. In der Zeit von 1557-59 hatte er fast zwei Jahre im Gefängnis zubringen müssen. Hernach sollte er auf die Galeeren geschickt werden, konnte aber unterwegs entrinnen und kam wieder zu der Gemeinde. Das Geschichtsbuch bringt aus seiner Feder eine ausführliche Schilderung seiner Gefangennahme sowie seiner

280 schweren Kerkerhaft in der Tiefe des Schlossturmes, wo ihm die Kleider sozu­ sagen am Leibe faulten und er 37 Wochen lang im Block schmachtete. Davon zeugt auch « Hans Kräls Gefangknuslied wie im Gott beigestanden ». (44 Str.). Seine Haft dauerte 23 Monate. Im Jahr 1561 war Hans Kräl in Innsbruck Au­ genzeuge der Hinrichtung Hans Mändels. Im November 1583 wurde er schwer krank. Er versammelte die Aeltesten an sein Sterbelager und ermahnte sie zur Treue gegen die Bruderschaft. Am 14. November starb er in Neumühl. Das « Väterlied » stellt ihm das Zeugnis aus :

« Und dieser war fast gütig, von freundlicher Gebärd, mild gneigt und auch sanftmütig, war zuvor wohl bewährt, in Stock, Fallturm und Bande, drin er lag lange Zeit, ist uns wohl angestanden begabt mit Bescheidenheit. »

Nach Hans Kräls Tod wurde Klaus Braidl zum Vorsteher der huterischen Gesamtgemeinde gewählt, die er 28 Jahre mit Umsicht leitete. Grosse Sorgfalt wandte er an die Ordnung der verschiedenen Handwerke.

« Durch viel Zeugnis und Stimmen, hat ihn’n Gott Antwort tan, dass solches Amt geziemen Bruder Claus Braidl schon, dem hat der Herr auch geben, mit grösser Beständigkeit sein Volk zu regieren eben zu wahrer Grechtigkeit. » Väterlied Str. 75.

Braidl starb im Januar 1611 im Alter von 82 Jahren auf der Neumühle bei Polau in Mähren. Sebastian (Basti) Dietrich wurde sein Nachfolger. Er übte nebenbei auch die ärztliche Kunst aus. Im Oktober 1587 wurde er zum Prediger erwählt. « Die goldene Zeit der mährischen Täufer » ging bereits ihrem Ende entgegen, als im Januar 1611 in Neumühl auf ihn die Wahl zum Hirten der ganzen Gemeinde fiel. « Welches dann auch geschehen nach ihrem Willen schon, dass ihnen Gott fürgesehen, Sebastian Dietrich mit Nam, durch die Wahl viel der Frommen und gross Vertrauen auch, hat man ihn darzu genommen nach der Gmein Sinn und Lauf. » Väterlied Str. 79.

281 Dietrich war besonders bestrebt, die Ordnungen der Gemeinde nach neue­ ren Gesichtspunkten zu reformieren und den « fürnemsten Brüdern und allen Fürgestellten » besonders nahe zu legen : « Die Jugend soll in den Liedern und in den Artikeln des Glaubens gefestigt werden. » Auf die Kinderzucht legte Dietrich besonderes Gewicht. Mit Berufung auf die Vorfahren lehrte er, man solle inbezug auf « Gut und Geld der gemeinde » haushälterisch um­ gehen und alles meiden, was auf Eigennutz abziele. So erwarb sich Dietrich den Ruf eines gewissenhaften Vorstehers. Er starb am 8. Dezember 1619, nach­ dem er 32 Jahre als Diener des Wortes im Amt gestanden und die ganze Ge­ meinde neun Jahre geleitet hatte. « Nach ihm hat Gott der Here, nach der Frommen Gebet und Bitt, ein ändern tun beschere, und mitgeteilt hiemit. Ulrich Jaussl war sein Namen, ein eifrig frommer Mann, des dürft man sich nit schämen stund seiner Gmeind wohl an. » Väterlied Str. 81.

Ulrich Jaussling war seit 1599 Verkünder des Worts und wurde am 18. Dezember 1619 zum Leiter des Gesamtgemeinde erwählt. Er hatte keine leichte Aufgabe, war es doch die Zeit, da der 30jährige Krieg begann, der auch die Gemeinden mit Plünderungen und Brandstiftungen durchziehender Truppen heimsuchte. Diese Not mag zu seinem frühen Tod beigetragen haben. Er starb schon nach 2 Jahren und 3 Monaten Tätigkeit im Alter von 48 Jahren. In der bewegten Zeit des 30jährigen Krieges (1618-1648) waren zunächst Valtin 'Winter (1622-1631) und Heinrich Hartmann (1631-1639) Vorsteher der Gesamtgemeinde. « Ein treuen redlichen Helden Valtin Winter mit Nam, ein Ernst liess er ihms gelten, nahm sich seins Volks Not an und liess ihm sauer werden, mit gar viel Kampf und Streit, versorgt die Herd des Herren nach seiner Möglichkeit. » Väterlied Str. 88.

Nach den weiteren Strophen des Liedes geriet um diese Zeit die Gemeinde in grosse N o t; viele wurden von Haus und Hof vertrieben, andere als Gefan­ gene verschleppt. Während der Winterszeit herrschte infolge des Krieges Hun­ gersnot in den Haushaben, wobei Valtin Winter die Gläubigen zu trösten suchte, bis er selber zusammenbrach und im Jahr 1631 zu Sabatisch starb. Von dem anderen Vorsteher, zur Zeit der schlimmen Kriegswirren, Heinrich Hartmann, weiss das « Väterlied nur wenig zu erzählen.

282 « Drum sucht man an den Herre, der soll anzeigen tan, durch versammelte Brüder mehre, die sich hierin bekümmert han, da ist durch meiste Stimme dem Bruder Heinrich Hartmann als dem solch Amt gezieme das Amt gezeiget an. » Väterlied Str. 95.

Zu den hervorragendsten Führern der huterischen Gemeinschaft gehört unstreitig Andreas Ehrenpreis. Er wurde im Jahr 1589 geboren, sah also noch die sog. goldene Zeit der mährischen Täufer. Im Juni 1623 wurde er durch Handauflegung der Aeltesten « im Dienst des Evangelium bestätigt » und im Oktober 1639 « durch einhelliges und fröhliches Zeugnis der ganzen Versamm­ lung » zum Hirten und Bischof der Gesamtgemeinde erwählt, als welcher er im Juni 1642, als die Lage, infolge des Krieges, wieder unsicher wurde, ein längeres Sendschreiben an die Gemeinden richtete. n) Am 1. August 1662 ist Ehrenpreis im Alter von 73 Jahren sanft im Herrn entschlafen, nachdem er die Aeltesten zu sich berufen und ihnen ernstliche Mahnungen erteilt hatte, insbe­ sondere die, sich zu hüten vor Zank und Zwietracht. Er hat somit der Ge­ meinde 41 Jahre lang « als ein rechter, frommer, treuer Hirt und Bischof mit höchstem Fleiss und Eifer, mit Lehren, Strafen und Vermahnen » gedient. Es ist auch sein Verdienst, die Gemeindeordnungen der huterischen Brüder zusam­ mengestellt zu haben. Auch als Liederdichter ist er nicht unbekannt geblieben. Das Märtyrerlied über sowie dasjenige über Hans Mändl, Jörg Rack und Eustachius Kotter hat Andreas Ehrenpreis verfasst. Das Abschieds­ lied « Ach Gott, es kommt die Stunde » sowie das Lied von der zukünftigen Herrlichkeit « Aus Freud und grösser Liebe », schliesslich auch « Ein Lobge­ sang, das sing ich nun » stammen aus seiner Feder. Der gewaltige Liederband der huterischen Täufer in der österreichischen Nationalbibliothek in Wien I2) ist ein Kodex von 250 Liedern, die Andreas Ehrenpreis eigenhändig mit roter und schwarzer Tinte abgeschrieben h a t; die Sammlung wurde 1657 abge­ schlossen. Der schöne, guterhaltene Band ist eine wunderbare Hinterlassen­ schaft dieses hervorragenden Knechtes Gottes. Das « Väterlied schliesst mit den fünf Strophen die Ehrenpreis gewidmet sind und deren erste lautet :

« Da ist im Rat des Herren erkennet, in grösser Einigkeit von allen Brüdern wie genennet, gab ihnen Gott Bescheid. und haben da erwählet,

11) Loserth Joh; Geschichtsbuch der huterischen Brüder, S. 623-628.

12) Codex S. n. 11, 999. Nationalbibliothek Wien.

283 dazu mit ganzem Fleiss, und zu dem Amt gestellet Bruder Andreas Ehrenpreis. » Väterlied Str. 98.

Im 17. Jahrhundert war für die mährischen Täufer die Zeit freier Ent­ faltung vorüber. In den entsetzlichen Greueln des 30jährigen Krieges geriet die mährische Brüdergemeinde hart an den Rand des Verderbens. Am 28. Juli 1620 überfielen 1500 kaiserliche Soldaten des Nachts den Bruderhof Fribitz und richteten ein grauenhaftes Blutbad unter den Wehrlosen an. 72 Personen wurden auf unmenschliche Art niedergemacht und die übrigen mit Hab und Gut gefangen weggeführt. In dem sog. Pribitzerlied werden in 36 12zeiligen Strophen diese grauenhaften Ereignisse eingehend geschildert. Nach der schreck­ lichen Niederlage der Protestanten am weissen Berge bei Prag im November 1620 zogen viele der überlebenden mährischen Brüder nach Siebenbürgen und Ungarn. Zwei Jahre später wurden die Zurückgebliebenen von Kaiser Ferdi­ nand II. mit Gewalt aus ganz Mähren vertrieben. Ein Mandat vom 28. Sep­ tember 1622 verfügte im Namen der Kaiserlichen Majestät : « Dass all dieje­ nigen, so der Hueterischen Bruderschaft zugetan, es sei mann oder Weibsper­ sonen von gemeltem dato an über 4 Wochen bei hoher Leibs- und Lebens­ straf sich nit weiter in Mähren sollen finden und betreten lassen. » I3) Kardinal von 'Dietrichstein führte mit grausamer Strenge die Vertreibung durch. Als einzelne Adelsherren dennoch die Täufer in Schutz nahmen, erging im April 1624 ein weiteres Mandat. Diesem zufolge sollten diejenigen der huterischen Brüder, die in Mähren ergriffen würden, ohne weiteres Urteil und Recht niedergehauen oder an die nächsten Bäume aufgehängt oder verbrannt werden, wozu der Geschichtsschreiber bemerkt : « Hie secht, ob sich daz der evangelischer Leer gleicht ». Die römische Priesterschaft setzte alle Hebel in Bewegung, um die schwer heimgesuchten Täufer in den Schoss der Kirche zurückzuführen, was bei einigen auch gelang. Aber erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann der Verfall der Gemeinde. Als die Brüder innerlich erlahmten, gaben sie schliess­ lich dem Druck der Kirche nach. Indem sie sich dem Befehl fügten, « dass kein kind soll sterben ohne den tauff », wurde « ein grösser Marchstein ver­ rückt. » Dabei blieb es aber nicht. Es folgte die Verordnung, die neugeborenen Kinder dürften nur durch den katholischen Priester getauft werden. Durch solches Nachgeben « ward der zweite Marchstein in der gemain verrückt, da man von dem Artikel der Väter abging. » Ein Teil der Getreuen wanderte nach Russland und später nach Amerika aus, wo sich noch heute Nachkommen der alten huterischen Gemeinden be­ finden.

13) Joseph Beck: a. a. O. S. 407.

284 13. Kapitel

Die Zwickauer Propheten

Die Führer der Taufgesinnten im Reformationszeitalter werden vielfach verdächtigt, als hätten sie vorwiegend soziale und politische Absichten gehabt. Es waren aber ganz andere Ziele, die sie verfolgten, höhere Ideale, die ihnen vorschwebten, nämlich ein idealer Zustand der christlichen Kirche. Aber die höchsten menschlichen Ziele und Ideale können, wenn sie von Menschen schwär- merich verfolgt werden, zu Ueberspanntheiten und Irrtümer führen. Es war für die Taufgesinnten Brüdergemeinden ein grosses Unglück, dass sich in jener Zeit auch eine Bewegung geltend machte, die einen religiös schwär­ merischen Charakter hatte. Die ungeduldige Hast, mit welcher einige dieser Leute die durchgreifende Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden erhoff­ ten, verleitete sie zu dem Wahn, die Zukunft des Reiches Gottes mit Gewalt herbeiführen zu wollen. Sie hatten keinen Sinn mehr für die nüchterne Wahrheit, dass das Reich Gottes in diesem Zeitalter sich nicht in äusserlich sichtbarer Weise offenbart, sondern inwendig in den Herzen der Menschen (Luk 17, 20. 21). Christi Wort : « Mein Reich ist nicht von dieser Welt » wurde nicht mehr beachtet. Daher kam es, dass sie die Grundwahrheit der Nachfolge Christi, « durch Leiden zur Herrlichkeit » vollständig aus den Augen verloren. Die nüchterne, evangelische Bewegung der Taufgesinnten hatte von Anfang an sehr wenig Beziehungen zu diesen Schwärmern .Weil sie aber auch die Erwachse­ nentaufe forderten, wurden sie von den Obrigkeiten als Wiedertäufer bezeich­ net und mit den « stillen Täufern » zusammengeworfen. Um diese in Verruf zu bringen, hat der Zürcher Chronist Heinrich Bullin- ger in seiner schon erwähnten Schrift die genannten Einseitigkeiten als die eigentlichen Charakterzüge der ganzen Täuferbewegung hinzustellen versucht. Dass er in seiner Darstellung irre ging, gilt heute für eine erwiesene Sache. Was einzelne Hitzköpfe dachten und ausführten, wurde allen zur Last gelegt. Es wurde sogar die Behauptung aufgestellt, dass die Zwickauer Propheten, von denen hier die Rede sein soll, und Thomas Münzer, der Führer des Bauern­ aufstandes, « die Väter und Begründer des Anabaptismus » seien. ‘) Bullinger schreibt in seiner Reformationschronik : « Thomas Münzer hat sich hie uffhin in diese Landts art gethan, und da zu imm Grebel, Mantz und andere unrü- wige geister kummen und den widertouff uss dem Müntzer gesogen habend.2)

1) Ludwig Keller; Die und die ältern Reformparteien.

2) Walther Köhler: Das Buch der Reformation von Huldrych Zwingli. S. 184.

285 Münzer sei « der Patriarch oder erst fürneme Stifter der widertäuferischen Sect ». Der Gegensatz zwischen Reformation und Täufertum gestaltete sich na­ mentlich auch desshalb so feindselig, weil man die Ausschreitungen der Zwickauer Propheten und das wahnwitzige Treiben eines Thomas Münzer nicht unterscheiden wollte von dem stillen Wirken der wahren Täufer und ihrem Bekenntnis. Auf Grund zuverlässiger Forschungen hat sich die Ueber- zeugung mehr und mehr Bahn gebrochen, dass ein Thomas Münzer durchaus nicht unter die Täufer gerechnet werden kann und dass die täuferische Bewe­ gung mit jenen Verirrungen nichts zu tun hatte. Münzer war kein Täufer, sondern ein irregegangener Lutheraner. Dennoch machte man die ganze täu­ ferische Richtung für seine Ausschreitungen verantwortlich. Jedenfalls ist es ebenso wenig berechtigt, die Ursache solcher Ereignisse in der Glaubenstaufe zu suchen, als die Ursache der protestantischen Verweltlichung in der Kinder­ taufe. Die schwärmerische Bewegung nahm folgenden Verlauf : Zu Zwickau in Sachsen hatte Luthers Lehre Eingang gefunden. Hier traten Männer auf, die die eingeführte Reformation nicht für genügend erklärten. Sie hatten erkannt, dass die Reformation in ihren Anfängen stecken geblieben und Luthers Gemeindeprinzip innerhalb der protestantischen Kirche versagt hatte. In Luthers Rechtfertigungslehre fanden sie nicht volle Beruhigung. Sie hatten erkannt, dass tief im innersten Wesen des Menschen eine grundlegende Veränderung vorgehen müsse. Das Beseligende des Evangeliums für den Erden­ pilger schien ihnen in der alten Kirche verloren gegangen und in der neuen nicht wieder gefunden worden zu sein. Jene Gottseligkeit, jene Bruderliebe der ersten christlichen Zeiten war verschwunden. Der Christus, der in armer Gestalt einhertrat, schien ihnen auf Erden vergessen. Ihr Sinnen und Streben neigte zur gänzlichen Umgestaltung des christlichen Lebens und zur Zurück­ führung desselben zum Vorbild der apostolischen Zeiten. Es verdient die grösste Beachtung, dass ihre Heilslehre kein Werk kalter Spekulation war, an der das Herz oft wenig teilnimmt, sonden dass sie aus dem innersten Lebensmark, aus dem lebendigsten Drang des sittlich-religiösen Bewusstseins hervorging. Ihre Erkenntnis wirkte gewaltig auf ihre menschli­ che Natur und gab ihrem ganzen Leben jene entschlossene Festigkeit, die Bewunderung verdient, auch da, wo sie nicht ohne Irrtum ist. Als solche Männer nennt die Geschichte insbesondere Nikolaus Storch, Markus Stühner und Thomas Münzer, Prediger an der Katharinenkirche zu Zwickau. Wie Luther machten sie den Grundsatz geltend : Die Bibel ist die einzige Quelle der Heilslehre. Dabei blieb es aber nicht. Besonderes Gewicht legten sie auf die wirkende Kraft des Geistes, dem sie nach und nach grössere Bedeutung beimassen als dem geschriebenen Wort. So kam es, dass sie Luther vorwarfen er klebe noch zu sehr am Wort und verstehe den Geist nicht. Somit überliess man sich denn, alles wissenschaftliche Streben für Abgötterei aus­

286 gebend, ganz der unmittelbaren Leitung des Geistes Gottes. Man pries den Vater und Herrn Himmels und der Erde um desswillen, dass er seine Lehre den Unmündigen offenbart habe, und erwartete Offenbarungen im Gebet, in Träumen und Visionen. Sie fielen in Entzückungen, zitterten und lagen oft lange unbeweglich am Boden. Kamen sie wieder zu sich, dann prophezeiten sie und erzählten Wunder. Viele konnten die Geheimnisse nicht aussprechen, die sie gesehen ; bald war ihnen Christus erschienen, bald hatte der Vater zu ihnen geredet, bald hatten sie Befehle von den Engeln bekommen. So kamen sie zu der Ueberzeugung, dass sie von Gott beauftragt seien, das wahre Christentum und das wahre Leben in Gott wiederherzustellen. Sie verkündeten : Eine neue aus lauter Gerechten bestehende Gemein­ schaft solle in Erscheinung treten, die ohne jegliches äussere Gesetz und ohne Obrigkeit bestehe, indem in allen ihren Gliedern das in das Herz geschriebene Sittengesetz erwache und im Leben sich darstelle. Selbst die heilige Schrift werde aufgehoben, da die vollkommenen Kinder Gottes derselben nicht mehr bedürften, weil ihr Inhalt ihnen zur zweiten Natur geworden sei. Auch wür­ den keine Ehen mehr eingegangen, und ohne dass man sich freien lasse werde eitel heilige Frucht gezeugt werden, ohne alle sündliche Lust. Man sieht auch hier, dass Uebergeistlichkeit immer zu Ungebundenheit, ja zu Zuchtlosigkeit führt. Ihr öffentliches Auftreten war eine fortgesetzte Busspredigt. Es kam so weit, dass sie auf offener Strasse, sogar in tiefer Nacht schrien : Tut Busse, tut Busse ! bis es zu Tumulten kam und die Behörden einschritten. Mehrere wurden ergriffen, verhört und ins Gefängnis geworfen. Andere entkamen und machten sich davon. Dies geschah im Jahr 1521. Der unglückliche Ausgang ihres ersten Auftretens in Zwickau schlug ihren Mut keineswegs nieder ; vielmehr wurden sie in ihren Behauptungen kühner und in ihrem Auftreten noch freier. Sie schwärmten in die umliegende Gegend aus und verbreiteten das begonnene Werk. Die Häupter aber eilten nach Wittenberg, dem Sitz der Reformation, um sich an höchster Stelle über den Widerstand zu beschweren, den sie in Zwickau von Seiten des Magistrats und der Geistlichkeit bei Verkündigung ihres Evangeliums erfahren hatten. Nikolaus Storch sprach dort im Tone eines Propheten, der die volle göttliche Erkenntnis zu offenbaren und das wahre Reich Gottes aus Erden zu verwir­ klichen gesandt sei. Der Stand der Dinge in Wittenberg war ihnen bei ihrem Erscheinen äusserst günstig. Luther war fern, er sass verborgen auf der Wartburg. In Wittenberg schien nun Andreas Rudolf Rodenstein, genannt Karlstadt (1480- 1541), der erste und wärmste Verteidiger Luthers, den Ton anzugeben. Wäh­ rend dieser Zeit wurden viele Neuerungen und Veränderungen des bisherigen Kirchenwesens und äusseren Gottesdienstes durchgeführt. Frühere Augustiner­ mönche erklärten öffentlich, der Gottesdienst müsse von den Missbräuchen, de­ ren Verkehrtheit und Schriftwidrigkeit durch die gewonnenen Einsichten in volles

287 Licht gesetzt seien, befreit werden. Diesen Weg radikaler Reform betrat auch Karlstadt. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Zwickauer Propheten auch die Frage der Gültigkeit der Kindertaufe aufwarfen. Auch ihnen schien diese nicht in der Schrift begründet, ja vielmehr schriftwidrig zu sein. Der echte evangelisch biblische Glaube verlange daher ihre Abschaffung. Auch Melanchthon konnte sich dieser Lehre nicht verschliessen, er bekundete sogar ein reges Interesse für sie. Dank dieser Stellung zu den bedeutenden Männern der Reformation ge­ wannen die Zwickauer immer grösseren Einfluss und traten in Wittenberg offener auf. In ihren Lehren drangen sie aber nicht nur auf Aenderung und Bes­ serung des Lebens, sondern auch auf Vernichtung aller Wissenshaft. Bücher und Gelehrsamkeit seien unnütz, niemand brauche zu studieren noch gewinne einer anderswoher Erkenntnis als vom Herrn, wobei er keiner menschlischen Hilfe bedürfe. Auch das Studium des biblischen Buchstabens genüge n ich t; eine innere Erleuchtung, wie Storch sie habe, sei erforderlich. Trotz all dem Guten und der Wahrheit, die diese Männer lehrten, sehen wir doch, wie die einge­ schlagene Geistesrichtung, unter dem Schein der Frömmigkeit den grössten Irrtümern Tür und Tor öffnete. Ihre Auftritte aber riefen entschlossene Gegner auf den Plan, an deren Spitze ein Professor der Theologie, Martin Cellarius, stand. Dieser war es, der, dem Luthertum ganz ergeben, als Verfechter desselben gegen die Zwickauer offen auftrat. Aber der hitzige Gegner liess im Kampfe von seiner Ansicht ab und trat zu den Zwickauern über. Auch Karlstadts Partei näherte sich ihnen. Durch diese Vereinigung erhielt die Partei der ungestümen Neuerer sozusagen das Uebergewicht. Das brachte Melanchthon in arge Verlegenheit, so dass er sich an Luther wandte. Dieser antwortete ihm in einem längeren Brief, in welchem er ihn anwies die Geister zu prüfen, und die von ihnen gegen die Gültigkeit der Kindertaufe vorgebrachten Gründe zu widerlegen suchte. Er verstieg sich dabei zu der Behauptung es sei ein besonderes Wunder Gottes, « dass dieser Artikel, die jungen Kinder zu taufen, nie, auch von den Ketzern nicht, geläugnet worden. » Die Kindertaufe sei vielmehr der wahren und rechten Kirche einige und beständige Erkenntnis. Dies zu leugnen, halte er für eine grosse Gottlosigkeit, denn es hiesse soviel als : die Kirche leugnen. Die Antwort Luthers half Melanchthon nicht aus seiner Verlegenheit. Die angeführten Beweise für die Kindertaufe mochten ihm schwerlich ein­ leuchten, zumal gewisse Behauptungen wie die, dass die Kindertaufe auch von den Ketzern nicht geleugnet worden sei, nicht in jeder Hinsicht stichhaltig waren ; bewies doch die Geschichte zur Genüge das Gegenteil. Auch be­ kannte Melanchthon, Augustin habe die Kindertaufe mit nichts als mit der Gewohnheit bewiesen und sie bleibe an sich selbst eine überaus schwierige Frage. So ging die Entwicklung in Wittenberg in der oben angedeuteten Rich­ tung fort. Der reine Gottesdienst und das reine Christentum sollten herbei­

288 geführt werden. Die Universität fing an sich aufzulösen, denn Karlstadt hatte der allgemeinen Wissenschaft den Krieg erklährt. Er legte seine Titel ab, gab seine akademische Wirksamkeit auf und riet den Studenten, nach Hause zu gehen und Ackerbau zu treiben. Einen geistlichen Stand benötige man nicht, denn jeder Hausvater könne seine Kinder das Wort Gottes lehren. Jeder Geistliche solle, anstatt die Zeit mit unnützer Gelehrsamkeit zu vertreiben, ein Hand­ werk erlernen, um sich sein Brot nach dem Beispiel des Apostels Paulus durch Handarbeit zu verdienen. Die Schwärmerei nahm derart zu, dass einige das « päpstliche Babel» vollends zerstören und das Reich Christi mit Gewalt herbeiführen wollten. Karlstadt veröffentlichte seine Schrift : « Von Abthuung der Bilder und dass kein Bettler unter den Christen sein soll ». Darin verwirft er mit stürmischem Eifer den Bilder- und Heiligendienst. Luther aber, als er von der Sache hörte, rief : « Soll der Satan das Werk des Herrn also besudeln ? » und machte sich, ohne des Fürsten Erlaubnis abzuwarten, auf nach Wittenberg, wo er am 8. März eintraf. Nun kam es zwischen Luther und den Zwickauer Propheten zu scharfen Auseinandersetzungen. Luther hielt ihnen vor, ihre Lehren seien lauter Er­ dichtungen ihrer Einbildungskraft oder Erfindungen und Vorspiegelungen des bösen Geistes. Sie dagegen beriefen sich auf den heiligen Geist, der durch sie rede. Stübner sagte : « Höre Luther, damit du innewerdest, dass ich den Geist Gottes habe, will ich dir sagen, wie deine Gedanken stehen. Du neigest dich schon dahin zu glauben, dass meine Lehre wahr is t ! » Luther konnte sich vor Grimm kaum halten und rief : « Gott strafe dich Satan ! Euren Geist haue ich auf die Schnauzen ! » Damit gingen sie auseinander und die Zwickauer verliessen Wittenberg. Zu Karlstadt hat Luther seither nie mehr ein rechtes Zutrauen gewinnen können, er meinte immer er hielte es doch mit den Wiedertäufern. Das mag wohl der Grund dafür gewesen sein, dass man Karlstadt « gemeiniglich die Schuld beizumessen pflegte, dass er der Wiedertäufer und aller Schwärmer Urheber und Vater gewesen » .3) Der Bruch zwischen Luther und Karlstadt hatte schon mit Luthers Abend­ mahlslehre seinen Anfang genommen. In dieser hatte Karlstadt « eine neue Form der Messe » erkannt. « Sooft ich hineinblicke », hatte er geschrieben, « regt sich in mir die Galle. Am aller schlimmsten ist diese Stelle : Im Abend­ mahl trinken wir Vergebung der Sünden aus dem Kelche. » Die Ereignisse in Wittenberg steigerten den Gegensatz bis zur Unerträglichkeit. Luther nannte Karlstadt einen Judas, einen Verräter der evangelischen Sache, dem die Fürsten den Kopf hätten abschlagen sollen. Karlstadt musste desshalb aus Wittenberg weichen und klagte, er sei « unverhört und unüberwunden durch Martin Lu­ ther vertrieben » worden. Er kam zunächst nach Strassburg, wohin Luther

3) Gottfried Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie, II. Teil. Kap. XXI.

289

19 am 1. Dezember 1524 sein warnendes «Sendschreiben an die Christen von Strassburg» richtete. Zu Anfang des Jahres 1525 veröffentlichte er sodann seine ziemlich umfangreiche Schrift « Wider die himmlischen Propheten », in welcher er mit der ganzen Gewalt seines autoritären Geistes das Treiben Karlstadts verurteilte, ihn an den Pranger und als einen vom Teufel Besesse­ nen hinstellte. Karlstadt seinerseits antwortete in mehreren Streitschriften. Er schrieb am 24. Juni 1525 eine « Entschuldigung des falschen Namens der Aufruhr, so ihm ist mit Unrecht aufgelegt worden ». Er bestritt jede Ver­ bindung mit dem aufrührerischen Thomas Münzer. Nach Heitmüller soll sogar erwiesen sein « dass Karlstadts Erkenntnisse im Blick auf die Gestaltung biblisch-christlichen Gemeindelebens klarer, eindeutiger und folgerichtiger wa­ ren als die Luthers. » Aber durch Polizeigewalt hat Luther jede anders gear­ tete religiöse Richtung mit rücksichtsloser Schärfe bekämpft und auszurotten versucht. Die Situation wurde für Karlstadt sehr schwierig. Er lebte eine Zeitlang mit seiner Familie in bitterster Armut. Schliesslich trat er zu den Reformierten über, zog nach der Schweiz zu Zwingli und erhielt nach dessen Tod eine Stelle als Spitalprediger in Zürich. Später wurde er Rektor der Universität Basel, woselbst er im Jahr 1541 an der Pest starb. Auch Cellarius soll zu den Reformierten übergetreten sein und in Basel gewirkt haben. Beide Män­ ner haben also für das eigentliche Täufertum keine weitere Bedeutung erlangt. Die Vorgänge in Wittenberg wirkten sich aber auf die freie evangelische Entwicklung der Reformation äusserst hemmend aus. Der ungeduldige Eifer der Schwärmer bewirkte bei Luther eine Abneigung gegen jedes freie Pre- digertum. Er verleugnete fortan sein Prinzip der Glaubens- und der Gewis­ sensfreiheit mehr oder weniger und eröffnete einen Kampf nicht nur gegen die sogenannten Rotten- und Schwarmgeister, sondern auch gegen die aufstän­ dischen Bauern. In seiner berüchtigten Schrift « Wider die mörderischen und räuberischen Kotten » forderte er die Fürsten auf, rücksichtslos auf die Bauern loszuschlagen : « Steche, schlage, würge hier wer kann, und bleibst du darü­ ber tot, ein seligerer Tod kann dir nimmermehr überkommen. » Diese Schrift, in der die Bauern als « Mordpropheten» bezeichnet werden, verträgt sich schlecht mit seiner Botschaft von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben.

* * *

Von da an wandte sich das Interesse der Zeit mehr und mehr Thomas Münzer zu. Er durchwanderte mehrere Länder, auch die Schweiz, kehrte nach Deutschland zurück und erhielt eine Predigerstelle zu Altstedt. Aber hier offen­ barte sich sein unruhiger Geist. Statt im Vertrauen auf Gottes Wort in Liebe und Geduld zu reformieren, wollte er stürmisch revolutioneren. Neben seiner Beanlagung zu religiöser Schwärmerei besass er grosse natürliche Gaben, welt­ liche Schlauheit und leidenschaftliches Feuer. Er schritt in seinem Fanatismus zur Predigt des Aufruhrs fort. Aus Sachsen vertrieben, veröffentlichte er seine

290 masslose Schrift gegen Luther : « Wider das geistlose sanftlebende Fleisch in Wittenberg ». Alle seine Bestrebungen gingen darauf aus, die in der Schrift verheissene evangelische Freiheit der Kinder Gottes zu realisieren und jedes Hemmnis aus dem Wege zu räumen. Er wollte die Reformation der Kirche und des Staates durchsetzen und nicht wie Luther « auf halbem Wege » stehen bleiben. Die Losung lautete : kirchliche und bürgerliche Freiheit. Die Verwirklichung dieser Idee konnte aber nicht auf das religiöse Gebiet beschränkt bleiben. Münzer begriff sehr wohl, dass der Erreichung seines Ziels schier unüberwindliche Hindernisse im Wege lagen. Eines der grössten sah er in den Fürsten, deren Macht und Regiment er deshalb zu untergraben suchte. Zur Verwirklichung seines grossen Planes suchte Münzer das Volk auf den grossen Hauptschlag vorzubereiten, durch welchen die weltliche Herrschaft, gleich dem Priester­ tum, aus seinen Fugen gerissen und zertrümmert werden sollte. Nach der Vertilgung aller Gottlosen sollte dann auf Erden das Reich Christi aufge­ richtet werden. Jene Zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts waren in Deutschland eine Zeit der Gärung auf allen Gebieten, im kirchlichen, politischen und sozialen Leben. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Landbevölkerung, welche zu Frondienst gezwungen wurde, waren schlimmster Art. Ausserdem wurden die armen Leute von den Pfaffen betrogen und ausgesogen. Sie lebten unter gros- sem Druck und schreienden Ungerechtigkeiten ihre Tage dahin und sollten dabei alles geduldig ertragen ohne zu murren. Das Landvolk und die Bewohner der kleinen Städte waren seit längerer Zeit mit ihrem Zustande äusserst un­ zufrieden. In ihrer Hoffnung, ihre Rechte auf friedlichem Wege zu erreichen, wurden sie getäuscht. Nichts aber empört den Menschen mehr, als wenn er in seinem Vertrauen betrogen wird. Thomas Münzer kannte die Stimmung im Volk. Was war da natürlicher, als dass er die heftigen Schriften und Auffor­ derungen Luthers an das Volk, das Joch der geistlichen Herrschaft abzuschüt­ teln, in weltlichem Sinne auch auf die Obrigkeit anwandte ? Münzer forderte auf ,darüber nachzudenken, ob eigentlich Christus dazu um unsertwillen gelitten und uns erlöst habe, dass wir in Not und Elend blieben ? Diejenigen seien verrückt, welche behaupteten, man müsse unvernünftigen Fürsten gehor­ chen. Niemand dürfe Gott und dem Belial zugleich dienen. Der ganzen Welt stehe eine grosse Veränderung bevor; es werde jetzt geschehen, was Maria in ihrem Lobgesang verkündigt habe, dass die Stolzen von ihren Stühlen ge- stossen und die Niedrigen erhöht würden. Er hatte seine Phantasie mit 5. Mose 7, 2. Chron. 20 und Matth. 24 berauscht. Die ganze Bibel, aus welcher er die Vollmacht zu seinem Beginnen nahm, galt ihm aber sehr wenig mehr. Er sagte : « Was Bibel, Bubel, Babel ? Die Stimme Gottes im Menschen selbst ist zu hören. » Die politische und soziale Revolution beschäftigten Mün­ zer schliesslich mehr als die kirchlichen Reformen. Hatte er sich zuerst noch von religiösen Motiven leiten lassen, so traten nun bei ihm vornehmlich die po­

291 litischen Fragen in den Vordergrund, die er durch Anwendung von Gewalt zu lösen trachtete. Durch dieses Treiben veranlasst erging an die Altstedter der Befehl, ihren Prediger fortzujagen. Münzer aber kam ihnen zuvor und entwich bei Nacht. Als Reiseapostel warf er neuen Zündstoff in die aufgeregte Menge. Es war ihm leicht, das von seinen Unterdrückern betrogene Volk zu begeistern und zur Tat anzufeuern. Nach vielem Umherziehen setzte er sich in Mühlhau­ sen in Thüringen fest, dessen Bürger ihm anhingen. Bald hatte er das Volk vollständig auf seiner Seite, so dass der offene Aufruhr begann und der Rat abgesetzt wurde. Die allgemeine Gärung unter dem Volk war so gross, dass bei 40.000 Mann zusammenströmten, um das neue Gottesreich über die Gren­ zen des Mühlhauser Gebietes auszudehnen. Kampfbereit und voll Vertrauen auf den Sieg ihrer guten Sache standen sie den Fürsten und ihren Heeren gegenüber. Besonders lag es Münzer daran, die Bergleute der Grafschaft Mans­ feld an sich zu ziehen. Deshalb erliess er einen schriftlichen Aufruf an sie mit der Bitte, um Gottes willen aufzuwachen und den Streit des Herrn anzufa­ chen. Es sei hohe Zeit. Die Bösewichter müssten dran und ohne Erbarmen ausgerottet werden (5. Mose 7, 16). Sie seien schon verzagt, deshalb dürfe das Schwert, nun einmal vom Blut erwärmt, nicht wieder kalt werden. Der Brief war unterschrieben : Datum, Mühlhausen, anno 1525. Thomas Münzer, ein Knecht Gottes wider die Gottlosen. Mit fanatischer Beredtsamkeit wusste Münzer den Glauben der Bauern neu zu beleben. Mit Begeisterung zogen sie in den Kampf, und obgleich sie ihn zu beginnen pflegten mit dem Liede « Komm heilger Geist », hausten sie doch wie Würgengel. Schliesslich aber erlagen sie der geordneten Kriegsmacht der Fürsten, die nunmehr ihrerseits erbarmungslose Rache übten. Selbst Lu­ ther konnte sich des harten Worts nicht halten : « Schlagt die aufrührerischen Bauern tot wie die räudigen Hunde ! » Schonungslos wurden die Verfolgten niedergestochen, wobei etwa 5000 Bauern in der Schlacht bei Mühlhausen fielen. In Frankenhausen, das sich ohne Widerstand ergab, wurden sogleich 300 enthauptet. Münzer wurde gefangen genommen, verhört, gefoltert und mit dem Schwert hingerichtet. Sein Haupt wurde als Warnungszeichen auf einer Stange im Felde aufgesteckt. Von einer Sinnesänderung findet sich aber bei ihm keine Spur, obschon er seine Irrtümer hätte einsehen und bekennen müs­ sen, dass er zu weit gegangen war. Münzer hatte nicht bedacht, dass man nicht durch Heere oder Macht, sondern durch Gottes Geist zur Freiheit geführt wird, und dass die Freiheit von der Sünde die wahre Freiheit ist. Dass die Zwickauer Bewegung nicht identisch war mit den ändern täu- ferischen Bewegungen, steht ausser Zweifel, wiewohl es einzelne Kontakte gegeben hat. Grebel schrieb an Münzer im September 1524 : « Man soll das Evangelium und seine Annehmer nit schirmen mit dem Schwert oder sie sich selbst, als wir durch unsere Brüder vernommen haben dich also meinen und halten. Rechte, gläubige Christen sind Schaf mitten unter den Wölfen : Schaf

292 der Schlachtung müssen in Angst, Not, Trübsal, Verfolgung, Leiden und Ster­ ben getauft, in dem Feuer probiert werden... Sie gebrauchen auch weder weltli­ ches Schwert noch Krieg, denn bei ihnen ist das Tödten ganz abgetan. » Der grösste Gegensatz bestand also darin, dass jene die Gewalttätigkeit lehrten, diese am Prinzip der Wehrlosigkeit festhielten. Wenn vereinzelte Täufer Münzer zustimmten, so desshalb weil sie, durch die grauenhaften Verfolgun­ gen zur Verzweiflung getrieben, hie und da in Ueberspanntheiten verfielen und ihren Trost im Alten Testament suchten, bei Jehovah dem gewaltigen Gott und Rächer seines Volkes.

293 14. Kapitel

Der Münstersche Aufruhr

Bei den furchtbaren und weittragenden Folgen des Bauernaufstandes un­ ter Thomas Münzer sollte man meinen, die Menschen seien zur Besinnung und zur Ueberzeugung gekommen, dass etwas derartiges sich nicht wieder­ holen dürfe. Dem war aber nicht so. Die schauerlichen Dinge die sich einige Jahre später in der Stadt Münster in Westfalen zutrugen, übertrafen die Mülhauser Ereignisse noch bei weitem. Und wiederum sind es köstliche Wahrheiten, zum Teil die gleichen wie bei den Zwickauern, die der Feind benutzte, um die Gläubigen in Verblendung und Irrtum, ja bis in den religiösen Wahnsinn zu stürzen. Damit errang die Macht der Finsternis den denkbar grössten Sieg über die täuferische Bewegung, und das Ereignis gestaltete sich zu einer ungeheuren Niederlage der Gemein­ den. Die Folgen dieses Aufstandes lasteten schwer auf den Wehrlosen, bis ins 20. Jahrhundert hinein. Es ist eine erschütternde Tatsache, dass durch diese Trägödie das Gemeindechristentum und damit viele seiner Wahrheiten und Segnungen in Misskredit gebracht worden sind. Die Geschichte, kurz geschildert, war folgende : Melchior Hofmann, ein Mann von feuriger Natur, wurde im Jahr 1523 von der Reformation ergriffen und trat alsbald als Prediger auf. Voll Begeiste­ rung benutzte er seine weiten Reisen, die er von Berufs wegen unternahm, dazu, das Reformationswerk auszubreiten. W ir finden ihn als Reformato- rischen Vorkämpfer sogar in Livland. Er kam 1525 nach Wittenberg, wo er sich mit Luther und Bugenhagen besprach. Beachtenswert ist ein Sendschrei­ ben, das er von dort aus an die Christen zu Livland richtete, die er ermahnte : « Ringet nach Friede und Eintracht, auf dass kein Aufruhr unter euch werde. Duldet und leidet viel lieber Unrecht, als dass Christus in euren Herzen aus­ gelöscht werden möchte. Wer im Glauben an Christus hängt, der tut nieman­ den Böses, vergilt nicht Böses mit Bösem. Es sind Schwarmgeister und falsche Propheten, die gewisse Sprüche der Schrift zur Rechtfertigung des Aufruhrs gegen die Könige und Fürsten vorgeben, es ist von denen nicht christlich, die es tun. Wer mit dem Schwert kämpt wird mit dem Schwert gerichtet. » W ir ersehen aus diesem Brief, dass Hofmann damals noch nüchtern und biblisch dachte. Er fand denn auch bei Luther und Bugenhagen Anerkennung. Hofmann widmete sich mit grossem Eifer dem Studium der Propheten Hese- kiel und Daniel, sowie der Offenbarung des Johannes. Mit besonderer Vor­ liebe behandelte er in seinen Schriften die Lehre von den letzten Dingen.

294 Die Erschütterungen der Zeit erfüllten ihn bald mit der Ahnung von der Nähe des jüngsten Tages. Seine lebhafte Einbildungskraft liess in ihm den Gedanken aufkommen, die Weissagungen und Bilder der prophetischen Bücher bezögen sich auf seine Zeit. Wie Gott den Heiligen des Alten Testa­ ments gewisse Zeiten kundgetan habe, so offenbare er auch heute seinen Aus­ erwählten seine Zukunft. Hofmann betrachtete die Verkündigung der Ge­ heimnisse Gottes als den ihm von Gott bestimmten Lebensberuf. Er pro­ phezeite den jüngsten Tag als nahe bevorstehend. Mit dem Jahre 1526 hätten die letzten 7 Jahre der Weltordnung begonnen, und die zwei Zeugen in Offenbarung 11 seien in der Kraft und im Geiste des Elias und Henoch auf­ getreten aber von vielen nicht erkannt worden. Die Gegenwart sei eine Zeit grösser Drangsal, aber der Durchbruch des Sieges der Kirche stehe nahe bevor. Bald werde Christus seine Braut, die Gemeinde, aus der Wüste führen und sie auch äusserlich herrlich machen. Da Hofmann Ansichten über das Abendmahl vortrug, welche Luthers Lehre entgegengesetzt waren, wurde er den Wittenbergern entfremdet. Im Jahr 1527 ging er nach Kiel, wo er als Hofprediger Anstellung fand. Die Wittenberger wussten es dahin zu bringen, dass er seine Stelle als Prediger zu Kiel aufgeben musste, da er sich mit der gebildeten Geistlichkeit in einem schroffen Gegen­ satz befand. Er ging zunächst nach Ostfriesland, wo er mit Karlstadt zusam­ mentraf. Bald darauf reiste er nach Strassburg. Er fühlte sich am meisten zu den Täufern hingezogen, liess sich taufen und trat im Jahr 1529 öffentlich zu ihnen über. In ihren Kreisen nahm er bald eine bedeutende Führerrolle ein. Der Wormser Chronist Friedrich Zorn berichtet, dass Hofmann « in allen Sprachen ein gelehrter Mann und aller Wiedertäufer gemeiner Reformator war ». Seine prophetische Begeisterung wirkte wie ein zündendes Feuer. In der Strassbur­ ger Gemeinde traten alsbald männliche und weibliche Personen auf, die mit wärmster Ueberzeugung predigten : Christi Wiederkunft sei nahe bevorste­ hend und mit ihr der Tag des Gerichts ; das tausendjährige Reich hebe an und Strassburg werde das neue Jerusalem, wo 144.000 Auserkorene Zusam­ menkommen würden. Von dort gingen Kräfte, Zeichen und Wunder aus, denen niemand zu widerstehen vermöge. Zwei Zeugen, Elias und Henoch würden alsbald auftreten. Melchior Hofmann sei kein anderer als der erstan­ dene Elias. Nach ihm werde Henoch kommen. Die 144.000, die von Strassburg ausgehen würden, seien keine anderen als die in Offenbarung 14 geschilderten, also das wahre geistliche Israel, das das rechte Evangelium über alle Welt verbreiten werde. So wie Strassburg das rechte geistliche Jerusalem sei, sei Rom das geistliche Babylon. Das Jahr 1533 sollte der Wendepunkt in der Geschichte bilden, wo die zwei Zeugen alle Gottlosen mit dem Hauch ihres Mundes verzehrten. Hofmann unternahm wiederholt Propagandareisen nach Ostfriesland und den Niederlanden. Mit fieberhaftem Eifer zog er umher, predigend und taufend.

295 Zu Emden allein taufte er nicht weniger als 300 Personen, darunter Jan Volkert, seinem Handwerk nach « Trypmaker » genannt. Als Hofmann, gezwungen zu entweichen, nach Strassburg zurückging, setzte er Trypmaker als Vorsteher der Gemeinde ein. Hofmann kehrte aber bald wieder nach den niederländischen Provinzen zurück und durchreiste mit Volkert die Gegenden wie in einem Siegeszuge ; überall, sogar in den grossen Städten wie Amsterdam, fanden sie grossen Anhang und gründeten Gemeinden. Hofmann wird deshalb zu Recht der « Vater der niederländischen Taufgesinnten » genannt. Bald waren aber die Behörden sehr strenge hinter ihnen her. Trypmaker und acht seiner Mitarbeiter wurden in Amsterdam des Nachts aus den Betten geholt und nach Den Haag geführt. Nach 14tägiger Gefangenschaft wurden sie auf Befehl des Kaisers am 5. Dezember 1531 daselbst enthauptet. Ihre Köpfe wurden in einem Fass nach Amsterdam geschickt und zum warnenden Beispiel auf Pfähle gesteckt. Hofmann liess sich aber dadurch nicht abschrecken. Er zog weiter im Lande herum, ermutigte seine Anhänger und warb neue. Auf dieser Reise be­ suchte er die Gemeinden in Ostfriesland und erhielt dort eine Prophezeiung die sein Leben lang auf ihn Einfluss ausübte. Ein alter Mann sagte ihm : « Du wirst zu Strassburg ein halbes Jahr lang ins Gefängnis gelegt werden, allein nachher wirst du in Freiheit durch deine Diener und Anhänger dein Predigtamt über die ganze Erde anordnen. » Nach Strassburg zurückgekehrt wurde er sogleich ergriffen und eingeker­ kert. Mit grösser Begeisterung zog er ins Gefängnis und dankte Gott für die Stunde seiner Schmach, der nun bald, nach der Weissagung des alten Mannes, die Stunde seiner Ehre folgen sollte. Seine Anhänger, durch die Erfüllung der einen Hälfte der Weissagung im höchsten Grade begeistert, glaubten nun schon im voraus bestimmt an die Erfüllung der ändern Hälfte : dass dieser Hoffmann der grosse Prophet und Apostel werde. Voller Spannung sahen viele unter den Täufern das Jahr 1533 verlaufen, von dem sie Aussergewöhnliches erwarteten. Würde die Prophezeiung Hof­ manns sich wohl erfüllen und der neue Prophet Henoch erscheinen ? Endlich im September 1533 wagte Jan Matthiesen aus Haarlem, von Beruf Bäcker, und Schüler Melchior Hofmanns, offen zu bekennen : « Ich bin Henoch, der zweite Zeuge ! » Die anfänglichen Zweifel vieler Anhänger Hofmanns zerstreute er durch den Hinweiss, dass solche Zweifler ganz und gar zur Hölle verdammt seien und auf ewig dem Teufel übergeben würden. Dieses Anathema wirkte. Von nun an waren sie dem neuen Propheten zugetan und gehorsam. Hof mann unterhielt zu Beginn seiner Gefangenschaft einen regen Verkehr mit seinen Gesinnungsgenossen, wurde aber später von der Aussenwelt ganz abgeschlossen. Er starb nach einigen Jahren, von den Seinen vollständig ge­ trennt, einsam im Kerker. Seinen Weissagungen aber entspross eine Saat, wie er sie sich sicherlich nicht vorgestellt hatte.

296 Indessen wurde Jan Matthiesen sozusagen das Haupt der ganzen Bewegung. Es führte jedoch das Werk Hofmanns nicht mehr in dessen Sinn und Geist weiter. In das religiöse Streben mischte sich bald soziales und politisches Trachten. Um das angefangene Werk besser fördern zu können erwählte er sich zwölf Apostel, sandte sie aus in die Städte Hollands, nach West- und Ost­ friesland und nach Westfalen und ermahnte sie mit den Worten : « Zweifelt nicht daran, lieben Brüder, wir sind nicht weniger mit Kraft und Wunderga­ ben ausgesandt, als die Apostel am Pfingsttage. Fürchtet euch ferner nicht vor der grossen Tyrannei. Christenblut soll nicht mehr auf Erden vergossen werden. Gott wird in kurzem alle Tyrannen und alle Gottlosen von der Erde vertilgen, die so viel Blut vergossen haben. » Diese Apostel gingen hin und predigten in den genannten Gegenden, dass die Zeit der Erfüllung der Verheissungen vor der Tür sei und das tausend­ jährige Reich hereinbreche. Die Vernichtung der jetzigen Weltordnung voll­ ziehe sich durch Matthiesen und seinen Genossen. Der Herr selbst werde durch die Brüder alle Gottlosen vertilgen. Zwei von diesen Aposteln kamen am 24. November 1533 nach Münster in Westfalen und arbeiteten daselbst mit grossem Erfolg. Der lutherische Refor­ mator Bernhard Rothmann hielt es anfangs nicht mit ihnen, sondern ermahnte auf der Kanzel die Gemeinde, zu beten, dass Gott sie bei seinem lauteren Worte erhalte und allen Rotten wehre, sonderlich den Wiedertäufern, die jetzt sich einzuschleichen begännen. Auch Luther schrieb an den Rat von Münster : « Der Teufel ist ein Schalk und kann wohl feine, fromme und gelehrte Pre­ diger verführen, welcher Exempel wir leider bis daher viel erfahren haben, welche vom reinen Worte abgefallen und zwinglisch, münzerisch oder wieder- täuferisch worden. Die sind auch aufrührerisch worden und haben immer mit in das weltliche Regiment gegriffen, wie Zwingli selbst auch getan hat, und es kann nicht anders sein, denn der Teufel ist ein Lügengeist und ein Mordgeist. Hütet euch vor solchen Geistern. » Trotzdem näherte sich Rothmann schliess­ lich diesen schwärmerischen Täufern und trat durch die Taufe öffentlich zu ihnen über. Sie gewannen auch den nachmaligen, durch ihre Partei gewählten Bürgermeister der Stadt, Knipperdolling. Durch diesen Erfolg ermutigt, fanden sich bald prophetische Stimmen, welche die Stadt Münster statt Strassburg als das neue Zion bezeichneten, in welchem das Königreich Gottes erscheinen werde. Auf nach Münster ! hiess es, um dort an dem Siege der Gläubigen teilzunehmen. Auf diese Weise schlug die ihrem Wesen nach friedliche täuferische Bewegung bei den Anhängern Jan Matthiesens in ihr gerades Gegenteil, in revolutionären Aufruhr um. In den Schriften der münsterischen Täufer, die Gottfried Arnold in seiner « Kirchen- und Ketzerhistorie » veröffentlicht hat, findet sich die Stelle : « Gott weiss, dass unser herzlicher Vorsatz war, als wir getauft wurden, um Christi willen zu leiden, was man uns antun würde, aber es hat dem Herrn anders gefallen und gefällt ihm noch, dass wir und alle rechte Christen zu dieser Zeit nicht nur

297 die Gewalt der Gottlosen mit dem Schwert abwehren, sondern er will auch seinem Volk das Schwert in die Hände geben, zu würgen alles, was ungerecht ist und Bosheit treibet auf der ganzen Erden. » Er habe eine Zeit des Leidens und Kreuzes gegeben ; jetzt aber sei die Zeit der Erlösung gekommen. Der Ruf dessen, was zu Münster sich durch die Apostel Matthiesen sowie durch Rothmann und Knipperdolling ereignete, verbreitete sich sehr schnell. Zu den nach Münster Hingezogenen gehörte auch der Holländer Jan Bockelson von Leyden, auch Johann von Leyden genannt. Er war von Matthiesen getauft und von diesem als Apostel nach Münster gesandt worden. Am 13. Januar 1534 langte Johann von Leyden in der westfälischen Hauptstadt an. Im Hause Knipperdollings wurde beraten, ob die Stadt sofort von den Hefen der Gott­ losen zu reinigen sei. Man war der Meinung, dass die Zeit, die Tenne zu fegen, noch nicht gekommen sei, man müsse zuerst noch mehrere dem Herrn gewin­ nen, bis die Zeit ihrer Mitgenossen erfüllt und die Gewonnenen im Glauben gestärkt seien. In diesen verhängnisvollen Tagen kam auch der Prophet Matthiessen selbst nach Münster. Von da an trat mehr und mehr der tollste Fanatismus zu Tage ; man hatte sozusagen jede klare Besonnenheit und allen gesunden Verstand verloren. Selbst der in Strassburg eingekerkerte Melchior Hofmann soll noch von seinem Kerkerfenster aus vor solch tollem Treiben in Münster gewarnt haben. Auch der Prophet Matthiesen kam nun zur festen Ueberzeugung, dass nicht Strassburg, sondern Münster die Stadt sei, wo der Herr sein neues Jerusalem aufrichten wolle. Als Oberprophet wusste er bald alle geistliche und weltliche Macht in der Stadt an sich zu reissen und führte ein Schreckens­ regiment. Viele Freunde der alten Ordnung, die nicht an die göttlichen Einge­ bungen der neuen Propheten glaubten, verliessen voll unheimlicher Ahnung die Stadt, mussten aber alle Güter zurücklassen. Dagegen strömten von allen Seiten Gesinnungsgenossen herbei, die glaubten, hier in Münster ihre Ideale verwirklicht zu finden. Auch hatte man überallhin Einladungen an die « Gläu­ bigen » erlassen, dem Wort Jer. 51 Folge zu leisten und aus Babylon zu fliehen, dabei an Lots Weib zu denken, auf dass ein jeglicher seine Seele errette. Jeder solle sich aufmachen nach Münster, dem heiligen Jerusalem, der Stadt Zion, um darin den Tempel Salomos und den wahren Gottesdienst aufrichten zu helfen. Da viele mit vollbeladenen Wagen ankamen, häufte sich der Proviant in der Stadt. Nun hielt Matthiesen den Augenblick für gekommen, da die noch in der Stadt gebliebenen Andersdenkenden umgebracht werden sollten. Knipperdolling widersetzte sich allerdings diesem Ansinnen. Dennoch wurde beschlossen, diese « Söhne Esaus » fortzujagen, da die Tenne von aller Unsauberkeit gefegt und das Unkraut mit der Wurzel ausgerottet werden müsse. Mit Grausamkeit wurden Männer, Frauen und Kinder ohne Unterschied des Standes und Alters

298 mitten im Winter halbnackt hinausgetrieben. Mütter mit ihren Säuglingen, Schwangere und Kindbetterinnen sah man unter Tränen und Wehgeschrei durch Sturm und Schnee wandern, wobei die Fanatiker die unaussprechlichen Wunder des Herrn rühmten, der ihnen herrlich beigestanden und sie aus der Hand der Feinde befreit habe. Der Widerstand einzelner wurde durch Todesurteile gebrochen. Alles musste sich zu den Füssen der wahnsinnigen Propheten beugen. Von diesem Tage an war Johann von Leyden das tatsächliche Haupt Fürstbischof zog mit einem Heere heran und belagerte die Stadt. Aber diese war fest, für mehr als ein Jahr verproviantiert, und die Verteidiger beseelte ein fanatischer Heroismus. Die Belagerung begann am 28. Februar 1534 und dauerte bis zum 24. Juni 1535. Mehrere gelungene Ausfälle, namentlich aber das zweimalige Misslingen der Bestürmung der Stadt erhöhten den Mut der Belagerten. Eines Tages verkündete Matthiesen, der Geist habe ihm geboten, als ein zweiter Gideon die Feinde zu vertreiben und die Stadt zu befreien. Er nahm einen langen Spiess und machte mit nur 20 Bewaffneten einen Ausfall. Aber einer nach dem ändern wurde von den Landsknechten in Stücke zerhauen und der Kopf Matthiesens auf eine Lanze gesteckt. Johann von Leyden wusste das misstrauisch gewordene Volk wieder zu trösten. Er gab vor, er habe diesen Ausgang vorausgewusst, aber Gott habe ihm geboten zu schweigen. Matthiesen habe zwar den göttlichen Auftrag erhalten, aber nicht allein auf Gott, sondern auch auf sich selbst vertraut. Von diesem Tage an war Johann von Leyden das tatsächliche Haupt von Münster. Durch ein Gesicht bewogen, glaubte er die Witwe Matthiesens heiraten zu müssen. Kraft seiner « himmlischen Offenbarungen» leitete er nun alles. Zwölf Aelteste mussten durch « göttliche Eingebung » an die Spitze des neuen Israel treten. Unter Gebet und dem Gesang « Ehre sei Gott in der Höhe » wurden diese zwölf Männer feierlich zum Regierungsantritt geweiht. Jeder bekam ein Schwert in die Hand. Monatelang hielten diese Schwärmer Münster in Bann. Johanns Ansehen und der Glaube an seinen prophetischen Beruf wuchsen von Tag zu Tag. Mitte Juli 1534 machte er seinen Predigern den Vorschlag, die Vielweiberei einzu­ führen, da dies ihm vom Geiste aufgetragen sei. Rothmann und seine Amts­ genossen widersprachen anfangs. Aber der Prophet schwur, seine Meinung sei die rechte, denn sie sei ihm vom Vater offenbart worden. Abraham, Jakob David und Salomo hätten mehr als eine Frau gehabt. Endlich fügten sich die Prediger der zügellosen Meinung des Propheten. Er selbst nahm mehrere Frauen und andere folgten seinem Beispiel. Freilich widersprachen die älteren Frauen, aber ihr Widerstand wurde durch Todesurteil bestraft. Mit Ueber- zeugung waltete Knipperdolling seines Scharfrichteramtes. Das schauervolle Drama gelangte nun zu seinem letzten Akt in welchem alle bisherigen Tollheiten noch überboten wurden. Ein neuer Prophet Johann Dusentschur berief das Volk auf den Markt und eröffnete ihm, der himmlische

299 Vater habe ihm offenbart, Johann von Leyden, der heilige Mann und Prophet Gottes, solle als König der Gerechtigkeit über den ganzen Erdkreis, über alle Könige und Gewaltige herrschen. Er solle sich auf den Stuhl Davids setzen, das Reich einnehmen und herrschen über alle Obrigkeiten. Hierauf salbte er den König und sprach : « Ich salbe dich zum König des neuen Tempels und des Volkes Gottes und im Angesicht des Volks rufe ich dich aus zum König über das neue Zion ». Johann von Leyden warf sich nieder und flehte gleich Salomo zu Gott um Weisheit und Verstand. Zugleich erklärte er, der himm­ lische Vater habe ihm schon längere Zeit diese Erhöhung geoffenbart, aber er habe geschwiegen, um nicht ungebührlicher Anmassungen verdächtig zu werden. Der neue König umgab sich mit einem grossen königlichen Hofstaate und ernannte seine Hof beamten. Knipperdolling wurde zum Stadthalter und Roth­ mann zum Redner ernannt. Er selber, der Monarch, prangte in fürstlichen Kleidern und in königlichem Schmuck. Zwei goldene, mit Juwelen besetzte Kronen wurden verfertigt, dazu eine kostbare Halskette, an welcher eine gol­ dene Kugel hing mit der Inschrift: « Ein König der Gerechtigkeit. » Der König wählte sich siebzehn der schönsten jungen Dirnen zu Kebs- weibern. Den obersten Platz, die Stelle der eigentlichen Königin, nahm Divara, die Witwe des getöteten Propheten Matthiesen ein. Auf dem Marktplatz ward ein prächtiger Thron mit drei Stufen erbaut, auf welchem der König öffentlich zu Gericht sass. Bis zum 24. Juni 1535 gelang es dem König, sich gegen die Belagerung zu halten. Während der ganzen Zeit der Belagerung Münsters waren die um­ liegenden Bezirke in fieberhafter Aufregung. Die Belagerten hatten Hilfe von einem allgemeinen Aufstand und Zuzug ihrer Glaubensgenossen aus aller Welt erwartet. Trotz der äussersten Hungersnot zweifelten sie keinen Augenblick an dem nahen Sieg. Die Prediger warnten vor dem Bauchgott und trösteten das Volk : Gott könne aus Steinen Brot machen. Im Glauben daran bissen Halbverhungerte in Steine und wandten sich getäuscht im Sterben ab. Vor Hun­ ger wahnsinnige Mütter sollen sogar ihre Kinder gegessen haben. Und doch wollten die Schwärmer nichts von Uebergabe wissen, man durfte an ihrer göttlichen Mission nicht zweifeln. Viele liefen zum Feind über, fanden aber auch dort ein trauriges Los ; sie wurden hingerichtet. Des wahnsinnigen Treibens müde, schlich sich in der Nacht ein Bürger, ]ohann Eck von der Langenstrat, in das Lager der Feinde und erbot sich dem Bischof, dem Heer den Weg in die Stadt zu zeigen. In der Nacht des 24. Juni 1535 schlich er mit einem Führer und 400 Mann in die Stad t; sie öffneten, nachdem sie die schlafenden Posten niedergehauen hatten, den anderen die Tore. Ein schreckliches Gemetzel begann, und viele Tausende fielen auf beiden Seiten. Der König Johann von Leyden wurde samt den ändern Führern festgenommen und seines königlichen Schmuckes beraubt. Die meisten Gefangenen, unter ihnen auch die Königin Divara, wurden sogleich

300 hingerichtet; Johann von Leyden, Knipperdolling und zwei andere Führer wurden an Händen und Füssen gefesselt und zu besonderen Strafgerichten aufgespart. Mehr als sechs Monate wurden sie verwahrt und mehrmals verhört. Von wahrer Busse fand sich bei ihnen jedoch keine Spur. Sie wurden verurteilt mit glühenden Zangen gequält zu werden, bis sie langsam dahinstürben. Das Urteil wurde im Januar 1536 auf dem Marktplatz in Münster, da wo einst Johanns Thron gestanden hatte, vollzogen. Bei diesen schauderhaften Martern schrie der König laut auf, dass alle Zuschauer sich entsetzten. Seine letzten Worte waren : « Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist » ! Ihre Leichname wurden nachher aufrecht in eiserne Käfige geschmiedet und auf dem Lambertusturm als Denkmäler, der König in der Mitte, etwas höher als die ändern, auf gehängt.

* * *

Wie lassen sich die münsterischen Verirrungen erklären ? Die münsterische Katastrophe hat ihren ersten Grund in den Irrtümern ihrer Führer. Ihre Auffassung vom geistlichen Kampf wirkte sich besonders verhängnisvoll aus. Sie vergassen, dass der Kampf im gegenwärtigen Zeitalter nicht in erster Linie ein aktiver, sondern ein passiver ist. So stellten sie sich im vermeintlichen Kampf für die Sache des Reiches Gottes auf völlig falschen Boden. Durch Machtdenken und Waffengewalt ist die Sache des Reiches Got­ tes noch nie wesentlich gefördert worden. Zwar ist das Warten auf ein Gottesreich, in welchem Gerechtigkeit und Friede herrschen wird, kein leerer Wahn. Das in den Evangelien verheissene Himmelreich, im Hinblick auf welches der Heiland uns beten le h rt: « Dein Reich komme », wird gewiss offenbar werden. Das Hauptvergehen der Führer des münsterischen Auf­ standes bestand aber darin, dass sie sich der Schrift nicht unterordneten. Das verheissene Friedensreich Christi, in welchem er seine Herrschaft herrlich offenbaren wird (Kol. 3 ,4 ), glaubten sie in diesem Zeitalter mit Gewalt herbeiführen zu müssen. Die grausame Verfolgungswut der Behörden gegenüber all denen, die in Glaubensdingen von der Lehre der Kirche abwichen, bildet den zweiten Grund der Katastrophe zu Münster. Die Stimmung der armen Verfolgten war überal eine verzweifelte. Der Druck der Verfolgung entfesselte das na­ türliche Rechtsgefühl, so dass man anfing, Bibelwahrheiten wie Röm. 12, 19 zu übersehen und nach Vergeltung zu dürsten. Kamen vollends Apostel wie die von Münster mit der Botschaft von einer bald anbrechenden Segenszeit der Gläubigen und dem Aufruf zur Rache daher, so griff das arme Volk in seiner Verzweiflung zu den Waffen, um im « Auftrag Gottes » die Vertilgung der Gottlosen zu beginnen. Mit Recht sagt Ludwig Keller : « Die herrschen­ den Parteien hatten auf Grund des Alten Testaments so lange mit Feuer und Schwert gegen die altevangelischen Gemeinden gewütet, bis sich aus den

301 Trümmern der Partei zuletzt eine Anzahl verzweifelter Fanatiker aussonderte, welche das gegebene Prinzip adoptierten und sich entschlossen sich mit denselben Waffen zu wehren, mit denen sie angegriffen wurden, das geschah in Münster seit der Einführung des neuen Israel. »*) Die friedfertigen und stillen Täufer haben sich von Anfang an von dem wüsten Treiben in Münster aufs entschiedenste abgewandt. In einer grossen Versammlung zu Bocholt in Westfalen im Sommer 1536 erklärten sie, dass die Waffen des Christentums nur geistliche seien und dass Christi Reich im gegenwärtigen Zeitalter keine sichtbare, politische Gestalt annehmen dürfe. Ihre Abkehr von allem gewalttätigen Streben war so gründlich, dass sie nie­ manden als Bruder anerkennen wollten, der die Taufe zu Münster empfangen hatte. Trotz dieser deutlichen Abkehr von allem schwärmerischen Wesen hat man ganz allgemein allen Täufern die Schmach der münsterischen Rotte zur Last gelegt. Es kam den Behörden gelegen auf diese Weise ihre Intoleranz auch gegen stille wehrlose Christen rechtfertigen zu können. Selbst der tole­ rante Landgraf Philipp von Hessen schrieb im Jahr 1559 : « Der Wiedertäufer viele haben eine unchristliche böse Sekte, wie sie das zu Münster und an­ derswo wohl bewiesen ». Er fügte aber doch hinzu, « dass unter ihnen auch fromme Leute sich befinden, die mit Gewalttat nichts zu tun haben, sondern nur im Glauben irren, und solche sollen mild behandelt werden. » Wurden sie aber gelinde behandelt, so fühlte sich die lutherische und reformierte Geistlichkeit berufen, immer wieder auf die « schlimme Abstammung » auf­ merksam zu machen. Man nahm den Standpunkt ein, dass in jedem Täufer im geheimen der Geist des Aufruhrs stecke, weshalb sie nicht zu dulden seien. Damit wurde der Boden gewonnen, von dem aus man es fertig brachte jene unmenschlichen Verfolgungen gegen die Täufer zu rechtfertigen.

(1 Ludwig Keller: Die Reformation und die altern Reformparteien. S. 453.

302 15. Kapitel

Menno Simons

Die Verwirrung, welche der münsterische Aufruhr in der Gemeinde an­ gerichtet hatte, und die rücksichtslose Verfolgung brachten die Taufgesinnten- Gemeinden dem Untergang nahe. Tiefe Trauer erfüllte die stillen Täufer ; hilfsbedürftig schauten sie nach Rettung aus. Gott erweckte ihnen in Menno Simons, einem ehemaligen römischen Priester in Westfriesland, einen Sam­ mler und Organisator. Menno war ein Mann von stillem Charakter, der aber mit ganzer Energie für seine Ueberzeugung einstand. Nach seiner Bekehrung nahm er sich in besonderer Weise der taufgesinnten Brüder an. Volle 25 Jahre hindurch bereiste er Ost- und Westfriesland, Holland, Westfalen und andere Gegenden und sammelte daselbst die zerstreuten Brüder zu ordentli­ chen Gemeinden. Allgemein wurde er deshalb von den Gemeinden als Lehrer anerkannt. Für Bestand und Wachstum des Täufertums erlangte er solche Bedeutung, dass später diese Gemeinschaft nach seinem Namen Mennoniten genannt wurde. (Bild Nr. 24). Ueber seine Bekehrung und ersten Erfahrungen gibt er selbst Aufschluss in seiner Schrift: « Menno Simons Ausgang aus dem Papstum » in « Opera omnia theologica ».

« Meine Leser, ist schreibe euch die Wahrheit in Christo und lüge nicht. Es ist geschehen anno 1524, im 28. Jahre meines Lebens, dass ich in meines Vaters Dorf, Pingjum (dem Nachbarsdorf seines Geburtsortes Witmarsum) ge­ nannt, mich in der Pfaffen Dienst begeben habe, woselbst auch zwei andere mei­ nes Alters mit mir in gleichem Dienste standen. Der eine war mein Pastor, ein nicht ganz ungelehrter Mann, der andere war unter mir. Diese beiden hatten die Schrift zum Teil gelesen, ich aber hatte sie mein Lebtag nicht angerührt, aus Furcht, ich möchte, wenn ich sie läse, durch sie verführt werden. Sehet, solch ein einfältiger Priester war ich während der Zeit zweier Jahre. In dem darauffolgenden Jahre kam mir, sooft ich mit dem Brot und Wein in der Messe die Handlung vornahm, der Gedanke, es könne nicht des Herrn Fleisch und Blut sein. Ich hielt das für Einflüsterungen des Teufels, um mich von meinem Glauben abzubringen, beichtete es oft, seufzte und betete, konnte aber dennoch von diesen Gedanken nicht loskommen. Die zwei vorhin genannten Männer und ich haben unser tägliches Leben in Spielen und Trinken und sonstigen eiteln Werken in Gesellschaft anderer hingebracht, wie denn leider solcher gottlosen Leute Art und Weise ist. Wenn wir dann zuweilen etwas über die Schrift verhandeln sollten, so konnte ich nicht ein Wort ohne Spott darüber mit ihnen sprechen, denn es mangelte mit gänzlich an einer eigenen Meinung, so verschlossen lag damals Gottes Wort vor meinen Augen.

303 Endlich fasste ich den Vorsatz, das Neue Testament einmal mit Fleiss zu untersuchen. Ich war noch nicht weit darin gekommen, als ich auch schon gewahr wurde, dass wir betrogen seien, und mein über Brot und Wein be­ kümmertes Gewissen wurde auch ohne alle Anweisung alsbald von seinen Zweifeln befreit, wozu Luther mir hilfreich war, als er mich überzeugte, dass Menschengebote uns dem ewigen Tode nicht preisgeben können. Ich schritt durch die gnadenreiche Erleuchtung des Herrn fort, die Schrift von Tag zu Tag genauer zu erforschen, und erlangte schnell — wiewohl mit Unrecht — bei einigen den Ruhm, ein evangelischer Prediger zu sein, ein jeder suchte und begehrte mich, denn die Welt hatte mich lieb und ich die Welt, und es hiess, dass ich Gottes Wort predige und ein freisinniger Mann sei. Darnach geschah es, dass ein gottesfürchtiger Held, Sicke Frerichs genannt, zu Leuwar- den enthauptet wurde (20. März 1531), weil er seine Taufe erneuert hatte. ‘) Es klang mir wunderlich in den Ohren, dass man von einer ändern Taufe sprach. Ich untersuchte nun die Schrift mit Fleiss und dachte mit Ernst da­ rüber nach, konnte aber über die Kindertaufe keine Nachweisung finden. Wie ich nun das gewahr wurde, habe ich mit meinem vorgenannten Pastor eine Besprechung über diesen Gegenstand gehalten und es nach vielen Worten so weit gebracht, dass er bekennen musste, dass die Kindertaufe in der Bibel keinen Grund habe. Doch durfte ich meinem eigenen Verständnis so noch nicht trauen und habe deshalb bei einigen alten Gelehrten Rat gesucht und diese lehrten mich, dass vermittelst derselben die Kinder von der Erbsünde rein gewaschen würden. Ich prüfte es an der Schrift und fand, dass solche Lehre gegen Christi Blut sei. Nachher ging ich zu Luther und wollte bei ihm Gründe suchen ; der belehrte mich, dass man die Kinder auf ihren eigenen Glauben taufen solle. Auch hier sah ich, dass es mit Gottes Wort nicht über­ einstimme. In dritter Stelle ging ich zu Butzer. Dieser lehrte, man solle die Kinder deshalb taufen, damit man ihrer umso sorgfältiger wahrnehme und sie in des Herrn Wegen auferziehe. Auch hier fand ich für die Kindertaufe kei­ nen Grund. Bullinger als der vierte wies mich auf die Beschneidung des alten Bundes hin, ich fand gleichfalls, dass diese Meinung der Schrift gegenüber nicht haltbar sei. Als ich nun überall fand, dass die Gottesgelehrten in ihren An­ sichten so weit auseinander gingen und ein jeder seiner eigenen Vernunft folgte, sah ich offenbar, dass wur mit der Kindertaufe betrogen seien. Einige Zeit nachher bin ich in ein anderes Dorf gekommen, Witmarsum genannt, darin ich geboren bin, und zwar bin ich aus Lust des Gewinns und aus dem Verlangen nach einem grösseren Namen dahin gegangen. Ich habe dort viel ohne Geist und Liebe vom Wort des Herrn gesprochen, gleichwie alle Heuchler tun... Wiewohl ich vieles aus der Schrift erkennen konnte, so ist mir doch diese Erkenntnis durch meine jugendlichen Begierden und unreines Le­ ben ohne Frucht geblieben; ich suchte nur Gewinn, Menschengunst, Ruhm und Ehre, gleich wie alle tun, die in demselben Schiff fahren. Dennoch, mein Leser, habe ich die Erkenntnis von der Taufe und dem Abendmahl durch die Erleuchtung des heiligen Geistes und Gottes Gnade mit vielem Lesen und Nachdenken und nicht durch andere verleitende Sekten, wie man mir Schuld gibt. Ich hoffe, dass ich die Wahrheit schreibe und keinen eitlen Ruhm suche, sofern indes auch andere mir in dieser Sache in etwas förderlich gewesen sein mögen, so will ich dem Herrn ewig danken. Mittler­ weile geshah es, wie ich beinahe ein Jahr dort war, dass etliche mit der Taufe

1) V gl. M ärtyrerspiegel hg. 1780. II. Teil S . 48.

304 der Erwachsenen hereinbrachen, von wo aber die ersten, die damit anfingen, herkamen, ist mir nicht bekannt, ich habe sie auch mein Lebtag nicht gesehen. Darnach ist die münsterische Sekte hereingebrochen, wodurch viele from­ me Herzen auch bei uns betrogen wurden. Meine Seele war in grösser Traurig­ keit. Ich merkte, dass sie eiferten, aber doch in der Lehre fehlten. Ich habe mit meiner geringen Gabe mich dagegen gestellt, mit Predigen und Ermahnen, so viel an mir war. Zweimal habe ich mit einem ihrer Lehrer Zwiesprache ge­ halten, einmal heimlich und einmal öffentlich. Aber meine Ermahnungen fru­ chteten nicht, tat ich doch, wie ich selber wohl wusste, was nicht recht war. Das Gerücht ging von mir, dass ich ihnen den Mund fein stopfen könne. Sie beriefen sich alle auf mich ; ich sah vor meinen Augen, dass ich der Unbuss­ fertigen Verfechter und Bürge war, dass sie sich alle auf mich verliessen. Das gab mir in meinem Herzen keinen geringen Schlag. Ich seufzte und betete : Herr Gott, hilf mir, dass ich doch nicht anderer Leute Sünde auf mich lade ! Meine Seele wurde bekümmert, ich dachte an das Ende, was ich denn gewon­ nen hätte, wenn ich auch die ganze Welt gewönne und noch tausend Jahre lebte, zuletzt aber doch Gottes Zorn ertragen müsste. Hiernach sind viele verirrte Schafe (bei 300 Mann), die keinen Hirten hatten, nach vielen Verfolgungen, Würgen und Umbringen auf einer Stelle nahe bei meinem Orte, in ein altes Kloster (Blcemkamp), zusammengekommen und haben leider infolge der gottlosen Lehre von Münster gegen Christi Geist, Wort und Beispiel das Schwert zur Gegenwehr gezogen, welches in die Scheide zu stecken dem Petrus durch den Herrn befohlen ward. Wie nun dies gesche­ hen war, ist das Blut derselben, wiewohl sie verleitet waren, so heiss auf mein Herz gefallen, dass ich es nicht ertragen noch Ruhe in meiner Seele fin­ den konnte.2) Ich dachte über mein unreines, fleischliches Leben nach, sowie über die heuchlerische und abgöttische Lehre, welcher ich noch immer diente, wenn auch nur mit Widerstreben und ohne alle Lust. Ich sah mit meinen Augen, dass diese eifrigen Kinder, ob sie auch einer irrigen Lehre folgten, ihren Leib und ihr Leben für ihre Ueberzeugung und ihren Glauben willig hingaben. Ich war einer von denen, welcher ihnen die Greuel der papistischen Lehre zum Teil mit aufgedeckt hatte, und ich blieb dennoch im Dienste dieser von mir als verwerflich erkannten Lehre, allein darum, weil ich mein gutes, bequemes Leben nicht aufgeben und das Kreuz nicht auf mich nehmen mochte. Als ich dies erwog, wurde meine Seele dermassen davon gequält, dass ich es nicht länger ertragen konnte. Ich dachte bei mir : ich elender Mensch, was tue ich, wenn ich bei diesem elenden Wesen bleibe und des Herrn Wort und meine empfangene Erkenntnis nicht durch mein Leben wahr mache, der Gelehrten Heuchelei, ihre verkehrte Taufe und Abendmahl, ihr fleischliches Leben und ihren falschen Gottesdienst nicht mit Gottes Wort nach meinen geringen Gaben Lügen strafe, den rechten Grund der Wahrheit nicht aufdecke, aus Furcht, mein bequemes Leben zu verlieren; die unwissenden, verirrten Schafe, die so gerne das rechte tun würden, wenn sie es nur wüssten, nicht zur rechten Weide Christi, so viel am mir ist, führe ; wie wird denn das im Irrtum vergossene Blut im Gericht des allmächigen Gottes gegen mich auftre- ten und über meine Seele Urteil und Recht sprechen ! Mein Herz in meinem Leibe zitterte, ich betete zu meinem Gott mit Seufzen und Tränen, er möge mir betrübten Sünder seine Gnade geben, ein reines Herz in mir schaffen, meine unreinen Wege, meinen Wandel mir um des Bluts Christi willen gnädi-

2) Unter den Getöteten befand sich Mennos leiblicher Bruder Peter Simons.

305 glich vergeben, mich mit Wahrheit, Geist und Freimütigkeit beschenken, dass ich seinen anbetungswürdigen Namen und sein heiliges Wort unverfälscht pre­ digen und seine Wahrheit an den Tag bringen möge. Ich begann darauf in des Herrn Namen das Wort einer wahren Busse von dem Predigstuhl öffentlich zu lehren, das Volk auf den schmalen Weg zu wei­ sen, alle Sünde und gotdoses Wesen sowie alle Abgötterei und falschen Gottes­ dienst mit der Kraft der heiligen Schrift zu bestrafen, den rechten Gottesdienst sowie Taufe und Abendmahl nach dem Sinn und Grund Christi öffentlich zu bezeugen, in dem Masse, wie mir zu dieser Zeit durch Gottes Gnade dazu Gabe und Erkenntnis verliehen war. Auch habe ich einen jeden vor den münsterischen Greueln treulich gewarnt, bis dahin, dass mir der gnädige Gott seinen väterlichen Geist, Hilfe und kräftigen Arm reichte, dass ich meinen Ruhm, den ich bei Menschen hatte, sowie alle antichristlichen Greuel und mein gutes, sorgenfreies Leben auf einmal ohne Bekümmernis fahren liess. Darnach habe ich mich in Elend und Armut unter den Druck des Kreuzes meines Herrn Christi willig gebeugt, nach meinem schwachen Vermögen in Gottesfurcht gelebt, nach Gottesfürchtigen gesucht und einige, wiewohl wenige in gutem Eifer für die Lehre befunden, die Verkehrten zu überführen gesucht, einige durch die Kraft und Hilfe Gottes und seines Wortes aus den Banden ihrer Sünden erlöst, für Christentum gewonnen und die Halsstarrigen und Verstockten dem Herrn befohlen. Siehe, meine Leser, also hat Gott die Gunst seiner grossen Gnade an mir elenden Sünder bewiesen, zuerst mein Herz gerührt, mir ein neues Gemüt ge­ geben, mich in seiner Furcht gedemütigt, mich einigermassen selber erkennen gelehrt und vom Pfade des Todes auf den engen Weg des Lebens in die Ge­ meinschaft seiner Heiligen aus Barmherzigkeit gerufen. Ihm sei Preis und Ehre in Ewigkeit. Amen. Nach einem Jahr geschah es, als ich schreibend und lesend in der Stille des Herrn Wort betrachtete, dass sechs bis acht Personen zu mir gekommen sind, die mit mir ein Herz und eine Seele, daneben in ihrem Glauben und Lebenswandel, sowiel als Menschen urteilen können, unsträflich waren, die sich von der Welt absonderten und nach dem Zeugnisse der Schrift lebten, das Kreuz auf sich nahmen und vor den Greueln der münsterischen Sekte von Herzen Abscheu hatten. Diese haben auf Andringen anderer Gottesfürchti­ gen, die mit ihnen und mir in gleichem Geist und Sinn wandelten, mich dringend ersucht, ich möge doch den grossen schweren Jammer und die Not der armen bedrängten Seelen beherzigen und mein Pfund, welches mir der Herr ohne mein Verdienst verliehen, gewinnreich anlegen. Wie ich dies hörte, wurde mir mein Herz sehr schwer. Bangigkeit und Bekümmernis erfüllten es allenthalben. Auf der einen Seite sah ich meine geringen Gaben und grosse Ungelehrtheit, die mir angeborene Blödigkeit, die grosse Bosheit, den Mutwil­ len, die Verkehrtheit und Tyrannei dieser Welt, die gewaltigen, grossen Sekten, die Spitzfindigkeit vieler Geister und das jämmerlich schwere Kreuz, welches mich so ich anfinge, nicht wenig drücken würde. Auf der ändern Seite den zum grossen Erbarmen grossen Hunger, Mangel und Not der gottesfürchtigen frommen Kinder, denn es war mir offenbar, dass sie irrten, gleichwie unwissende verlassene Schafe, die keinen Hirten haben. Zuletzt habe ich mich ihnen nach vielem Bitten mit der Bedingung hingegeben, dass sie und ich zu dem Herrn eine Zeitlang inbrünstig beten sollten. Wenn es alsdann sein heiliger Wille sei, dass ich ihm zu seinem Preise und Ehre dienen könne und solle, so möge seine väterliche Güte mir solch ein Gemüt und Herz geben, dass ich mit Paulus bezeugen müsse : « Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige. » Wo

306 aber nicht, dass er es verhindere. Denn Christus sagt: Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, dass sie bitten wollen, das soll ihnen wiederfahren. (Matth. 18,19.20). Siehe, meine Leser, also bin ich nicht von der münsterischen noch von einer anderen aufrührerischen Sekte, wie ich beschuldigt werde, sondern von solchen Menschen zu diesem Dienst, wenn auch unwürdig, berufen worden, die im Gehorsam Christi und seines Wortes bereit standen, ein bussfertiges Leben in der Furcht Gottes zu führen, die ihrem Nächsten in Liebe dienten, das Kreuz trugen, aller Menschen Wohlfahrt und Heil suchten, Gerechtigkeit und Wahrheit liebten und Ungerechtigkeit und Bosheit flohen. Dieses bezeugt kräftig, dass sie nicht eine so verkehrte Sekte, wie sie gescholten wurden, son­ dern wiewohl von der Welt verkannt, wahre Christen seien, wenn man anders glaubt, dass Christi Wort wahrhaftig und sein unsträfliches heiliges Leben und Vorbild unfehlbar und richtig sei. Also bin ich elender Sünder vom Herrn erleuchtet, zu einem neuen Sinn bekehrt, aus Babylon geflohen und gen Jerusalem gezogen und zuletzt unwür­ dig in diesen hohen und schweren. Dienst getreten. Denn als nun die Vor­ hergenannten mit ihren Bitten nicht nachliessen und mich mein eigen Gewis­ sen ängstigte, wie ich den grossen Hunger und die Not sali, so habe ich mich Leib und Seele dem Herrn übergeben, mich in seine Gnadenhand befohlen und zu seiner Zeit nach dem Gebot seines heiligen Wortes begonnen, zu lehren und zu taufen, auf des Herrn Ackerfeld mit meinen geringen Gaben zu arbeiten, an seiner heiligen Stadt und Tempel zu bauen, und habe gesucht, die ausgefallenen Steine wieder in ihre Stelle einzufügen. Der grosse und starke Gott hat nun das Wort einer wahren Busse, das Wort seiner Gnade und Kraft, nebst dem Gebrauch seiner heiligen Sakra­ mente, mittelst unseres geringen Dienstes, unserer Lehre und ungelehrten Schreibens, neben dem sorgfältigen Dienst, Arbeit und Hilfe unserer getreuen Mitbrüder in vielen Städten und Ländern offenbar gemacht. Er hat die Ge­ meinden so gedeihen lassen und sie mit so unüberwindlicher Kraft ausgerüstet, dass viele stolze Herzen nicht allein demütig geworden, die Unreinen nicht allein keusch, die Trunkenen nüchtern, die Heftigen und Hartherzigen milde und gütig, die Gottlosen gottesfürchtig, sondern dass sie auch um des ihnen gegebenen herrlichen Zeugnisses willen Gut und Blut, Leib und Leben ge­ treulich verlassen haben, gleichwie auch zu dieser Stunde noch täglich ge­ sehen wird. Dies nun sind doch keine Früchte noch Zeichen einer falschen Lehre worin Gottes Kraft nicht wirksam is t ; sie hätte auch unter so schwerem Kreuz nicht so lange bestehen können, wenn es nicht des Allerhöchsten Wort und Kraft wäre, die sich in ihnen mächtig erzeigte. Ja, was mehr ist, sie wurden in ihren Versuchungen mit solcher Weisheit und Gnade von Gott gestärkt, dass hochberühmte Gelehrte und Meister, wie auch alle blutdürstigen und stolzen Tyrannen, die sich auch rühmen, dass sie Christen seien, vor diesen unüberwindlichen Zeugen Christi überwunden und beschämt dastehen müssen, so dass sie keine andere Macht noch Wehr haben als fangen, peinigen, brennen, morden und umbringen, gleichwie der alten Schlange Brauch von An­ fang gewesen ist, welches man an vielen Orten in unsern Niederlanden noch leider täglich bemerken und sehen kann. Sehet, das sind unsere Berufungen, Lehren und Früchte, worüber wir so greulich belästert und so feindlich verfolgt werden. Mein ganzes Verlangen ist, dass ich die ganze Welt von ihrem gottlosen, bösen Wesen erlösen, Christum gewännen, meinen Gott von ganzem Herzen fürchten und lieben, suchen und dienen, vor ihm Recht und gut tun und als

307 ein unbescholtener frommer Christ mich erweisen könne. Dies ist all mein Be­ gehren von seiner Gnade. Ich hoffe durch des Herrn Barmherzigkeit und Hilfe, dass mich auch niemand auf dem ganzen Erdboden eines habsüchtigen und üppigen Wandels mit Wahrheit bezichtigen könne. Geld und gute Tage habe ich nicht, begehre sie auch nicht, und doch sagen einige, wiewohl aus ver­ kehrtem Herzen, dass ich mehr Gebratenes esse wie sie Gesottenes und mehr Wein trinke als sie Bier. Unser Herr Christus musste auch der Verkehrten Prasser und Weinsäufer sein, doch ich hoffe, dass ich hierin vor meinem Gott unschuldig befunden werde. Der, der mich mit dem Blut seiner Liebe erkauft und mich Unwürdigen zu seinem Dienst berufen hat, kennt mich und weiss auch, dass ich weder Geld noch Gut, weder Wohlleben noch Bequemlichkeit auf Erden, sondern nur allein des Herrn Preis und Ehre, meine und vieler Menschen Seelen Seligkeit suche. Darum habe ich mit meiner armen schwa­ chen Frau und kleinen Kindern Übermassen viel Bangigkeit, Druck, Betrübnis, Elend und Verfolgung nun schon seit 18 Jahren ertragen und ein kümmerli­ ches Leben führen müssen. Ja wenn andere Prediger in weichen Betten und Kissen schlafen, müssen wir uns gewöhnlich im Verborgenen heimlich verste­ cken.. Während sie auf Hochzeiten, Kindtaufen mit Flöten, Pfeifen und Trommeln prahlen, müssen wir uns vorsehen, wenn die Hunde bellen, ob nicht die Henker da sind. Wenn sie als Doktoren, Herren und Meister von jedem begrüsst werden, müssen wir hören, dass wir Wiedertäufer, Winkel­ prediger, Verführer und Ketzer seien, und werden in des Teufels Namen ge- grüsst, kurz, wenn sie mit guten Tagen und grossen Einkünften herrlich für ihren Dienst belohnt werden, ist unser Lohn und T e il: Feuer, Schwert und Tod. Siehe, mein getreuer Leser, in solcher Angst, Armut und Jammer habe ich elender Mann meines Herren Dienst bis zu dieser Stunde unverändert ausgeführt und hoffe dies zu tun, solange ich in dieser irdischen Hütte bin. Wonach ich und meine treuen Mithelfer nun in diesem beschwerdevollen Dienste getrachtet haben, vermögen alle Wohlgesinnten an dem Werke selbst und aus dessen Früchten zu ermessen. Ich will denn hiemit den getreuen Le­ ser demütiglich um Jesu willen gebeten haben, er möge doch dieses mir ab­ gedrungene Bekenntnis von meiner Bekehrung und Berufung in Liebe aufneh­ men und recht deuten. Ich habe es aus grösser Not getan, damit gottesfürchti- ge Leser den wahren Hergang erfahren, weil ich überall von den Priestern gelästert und ohne alle Wahrheit beschuldigt werde, dass ich von einer auf­ rührerischen Sekte abgeordnet und in meinen gegenwärtigen Dienst berufen sei. Wer Gott fürchtet, der lese und urteile ! Menno Simons. » 3)

So begann Menno Simons nach schweren inneren Kämpfen seine ge­ segnete Wirksamkeit. Von 1537-1541 diente er als Vorsteher der Gemeinde in Groningen. Unter vielen Gefahren und Entbehrungen machte er von dort aus seine Evangelisationsreisen, überall die Gemeinden ordnend und einen inneren und äusseren Zusammenschluss derselben bewirkend. Eine Menge von Personen wurden von der Finsternis zum Licht gebracht und für Gott ge­ wonnen. Deshalb wurden seine Widersacher je länger je mehr über ihn er­

3) Nach Mannhard: Stimmen aus der Reformationszeit. Aus Menno Simons hinterlassenen Schriften.

308 bittert, erliessen, um die Bewegung zurückzudrängen, einen Haftbefehl gegen ihn und erklärten ihn für vogelfrei. 1543 wurde auf öffentlichen Plätzen in Westfriesland ein Plakat mit seinem Bild und folgendem Inhalt angeschlagen : Derjenige, der Menno Simons beherberge oder ihm Handreichung tue, werde bestraft. Demjenigen aber, der ihn lebendig oder tot den Richtern ausliefere, würden hundert Gulden ausgehändigt. Und wäre der Ueberbringer selbst ein Mörder, so sollten ihm zudem noch alle Strafen begangener Bosheit erlas­ sen werden. Mehrere Anhänger Mennos wurden verbrannt, weil sie sich von ihm hatten taufen lassen oder ihn beherbergt hatten. Ein angesehener Mann, Tjard Kei- nerts, wurde 1539 gefangen nach Leeuwarden gebracht, weil er aus Mitleid und Liebe Menno heimlich verborgen hatte. Nachdem er beim Verhör seinen Glauben als Tauf gesinnter bekannt hatte, wurde er auf das Rad geflochten und so vom Leben zum Tode gebracht. Sogar seine Feinde bezeugten, dass dieser Reinerts ein unsträflicher und frommer Mann gewesen sei.4) Menno selbst wurde durch die Hand des allmächtigen Gottes auf das wunderbarste bewahrt. Einmal trat er in ein Kloster, an dessen Tor das Plakat gegen ihn angeheftet war, hielt dem Vorsteher desselben offen und kühn die römischen Irrtürmer vor und mahnte ihn zur Busse. Ein andermal wollte ihn ein falscher Bruder der Regierung in die Hände liefern mit dem Verspre­ chen, falls das Unternehmen fehlgehen sollte, seinen eigenen Kopf zu lassen. Dieser Verräter ging in Begleitung eines Gerichtsdieners aus, um Menno zu fangen. Und richtig. Menno kam, wie erwartet, auf einem Kahn gefahren, blieb aber merkwürdigerweise unbehelligt. Erst als er die Gefahr ahnend ans Land gestiegen und entflohen war, rief der Häscher : « Siehe da, der Vogel ist uns entkommen » ! Als der Gerichtsdiener ihn einen Schelm schalt und zur Rede stellte, gab er zur Antwort : « Ich konnte nicht sprechen, meine Zunge wurde gehalten. » Anstatt Menno, kostete es dem treulosen Judas, seinem Versprechen gemäss, den Kopf. So stand Menno um seines Glaubens willen viele Gefahren und Leiden durch. Er schrieb an die Gattin seines Mitarbeiters Leonhard Bouwens: « Bist du für deines Mannes Fleisch bekümmert, so gedenke und glaube, dass unser Leben nach Handbreiten abgemessen ist, dass Leben und Tod in des Herrn Hand steht und dass ohne den Willen des himmlischen Vaters nicht ein Haar von unserem Haupte fällt. Er bewahrt uns wie seinen Augapfel. Elias, Elisa, David, Daniel, Sadrach, Mesach und Abednego, Petrus und Paulus sind alle den Händen der Tyrannen entronnen und niemand hat ihnen ein Haar krümmen können, solange der bestimmte Tag und die Stunde nicht gekommen waren. Denn solange der barmherzige Vater mehr Gefallen an unserem Leben als an unserem Tode hat, können sie uns nichts anhaben, wenn dem Herrn aber

4) M ärtyrerspiegel, a. a. 0 . II. Teil S . 66 f,

309 unser Tod wohlgefälliger ist als unser Leben, so werden wir auch ihren Hän­ den nicht entgehen. » Am Schwersten, litt Menno Simons wohl an den Gegensätzen mit seinen Mitarbeitern, die immer deutlicher und unüberbrückbarer sich zeigten. Menno hatte sich um 1535 von einem Anhänger Melchior Hofmanns, Obbe Philips, taufen lassen. Das bedeutet so viel, dass zwischen diesen beiden ein intimes Glaubensverhältnis bestand. Es war um die Zeit, als durch die Prophezeiungen Hofmanns weite Kreise von einer fieberhaften Erregung gepackt wurden. So wurde auch Obbe Philips von diesem « zweiten Pfingsten » erfasst und wirkte als « Prophet ». In Delft setzte er den Spiritualisten David Joris als Aeltesten ein ; zu diesem Dienst hatte er schon früher seinen Bruder ein­ gesegnet. Nun ordinierte er in Groningen auch Menno. Zwar widerstand Obbe der münsterischen Versuchung, doch soll er nach 1540 « ein Demas », also ein Abtrünninger, geworden sein, was Menno sicher geschmerzt haben wird. Der Gegensatz zwischen den phantastischen Visionen des David Joris, der als « geistgesalbter Prophet David » auftrat, und den nüchternen Auffassungen des Menno Simons, war unverkennbar. Menno nennt Joris in seinem Funda­ mentbuch einen falschen Propheten, der mit seinen Einbildungen den « Betrüge­ reien des Teufels » verfallen sei. Trotzdem hatte Joris viele Anhänger und lebte im Bewusstsein zum Propheten und Reformatoren der ganzen Welt berufen zu sein. Unter dem Druck der Behörden musste Joris das Land verlassen und kam nach Basel, wo er unter dem Pseudonym Johann von Brügge noch einige Jahre gelebt hat. Die Lehre von der Gottheit Christi schien Menno besonders gefährdet zu sein durch das Auftreten des Adam Pastor, der im Jahr 1542 von ihm zum Aeltesten geweiht worden war. Der Streit über die Lehre von der Menschwer­ dung Christi scheint im Jahr 1546 begonnen zu haben und griff dann auf die Trinitätslehre über. Das Heil der verderbten Menschheit ist nach Menno nur dann garantiert, wenn Gott in Christus Mensch geworden ist. Pastor aber betonte sehr stark die Einigkeit und Unveränderlichkeit Gottes, dass Gott we­ der geboren werden noch sterben könne. Er leugnete dabei die Wesensgleich­ heit Gottes und Jesu, lehrte aber zugleich, dass Christus die Welt erlöst habe. So war an eine Einigung nicht zu denken. Auf der Täufersynode in der Rhein­ provinz, zu Goch an der holländischen Grenze, wurde Adam Pastor durch Dirk Philips und Menno Simons in den Bann getan. In diese Gegensätze war auch Gillis von Aachen verwickelt. Er griff Menno scharf an, obwohl er 1542 von ihm zum Aeltesten ernannt worden war. Menno wiederum warnte in seinem Abwehrkampf gegen die allegorische Schrift­ auslegung Gillis ernstlich vor dieser gefährlichen Lehre, da sie leicht zu falschen Schlussfolgerungen führe. Es scheint, dass Gillis eine einflussreiche Persönlich­ keit gewesen is t ; er hat viele getauft. Im Jahr 1552 wurde er wegen sittlicher Verfehlung in den Bann getan, aber 1554 auf sein Bussbekenntnis hin wieder angenommen. Seine Wirksamkeit war aber nicht mehr von langer Dauer. Schon

310 im Jahr 1557 wurde er gefangen genommen. Aus Todesfurcht widerrief er seine Lehre, wurde aber gleichwohl enthauptet. Anders stand es mit Dirk Philips (1504-1558, der 1553 als Sohn eines katholischen Priesters der Gemeinde beitrat, von seinem leiblichen Bruder Obbe Philips getauft und 1534 durch Handauflegung ins Aeltestenamt eingeführt wurde. Er wird als « einer der vornehmsten Täuferführer », ja als « der vor­ nehmste Theologe und Dogmatiker der niederländischen Täufer » geschildert. Das beweisen seine Schriften, besonders das 1564 erschienene, 1802 in der Schweiz nachgedruckte und unter den Mennoniten verbreitete : « Enchiridion oder Handbüchlein von der christlichen Lehr und Religion ». In Dirk Philips hat Menno Simons einen eifrigen Mitarbeiter und eine kräftige Stütze gefunden. Aber bald zeigten sich auch zwischen ihnen Differenzen. Philips war eben der « harte Banner », der die Bannfrage auf die Spitze trieb, bis zur Meidung des Ehegatten, was später zur Trennung der Taufgesinnten in Flaminger und Friesen führte. Als unerbittlicher Verfechter des strengen Bannes hat Philips, der « ein frostigliebloses Temperament » (Blanke) war, in seinem Sendungsbewusstsein durch sein schroffes Verhalten bei Verhandlungen den Riss unheilbar gemacht. Man sieht auch hier, wie der Begriff der « reinen Gemeinde » zu Spaltungen Anlass gegeben hat. Einer der eifrigsten und begabtesten Mitarbeiter Mennos war Leonhard Bouwens (1515-1582), der in den Jahren 1551-1582, also innert 30 Jahren, über 10.000 Personen getauft haben soll. Aber auch er gehörte zu den « stren­ gen Bannern », deren Haltung 1566 in Franeker und Harlingen die Spaltung verursachte, die 1568 zu der grossen Trennung zwischen Flamingern und Frie­ sen führte. Als die Verfolgungen immer heftiger wurden, sah sich Menno genötigt, die Stätte seiner mehrjährigen Wirksamkeit zu verlassen. Er begab sich im Januar 1542 nach Emden, der damaligen Hauptstadt Ostfrieslands, wo unter der milden Herrschaft der reformierten Gräfin Anna von Oldenburg viele um ihres Glaubens willen Verfolgte Zuflucht fanden. Es war zum Teil dem Einfluss des reformierten Predigers und späteren Superintendenten ]ohann a Lasco zu verdanken, dass alle protestantischen Bekenntnisse daselbst friedlich neben­ einander wohnen durften. Bis auf unsere Tage hat sich in Emden eine mennoni- tische Gemeinde erhalten. Seit 1545 wurde in Norddeutschland die Benennung « Mennoniten » mit immer wachsender Ausdehnung auf die ganze Täuferge­ meinschaft angewendet und später auch auf die Süddeutschen übertragen. In der alten Waldenserstadt Köln, wohin sich Menno 1544 mit seiner Familie begab, konnte er zwei Jahre lang im Segen wirken. Doch auch hier war für ihn des Bleibens nicht, er musste dem wiederaufkommenden starren Katholizismus weichen und flüchtete mit seiner kränklichen Frau und seinen kleinen Kindern unter grösser Gefahr. Die nächsten Jahre brachte er auf Missions­ reisen in den Ostseeländern zu, wo sich sein Arbeitsgebiet bis nach Livland aus­ dehnte. In diesen Gegenden fand er viele Gesinnungsgenossen, ordnete sie zu

311 festen Gemeinden, lehrte, taufte und spendete das Abendmahl. Hier war Menno wohl seines Lebens sicher, aber doch vielfachen Anfeindungen und Verdächti­ gungen ausgesetzt. In Wismar trat ein Doktor der Theologie, Smedestedt, gegen ihn und seine Anhänger auf. Dieser soll gesagt haben : Er hätte von ihnen lieber einen Hut voll Blut als einen Hut voll Gold. Und im Jahr 1555 geriet im selben Wismar der lutherische Prediger Vincentius in solche Wut gegen Menno, dass er auf der Kanzel gegen ihn tobte und tot zusammensank. Schmerzlich war es für Menno, dass seine Anhänger stets für « revolu­ tionäre Münsterer » gelten sollten. Die Haltlosigkeit solcher Verdächtigungen suchte er durch die Schrift « Wehmütige und christliche Entschuldigung... » zu beweisen. Wahrscheinlich infolge dieser Verleumdungen verboten die Behörden der sechs nordischen Städte Hamburg, Lüneburg, Rostock, Wismar, Stralsund und Lübeck im August 1555 den Taufgesinnten den Aufenthalt in ihren Gebieten unter Androhung schwerer Strafen. Auf dem Gute Fresenburg, nahe bei der Stadt Oldesloe in Holstein, das dem Grafen Bartholomäus von Ahlefeld gehörte, fand Menno endlich dauernden Schutz bis zu seinem Tode. Der Graf, der früher in niederländischen Kriegsdiensten gestanden, hatte die Hinrichtung mehrerer Anhänger Mennos mitangesehen. Der Heldenmut, mit welchem diese in den Tod gegangen waren, hatte ihn tief ergriffen. Daher kam es, dass er diese Leute in Schutz nahm und ihnen auf seinem Gebiet zwischen Hamburg und Lübeck Zuflucht gewährte, wo sie eine Kolonie grün­ deten. Daselbst liess sich Menno Simons nieder. Auf dem Stück Land « das wüste Feld », das ihm und seinen Brüdern vom Grafen überlassen und durch den Fleiss seiner Glaubensgenossen in blühende Felder umgewandelt wurde, entstand das Dorf Wüstenfelde. Daselbst errichtete Menno eine Druckerei für seine vielen Schriften. Durch seine schriftstellerische Arbeit suchte Menno Simons in klaren, ein­ fachen, von feuriger Liebe durchdrungenen Worten seine Glaubensgenossen zu « Dem rechten Christenglauben» (wie er eine seiner Schriften betitelte) zu bringen. Er hatte auch die Freude zu sehen, wie nach und nach alle aufrichtigen Täufer sich seinen durchaus biblischen Anschauungen anschlossen. Den eigentlichen Grund seiner Lehrte legte Menno nieder in seiner Schrift : « Ein Fundament und klare Anweisung von der seligmachenden Lehre unsers Herrn Jesu Christi», welcher er 1. Kor. 3, 11 als Wahlspruch voranstellte. Das ganze über 800 Seiten umfassende Werk ist in einem ernsten Tone gehalten. Der erste Teil handelt von dem « Fundament des christlichen Glaubens ». Mit scharfen Worten tadelt Menno das Verhalten der Obrigkeit. Sie sei es, die auf den Rat der Gelehrten hin die göttliche Ordnung in der Gemeinde mit ihren « unmenschlichen grausamen Mandaten verändert, ausrottet und verfolgt, als ob das allmächtig ewig Wort sich unter euren Befehl und Gewalt biegen und krümmen muss. » Die « unmenschliche rasende Tyrannei gegen das Lamm und seine Auserwählten » von Seiten der Gelehrten sei jedermann offenbar. « Gott gebe, dass doch diese blinden, verkehrten und blutdürstigen Meister mit allen

312 Tyrannen einmal doch möchten sehend werden, aller falschen Lehre und un­ schuldigen Bluts satt und müde werden » .5) Auch die göttliche Tauf Ordnung sei verrückt und die Kindertaufe zu einem Greuel gemacht und zum Abgott aufgerichtet worden. Die in der Kindheit Ge­ tauften hiessen, obwohl sie in offenbaren Sünden und Lastern lebten, allesamt Christen und würden unter des Herren Gnad, Verdienst, Tod, Blut und Volk gerechnet, « als ob sie das schwache elementische Wasser zu Christen geboren » hätte. Das seien, schreibt Menno weiter « die fürnembsten Ursachen, warum wir dem Kindertauff nit allein mit dem Mund, sondern auch mit unserm Tod, Gut und Blut widerstehen. » 6) Mit derben Ausdrücken geisselt Menno die Prediger, die in weltlichem Sinne nur der vorzüglichen Stellung und Einkünfte wegen dieses wichtige Amt erwählten. Andrerseits schildert er die wahren Diener Christi, als Leute, die durch den Heiligen Geist « von einer unsträflichen, christlichen Gemeinde nach Christi und der Apostel Ordnung » berufen und von heiligem Eifer und gött­ licher Liebe durchdrungen seien. « Unsere Wagenburg », fährt er fort, « ist Christus, unsere Gegenwehr Geduld, unser Schwert ist Gottes Wort und unsere Ueberwindung ist der freimütige, feste, ungefärbte Glaube an Christum Jesum. » 7) Besonders schwer müssen Menno die damaligen kirchlichen Zustände aufs Herz gefallen sein ; klagt er doch : « Die Skribenten und Gelehrten haben mit ihren Konzilien, Dekreten und Statuten, mit aller Tyrannei und Gewalt der Grossmächtigen alles so gar verdorben, dass (Gott sei es geklagt) kaum ein Artikel von alledem, was uns der Mund Christi und seine Apostel gelehrt haben, unverfälscht geblieben ist. » « Die Priester und Prediger haben das köstliche feine Gold des göttlichen Wortes mit dem leichten Schaum der Men­ schenlehre und den edlen klaren Wein mit dem unreinen Wasser ihrer törichten Weisheit gemischt. » « Dennoch wollen sie alle gleichwohl die heilige christ­ liche Kirche sein und heissen. Und wer sie aus aufrichtiger reiner Liebe mit des Herrn Geist und Wort vermahnet, der muss ihr vermaledeiter Wieder­ täufer und Ketzer sein. » Schliesslich fasst Menno seine Klage in folgende Worte : « Ach, wie jäm­ merlich ist der edle schöne Weinberg verwüstet, wie jämmerlich sind seine Reben verdorrt! Sein Zaun liegt darnieder, die verderbenden Füchse haben überhand genommen ! Die Wolken sind trocken und geben kein Wasser, da ist kein Gärtner zum Beschneiden, und so einer kommt, wird er von dem Dra­ chen verschlungen oder von dem apokalyptischen bluttrunkenen Weibe er­ mordet. O, barmherziger Vater, wie lange soll dieser schwere Jammer währen ? Unsere Oberherren sind gleich wie reissende Löwen und Bären, unsere Väter

5) Menno Simons: Fundamentbuch. Ausgabe 1575. S. 30f. 64.

6) D ito S . 53 und 55.

7) Dito S. 227.

313 sind unsere Verräter, unsere Führer sind unsere Verführer und die sich lassen dünken, dass sie unsere Hirten seien, die sind unserer Seelen Diebe und Mörder. Wir mögen wohl aus tiefem Herzen weinen und klagen : Das Haus ist uns wüste gelassen, denn was vorher Christi Kirche und Reich war, ist jetzt des Antichrists Kirche und Haus geworden, und das darum, weil sie das Wort der Gnade undankbar verstossen und nicht wollen, dass der herrschende Herr Jesus Christus mit dem gerechten Szepter seines heiligen Wortes und Geistes über sie regiere und herrsche. » 8) Weiter klagt Menno über die kirchliche Anschauung inbezug auf die rich­ tige Glaubenslehre. Er wollte nicht nur rechtgläubig, sondern recht gläubig sein und erkannte, dass der rechte Glaube im Sinne der Schrift nicht die blosse Zustimmung zu einer bestimmten Lehre, sondern ein von Gott gewirktes Ver­ trauen, ja inneres Heilserleben ist. Er schreibt : « Es ist alles vergebens, sich des Glaubens zu rühmen, wo die gottseligen neuen Früchte und das Werk des Glaubens nicht da sind. Darum vermahne ich alle gottesfürchtigen Leser in dem Herrn, es in das innerste ihrer Seele und ihres Herzens einschreiben und ein- drücken zu wollen, dass unser allerheiligster, christlicher Glaube keine tote und kalte Meinung ist, sondern eine dem Herzen innerlich mitgeteilte Gabe und Kraft Gottes. » 9) Dem blossen Bewusstsein der objektiven Tat Gottes in der lutherischen Rechtfertigungslehre, dem Sola fide (durch den Glauben allein), stellt Menno das subjektive Heilserleben gegenüber. Ein blosser « Mundglauben » oder « toter Kopfglauben » ist für Menno kein Glaube, es muss ein « lebendiger Herzens­ glaube » sein. « Es ist nicht genug mit dem Munde zu sagen, dass Christus der Sohn Gottes ist, dass er das Gesetz für uns erfüllt hat, dass er unsere Sünden mit seinem Blut bezahlt und seinen Vater mit seinem Opfer und Tod versöhnt hat..., sondern es muss auch im Herzen recht begriffen und inwendig in der Seele recht aufgeschlossen sein ». In seinen Schriften betonte Menno öfters, dass unser ganzes Heil nicht in Werken oder Sakramenten, sondern allein in Christus zu finden sei. Die Rechtfertigung und Erlösung geschehe nur durch das Blut und Verdienst Christi, welches das einzige Mittel unserer Versöhnung sei. Mennos innerste Ueber- zeugung war, dass der Kern des Christentums nicht in einem « historischen Glauben » bestehe, sondern in der Umwandlung des Herzens. Dieser Grundge­ danke kommt besonders in seiner Schrift «Von der neuen Geburt»10) zum Ausdruck. In ihr weist er auf die Notwendigkeit der Wiedergeburt hin. Die innere Erneuerung bezeichnet er als den einzigen und unerlässlichen Weg zur Seligkeit für jeden einzelnen und beschreibt sie wie folgt : « Alle diejenigen, welche also aus Gott geboren sind, also ihr schwaches Leben nach dem Evan-

8) Menno Simons: a. a. O. S. 519 ff.

9) D it o S . 311 f.

10) D ito S . 513 ff.

314 gelio bilden, sich also umwenden und dem Vorbilde Christi nachwandeln..., die sind die heilige christliche Kirche..., die rechten Kinder Gottes. » « Wer aus Gott geboren ist, hat reine und ungeheuchelte Liebe, diese dringt, treibt und schafft also in ihren Herzen, dass sie bereit stehen mit Leib und Seele, mit Gut und Blut zu erfüllen, was Christus befohlen, und zu unterlassen, was er verboten hat. In Summa, sie sind durch Gottes Geist und Wort versichert, dass sie mit der Kraft des Glaubens alle blutgierige grausame Tyrannen und alle Gewalt der Welt ritterlich überwinden und aus reinem Eifer mit einem unschuldigen und reinen Herzen... willig in den Tod treten. Denn Christi Glorie, die Süssigkeit des Worts und die Seligkeit ihrer Seelen ist ihnen lieber denn alles was unter dem Himmel ist. » u) In seinem « Glaubensbekenntnis von der heiligen Gottheit und göttlichen Dreieinigkeit» führt Menno zahlreiche Schriftstellen an, die nach seiner Ueber- zeugung uns « einen sichern, festen und gewissen Grund für die Gottheit Christi» geben. « Dieser unser Glaube und Bekenntnis, dass Jesus Christus mit seinem himmlischen Vater wahrhaftiger Gott sei, stützt sich auf die kla­ ren Zeugnisse der heiligen Propheten, Evangelisten und Apostel. » Zu der damals umstrittenen Frage der Menschwerdung Christi, die zu bedauerlichen Streitigkeiten Anlass gab, äusserte sich Menno, man solle ein­ fältig und demütig bei dem Wort Gottes bleiben und sich vor allem menschli­ chen Untersuchen und Disputieren über solche unergründlichen Tiefen hüten. Zu schweren Kämpfen innerhalb der Taufgesinnten-Gemeinden führte die verschiedene Auffassung über die Gemeindezucht. Bei den Vertreten der stren­ geren Richtung fand sich eine gewisse Härte und Unnachgiebigkeit, sie wollten den Bann auch auf das bürgerliche und eheliche Leben ausdehnen. Da alle die Notwendigkeit des Bannes zur Reinhaltung der Gemeinden erkannt hatten, aber sich über die Art der Ausübung und Anwendung desselben nicht klar waren, so wandten sie sich an Menno und holten sein Gutachen ein. Menno riet, dass man nicht zu strenge und zu hart, aber auch nicht zu sanft und zu gelinde sein solle. Er ermahnte die Gläubigen, den Umgang mit abgefallenen Brüdern und Schwestern von unlauterem Wandel zu meiden, um sie zu be­ schämen und zu bessern. Jedoch sollte das erst dann geschehen ,wenn die in Matth. 18 geforderte dreimalige Ermahnung fruchtlos geblieben wäre. Bei schweren Verfehlungen, sowie Vergehen krimineller Art war er der Ansicht, dass eine sofortige Ausschliessung des Sünders ohne vorherige Ermahnung erfolgen müsse. Angesichts der leidigen Tatsache, dass in den Gemeinden immer wieder schwere Versündigungen vorkamen, unter dem Einfluss seiner allzuradikalen Mitarbeiter kam Menno schliesslich zu einer strengeren Auffassung über den Bann, was zu unheilvollen Bannstreitigkeiten und später zu einer förmlichen Trennung führte. Auf einer grossen Täuferversammlung zu Strassburg (1557),

11) Antje Brons; Ursprung und Entwicklung der Taufgesinnten. S. 69.

315 wo etwas 50 Aelteste und Prediger aus Süddeutschland, Mähren und der Schweiz beisammen waren, wurde in Bezug auf den Bann ein etwas milderer Standpunkt vertreten und die Ehemeidung abgelehnt. Denn das Gebot der Ehe gehe über das des Bannes. Solche Eingriffe in die persönlichen Angelegen­ heiten der Einzelnen gingen zu weit. Menno und die Niederländer wurden brieflich gebeten, sie möchten doch den Bann nicht auf die Spitze treiben, da solches den Frieden gefährde. In dem Brief wurde betont dass einige der Versammelten die Malzeichen der Folter an sich trügen. Viele seien sehr weit hergereist und hätten um der Beilegung des Streites willen grosse Mühe und Kosten auf sich genommen. Mit Nachdruck wurde darauf hingewiesen, dass vor 30 Jahren im Hause eines der Anwesenden ein Vertrag mit Michael Sattler abgeschlossen worden sei, der bekannlich die Grundprinzipien der Täufer festgelegt habe. Menno tat es weh, dass die zu Strassburg Versammelten ihn verdächtigten, er treibe die Sache auf die Spitze. Er erkannte, dass die Spaltungen und Streitigkeiten wegen des Bannes vielfach auf Missverständnissen beruhten. Das mag ihn veranlasst haben, seine umfangreiche Schrift «■Eine gründliche Unterweisung oder Bericht von der Excommunication, Bann, Ausschliessung oder Absonderung der Kirchen Christi» herauszugeben.I2) In der Vorrede deutete er an, dass alle treuen Herzen in diesem Stück gern Einigkeit hätten. Seine diesbezügliche Erklärung solle dazu beitragen, dass man sich « nach einer Regel und Mass der Schrift » halte. Er sei von den Brüdern gebeten worden, den « allerinnersten Grund, Sinn und Meinung von dem rechten Apostolischen Bann oder Absonderung ordentlich in Schriften zu verfassen ». Deshalb bitte er, seine « sorgfältige brüderliche Arbeit zu einem Dienst des heiligen Frie­ dens und Erklärung der ewigen Wahrheit aus rechter christlicher Treu » auf­ zunehmen. So vernünftig Mennos Urteil über den Bann in seinen Schriften auch war, so spitzte sich die Auseinandersetzung doch so zu, dass ein friedliches Ueber- einkommen nicht mehr erziehlt werden konnte. Leonhard Bouwens und Dirk Philips, die an der Spitze der strengen Partei standen, sonderten sich von den ändern ab. Der schroffe Bouwens sprach über seine Gegner den Bann aus und legte ihnen den Schimpfnamen « Dreckwagen » bei. Die Flamen und Westfriesen erklärten sich grösstenteils für die strengere, die Deutschen, Ost­ friesen und Waterländer für die gelindere Partei. Man kündigte sich gegen­ seitig die Bruderschaft auf, unterhielt keine Gemeinschaft mehr und schalt sich Flaminger und Friesen. Vergeblich waren die Vereinigungsbestrebungen. Mehrmals wurde der Versuch unternommen, die getrennten Glieder einander wieder näher zu bringen. Besonders waren es Lubbert Gerrits und Elans de Ries, die Verfasser eines mennonitischen Glaubensbekenntnisses, die sich um das Friedenswerk bemühten. Es dauerte aber noch viele Jahre, bis die Kluft

12) Menno Simons: a. a. 0. S. 749ff.

316 einigermassen überbrückt werden konnte. Erst um das Jahr 1629 kam es zu einer Annäherung, nachdem in einer Schrift, « Der Oelziveig des Friedens» betitelt, alle zerstreuten Glieder ernstlich zur Einigkeit aufgefordert worden waren, und 1649 schliesslich konnte auf einer Synode zu Haarlem, wo 74 Lehrer der verschiedenen Parteien anwesend waren, eine allgemeine Einigung erzielt werden. Menno Simons’ Lebensabend wurde durch solche Uneinigkeiten in den Gemeinden getrübt : lag ihm doch auf Erden nichts näher am Herzen als das Wohl und die Einigkeit der Gemeinden, denen er so viele Jahre seine ganze Kraft und Begabung in Liebe gewidmet hatte. « Meine Traurigkeit darüber » sagte er, « wurde mir so bitter wie der Tod, ich wusste vor grossem Schmerze nicht, wie ichs machen sollte. Ja, wenn mich der gnädige Odem des Allerhöchsten nicht bewahrt hätte, so sollte ich damals wohl leicht Schiff­ bruch meiner Sinne erlitten haben». Auch äusserlich litt er Not und ver­ brachte seine letzten Tage in dürftigen Verhältnissen zu. Nach vielen Kämpfen und Leiden ging der tapfere Streiter Christi am 13. Januar 1561 zur Ruhe des Volkes Gottes ein. Zu Wüstenfelde, wo er seine letzte irdische Zuflucht gefunden hatte, ruhen seine Gebeine. Bis an sein Ende gründete Menno seine religiösen Ueberzeugungen einzig auf die Bibel. Alle religiösen Handlungen sollten « dem Worte Gottes gleich­ förmig » sein. Er opferte sich auf, um so viel in seinen Kräften lag, bei der Verwirklichung des christlichen Gemeindeprinzips nach apostolischem Vorbild mitzuhelfen. Wie ein roter Faden zieht sich durch Mennos Schriften sein Bestreben, Christus als Herrn, Erlöser und Vorbild seiner Gemeinde wieder zu Ehren kommen zu lassen. « Die Sammlung wiedergeborener Christen zur Verwirklichung einer reinen apostolischen Gemeinde ist das Ziel und die Aufgabe Menno Simons », schreibt Cornelius Krahn. Hat Menno doch den Ausspruch getan : « Es gibt auf Erden nichts, das mein Herz so liebt, als die Gemeinde ! » Dieser wollte Menno Simons dienen, ihr raten, mit ihr dulden. « Gehetzt und verfolgt fast sein Leben lang, fand er kaum eine Stätte, wo er mit den Seinen sicher wohnen konnte ; keine andere Stütze ward ihm bei seinem Berufe, Führer seiner Gaubensgenossen zu sein, als sein felsenfester Glaube, wie er ihn aus dem Evangelium schöpfte. Sein Ziel war nicht neue Kirchenbildung, sondern urwüchsige Gemeindebildung. » 13) Auf die weitere Entwicklungsgeschichte der Taufgesinnten-Gemeinden in den Niederlanden kann leider hier nicht eingegangen werden. Das schwer­ geprüfte Volk der vereinigten Niederlande hatte nach der Zeit der Schre­ ckensherrschaft des Herzogs Alba den Wert der Glaubensfreiheit kennen ge­ lernt. Waren doch von den Reformierten und den Mennoniten in einem Zeitraum von sechs Jahren ewa 18.000 um ihres Glaubens willen hinge­ mordet worden. Mit dem Blut dieser edlen Märtyrer wurde die Glaubens­

13) Antje B rons: a. a, 0 . S . 106

317 freiheit in den Niederlanden erkauft. 1573 gewährte Prinz Wilhelm von Ora- nien allen Konfessionen Religionsfreiheit. Damit brach « Hollands goldenes Jahrhundert» an. Hand in Hand mit der Freiheit zog aber auch der Freisinn einher. Die freisinnigen « Lammisten » wandten sich unter der Führung von Galenus Abrahamsz de Haan (1622-1706) der « der Vater der modernen Philosophie » genannt wurde, immer mehr dem wissenschaftlichen Studium zu. Galenus selbst war Arzt und Prediger in Amsterdam. Im Jahr 1692 begann er als « Hochschullehrer » mit der Bildung von angehenden Predigern. Das bekümmerte Johannes Deknatel (1668-1759) und veranlasste ihn im Jahr 1735 das theologische Seminar der Mennoniten in Amsterdam zu gründen. Später schritten die Mennoniten in Holland zur Grün­ dung der Algemeene Doopsgezinde Societät. Im Jahr 1734 ward Deknatel mit A. G. Spangenberg, dem Bischof der Brüdergemeinde bekannt. Zwei Jahre später machte er auch die persönliche Bekanntschaft des Grafen Zinzend'orf, doch ging diese Freundschaft bald wieder in die Brüche, wahrscheinlich weil die Mennoniten nicht in der Brüdergemeinde auf gehen wollten. Als nach 1842 die moderne liberale Theologie sich auf den niederländischen Universitäten durchsetzte, standen die Taufgesinnten ihr anfänglich kühl ge­ genüber. Allmählich aber erfasste der « Modernismus » auch die mennoniti- schen Gemeinden ; erst seit dem zweiten Weltkrieg ist der Rationalismus wieder im Schwinden begriffen.

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318 16. Kapitel

Die Lehren der Täuferführer zur Reformationszeit

In den jahrhundertelangen religiösen Kämpfen zwischen den Kirchen und den freien evangelisch Gläubigen ging es diesen immer um das Prinzip der selbständigen Gemeinde nach urchristlichem Vorbild. So lautete die Grund­ frage immer ob Kirchentum oder Gemeinde der Gläubigen. Dabei trat stets die Tauf frage in den Vordergrund und zwar darum, weil seit dem Aufkommen der Kindertaufe der Vollzug der Glaubenstaufe eine prinzipielle Absage an das Volks-, Landes- und Staatskirchentum war. Was die führenden Männer der Taufbewegung in so schroffen Gegensatz zur offiziellen Kirchenanstalt brachte, war also ihr Festhalten an dem bi­ blischen Gemeindeprinzip. Die Verwirklichung des biblischen Gemeindeideals nach welchem die Gemeinde Trägerin des christlichen Lebens und Verwalterin der ursprünglichen Gemeindeordnungen ist, war der Grundgedanke ihrer Auf­ fassung. Gross war die Zahl derer, die im Zeitalter der Reformation mit allen Anweisungen der Schrift ernst machen wollten und sich zu solchen biblischen Gemeinden von Gläubigen zusammenschlossen. Aus zwei Gründen sahen sich die Führer genötigt, Gemeindeverordnungen zu verfassen : erstens, weil ihre zahlreichen Mitglieder durch die Verfolgun­ gen überall hin zerstreut wurden, somit keinen richtigen Zusammenhalt hatten. Diese Verfassungen sollten Irrlehren verhüten und zur Bildung einer einheitli­ chen Gemeinde dienen ; zum ändern, weil die Reformatoren mit ihren kirch­ lichen Anschauungen und diesbezüglichen Lehren den gemeindemässigen Auf­ fassungen der Täufer entgegentraten. Obwohl diese sich fest und bestimmt auf das Neue Testament beriefen, sahen sie es dennoch für gut an, als selbstän­ dige Glaubenspartei eigene Verordnungen aufzustellen. Inmitten all ihrer Bedrängnisse und Verfolgungen unterliessen also die Täufer nicht, den inneren Ausbau ihrer Gemeinden vorzunehmen. Der brü­ derliche Zusammenschluss der Gemeinden auf Grund allgemeiner Richtlinien des Bekenntnisses erwies sich als ein dringendes Bedürfnis. So hielten die zerstreut wohnenden Täufer unter der Leitung Michael Sattlers am 24. Februar 1527 eine Synode zu Schleitheim oder Schlatt am Randen bei Schaffhausen ab. Hier verhandelte man über die biblischen Grund­ linien und ein gemeinschaftliches Glaubensbekenntnis und legte die ersten ausführlichen Gemeindeverordnungen in sieben von Michael Sattler verfassten Artikeln fest, unter dem Titel: « Brüderliche vereynigung etlicher kinder Got­ tes siben artikel betreffend» Ihr Vorhandensein im bernischen Staatsarchiv

319 bekräftigt die Annahme dass sie ganz allgemein die Bekenntnisschrift der Schweizer Täufer waren. Wir lassen hier die sieben Artikel in leicht gekürzter Form folgen :

«Zum ersten, von der Taufe: Die Taufe soll gegeben werden allen denen, so gelehrt sind die Busse und Aenderung des Lebens, und glauben in der Wahrheit, dass ihre Sünden durch Christum hinweggenommen seien, und al­ len denen so wollen wandeln in der Auferstehung Jesu Christi und mit ihm begraben wollen sein in den Tod, auf dass sie mit ihm auferstehen mögen ; und allen denen so es in solcher Meinung von uns begehren und fordern durch sich selbst. Mit dem werden ausgeschlossen alle Kindertaufen, des Papstes höchste und erste Greuel. Zum ändern sind wir vereinigt worden von dem Bann also: Der Bann soll gebraucht werden mit allen denen, so sich dem Herrn ergeben haben, nachzuwandeln in seinen Geboten, und mit allen, die in den Leib Christi getauft worden sind und sich lassen Brüder und Schwestern nennen und doch etwa entgleiten und fallen in einen Fehler und Sünde und unwissentlich über­ eilt werden. Dieselben sollen vermahnt werden, zu dem ändern mal heimlich und zum dritten mal öffentlich vor der ganzen Gemeinde gestraft werden, nach dem Befehl Christi Matth. 18. Solches aber soll geschehen nach der Ord­ nung des Geistes Gottes, vor dem Brotbrechen, damit wir alle einmütiglich und in einer Liebe von einem Brot brechen und essen mögen und von einem Kelch trinken. Zum dritten, in dem Brotbrechen, sind wir eins worden und also verein­ bart : Alle, die ein Brot brechen wollen zum Gedächtnis des gebrochenen Lei­ bes Chrisit, und alle, die von einem Trank trinken wollen zum Gedächtnis des vergossenen Bluts Christi, die sollen vorher vereinigt sein in einem Leib Christi, das ist in der Gemeinde Gottes, an welcher Christus das Haupt ist, nämlich durch die Taufe. Denn wie Paulus anzeigt, so mögen wir nicht auf einmal teil­ haftig sein des Herrn Tisch und der Teufel Tisch. Das is t: Alle, die da Ge­ meinschaft haben mit den toten Werken der Finsternis, die haben kein Teil an dem Licht, also alle, die dem Teufel folgen und der Welt, die haben keinen Teil mit denen die zu Gott aus der Welt berufen sind. Zum vierten sind wir vereinigt worden von der Absonderung. Die soll ge­ schehen von dem Bösen und Argen, das der Teufel in der Welt gepflanzet hat, also allein, dass wir nicht Gemeinschaft mit ihnen haben und mit ihnen lau­ fen in die Gemenge ihrer Greuel. Das ist also : Dieweil alle, die nicht gerettet sind in den Gehorsam des Glaubens und die sich nicht vereinigt haben mit Gott, dass sie seinen Willen tun wollten, ein grösser Greuel vor Gott sind, so kann und mag anders nicht von ihnen erwartet sein oder entspringen denn greuliche Dinge. Nun ist nichts anderes in der Welt und aller Kreatur denn Gutes und Böses, Glaube und Unglaube, Finsternis und Licht, Welt und die auf der Welt sind, Tempel Gottes und die Götzen, Christus und Belial, und keines mag mit dem ändern Teil haben. Nun ist uns auch das Gebot des Herrn offenbar, in welchem er uns heisst abgesondert sein und werden von dem Bösen, so wolle er unser Gott sein, und wir werden seine Söhne und Töchter sein. Weiter ermahnt er uns von Babylon und dem irdischen Aegypten aus­ zugehen, dass wir nicht auch teilhaftig werden ihrer Qual und Leiden, so der Herr über sie will führen. Aus dem allen sollen wir lernen, dass alles, was nicht mit unserm Gott vereinigt ist, nichts anders sei, denn die Greuel, welche wir meiden sollen. In dem werden vereint alle päpstlichen und widerpäpstlichen

320 Werke und Gottesdienst, Versammlungen, Kirchgang, Wirtshäuser, Bürgschaf­ ten und Verpflichtungen des Unglaubens und andere dergleichen mehr, die die Welt für hoch hält und doch straks wid#r den Befehl Gottes gehandelt werden, nach dermass aller Ungerechtigkeit, die in der Welt ist. Von diesem allem sol­ len wir abgesondert werden und keinen Anteil haben mit solchen, denn es sind eitel Greuel, die uns verhasst machen vor Christo Jesu, welcher uns entle­ digt hat von der Dienstbarkeit des Fleisches und uns geschickt gemacht zum Dienst Gottes, durch den Geist, welchen er uns gegeben hat. Zum fünften sind wir vereinigt worden von den Hirten in der Gemeinde Gottes also: Der Hirt in der Gemeinde Gottes soll sein nach der Ordnung Pauli, der ganz und gar ein gutes Zeugnis hat von denen, die ausser dem Glau­ ben sind. Solch Amt soll sein: Lesen und ermahnen und lehren, mahnen, strafen oder bannen in der Gemeinde und allen Brüdern und Schwestern wohl vorstehen im Gebet, im Brotbrechen und in allen Dingen des Leibes Christi acht haben, dass er gebauet und gebessert werde, damit der Name Gottes durch uns gepriesen und geehrt und dem Lästerer der Mund verstopft werde. Dieser aber soll erhalten werden, wo er Mangel haben wird, von der Gemeinde, welche ihn erwählt hat, damit, welcher dem Evangelium dienet, soll auch davon leben, wie der Herr geordnet hat. So aber ein Hirte etwas handeln würde, das zu strafen wäre, so soll mit ihm nicht gehandelt werden, ohne zweier oder dreier Zeugen Mund. So sie sündigen, sollen sie vor allen gestraft werden, damit die ändern Furcht haben. So aber der Hirt vertrieben oder von dem Herrn durch das Kreuz heimgeführt würde (Hinweis auf den Märtyrertod), soll von Stund an ein anderer an die Statt verordnet werden, damit das Völklein und Häuflein Gottes nicht zerstreut, sondern durch die Mahnung erhalten und getröstet werde. Zum sechsten sind wir vereinigt worden von dem Schwert also: Das Schwert ist eine Ordnung Gottes ausserhalb der Vollkommenheit Christi, wel­ ches den Bösen straft und tötet und den Guten schützt und schirmt. In dem Gesetz wird das Schwert geordnet für die Bösen zur Strafe und zum Tod, und dasselbe zu brauchen sind geordnet die weltlichen Obrigkeiten. In der Voll­ kommenheit Christi aber wird der Bann gebraucht allein zu einer Mahnung und Ausschliessung dessen, der gesündigt hat... Auch verbietet Christus selber die Gewalt des Schwerts und sagt: Die weltlichen Fürsten herrschen etc., aber ihr nicht also. Zum letzten wird gemerkt, dass es dem Christen nicht mag ziemen eine Obrigkeit zu sein in den Stücken : Der Obrigkeit Regiment ist nach dem Fleisch, so ist der Christen nach dem Geist... Ihre Streit- und Kriegs­ waffen sind fleischlich und allein wider das Fleisch, der Christen Waffen sind geistlich, wider die Befestigung des Teufels. Die weltlichen werden gewappnet mit Stahl und Eisen, aber die Christen sind gewappnet mit dem Harnisch Got­ tes, mit Wahrheit, mit Gerechtigkeit, mit Frieden, Glauben und Heil und mit dem Wort Gottes. Zum siebenten sind wir vereinigt worden von dem Eid also : Der Eid ist eine Befestigung, unter denen, die da zanken oder verheissen und im Gesetz geheissen werden, dass er sollte geschehen bei dem Namen Gottes allein wahr­ haftig und nicht falsch. Christus, der die Vollkommenheit des Gesetzes lehrt, der verbot den Frommen alles Schwören, weder recht noch falsch, weder bei dem Himmel noch bei dem Erdreich, noch bei Jerusalem, noch bei unserm Haupt, und das um der Ursache willen, wie er hernach spricht : denn ihr vermöget nicht ein Haar weiss oder schwarz zu machen. Sehet zu, darum ist alles Schwören verboten, denn wir mögen nicht erstatten, was in dem Schwö­ ren verheissen wird. Desgleichen hat uns Christus auch gelehrt, da er sagt,

321 eure Rede soll sein ja ja, nein nein, denn was darüber ist, das ist vom Argen. Christus ist einfältig ja und nein, und alle die ihn einfältig suchen, werden sein Wort verstehen. Amen.»

Diese Verfassung und Gemeindeordnung wurde für die Entwicklung der Gemeinden von grundlegender Bedeutung. Sie bewirkte den inneren Ausbau der Gemeinden und gab ihnen zugleich eine einheitliche Richtung, auch in der Verteidigung gegen ihre Feinde. Die Gerichtsprotokolle und die Verhandlun­ gen bestätigen, dass die Täufer sich stets an diese Bestimmungen gehalten haben. In ihrer Verteidigung gegen die Vertreter der herrschenden Kirchen begegnen uns immer wieder die gleichen Gedanken, die auch in den folgenden Jahrhunderten bestimmend waren. Man sieht, dass die Führer der Taufgesinnten in ihren Lehrpunkten von dem Bestreben durchdrungen waren, ihre Gemeinschaft, welche in so schwerer Zeit lebte, selbständig auf dem Boden der Schrift zu erhalten. Obschon die Glaubenssätze nicht bis in alle Einzelheit dargelegt werden konnten, waren sie sich doch bewusst, dass sie in ihren sieben Artikeln die Grund-Prinzipien genügend festgelegt hatten. Ihr ganzes Lehrgebäude war in der Schrift veran­ kert, und die Gemeinden hielten sich durchwegs an die vereinbarten Bestim­ mungen. Dies gilt besonders von den Berner Täufern. Den Beweis hiezu liefern die beiden Protokolle der Zofinger-Täuferdispu- tation (1.-9. Juli 1532) und des Berner-Täufergesprächs (11.-17. März 1538). In diesen beiden Aktenstücken treten die Charakterzüge des ursprünglichen Täufertums, wie sie uns in den sieben Artikeln begegnen, klar hervor. Es geht bei den einzelnen Lehrpunkten um den grundlegenden Begriff der Ge­ meinde, der dem Begriff der Kirche entgegengesetzt wurde. Den Prädikanten der Kirche war vor allem daran gelegen, die Kontinuität der Kirche aus dem Alten Testament zu erweisen und an ihr festzuhalten. Wir finden bei den Reformatoren eine fast völlige Gleichstellung des Alten mit dem Neuen Testament. Sie betrachteten wohl die alttestamentlichen Zeremo­ nien (Opferkultus) als aufgehoben, die Gottesherrschaft (Theokratie) aber, wie sie bei den Juden im Alten Testament bestanden hatte, sollte nach ihrer Lehranschauung bestehen bleiben und in der staatlichen Organisation der Kirche zur Geltung kommen. Dadurch wurde der Boden gewonnen, von dem aus ihre Haltung sich rechtfertigen liess. Die Kirche stellte sich auf den Standpunkt, dass sie verpflichtet sei, « alle die annehmen und unter die Kilchen zellen, die mit dem mund Christum bekennent, die sacrament mit uns bruchent, die predig des usser worts hö- rent. » l) Da die Kirche seit Adam bestehe und seit ihrer Erneuerung durch Christus nie, auch unter dem Papsttum nicht ganz untergegangen sei, müsse sie auch weiterhin bestehen bleiben. Ihre reformierten Glieder seien nur « der

1) Täufergespräch 1538, S. 93.

322 eer halb vom Papsttum abträten, sonst nit von den K ilchen»2). Sebastian Meyer erläuterte, dass sie allen Fleiss anwendeten, um noch recht viele für diese reinere Lehre zu gewinnen : « derzue thut Gott syn Gnad, dass jetzt ein künigrych, jetzt ein Fürstentumb, dann eine Stadt hinzufallend zum Evangelio, und also tätige Diener gemacht. » 3) Diesem Kirchenbegriff steht der Gemeindebegriff der Täufer gegenüber. Ihr Standpunkt konnte nicht im Sinne der Prädikanten kirchenpolitisch sein. Sie betonten, dass es auf ein inneres persönliches Heilserleben ankomme und nicht auf ein äusseres Bekenntnis ganzer Städte und Königreiche. Ihr Ge­ meindebegriff war mit dem Begriff einer allesumfassenden sichtbaren Kirche unvereinbar. Ihre Lehre von der neutestamentlichen Gemeinde gründete sich auf die in Christo geschehene Erneuerung. Der Satz « Christus hat den Bundt des nüwen Testaments in seinem Blut jngeführt » 4) ist besonders beachtenswert. Ihr Ideal war der Aufbau eines organischen Gebildes, der Gemeinde. Diese sollte sich aus Erlösten, im Glaubensgehorsam stehenden Gliedern zusammen­ setzen. Das Neue Testament ist ein neuer Anfang. Bei aller Wertschätzung des Alten Testaments betonten die Täufer den weit höheren Wert des Neuen. Es bestehe ein grösser Unterschied zwischen dem Christentum und dem alten Bund « unter dem Schatten ». Ihre Lehren gründeten sich auf die Heilsbotschaft des Neuen Testaments, vor allem auf die Evangelien, speziell auf die Bergpredigt. Es war den Führern ein Herzensanliegen, das Leben nach den wörtlichen An­ weisungen des Neuen Testaments zu gestalten. Es soll nun im folgenden die Lehre der Täufer, wie sie in den sieben Schleitheimer Artikeln formuliert worden ist, Punkt für Punkt der reformato- rischen Lehre gegenübergestellt und anhand der Auffassungen, die die bekann­ testen Täuferführer vertreten haben, erläutert werden.

1. D IE TAUFE

Die katholische Kirche tauft die Kinder, die ja noch keinen persönlichen Glauben haben, auf den Glauben der Kirche, zu welchem sich die Taufpaten bekennen. Gemäss ihrer Lehre wird das Kindlein aus Kraft und Macht des Taufwassers von der Erbsünde befreit und ihm der Glaube eingegossen. Luther erkannte zwar, dass die Taufe ohne persönlichen Glauben des Täuflings nach der Schrift keine Berechtigung hat. Er sagte 1526 in seiner Kirchenpostille : « Es hilft sie auch nichts die Ausrede, dass sie sagen, die Kin­ der taufe man auf einen zukünftigen Glauben, wenn sie zur Vernunft kommen,

2) Täufergespräch 1538, S . 93.

3) dito S. 73. 4) dito S. 60.

323 denn der Glaube muss vor oder in der Taufe da sein, sonst wird das Kind nicht los vom Teufel und von der Sünde... Wo wir nicht können beweisen, dass die jungen Kinder selbst glauben und eigenen Glauben haben, da ist es mein treuer Rat und Urteil, dass man stracks abgehe, je eher desto besser, und taufe nimmermehr kein Kind, dass wir nicht die hochgelobte Majestät Gottes mit solchen Alfanzen, Gaukelwerk da nichts hinter ist, spotten und lästern » Noch im Jahr 1529 schrieb Luther im grossen Katechismus : « Denn weil solches allhier in den Worten bei und mit dem Wasser vorgetragen und ver­ heissen wird, kann es nicht anders empfangen werden, denn dass wir solches von Herzen glauben ; ohne Glauben ist es nichts nütz, ob es gleich an sich selbst ein göttlicher, überschwänglicher Schatz ist ». Dennoch stellte er, um das Recht der Kindertaufe zu beweisen, in seinen Schriften folgende Be­ hauptungen auf : 1. Das Kind könne sogar schon vor Geburt Glauben besitzen. Er schreibt : « Wir aber haben Schrift, dass Kinder wohl mögen und können glauben, wenn sie gleich weder Sprache noch Vernunft haben. » Als Beleg führt er die Stelle Luk. 1, 15 an, wo Johannes der Täufer — noch nicht geboren — den Gruss der Maria hört und im Leibe seiner Mutter hüpft. Auch noch in späteren Jahren bemühte sich Luther in den unmündigen Kindern einen Glauben nach­ zuweisen. 5) 2. Dem Kind werde der Glaube geschenkt. In einem Brief an Melanchthon spricht Luther vom schlafenden Glauben der Kinder also : « Ob sie (die Täu­ fer) weiter nichts Vorbringen als das : Wer da glaubt und getauft wird,... und dass die Kinder nicht glauben, darin beunruhigen sie mich gar nicht, denn wie wollen sie beweisen, dass die Kinder nicht glauben ? Etwa, weil sie nicht reden und den Glauben zeigen ? Das ist schön ! Wenn es so ist, wie viel Stunden werden wir Christen sein, wenn wir schlafen oder sonst etwas tun ? Kann also Gott nicht die ganze Kindheit, den Glauben in ihnen als in einem steten Schlaf erhalten ? » 6) Luther spricht aber auch noch von einem « fremden Glau­ ben », nämlich davon, dass das Kind bei der Taufe durch den Glauben anderer Menschen unter das Wort Gottes gebracht wird und dass dann durch das Wort Gottes und durch das Gebet der gläubigen Kirche dem Kind ein eigener Glaube eingegossen wird. Er fasst die Rolle des fremden und des eigenen Glaubens in die Worte zusammen : « Darum sagen wir hie also, und schliessen, dass die Kinder in der Taufe selbst glauben und Eigenglauben haben, den Gott in ihnen wirkt durch das Fürbitten und Herzubringen der Paten im Glauben der christlichen Kirche. » Auf Grund dieses schlafenden und eingegossenen Glaubens würden die Kinder in der Taufe Christus dargebracht, wie der Gichtbrüchige. Der Priester handle im Namen Christi und erwecke so in ihnen den « schlafenden » Glauben

5) Von der Wiedertauffe an zween Pfarrherrn. Ein Brief Luthers.

6) Brief Luthers an Melanchthon vom 17. Jan. 1522. Nach J. Hast: Geschichte der Wiedertäufer. S. 52.

324 und vermittle ihnen das Heil oder Himmelreich. Darum sei die Taufe der Kin­ der die allergewisseste, weil sie sich auf Christi Worte stütze, auf Matth. 19,13-15, Mark. 10,15-16, Luk. 18,15-17. Aber Luther begründete die Kindertaufe auch zu einem guten Teil auf die seligmachende Wirkung, das heisst : « vollständige und vollendete Recht­ fertigung », die er dem Taufakt zuschrieb. Sie ist für ihn « das Bad der neuen G eburt», von dem Paulus in Titus 3,5 spricht; er ist der Ueberzeugung, « dass man in demselben neu geboren und verneuert wird ». Durch die Taufe gehe man ein in das Himmelreich, wie Christus in Johannes 3 sagt. Auch Luther sieht in der jüdischen Beschneidung die vorbildliche Bestä­ tigung, dass durch den Taufakt das Kind dem Volk Gottes angegliedert wird. Er schreibt : « Hilft dort die Beschneidung der Knäblein, beide Knäblein und Mägdlein, dass sie Gottes Volk werden um Abrahams Glaubens willen, von dem sie kommen, wie vielmehr soll hier die Taufe eines jeglichen besonders helfen, dass sie Gottes Volk werden um Christi Verdienst willen, zu dem sie gebracht und von ihm gesegnet werden. Das sage ich alles, dass der Wiedertäufer Grund ungewiss ist, und sie gar frevelich darauf bauen.» 7)

3. Auch die Ueberlieferung bestätige die Echtheit der Kindertaufe. « Weil solch Kindertaufen von den Aposteln her kommt und seit der Apostel Zeiten gewährt hat, so können wir nicht wehren, müssens so lassen bleiben, weil niemand bisher hat mögen beweisen, dass die Kinder in der Taufe nicht glau­ ben, oder solch Taufen unrecht sei. » 7) Massgebend für ihn waren dabei die Behauptungen Augustins, die Kindertaufe stamme von den Aposteln her. Aus 2. Tim. 3,2.9 zog Luther folgenden Schluss : Irrlehren werden als solche bald offenbar und haben keinen längeren Bestand. Wäre also die Kin­ dertaufe ein Jrrtum, so müsste sie schon lange als solcher offenbar geworden und untergegangen sein. Weil sie aber schon bald 1500 Jahre bestehe, so müsse sie echt sein. Er schreibt : « Wäre nun die Kindertaufe nicht recht, fürwahr, Gott hätte es so lange nicht lassen hingehen, auch nicht so gemein in aller Christenheit durch und durch lassen halten, sie hätte auch endlich einmal müssen zu schänden werden vor jedermann, denn dass jetzt die Wiedertäufer sie schänden, ist noch unaus­ geführt und heisst noch nicht zu schänden worden. Gleich wie nun Gott erhalten hat, dass die Christen in aller Welt die Biblia für Biblia, das Vaterunser für Vaterunser, den Kinderglauben für Glauben halten, also hat er auch die Kindertaufe erhalten und nicht lassen untergehen, und doch daneben alle Ketzerei sind untergegangen, die viel jünger und neuer sind gewesen denn die Kindertaufe. Solch Wunderwerk Gottes zeigt an, dass die Kindertaufe muss recht sein.» 7)

Wie klar tritt hier der Widerspruch zwischen Luthers früheren kom­ promisslosen und späteren relativierenden Auffassungen zutage! Der Re­

7) Von der Widertauffe an zween Plarherrn.

325 formator, der früher so kühn den Kampf mit den alten Ueberlieferungen auf­ genommen hatte, beruft sich jetzt wieder auf die Tradition der Kirche und behauptet, die Kindertaufe habe als eine uralte Sitte allgemeine Annerkennug gefunden und sei stets die Erkenntnis der Kirche gewesen. Er meint sogar, die Kindertaufe sei von den Ketzern nicht geleugnet worden,8) und schreibt doch in seiner Kirchenpostille, die Waldenserbrüder hätten die Taufe ohne persönlichen Glauben abgelehnt. Uns ist es unbegreiflich, wie der scharf den­ kende Luther das Vorhandensein von Glauben in den Kindern lehren kann, während er in ändern Schriften gleichzeitig behauptet, die Verdorbenheit des Menschen sei so gross, dass nicht ein Funke Gotteserkenntnis in ihm wohne. (Siehe Seiten 359-360). Eigentümlich ist, welchen Weg Zwingt betrat, um die Kindertaufe bei­ zubehalten. Als Gründer der reformierten Staats- und Volkskirche suchte er ganz folgerichtig, entgegen seinem früheren Standpunkt, die Kindertaufe zu rechtfertigen. Als er im Neuen Testament keinen Anhaltspunkt für sie zu fin­ den vermochte, nahm er den Ausweg ins Alte Testament, wo er in der Be­ schneidung ein massgebendes Vorbild für dieselbe zu finden glaubte. Er ver­ suchte, die Gemeinde als Volk des neuen Bundes gleichzustellen mit Israel, dem Volk des alten Bundes, das als Bundeszeichen die Beschneidung hatte ; somit sei das neutestamentliche Bundeszeichen die Taufe. Wie den Kindern der Juden die Beschneidung die Bundesgnade besiegelt habe, so werde sie jetzt den Kindern der Christen durch die Taufe besiegelt. Zwingli sah klar, dass die Kinder jüdischer Eltern auf Grund ihrer leiblichen Abstammung zum Volk Gottes gehörten und daher ein Anrecht auf das Bundeszeichen, die Beschneidung hatten. Er erkannte aber nicht, dass man nicht durch fleischliche Abstammung von christlichen Eltern zu einem Glied des neutestamentlichen Gottesvolkes wird, sondern erst durch den Glauben und die neue Geburt (Joh. 3), weshalb die Zürcher Täufer in einer schriftlichen Darlegung der Obrigkeit Vorhalten konnten :

« Zwingli, der falsche Prophet, greift, da er im neuen Testament keine Beweise findet, ins alte zurück und beruft sich auf den Bund mit Abraham. Diesen Bund hat aber Gott nur mit den Juden und nicht mit den Heiden oder Christen gemacht. Warum taufen denn die Prädikanten gerade unsere Kin­ der, die wir von den Heiden und nicht von den Juden stammen ? Uebrigens waren die Mädchen ebensogut als die Knäblein in der Verheissung inbegriffen, obschon sie nicht beschnitten wurden wie diese... Wenn es aber heisst, die Kin­ der seien in der Verheissung eingeschlossen, so ist damit die Verheissung Christi gemeint, der sagt: Solcher ist das Reich Gottes. Wer nun, statt mit der Verheissung sich zu begnügen, die Kindertaufe anwendet, sucht eine andere Tür und ist also ein Dieb und Mörder Christi» .9)

8) V gl. m it S. 288.

9) Emil Egli: Die Züricher Wiedertäufer. S. 67 ff.

326 Die Tauf lehre der Berner Prädikanten, wie sie sich in den beiden Täu­ fergesprächen äusserte, gründet sich vor allem auf den alttestamentlichen Kir­ chenbegriff. Wie im Alten Testament die Beschneidung ein « Bundtzeichen » gewesen sei, also hätten wir im Neuen Testament das andere Zeichen, die Wassertaufe. « Diwil dann der Tauff, das anheblich Zeichen anstat der be- schnidung kommen ist (Kol. 2,11. 12), Christus selbst den kindlinen gnad zugesprochen, semlichen ist das rieh G ottes», also müssten sie durch das Zeichen der Taufe in die Kirche auf genommen werden. Wie im Zeichen der Beschneidung den Kindern der Name beigegeben worden sei, also werde « beim Tauff, dem anheblich Zeichen, der Name dem kindlin ufgesetzt ». Wenn mittels der Taufe die Aufnahme in die Kirche Gottes erfolge, so sei der Spruch Matth. 3,11. 12 beweiskräftig genug, « unsern Kindertauff damit zebewären, als namentlich das auch Johannes mit sinem touff sich hie bekennt, gut und bös, rübis und stübis uffgenommen habe, die werd der Herr erst am jüngsten tag mit siner wärfschuflen reinigen. » Die Kirche umfasse also die ganze christliche Menschheit. Wenn nach Eph. 4, 6 nur ein Glaube, eine Taufe, ein Gott sei, so sei damit der Beweis er­ bracht, dass sich die Einheit des Geistes in der christlichen Gemeinde auf die beiden Testamente erstrecke ; das Nachtmahl sei an Stelle des Osterlamms, also könne an Stelle der Bescheidung nichts anderes als die Taufe sein. Bei den Prädikanten spielte in der Tauf frage die Lehre von der Gnaden­ wahl eine grosse Rolle. Ihre Meinung, « die khind haben etwas Art des glau- bens von wegen der wall Gottes », war ihnen ein Anhaltspunkt für die Kinder­ taufe. Die Kinder seien doch nicht, wie die Täufer meinten, wegen Mangels an Glauben von der Taufe auszuschliessen, da sie ja « das Körnli des glou- bens » in sich hätten durch den heiligen Geist. Der Reformator Peter Kunz verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Kinder seien wiedergeboren, hätten den heiligen Geist, der in ihnen lebe und wirke und « das Fünkli des Gloubens ingüsst », also dass sie ein Tempel Gottes und des heiligen Geistes seien. Um der Verheissung willen werde ein solches Kind, zur Freude der Eltern, äusserlich durch die Taufe « ingelybet der heiligen christenlichen Kirchenversammlung ». Deshalb sollten die Eltern ihre Kinder als Erben des ewigen Lebens in wahrer Religion auferziehen. Nach Röm. 5,18 ergehe die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen, also auch über die Kinder. Daraus folge, dass « das Körnli », der Same des heiligen Geistes, in den Alten « bekennenden Glouben, in den kindern aber Reinigung » bewirke. Das geist­ lich sterben und uferstan » (Röm. 6,4-6), das in der Taufe bekannt werde, « gebend wir ouch den kindlinen zu so wol alls den allten. » Mit Hilfe der Ueberlieferung, der Aussprüche der Kirchenväter, könnten sie, die Prädikanten, die Kindertaufe ausweisen als von den Aposteln empfan­ gen. Der Märtyrer Cyprian habe « mit gewaltigen Argumenten den kinder- tou ff» aufrecht erhalten und besonders « der hoch thür und fürnäm Mann Augustinus » habe sie energisch verteidigt. Dies seien « vil und starke gründ,

327 dass man die Kinder touffen solle und möge, und dass der Kindertouff nit wider, sondern mit Gott sye » obschon er nirgends in der Schrift « mit heitern Worten » geboten sei. Als der Täuferführer Lincki Schriftbeweise for­ derte, antworteten die Prädikanten : « Lieber Lincki, sag mir, wo stat es geschrieben, dass die Apostel ein Tütschen oder Schwaben habend toufft ? Wenn es also gälte zebeschliessen, so wollt ich sagen, es stat nit geschrieben dass die Apostel einen Tütschen oder Schwaben getoufft habind, darum soll man kein Tütschen touffen.»

Die Tauf lehre der Täufer stand in schärfstem Gegensatz zu dieser staats­ kirchlichen Taufpraxis. Sie nannten die Taufe ein Siegel des neuen Testaments, ein Zeichen des Volkes Gottes, derer, die glauben. Sie sagten : « Denen, die gereinigt sind durch das Blut Jesu Christi, ist der Touff eine gewüsse khundt- schaft, Sicherheit und zügknus jhrs Gloubens in Gott. » Dadurch komme der Mensch zu einer « immerwerenden Hoffnung ». Die Beschneidung des Herzens, ein wahrer Herzensglaube, müsste der Taufe vorangehen. Beachtenswert ist ihr Ausdruck « getoufft zu einem Lib in den Tod Christi ». Die Täufer erwarteten bei der Taufe auch nicht eine magische Wirkung des Taufwassers. Ihnen war sie « nit das abthun des unflats unsers fleischs », sondern einfach der Bund eines guten Gewissens mit Gott. Sie beharrten desshalb darauf, dass Busse und Glauben der Taufe vorangehen müssten, und fragten mit Bestimmtheit : « Mag man ouch einen zuhin thun (zu der Ge­ meinde) durch den usserlichen touff, der nit glaubt ? » 10)

* * *

Als eifriger Verfechter des Täufertums nahm Balthasar Hubmaier Stellung gegen die zwinglische Tauflehre und gab 1525 die schon erwähnte Schrift « Von dem christlichen Tauff der Gläubigen » heraus, in welcher er in biblisch begründeter Darstellung das Wesen der Taufe zu erörtern suchte. In dieser Gesamtdarstellung der Tauflehre beschreibt er die Wassertaufe wie fo lg t: « Täuffen in Wasser in dem Namen des Vaters... ist nichts anders dann in öffentliche bekanntnus und zeugnus des innwendigen glaubens und pflich­ ten, mit der sich der Mensch auch auswendig bezeugt.»

Aus dem Taufbefehl Matth. 28, 19 gehe hervor, dass das Amt der Apostel in drei Aufgaben bestehe : 1. In der Predigt. a) Der Inhalt der Predigt sei Jesu Christus, das Wort, das Mensch ge­ worden sei, wie Moses und die Propheten ihn verheissen hätten, wie er um unserer Sünden willen gestorben und « um unserer frommachung wegen» auferstanden sei.

10) Die Zitate finden sich in den Protokollen der Täufergespräche. Täufergespräch 1532: S. 114, 145. Täufergespräch 1538: S. 126, 127, 143, 145, 146, 147, 148, 150, 154, 161. 162, 171, 186.

328 b) Der Zweck dieser Predigt sei, die Menschen zur Sündenerkenntnis zu führen und sie zugleich durch die Botschaft von dem Erlösungstode Christi von der Vergebung der Sünden zu überzeugen. 2. Im Glauben. Er werde durch die Predigt geweckt und bestehe im Vertrauen zu Gott, dass er um Jesu Christi willen seine Gunst, Gnade und Güte uns zuteil werden lasse. In diesem rechten Glauben sollten wir « schreyen, bitten und rüffen zu G ott». 3. In der Taufe Nachdem Gott dem Menschen das Herz durch den Glauben gereinigt, « ergibt er sich Gott und verpflicht sich innwendig im hertzen, ein neuw leben nach der regel Christi zu führen, darmit er aber ändern Christgläubigen sein hertz, gemüt, glauben und fürnemmen auch anzeige, gibt er sich inn jr brüder- schaft und Kirchen, auff das er füran mit jhnen, und sye herwider mit jm, als mit einem Christen handlen mögen, nimpt derhalb an und gibt ein öffentlich zeugnus seins inwendigen glaubens und lasset sich mit dem wasser tauffen. :■>

So wichtig für Hubmaier die Taufe ist, so bewirkt sie doch seines Erachtens weder Sündenvergebung noch hängt die Seligkeit von ihr ab. Ein jeder Christenmensch solle ermessen, « wie man doch die jungen kindlin täuf­ fen solle, diewyl weder wort, predig noch glauben vorgaat ». Hubmaier ruft aus « O Christe, wie sind wir doch so fern von deiner Ordnung und bevelch abgefallen ! » Er heisst die Verdrehung der göttlichen Taufordnung « den Wa­ gen vor die Ross spannen ». Die Kinder auf einen künftigen Glauben hin zu taufen sei « spöttlich » gehandelt. Mit einem « eingegossnen Glauben » sei es nicht weit her. Zu behaupten, die Kindertaufe sei ein « anheblich Zeichen » des Glaubens und neuen Lebens, entspreche ungefähr der Absicht, aus einem kleinen Kind einen Ordensmönch zu machen ; « also macht der kindertauff keyn Christen, fahet keyn neuw leben an, geschieht wider die eynsetzung des tauffs Christi. » In einem weiteren Abschnitt behandelt Hubmaier « die Schriften von dem Tauff Christi ». Eine Zahl von Schriftstellen des Neuen Testaments fügte er zur Ordnung : 1. Wort, 2. Gehör, 3. Glaube, 4. Taufe, 5. Werke. Schliesslich fasste er seine Tauflehre in folgende Worte zusammen « Auf dass, so sich der Mensch einen Sünder bekennt, Nachlassung der Sünden glaubt und sich in ein neu Leben ergeben hat, bezeugt er auch das­ selbe auswendig, öffentlich vor der christlichen Kirche, in der Gemeinschaft er sich lasset verzeichnen und einschreiben, nach der Ordnung und Einsetzung Christi, gibt deshalb der christlichen Kirche, das ist allen Brüdern und Schwestern, die da leben im Glauben zu erkennen, dass er dermassen im Wort Christi unterrichtet und gesinnet sei, dass er sich schon ergeben habe, nach dem Wort, Willen und Regel Christi zu leben, sein Tun und Lassen nach ihm schlichten und richten, und unter seinem Fähnlein kämpfen und streiten bis in den Tod, und lasset sich tauffen mit dem Wasser, in welchem er öffent­ lich bezeugt seinen Glauben und Fürnehmen.» ")

11) Die Zitate sind der Originalschrift entnommen.

329 Ueber die Form der Taufe äussert sich Hubmaier in einer anderen Schrift wie fo lg t:

« Wer die Wassertaufe begehrt, soll dies dem Bischof anzeigen, damit die­ ser prüfe, ob er in den Artikeln des Gesetzes, Evangeliums, Glaubens und der Lehre genugsam unterrichtet sei, ob er beten und mit Verständnis die Stücke des christlichen Glaubens aussprechen könne. Ist dies der Fall, so stellt ihn der Bischof der Kirche vor, ermahnt alle Brüder und Schwestern auf die Knie zu fallen und Gott zu bitten, diesem Menschen Gnade zu verleihen. Hierauf folgt die Formel des Gebets und Taufgelübdes, dann die Taufe, Auflegung der Hän­ de und Aufnahme des Täuflings in die Gemeinde. » 12)

Gegen Zwingli ist das « Gespräch Balthasar Hubmörs auf Maister Ulrichs Zwinglens Taufbüchlein » gerichtet. Darin verlangt er von Zwingli einen kla­ ren deutlichen Beleg der Kindertaufe im Neuen Testament. « Die Schrift soll man fragen und nicht die Kirche. Die Kirche ist auf das Wort gebaut und nicht das Wort auf die Kirche. » Hubmaier nennt die Taufe eine « Pflanzung Christi, durch die der Mensch eingeleibt wird der äusserlichen christlichen Kirche », und zitierte im Hinblick auf die menschliche « Pflanzung des Kinder­ tags » oft den Spruch Matth. 15,13. Zwingli hielt er v or: « Ja , wo deine Argumente gerecht wären, so müssten doch alle Menschen, die in ihrer Kind­ heit getauft sind, Gottes sein und selig werden, dann niemand mag Gott die Seinen aus der Hand reissen. Woher kommen denn die Geistlichen und Welt­ lichen, Diebe, Mörder und Tyrannen, deren aller, ja vor ihrem Kindertauf, nach deiner Rede, das Reich Gottes auch gewesen ist ? » Zwinglis Schrift­ belege waren in seinen Augen unzulänglich, « dieweil doch die Worte Christi in Markus und Matthäus (Segnung der Kinder) nicht auf den Kindertauf reichen. » Hatte Zwingli gelegentlich geäussert : « W ir haben den Taufleugnern die Worte Augustini vorgelesen, doch haben sie nichts desto minder allen Menschen fürgeben, die Kindertauf sei Päpstisch », so erwiderte Hubmaier : « Er sei päpstisch oder aptisch, so ist er je nicht christlich. Das Wort Christi lies uns vor, und nicht Augustinus ». Immer heftiger forderte er « das Wort, das Wort, die Schrift, die Schrift » und rief aus : « O Wahrheit, Wahrheit du bist je untötlich ! » In einem alten Täuferlied ( No. 54) wird die Taufpraxis der Kirche eine Verdrehung der biblischen Heilsordnung genannt.

Str. 8. « Die nun sein Wort gern nehmen an und auch an Christum glauben schon, heisst Christus tauffen, wie dann auch die Apostel hielten den Brauch.

12) Emil Händiges: Die Lehre der Mennoniten in Geschichte u. Gegenwart 5. 33.

330 9. Aber die Welt das alls verkehrt taufft junge Kind noch ungelehrt, dem unwissenden jungen Kind im Tauff abwäschet die Erbsünd. 10. Das dieses sey Abgötterey, thu ich hiemit beweisen frei, weil solches geschieht ohn Gottes Rat, durch fremde Thür in Schafstall gaht. 11. Ins pur Wasser man Hoffnung setzt, das Element damit verletzt, Christi Versöhnung, die ist wahr, die wird dadurch verläugnet gar. »

Die meisten Täufer bestritten die Verantwortlichkeit der Kinder für ihre Erbsünde, da « kein erb zu verdammus noch rach Gotes auf solchen Kindern liege ». « Die Kinder haben vor dem brauch der Vernunft kain sünd dann der erbbresten (ererbte Anlage zur Sünde), der inen an der Seligkeit nit schadet, bis er in würklich sünd ausbrech. Darum die tauff für sy nit eingesetzt ist. » In der « Vermahnung... » die Pilgram Marbeck in Uebereinstimmung mit seinen « christgläubigen Bundes- und Mitgenossen des Trübsais, das in Christo ist » herausgegeben hat, vertrat dieser den Standpunkt, dass die wahre Taufe nicht nur ein äusserliches Zeichen sei, sondern eins mit dem inwendigen Erle­ ben des Heils, und dass man durch solche wahre Taufe in den Leib Christi, ja in Christum selbst hineingeht, als in die wahre Arche, darin man vor der Sündflut erhalten wird, durch das Wort des Gehorsams, weshalb er die « heilig Tauf ein Eingang in die heilig Kirch » und eine Pforte zum ewigen Leben nennt. Er beklagt auch den Brauch der Kindertaufe als einen aus langer Gewohn­ heit hergebrachten Missbrauch und nennt sie « ein lästerliche Abgötterei und Greuel vor Gott, eine Verspottung und Verhöhnung des Bluts Jesu Christi, dann allein das Blut des unbefleckten Lämmleins Jesu Christi, durch eines jeden selbst Glauben und Befestigung seines Herzens, reinigt die Gläubigen von allen Sünden, und nicht das Taufen ». « Also zankt sich die ganze Welt um der einfältigen Kinder Seligkeit, und sieht keiner seine eigene Verdammnis, so doch ein jeder aus eigener Schalkheit und Listigkeit gewiss empfahen wird. Solches Spiel richtet ja der Teufel an. Dies ist mit der Kürze wider die, so einen vermeinten, verborgenen, inwendigen Glauben in den unwissenden Kin­ dern halten, dadurch sie den Kindertauf vermeinen zu erhalten und zu bestäti­ gen. » « Hiemit machen sie zweierlei Taufe, eine der Vernünftigen und Ver­ ständigen und eine der unwissenden Kinder, welches dann wider die Schrift

331 ist und nicht zugelassen mag werden dem rechten und wahren Verstand nach, denn die Schrift redet nur von einer wissenden, bekannten und erkannten Glaubenstaufe und von keiner unwissenden Taufe. » I3) Menno Simons’ Tauflehre deckt sich im allgemeinen mit derjenigen Hub­ maiers und Marbecks. Unter Hinweis auf Matth. 28,19.20 schreibt er : « Sehet, das ist dann des Herren Wort und Willen, dass alle diejenigen, die Gottes Wort hören und daran glauben, sollen getaufft werden... dass sie nun fortan nit mehr nach ihrem eigen Willen, sondern nach Gottes Willen leben wollen. Dass sie um das Zeugnis Jesu bereit sind zu verlassen Haus, Gut, Land, Leib und Leben, und umb dasselbe zu leiden Hunger, Trübsal, Verfolgung, Kreuz und Todt. Ja sie begehren das Fleisch mit seinen Lüsten zu begraben und mit Christo auferstehn in einem newen Leben. » 14)

An dem alleinigen rechten Grund der Schrift will Menno festhalten, wenn gleich alle « hellischen Pforten » sich dagegen auf lehnen. Er klagt, es sei ein Jammer über Jammer, dass viele trotz klarer Aussprüche der Schrift « jr aufgeworffene abgöttische Kindertauff beweren wollen », so dass sogar behauptet werde, die Kinder seien durch die Taufe wiedergeboren, wo doch die Wiedergeburt eine Veränderung des innerlichen Wesens sei. Ferner schreibt er : « Nicht in Werken, Worten oder Sakramenten suchen wir die Selig­ keit, wie die Gelehrten, sondern allein in Christus Jesus und sonst in keinem ändern Mittel, weder im Himmel noch auf Erden. » Menno bekämpft ener­ gisch den Glauben an eine magische Wirkung des Taufwassers, weil dadurch das alleinige Sühnopfer Christi entkräftet würde und das Reich der Himmel an das Element des Wassers gebunden wäre. Denn wo der erneuernde, wieder­ gebärende Glaube fehle, da sollte keine Taufe vollzogen werden. Auf die schriftgemässe Taufe folge die unbedingte Verpflichtung zum Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber. Scharf greift Menno die kirchliche Tauflehre an. Zu Luthers Thesen vom « schlafenden » Glauben der Kinder meint er : « Das ist eine grobe jrrung von einem so hoch gelerten Mann. » Den Glauben in den « unhörigen, unver­ nünftigen » Kindern beweisen zu wollen, sei wider die Schrift, «dann eswird in keiner Schrift gelesen, dass die Apostel einen einigen Gläubigen taufften, als sie schliefen » 15) Es sei eine Schande für die Christenheit, dass die unschuldi­ gen Kinder, « die mit diesem Tauff nit getäufft werden », wenn sie sterben, als Verdammte ausserhalb des Kirchhofs müssten begraben werden. Nach , der in seiner Schrift « Von der wahren Liebe » auf « das bundzeychen des tauffs » zu sprechen kommt, soll die Taufe allein denen gegeben werden, die « zur erkenntnis der wahren lieb » gelangen, deren Be­ gehren und Wille sei, dem Herrn nachzufolgen, « Gott dem herm allein zu

13) Die Aussprüche Marbecks sind der Gedenkschrift zum 403 jährigen Jubiläum der Mennoniten S. 215* 218 und 242-250 entnommen.

14) Menno Simons: Fundamentbuch, 1575, S. 35 und 37.

15) M enno Sim on s: dito S. 49.

332 dienen, welches durch den wassertauff bedeut und bezeugt wird, darumb dass man das alt leben für wüst bekennet und hinfüran in einem neuen leben begere zu wandeln. » Die erste Handlung der Boten Jesu Christi bestehe darin, « dass sie leren und dem herren jünger machen, das Reich Gottes fürnemlich zu su­ chen » und dann erst zu taufen. Kehrt man die Sache um und « will je den tauff vorhaben, so muss man sagen er sei nötiger, welches ist ein widerchrist­ lich leer », « dass aber der kindertauff unrecht sei, das bezeuget die Wahrheit kräftig. » Noch kurz vor seinem Tode protestierte Denck gegen die Ueberbewer- tung der « Ceremonien ». « Wer vermeynt dadurch (das Heil) zu erlangen, es sey durch tauffen oder brotbrechen, der hat einen aberglauben. » 16) Die Kinder­ taufe ist für ihn ein Menschengebot und eine Handlung « nit nach dem befehl Christi». « Der tauff ist ein einschreibung in die gemeyn der gläubigen... dass die allein für gläubig erkennet werden ».

2. BANN UND GEMEINDEZUCHT

Der Bann oder die Gemeindezucht, die Christus nach Matth. 18 selber befohlen hat, bildete einen Hauptbestandteil der Gemeindeordnung, den die Täufer mit Zähigkeit verteidigten. Auf diese biblische Forderung glaubten die Reformatoren nicht eingehen zu können, weil die Einmischung des Staates ihre Durchführung unmöglich machte. Dass auch Ungläubige und Lasterhafte der Kirche angehörten, sah Luther zwar als Uebelstand an. Aber es war ihm klar, dass « diese Regel Christi » in den protestantischen Kirchenanstalten unmöglich durchgeführt wer­ den konnte. Der Strassburger Reformator Butzer musste zugeben : « Ist wahr, wo keine Zucht noch Bann ist, da ist auch keine Gemeinde. » Christian Neff schreibt : « Die Einführung des Bannes, d. h. also die Ausschliessung der unwürdigen lasterhaften Glieder aus der Gemeinde Jesu, die als eine Sondergemeinde unabhängig vom Staate, unberührt und unver- mischt mit der Welt dastehen soll, war eine Hauptforderung, welche die Zür­ cher Täufer an Zwingli stellten. Dieser lehnte die Forderung ab, nachdem er längere Zeit eine schwankende Stellung wie auch in der Frage der Kinder­ taufe eingenommen hatte. Die Bestrafung der Lasterhaften durch die Obrigkeit mache den Bann überflüssig. So war Zwingli bereits 1525 ganz von der Idee der Staatskirche eingenommen, aber er hatte in der eigenen kirchlichen Ge­ meinschaft bedeutende Gegner. » 17) Für die junge Reformationskirche war es ein schwieriges Problem, die Kirchenzucht nach den Verordnungen der Schrift durchzuführen, da sie die

16) Walter Fellmann: Die Schriften Hans Dencks. S. 105

17» M ennonitisches Lexikon Bd. I, S. 116.

333 Gerichtsbarkeit in geistlichen Dingen ganz der Staatsgewalt überlassen hatte. Die Durchführung gelang jedoch teilweise dank der Theokratie (Gottesherr­ schaft) des alttestamentlichen Judentums. Unter Berufung auf diese liess sich innerhalb der Kirche eine weltliche Staatsgewalt rechtfertigen. In diesem Sinne wurde die Frage der Anwendbarkeit der Kirchenzucht gelöst. Die Prädikanten stellten sich somit auf die alttestamentliche Rechtsordnung. Sie suchten die Schriftstellen Math. 18 und 1 Kor. 5 in ihrem Sinne auszulegen. Dem Vorwurf von Seiten der Täufer, sie übten den Bann nicht aus, hielten die Prädikanten entgegen, dass sie sogar eine « ernstige Straff » ver­ hängten, und zwar « nitt allein mit dem predigen, sunder mit der that, mit verwisung vom land und restigung (Arrest) im Loch. » Weder die Hurer, noch die Ehebrecher, noch die Trinker würden in der Kirche geduldet. Zuerst werden sie gewarnt, dann « ins Loch » gesteckt und, wenn sie sich nicht besserten, aus dem Lande geschickt. Eigens dazu verordnete und vereidigte « Eegoumer» (Sittlichkeitsaufseher) hielten die nötige Aufsicht. Solchen Bann hätten die Juden auch ausgeübt, indem sie Ungehorsame aus der Synagoge ausschlossen und für Heiden hielten. Unter der heidnischen Obrigkeit hätten die Apostel den Bann gehandhabt, seitdem aber eine « christenliche Oberkeit » sei, habe man « ein kumlicheres an die Hand genommen» und ihr die Strafe über­ tragen. Die Ausübung der Gemeindezucht sei nicht, wie die Täufer meinten, der ganzen Gemeinde, sondern dem Chorgericht übertragen. Grobe Laster zu strafen « gehört einer christenlichen Oberkeit» zu, die zur Kirche gehört und im Namen derselben handelt. Mit Hilfe des Herrn hofften die Prädikanten, nach und nach alles in die rechte christliche Ordnung zu bringen. Sie waren sich dabei bewusst, dass sie « die straff füren nach dem Willen Christi und ihr Bann recht nutzbar und gut is t ». Wenn der Bann fruchtbar sein und zur Erbauung der Kirche dienen solle, so argumentierten die Prädikanten weiter, müsse er « zu dem Richtschitt des Glaubens und der Liebe heben », das heisst : Gottes und der Nächsten Liebe müsse « ein richtschnur syn ». Dazu brauche es aber Geduld. Der liebe Berch- told Haller habe auch lange Geduld geübt, bis das Evangelium in Bern gesiegt habe. Mit dem Ausschliessen sei es nicht gemacht. Ananias und Saphira seien weder gewarnt noch ausgeschlossen worden. Die Täufer sollten auch wie Petrus diejenigen, die sie bannten und « dem tü ffel» übergäben, « mit dem Wort tödten». Wenn das Ausschliessen mehr « abfalls dann ufwachsen brechte » und solche Strafe « zu Zerrüttung brüderlicher Liebe und unseren kilchen » diente, solle man es unterlassen. Mit ihrer « unzitigen Ler » bewirkten die Täufer, dass « vil hindersich truckend, die sunst als gewunne schäfli harzu kommen werent und vil fürsten und stedt hinderstellig gemacht ». Deshalb bezögen sie den Bann auf Glauben und Liebe, damit viele Seelen gewonnen würden, mit denen sie sich am jüngsten Tag vor dem Richterstuhl Christi freuen könnten. In Basel habe Oekolampad den Bann auch « uf dies Wys ufze-

334 richten » versucht, wie es bei den Täufern « bruch » sei, habe aber davon ab­ stehen müssen, weil sonst Aufruhr entstanden wäre. Mit dem « münsterischen handell» sei der Beweis der Unrichtigkeit dieser Zucht erbracht. Wie Augustin mit den Donatisten und Zwingli mit den Zürcher Täufern, also hatten die Berner Prädikanten an den beiden Täufergesprächen eine eifrige Auseinandersetzung mit den Täuferführen wegen der Auslegung des Gleich­ nisses vom Unkraut unter dem Weizen (Matth. 13). Die Kirche sei und bleibe « nütdestminder christenliche kilchen », sagten die Prädikanten, ob « das bös darinnen wohnet für und für ». Nach dieser Stelle « werdent sy ouch also bis zu end der wällt undereinander blyben ». Unter den zwölf Aposteln sei auch einer « ein tüffel gsin ». Die Bösen und Guten solle man nach dem Gleichnis vom Unkraut miteinander wachsen lassen. Die Strafe des « ussjätens » dürfe nur die Obrigkeit « an die hand nemmen ». Wenn Christus mahne, das Unkraut stehen zu lassen, rede Christus nicht von weltlicher Obrigkeit, sondern von der Kirche. Eine « subere lutere Kilchen » mag ja in diesem Leben « nit zusammen kommen », das Unkraut wird auch in einer gläubigen Gemeinde « für und für harfür guggen ». Wenn der Gerechte auch siebenmal des Tages falle, so werde er wieder aufstehen.

Die Lehre von dem Bann, wie sie von den Täufern an den beiden Disputa­ tionen vertreten wurde, gründete sich hauptsächlich auf Matth. 18 und 1 Kor. 5. Gegenüber der « genaueren » Auslegung dieser Schriftstellen durch die Prädi­ kanten forderten sie « heitere gschrifft ». Die « offenbare gschrifft » verlange die « Züchtigung der widerspännigen ». Auf die Frage der Prädikanten, warum denn die Täufer von Gemeindezucht redeten, da sie doch auf eine ganz reine Gemeinde drängen, antworteten die Brüder, dass sie allerdings nach Absonde­ rung der Guten von den Bösen trachteten. Die offizielle Kirche könne nicht eine Gemeinde Gottes genannt werden, da jeder Lasterhafte zu ihr Zutritt habe. Aber auch in einer Gemeinde von Gläubigen werde jederzeit Böses auf- kommen. Deshalb müsse das Böse, in welcher Form es auch immer unter Brü­ dern in der Gemeinde auftreten möge, unbedingt bestraft und hinausgetan werden. Eine strenge Gemeindezucht veranlasse jeden einzelnen, in der Heili­ gung zu leben. Die Täufer seien « gereinigt, und gewäschen durch das blut Jesu Christi », ihre Rechtfertigung sei keine oberflächliche, « wir welzend uns nit wieder nach der schwemme unserer sünden im kaat wie die suw. (2. Petr. 2, 22), darin wir gewandlet, vor dem wir Gott erkennt habend, sonder wie der uns beruft hat, heylig ist, also auch wir heylig synd. » Daraus folgt : « weliches ein christenliche Kilch sin will, muss sich nach den Satzungen und Ordnungen Christi halten. » Wer in offenbaren Sünden lebe, könne nicht für ein Glied Christi gehalten werden. Solange die Sünden heim­ lich seien, trage auch die Gemeinde keine Schuld. Sobald aber etwas Böses offenbar werde, solle es bestraft werden, sonst « wär die gmeind unsuber und würde der gantzen gmeind zugerechnet, dann ein wenig surteig versäuert den

335 ganzen Teig ». Die Personen, die mit Sünden behaftet seien, wie Paulus in 1. Kor. 6 und Eph. 5 aufzähle, sollten öffentlich vor der Gemeinde ausgeschlos­ sen werden, damit sie schamrot würden, Reu und Leid trügen und Gott um Verzeihung bäten. Das « bannen » sei Sache der christlichen Gemeinde, diese solle handeln nach der Ordnung Christi. Das Amt, die offenbaren Laster (Gal. 5) zu strafen, wie es die Apostel getan, komme dem Vorsteher der Gemeinde zu. In schlimmen Fällen solle er desselben öffentlich « mit und in der gmeind » walten. Die Gemeinde habe Macht zu binden und zu lösen. Von der Obrigkeit mit der Ausübung des Bannes beauftragte Männer wie « Eegoumer » oder « etlich der rät und Bürgeren » könnten doch nicht der bi­ blischen Ordnung entsprechen. « So jr (die Kirchlichen) die Ordnung nit halten, ist uns von nöten, dass wir sie annehmen und bruchen, sunderlich mit dem Bann. » Die Gemeinde könne nicht wie die weltliche Obrigkeit nach dem Gesetz handeln, sondern habe « die straff Christi nach Gnaden » zu gebrau­ chen. Mit sanftmütigem Geist solle man dem irrenden Bruder, der nicht nach dem Evangelium wandle, zurechthelfen. « Ob nun unser (der Täufer) oder üwer (der Prädikanten) straff dem bevelch Christi glichmässiger ? — So jr die lüt in das Loch, in thürn legend, vom Land verjagend... nach dem gesatz Moses, dass man einen zum Tod rich­ ten — . Also können wir nit achten, das üwere straff der Oberkeit nach den Worten Christi und dem bevelch der Aposteln gange... Es wird üch ouch nit müglich, dass jr die Ordnung des Bannes recht ufrichten mögent. » Sie be­ kennten ja selber, alles « schryen und weren » gegen die Laster « well nüt helfen ». Wenn sie die wären, die sie zu sein sich rühmten, so wäre die bibli­ sche Ordnung « by üch ouch funden ». Aber auch die Lasterhaften würden in der Kirche allgemein für Brüder gehalten. Dass viele Leute nicht zu der refor­ mierten Kirche überträten, sei ihre Schuld, da alle Laster bei ihnen im Schwange seien, die man ja nach ihrer Auslegung von Matth. 13 « nit ussjäten » müsse. Wenn man alles wachsen lassen solle, so müsse auch « die Oberkeit das Schwert lassen liegen ». Das Gleichnis vom Unkraut « möge nit bewären, dass die bösen zedulden, sondern sobald sie wachsen und offenbar sind, soll man sy mit der zyt strafen und hinus thun mit dem Bann. Christus sagt auch am selben Ort, der acker seye die wält. Nun mag die Wält nit die kilchen Christi sin... sie nit byeinander bleyben mögend. » Wenn die Prädikanten die Ansicht vertraten, man solle das Unkraut wach­ sen lassen bis auf den Tag Christi, so fragten die Täufer ganz folgerichtig, wie man denn zu der Auffassung komme, dass « das Schwert solle usjäten die grossen Laster » (Matth. 18, 6-8), wo doch « in der vordrigen Glichnus (Matth. 13) durch üch also dargethon, dass man sie nit solle ussjäten ? » Einerseits « soll man die laster strafen », anderseits « soll man sie lassen wachsen ; da ist eins wider das ander, das macht uns irr... Darum wir nit bewilligen noch bekennen mögen, dass die kilch über das Blut gwalt habe... Das rych Christi wird nit mit dem

336 schwärt geschirmt, sonder mit leer durch Christum erhalten werden. » Damit wollten die Täufer den Reformatoren zu verstehen geben : Ihr behauptet, man solle das Unkraut in der Kirche wachsen lassen, betrachtet uns als Unkraut aber mordet uns mit gewaltsamer Hand hin. « Darby ermässe ein yetlicher, ob diese Zwinglische oder Lutherische kilch dem Evangelio glychförmig sye. » 18) Mit dieser Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen standen die Täufer Erasmus nahe, der bereits einige Jahre zuvor gegen die Reformatoren zu bedenken gegeben hatte : « Die Diener, die vor der Zeit das Unkraut ausrupfen wollen, sind die, die da vermeinen, man solle die Rottierer und falschen Lehrer mit dem Schwärt und Tod ausreutten, so doch der Haus- vatter nidt will, dass man sie tödte, sondern dass man sie dulde. » Auch die süddeutschen Täuferführer kamen zu der Einsicht, dass man ohne Gemeindezucht nicht « einmal widerumb zu einer heiligen Kilchen, als zu einem liecht der Welt kommen möchte ». In der « Vermahung Pilgram Mar­ becks wird besonders betont, « dass man die scherpfe des oaltzes » wiederum brauche. « Damit solle alle sündliche Bossheit und alles, was zu der heyligen reinen kirchen Christi nit gehört und ärgerlich ist, abgeschnitten und abgebannet werden. » Auch solche, die ihr Taufgelübde brächen und vom wahren Glauben wieder abfielen, so dass sie ein unreines Leben und einen ärgerlichen Wandel führten, dadurch Schande und Schmach auf Christus und seine Gemeinde bräch­ ten, sollten nicht an den Segnungen der Gemeinde teilhaben und besonders von Abendmahl ferngehalten werden. Gegen solche, die in Sünden lebten, solle « mit brüderlicher Straff » gehandelt werden, sonst würde der Leib Christi « von lästern und gliedmassen des teuffels nit unterscheiden, dadurch sich der Unschuldig frembder sünd teylhaftig macht. » Man solle aber « nit wie etlich den Bann halten, das sie gar vom erdrich hinwegtun, das leben nemmen ; land, stätt und leut verbieten, das gehöret den christlichen gemeynden nit zu, mag auch ewig kein solcher bann im Reich Christi statthaben » . 19) Bemerkenswert ist Hubmaiers den Bann betreffende Darlegung. Sie findet sich in zwei Schriften. Die erste führt den T ite l:

« Von der brüderlichen Straff. Wo die nit ist, da ist gewisslich auch kein Kirch, obschon der Wassertauf und das Nachtmahl Christi daselbst gehalten werdent. Dr. Balthasar Hubmör von Friedberg. Die Wahrheit ist untötlich. Nikolsburg 1527. »

In dieser Schrift führt Hubmaier aus : Die christliche Gemeinde setzt sich aus solchen Personen zusammen, die sich durch die Taufe Gott gegenüber einem neuen Leben verpflichtet haben. Als solche sind sie gehalten, den Willen

18) Dk Zitate sind den Protokollen der Täufergespräche entnommen: Täufergespräch 1532: S. 28, 29, 33, 37, 45, 47, 62, 63, 67, 69, 70, 73. 1538: S. 122, 263, 265-270, 280, 282-289.

19) G edenkschrift a. a. 0 . S. 277-279.

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99 Christi zu tun. Da aber die Menschen nach wie vor Sünder bleiben, ist eine Arznei nötig, um das schlechte Fleisch zu entfernen. Diese Arznei ist die brüder­ liche Strafe ,ohne welche die christliche Kirche nicht bestehen kann. Zuerst soll man dem Bruder oder der Schwester unter Hinweis auf das Taufgelübde ihre Sünden Vorhalten, und erst, wenn sie darauf nicht hören, Zeugen hinzuziehen oder der Gemeinde Mitteilung machen. So soll man auch gegen die verfahren, die miteinander in Unfrieden leben, und sie also zur Ver­ söhnung bringen. Diese Ermahnungsgewalt steht jedem Christen zu. Allein wo die Gemeinde eine rechte ist, kann auch die Strafe recht geübt werden. « Von dem christenlichen Bann. Wo derselbe nit auffgericht und gebraucht wirdt nach dem ordentlichen und ernstlichem bevelch Christi, da selbs regiert nichts denn Sünd, Schand und Laster. Dr. Balthasar Hubmör von Friedberg. Die Wahrheit ist untötlich. Nikolsburg MDXXVII. »

Darin führt Hubmaier aus : 1. Der Bann ist die öffentliche Ausschlies­ sung eines Menschen, der von einer ärgerlichen, öffentlichen Sünde nicht ab­ stehen will. Er wird vollzogen ,damit die Kirche durch den Sünder nicht in schlechten Ruf komme und der Schwache sich nicht ärgere. 2. Die Gewalt des Bannes hat die Kirche von ihrem Ehegemahl Christus erhalten (Matt. 16, 19). Christus hat seinen Jüngern zwei Schlüssel gegeben, einen lösenden und einen bindenden. Der erste wird bei der Taufe gebraucht, er öffnet die Pforte der Kirche zur Sündenvergebung ; er öffnet auch dem reumütigen Sünder wieder die Tür, so oft er wahrhaftige Reue zeigt. Der zweite Schlüssel gibt der Ge­ meinde die Gewalt, die Sünder auszuschliessen. Menno Simons’ Stellung zu der Frage des Bannes war gegenüber seinen radikalen Mitarbeitern, die meistens « harte Banner » waren, eher eine ver­ mittelnde. Nach ihm soll auch der Bann « ein Werk der Liebe » sein und dazu dienen, den irrenden Bruder zur Umkehr zu bringen und andere vor dem Fall zu bewahren. Die Schlüsselgewalt kann aber nach Menno nur von einem « geist­ lichen Volk », das mit dem Heiligen Geist gesalbt ist, richtig verwaltet werden. Wörtlich sagt er : « Derhalben siehe wohl zu, so du deinen Bruder sündigen siehest. Geh nicht an ihm vorüber, als der seine Seele nicht schätzt, sondern wenn er zu heilen ist, so helfe ihm von Stund an und durch liebevolle Er­ mahnung und brüderliche Unterweisung, damit dein verirrter Bruder nicht in seinen Sünden veralte und verderbe. Wenn aber unter denen, welche durch die Taufe der Gemeinde einverleibt worden sind... jemand zu einem ärgerlichen Leben und falscher Lehre, wie sie die Schwärmer aufstellten, verfiele, den müssten sie sofort von der Gemeinde abschneiden und nichts mit ihm zu tun haben, nach den Worten des Apostels Paulus. » Wo der Bann in allzuschroffer Weise gehandhabt wurde, suchte Menno unablässig die Ansichten über seine Anwendung zu berichtigen und ihn ins rechte Licht zu rücken. Man solle nicht schwache Glieder, sondern verdorbene abschneiden und den Bann mit Gottesfurcht und väterlicher Fürsorge im echten

338 apostolischen Sinne lehren und « treiben ». Er solle eine Frucht des Evangeliums sein, das da baut und nicht bricht, und mit der grössten Vorsicht gehandhabt werden. Wenn auch nach einer gewissen Regel verfahren werden müsse, so könne man doch den Bann nicht immer ausüben oder vermeiden. In jedem besonderen Fall müsse nach bester christlicher Einsicht gehandelt werden. Sein Mitarbeiter Dirk Philips hebt in seinem « Handbüchlein von der christ­ lichen Lehr und Religion » die Notwendigkeit der Gemeindezucht besonders hervor. Die unwürdigen Glieder in der Gemeinde seien die unfruchtbaren Zweige am Weinstock, die, wenn sie nicht geschnitten würden, den Guten und Fruchtbaren schadeten. Wenn man die ärgerlichen Glieder nicht abschneide, so müsse der ganze Leib verderben. Wenn man die falschen Brüder in der Ge­ meinde behalte, werde diese verunreinigt und ihrer Sünden teilhaftig. Dirk Philips nennt die Gemeindezucht auch eine, oft starke und einfressende, Arznei, die stinkenden Wunden zu heilen, die durch gelinde Pflaster nicht könnten geheilt werden. Diese starke Medizin müsse aber vermengt sein mit Süssigkeit der brüderlichen Liebe, denn sonst möchte sie mehr Schaden als Nutzen bringen. Darum solle man acht haben auf die Regel, die uns das Wort Gottes gibt.20) Sehr fein äussert sich Hans Denck zu diesem Punkt. In seinem Werk « Von der wahren Liebe » sucht er « ein summ der 1er Jesu Christi » zu ziehen und will dabei das Gesetz der Liebe « höher spannen », dagegen die Kirchen­ gebote « in den sitten nachlassen ». « Doch mag man um der lieb willen nie­ mand weitter hassen, dann dass man ihn ernstlich strafet, und wo ers nit hören mag, mit herzelyd meidet, dies heisst auch geliebt in der Wahrheyt. Hierin stehet die absonderung der kinder Gottes von den weltkindern, ja, auch der bann oder ausschliessung der falschen brüedern, welcher lauter und ganz um der waren lieb willen geschehen muss, will man ändern den anfang des bunds der kinder Gots nit verleugnen, welcher ist die heyligkeit und absonderung von der weit gemeynschaft, so durch den tauff beschieht. »

3. DAS ABENDMAHL

Das Abendmahl, wiewohl von Jesus Christus als einigende heilige Hand­ lung des Neuen Bundes eingesetzt, wurde in seiner Bedeutung immer wieder verschieden aufgefasst. Der wesentliche Unterschied der Auffassungen bestand stets in der Frage, ob es nur ein Zeichen zum Gedächtnis an den gebrochenen Leib und das vergossene Blut Christi sei, oder ob in ihm eine wirkliche Gnaden­ oder Selbstmitteilung des Erlösers stattfinde. Die Reformatoren Zwingli und Luther verfochten ihren Standpunkt im Abendmahlsstreit. In den beiden grossen Religionsgesprächen mit den Täufern (1532 und 1538) kam die Abendmahlslehre nicht als selbständiger Lehrpunkt

20) Enchiridion oder Handbiichlein von der christlichen Lehr und Religion, S. 575. 773 f.

339 zur Sprache. Es seien daher im Folgenden nur die Ansichten einiger des be­ kanntesten Täuferführer gestreift. Hans Denck sieht im Abendmahl ein äusserliches Zeichen des « Werkes Christi zur Absterbung des Adams », ein Bundeszeichen mit Gott, « so viel ich meinen Willen in Gottes Willen durch Christum den Mittler setze ». Fast könnte man meinen, Denck befürworte eine sakramentale Heilsvermittlung, wenn er schreibt : « Wer also gesinnet ist und trinkt aus dem unsichtigen Kelch... der wird durch die Liebe Gottes ganz vergottet und Gott in ihm ver­ menscht. » 21) Im Brotbrechen, sagte er, bekennten wir : « dass wir auch immer eyner dem ändern eyn brot würden und brechen, wie er unser brot worden ist und zu einer speis zermalen und zerkucht worden ist, welchs alles wir im brot­ brechen uns erinnern sollen. » 22) Mithin wolle Gott, dass wir, wie Christus aus ganzer Liebe sich für uns eingesetzt habe, durch ihn so miteinander verbunden würden, « dass ir in ihm auch ein solch Brot werdent ». « Ich hab euch nit be­ fohlen, das brot miteinander zu brechen wie zankend hund. » Z3) Die wesentliche Bedeutung des Abendmahls für die Gemeinschaft der Gläu­ bigen hat Pilgram Marbeck in seinen Schriften dargelegt. Zunächst weist er darauf hin, dass der Genuss des Abendmahls der Seele, die in realer Lebensge­ meinschaft mit Christus stehe, eine Nahrung sei, ja zugleich eine Verbindung untereinander, die auf die persönliche Verbindung jedes einzelnen mit Christus gegründet sei. Der Hauptinhalt drängt sich in die folgenden Sätze zusammen :

« Das nachtmahl Christi ist ein leiblich und liebliche beikunfft oder Ver­ sammlung und ein gemein essen und trincken der christgläubigen, zu verkün­ digen den todt des herrn, und Vereinigung stetter brüderlicher lieb untereinan­ der. » « Die sollichs in gemein thun, bezeugen damit, dass sie gemeinschaft mit Christo haben, und durch einen geyst der lieb in eynem leib vermenget sind. Gleich als aus viel körnlin ein brot gemacht wird, und so viel körnlin zu­ sammen gemalen werden und unter einander vermischet, ein brot werden und seind. Also die mit einander von einem brot und kelch des herrn geniessen im nachtmal, sollen ein leib Christi sein, in der lieb und gehorsam des glau- bens.» 24)

Hubmaier verfasste 1526 in Nikolsburg die Schrift : « Ein einfeltiger un- derricht, auff die wort : Das ist der Leib mein, in dem Nachtmahl Christi ». Auch er lehnt die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl ab. Ihm ist « das dargeboten, gebrochen, genommen und gegessen Brot der Leib Christi in der Gedächtnus ».

21) Dencks Schriften, S. 25, hg. W. Fellmann.

22) Hans Denck: Von der wahren Liebe.

23) Hans Denck: Ordnung Gottes und der Kreaturen Werk.

24) Gedenkschrift a. a. 0. S. 257. 261.

340 Ein Jahr später schrieb er « Ein Form des Nachtmahls Christi» und nannte dieses « die rechte Gemeinschaft der Heiligen » und « eine öffentliche Bekundung christlicher Liebe ». « Eben auf diese Gemeinschaft und Liebes- pflicht bezieht sich ja das Abendmahl Christi, welches da ist ein lebendiges Ge­ dächtnis seines Leidens und Sterbens für uns und welches durch das Brechen des Brotes und Ausgiessen des Weines geistlich bedeutet und anzeigt, dass jeder für den ändern sein Fleisch und Blut auch also darreichen und vergiessen solle, daran werden die Menschen erkennen, dass wir wahre Jünger Christi sind. » Konrad Grebel schrieb am 5. September 1524 : « Das Nachtmahl der Vereinbarung hat Christus aufgesetzt und gepflanzet. Die Worte, so Matth. 26, Mark. 14, Luk. 22 und 1. Kor. 11 stehen, sollen allein gebraucht werden. Der Diener aus der Gemeinde solle sie vorsprechen aus einem der Evangelien oder aus dem Brief Pauli. Man muss im Geist der Liebe essen und trinken. Ob es wohl nur Brot ist, so Glaube und brüderliche Liebe vorgeht, soll es mit Freude genommen werden und so oft man es brauchet in der Gemeinde, soll es uns anzeigen, dass wir wahrlich ein Leib und Brot und wahre Brüder mit ein­ ander sind und sein wollen. » 2S) Für Menno Simons ist das Abendmahl nur ein « Vermahnungszeichen » und Gedächtnis dessen, dass der Sohn Gottes Jesus Christus uns durch das unbefleckte Opfer seines Fleisches und Blutes erlöst hat. Das Nachtmahl sei eine Gemeinschaft des Fleisches und Blutes Christi, welches nicht den Gott­ losen, sondern den aufrichtig Gläubigen und Bussfertigen zu einem Schatz der Versöhnung geschenkt werde. Hans Schlaffer schliesslich schreibt in seiner Schrift « Christlicher Unter­ richt eines neuen Lebens und Bekenntnis des christlichen Glaubens » : « Nit dass sein Leib, Fleisch und Blut da seien », gelte es festzuhalten « sondern das Brot zu brechen zu einem Gedächtnis seines Leibes für uns gebrochen » und den Kelch zu trinken zu einem Gedächtnis « seines Blutes für uns vergossen. » Auch in seinem « einfältig Gebet » (Kunstbuch, Bl. 112), das er kurz vor seinem Märtyrertod geschrieben hat, kommt er auf die Abendmahlsfrage zu sprechen. Zunächst verwirft er den Gedanken, den « die gantz vermeinth Christenheit » nach Joh. 6 hege, dass wir im Abendmahl « den Leib christi, oder sein fleisch im Brot und sein plut im kelch haben ». « Unser schriftge- lerten ziehen dies capitel uff brot und wein jm abendmal des herren. » Christi Fleisch essen und sein Blut trinken heisse aber nichts anderes, als durch den Glauben « christo, seinem leben, leiden und sterben, nach dem fleisch einge­ leibt, teilhaftig, gleichförmig und ein Ding werden ». Sie, die Täuferbrüder, verstünden das Abendmahl so, als dass sie sich alle als Brüder betrachteten, « nach dem wir alle sein ein brot und ein leib als viel unser sein so von einem brot essen und von einem trinckgeschirr oder kelch trinckhen. » Wenn er mahnt, jeder habe, « einer für den ändern, uss brüederlicher lieb, seinen leib darzegeben

25) Nach Jakob Vetter; Das heilige Abendmahl S, 119.

341 biss gar in den tod », so sieht er im Abendmahl nicht nur ein Gedächtnis, son­ dern einen ernsten Hinweis, dass das Leiden und Sterben Christi zugleich eine Verpflichtung für uns sei, den Weg Christi zu gehen, auch wenn er den Tod bedeuten sollte. Zur Festigung und Stärkung des Glaubens und zum Beweis einer ungefärbten Liebe solle man sogar bereit sein, « das Blut zu vergiessen », d. h. als Märtyrer zu sterben, obwohl das « eine starke brob » sei. In Rücksicht « uff die gantz gmein » solle man mit Ehrfurcht » sich dem Abendmahlstisch nahen.

4. DIE ABSONDERUNG

Im Gegensatz zwischen Weltreich und Gottesreich, zwischen Ungläubigen und Gläubigen liegt die Lehre von der Absonderung begründet. Für die Prädi­ kanten galt es, die Kirche, in die alle aufgenommen wurden, als durchweg christliche zu beweisen, wenn sie dem Absonderungsgedanken der Täufer mit Erfolg entgegen treten wollten. Entscheidend war also die Lehre von der Kirche, die Frage, « was und wie die Kilchen » sei, « weliche parthy die recht Kilchen » habe, ob diejenige der Täufer « die rechte christenliche kilchen oder gemeind sye », oder ob sie « nur ein rottung, absünderung » sei und in diesem Fall « unsers die wahre christenliche kilch. » Ueber diesen Kirchenbegriff wurde viel diskutiert. Die Täufer beanstandeten immer wieder, dass sogar alle Laster­ haften in die Kirche aufgenommen würden. Die Prädikanten erklärten, selbst Christus habe unter seinen Jüngern einen Judas gehabt und die Apostel hätten alle, die den Herrn mit dem Mund bekannten, « in jr kilchen ufgenommen ». Eine von der Welt abgesonderte Kirche sei auch die reformierte, die « von der Welt so träffentlich verhasset, dass ich kein ander kilch wüsste, dann Bernn, Zürich und Basel, die viel umb das blut und 1er Christi erlitten haben. » Laut dieses Zitates wollten also die reformierten Theologen unter dem Begriff « Welt » nur die Katholiken verstanden wissen. Die von den Täufern so oft angeführte Schriftstelle : « Gehet aus von ihnen und sondert euch ab » (2. Kor. 6), der « glimpf üwer Absonderungen », sei nach dem Sinn der Apostel so zu verstehen, dass man sich nicht von der Welt als solcher, sondern von ihrem Wesen und ihren bösen Werken abzu­ sondern habe. Christus habe doch geboten, die Lahmen und Krüppel zur Hoch­ zeit zu führen, er selbst sage, dass nicht die Gesunden, sondern die Kranken des Arztes bedürften. Dass die Täufer sich von der « rächten Kilchen » absonderten, liefere den Beweis, dass ihre Gemeinschaft « kein Kilchen, sondern nur rottung und sün- derung » sei, welche unter allen Sünden « das höchst Laster » sei. Wie hätten sie doch « Christo syn Kilchen zertrennt und eng gemacht ». In dieser Abson­ derungsidee seien viele Täufer so gefangen, dass sie meinten, ausserhalb der Täufergemeinschaft sei kein Heil und wer von ihnen abstehe, « träte das Blut

342 Jesu mit Füssen, sy also in ihrem Consientz (Gewissen) gefangen, welicher von üch abstande, dass der verloren sye und ein sünd zum tod im heiligen Geist getan habe. » Darin seien sie so verhärtet, « dass jr viel den Tod erlitten ». Heinrich Bullinger versuchte in seiner schon erwähnten Schrift gegen die Täufer26), die Absonderung von der Kirche als ein « nüwes rotten wider die christliche eynigkeit » hinzustellen. Ihm war die Trennung von der Landeskir­ che gleichbedeutend mit Aufruhr gegen die christliche Ordnung. « Darus folgt, dass die Widertäuffer tüfelische sygend und Zerrütter der Kilchen Gottes, röuber und blöderer, die noch nie ermässen habend, woruff jr leer endlich ge­ reichen möchte. » So wurde das Täufertum als Sekte abgetan und sogar als « Synagoge Satans » bezeichnet. Die Täufer hatten einen ganz ändern Begriff von der « Welt » als die Prä­ dikanten, was ihnen ermöglichte, ihre Lehre einer radikalen Absonderung zu rechtfertigen. Ihnen genügte schon Christi W o rt: « Mein Reich ist nicht von dieser Welt ». Sie hatten den Gegensatz zwischen Welt- und Christusreich, den Unterschied « zwüschen dem hochmut der wellt und den Christen, zwü- schen licht und finsternus, Christus und Belial » erkannt. Die Welt wurde von den Täufern verneint, weil sie in ihren Augen unschristlich war. Mit der Welt liess sich die Verwirklichung des Reiches Gottes nicht vereinbaren. Nach dem Begriff der Täufer ist die Kirche die Gemeinschaft der Nach­ folger Christi. Sie schliesst alle in sich, die es mit der Nachfolge ernst meinen. Für die Täufer ist das Vorbild Christi und der Urgemeinde bestimmend. Sie sind von der Möglichkeit, die ideale Gemeinde zu verwirklichen, überzeugt : « Der grand und Anfang der christenlichen kilchen, ein Versammlung einer christenlichen gemeind, ist die sich von Anfang begebend durch den glouben in gehorsame des Evangeliums, in ein bussvertig läben, rüw und leid empfa- hend, gloubend, dass jnen jr sünd vergäben... » « In allen denen das Wort Christi fruchtet und grünet, die sind die gmeynd Gottes, sind göttlicher natur, werdend brüder und schwöstern ge- nempt. Das ist nun der Unterscheid der Kinder Gottes und dieser wält, die von dem unkraut des tüfels gesäyt sind. »

Die Ansicht der Prädikanten, dass der Grund « der rechten kilch » in Bern gelegt worden sei, wollten die Täufer nicht teilen, da sie sich auf das « wältlich regiment » gründe, mit der Welt Gemeinschaft habe und nicht auf dem Grund des Wortes Gottes stehe :

« Der Grund ist wohl gelegt, ein jeglicher sehe aber, was er darauf baue. Ist die Kirche von der Welt abgesondert und handelt allein nach der Art Christi, so müssen wir sie als solche bleiben lassen. Ist sie aber noch in der Welt, so können wir sie nicht als die Kirche anerkennen... Das verwirrt mir auch mein Gewissen, dass ich zulasse, dass in Bern die rechte Kirche sei, die­ weil daselbst das weltlich Regiment und die christliche Kirche untereinander

26) Heinrich Bullinger: Von dem unverschampten Frävel, ergerlichen Verwirren und unwahrhafften Leeren der selbstgesanndten Wiedertöufferen.

343 sind. Die Schrift aber zeigt, wer mit der Welt Frieden hat, dass der nicht mit Gott bestehen und Frieden haben könne. Denn in der alten apostolischen Kirche waren nur die eingeleibt und in die rechte Kirche gepflanzt, die sich zur Busse und Aenderung des Lebens kehrten. Also ist die rechte Kirche auf­ gerichtet... und ist gleich eine Absonderung geworden von der W elt.»27).

« Ein besondere Kilchen samlen » : darin erkannten die Täufer ihre Auf­ gabe. Die Auserwählten sollten, wie sich « nach Christi bevelch... und apostoli- Itscher Ordnung gebürt, zu gottes volk besamlet, aufgenommen werden. » Auch sollte niemand in solche « Versammlung und gemeynschaft der Christgläubi­ gen » zugelassen werden, es sei denn, er habe zuvor « der weit mit ihrem anhang, pracht und pomp, auch der hoffart und allen fleischlichen lüsten » abgesagt. Was die Täufer unter Absonderung von der Welt verstanden, führt Dirk Philips in seinem « Handbüchlein » näher aus :

« Dieweilen wir von der Welt sehr gescholten, von den Gelehrten und Verkehrten schwerlich beschuldigt und von den Tyrannen greulich verfolgt wer­ den, als ob wir eine wiedertäufferische Secte seien und uns mit Unrecht ohne Ursache von ihnen abgeschieden haben; darum werden wir verursacht und gedrungen, uns ein wenig zu verantworten und die Ursache unseres Abscheids aus Gottes Wort anzuweisen und zu verhandeln. » « Darum was die Geschrift lehrt von der Abscheidung, nemlich dass man sich von allem falschen Gottesdienst, von dem Tempel der Götzen, von allen bösen Werken und Scheinen muss abscheiden und sich davon halten, das ist also zu verstahn, dass man solches mit dem Herzen inwendig muss tun und mit dem Werk auswendig beweisen... Dass etliche auch verwerfen, dass man aus Liebe um des Friedens willen mit der Welt wohl soll mögen gleisnen, das ist recht der alten krummen Schlangen Klugheit und betriegliche Lügen. Aber dieweil etliche der wahren Liebe gefehlt haben, haben sie sich begeben zu einem eitelichen schönen Geschwätz von der Liebe, da sie viel von rühmen und schreiben und geben vor, dass man aus Liebe wohl von des Herrn Wort mag weichen und Gottes Gebot übertreten und sich der Welt in ihrem ab­ göttischen und gottlosen Wesen, das ist der Gleisnerei gleichförmig machen, das doch eitel falsch ist und Lügen und offenbarlich wider Gott und sein Wort und wider die rechte Art der christlichen Liebe. » ”)

Mit solchen Worten rechtfertigte Philips die Absonderung von der Welt und ihrem falschen Gottesdienst. Er lebte dabei der Gewissheit, « dass wir uns nicht abscheiden oder geschieden haben von der rechten christlichen apos­ tolischen Kirchen oder Gemeind, die von Anfang gewesen ist. »

27) Die Zitate finden sich in den Protokollen der beiden Täufergespräche: Täufergespräch 1532: S. 21-24. 30. 1538: S. 101, 111, 114, 261, 267, 268,

28) Dirk Philips: a. a. O. S- 211-251,

344 5. DAS HIRTENAMT

Die Reformatoren gingen fast durchweg von dem Standpunkt aus, dass nur die von der offiziellen Kirche ordinierten Pfarrer von Gott berufen seien. Deshalb wähnten sie sich im Recht und erachteten es als ihre Pflicht, jedes ausserkirchliche Predigtamt zu verurteilen und zu bekämpfen. Die Einrichtung des Predigtamtes gestaltete sich der Organisation der Kirche entsprechend. Die Prädikanten suchten die Notwendigkeit einer ord­ nungsgemäss ordinierten Geistlichkeit zu beweisen. Sie erhoben wie die rö­ mische Kirche den Anspruch, dass allein die studierte Geistlichkeit in Sachen des Glaubens das Recht zu lehren habe. Pfarrer Ernst Müller bemerkt hiezu : « Wir zweifeln nicht, dass die Reformatoren redlich geglaubt hatten, dass die heilige Schrift die ausreichende Waffe sein müsste, die Opposition gegen ihr gottgewolltes Werk niederzuschlagen. Aber wie sollten sie mit dieser Waffe beweisen, dass sie nun das ausschliessliche Recht hätten, das Evangelium zu verkünden, während sie zugleich der römischen Geistlichkeit gegenüber das all­ gemeine Priestertum verkündeten ? » 29) In seiner gegen die Täufer gerichteten, am 30. Juni 1525 herausgekom­ menen Schrift « vom Predigtamt», rechtfertigte Zwingli das berufsmässige, mit festem Gehalt (den Pfründen) ausgestattete Pfarramt gegenüber dem Laien predigertum. Die Täufer seien zum Predigtamt nicht legitimiert, sondern stün­ den als « die aufrührerischen Selbstboten » im Dienste der Kriegsgöttin Eris. Sie kämen nur zur Kirche, nicht um zu lernen, sondern um zu lehren, und wollten von niemand gelehrt werden. Weil aber niemend lehren solle, ausser dem, der gesendet wird, solle man sie ablehnen, obwohl sie ausgäben, sie seien vom Heiligen Geist gesandt. Nur eine Gemeinde « mit wohleinsichtigen Chris­ ten » habe die Befugnis, einen Pfarrer zu ihrem Seelsorger zu erwählen. Das allgemeine Priestertum nach 1. Petr. 2,9 sei nur in dem Sinne aufzufassen, « dass jeder sich selbst opfert » (Röm. 12,1). Diese Einschränkung sei nötig, damit « nicht die Wölfe die Schafe zerrissen und Zwietracht unter den Scha­ fen Christi entstehe. » Bullinger kommt die « Sendung und w aal» der Täuferprediger vor wie ein neues Papsttum, wonach « in einem yeden stallbuben, kuppler, küchesüdel und kriegsgurgel » ein Pfarrer stecke. Dieses sei im tiefsten Grund nichts an­ deres als « ein rottung ongehorsamer lüten, by denen nitt meer rechter und ordentlicher waal ist denn by einem huffen abgefallner lüten, die jhnen etwe- lich zum houptlüten ufwerfind. » Im Gegensatz zur apostolischen Zeit, da die Obrigkeit noch heidnisch war, würden jetzt, so meinten die Reformatoren, die Diener der Kirche von der nunmehr « christlichen » Obrigkeit gewählt. Die Kirche, « die uns wahrlich

29) Ernst Müller: Geschichte der bernisehen Täufer. S. 47.

345 gesanndt und für Prediger angestellt », habe ihr diese Kompetenz übertragen. Gleichwie der Schultheiss in Bern sich nicht selbst in das Amt setze, ansonst er als ein Aufrührer angesehen würde, also habe es Gott gefallen, die Diener der Kirche zu erwählen, « dann unser gnädig Herren habend flissige sorg, wie trüwen Väteren zimpt, nach verständigen, beläsnen, gottesfürchtigen Prädi- canten. » Die schäfli Christi hand auch die Predicanten als wahre Hirten ge­ hört, jhnen gloubt. » Die Täufer hätten gar nicht erkannt, « wie gevarlich und schädlich es ist, dass sich jemand intringe und unterstände des göttlichen Pre- digtampts, daran unser seel heill und das ewig läben gelägen. » Dieses sei « durch die List Sathanas » geschehen.

Direkt von Gott gesandte Lehrer müssten ihren Beruf wie Moses und Paulus mit Wunderzeichen beweisen, was die Täufer « nit tan noch tun mö­ gend ». Alle Beweise der Schrift bezüglich Erwählung und Berufung zum Pre­ digtamt hätten die Täufer falsch angewandt, denn nicht jeder untadelige Christ sei zu diesem berufen, sondern nach Eph. 4 ganz ordnungsgemäss derjenige, dem der Dienst befohlen worden sei. Wenn sie meinten, die herrschende Kirche sei eine betrogene, so sollten die Vertreter der Sekte ihre Berufung mit besserem Schriftgrund beweisen und nicht immer nur die Eigenschaften des Predigers hervorheben. « Wenn sie schon die frömsten wären », wäre damit nicht bewie­ sen, dass sie darum auch gleich predigen sollten. Die Forderung nach sittlicher Reinheit eines Vorstehers, welche die Täufer vorbrächten, sei nicht durchweg berechtigt, da Jesus auch den Judas zum Apostel erwählt habe. « Darus volget, wenn schon der tüffel die warheyt und das Gotteswort seyte, so war es nit wider uns. » Man müsse mehr auf die Reinheit der Lehre dringen als auf die Reinheit des Lebens.

Das täuferische Prinzip, dass jeder Gläubige predigen solle, sei verwerflich, sonst müssten auch die Weiber predigen. Die Prädikanten aber würden « von der allerrechtgeschaffendsten Ordnung, von einer gantzen gmeind verrordnet, dann es wirt kein Pfarrer in unseren herren Statt und Land admittiert, er sye dann geordnet und examiniert von unserer kilchen unnd gmeind von Bernn, syner leer und läbens. »

In allen erdenklichen Variationen suchten die Prädikanten den Irrtum und die Vermessenheit der Täuferprediger anzuprangern. Die Absonderung von « der heiligen wahren christlichen Kirche » wurde ihnen in allen Tonarten als « Verbrechen » zur Last gelegt. Als « selbstlaufende Propheten » hätten sie die Frechheit, der Kirche « die Guten » abspenstig zu machen, « die Böswil­ ligen » aber zu lassen. Sie hätten einfältige Leute von der Wahrheit weggeführt und damit « um Leib und Leben » gebracht. Es wäre anständiger, wenn sie sich mit ihrer Hände Arbeit zu ernähren suchten, dann hätte doch wenigstens die Kirche Ruhe vor solchen « Missionaren ». Bei Frau und Kind zu bleiben « wäre ehrlicher, denn dass ihr aus Vermessenheit und Verwegenheit solchen

346 schweren Handel euch untersteht. Es schickt sich nicht, dass Kinder den Va­ ter und Schafe den Hirten leiten wollten. » 30) Aber eine Pastoren- oder Priesterkirche, in der für die Betätigung des allgemeinen Priestertums kein Raum war, wurde von den Täufergemeinden verworfen. In den Predigern sah man Diener der Gemeinde, welche diese zu wählen, zu berufen und anzuerkennen hatte ; ihr waren sie verantwortlich, in keiner Weise aber sollten sie Diener des Staates sein. Die Täufer suchten ihre Berufung zum Predigtamt aus der heiligen Schrift zu legitimieren. Sie unter­ schieden zwei Arten von Berufung :

1. Die Wahl durch die Gemeinde. 2. Die innere Berufung durch den Heiligen Geist. Wie die Apostel und ihre Mitarbeiter durch ihr sittliches Leben davon Zeugnis abgelegt hatten, dass sie in göttlichem Auftrag handelten und, von dem Heiligen Geist ins Lehramt geführt, von der Liebe Gottes getrieben wurden, « also bekennend wir auch unsern beruff, us sendung und yfer Christi und nit uss eignem gw alt». Auch habe nur die auf biblischer Linie sich bewegende Gemeinde, deren Glieder « sich von der wält und finsternus absünderend und sich begäbend fürhin Christo dem Herren ze läben in ghorsame », das göttliche Recht, mit Fasten und Beten (Apg. 14,23) ihre Diener zu erwählen. Einer der Täufer be­ kannte : « Also gib ich euch urkund mines beruffs, das ich ein gesandter von unserer gmeind erwellet, durch den geist berufft, in minem Hertzen versicheret bin, und ob es doch by den gschriftglerten gilt so viel es mög », « Darus volgt dass die wöllung (Wahl) nit von einer Oberkeit, sonder von einer gmeind nach den Worten des Evangeliums gan so ll». Der « Anhebung einer christlichen Predigt... muss Endrung, Bessrung, nüwe Geburt vorgan. Die Gläubigen, die gewandlet nach der Ler der Apost- len », hätten sich zusammengeschlossen, « darus ein rechte christenliche Ge­ meind erwachsen, von denen sind wir zu Diener und Jünger der Gemeind Christi bestellt, die uns das Predigtampt bevolchen, das Evangelium nach der Wahrheit zu verkünden. » Also habe Gott seine Boten « nit als sunder gelert», sondern als Diener der wahren Gemeinde Christi ausgesandt, wie er es auch mit Konrad Grebel getan. Zur Aufrichtung einer christlichen Kirche sei « widergeburt und ände- rung des Lebens » nötig. Diese hätten weder Zwingli noch Luther gefordert. Obwohl Zwingli die Zeremonien abgetan, habe seine Lehre « doch nit uff den Grund der Bussfertigkeit gereicht. » Die Täufer anerkannten allerdings, dass nicht jeder, der zu einem göttli­ chen Leben berufen sei, auch lehren solle. Sie betonten, dass einer die Gaben dazu haben müsse, und bestritten, « selbstgelüffen zu sein. « Die Berufung

30) Täufergespräch 1532, S. 117, 118, 122, 123. 1538, S. 40, 56, 66, 118, 120.

347 zum Predigtdienst geschehe « ouch durch ernstlich gebätt zu Gott nach der Apostlen A rt». Damit die Lehre Christi nicht gelästert werde, müsse der Hirt den Schafen mit gutem Beispiel vorangehen. Die Diener des Worts solle man in allen Ehren halten und ihnen aus freier Liebe das Nötige zukommen lassen, wenn sie sich nicht mit ihrer Hände Ar­ beit zu ernähren vermöchten. Christus habe « nit wellen, das syne jünger eine gwärb uss dem Wort Gottes machind, sich uff Pfründ setzind und gross Pfründen nemen söllind uss der götzen gutt » (den Stiftungen der Kirche). Es sei nicht ersichtlich, dass die Apostel « dinget syend um ein bestimmten Lon, sonder was jnen zugeteilt von glöubigen mit gutwilligem hertzen darge- Jeyt ». Paulus habe « mit arbeyt und müy tag und nacht gewärchet », um niemand beschwerlich und ändern ein Vorbild zu sein.31)

In dem vielleicht ältesten Bekenntnis der Täufer heisst es : « Derhalben sollen die Gläubigen, denen es an Predigern mangelt, nachdem sie mit feurigen Gebeten (Apg. 6,6) das Angesicht Gottes gesucht haben, ihre Augen wenden nach einem gottesfürchtigen Bruder (Apg. 16,2 ; 1. Tim. 3,7), der seinen eige­ nen Leib im Zaum hält (1. Kor. 9,27) und bezwingt und in welchem die Früchte des Heiligen Geistes (Gal. 5,22) verspürt und ersehen werden. Dieser, wann er durch gemeine Stimmen (2. Kor. 8,19) dazu ist erwählt worden, soll von den Aeltesten und Sorgtragern der Gemeinde im Glauben untersucht wer­ den (1. Tim. 3,10), ob er in allen Stücken nach der Regel des Wortes Gottes mit der Gemeinde übereinstimmig sei, auf dass er also tüchtig sei, andere den Weg der Wahrheit zu lehren, welchen er selbst (Matth 15,14; Jes. 9,15) versteht und kennt. Und derselbe, wenn er tüchtig erfunden worden (Tit. 1,8), soll im Namen des Herrn auftreten, dem Volk den Willen Gottes zu verkün­ den. Wenn nun wahrgenommen, dass ihm sei das Evangelium zu predigen von Gott anvertraut worden (Gal. 2,7), also dass er das Wort Gottes recht teile (2. Tim. 2,16) und mit demselben Frucht schaffe (Jes. 55,11 ; Kol. 1, 5.6) so kann die Gemeinde, wenn sie solches bedarf und er nach der Untersuchung mit der Gemeinde im Glauben nach dem Wort Gottes einstimmig zu sein erfunden wird, denselben durch gemeine Stimmen zum Aeltesten in den vollen Dienst und Lehrer erwählen; die Aeltesten (1. Tim. 1,14 ; 2. Tim, 1, 16 ; Apg. 13,3) durch Handauflegung es lassen bestätigen und ihn lassen in des Herren Ackerwerk (1. Kor. 3,9) arbeiten und wirken, auch die christliche Taufe und des Herrn Abendmahl samt dem, was dazu gehört, lassen dienen und ausrichten.» “)

Auch Michael Sattler fand in seinem Sendschreiben an die Gemeinde zu Horb, das er kurz vor seinem Märtyrertod im Gefängnis zu Binsdorf schrieb, treffliche Worte über den Dienst der Prediger und die Pflichten der Gemeinde. Eindringlich warnte er vor falschen Brüdern, die einen Wolfscharakter hätten, bei denen von der Lammesnatur der Schafe Christi nichts zu spüren sei. « Las­ set euch niemand den Grund verrücken, welcher gelegt ist durch den Buchsta-

31) Täufergespräch 1532, S. 13, 17, 21, 113, 119, 124. 1538, S. 29, 36, 39, 43, 44, 48, 51, 65, 74, 299.

32) Märtyrerspiegel Ausgabe 1780 Seite 413.

348 ben der heiligen Schrift und versiegelt mit dem Blut Christi und vieler Zeugen Jesu. » Zuletzt ermahnte er sie zur Standhaftigkeit im Blick auf Jesum Chris­ tum und b a t: « seid mildreich gegen alle, die unter euch Mangel leiden, ins­ besondere aber gegen diejenigen, die unter euch mit dem Wort arbeiten und verjagt werden und ihr Brot in der Stille und Ruhe nicht essen können. Ver­ gesset die Versammlung nicht, sondern wendet Fleiss an, dass ihr beständig zusammenkommt und euch vereinigt im Gebet und in dem Brotbrechen, und das desto fleissiger, weil des Herrn Tag nahe herbei kommt. » 33) Ueber den Dienst der Prediger finden sich bei Menno Simons sehr klare Bestimmungen. Er unterscheidet zwei Arten der Berufung : eine unmittelbare durch Gott und eine mittelbare durch die Gemeinde. In beiden Fällen aber müsse die Gemeinde prüfen und entscheiden. Von einer wissenschaftlichen Vorbereitung für dieses Amt sah er ab, offenbar, weil er bei den Gelehrten viel Missbrauch der Gelehrsamkeit fand. Auch eine feste Besoldung hielt er nicht für richtig, sondern nur eine entsprechende Unterstützung. An die Lehrer der Gemeinden richtete Menno folgendes Schreiben :

« Ich bitte alle diejenigen, welchen die Sorge des Wortes befohlen ist und mit mir in gleichem Dienst stehen, dass sie doch in allem ihrem Tun vor Gott und seiner Gemeinde sich also verhalten, dass niemand mit Wahrheit sie stra­ fen oder lästern könne. Aufrichtige Diener Christi, getreu in allen Dingen, Männer voll der Heiligen Geistes, aus dem unvergänglichen Samen Gottes geboren, mit dem himmlischen Licht umschienen, in Christo gute Art versetzt und seiner Gnade teilhaftig, von Gott gelehrt und gesalbt, ihres eigenen Ruh­ mes und eitlen Ehre nicht achtend, niedrig und klein in ihren eigenen Augen, eines stillen und sanftmütigen Geistes, mitleidig, barmherzig, väterlich, lang­ mütig, freundlich, demütig, keusch, gastfrei, mild, gütig und friedsam, unsträ­ fliche Hirten, die für des Herrn Herde Sorge tragen, nicht gezwungen, sondern williglich, aus dem Grunde ihres Herzens, nicht als die herrschen, sondern als Vorbilder der Gemeinde Christi» 34) « Wappnet euch », rief er ihnen zu, « handelt männlich ; wachet über Gottes Befehl, haltet fest und weichet nicht ! Wächter und Trompetenbläser werden die rechten Lehrer in der Schrift genannt. Blaset euer Horn in rechtem Ton und Schall! Wachet über Gottes Stadt; wachet weislich und schlummert noch schlafet nicht. Hes. 32. Geistliche Pfeiler sind sie. Ach steht in der Wahrheit fest; traget eure Last williglich und wanket nicht und werdet nicht schwach ! 2. Mose 26. Friedensboten heissen sie. Ach Brüder, erfüllet und macht euren Namen wahr ; wandelt in dem Frieden, steht für ihn ein und brecht ihn nicht ! Jes. 52. Nah. 1. Aufseher und Bischöfe heissen sie. Ach nehmet Christi Herde wohl wahr. Nehmet ihrer wahr und verderbt und versäumt sie nicht! 1. Tim 3, Tit. 1. Hirten heissen sie. Ach bewahret und weidet Christi Lämmer recht und verlasst sie nicht, wenn sie verschmachten! Eph. 4 ; Apg. 2 0 ; 1. Petr. 5.

33) M ärtyrerspiegel 1780, 11, Teil S. 21 ff.

34) Menno Simons: Fundamentbuch 1575, S. 846 ff.

349 Lehrer heissen sie. Offenbart Christi Wahrheit und Wort und verberget noch verschweigt es nicht ! Eph. 4. Geistliche Ammen und Väter heissen sie. Ach säuget und nähret eure jungen Kinder und betrübet noch verstosset sie nicht! 1. Thess. 2. Haushalter Gottes heissen sie. Ach verrichtet des Namens Geheimnis recht und missbrauchet und schändet ihn nicht! 2. Kor. 4. Das Licht der Welt heissen sie. Scheinet und leuchtet in vollen Ehren und verdecket den Glanz eurer Tugend nicht. Matt. 5. Das Salz der Erde heissen sie. Ach durchbeisset und salzet recht, und wer­ det nicht wurmig noch stinkend. Matt. 5 ; Mark. 9 ; Luk. 14. Diener an Christi Statt heissen sie. Ach Brüder dienet und herrschet nicht! Niemand rühme sich einer Gabe, bitte ich euch. Empfangende sind wir, nicht Geber, aus Gnaden, nicht aus uns, merket, Knechte und nicht Herren. 1. Kor. 4. Ach Brüder beuget eucht! Meine Auserwählten in der Liebe und Wahrheit, meiner Seelen Lust und Freude, solange ihr in dem Herrn stehet, auf dem Weg des Friedens bleibt, euren Brüdern getreu bleibt. Wandelt würdig nach dem Beruf, darin ihr be­ rufen seid. Fürchtet euren Gott von Herzen, liebet die Bruderschaft, führet euren Dienst redlich aus, reich ist er, der euch dies belohnen wird. Wachet und bittet. Bittet, sage ich, und das mit Vertrauen ; und er, der der Geber aller guten Gaben, ist, wird euch seine Gnade, Geist, Liebe und Weisheit nicht entziehen. Zweifelt noch fürchtet euch nicht. Süss, gnadenreich und voll Trost ist das Wort, welches der Herr sagt: Ei du frommer und getreuer Knecht, über wenig bist du getreu gewesen, über viel will ich dich setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude. Matth. 25. Ach Brüder, von Herzen lasst uns ermahnt sein, auf dass wir Christo und seiner Gemeinde treu sind.»34).

6. SCHWERT UND GEWALT

Die reformatorische Weltanschauung ging im Gegensatz zur katholischen allgemein dahin, dass die äussere, rechtliche, zwingende Obergewalt dem Staat und nicht der Kirche zukomme. Durch die Verbindung der Kirche mit dem Staat griff aber dessen Gewalt auch auf die Kirche über und entwickelte inner­ halb derselben sein Regiment. Die Reformatoren räumten dem Staat eine weitgehende Aufsichtsgewalt über Lehre und Gottesdienst ein. Die Vertreter der Obrigkeit sollten als « vornehmste Gieder der Kirche » mit der weltlichen Macht der Kirche Hilfe leisten. An der Berner Disputation versuchten die Prädikanten sogar den Staat zu verherrlichen. Sie sagten : « ...sunder dass die Oberkeit Götter sind, weli- chen die Oberkeit strafft, der ist von Gott gestrafft, dann sy sind Gotts Statt­ halter und jr gericht und raht ist Gottes Gericht und raht. » Um diese Auffas­ sung zu rechtfertigen, versuchten sie die Christlichkeit des Staates unter Beru­ fung auf das Beispiel Konstantins aus dem Alten Testament nachzuweisen. Der Kaiser habe sich « lassen taufen, die Christen hochgeachtet, die abgöttery zerstört, Kilchen und Versammlungen der Christen uffgericht ».

350 Infolge dieser kirchenpolitischen, theokratischen Weltanschauung ver­ mochten die Prädikanten in der Kirche nur eine Institution des christlichen Staates zu sehen, der nach der Ordnung Gottes (Röm. 13) befugt ist, das Schwert zu führen. Wenn das Reich Christi auch ein geistliches Reich und die Aemter der Kirche rein geistliche seien, so habe doch Christus « den wältli- chen gwalt nit ufgehept in syner Kilchen. » Aufgabe dieser Ordnung sei « das schwert von Gott jnngesetzt » zu füh­ ren, « zu erhaltung der frommen und straf der bösen », und solches Amt « nie­ mand bas denn ein Glöubiger führen mag ». Es gebe kein schädlicheres, sagten die Prädikanten, « und kein bösers gift dann ja diese unsinnigkeit, dass man gottesförchtige, gottsälige Herrn das Amt der Oberkeit nit tragen lassen will. » Sie fragten, ob denn eigentlich das obrigkeitliche Amt die Heiden und Türken « oder fromm Christenlüt verwalten söllind ». « Diewyl das Schwärt glouben und liebe pflantzet, so findt es sich, dass es nit ufgehept: dann glych wie es im alten Testament dessen für gewalt und tyranny zur fürderung der eer Gottes und brüderlicher liebe bedörffen, so ist ouch glyche notdurfft by uns, diewyl wir ein kilchen mit ihnen sind... dann so der Herr spricht, rüt das bös uss von dir, tötend disen und disen, da leert man uss den umständen, dass es der Ober­ keit befohlen ist, und uff das ampt reicht. » Wenn die Obrigkeit, die Helferin der Kirche, die Aufgabe habe, die Gu­ ten zu schützen und die Bösen mit « rutten, kerker, füür, wasser » zu strafen, so sei damit gesagt, dass sie das als « Gottes Dienerin » im Auftrag Gottes und nicht aus eigenem Machttrieb tue. Durch die Nächstenliebe werde jeder öffentliche Beruf, selbst derjenige des Henkers, geadelt.35) Bedenklich stimmt, dass die Reformatoren Argumente aus dem Alten Testament anführten, um die Gewalttätigkeit der Obrigkeit selbst in Glaubens­ sachen zu rechtfertigen. Bullinger meinte, die Jurisdiktion (Gerichtsbarkeit) der Obrigkeit erstrecke sich auch über den Geist und die Seele des Menschen, weshalb « sich der gwalt der yetzund zu unseren zyten under den Christen regiert, sich der händlen des gloubens annimpt ». Dieser « christenlichen gwalt hat des ouch ein byspil in Gottes Wort » (Josaphat, Josia, Nebukadnezar, Darius).36) Es ist nicht zu verwundern, dass die Täufer solchen Beweisführungen nicht beistimmen konnten. Ihre Einstellung gegenüber dem Staat und seiner Machtordnung war eine ganz andere. Die Obrigkeit als solche anerkannten sie zwar, aber « ausserhalb dem glouben Christi ». Sie erklärten, dass sie ihr ge­ horchen wollten, aber jede Einmischung derselben in Sachen des Glaubens verwerfen müssten. Ernst Müller schreibt : « Die evangelische Art ihrer inne­ ren Rechtspflege streng nach apostolischer Vorschrift musste ihnen lieber sein

35) Täufergespräch 1532: S. 100. 1538 : 78, 234, 247, 254, 557.

36) Bullinger: Vom dem unverschampten Frävel...

351 als die Justiz der Folterkammern, der Kerkertürme, der Schafotte und Schei­ terhaufen, für was alles wahrlich keine biblische Begründung zu finden war. 37) Mit besonderem Nachdruck betonten die Täufer : « Die weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren haben G ew alt; so soll es unter euch nicht sein » (Matth. 20,25ff. ; Mark. 10,42ff.). Da in Lukas 22,25 ff. noch eigens betont wird : « und die Gewaltigen heisst man Gnädige Herren ; ihr aber nicht also... », zogen sie die Schlussfolgerung « dass kein Christ ein Oberer sein mag. » Denn auch der Menschensohn sei nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zur Bezahlung für viele (Mark. 10,45). Christus habe befohlen, einander untertan zu sein, nicht übereinander zu herrschen. Der Forderung eines richterlichen Strafverfahrens von Seiten der Prädi­ kanten hielten die Täufer das Gebot der Feindesliebe entgegen. Das Gesetz im Sinne des Alten Testaments sei im Neuen Testament aufgehoben. Da Christus eine neues Gesetz gebracht habe, heisse es nicht mehr : Auge um Auge u.s.w. (Matth. 5). Er habe den neuen Bund gestiftet, « damit rach nicht mehr ge­ braucht, sondern dem Flerrn zugestellt» werde ((Röm. 12,20). Nur « die Straf Christi nach Gnaden soll von uns gebrucht werden. » « Die straf nach dem Fleisch bis zum tod finden wir niendert, dass Christus die jngesetzt oder ver­ ordnet, sondern anstatt der usserlichen straf den christlichen Bann. » Nach Eph. 6 seien die Waffen ihrer Ritterschaft nicht äusserlicher Art, weil die Gemeinde « ein regiment nach dem geist und nit nach dem fleisch h a t;... das Schwärt über das Blut künnend wir nit zulan, allein des geistlichen schwärtes des Banns, von Gott yngesetzt, behelfen. » « So jr nun nit wellend richten nach dem Nüwen Testament, so müssend ihr richten nach Kayserlichen Rech­ ten wie die Heyden. » 3S) Ueber das Prinzip der Gewaltlosigkeit äusserte sich Hans Denck folgendermassen : « Mit Gewalt fahren und herrschen, ist ganz keinem Christen erlaubt, der sich seines Herrn berühmen will. Denn das Reich unseres Königs stehet allein in der Lehr und in der Kraft des Geistes. Wer Christum wahrlich für seinen Herrn erkennt, der soll auch nichts tun, denn das er ihm befiehlt. Nun befiehlt er aber allen seinen Schülern, nit weiters mit den Uebeltätern zu handeln, denn dass man sie lehre und ermahne zur Besse­ rung ; wo sie nit hören, soll man sie Heiden lassen sein und meiden, dann die draussen sind (das sind die Ungläubigen) gehen die Gemeinde Christi nichts an, dann allein, wo sie ihnen mit der Lehr dienen möchten. » 39) In gleichem Sinne schreibt Pilgram Marbeck in seiner « Verantwortung » gegenüber Schwenckfeld : dass kein wahrer Christ gegen andere Gewalt aus­ üben dürfe, sondern « allein durch Gedult im glauben und lieb, freünden und

37) Ernst Müller: a. a. 0. S. 47.

38) Täufergespräch 1532: S. 58, 101. 1538; S. 20, 246.

39) Hans Denck: Von der wahren Liebe.

352 feinden guts beweiset und tut, mit dem schwert des geystes im wort der Wahr­ heit kempft, on allen eüsserlichen gwalt und schwert, dann das reich Christi ist nit von diser weit, so bedarf auch kein wahrhafftiger christ, weder statt, land noch leüt (als irdische herren) einnemmen, beschützen noch mit gwalt faren, dann solches gehört den jrrdischen und zeitlichen beherrschern zu, und gar nit den waren Christen. » Nicht bloss Papisten, sondern auch Evangelische übten unter dem Vorwande, den Glauben zu beschirmen, solche Gewalt aus, ohne durch das schlimme Beispiel des Bauernkrieges belehrt zu sein.40) Aus dem Verzicht auf Gewaltherrschaft ergab sich somit das täuferische Prinzip der Gewalt- und Wehrlosigkeit. Dieses wurde den Täufern so aus­ gelegt, als verstosse es gegen die Ordnung Gottes in Röm. 13. Sie selber aber behaupteten, dass ihre Lehre sich in keiner Weise gegen die Obrigkeit als solche richte, dass sie auch keineswegs die göttliche Ordnung tadeln, sondern viel­ mehr den Gegensatz von Christi Reich und Weltreich ins Licht rücken wollten.

7. DER EID

Die eben charakterisierte Stellung der Kirche zum Staat bestimmte auch ihre Haltung in der Eidesfrage. Die Prädikanten sahen im Eid ein « göttlich notwendig Mittel zu der Eer Gottes, gemeinen Friden, Liebe und Einigkeit ». Von der Obrigkeit werde der Eidschwur « zu der Eer Gottes und Liebe des Nechsten erfordert ». Der Eid sei im tiefsten Sinn « nur ein Bezügen der Wahr­ heit », ein Zeichen, dass der Mensch « bei der ewigen Wahrheit » beteure. Warum dürfte da ein Christ, der doch dem Frieden nachstreben solle, den Eid, der den Zank aufhebe, nicht leisten ? Die von den Täufern so oft angeführten Stellen : Matth. 5 ; Jak. 5, bezögen sich nicht auf den Eid, sondern lediglich auf das leichtfertige Schwören im Alltagsleben. Christus habe nur dem Miss­ brauch des Eides bei den Juden entgegentreten wollen. Den Täufern fehle es am rechten Verstand der Schrift. Damit wollten sie den « ordentlichen Eyd- schwur, der je und je unter dem Volk Gottes gsin », verwerfen und zugleich « alle Polezy (Polizeiordnung) eins friedsamen läbens verwirren ». Den Eidschwur, diese Bekräftigung der Wahrheit einer Aussage durch die Anrufung des heiligen, allwissenden Gottes als Zeugen, haben die altevangeli­ schen Taufgesinnten-Gemeinden zu allen Zeiten im Gehorsam gegen Jesu Wort (Bergpredigt) und das Verbot des Jakobus verworfen. Schon in Artikel 26 des ältesten Glaubensbekenntnisses der Taufgesinnten wurde der Eidschwur ab­ gelehnt. Die Wahrhaftigkeit des Christen, betonten die Täufer, solle so gross sein, dass man ohne weiteres seinem « Ja » trauen dürfe. Jedoch die « ändern, die das joch Christi nit uf sich nemment, als die wellt, die müssen die ding

40) Gedenkschrift a. a. O. S. 217.

353 bruchen, damit Zank geendett werden. » Solches geschehe « usserhalb der christ­ lichen Kilchen » .41) Christian Neff schreibt : « So hat das Eidesverbot Jesu einen tiefen Sinn und guten Grund, und es ist durchaus nicht eine beschränkte Auffassung der Schriftworte, sondern eine heilige Scheu vor der Majestät Gottes und ein tiefes Bewusstsein von unserer religiös sittlichen Schwäche, verbunden mit dem ern­ sten, gewissenhaften Bestreben, in der Nachfolge Jesu und im Gehorsam gegen ihn allewege der Wahrheit zu leben und aus der Wahrheit zu zeugen, was uns die absolute Verwerfung des Eides zur Pflicht macht » .42) Anders stellten sich die Reformatoren zu dieser Frage. Von der katholi­ schen Kirche hatten sie den Eid übernommen als « göttliche Einrichtung » zur Verteidigung des Rechts und als feierliche Erklärung der Untertänigkeit. Der Treueid schien den alten « Eid »-genossen unentbehrlich zu sein. Konrad Schmid kommt in seiner Streitschrift wider die Täufer auch auf die Eidesfrage zu sprechen. Den Eid habe Gott verordnet, um unter den durch Hader und Zank getrennten Menschen Einigkeit zu schaffen. Aber der Täufer « tüflischer geyst, der fried, einigkeit und die wahrheyt hasset, lert sine jünger, die Widertäuffer, dass sie den Eyd sollend mit allem Vermögen wi­ derfechten. 43) Diesen Standpunkt vertritt auch Bullinger, wenn er schreibt « Die Ober­ keit erfordert den eyd, und gebüt yedermann ghorsame und friden. So gat der Widertöuffer hin un macht unrüw, leert, man solle kein eyd schweren, ver­ bitteret den gemeinen mann wider die Oberkeyt. Item : er schwert Eyd und bricht dann die Urfäch. Darus dann entstandt, dass man zu ihm als einem un­ gehorsamen Menschen gryfft, und ihn vom läben zum tod rieht, damit nit ge­ meiner fried zerrüttet, und das böss meister werde » .44) Damit verschärfte sich der Konflikt zwischen den Taufgesinnten einerseits und den kirchlichen und staatlichen Behörden andererseits. Schon um das Jahr 1528 machten die Berner Täufer eine die Frage des Eides betreffende Eingabe an die Obrigkeit. In dieser heisst es : « W ir bitten üch durch gotts willen, sind uns gnedig des eyds halb, und wir sind des willens, üch in üwer hand zu geben in guten trüwen. » Das Handgelübte sollte also an Stelle des Eides treten und derjenige, der seinem Versprechen treulos würde, sollte ebenso wie ein Meinei­ diger bestraft werden. Der eigentliche Grund, den Eid zu verweigern, sei das Verbot der Schrift, was nicht so verstanden werden sollte, « als wetten wir aus ungehorsam nitt schweren », sondern aus dem Willen, heilige, dem Wort gehorsame Kinder Gottes zu sein. Das Schreiben endigt mit der Bitte : « erland

41) Täufergespräch 1538: S. 205, 210, 211, 217.

42) Mennonitisches Lexikon I. S. 587

43) Verwerffen der Articklen und Stucken... Durch Cunraden Schmid. Stadt, und Universitätsbibliothek Bern. A. D. 117.

44) Bullinger: a. a. O. Bl. CXXXIX.

354 uns durch das plut xpi (Christi), dass wir nit handlen miessen wider unsern gottherren. » 45) Menno Simons soll anfänglich nicht so streng über den Eid gedacht haben wie später, als er eindringlich mahnte : « Werter Leser, bist du ein solcher, der den Herrn fürchtet, und es trägt sich zu, dass du zu einem Eid gedrungen wirst, so bleibe bei deines Herrn Wort, welches das Schwören dir so offenbar verboten hat, und lass dein Ja und Nein dein Eid sein, wie er geboten hat, es gereiche dir zum Leben oder Sterben, auf dass du so die unnütze eitle Welt, die keine Dinge weniger achtet als das Wort des Herrn, durch solche Tapfer­ keit und beständige Wahrheit in ihrer Untreue und Falschheit mit deinem wahrhaftigen Ja und Nein zur Gerechtigkeit ermahnen und strafen mögest. » 46)

* * *

Mit diesen sieben Artikeln hatten die Täuferbrüder das Wesen der wahren christlichen Gemeinde, wie sie es verstanden, charakterisiert. Die täuferische Bewegung zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die Brüder das Leben und Wesen der christlichen Urgemeinde darzustellen suchten. Die Berner Täu­ fer wagten sogar, den staatskirchlichen Theologen entgegenzuhalten, sie bean­ spruchten, die alleinige christliche Kirche zu sein, eine andere könne es nicht geben, wobei sie argumentierten : « wir hand ouch die rächt Kilchen by üch Prädicannten nitt funden, darumb sie anderswo gesucht. » Ein wahrhaft christ­ liches Volk « nach der Ler Christi und der Apostel» sei weder im Papsttum noch bei den Reformierten zu finden. Bei den Täufern « hand wir unsere brüder funden mitt Ler, Leben, Glouben, Taufen, Bann, Brottbrächen. Die erkennen wir für die christenliche gmeind. » 47)

45) U. P. 80 Staatsarchiv Bern.

46) Menno Simons: Fundamentbuch.

47) Täufergespräch 1538: S. 49, 54, 68.

355 17. Kapitel

Die Lehre vom Heilsweg

Es ist wohl zu beachten, dass die Reformatoren das Hauptgewicht ihrer Theologie auf die Dogmatik, die « reine » Lehre legten, während die Täufer­ führer mehr die Ethik, das reine Leben, in den Mittelpunkt rückten. Bei den Reformatoren stand im Vordergrund das Bekenntnis, die Rechtfertigung, bei den Täufern der Wandel in der Liebe, die Wiedergeburt und die Heiligung. Bestrebt, in ihren Gemeinden solch ein praktisches Christentum zu fördern, waren sie sich wohl bewusst, dass hiezu nur der Glaube, der sich auf das Opfer Christi stützt und sich im gehorsamen Leben bewährt, die Grundlage sein kann.

A. DIE NACHFOLGE CHRISTI

In den täuferischen Schriften wurde immer wieder zur Nachfolge Christi auf gef ordert. Die Täufer beriefen sich dabei nicht nur auf Christi Bergpredigt, sondern wollten auch der Aufforderung in Eph. 5 : « Werdet Nachahmer Christi » Folge leisten. Der Aufruf, nach dem Vorbild Christi zu leiden, an den Leiden des Christus teilzunehmen, war für sie keine leere Theorie, sondern eine ernsthafte Mahnung, dem Herrn auf seinem Leidenswege laut Matth. 10 nachzufolgen. Schon um das Jahr 1501 hatte Erasmus von Rotterdam, der grosse Huma­ nist von Weltruhm, in seinem « Handbüchlein des christlichen Streiters » auf den « Ernst der christlichen Entscheidung » hingewiesen. Das Handbüchlein zeugt von hoher Wertschätzung der heiligen Schrift. An mehr als einer Stelle begründet er die Pflicht eines tugendhaften Lebens, das mit dem Taufgelöbnis beginne. Er bezeichnet das Wort Gottes als die Nahrung der Seele, als geist­ liche Speise, die dem Manna zu vergleichen sei. Er legt grossen Wert auf die « Erkenntnis des Gesetzes », welches er in den beiden Knechten Gottes Moses und Aaron versinnbildlicht sieht. Das Gebet nennt er eine Zwiesprache mit Gott. Die heilige Schrift sei eine Rüstkammer, aus welcher schon der Feldherr David sein Rüstzeug zu jeglichem Kampf geholt habe. Hinzu kämen Demut und Sanftmut als Gefolge der göttlichen Weisheit. Mit besonderem Nachdruck lehrt Erasmus, Christus sei das einzige Ziel des Lebens ; auf ihn allein habe sich alles Streben, alles Wagen, alles Tun und Lassen zu richten. In diesem Bewusstsein rät er, Sorge zu tragen, « dass wir

356 uns nicht von Scheingebilden blenden lassen je mehr wir anfangen, zum Wahren aufzuschauen » und « bis zum verborgenen Schriftsinn Vordringen. » Ihm war es darum zu tun, immer wieder darauf hinzuweisen, dass nur eine ungeheuchelte Frömmigkeit Wert habe und nicht eine bloss äussere christliche Andachtsform. Es sei «- das allergrösste, im Gemüt den Spuren Christi zu folgen. » Er sehe in Christus sein « Frömmigkeitsideal». Unter dem Einfluss gottbegnadeter Lehrer suche er « christuswürdige Ueberzeugungen einzusaugen». Die Zahl derer, « denen christliche Einfalt, Armut und Wahrheit Herzenssache » seien, werde zwar immer klein bleiben, aber ein « seliges Häuflein » bilden. Schmal sei der Weg der Tugend, nur wenige seien, die darauf wandelten. « Der geistliche Mensch » stosse gemeinhin « auf die verzerrtesten Auffas­ sungen, die von der Lehre Christi weit und breit » wichen. Diese Abweichungen hätten zur Folge, « dass die Christen nicht einmal die Apostel und die Propheten zum Vorbild » nehmen dürften, geschweige auf Christus sich berufen könnten, In dieser Verwirrung sprach Erasmus das kühne Wort : « Du bist nicht ein Glied Christi, wenn du nicht in die Fusstapfen Christi trittst » und bezeichnete die Bergpredigt, die später die Taufgesinnten zur Richtschnur nahmen, als « die himmlische Philosophie ». Mit diesem christozentrischen Gedankengut hat Erasmus den Grund gelegt zu dem läuferischen Prinzip der Nachfolge Christi. Kein Wunder, dass Menno Simons mehr als einmal die Schriften des Erasmus zitiert, dass Walther Köhler urteilt : « Die Täufer stehen Erasmus näher als Luther » und Huizinga ihn geradezu « den geistigen Vater des Täufertums » nennt.*) Vor allem ist es Hans Denck, der dem Gedanken der Nachfolge immer wieder Ausdruck verliehen hat. Sein Wahlspruch lautete : « Christus, welchen niemand mag wahrlich erkennen, es sei denn, dass er ihm nachfolge mit dem Lehen », und umgekehrt: « Christus, dem « niemand mag nachfolgen, denn soviel er ihn erkennt. » « Wer Christus erkennt und nicht mit dem Wandel bezeugt, diesen wird er mit ändern Verkehrten richten. » Der « gemeinschaft des Evangelij » mag sich nur der « vertrösten », der den Weg der Selbstverleugnung geht. Dencks Schrift « Was geredt sei, das die Schrift sagt... » war ein Angriff auf Luthers Rechtfertigungslehre, die im Volk allzu oberflächlich aufgefasst wurde. Auch eine andere Schrift Dencks, « Vom Gesetz Gottes », ist nach Walter Fellmann « ein Generalangriff auf die lutherische Rechtfertigungslehre ». Denck

1) Dass auch des Erasmus « Paraphrasis Oder Postilla Teütsch. Das ist klare Ausslegung aller Evangelischen und Apostolischen schrifften des Neüwen Testaments » in der deutschen Uebersetzung Leo Juds bei den Mennoniten Eingang gefunden hat, beweist die Tat­ sache, dass meinem Mitarbeiter Christian Schmutz von mütterlicher Seite ein guterhaltenes Exemplar dieses grossen Werkes — es handelt sich, wie mir Prof. Dr. Rudolf Pfister freund­ licherweise mitgeteilt hat, um die 1535 bei Christof Froschauer in Zürich erschienene Erstausgabe — hinterlassen wurde, welches in der Seigne-Gemeinde (bei Montbeliard) verwendet worden ist.

357 schreibt in ihr : « Welcher meint, er sei Christi, der muss den Weg wandeln, den Christus gewandelt hat, so kommt man in die ewige Wohnung Gottes » (Joh. 8, 12). Luthers These, Christus habe für alle genug getan, bejaht Denck, fügt aber gleich hinzu, dass Christus mit seinem Opfer Genüge geleistet habe, den Weg zu bahnen, « auf dass man ihm nachwandelt und zum Leben kommt». « Christus hat das Gesetz erfüllt, nicht dass er uns sein überheben wollt, son­ dern uns ein Beispiel gegeben ihm nachzufolgen... Niemand mag dem Gesetz genug tun, der nicht Christum in der Wahrheit kennt und liebet. » Damit stand Denck in bewusstem Gegensatz zu Luther, der dessen Auffas­ sung, dass man allein in der Nachfolge Christi des Trostes, den das Evangelium gewähre, gewiss werde, als « papistische » Meinung verschrie und behauptete, sie stamme geradezu vom Teufel. Die Schriftworte « Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben » verdrehe der Teufel so : « Christus habe uns gege­ ben gute Lehre und Gebot, wie wir tun und leben, so auch gute Exempel, denen wir folgen sollen, und wenn wir solches halten und tun, so treffen wir den rechten Weg zum Himmel; machet also aus Christus einen lautern Mosen » .2) Wie ernst es den Täufern mit der Nachfolge Christi war, haben sie im Leben und Leiden bewiesen. Dass der Weg der Nachfolge « der einzige Weg zur Seligkeit » sei, hat Denck mit Ueberzeugung gelehrt und seine Anhänger ernstlich ermahnt, « die Creaturen fahren zu lassen » und « das Joch Christi auf sich zu nehmen ». Wenn, fragt Denck, die guten Werke dermassen zu verwerfen seien, warum denn Gott von den Ungerechten sage, sie ererbten das Reich Gottes nicht ? (1. Kor. 6, 9. 10). Es sei doch eine Schande, Christus kennen lernen zu wollen und zugleich das alte gottlose Wesen zu behalten. Von « geistlicher Freiheit » reden und in « fleischlicher Knechtschaft» bleiben sei ein gewaltiger Widerspruch, eine ausgesprochene Verführung. Luther fand die Hauptstütze der christlichen Lehre in den Briefen des Apostels Paulus, während die Täufer sich besonders auf die Aufforderung Jesu in den Evangelien : « Wer mir dienen will, der folge mir nach » beriefen. Somit wurde die Lehre von der Nachfolge Christi Luther sozusagen ein Dorn im Auge. Er gebrauchte sogar den Ausdruck « besudeln » im Hinblick auf die guten Werke und meinte : « Da liegt die Sau wieder im Kot mit allen Vieren. » Er machte auch Karlstadt zum Vorwurf, dass er fortwährend die Nachfolge Christi betonte : « Carlstadts Theologie ist nicht höher kommen, denn dass sie lehret, wie wir Christo nach sollen folgen. » Offen sprach er auch seine Abnei­ gung gegen den Jakobusbrief aus und nannte ihn « eine stroherne Epistel, die keine evangelische Art an sich hat und mehr von Werken handelt», offenbar aus dem Grunde, weil darin betont wird, der wahre Glaube beweise sich durch Werke. Zweifel an der Echtheit des Jakobusbriefes, der « nicht würdig eines

2) Ludwig Keller: Ein Apostel der Wiedertäufer. S. 137.

358 apostolischen Geistes » sei, äusserte er auch in seiner Vorrede zur Uebersetzung des Neuen Testaments. In der Vorrede zum Jakobusbrief selbst spricht Luther dieser Epistel die Eigenschaft eines « rechtschaffenen heiligen Buches » ab und geht sogar so weit zu sagen : « Den Jakobus will ich nicht haben in meiner Bibel. » Die von ihm verfochtene Autorität des Kanons konnte also durch­ brochen werden, wenn sein Lehrbegriff es erforderte, wie er denn auch schreiben konnte, sein Geist schicke sich nicht in das Buch der Offenbarung Johannes, da « Christus darin weder gelehrt noch erkannt wird ». Menno Simons dagegen schrieb : « Die Lutherischen leeren und glauben, dass uns der Glaub allein selig mache, auch ohne einiges Zutun der Werck. Sie treiben es so hart und hoch, als ob ganz keine Werck notwendig wären, ja dass es auch also von solcher Art und Natur sei, dass er keine Werck neben ihm zulassen oder leiden könne. Und darum muss Jacobi hochwichtiger, ernsthafter Brief (dieweil er solche leichtfertige eitle Leere und Glauben strafet) als strohin bei ihnen angesehen und geachtet sein » .3) * * *

Die Forderung der Nachfolge Jesu steht in engem Zusammenhang mit der Lehre vom

B. FREIEN WILLEN DES MENSCHEN

Die Lehre von der Freiheit der Willensentscheidung ist für die Täufer von ausschlaggebender Bedeutung. Auch hier stehen sie in strengem Gegensatz zu Luther. Dieser erachtete seine Leugnung der Willensfreiheit als denn Kern und das Hauptstück seiner ganzen Lehre, während Denck seinem Lehrsystem den Gedanken zugrundelegte, dass der Schwerpunkt allen Glaubens und Tuns in dem « Willen zum Guten » liege. Luther spricht dem Menschen alles Gute ab. Auch die einfachsten Impulse natürlicher Gütigkeit erklärt er für unmöglich, der natürliche Mensch sei ganz und gar voll Hass und voll Gift. Alle mensch­ liche Kultur erwachse lediglich aus der Selbstsucht. Auch im Gewissen sei nichts' Gutes, nur Angst, Schrecken und Verzweiflung, und seine Funktion selbst sei ausschliesslich Sündengefühl. Die innere Stimme, die den Menschen vor dem Bösen warne, sei eine Versuchung des Satans (Siehe Seite 324). Mut­ masslich kommt Luther zu dieser Auffassung durch die Einsicht : « Der Mensch ist ganz in Sünden ersoffen. Was wir wollen, ist böse, was wir denken, ist Irrtum, Finsternis, Bosheit, Willens-und Verstandesverkehrtheit. Mit keinem Gesetz, keiner Strafe ist sie zu vertreiben. Das Gesetz zeigt sie nur an, wehrt sie aber nicht. » In diesem Sinne sagt er weiter, jeder Mensch sei nur ein Abbild und Werkzeug des Teufels. « Das ganze menschliche Geschlecht, wie

3) Menno Sim ons: Fundam entbuch, 1575. S. 323 f.

359 herrlich auch seine Weisheit oder Gerechtigkeit vor den Menschen leuchtet, ist doch anders nichts, denn ein verderbter verfluchter Klumpen. » 4) Sein tiefer Einblick in die Verderbtheit der menschlichen Natur führt ihn zu der Schlussfolgerung, dass dem unwiedergeborenen Menschen jede Willens­ freiheit in geistlichen Dingen fehle. Er schreibt: « In den Dingen, so Gott angehen und über uns sind, hat der Mensch keinen freien Willen, sondern ist gewisslich wie ein Lehmkloss in der Hand des Töpfers, in welchem allein ge­ wirkt wird, er selbst aber wirket nichts. » Die biblische Begründung dieser An­ sicht fand Luther in 2. Tim. 2, 26. Er sagte : « Wenn gleich kein Spruch wäre, denn derjenige Pauli, sie sind des Teufels Gefangene, so hätten wir damit Schrift und Grund genug gegen den freien Willen. » Infolgedessen geschehe alles nach einem ewigen Gotteswillen, sogar die Verstockung etlicher Menschen. Luther stützt sich hiebei einseitig auf 2. Mose 14, 4 und Röm. 9, 18 und lässt nicht zu, dass die Ursache der Verstockung nicht in Gottes Vorbestimmung, sondern im Menschen selber liege. Er geht in seiner Schlussfolgerung noch weiter und sagt « dass allein der ewige Gotteswille etliche verstockt, über etliche sich aber erbarmt. » « Dieweil Gott alles in allen regiert, wirket und schaffet, so muss er je auch von Not wirken und schaffen im Satan und den gottlosen Menschen. » Diese extreme Schlussfolgerung ist dem Glau­ ben gewiss nicht förderlich. Hans Denck, der tief religiöse Denker, sieht im Gegensatz zu Luther in jedem Menschen einen guten Keim, wie versteckt er auch immer sein möge. Er schreibt : « Ja ihr habt auch ein inneres, heimliches Verlangen nach dem Guten. Sehet, dies Gute ist euch nicht zu fern noch zu hoch, sondern es ist in deinem Herzen und Mund, du kannst davon nicht lassen, du musst daran denken und davon reden, selbst dann, wenn es dich anklagt. » Denck mahnt, diesem Trieb als « einem Anfang des Werkes des ewigen unüberwindlichen Gottes », nicht zu widerstreben, denn « dieses Wirken will euch von der Selbstsucht, die euer Leben durchdringt, abführen, indem ihr selbst erkennt, dass ein selbstsüchtiges Leben eitel und unbeständig ist. Merket auf, dass ihr die Stimme eures Herzens nicht in den Wind schlagt. » Besonderen Nachdruck legt Denck auf die innere Stimme im Menschen, die Stimme des Gewissens. In dieser inneren Stimme sieht er die Grundlage für den Glauben an das Gute. « Der Wille zum Guten ist jener Funke des göttlichen Geistes, den Gott uns gegeben hat. » « Das Streben nach Gott und dem Guten, so verdeckt es auch sein mag, gibt Zeugnis vom Geist Gottes ; denn ohne Gott mag man Gott weder suchen noch finden, und, wer ihn in Wahrheit sucht, der hat ihn auch in Wahrheit. » 5) Also lebe im gefallenen Menschen dennoch ein Stück des göttlichen Eben­ bildes, und er sei nicht so « ganz in Sünden ersoffen » wie Luther meine. Durch

4) Ludwig Keller: a. a. O. S. 60 f. 79.

5) Ludwig Keller: a. a. 0. S. 50. 81-84.

360 Gottes Gnade werde der Mensch von der Sünde los. Aber nur ein heiliger Wandel erhalte ihn in der Gemeinschaft mit Gott und führe ihn zu weiterer Erkenntnis. Als Antwort auf Luthers extreme Auffassung gab Denck eine besondere Schrift heraus, betitelt : « Was geredt sei, das die Schrift sagt, Gott tue und mache guts und böses Ob es auch billich, dass sich yemandt entschuldige der Sünden und sy Gott überbinde. M D X X V I.»

In dieser Schrift suchte er die Stelle Jes. 45, 7 in entgegengesetztem Sinne zu erklären. Gott schaffe nicht das prinzipielle Böse, sondern nur das Böse im Sinne von Unglück als Strafe für Sünde und Schuld. « Ihr sagt, dass es nicht möglich sei, das Gute zu wollen, weil wir über­ haupt nicht wollen können. Aber die heilige Schrift selbst beweist an allen den Stellen, wo sie ermahnt oder gebietet, dass ein freier Wille vorhanden ist. Jer. 21,8 ; 5. Mose 30,15. Auch Christus setzt in seinen Worten und Lehren stets die Freiheit des menschlichen Willens voraus. Der Mensch weiss in seinem Herzen wohl, was er tun soll... er kann die Sünde wollen und tun, er kann aber auch das Gute wollen... Die Sünde erwächst aus der Willensfreiheit. Gott wollte die Menschen nicht zwingen und treiben wie einen Stein oder Block. Er hätte die Sünde wohl verhindern können, aber dann wäre die Willensfreiheit, die freie Selbstbestimmung zum Guten verloren gegangen, die Gott den Menschen sichern wollte. »

Schwer muss es für Denck gewesen sein, dass er mit diesen Gedanken in Konflikt mit der Kirche kam. Er klagt in der erwähnten Schrift : « Es sind etliche Brüder, die meinen, sie haben das Evangelium ganz und gar ergründet, und wer nicht allenthalben auf ihre Rede « Ja » sagt, der muss ein Ketzer über alle Ketzer sein. » Darum sei es gelogen, wenn die falschen Christen sprächen, sie könnten nichts tun, denn was Gott in ihnen wirke. Das Problem des freien Willens berührt Denck auch in seiner Schrift « Ordnung Gottes und der Kreaturen Werk ». « Gott zwingt niemand in seinem Dienst zu bleiben... ihr sollt wissen, dass es in Sachen des Glaubens alles frei­ willig und ungezwungen zugehen soll. » Gott wolle keinen gezwungenen Dienst ; er zwinge niemand zum Guten und niemand zum Bösen. Denck schreibt: « Ihr streitet euch so heftig um den freien und unfreien Willen. Wenn ihr die Sache nur recht versteht, so werdet ihr bald sehen, wie nichtig dieser Streit ist und nur ein Streit um Worte. Ich kann meinen Willen in Gottes Willen geben, insofern bin ich frei, aber auf dem Wege Gottes einhergehen, d.h. das Gute zu vollbringen, vermag ich nur, so weit ich von Gott dazu ge­ stärkt bin oder soweit mir Gott seine Mitwirkung (Gnade) dazu leiht — in­ sofern bin ich unfrei. Ich kann auch das Böse wollen — insofern bin ich frei, aber indem ich es tue, werde ich beherrscht von den bösen Trieben und dann bin ich unfrei. »

Weiter fordert Denck, der Mensch müsse seine Selbstsucht aufgeben und sich selbst verlieren. In diesem Sich-selbst-verlieren und Zerbrochen-werden sieht er den einzigen Weg, der Lammesnatur Christi teilhaftig zu werden.

361 Luthers Theologie von der Unfreiheit des menschlichen Willens wurde durch seine Prädestinationslehre noch eingehender bestimmt. Nach dieser sind auf Grund der « Vorsehung Gottes » nur die « Auserwählten » zur Seligkeit vorausbestimmt, die ändern unfehlbar der ewigen Verdammnis verfallen ; so­ mit kommt ein freier Entscheid der menschlichen Persönlichkeit gar nicht in Frage. Gegen diese Theorie wandte sich die erwähnte Schrift Dencks « Was geredet sei... » deren Wurzeln, wie Fellmann schreibt, « in der Abwehr der Prädestinationslehre der Reformation » liegen. Aus der Unfreiheit, wie Luther sie sah, wäre zu schliessen, dass unser Seelenheil ganz unabhängig von unserem Verhalten zu denken sei. In der Vor­ sehung Gottes läge die Gewissheit begründet, dass alles, was geschieht, nach einem ewigen, durch uns nicht zu ändernden Ratschluss Gottes verlaufe. Solcher Glaube würde zu Fatalismus führen. So musste z. B., da Gott des Judas Verrat vorauswusste, Judas notwendig ein Verräter werden, und in seiner Hand stand es nicht, anders zu handeln oder seinen Willen zu ändern. Dass in diesen Lehr­ sätzen sich ein Widerspruch offenbart, hat Luther selber durchschaut; deshalb nahm er Zuflucht zum Dualismus von dem geoffenbarten und dem heimlichen Willen Gottes, welchen man nicht kennen könne. Diesen doppelten Willen Gottes solle die Vernunft aber nicht zu erklären versuchen, denn er sei ein Geheimnis. Aus dieser Sackgasse herauszukommen, besass Luther aber den « freien Willen » nicht. Dass Hans Denck weder Luthers Lehre von der Unfreiheit des Willens, noch die aus ihr gezogenen Schlussfolgerungen billigen konnte, liegt auf der Hand. Er, dem das Bewusstsein der Wahlfreiheit ein wesentlicher Bestandteil seines Glaubens war, konnte unmöglich sich dazu bequemen, die Ausführungen in Luthers Schrift über die Knechtschaft des Willens zu akzeptieren. Dass Gott auch Böses schaffe, sei doch ganz undenkbar. « Wenn Gott der Herre das Böse ohn alle Unterschied tät, wie seine ungetreue Knecht sagen, so könnte er die Welt nimmermehr strafen und richten. » In solcher Weise sich der Barmher­ zigkeit Gottes zu « vertrösten », « wird euch noch sauer genug machen ». Die Aufforderung in 5. Mose 30, 15 : « Siehe ich habe dir vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse », ebenso in Jer. 31,8: « Siehe, ich lege euch vor den Weg zum Leben und den Weg zum Tode » bestätige doch klar, dass Gott in seinen Worten stets die Freiheit des menschlichen Willens voraussetze, also die « freye Willkür » dem Menschen überlasse, wenn auch « die schriftweysen, die nit zum reych der hymel gelehrt sind », das ver­ neinten. Mit unserem « schwetzigen Glauben », sagt Denck, sei es wahrlich nicht gemacht, « dann welche das Gesetz hören und nit mit der Tat erfüllen, seint vor Gott nit gerecht. »

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Auseinander gingen die Anschauungen auch in Bezug auf

362 C. GESETZ UND EVANGELIUM

Die lutherische Tradition sieht in der Lehre vom Gegensatz zwischen Ge­ setz und Evangelium den Schlüssel des Verständnisses der heiligen Schrift. Für Luther war er eine der wichtigsten Entdeckungen seines Lebens, welcher er besondere Bedeutung beimass. In seinen Schriften kommt er öfters auf diesen Gegensatz zu sprechen. Er suchte klarzulegen, dass das Gesetz mit seinen For­ derungen unser Unvermögen offenbare und wir als Mühselige zu Christus kä­ men, der alles für uns getan habe. « Wenn wir an Christus glauben und uns ihm ganz in Demut unterwerfen, so wird den Gläubigen jene Erfüllung des Gesetzes so angerechnet, als ob sie selbst das Gesetz erfüllt hätten... Das Evangelium fordert den Glauben an Christum, dass derselbe für uns Sünde, Tod und Hölle überwunden hat und also uns nicht durch unsere Werke, son­ dern durch sein eigen Werk, Sterben und Leiden fromm, lebendig und selig macht, dass wir uns seines Sterbens und Sieges mögen annehmen, als hätten wir es selber getan... Christus spricht : « Nimm hin, du bist nicht fromm, ich habe es aber für dich getan. » Leider fasste Luther in Folge dieser Anschauungen schliesslich eine ge­ wisse Abneigung gegen das Gesetz und die guten Werke, zumal diese oft als Mittel zur Rechtfertigung betrachtet wurden. In einer « Tischrede » begründete er seine Haltung wie folgt :

« Dass ich mir meiner Lehre in der Erste so hart wider das Gesetz geredt und geschrieben habe, ist darum geschehen, denn die christliche Kirche war ganz und gar überschüttet und beschwert mit mancherlei Superstitionen und Aberglauben und Christus war ganz und gar verfinstert und begraben. Von solcher Stockmeisterei oder Gewissen wollte ich fromme gottesfürchtige Herzen durchs Wort des Evangelij erlösen und frei machen. Aber das Gesetz hab ich niemals verworfen. »

Die eher ablehnende Haltung des Luthertums gegenüber dem Gesetz und den guten Werken mag ihren Grund auch darin gehabt haben, dass zwischen den Werken des Gesetzes und den Werken (oder Früchten) des Glaubens nicht klar unterschieden wurde. Es ist zu verstehen, dass aus täuferischen Kreisen sich bald energischer Widerspruch gegen dieses Dogma und seine Konsequenzen erhob und Luther entgegengehalten wurde, dass nach Jak. 2 der Glaube ohne Werke tot sei. Schon Erasmus von Rotterdam hatte in seinem grossen Werk « Paraphrasen des Neuen Testaments» die paulinische Rechtfertigungslehre dahin verstanden, dass das mosaische Gesetz « nit abgetan » sei, sondern « nach dem Geist » gehalten werden müsse. In der Auslegung der Bergpredigt führte er aus, dass « die himmlische Philosophie » der Lehre Christi weit mehr in einem heiligen, reinen Leben bestehe, als in « religiösem Disputatz » und bemerkte zu Röm. 3 : « Es ist mein meinung gar nit, das ich das alt gsatz ab wolle thun, oder gar zunichte machen ; dann ichs viel mehr befestigen und bestätigen » will. Doch

363 werde « die säligkeit, die Abraham zugelegt ist » durch Christum erlangt; auch « die säligkeit », wie sie David in Ps. 32 beschreibe, werde nicht durch halten des Gesetzes, sondern nur durch das Verdienst Christi den Menschen zuteil (Röm 4, 6-8). In der wissenschaftlichen Auslegung der apostolischen Briefe sucht Eras­ mus das Fundament des christlichen Glaubens eingehender zu erläutern. Paulus habe den Korinthern « die heimliche verborgene weyssheit des Evangelij » in dem gekreuzigten Christus gepredigt und sie so « von der finsternuss des vorigen läbens zu dem liecht des Evangelij gezogen ». So habe er als « der Werkmeister das fundament gelegt zu diesem bauw ». Allein der von Gott gelegte Grund Jesus Christus (1. Kor. 3, 11) sei « fundament und hoffnung des Heils ». Die Rechtfertigung durch den Glauben nach Röm. 5 beruhe auf dem « wunderba­ ren, heimlichen radt Gottes », sei aber nach Röm. 6 zugleich eine « Versenkung in den Tod Christi », die durch die Taufe bezeugt werde. So würden die Gläu­ bigen «der evangelischen leer» gehorsam. Zu Röm. 11 bemerkt e r : «Also schafft Gott unser heyl, doch in ein wäg der nit zu ergründen ist. » « Die gantze sum aller gesatzen ist die Liebe » (Röm. 13, 10). Aus dieser Lehre zieht Erasmus folgenden Schluss : « Wir sind geachtet als die schaff, die zetödten verordnet sind. » (Röm 8, 36). Wenn uns solches auch « hart und rauch bedünken will, so ist doch das Leiden um Christi willen dazu da, « unsere Liebe gegen Christo » immer mehr « steiff zu machen und zu befestigen. » Wiederum war es Hans Denck, der in einer umfangreichen Schrift « Vom Gesetz Gottes, wie das Gesetz aufgehoben sei und doch erfüllt werden muss » die Anschauungen Luthers zu widerlegen suchte. In der ganzen Schrift waltet ein hoher sittlicher Ernst. Wieder legt Denck das Hauptgewicht auf die Forde­ rung eines wahrhaft frommen Lebens in der Erfüllung der Gebote Gottes und klagt über das Formenwesen, darüber, dass so Wenige den Willen Gottes ernst­ lich erfüllten. « Den die ganze Welt mit dem Munde bekennet und mit den Werken verleugnet, der sagt : Ich bin nicht gekommen das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen, Matth. 5, 17. Der Welt fleischliche Weisheit, welche sich allweg für das Licht göttlicher Erkenntnis ausgibt, greift diese Worte auf und sagt, Christus habe das Gesetz erfüllt, also dass wir es nicht bedürfen, und so wir das auch erfüllen müssten, würde folgen, dass es Christus nicht ganz erfüllt hätte. Also legt man diese Worte aus, denn also dienen sie der verkehrten Natur, welcher alles, das von Gott kommt, Eiter und Gift ist, das beweiset aller Men­ schen Leben.» Hierauf legt der Verfasser dar, wie das Gesetz ebenso vollkommen in den Gliedern des Leibes Christi erfüllt werden müsse, wie es in Christus, dem Haupte, erfüllt worden sei. Der Einwand, es sei keinem Menschen möglich, das Gesetz zu erfüllen, treffe nur für Menschen zu, die nach dem Fleische wan­ delten und nicht nach Christi Geist. « Aber solche sollten wissen, dass sy in der lügen und nit in der Warheit seind. »

364 Des weiteren warnt Denck vor einer oberflächlichen Bekehrung, mahnt aber auch, sie nicht hinauszuschieben. Sich bekehren heisse nicht, eine ober­ flächliche Reue zeigen, sondern das alte Leben aufgeben und ein neuer Mensch werden. « O, es fehlet noch weit, weit, lieben Brüder ; die Bekehrung muss von Wurzel auf geschehen, soll man Gott unter Augen kommen, dass nicht aus einem Sünder ein Gleissner werde, der alle Sünder übertrifft. Wer ein neuer Mensch sein und das alte Leben nicht lassen will, der tut gleich als eine Sau, die erst geschwemmt ist und sich wieder in den Lacken wälzt. » Alles Sich-auf- Christus-verlassen, ohne dass der Mensch Christi teilhaftig werde und ihm nach- folge, sei nur Schein und Selbstbetrug. Mit diesen Ausführungen zog Denck nicht nur gegen Luther, sondern gegen alles oberflächliche Christentum im gesamten Protestantismus zu Felde. Steht doch ausser Zweifel, dass bei dem gewaltigen Umschwung, in welchem ganze Städte und Bezirke vom Katholizismus zum Protestantismus übertraten, in vielen keine wahre Bekehrung und Herzenserneuerung, sondern nur eine formelle Aenderung stattfand. Denck suchte zu ergründen, warum nicht mehr Menschen in der Wahrheit wandelten. Ein Hauptgrund schien ihm die unrichtige Stellung gegenüber dem Gesetz Gottes zu sein. Er glaubte nicht, dass wir so ohne weiteres vom Gesetz erlöst seien, sondern meinte : « Welcher aber sagt, das Gesetz sei nicht darum gegeben, dass mans erfülle, sondern allein, dass man sich dadurch erkenne, als ob es genug sei, dass man sich für bös erkenne man bleib es oder nicht..., der macht Gott zu einem Lügner. » Wer nur eine Seite der Schriftwahrheit betone, fährt Denck fort, der besitze « doch nur eine halbe Wahrheit. Eine halbe Wahrheit ist böser, denn eine Lüge, darum dass sie sich mit Wahrheit verkaufen will. » « Welche aber die Wahrheit und Gerechtigkeit selbst im Herzen haben, denen ist das ge­ schriebene Gesetz allenthalben aufgehoben, nicht dass sie es verwerfen... soviel aber einer Gott noch nicht kennt und liebt, soviel muss er unterworfen bleiben allen Gesetzen, die ihm Unrechts erweisen und strafen mögen. » Man sollte meinen, diese Erläuterungen Dencks hätten viele zum Nach­ denken gebracht. Statt dessen wurden sie bekämpft. Wir verstehen Denck, wenn er schreibt : « Wer der Welt sagt, das sie gern höret und den falschen Christen nicht in ihr Herz bis an den Boden reden kann, der ist Gottes unbe­ rufener und unbestellter Knecht», und fügt hinzu : « Wer Gottes Zorn recht verkündet, der mag auch seine Gnade recht verkünden. » Die damaligen kirchlichen Zustände müssen ihn tief erschüttert haben, sonst hätte er wohl nicht geschrieben :

« O, wer gibt mir eine Stimme, dass ich so laut schreien möchte, dass mich die ganze Welt höret, dass Gott der Herr, der Allerhöchste im allerstiefsten Abgrund der Erden ist und wartet, wann sich bekehren wollen, die sich be­ kehren sollen. Herr, mein Gott, wie geht es zu in der elenden und verkehrten Welt, dass du so gross bist und dich niemand findet ? »

365 Dass Denck trotz allen schmerzlichen Erfahrungen und Anfeindungen sein Büchlein « Von der wahren Liebe » zu schreiben vermochte, ohne auf persön­ liche Kränkungen Bezug zu nehmen, spricht für seine christliche Gesinnung. Die Liebe, sagt er, geht « für das Geliebte willig in den Tod ». « Von dieser Liebe spürt man in etlichen Menschen je ein Fünklein, in einem mehr, im ändern minder, wiewohl es leider fast in allen Menschen zu unsern Zeiten erloschen ist. » Sein höchstes Ziel i s t : « Christum erkennen » und durch ihn « eines Geistes mit Gott » werden. Sein Vergleich von « kindlicher Liebe » mit « knechti­ schem Dienst » mündet in die Feststellung : « Ein rechter Sohn tut mehr als ein Knecht. » * * *

Das ganze Lehrsystem der Läuferbrüder ist von den Reformatoren als « grundverkehrte Lehre » mit Hilfe des weltlichen Arms bekämpft worden. Eine wirksame Waffe in diesem Kampf waren die vielen Verdächtigungen und Verleumdungen. Zu diesen gehörte der gelegentlich erhobene Vorwurf, Denck sei ein Rationalist, der die Gottheit Christi leugne. Seine Schriften beweisen das Gegenteil. Hingegen vertrat er tatsächlich die Lehre von der Wiederbrin­ gung aller Dinge, d. h. die Lehre von der Allversöhnung durch Christus, nach der Gott auch den Verdammten schliesslich noch die Seligkeit zuteil werden lässt. Dencks Ausspruch, ewige Verdammnis sei mit der Liebe Gottes unver­ einbar und das Wort « ewig » nur in dem Sinne unabsehbarer Dauer aufzu­ fassen, veranlasste die lutherischen Theologen zu der Unterschiebung, nach täu- ferischer Lehre würden sogar die Teufel selig. Auf die theologischen Auseinandersetzungen der Täuferbrüder, besonders den literarischen Kampf Pilgram Marbecks mit dem schlesischen Edelmann Kaspar von Schwenckfeld kann hier nicht näher eingegangen werden. Es sei nur erwähnt, dass Schwenckfeld meinte, der ganze Glaube der Täufer sei mehr auf das Aeusserliche gerichtet statt auf das Geistliche, das Innerliche. « Wären sie nicht so ganz in ihren Taufhandel verstrickt, sondern Hessen Christum durch den Heiligen Geist die Kirche versammeln, so wären sie in der Erkennt­ nis Christi und der götthchen Weisheit weiter gekommen. » Dem hielten die Täufer entgegen, dass sie sich an die ganze Schriftwahrheit zu halten suchten. « Wir forschen und bekümmern uns nach keiner solchen zerteilten und zerstück- ten Wahrheit, noch Erkenntnis Christi, wie sie Schwenckfeld lehrt, sondern nach der ganzen Wahrheit. Schwenckfeld lehrte nur das Innerliche und den verklärten und verherrlichten, nicht den leidenden Heiland, nur das Wort von seiner Glorie und Herrlichkeit, nicht von seinem Kreuz und Trübsal. » In dieser Beziehung verdient das Schreiben Marbecks an die von Schwenck­ feld stark beeinflusste Frau Helena Streicher in Ulm besondere Beachtung. Er schreibt : « Wir bekennen das Innerliche noch mehr als ihr, ihr aber die Schrift so, wie es alle Sekten tun : Papst, Luther, Zwingli und falsche Täuferische, die die Schrift nur stückweise bekennen, dessen sie uns beschuldigen... Ihr möchtet

366 mit uns in unserer Kirche nicht stimmen, das glaub ich fast gern eurem Ruhm nach, weil ihr einen stolzen, hohen, hoffärtigen Christus kennt, dem ein schlichtes Volk viel zu wenig nachgültig ist, nicht den Christus, von dem ihr und euresgleichen Sanftmut und Demut lernen könnt. Wir haben keinen ändern Trost, als unsere Armut in aller Niedrigkeit darzulegen. Gott gebe euch euren Reichtum zu erkennen. Wenn ihr aber sagt, ihr wisset von keiner versammelten Gemein oder Kirche Christi, die im Namen des Herrn äusserlich versammelt sei, das gestehen wir mit euch, aber dergestalt, dass sie an keine Zahl, keine Person, an keine Stätte, keine Zeit gebunden ist, weil Christus bei den Seinigen sein will bis ans Ende der Welt und sie nicht verwaist lassen will. Wäret ihr zur Zeit Christi und der Apostel auf der Erde gewesen, ihr mit eurem hohen Geist, ich besorge, ihr hättet Christum und seine Kirche ebensowenig gefunden als zur jetzigen Zeit. » 6)

Trotz der Gegensätze dieser beiden Richtungen ist doch eine wesentliche Verwandschaft ihrer Grundsätze zu erkennen. Johann Warns bemerkt dazu : « Beide Linien laufen zusammen und treffen erst in der Vereinigung ihr Ziel, das sowohl Schwenckfeld als auch alle geistlich gerichteten wahren Täufer im Auge hatten : Eine nach urchristlichem Vorbild sich aufbauende Gemeinde der Gläubigen, vom Geiste durchwaltet, aber auch nach dem Worte gestaltet. » 7)

6) Zit. nach: G edenkschrift der M ennoniten, S. 149-151, 157, 159.

7) Johann Warns: Die Taufe, 128.

367 18. Kapitel

Das Kunstbuch

1956 entdeckte der Mennonitenprediger Heinold Fast, damals Theolo­ giestudent in Zürich, in der Burgerbibliothek zu Bern einen umfangreichen Handschriftenband, das sogenannte Kunstbuch1). Dieses enthält 42 Sendbriefe oder « Epistel » von Täufern aus dem 16. Jahrundert. Es handelt sich um eine Sammlung von Briefen und Schriften aus dem Freundeskreis Pilgram Marbecks, die der Täuferprediger Jörg Probst Rotenfelder, genannt Maler, zusammenge­ stellt und 1561 abgeschlossen hat. Dass das wertvolle Dokument sich in Bern befindet, ist ein Beweis dafür, dass diese zum grössten Teil mährischen Täufer mit den Schweizer Brüdern Beziehungen hatten. Ihre Theologie deckt sich weitgehend mit den Auffassungen der Schweizer Täufer. Heinold Fast bemerkt dazu : « Durch den Handschriftenband erhalten wir einen Einblick in die in­ nersten Angelegenheiten der Gruppe. Ihre Theologie tritt uns nicht nur in ihrer polemischen Entfaltung, sondern in ihrer die Gemeinde aufbauenden und läuternden Funktion entgegen. » Es ist überaus lehrreich, sich anhand dieser Sammlung in die Gedanken­ welt der Täufer der Reformationszeit zu vertiefen. Wenn wir ihren Gedanken­ gängen nicht durchweg folgen können, da wir in ganz anderen Verhältnissen und Zeitumständen leben, so spricht uns doch ihre Sprache und ihre Ausdrucks­ weise auch heute noch an. Die Sendschreiben an mitverbundene Glaubensgenossen sind meistens in apostolischem Stil abgefasst; die Verfasser reden als Beauftragte Gottes nach Art der Apostel unter fortwährender Berufung auf die Bibel. Oft werden ganze Abschnitte aus der heiligen Schrift zitiert. Ihre Bibelkenntnis, die sich sogar auf die apokryphen Bücher erstreckt, versetzt uns in Staunen und Be­ wunderung. Alle Täuferlehrer legen in dieser Sammlung das Hauptgewicht auf das subjektive Heilserleben. Grösser Wert wird auf die Glaubensfrüchte gelegt, obwohl die Bemerkung nicht ausbleibt, nicht « die Frucht » sei « das Heil », sondern « der gekreuzigte, auferstandene, gen Himmel gefahrene und zur Rechten Gottes sitzende Sohn Gottes Jesus Christus ». Der Kern des ganzen Werkes liegt in dem Bemühen, Christum ins Zen­ trum des Denkens zu rücken. Auf dieses christozentrische Fundament gründeten sie ihr ganzes Lehrsystem. Alles, was ausserhalb ihrer Gemeinschaft stand, be­

1) Codex 264, Burgerbibliothek, Bern.

368 trachteten sie als « Welt », oder doch wenigstens als Kirche der falsch Glau­ benden. Dass einige dieser Schriften im Gefängnis, kurz vor der Hinrichtung, ge­ schrieben wurden, nötigt uns, mit Ehrfurcht vor diese Männer und ihre letzten Zeugnisse, die sie mit ihrem Blut besiegelt haben, zu treten. Den eigentümlichen Anfang des Kunstbuches bildet eine gereimte sa­ tirische Vorrede von Valentin Ickelsamer, einem deutschen Grammatiker, von dem Maler schreibt : « Valentin Ickelsamer, ein Poet gsin zu Augsburg ent­ schlafen. » Der Poet greift das alte Sprichwort von den Gelehrten, welche die Verkehrten seien, auf und beginnt :

« Das alt Sprüchwort von den Gelehrten, warum sie etwa die Verkehrten, von den Alten wurden genannt, das wird dir hiezu wohl bekannt, aufs allerkürzest zusammen getragen, was selbst die Glehrten davon sagen, die kürzlischst und vor längst geschrieben, dabei hab ich es lassen blieben, und hab nichts Neues darzu erdacht, allein ich habs zu Reimen bracht.»

« Dies Sprüchwort ist gewesen wahr mehr denn vor fünfzehn hundert Jahr, und wird auch nach der alten Sag wahr bleiben, bis am jüngsten Tag.»

Hierauf kommt der Dichter auf die Gelehrten zu sprechen und beschul­ digt sie, die Urheber aller kirchlichen Entartung zu sein.

« Wer hat betrogen die Christenheit mit solcher Finanz und Gschwindigkeit, dann die falsch gelehrten der hl. Schrift, die hond dies Uebel alls gestift, und solchen Irrtum bracht in d’Welt, damit überkommen Ehr und Geld, führten äusserlich ein guten Schein, dann d’Welt die will betrogen sein, das haben sie gemacht gar fein, und sich also in d’Sach geschickt, in weltlich Herrschaft eingeflickt.

Wer hat erhebt die Schätz der Welt, mit Ablass und mit Türkengeld, dann allein die Schriftgelehrten, die Christi Reich auch hie verkehrten, und machten ein weltlich Reich daraus, auf dass sie lebten in Pracht und Saus.

Wollen herrschen über den Glauben die Christen ihrer Freiheit rauben,

.369 vermischen durcheinander gleich weltlichen Gwalt und Christus Reich, wollen damit des Glaubens Sachen bei allen Menschen gemein machen, und mit Zwang der Obrigkeit im Glauben machen die Einigkeit.

Darum so ist mein treuer Rat, dass wir alleinig sehn auf Gott. In Sachen so den Glauben belangen, soll man an keiner Person hangen, Hochgelehrte, Priester, Laien geistlich und weltlich, wer sie seien, sie mögen irren und verführen ; allein in Gott solln wir glossieren. »

Diese gereimte Vorrede, sowie der ebenfalls gereimte « Beschluss » werden Maler veranlasst haben, der Sammlung den Namen « Kunstbuch » zu geben.

« Das Kunstbuch bin ich genannt dem fleischlich Gsinnten unbekant; wer aber den Geist Christi hat, der findt darinnen früh und spat was ein Herz und Gemüt tut freuen, von Gott allein kommt das Gedeihen. »

Das älteste Schreiben dieser Sammlung ist wahrscheinlich das von Hans Has von Hallstadt, der am 2. Dezember 1527 zu Grätz erhängt wurde. Er soll es kurz vor seinem Märtyrertod geschrieben haben ; sein Thema ist der «Trost der Gläubigen in der Verfolgung». Has versucht seinen Glaubens­ genossen klarzumachen, dass der Herr durch die Leidensschule aus ihnen « rechte Christen zu machen » beabsichtige. So müssten die Gläubigen « durch trüebsal, leiden und angst bewährt werden wie das Gold im Feuer » (Weisheit Sal. 3). Alles müsse aus der Hand Gottes empfangen werden, da «alle ding allein durch Gott, von Gott und in Gott geschehen ». Wie Gott an den Ver­ dammten seine Gerechtigkeit erweise, so erzeige er « sein väterlich Barmher­ zigkeit » an den Seinigen. Aus vielen Psalmen sucht der Verfasser den Gläu­ bigen Trost zu spenden mit dem Hinweis, dass die Leidenszeit eine « Zeit des Segens » sei. Die Sendschreiben Leonhard Schiemers sind im Dezember 1527 entstan­ den, gehören somit zu den ältesten Dokumenten, die wir besitzen. Schiemer, der am 25. November 1527 zu Rattenberg am Inn gefangen genommen und am 14. Januar 1528 enthauptet und verbrannt wurde, hat diese Episteln während seiner siebenwöchigen Gefangenschaft verfasst. Das erste Sendschrei­ ben vom 5. Dezember 1527, zehn Tage nach seiner Einlieferung ins Gefängnis verfasst, ist an die Gemeinde zu Rattenberg gerichtet und darf ein Juwel unter den Täuferschriften genannt werden.

370 Schiemer sucht in dieser Schrift zunächst zu beweisen, dass die Lehre Luthers unzulänglich sei. Luther hoffe und glaube an Gott, während sie, « die Wahrhaftigen », nicht an, sondern in Christus glauben. Entgegen dem allge­ meinen Missbrauch des Wortes « Gnade » erläutert er hierauf ihren wahren Begriff. Zu ihrem Verständnis brauche man « den Schlüssel Davids » (Offb. 3,7), sonst bleibe einem dieses Geheimnis verschlossen. Die erste Gnade sei die innerliche Erleuchtung einerseits durch das Licht des Gesetzes, anderseits durch die Sprache des Gewissens. Auf Grund von Matth. 26, 69-75 nennt Schiemer dieses den « Petershahn ». Aber viele Men­ schen wollten davon nichts wissen : « so ihr Hahn kräht in ihrem Herzen so verbinden sie ihm den Schnabel. » Nach Gal. 3 sei « das erst Licht unser Zuchtmeister auf Christus ». Die zweite Gnade werde erfahren, wenn der Mensch zum Glauben an Christus komme. Um seinen Gedanken deutlicher Ausdruck zu verleihen, schaltet Schiemer eine Auslegung des Unser-Vaters ein, welches der vermeint­ lichen Christen « Heiden-Gebät» sei. Er bemerkt, dass bei dem Anruf « der du bist in den Himmeln » die heutigen Christen dem Herrn gern den Himmel überliessen, wenn er ihnen nur irdische Freuden genug gebe. Auch mit der Bitte « geheiligt werde dein Name » werde viel Missbrauch getrieben. Die dritte Gnade werde zuteil, wenn der Gläubige « das Oel der Gna­ den », den Tröster, den Heiligen Geist empfange. Sehr scharf greift Schiemer in dieser Schrift auch Luthers Prädestinationslehre an und sucht zu beweisen, dass der Grund der Verdammnis nicht in der Vorherbestimmung liege, son­ dern im Menschen selber. In Vorahnung seines baldigen Märtyrertodes schreibt er : « Ich wollt euch gern länger dienen in meinem Leben, wo es der Herr zugäb, will ers aber nicht zulassen, so will ich zu Gott hoffen und trauen, er werde mir Stärke verleihen, mich nicht verlassen, dass ich euch könne dienen mit dem Tod. » Dass er eindringlich bittet : « Vater hilf mir aus dieser Stund » ist ein Beweis, dass ihm doch vor dem schrecklichen Los bangte ; aber er ringt sich zu dem Entschluss durch : « So opfere ich mich ihm auf... Der Löwe frass in seiner Höhle und wartet auf mich, jetzt hat mich der Herr seinen Rachen überant­ wortet. Das Tier mit den vielen Häuptern hat mich in seine Klauen gefasst und seine Zähne über mich entbleckt. Ich gedenk all Stund, jetzt wird er mich zerreissen, mein Speis ist mir zu Gallen worden und mein Trank zu Mirrhen. Ich wollt geschrieben haben noch weiter von der Lehr, so zwingt mich mein Herz zu schreiben die Kümmernis und Schrecken meines Herzens. » Diesem Drang sich mitzuteilen, folgte Schiemer in einem zweiten Send­ schreiben, in welchem er seine Glaubensgenossen ermahnte, öfters zusammen­ zukommen und sich aus dem Neuen Testament und den Psalmen zu erbauen. Seine Leidensbereitschaft steigerte sich zu dem begeisterten Gedanken : « Chris­ tus muss in uns, den Gläubigen, leiden. »

371 Es folgt « eine hübsche Erklärung der Artikel des christlichen Glaubens » (Glaubensbekenntnis), in welcher er betont, dass es sich beim christlichen Glau­ ben nicht um einen leeren Kopfglauben handle, sondern um das Heilserleben. Erstaunlich ist, wieviele Schriftbelege Schiemer zu jedem Artikel des Glaubens­ bekenntnisses aus der ganzen heiligen Schrift anzuführen weiss. Wenn man ihm in seiner Schriftauslegung, besonders derjenigen der Apokalypse, auch nicht durchweg zu folgen vermag, so bleibt doch seine Schriftbelesenheit bewun­ dernswert. Nüchtern und klar ist sein Zeugnis von der Taufe, das er am Schluss des Schreibens formuliert : « In der ganzen Schrift find ich kein ander Bestätigung des Glaubens dann die Tauf. » « Mit der Tauf ergibt sich einer Gott mit Leib und Leben. » Am Taufwasser allein liege nichts ; Johannes spreche von Geist, Wasser und Blut. Schiemer vertritt die Einheit von Geistes-, Wasser- und Bluttaufe. Er nennt die Taufe auch « eine Versiegelung des Glaubens », und vergleicht die Kindertaufe mit der Versiegelung eines Briefes ohne Inhalt. Mit Recht sagt er : « Die Kindertaufe hat keinen Grund in der heiligen Schrift. » Das dritte Sendschreiben verfasste Leonhard Schiemer ebenfalls im Ge­ fängnis. Er nahm sich darin vor : « Ein wahrhaftig kurz Evangelium heut der Welt zu predigen ». In ziemlich aggressivem Ton gehalten, ist es eine « Kurz­ predigt » über Jes. 58,1 : « Rufe getrost, schone nicht... » Zwar, beginnt er, wolle sich niemand für schuldig erkennen ; und doch seien in erster Linie die beiden Stände, die Geistlichkeit und die Regierung, für den Verfall der Kirche verantwortlich zu machen. Die Theologen, die Lehrer des Volkes hätten, obschon sie schriftkundig seien, « doch ihrn bauch zue lieb » (Röm. 16,18) und aus Furcht unterlassen, in aller Offenheit dem Volk die Wahrheit zu sagen. Sie « verschonten ihre Haut » und wendeten den Man­ tel nach dem Wind ; so könne man am besten dem Kreuz Christi entfliehen (Gal. 6). Unter dem Schein « göttliches worts und des diensts gottes » das Evangelium zu predigen sei nichts anderes « als so man eim affen ein geteilte kappen anzeucht », von ferne glaube man ein rechtschaffenes Tier vor sich zu haben, aber bei näherer Betrachtung werde man gewahr, dass es « nur ein unsinniger Aff » sei. So meine das einfältige Volk, bei der Geistlichkeit « sei eitl heiligtum, evangeli, gnad und Seligkeit », während sie in Wahrheit « nur des teufels gespenst » darstelle. Solchem Verfall stellt Schiemer die Einladung Christi zu Nachfolge, Selbstverleugnung und Kreuzestod gegenüber. Die ändern Hauptschuldigen seien « die Regierer », denen ein neues Leben überhaupt zu schwer falle. Sie schnitten, wo sie nicht gesät hätten, forderten « ouch bald treu und glauben von ändern, sy aber haltendt langsam tödten, würgen, verderben, fressen, sauffen, huren, gottslestern und inn eytel wollust leben mit gwalt, ohn erbarmung des armen, ouch ohn alle gottesfurcht. » Sie glaubten nicht einmal, dass Gott sie « dörffe heimsuchen oder strafen », son­ dern setzten sich mit Gewalt durch, als müsste Gott selbst ihren Trotz dulden und dazu schweigen. Deshalb sei es verständlich, dass sie gerne falsche Pro­

372 pheten, Heuchler und Lügner um sich hätten, « dann sy könen ihnen wohl kratzen, do es sie beisst ». Lehrer und Regierer, die laut Jesaja 9,13-14 Kopf und Schwanz seien, die der Herr abhauen werde, seien als aufgeblasene Verführer zu betrachten, von denen auch Christus sage, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, « dann ein solcher eigennütziger reicher ins himmelreich ». « Der gmein houff » erkenne aber nicht, dass das Haupt (die Regierer) und des Hauptes Augen (die Lehrer) im Irrtum steckten. « Do gilt inen fluchen und beten, lügen und warheit, kouff und rauben, ja guets und böses eben als gleich ». So komme es, « das ouch schier der glouben vom erdrych und die liebi aus allen Herzen gar erloschen und erkaltet ist (Matth. 24). Lienhard Schiemer in seiner gefenknus im Jahr 1527. » Eines der ältesten Schreiben ist das « einfältig G ebet», ein Bekenntnis von Hans Schlaffer, dem ehemaligen « Messpfaff », der nach vielen Irrungen durch die Schriften Martin Luthers zur Erkenntnis des Heils gekommen ist. Wann er sich dem Täufertum zugewandt hat, ist nicht bekannt. Im Dezember 1527 wurde er verhaftet und in Schwatz im Inntal in Gefangenschaft gesetzt. Von dort aus schrieb er am 3. Februar 1528, in der Nacht vor seiner Hin­ richtung das genannte « Gebet ». Es beginnt mit einer Bussrede auf Grund von Dan. 9, geht dann über zu einer Danksagung dafür, dass Gott ihn aus der Welt errettet und zu einem Kind Gottes gemacht habe, worauf er sich habe taufen lassen und nun als Nachfolger Christi auch verfolgt werde. Seine Bitte geht dahin, Gott, der liebe Vater, möge ihn auch im Glauben erhalten. Vor allem ist sein Gebet ein aufrichtiges Bitten für alle verfolgten Brüder und Schwestern. Auch für die Obrigkeit wird gebetet, dass sie « ihre Händ nicht waschen im Blut der Gläu­ bigen ». Das Gebet geht dann über zu « Beicht und offenbarem Bekenntnis dem Herren meiner Sünden ». Dass Hans Schlaffer seinem Gott klagt, dass er das « närrisch Glübd des priesterlichen Amts » getan und ein « Messpfaff» ge­ worden, ist bedeutsam. Er dankt Gott auch dafür, dass er durch die Predigt Luthers zur Erkenntnis gekommen sei, dass der Mensch nicht durch Werke gerechtfertigt werde, sondern durch den Glauben an Christi vollbrachtes Werk. Aber aus seinem Gebet ist auch zu schliessen, dass er inbezug auf Taufe und Abendmahl mit der lutherischen Lehre nicht einverstanden war und in ihr « nicht viel Besserung empfinden» konnte. Erschütternd ist, wie Schlaffer dann seinem Gott klagt, dass er bald nach seiner Taufe neun Wochen Gefan­ genschaft habe durchmachen müssen und nun zum zweiten Mal zu Schwatz gefangen liege. « O mein Gott », fleht Schlaffer, « wie wird es noch ergehn in der Stund der grossen Not. Nun Herr, all mein Sorg, Angst und Not lege ich auf dich, ich hab je deine Hilf bisher mächtiglich empfunden, die wirst du bis ins End von mir nicht aufgeben, sondern in der grössten Not und Schwachheit, deine höchste Hilf und Stärk in mir erzeigen, ja in meiner

373 Schmach und Schand dein Preis und Herrlichkeit, und in meinem zeitlichen Tod das ewig Leben offenbaren... Dann einmal ist es von ewig in deinem Rat beschlossen, durch die Schrift bezeugt, dass der ganz Christus, das Haupt mit samt den Gliedern, hat müssen leiden. » Das Gebet schliesst mit den Worten :

« Unser Seel ist betrübt bis in den Tod, o Vater, hilf uns aus dieser Stunde. Hans Schlaffer.»

Ein längeres Sendschreiben von Hans Hut (gest. im Dezember 1527 im Gefängnis zu Augsburg) ist eine der ältesten Schriftem des Kunstbuches. Hut nennt die damalige Zeit die gefährlichste aller Zeiten, in welcher « die arm Gmein » verführt, betrogen und « zum aller verderblichsten Schaden geführt wird ». Die Predigt der « heuchlerischen Schriftgelehrten » reiche nicht weiter « denn Glaub, Glaub ». « O wie gar jämmerlich betrügen sie jetzt die ganze Welt unter dem Deckel der heiligen Schrift mit dem falschen und erdichteten Glauben, daraus ganz und gar keine Besserung folgt. » Wer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wolle, habe nicht auf « das Geschrei der Geldprediger » zu hören, sondern auf die « Geistarmen », die für Schwärmer und Teufel ge­ halten würden. Weder in Wittenberg noch in Paris könne man die Wahrheit vernehmen. Es sei den « neuen Evangelischen » zwar gelungen, den Papst und die Pfaffen zu verstossen, nun aber « hurten sie selbst mit der Bübin Babylo- nia » und richteten ein neues Papsttum auf. Deshalb fühle er sich verpflichtet, « über die Tauf... die Torrn und Weis Christi» zu unterrichten und zu lehren, wie man « ein rechten Grund eines christlichen Lebens legen soll » ; zuerst müsse gepredigt, dann geglaubt und dann erst dürfe getauft werden. « Keiner soll zu solcher Gemeinschaft angenommen werden, er hab denn zuvor gehört und gelernt das Evangelium. » « Dann dieser Bund (die Taufe) ist ein Verwil- ligung unter den Gehorsam Christi mit Erweisung göttlicher Lieb gegen alle Brüder und Schwestern, mit Leib und Leben, Gut und Ehr, unangesehen was ihm die Welt Uebels darum redt. » « Unter solchen Leiden und Kreuz des rechtschaffenen Taufs wird der Mensch seines Glaubens innen gerechtfertigt und probieret wie das Gold im Feuer. » Ein Schüler Hans Dencks ist der sonst wenig bekannte Christian Entfelder. Von seiner im Jahr 1530 veröffentlichten Schrift «V on wahrer Gottseligkeit, wie der Mensch allhie in dieser Zeit dazu kommen mag » findet sich im Kunst­ buch eine Abschrift. Zunächst führt der Verfasser aus, dass die Gottseligkeit eine Ruhe sei, die der Geist Gottes durch Christus im Menschen wirke. In vielen äusseren Dingen sehe man die Gottseligen nichts sonderliches machen. Ein Bild wahrer Gottseligkeit sei Maria, die Mutter Jesu, die nicht mit der menschlichen Vernunft, sondern mit der Kraft Gottes gerechnet habe. Wo ein solcher Glaube vorhanden sei, « da kommt Gott und der Mensch zusammen », so dass « durch die Vereinigung freier Gelassenheit » Gott alles in dem Men­ schen wirke. Solche Erfahrungstatsachen seien erforderlich, solle dem Wort

374 Gottes nicht nur « historischerweis » geglaubt, sondern völlig vertraut werden. Also « findet auch der Mensch keine Ruhe ewiglich, bis er eins wird mit Gott. » Da beginne erst « der recht Sabbattag » in Friede, Freude, Liebe, Sanftmut und Trost. Wenn auch der Gläubige « durch das Feuer der Trübsal gekocht » werde, so geschehe das, damit er Christi ähnlich werde, so lerne man Gott kennen. « Wer mit Christus nicht leidet, ist zu fürchten, er kenne weder den Vater noch den Sohn ». Eine anonyme « Trostepistl aus heiliger gschrift zamen gezogen » hat zum Ziel, einige « Troststück den Gottbezeichneten » zukommen zu lassen, sie « zu diesen letzten gefährlichen Zeiten » im Glauben zu stärken. Die vielen Zitate aus der Bibel, die der Verfasser anführt, lassen sich in dem Satz zusammenfas­ sen : « durch Leiden zur Herrlichkeit ». Das ausführliche, lange Schreiben hat « der Mitzeuge der Wahrheit » unterschrieben mit den Worten :

Der Herr... der kennt und weiss meinen Namen.

Ein Sendschreiben von Cornelius Veh ist an die Aeltesten und Diener der ganzen Bruderschaft in Appenzell und Zürich gerichtet, datiert vom 8. März 1543. Es ist eine Warnung vor den « falschen selbstlaufenden Geistern », die als « mitternächtische Wind, so vom Ursprung und Vater des Irrtums als Windwirbel umgetrieben sind ». Vor solchen « irrigen Sternen » solle man sich hüten und prüfen, ob das Bild den « richtigen Stempel, die recht wahr Ueber- schrift und Bildnis Christi » trage. Er nennt die « betrüglichen » Reichsgottes­ arbeiter « falsche Münzmeister ». Einer der bedeutendsten Täuferlehrer war Leupold Scharnschlager aus der Gegend von Kitzbühel im Tirol. Er gehört zu den ältesten Zeugen der ganzen Bruderschaft. Als er aus Tirol fliehen musste, kam er nach Strassburg. Von da aus entfaltete er seine Missionstätigkeit und gründete um 1530 in Speyer am Rhein eine kleine Täufergemeinde. Sein erstes Sendschreiben, an den Glau­ bensbruder Michael Leubel gerichtet, der am 30. Januar 1533 im Rhein ertränkt wurde, behandelt in klarer nüchterner Weise die Tauffrage. Wahrscheinlich hat Scharnschlager sich einige Zeit bei Pilgram Marbeck in der Nähe von Augsburg aufgehalten und sich als Mitverfasser einiger täuferischer Schriften Marbecks an dessen Polemik gegen Kaspar von Schwenkfeld beteiligt. Nach 1546 finden wir ihn als Schullehrer in Ilanz in Graubünden tätig, wo er und Marbeck eine « verborgene Täufergemeinde » unterhalten hatten. Er starb daselbst im März 1563. Wahrscheinlich hat Scharnschlager seine sechs Sendschreiben, die im Kunstbuch erhalten sind, noch von Augsburg aus geschrieben. Nur bei zweien ist die Jahrzahl 1544 angegeben, aber es ist anzunehmen, dass alle sechs Schreiben in die Zeitspanne von 1542-1546 gehören. Das erste Sendschreiben ist eine « Gmeine Ordnung der Glieder Christi in sieben Artikel gestellt». Der erste Artikel betrifft die Verordnung, dass alle, die sich in der Taufe « verwilligt» haben und zu einem Leib Jesu Christi

375 gehören, sich öfters versammeln sollen. Es sei notwendig, « dass die beruften, ergebnen und bewilligten Glieder Jesu Christi, wo sie sind in der Welt und im Elend », soweit möglich die Versammlungen besuchten und wenn es auch nur zwei, drei, vier oder sechs seien, die da zusammen kämen. Der zweite Artikel ist eine Anleitung, wie die Zusammenkünfte abgehal­ ten werden sollen. Wo kein eigentlicher Vorsteher der Gemeinde anwesend sei, solle der tauglichste Bruder in ihrer Mitte « freundlich und lieblich » ermahnen, und ihnen aus der Schrift vorlesen. Doch bevor einer zu reden anfange, sollten alle auf die Knie fallen und gemeinsam « zum Herren rüeffen ». Zum Schluss sollten sie Dank sagen und je nach Gelegenheit das Brot brechen zum Gedächtnis des Herren. Der dritte Artikel fordert auf, der armen Mitglieder zu gedenken und in « einer Büchsen » freiwillig ein Opfer zusammenzulegen nach Apg. 6. Der vierte Artikel ist eine Ermahnung, « die treuen Arbeiter ins Herren Weingarten » zu unterstützen und ihnen zu gehorchen und des Herren Boten und Arbeiter nicht unwürdig zu halten. Der fünfte Artikel ist ein Hinweis auf das Vorbild der ersten Gemeinde in Jerusalem, wo alles freiwillig « ohne Gesetz oder Drang » zugegangen sei und man « nach rechter apostolicher Art » alles zu ordnen gesucht habe, « da­ mit die Brauch der Herd Christi nicht als genötig, sondern selbstwillig geführt und geweidet werd ». Der sechste Artikel handelt von der Gemeindezucht, die von dem Vor­ steher und Aeltesten in « herzlicher Ermahnung » und « mit Zittern und Furcht Gottes in der liebe nach Sanftmut und Schärfe gehandhabt werden soll. » Der siebente Artikel schliesslich behandelt Taufe und Abendmahl, die « nach Inhalt des Herren und seiner Apostel Befehl und Brauch » gehalten werden sollen ; keineswegs dürfe an ihnen etwas « verkehrt und verändert » werden. « Im Herren Jesu Christi ein Bruder aus Gnaden und Diener der Wahrheit, auch ein Mitgenoss am Trübsal, das in Christo ist, Leupold Scharnschlager.»

Das zweite Schreiben ist eine « Gmeine Vermahnung und Erinnerung zur Besserung des Leibs Jesu Christi. » Zunächst ermahnt der Schreiber nach Hebr. 10, die Versammlung nicht zu verlassen. Etliche Gemeindeglieder hätten sich « zu hart in die Geschäft und Handel dieser Welt einglassen » ; dadurch wür­ den « ihre Herzen verhindert und aufgehalten am Herrn ». Es sei für die Sache des Herrn nachteilig, wenn die Jungen zu sehr darauf bedacht seien, zu heiraten und einen eigenen Hausstand zu gründen ; und die Verheirateten sollten sich mit wenig begnügen lassen. Damit rückte er die irdischen Dinge ganz in den Hintergrund und gab dem Ewigen als dem Wichtigeren den Vor­ zug.

376 In einem weiteren Schreiben beantwortet Scharnschlager die Frage, ob ein Christ der Obrigkeit angehören dürfe, gemäss der Schleitheimer Ordnung mit Nein. In der folgenden « Trostepistel » welche an die Gemeinden in Graubün­ den und Appenzell gerichtet ist, ruft er zur Standhaftigkeit auf und mahnt, unter allen Umständen im Glauben treu zu bleiben, in Geduld redlich zu kämpfen, um die Krone der Ehren zu erlangen. Sie sollten « grossmütig blei­ ben im Wachen und Beten ». Im fünften Schreiben vom 24. Mai 1544 datiert und an Martin Vlaichner gerichtet, der in Chur vertrieben worden war, mutet er diesem zu, in seinem Leiden fröhlich zu sein, « gleich als ob wir auf eine Hochzeit zugehn », wobei er sich auf Jak. 1 beruft : « Achtet es eitel Freude... ». Das letzte Sendschreiben Scharnschlagers ist an die Gemeinden im Eisass gerichtet. Es handelt « Vom wahren Glauben und gemeinsamen Heil in Chris­ to ». Er ermahnt die Gläubigen, die Versammlung nicht zu verlassen, « damit solches angefangene Leben an uns werd erhalten, gebessert und durch Wachs­ tum gestärkt und bis ans End befestigt. » Besondern Nachdruck legt er da­ rauf, dass nur der Glaube echt sei, der sich durch Werke beweise, aber auf das Verdienst Christi sich gründe. Alle Gerechtigkeit und Frömmigkeit werde durch den Glauben erlangt, es dürfe aber nicht nur ein « historischer Glaube » sein. Bei einem lebendigen, seligmachenden Glauben an Christum seien Glau­ ben und Glaubensfrucht miteinander verbunden. Wo ein solches Bekenntnis des Glaubens vorhanden sei, da sei die « wahre Kirch Christi ». Wenn auch Teufel, Hölle, Welt und alle « falsch Gläubigen » sich gegen dieselbe auflehn­ ten, so würden doch « die Pforten der Höllen die recht gebaut Kirch Christi nicht übergewaltigen ». Der weitaus grösste Teil der Briefe und Schriften des Kunstbuches ist von Pilgram Marbeck verfasst. Wir dürfen nicht vergessen, dass die täuferi- sche Bruderschaft damals in drei Gruppen zerfiel : Die sog. Schweizer Brüder beriefen sich theologisch auf die ersten Täufer in Zürich und übten einen nicht geringen Einfluss auf das süddeutsche und elsässische Täufertum aus. Eine zweite Gruppe, die huterische, pflegte Gütergemeinschaft und beruhte auf den Grundsätzen Jakob Hüters, während die dritte Richtung sich um Pilgram Marbeck scharte und aus süddeutschen-österreichischen Täufern bestand. Mar­ beck versuchte, diese Gruppen zu vereinigen, was .ihm aber vollständig miss­ lang. Das erste von Pilgram Marbeck verfasste Schriftstück ist der an « seine Geliebten um Strassburg» (Kinzigtal und Lebertal) gerichtete Brief vom 21. Dezember 1540. Der Brief ist von Probin aus geschrieben, das bei Ilanz in Graubünden liegen soll.2) Das Schreiben handelt von der Einigkeit der Braut Christi und zeugt von Marbecks Bemühen um einen Zusammenschluss der Täu­

2) Probin ist weder auf der Landkarte noch in einem amtlichen Verzeichnis zu finden. Es muss sich also um einen unbedeutenden Weiler handeln.

377 fergruppen « durch das Band der Liebe ». Aus dieser gingen die Tugenden hervor, mit denen « die Braut Christi herrlich geziert und geschmückt » sei, und er bittet « die Einigkeit untereinander zu halten, wie der Vater und Sohn im Geist und Wahrheit eins sind ». Im gleichen Geiste der Versöhnlichkeit ermahnt er in einem ändern Schreiben zu Liebe, Glauben und Hoffnung, wobei er wiederum die poetische Sprache des Hohelieds spricht, das er allegorisch versteht und deutet. Ein weiterer Versuch zur Einigung ist Marbecks Schreiben an die « Schwei­ zer Brüder» in St. Gallen und Appenzell, das wahrscheinlich um das Jahr 1542 abgefasst wurde. Dieser lange Brief « von wegen der jähen Gricht und U rteil» sollte die Brüder zur Besinnung bringen, damit die Spaltung nicht weiter einreisse. « Die Schweizer Brüder» hatten Marbeck beschuldigt, er « strecke die Freiheit Christi zu weit » und brauche sie zu einem « Deck­ mantel der Bosheit ». Trotz diesem Vorwurf anerkannte Marbeck zwar die Brüder als « Eiferer und Liebhaber Gottes », suchte sie aber wegen « unver­ standenem Eifer » in bezug auf den Bann umzustimmen und so dahin zu wir­ ken, dass die Täufer « durch die Gnad Gottes bald vereinigt » würden. Seine Gedanken stellt Marbeck unter das Thema : «■ Ein klares Zeugnis und Rechen­ schaft meines Gewissens und Herzens von der herrlichen Freiheit Christi und den Seinigen ». Inhaltlich soll das Schreiben « Jesus Christus, den Sohn Gottes, nach Geist, Wort und Kraft » verherrlichen, « mit der Kürtz die Zeugnis der wahren Gottheit und wahren Menschheit Christi » darlegen. In vielen Variatio­ nen schildert Marbeck, wie die jetzt gepredigte Freiheit zu falschen Schluss­ folgerungen verleite, was anstatt zur Freiheit des Geistes « in die höchst Ge­ fangenschaft » führe und in Wirklichkeit einen « falschen lügenhaften Schein » darstelle. Christus spreche, an den Früchten (nicht an der Blüte oder dem Laub) werde man die wahren Jünger Jesu erkennen. Nach diesen langen Ausführungen — sie umfassen im ganzen 36 Blatt — kommt Marbeck auf die Stellung des Christen zu den zehn Geboten und schliesslich auf Luthers Kindertaufe und Kinderglauben zu sprechen. Das Bedenklichste « aller falschen Lehr », ja « die höchste Verlästerung Gottes » sei, wenn man Gottes Wort brauche, um die Ordnungen Gottes nach eigenem Sinn umzustellen, gerade als ob Gott nicht gewusst hätte, wie diese Ordnungen zu schaffen seien. Zum Schluss sucht Marbeck an vielen biblischen Beispielen « gut Schein mit bösen Früchten » aufzuzeigen und warnt die Brüder davor, wegen Meinungsverschiedenheiten jemand gleich aus der Gemeinde auszu- schliessen ; vielmehr solle man « Langmütigkeit und Duldmütigkeit » walten lassen, denn Zersplitterung sei nicht vom Geist Christi. Einen weiteren Versuch, die Gegensätze auszugleichen, unternahm Pil­ gram Marbeck im Januar 1543, als er an die Brüder in Appenzell, besonders an Uli Scherer und Jörg Maler, ein Schreiben richtete. Der Versuch « ob Gott1 sein Barmherzigkeit zu einer wahren Vereinigung und Gemeinschaft in Christo reichen » lasse, war sicher aufrichtig gemeint. Dass wegen Meinungsverschie­

378 denheiten « ein Teil den ändern für kein Gmein Christi hält », schien Marbeck bedenklich. Aber auch dieser Versuch scheint misslungen zu sein. Ein langfädiges undatiertes Schreiben von Pilgram Marbeck ist eine dreis- sigseitige Abhandlung über das Thema : « Von der Liebe Gottes in Christo ». Um das Wesen der Liebe Gottes zu schildern, bedient er sich ganz sonderbarer Ausdrücke wie : « das vermenscht Wort », « die wohnsam Ewigkeit » und « das geschöpflich Licht ». Seine Darlegungen beruhen hauptsächlich auf dem Johannesevangelium, den Johannesbriefen und 1. Kor. 13. Doch kommt er in seiner « Liebesbotschaft » auch auf die Verdammnis der Gottlosen zu spre­ chen, die er mit düstern Worten schildert. Den Gebrauch des Schwerts und der Gewalt verwirft er « als der Liebe Gottes zuwiderlaufend ». Sein Schreiben schliesst mit den Worten : « Im Herren Jesu Christo, euer aller Wahrgläubiger Diener und Mitgenoss des Trübsais Christi Pilgram Marbeck.»

Ein sonderbares Schreiben ist die « Epistel von der christlichen Kirche und der Hagar’schen » vom 15. August 1544. Marbeck versucht, « die Schönheit der Gemeinde Christi in ihrer Zier und Gestalt » auf Grund von Psalm 45 zu schildern. Die Anlehnung an das Hohelied mit seiner « übernatürlich Lieb » nimmt sich etwas sentimental aus. « Die Kinder der wesentlichen Sara saugen die Brüst von ungefälschter Milch, deren Zufluss vom heiligen Geist ist, welche Brüst lieblicher sind denn Wein. » Die andere Kirche, die Hagar’sche, sei nur eine « ägyptische Magd » die sich zwar « Mutter und Kirche Christi » nenne, aber in der Dürre des toten Buchstabens falsche Geister und Lügner hervor­ bringe. Auch in einer ändern Schrift spricht er von den « Auserwählten Gottes­ heiligen » und gebraucht das Bild einer « innerlichen Kirchen » : im Herzen des Menschen richte Gott seine Wohnung auf, « dies ist die wahre Offenbarung Jesu Christi... also dass der innerlich und einzig Tempel das Herz ist... in welchen niemand gehen darf, dann unser Hohepriester allein ».

Chronologisch folgt zunächst eine Schrift Jörg Malers, des Sammlers dieser Dokumente. In der « Rechenschaft des Glaubens » führt er einen ganzen Ka­ talog von Bibelstellen an, um den Grund des Glaubens zu erklären. Er sucht zu erläutern, wie man zum Glauben kommt, und zeigt auf, dass man auf dem schmalen Weg « durch Leiden zur Herrlichkeit» zu gehen hat. Das Schreiben endigt mit der Bitte, Gott möge alle Glieder beim lebendigen Glauben erhalten. «Datum in Appenzell im Jahr 1547 Jörg Probst Rothenfelder, den man nennt Maler.»

In einem Schreiben an Ulrich Agemann zu Konstanz, einer wahren « Evan­ gelisationspredigt », bittet Jörg Maler mit Ernst, Agemann möge sein Herz und Gemüt dahin richten, « einen fröhlichen Antritt zu tun in die Gemein­

379 schaft seiner Heiligen » ; denn « ausserhalb der Ordnung des hl. Geists und Christi ist kein Gnad, Gunst, noch Vergebung der Sünd. » Natürliche Frömmig­ keit sei nicht genügend zum Reich Gottes, man müsse einen « Ueberschritt » in das übernatürliche Leben und Wesen tun, durch Wiedergeburt den alten Menschen ablegen, und den neuen anziehen (Eph. 4). Wir müssten uns in unserem Streben nach der Schrift richten, nicht die Schrift nach uns. Mit vielen Beispielen aus der heiligen Schrift sucht der Verfasser, die schrecklichen Folgen des Nichthörens dieser Gnadenbotschaft auszumalen ; anlehnend an Weisheit Sal. 5 schreibt er :

« Wenn über euch kommt wie ein Sturm, das ihr fürchtet, und euer Unfall als ein Wetter, wenn über euch Angst und Not kommt, dann werdet ihr mir rüeffen, aber ich werde euch nicht antworten, ihr werdet mich früh wollen suchen und nicht finden. Darum, dass ihr hasset mein Erkenntnis und erwähltet meine Furcht nicht sollet ihr essen von den Früchten eures Wegs und von eurem Rat gestättigt werden, dann das die Toren gelüstet, tödtet sie, und der Narren Glück bringt sie um.

Datum St. Gallen, den 15. Oktober anno im 1552. Jahr. Eur aller Eifrer und getreuer Diener in der Wahrheit, ein Mitgenoss in Gnaden am Trüebsal Christi. Jörg Probst Rotenfelder, den man nennt Maler. »

Das dritte Schreiben Malers, 1554 verfasst, ist ein Versuch, das Aposto­ lische Glaubensbekenntnis nach extrem verstandenen Grundsätzen der Täufer neu zu formulieren. « Der für Marbeck wichtigste Mann der Strassburger Gruppe war wohl Sigmund Bosch », schreibt Heinold Fast. In einem Schreiben vom 17. Juli 1548 aus Strassburg werden an die Aeltesten der Gemeinde in Austerlitz (Mähren) von dem sonst wenig bekannten Bosch Grüsse von den Aeltesten im Eisass aus­ gerichtet. An Jörg Maler schrieb er am 4. Juli 1553 eine allgemeine Ermahnung zur Geduld in aller Trübsal.

Doch zurück zu Pilgram Marbeck. Sein ausführliches Sendschreiben an die Brüder in Graubünden, Appenzell, St. Gallen und dem Eisass redet «V on der Tiefe Christi», d.h. von seiner Niedrigkeit. Der Verfasser beschreibt mit vielen Worten die « Tiefe Christi », das Hinabsteigen Christi bis in die Toten­ welt. Um seine Erlösung bis in die Unterwelt zu proklamieren habe Christus, im Gegensatz zu Jona, « in dem geistlichen Leviathan » drei Tage zugebracht und so die Erlösung vollendet. Wer nicht « diese Tiefe ergreift », der « mag die Höhe Christi nimmermehr ergreifen noch erlangen». Die meisten Christen wollen nicht « hinunter mit Christo durch den Tauf begraben werden ». Wollen wir « anderst mit Christo erstahn », so müssen wir zuerst « in die Tiefe mit Christus sterben und in sein Tod begraben werden ». In allen Variationen sucht Marbeck « die Breite und die Länge, die Tiefe und die Höhe » (Eph. 3, 18)

380 des göttlichen Heilsrates zu erläutern. Auch auf das Hohepriesteramt Christi kommt er zu sprechen, der seine Gaben austeile und durch den alles vom « Vater der Lichter » geschenkt sei. Dann geht er zu allegorischer Deutung über und sieht in Lea, der ersten Frau des Erzvaters Jakob, den alten Bund, in der « schönen Rahel » den neuen Bund. Das levitische Priestertum sei ein Vorbild des königlichen Hohepriesteramtes Christi. « Das sind die allerältesten Schätz und Kleinodien, so uns mit Christus von unserem Vater, Gott und Herren geschenkt sind, darin und damit zu dienen und Dank-, Lob- und Speis­ opfer zu opfern in Ewigkeit. » Diejenigen, fährt Marbeck fort, die « mit Kriegsleuten, mit Harnisch, Wehr und Büchsen » geistliche Schätz verteidigen wollten, seien « die rechten un­ geistlichen Philister, samt ihrem G oliath», die wider « den wahren David streiten ». (Eine Randglosse vermerkt : « wie in dem Schweizerland mit dem Zwingli »). Der Verrat eines Judas, so äusserte sich Marbeck, sei nicht so schlimm wie der heutige Verrat der « Glaubenszwinger », die « im Schein Christi und seines Evangeliums » durch menschlichen Zwang und Gewalt das Werk Gottes zerstörten. Hierauf bricht Marbeck in offenes Klagen aus, dass « der Antichrist den apostolischen Dienst zerstöre ». Es sei ein offenbarer Betrug, wenn man meine, nur um der äusserlichen Dinge willen sei eine Kirche Christi da. Wo das inner­ liche Heilserleben fehle, sei alles umsonst. Eine wahre Gemeinschaft oder Ver­ sammlung Christi « man an keinem Ort zeigen mag, auch nach keinem Men­ schen Namen nennen ». Da, wo man das Wort Gottes habe und halte, da werde der Vater kommen und Wohnung nehmen, « dann wer Christum in seinem Herzen nicht wohnen findt, der findt ihn sonst in Ewigkeit an keinem Ort ». Der « alte Gewohnheitsglaube » könne vor Gott nicht bestehn. Der Verfasser schliesst mit einem Lobpreis auf Psalm 145, mit der Be­ merkung, dass man solche Schätze gut bewahren solle, bis man zu der ewig­ währenden « Glorie » gelange.

« Die Gnad unsers Herrn Jesu Christi sei und ist und bleib bei uns allen in Ewigkeit. Amen ». Datum Augsburg, auf den ersten Tag February anno domini 1547 Jahr. Pilgram Marbeck. »

Eine nicht viel sagende « Epistel » handelt von fünferlei Früchten wahrer Busse. Johannes, der « Busstäufer », habe die Juden wegen dem « vipernaturisch Gift » ,das in ihnen stecke, getadelt. Die Busse solle zu Gottes Preis und dem Heil unserer Seelen dienen und « gebiert die friedsame Frucht ewiger Selig­ keit ». « Datum Augsburg, den 24. August anno 1550. Im Herren Jesu Christo euer aller Wahrgläubiger Diener und Mitgenoss am Trübsal, das in Christo ist. Pilgram Marbeck.»

381 In einem weitern Sendschreiben an die Gemeinden St. Gallen und Appen­ zell, datiert vom 9. August 1551, kommt Marbeck erneut auf die Streitereien und Uneinigkeit zu sprechen und betont, dass man diese heiklen Dinge, die auf menschliche Schwächen und Unverstand zurückzuführen seien, sehr vorsichtig behandeln solle. Er selbst sei mit Furcht, Sorge und Zittern erfüllt. Der Feind suche « in grossem Schein göttlichen Eifers » die Menschen zu verführen und immer wieder Zwietracht zu säen. Das letzte von Marbeck erhaltene Schreiben handelt von der Menschheit Christi. Der Verfasser sucht die gottmenschliche Natur Christi zu beweisen, kommt öfters auf das Wirken des Heiligen Geistes im Erdenleben Christi zu sprechen und fügt die beachtenswerte Warnung bei : « Ach meine Brüder, wie haben wir so wohl und fleissig aufzusehen, dass wir nicht unseren eigenen Trieb für den Trieb des heiligen Geistes achten, unsern eigenen Lauf und Wandel Christi halten ».

« Datum in Augsburg auf den 22. Tag Jenner anno 1555 Jahr. Im Herren Jesu Christi euer aller Diener und Mitgenoss am Trübsal, das in Christo ist. Pilgram Marbeck.»

Das Kunstbuch schliesst mit einer gereimten Schlussrede, in der der Ver­ fasser in derbes Allegorisieren verfällt. Er vergleicht die zwei goldenen Stier­ kälber, die der König Jerobeam, eines in Bethel, das andere in Dan, aufstellen liess mit den beiden satanischen Tieren in Offb. 13, wo von dem Antichristen und dem falschen Propheten die Rede ist. Die Auslegung gibt der Poet selber, indem er schreibt: « Das golden Kalb zu Bethel, hört, steht jetzt in Gottes Haus so wert, das ist der Papst mit seinen Gliedern, der tut die Welt gar weidlich fördern. »

« Vom ändern Tier ein tötlich Wund, das ist Luther das ander Kalb, zu welchem laufen allenthalb die Völker auf der Erden.»

Doch tröstet sich der Schreiber zum Schluss mit dem Gedanken :

«Denn Gott wird sich einstmals erbarmen auf Erden, der verführten Armen, und seine Schafe reissen mit gewalt, aus beider Tieren Rachen bald.»

382 19. Kapitel

Dunkle Schatten — Helleuchtende Sterne

Die bedenklichen Wirren und theologischen Kämpfe in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bewirkten, dass drohende Gewitterwolken am geistigen Horizont der Kirchen sich zusammenzogen, die in der furchtbaren Katastrophe des dreissigjährigen Krieges sich entluden. Finstere Geister haben auf diese Entwicklung mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln eingewirkt. Die von dem spanischen Ritter Ignaz von Loyola (1441-1556 )im Jahr 1534 gegründete « Societas Jesu » hatte sich zum Ziel gesetzt, die Alleinherrschaft der römisch-katholischen Kirche durch Bekehrung und Bekämpfung der Ketzer zu errichten. Diese « Gesellschaft Jesu » hatte eine militärische Organisation, an deren Spitze der Ordensgeneral mit nahezu unbeschränkten Vollmachten stand. Die « unheimliche Verbrüderung » wurde unter dem Namen Jesuiten bald in aller Welt bekannt. Um die Ziele des Ordens zu erreichen, schreckte sie vor keinem Mittel zurück ; gegen Ketzer durfte die Todesstrafe angewandt werden ; sogar der Mord wurde für zulässig erachtet, wenn er ihr « heiliges » Ziel förderte. Die Mitglieder dieser Gesellschaft verpflichteten sich, wohin der Papst sie im Dienst der Kirche senden werde, mit strengstem Eifer ihren Auf­ trag nach allen Kräften und mit allen Mitteln auszuführen. Nach ihrer moral­ theologischen Lehre von der « Probabilität» waren ihnen selbst Handlungen erlaubt, die sonst für illegal galten, nach der Devise : Der Zweck heiligt die Mittel. Die Gesellschaft wurde 1540 von Papst Paul III. bestätigt, und in vielen Ländern wurde der Orden später verboten ; im Jahr 1847 auch in der Schweiz. Ihre geschichtlich einflussreichste Wirksamkeit entfalteten die Jesuiten in der Restauration des Katholizismus im 16. und 17. Jahrhundert. Mit Recht sagt Walther Köhler « Die Geschichte der Gegenreformation ist die Geschichte des Jesuitenordens. » ') Ueberall, wo die Jesuiten vordrangen, wurden sie die erbittertsten Ver­ folger des Täufertums. Ihr Vernichtungskampf gegen die huterischen Taufge­ sinnten in Mähren ist ein dunkles Blatt in der Geschichte. Mit allen Mitteln strebte diese Gesellschaft nach geistiger Hegemonie. Jgnaz von Loyola wurde im Jahr 1622 von Papst Gregor XV. sogar heilig gesprochen. Die Fortschritte der Jesuiten erfüllten sogar den Berner Rat mit Besorgnis um ihre Reformation, zumal 1580 der päpstliche Nuntius Franz Johann Bonho­

1) Menn. Lex. Bd. II. S. 403 405.

383 mini, ein streitbarer Vertreter der Gegenreformation, nach Bern kam. Während des dreissigjährigen Krieges konnte der religiöse Frieden in der Eidgenossenschaft nur mit Mühe aufrecht erhalten werden. Man lebte damals gewissermassen in einem « kalten Krieg ». Es war die Zeit, da die Katholiken « sehr laut redeten, hingegen das evangelische Häuflein den Atem leis ziehen musste », wie sich ein Zeitgenosse ausdrückte. Noch zweihundert Jahre später sprach Jeremias Gotthelf von der « fast dämonischen Gewalt » des Jesuitenordens, der viel ge­ fährlicher sei, als er gedacht habe2), wohl weil die Jesuiten das Volk in den Schoss « der allein seligmachenden Kirche » zurückzuführen in zunehmendem Begriffe waren. Der deutschen Gegenreformation gelang es, im südlichen und westlichen Deutschland den Protestantismus wieder zurückzudrängen, was hauptsächlich das Werk der Jesuiten war. Dieser Rückeroberungsfeldzug des Katholizismus sollte mit Unterstützung des Kaisers von Oesterreich und Bayerns auf möglichst weite Gebiete Deutschland ausgedehnt werden. Die Jesuiten gingen höchst geschickt und planmässig vor, und versuchten vor allem das Unterrichtswesen an Schulen und Universitäten in ihre Hand zu bekommen, was ihnen in der Reichsstadt Donauwörth und zum Teil auch in Baden-Baden gelang. Bis 1604 war die Gegenreformation in stetem Vordringen begriffen, dann begann eine protestantische Reaktion, die schliesslich zum Ausbruch des dreissigjährigen Krieges (1618-1648) führte. Die feindlichen Parteien traten einander in zwei politischen Bündnissen gegenüber : der protestantischen Union trat die katho­ lische Liga entgegen. Der Kampf begann in Böhmen. Durch die Schlacht am weissen Berge unweit von Prag (1620), aus der die Katholiken als Sieger hervor­ gingen, geriet ganz Böhmen und Mähren, sowie ein Teil der Rheinpfalz wieder unter katholische Herrschaft. Damit war aber der Krieg nicht zu Ende. Unglücklicherweise waren die Protestanten unter sich nicht einig. Bedenk­ lich war die Rolle, die der Oberhofprediger in Dresden, Mathias Höe von Hohe­ negg (1580-1645), in diesen Kämpfen spielte. In seinem giftigen Calvinistenhass bewog er den lutherisch gesinnten Kurfürsten Johann Gregor I. von Sachsen (1611-1656), zu Gunsten der Katholischen auf die Seite des von Jesuiten be­ herrschten Kaisers zu treten, weil man « die freie Uebung der calvinistischen Religion im Römischen Reich deutscher Nation » nicht dulden dürfe ; « denn so hell die Sonne am Mittag scheinet, so klar ist es, dass die calvinistische Lehre voller schrecklicher Gotteslästerungen steckt und sowohl in den Fundamenten als anderen Artickeln Gottes Wort diametral zuwiderläuft ! » Seine Behaup­ tung, « dass die Calvinisten in 99 Punkten mit den Arianern und Türken über­ einstimmen », entpuppt ihn als einen fanatischen Hasser der reformierten Reli­ gionsparteien. Ein Schrei der Verzweiflung ging durch Deutschland, gross war die Furcht vor dem gewaltigen Heerführer Albert Wallenstein, dem kühnen Feldherrn, der

2) Kurt Guggisberg: Bernische Kirchengeschichte. S. 296 und 631.

384 ein vom evangelischen Glauben abgefallener Böhme war. In der höchsten Not griff der protestantisch gesinnte Schwedenkönig Gustav Adolf ein. Am 25. Juni 1630 landete er an den Küsten Pommerns mit einem Heer von 15.000 Mann. Auf dem Breitenfelde bei Leipzig kam es zur Schlacht, wo nach anfänglichem Sieg die Katholiken in die Flucht geschlagen wurden. Im November 1632 stand Gustav den Heeren Wallensteins gegenüber, wo die Protestanten in harten Kämpfen den Sieg errangen, aber ihr Führer Gustav Adolf tot auf dem Schlacht­ feld blieb. Noch sechszehn Jahre wütete die Geissel des Krieges über Deutsch­ lands Gauen, bis endlich, als ganze Gegenden verwüstet und grosse Teile der Bevölkerung hingemordet waren, im Jahr 1648 endlich der Westfälische Friede geschlossen wurde. Der amerikanische Geschichtsforscher Leonhard Gross, der nun als Archivar der Mennoniten in Goshen Indiana tätig ist und sich für einige Zeit in Tavannes bei seinem Schwiegervater Walter Geiser aufhielt, als er in Basel seine Studien vollendete, hat in Gran (Ungarn) eine Sammlung täuferischer Handschriften photokopiert, die etwa um das Jahr 1578 von einem unbekannten Schriftsteller geschrieben worden sind, eine Art « Prophezy » : «Darum wee dir, Teutsch Lanndt, dann Gott wird das unschuldig bluet in dir ersuechen und rechen... Dann das bluet der frommen Zeugen Gottes ist in dir erfunden worden... was die grösst hauptsünd ist Gott in seinen Augapfel zu greifen. Dann du hast die Zeit deiner haimsuchung nit wollen erkennen, da Gott seine Zeugen vnnd potten zu dir gesanndt vnnd dich treulich hat warnen lassen, das du dein Leben besserest und deinem Gott begegnest, ee sein grimmiger Zorn über euch angee. Wie offt hat er dich wollen sammlen wie ein henn versammlet ire Jungen vnnder ire flügel, aber du hast nit gewollt. Darum wiert Gott sein Straff über die weelt sennden und sich an seinen feinden rechen. » Unwillkürlich steht man hier vor der Frage, ob diese « täuferische Prophezy » sich im 30jährigen Krieg erfüllt habe. Was soll ein gläubiger Christ heute zu dieser Entwicklung sagen ? Wenn wir als Wehrlose den Krieg, besonders einen Religionskrieg verneinen, so kann man doch nicht leugnen, dass Gustav Adolf ein frommer Mann war. Er hat sich nicht gescheut, vor der Schlacht mit seinen Soldaten zu beten und Gott um Hilfe für die gerechte Sache anzurufen. Aber die Entwicklung war eben schon lange vor dem Krieg höchst bedenklich. Die Polemik des Luthertums gegen Katholiken und Reformierte musste schliesslich zur Katastrophe führen. Die entsetzliche Verrohung, die der dreissigjährige Krieg verursachte, war letzten Endes ein furchtbares Gottesgericht, das beide Religionsparteien traf.

* * *

Doch staunen wir über die grosse Zahl von Gottesmännern, die in dieser dunklen Zeit aufgetreten sind und wie Sterne hell geleuchtet haben, vor allem über die vielen Kirchenliederdichter, die in den Kriegsjahren ein unvergängliches Gut geschaffen haben. Jene Zeit war die Blütezeit des Kirchenliedes. An erster

385 Stelle nennen wir Paul Gerhardt (1607-1676), der Pfarrer in Berlin war. Neben 27 Psalmen in Poesie dichtete er noch während der Kriegszeit unvergängliche Kirchenlieder, die Spuren der ausserordentlich schweren Zeit an sich tragen. Mit seinem « Befiehl du deine Wege », den Passionsliedern « Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld » und « O Haupt voll Blut und Wunden » hat er, der strenge Lutheraner dem gesamten Protestantismus und auch uns Mennoniten eine Fülle von Trostliedern hinterlassen. Wegen Gewissensbedenken musste er 1666 sein Amt in Berlin aufgeben. Die Dichter der damaligen Zeit sangen nicht nur von dem Herzeleid, das sie bewegte, sondern auch von dem Trost des menschlichen Herzens, den sie erfahren durften. «Kreuz- und Trostlieder » haben in jener Zeit viele Männer angestimmt : Simon Dach (1605-1659) Professor der Dichtkunst in Königs­ berg ; der zur schlesischen Dichterschule gehörende Paul Flemming (1609- 1640); ]ohann Franck (1618-1677) in Königsberg ; Johann Heermann (1585- 1647) in Köben bei Slogau ; Heinrich Held (1620-1659) in Stettin ; Georg Heumark (1621-1681) in Weimar, der Schöpfer des wunderbaren Liedes « Wer nur den lieben Gott lässt walten » ; Bartholomäus Ringwald (1530-1599) in Lengfeld ; Martin Rinckart (1586-1649) in Eilenburg ; Johann Rist (1607- 1667) in W edel; Johann Scheffler (1624-1677) in Breslau, der unter dem Pseudonym Angelus Silesius gedichtet h a t; Joachim Neander (1650-1680) in Bremen, der erste Dichter der reformierten Kirche in Deutschland, und andere mehr. Alle diese Männer haben in ihren Dichtungen der Nachwelt ein unver­ lierbares Gut hinterlassen. Ganz besonders versetzen uns die Werke der Kirchenmusik in Staunen. Ihre Schöpfer schufen Unvergängliches. Heinrich Schütz (1585-1672) wird « der Vater der deutschen Musik » genannt. Er war der Vorgänger Johann Sebastian Bachs (1685-1750), der Kantor an der Thomaskirche in Leipzig war und für den grössten Tonschöpfer jener bewegten Zeit gelten darf. Damals lebten auch die Musiker Johann Crüger (1598-1662) in Berlin ; Melchior Franck (1573- 1639) von Zittau in Sachsen ; Johann Georg Ebeling (1637-1676) in Berlin ; Bartholomäus Gesius (1555-1603) in Frankfurt a. d. O der; Hans Leo Hassler (1564-1612) in Frankfurt a. M. ; Bartholomäus Helder (1585-1635) in Rem- städt ; Michael Prätorius (1571-1621) in Wolfenbüttel; Johann Hermann Schein (1586-1630) in Leipzig; Johann Schop (1590-1665), der als Musiker am dänischen Hof wirkte ; und Melchior Vulpius (1560-1615) in Weimar. Der « singende Glaube » wurde zu einer Macht des Christentums, welcher Georg Friedrich Händel (1685-1759) aus Halle in seinem Oratorium « Mes­ sias », in dem Jesus im Mittelpunkt steht, prachtvollen Ausdruck verliehen hat. Im katholischen Franz Joseph Haydn (1732-1809), dem Komponisten der herr­ lichen « Schöpfung », lebte dieser singende Glaube fort und nicht weniger in dem «W underkind» Wolfgang Amadeus Mozart (1750-1791), der nicht nur die berühmte « Zauberflöte », sondern auch wundervolle Kirchenmusik geschaf­ fen hat, und in Ludwig van Beethoven (1770-1827), der trotz seinem schweren

386 Gehörleiden unentwegt weiter komponierte und seine Musik in den Dienst der Menschen stellte. Aber auch das geistig- wissenschaftliche und künstlerische Leben regte sich zur Zeit der Renaissance mit Macht und brachte unsterbliche Werke hervor. Wenn auch auf diese nicht näher eingegangen werden kann, so sei doch an folgende Gemälde kurz erinnert : Das Abendmahl Christi mit seinen Jüngern — das Original befindet sich in Mailand — zeugt von der Tiefe der schöpferi­ schen Kraft des genialen Geistes Leonardos da Vinci (1452-1519) ; Michelangelo (1475-1564), der grösste bildende Künstler, versuchte in seinen Christusbildern das Wesen Christi auszudrücken ; und für die Mennoniten ist der hervorragende Kunstmaler Hannens Rembrandt van Rijn (1608-1669), dessen Mutter eine fromme Mennonitin war, durch sein Bild « Anslo und die mennonitische Witwe » von Bedeutung geworden. Auch auf theologischem Gebiet traten Männer auf, die als « leuchtende Sterne » in jener dunklen Zeit gewirkt haben. Einer der gesegnetsten aller Er­ bauungsschriftsteller war Johann Arndt (1555-1620), Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg. Sein Werk « Vom wahren Christentum » war die am meisten verbreitete Schrift der damaligen Zeit. Das von mir benutzte Exemplar trägt die Jahreszahl 1774, in dem nicht nur, wie in früheren Aus­ gaben, vier Bücher, sondern deren sechs enthalten sind. Im Vorwort sagt Arndt, warum er das Buch schreibt : « dass die Einfältigen sehen möchten, worin das wahre Christentum bestehe, nämlich in Erweisung des wahren, lebendigen, tätigen Glaubens durch rechtschaffene Gottseligkeit, durch Früchte der Ge­ rechtigkeit, wie wir nach Christi Namen genannt sind, dass wir nicht allein an Christus glauben, sondern auch in Christus leben sollen und Christus in uns. » Schon in diesen Worten ist klar ausgedrückt, dass es Arndt nicht nur um die « reine Lehre », sondern auch um das Heilserleben ging, auf welches die Täufer der Reformationszeit immer wieder grosses Gewicht gelegt hatten. Zu beachten ist auch, dass sein Buch frei ist von jeder Polemik. Dass Arndt sich in seinem umfangreichen Werk, in welchem er stets über ein und dasselbe The­ ma spricht, öfters wiederholt, ist zu begreifen. Auf Taufe und Abendmahl, in denen er sakramentale Handlungen sah, kommt er nur im 5. Buch zu sprechen, da er, wie er bemerkt, « die Gemüter der Studenten und Prediger von der gar zu disputier- und streitsüchtigen Theologie » zurückziehen wollte. Das erste Buch « Vom wahren Christentum » erschien bereits 1605. Doch noch im Jahr 1620 schrieb Arndt : « Von einer solchen Erleuchtung des Geistes Gottes, welche in Gläubigen wirkt und tätig ist, reden meine Bücher ; dessen aber sind die guten Herren nicht gewohnt, denn sie haben keine Praxis und geistliche Erfahrung. » Der Ausgabe von 1774 gehen einige Verse voraus, die mahnen : « Lies, Leser, dieses Buch, das wohl der Geist diktiert, und folge jener Spur,

387 die Arndt hier angewiesen, und bündig angepriesen, nach Schrift, Herz und Natur, bis man das A und O gestaltiglich darin studiert. »

Ob das dichterische Klagelied auf das fruchtlose Mundchristentum, das der gesamten Ausgabe vorangeht, von Arndt selber stammt, ist nicht bekannt. Dieses 34 Strophen umfassende Lied beginnt mit den Worten :

« Ach lieber Mensch erkenne recht, wie es so laulich und so schlecht im Christentum hergehet. Ein jeder rühmt sich zwar ein Christ, tut doch nicht, was recht christlich ist und Christenvolk zustehet. »

Im Mai 1620 hielt Johann Arndt seine letzte Predigt, über Psalm 126,5 : « Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. » Nach Hause gekommen, überfiel ihn das Fieber, und er sagte : « Heute habe ich meine Leichenpredigt gehalten. » Bald darauf starb er. Sein letztes Wort war : « Nun habe ich über­ wunden. » Arndts Schriften fanden einen eifrigen Verfechter in Johann Gerhard (1582-1637), Professor in Jena, einem der grössten Gelehrten des damaligen Deutschland. Er schloss seine Verteidigung mit den Worten : « Das Buch ist gut, wenn nur die Leser gut sind ! » Ein « Theologe » von ganz anderem Schlage war der fromme Görlitzer Schumacher Jakob Böhme (1573-1624), der ein mystisches System entwickelte. Seine eigentümliche Gedankenwelt spiegelt sich in seiner Schrift « Aurora oder Morgenröte im Aufgang », die 1612 erschienen ist. Seine an « Fülle des Ge­ fühls und Tiefe der Phantasie » unvergleichlichen Gedanken sind gewiss keine Irrlehren, grenzen aber zuweilen an Schwärmerei. Sie weichen von der luthe­ rischen Rechtfertigungslehre darin ab, dass sie weit mehr « Christus in uns » als « Christus für uns » betonen. Kein Wunder, dass viele seiner Gedanken später von Vertretern des Pietismus übernommen worden sind. Böhme starb Sonntag, den 17. November 1624. Seine letzten Worte waren : « O du starker Herr Zebaoth, rette mich nach deinem Willen ! 0 du gekreuzigter Herr Jesus Christe, erbarme dich mein und nimm mich in dein Reich! Nun fahre ich hin ins Paradies ! » Einen Vorläufer des Pietismus finden wir in Johann Valentin Andreae (1586-1654) in Calw. Er drang auf strengere Kirchen- und Sittenzucht, wie er sie in Genf, der Stadt Calvins, kennen gelernt hatte. Seine Kirchenideale suchte Andreae in seiner Heimat zu verwirklichen, fand aber wenig Anklang. Im dreissigjährigen Krieg, den er den streitsüchtigen Theologen zur Last legte, wurde Calw geplündert und eingeäschert, wobei Andreae seine ganze Habe verlor, auch seine Bücher- und Kunstsammlung.

388 Die gewaltigen Schatten, die im 17. Jahrhundert einen grossen Teil von Europa verdunkelten, waren nach Abschluss des westfälischen Friedens von 1648 nicht alsbald zerstreut. Das deutsche Volk litt schwer an den Folgen des Krieges. Aber Gott, der da hiess « das Licht aus der Finsternis hervor­ leuchten » (2. Kor. 4,6), schenkte auch dieser Nachkriegszeit viele «helleuch­ tende Sterne » als « Lichter auf dunklem Wege ». 20. Kapitel

Die Englischen Freikirchen und ihre Einwirkung auf Deutschland und die Schweiz

Während in Deutschland der Protestantismus in den Kämpfen des dreis­ sigjährigen Krieges mit dem Katholizismus sich zerfleischte, bildeten sich auf britischem Boden freikirchliche Richtungen, die von grundlegender Bedeutung geworden sind. Als Führer der ersten religiösen Bewegung war ]ohn Knox (1505-1572). Als Schüler Calvins weilte Knox von 1553 bis 1555 in Genf, wo er vom Genfer Reformator stark beeinflusst und geprägt wurde. Im Herbst 1555 kehrte er nach Edinburgh, der Hauptstadt Schottlands, zurück. Er forderte so­ gleich, dass die Gläubigen sich vom « Götzendienst der Messe » lossagten. Der stahlharte, unbeugsame Knox brachte es schliesslich dahin, dass es zum Bruch mit Rom kam und 1560 die reformierte schottische Kirche nach den Grund­ sätzen Calvins organisiert wurde. Er starb 1572. An seinem Grab soll ein Staatsmann gesagt haben : « Hier liegt er, welcher nie das Angesicht eines Menschen fürchtete ». Im Laufe des 16. Jahrhunderts, während des Aufkommens der englischen Hochkirche (Anglikanismus), die unter Königin Elisabeth 1562 definitiv lega­ lisiert wurde, traten die Puritaner auf, zu deutsch die « Reinen ». Es waren Männer, die mit ganzem Ernst für die Sache des Evangeliums eintraten. Sie forderten unbedingte Autorität der heiligen Schrift, Aufrichtigkeit und Ein­ fachheit der Prediger und Wiederherstellung der Reinheit der Gemeinde nach dem Vorbild der ersten apostolischen Christengemeinden. Damit standen sie in scharfem Gegensatz zu dem herrschenden Staatskirchentum. Unter dem Schrek- kensregiment des Herzogs Alba flüchteten holländische Tauf gesinnte nach England, wo die Puritaner mit ihnen in Beziehung traten. Der Independen­ tismus (Unabhängigkeitsbewegung), welcher von jenen ausging, entstand unter täuferischem Einfluss.

Das Fundamentalprinzip dieser Bewegung war die absolut unabhängige gläubige Christengemeinde, die sich, von jeder Art von bischöflicher Vormund­ schaft befreit, auf dem Boden der Freiwilligkeit und Selbständigkeit entfaltet. Dieses biblische Prinzip einer allein von Christus abhängigen Christengemein­ de ist, wie G. Nagel schreibt, « die Voraussetzung für schriftgemässe Lehre und Darstellung der evangelischen Heilswahrheiten. » Mit Recht hat man die Bewegung des « Independentismus» die Vollendung der Reformation ge­ nannt.

390 Es war Robert Brown (1550-1636), der 1580 unter täuferischem Einfluss eine erste selbständige Gemeinde gründete, deren Glieder nach ihm Brownisten genannt wurden. Sein leidenschaftlicher Bekehrungseifer verschaffte ihm viele Anhänger. Brown bekämpfte jede Art von Kirchenregiment (Hierarchie) und vertrat ein demokratisches Freiwilligkeitsprinzip. Für ihn war allein der Wille der Gesamtheit entscheidend. Eine Herrscherstellung der Geistlichkeit galt ihm als « antichristlich ». Nach dem Grundsatz der Brownisten setzt sich die Ge- Gemeinde nur aus solchen Persönlichkeiten zusammen, die wahrhaft gläubig geworden sind und sich von der Welt geschieden haben. Robert Brown vertrat diese Grundsätze einer freien Gemeinde nicht ohne Kampf. Nach seinen eigenen Worten ist er 32 Mal in Gefangenschaft, und zwar meistens in dunklen Ker­ kern, gewesen. Die Brownisten oder Puritaner wurden in England hart verfolgt ; viele siedelten nach Holland über, wo sie in Amsterdam und anderswo Aufnahme fanden. Andere entschlossen sich unter der Führung von John Robinson (1576- 1625) zur Auswanderung nach dem fernen Nordamerika. Es war ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung, als im September 1620 die « Pilgerväter », in der Kajüte der « Maiblume » auf den Knien betend und unter Singen von Psalmen Europa verliessen, um in der neuen Welt eine Kolonie zu gründen. Ergreifend war die Abschiedsrede, die Robinson an Hand von 1. Samuel 23, 3-4 hielt : « Ich ermahne euch vor Gott und seinen heiligen Engeln, dass ihr mir nicht weiter folgt, als ihr mich selbst dem Herrn Jesus Christus habt folgen sehen. Wenn Gott euch irgend etwas durch ein anderes seiner Werkzeuge offen­ bart, seid bereit, es so willig anzunehmen, wie ihr Wahrheiten durch meinen Dienst angenommen habt. Denn ich bin zutiefst überzeugt, dass der Herr noch weitere Wahrheiten hat, die aus seinem heiligen Wort geschöpft werden können... Ich kann den Zustand der reformierten Kirchen nicht genug beklagen, welche zu einem Abschluss der Religion gekommen sind und jetzt nicht über die Werkzeuge ihrer Reformation hinausgehen wollen. Die Lutheraner bleiben bei Luther, die Calvinisten bei Calvin stehen ; das ist eine beklagenswerte Not. Wenn auch diese Männer zu ihrer Zeit brennende und scheinende Lichter ge­ wesen, so sind sie doch nicht in den ganzen Ratschluss Gottes eingedrungen, und sie würden, wenn sie jetzt lebten, ebenso weitere Erleuchtung annehmen, wie damals sie zuerst empfangen. Denn es ist unmöglich, dass die christliche Welt in so kurzer Zeit die lange antichristliche Finsternis hätte durchbrechen und mit einem Male die Vollkommenheit christlicher Erkenntnis hätte er­ scheinen können. »

Nach stürmischer Fahrt landete die « Mayflower » mit 102 Passagieren in der Plymouth-Bai in Nordamerika. Hier entstand die erste puritanische Kolonie « Neu-England », wo die « Pilgerväter » ungehindert ihr religiöses Be­ kenntnis ausüben konnten. In den nächsten fünfzehn Jahren sollen ihnen über 20.000 Personen gefolgt sein. Dieses Ereignis, die Ansiedlung der Pilgerväter auf amerikanischem Boden war der Beginn der Gründung des nordamerikanischen Freistaates. Die Ver­

391 einigten Staaten wurden zum « gelobten Land » der freien christlichen Gemein­ den. Seit 1620 haben Unzählige sich in « dem Land der unbegrenzten Möglich­ keiten » niedergelassen. Die englischen Puritaner, die massenweise auswander- ten, wurden in der « neuen Welt » in kräftigen Gemeinwesen organisiert und genossen als « Kongregationalisten » völlige kirchliche Unabhängigkeit. Die durch Kolonisation gegründeten Staaten hielten am Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat fest. Laut Verfassung von 1791 geniessen diese Kirchen bis zu einem gewissen Grade sogar Steuerfreiheit. In England kam unter dem «Lordprotektor» Oliver Crotntvell (1599- 1658) die religiöse Partei der Puritaner vorübergehend zur Herrschaft. Diese wollten auf der Grundlage der Bibel einen heiligen Gottesstaat errichten. Da­ bei schwebte ihnen die alttestamentliche Theokratie als Vorbild vor. Zu ihrem « Auftrag » glaubten sie sich wie die grossen Heldengestalten des Alten Testa­ ments ermächtigt. In den biblischen Schriften « Josua », « Richter », « Samuel », « Könige » und den « Chroniken » fanden sie ihre Aufgabe wie vorgezeichnet. Auch die Psalmen, in denen von den Gläubigen, die von gottlosen Feinden umringt sind, die Rede ist, schienen wie für sie gedichtet zu sein und zur Ausrottung jeglichen Götzendienstes aufzufordern. Doch das von Cromwell einberufene « Parlament der Heiligen », das jede Sitzung mit Gebet begann, erwies sich bald als unfähig, die politischen Pro­ bleme zu lösen, so dass der Staatsmann Cromwell sich genötigt sah, dasselbe aufzulösen. Er hatte genug von einem Parlament von religiösen Fanatikern als gesetzgebender Behörde. Der « Traum eines Gottesstaates » war für ihn ausge­ träumt. Als nüchtern gewordener Staatsmann lenkte er das Staatsschiff nach dem Prinzip der Staatsraison. Während die Deutschen im 30jährigen Krieg sich gegenseitig zerfleischten, gelangte England unter der Leitung Cromwells zu seiner Weltmachtstellung. Die Puritaner gerieten mehr oder weniger in einen extremen Spiritualismus. Die wieder nüchtern Gewordenen bildeten eine neue Partei, die dem Lauf der Dinge eine neue Wendung gab, indem sie unter Verwerfung jeglichen Staats- kirchentums die Religionsfreiheit und volle Autonomie der Einzelgemeinde er­ strebte. « Der Independentismus war es », schreibt Professor Weingarten, « der die Reformation in die Herzen eingeführt und sie aus einem Staatskirchentum in ein Gemeindechristentum umgewandelt hat. Dass in England und Amerika christliche Frömmigkeit eine nationale Macht geworden und geblieben ist, ist die Frucht der von ihm geführten Geistes- und Glaubenskämpfe, wie sie ener­ gischer kein Volk der Reformation in ihren beiden ersten Jahrhunderten durch- gefochten hat. Und erst durch diesen innerlichen Sieg über die Herzen des Volkes ward die Reformation festgestellt. Der grosse Staatsmann Cromwell war es, der diesem Unabhängigkeitsge­ danken zur Herrschaft verhalf. Von ihm ist der Ausspruch überliefert : « Frei­ heit des Gewissens ist ein natürliches Recht, wer sie für sich beansprucht, muss sie auch ändern gewähren, »

392 Zum Kreis der Independenten gehörte auch Richard Baxter (1615-1691), « der Johann Arndt der englischen Kirche », welcher einer der bedeutensten Theologen Englands war. Unter Cromwell diente er als Feldprediger, musste aber dieses Amt wegen Erkrankung aufgeben. Später wurde er königsfeindli­ cher Gesinnung verdächtigt und zu Gefängnisstrafe verurteilt. Nach 18mona- tiger Gefangenschaft wurde er 1686 befreit. In Erwartung des baldigen Todes schrieb er auf Grund von Hebräer 4 sein berühmtes Erbauungsbuch « Die ewige Ruhe der Heiligen. » Er starb im Dezember 1691 in London. Die von den Puritanerkirchen in USA ausgestreute Saat wuchs später zu einer gewaltigen Erweckungsbewegung heran, die auch den europäischen Kon­ tinent erfasste. Der Rechtsgelehrte Charles G. Finney (1788-1875) erlebte 1821 eine « heftige, geistliche Krise », worauf er sich zu Christus bekehrte und « eine kräftige Taufe im heiligen Geist » empfing. Von da an gab er seinen Beruf auf und wurde einer der bedeutendsten Evangelisten des Jahrhunderts. Seine Schriften wurden in mehrere Sprächen übersetzt und fanden in aller Welt grosse Verbreitung. Sie werden noch heute gelesen. Was Finney in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war Dwigt Lymann Moody (1837-1899) in der zweiten Jahrhunderthälfte. Ein besonderes Geprä­ ge erhielt seine Evangelisation durch die Mitarbeit Ira D. Sankeys (gest. 1908), der die Evangeliumsbotschaft Moodys mit seinen Liedern « in die Herzen der erweckten Menschen hineinsang ». Einen dauernden Einfluss gewann Moody durch das Bibelinstitut, das er 1889 in Chicago errichtete. Als langjähriger Leiter dieses Instituts führte Rüben A. Torrey (1856-1928) sein Werk weiter. San­ keys Lieder fanden starken Anklang und grosse Verbreitung auch in Europa, vor allem in deutscher Sprache. Auch Schriften von Torrey kamen nach Eu­ ropa. Seine Broschüre « Wie beten wir » gehört zu den besten Schriften, die je über das Gebet geschrieben worden sind und hat bereits zehn Auflagen erlebt. Eine ganz andere religiöse Strömung war die in England aufgekommene Gemeinschaft der « Freunde » die man wegen ihrer krampfhaften Zuckungen spottweise Quäker (Zitterer) nannte. Ihr Begründer war ein einfacher Schuster, George Fox (1624-1691), der unter ungezählten Gefahren und Verfolgungen als Wanderprediger umherzog. In seiner Wortverkündigung drang er auf eine einfache Lebensführung im Sinne der Bergpredigt und suchte die Gläubigen als « Freunde » in brüderlicher Gemeinschaft zu vereinigen. Durch « innere Offen­ barungen » und « eine Stimme vom Himmel » wusste sich Fox zu seinem Dienst beauftragt. Was am Gottesdienst der Quäker auffällt, ist die « schweigende An­ betung ». Diese dauert so lange bis sich ein Gemeindeglied, « vom Geiste Got­ tes ergriffen », zum Gebet oder einer kurzen Ansprache erhebt. Im tiefen Stillschweigen kann das « innere Licht » gesehen, das « innere Wort » gehört werden, welches die Quäker über das geschriebene Wort stellen. Einen besonderen Aufschwung erlebte das Quäkertum durch William Fenn (1644-1719), den Sohn eines englischen Admirals, welchen man den zwei­ ten Gründer dieser Gemeinschaft nennt. Da die Quäker in England immer

393 mehr verfolgt wurden, suchte Penn sie zur Ausreise nach « der neuen Welt » zu bewegen, wo Religionsfreiheit herrschte. Dadurch wurde das Quäkertum nach Amerika verpflanzt, wo es aufzublühen begann. Penn, der den Indianern Land abkaufte, übte weithin Einfluss aus. In Anerkennung seiner Verdienste erhielt der junge freiheitliche Staat den Namen Pennsylvania. Das besondere Verdienst der Quäker besteht darin, dass sie zusammen mit den geistesverwandten Mennoniten und Baptisten ihre Stimme zu Gunsten der Abschaffung der Sklaverei erhoben und für eine humanere Behandlung der Neger, für Gewissensfreiheit und andere Menschenrechte kämpften. Diese ihre Tapferkeit ist historisch bedeutsamer als ihre « schweigende Anbetung ». Dass sie in unbiblischer Weise Taufe und Abendmahl wie überhaupt alle äus­ seren Formen des Gottesdienstes ablehnten, kann nur als ein nicht ganz unbe- rechtiger Protest gegen den vielerorts herrschenden Formalismus verstanden werden. * * *

Eine andere freikirchliche Richtung finden wir in den in England ent­ standenen « Gemeinden gläubig getaufter Christen », die allgemein Baptisten genannt werden. Sie lehnen nicht nur die Kindertaufe ab, sondern jede Art von Taufe, die nicht « schriftgemäss » nach ihrem Modus durch Untertauchen vollzogen wird. Mit den Mennoniten haben die Baptisten sehr vieles gemein, nur dass sie grösseres Gewicht auf « das Wässerlein » der Taufe legen. Das Untertauchen ins « Wassergrab » ist Grundbedingung, um als Glied in ihre Gemeinde aufgenommen zu werden. Als Stifter der englischen Baptistengemeinden ist eigentlich John Smith zu betrachten, der im Jahr 1606 nach Holland kam und dort die Mennoniten kennen lernte. Ihr Gemeindeprinzip leuchtete ihm ein, ebenso ihre Ablehnung der Kindertaufe. Er forschte ernstlich nach der wahren biblischen Taufe, kam zu der Auffassung, nur die Untertauchung könne die richtige sein und taufte sich selbst. Der erste englische Baptist, der nach dieser neuen Weise getauft wurde, war Richard Blount aus London. Er empfing die Taufe 1640 in Holland. Nach seiner Rückkehr taufte Blount Samuel Blacklock, den Prediger einer kleinen Gemeinde von 53 Seelen, die sich auch taufen Hessen. So entstand die erste englische Baptistengemeinde. Sehr bald verpflanzte sich die Bewegung nach Amerika, wo Roger 'Williams und Hesekiel Hollimann noch im 17. Jahrhundert ansehnliche Gemeinden gründeten. Williams oberster Grundsatz lautete : « Hier soll niemand um des Glaubens willen verfolgt werden. » Sowohl die englischen, wie die nordamerikanischen Baptisten gründeten selbständige Bibelgesellschaften, die aber nur solche Bibeln verbreiteten, in de­ nen die Taufe als Untertauchung verstanden wurde. Hervorragende Männer gingen aus der Bewegung des Baptismus hervor. So ist in der Toleranzfrage neben Cromwell die interessanteste Persönlichkeit

394 John Milton (1608-1674, der für einen Baptisten gilt. Als klassischer Dichter erregte er mit seinem Hauptwerk « Das verlorene und wieder gefundene Para­ dies » ungeheures Aufsehen. Sein mächtiger Aufruf gipfelt in dem Satz : « Zu­ rück zu dem Evangelium und den Aposteln ». Den Kampf für die Freiheit führte er unter Berufung auf die Schrift. Von einer Reise nach Italien zurück­ gekehrt, setzte sich Milton für die verfolgten Waldenser ein.

Auch der englische Kesselflicker John Bunyan (1628-1688), der mit seiner allegorischen Dichtung « Die Pilgerreise nach dem Berge Zion » der Christen­ heit ein unvergängliches Erbauungsbuch geschenkt hat, war Baptist. Das Werk wurde in fast alle europäischen Sprachen übersetzt und ist neben der Bibel das verbreitetste Buch der Welt. Bunyan musste wegen seines Glaubens zwölf Jahre lang (1660-1672) im Gefängnis zubringen. Auf diesem « Patmos » hat er seine « Offenbarung » geschrieben.

1770 gründeten die Baptisten in Bristol ihr erstes Predigerseminar, und 1792 entstand die Baptisten-Missionsgesellschaft, deren Gründer William Car- rey (1761-1834) ist. Gemäss seiner Devise : « Erwarte Grosses von Gott, unter­ nimm Grosses für Gott » ging Carrey 1793 als erster Missionar nach Bengalen in Ostindien, wo er 30 Jahre gearbeitet hat. Er wird deshalb der « Vater der Heidenmission » genannt. Das Interesse an der Mission, das er weckte, führte im Jahr 1795 zur Gründung der Missionsgesellschaft.

Ein namhafter Vertreter der englischen Baptisten war der « Fürst unter den Predigern », Charles Haddon Spurgeon (1834-1892) in London, der inter­ nationalen Ruhm erlangte. Seine Schriften wurden in Deutschland und der Schweiz massenhaft verbreitet. Der grosse Erfolg seiner Predigt und seiner Schriften beruht auf seiner volkstümlichen Verkündigung der Heilsbotschaft, die er durch treffende, aus dem Leben gegriffene Beispiele zu erläutern verstand. Seine Vorträge im riesigen Metropolitan-Tabernakel machten einen gewaltigen Eindruck auf das Publikum. Der grosse Erweckungsprediger sprach, obwohl überzeugter Baptist, selten über die Taufe.

Der Baptistenprediger Johann Gerhard Oncken (1800-1884) in Hamburg, ein ehemaliger Kaufmann, gründete 1834 die erste Baptistengemeinde in Deut­ schland, weshalb er « der Vater des kontinentalen Baptismus » genannt wird. Julius Köbner (gest. 1884), der Sohn eines jüdischen Rabbiners, ein Lieder­ dichter, wurde Onckens Mitarbeiter. Gottfried Wilhelm Lehmann (gest. 1882), der ebenfalls von Oncken getauft wurde, gründete die erste Baptistengemeinde in Berlin. Dank dem Onckenschen Grundsatz : « Jeder Baptist ein Missionar » verbreitete sich das neue Täufertum so rasch, dass man bei Onckens Tod in Deutschland 31.000 Baptisten zählte. Dass Oncken in Hamburg auch mit Mennoniten in Verbindung gestanden, sogar in ihren Lokalen gepredigt hat, ist erwiesen. Der Bund der deutschen Baptisten besitzt seit 1880 in Hamburg ein Predigerseminar und in Kassel ein Verlagshaus.

395 Im Jahr 1849 fand der Baptismus auch in der Schweiz Eingang. Durch Onckens Mitarbeiter Friedrich Maier wurden in Zürich acht Personen durch Untertauchen getauft. Diese bildeten die erste Baptistengemeinde daselbst. Der Baptismus, der heute fast in der ganzen Welt verbreitet ist und etwa 22 Millionen Mitglieder umfasst, ist keine einheitliche Organisation. Es gibt verschiedene Richtungen, die wenig oder gar keinen Kontakt miteinander haben. In den USA besteht zwischen den Baptisten der Nordstaaten und denen der Südstaaten der Unterschied, dass jene teilweise freieren (liberalen) Glau­ bensansichten huldigen, während diese eher konservativ sind. In Rüschlikon bei Zürich unterhalten die Baptisten der Südstaaten ein theologisches Seminar, in welchem sie junge Theologen zur Mission und Förderung des Baptismus in Europa ausbilden. In Russland sind die Baptisten die einzige Freikirche die, unter der Be­ dingung, dass sie sich dem Kommunismus fügt, vom Staat einigermassen ge­ duldet wird. Laut Berichten ist der Unionsrat der Bruderschaft der Evangeliums- Baptisten einen Kompromiss mit dem Kommunismus eingegangen und richtet sich in äusseren Dingen nach den Verordnungen der Partei. Das führte einer­ seits zu einer beschränkten Duldung, anderseits zu einer Trennung innerhalb der Bruderschaft. Die Oppositionsgruppen verloren das Vertrauen zum Unions­ rat der Baptistenkirche, den sie als vom Staat dirigiert betrachteten, was umso schwerer wog, als beide Seiten dogmatisch übereinstimmten. Da sich der Unionsrat den Direktiven des Staates fügte, bildete die Opposition eine « Unter­ grundkirche ». Gegen diese setzte eine rücksichtslose grausame Verfolgung ein. Mehr als 500 Brüder, in der Hauptsache Diener der Kirche, wurden verhaftet und in Gefängnisse gesteckt oder in Arbeitslager geschickt. In Odessa, Brest, Kiew und ändern Städten wurden ihre Versammlungshäuser konfisziert und zum Teil zerstört. Die « Stimme der Verfolgten » mit einer Liste der Gefangenen ist ein erschütterndes Dokument, das alle schön gefärbten Nachrichten über Religionsfreiheit in den UdSSR widerlegt. Die nicht eingetragene « Untergrund­ kirche », die die Bedingung gänzlicher Unterwürfigkeit nicht akzeptieren kann, wird in den Ländern « hinter dem eisernen Vorhang » schwer verfolgt. Der Staat hält auf dem Verwaltungsweg das Verbot gottesdienstlicher Versammlun­ gen in Privaträumen aufrecht. Auch das Verbot der Jugendunterweisung und aktiver Teilnahme Jugendlicher an Gottesdiensten bleibt bestehen. Den Baptis­ ten in Russland bleibt somit nur die Wahl, « den dornigen Weg des Leidens » oder « die breite Strasse der Bequemlichkeit » zu gehen.

* * *

Eine ähnliche Bewegung wie der Pietismus in Deutschland entstand in England als Reaktion gegen das erschlaffende Kirchentum in dem nach Heili­ gung strebenden Methodismus. Er bildete eigentlich eine unabhängige Gemein­ schaft, obschon er sich von der Landeskirche nie in aller Form getrennt hat. Seine Urheber waren die anglikanischen Geistlichen ]ohn Wesley (1703-1791)

396 und Georg Whitefield (1714-1770), Männer von grösser religiöser Tatkraft, gewaltige Prediger, die dem Oxforder Studentenkreis angehörten. Sie vertra­ ten eine streng innerliche Frömmigkeit und wurden, da sie eine neue Methode des kirchlichen Lebens einführten, spottweise Methodisten genannt, welchen Namen sie bald als Selbstbezeichnung gebrauchten. « Ein Methodist » sagte Wesley, « ist ein solcher, der nach der in der Bibel aufgestellten Methode lebt. » Sie mussten sich allerdings auch mit dem Spottnamen « der heilige Klub » ab- finden. Bezeichnend ist der Aufenthalt John Wesleys im Sommer 1738 in Herrn­ hut, doch ist die Freundschaft mit Zinzendorf und der Brüdergemeinde schon 1740 in die Brüche gegangen.

Der Bruder John Wesleys, Charles Wesley (1707-1788), nahm als Lieder­ dichter am Werk vollen Anteil. Er soll eine Unmenge von geistlichen Liedern in englischer Sprache gedichtet haben, denen « dichterische Schönheit » nach­ gerühmt wird. Wenn auch die beiden Prediger Wesley und Whitefield gemeinsam für die Erweckungsbewegung arbeiteten, so gingen ihre Ansichten in Lehrfragen doch auseinander, da Whitefield betreffend die Vorherbestimmung calvinistische An­ sichten hegte. Diese Lehrdifferenz trennte aber die beiden Gottesmänner nicht. Dem Erweckungsprediger John Wesley war es gegeben, in schlichter volkstümlicher Weise das Evangelium von der rettenden Gnade Gottes zu ver­ kündigen, wobei er auch mit drastischer Ausmalung der Höllenqualen der Ver­ dammten zu sofortiger Bekehrung auf forderte. Die « Bekehrten » schloss er zu relgiösen Vereinen zusammen .Der wesentliche Inhalt der Predigt John Wesleys war Glaube und Heil, welche er selbst als « das Mark der ganzen Schrift » be- zeichnete. Für ihn war die Rechtfertigung durch den Glauben nicht nur ein blosser Begriff, sondern eine umgestaltende Heilserfahrung. Er legte auch be­ sonderes Gewicht auf die Lehre von der « völligen Liebe », d.h. er betonte mit Nachdruck die Liebestätigkeit. Der berühmte Ausspruch Wesleys : « Ich be­ trachte die ganze Welt als mein Kirchspiel » zeugt von einem ausgesproche­ nen Missionssinn, der mancherorts als « methodistischer Bekehrungseifer » auf­ trat. Es ist somit nur konsequent, dass Wesley Calvins Prädestinationslehre « ein schreckliches Dogma » genannt und sie kategorisch abgelehnt hat. Auch warnte er vor Luthers Lehren über das Gesetz Gottes und nannte dessen Kom­ mentar zum Galaterbrief geradezu « gotteslästerlich ».*) Eine Deklaration vom Jahr 1784 bestimmte, dass nach dem Tode der Gebrüder Wesley keine andere Lehre gepredigt werden solle als die in Wes­ leys Anmerkungen zum Neuen Testament und in seinen vier Bänden von Pre­ digten enthaltene. Diese Verordnung sollte der Gefahr eines dogmatischen

1) Zu Wesleys Lehre s. David Lerch: «Heil und Heiligung bei John Wesley. David Lerch ist der Sohn des uns bekannten Abraham Lerch.

397 Zerwürfnisses steuern. Ueberdies gab sie dem Methodismus als einer Körper­ schaft eine juristische Grundlage. Seit etwa 1784 kennt die Methodistenkirche das Bischofsamt; sie heisst von da an «Bischöfliche Methodistenkirche.» Im Jahr 1850 gründete L. S. Jakoby in Bremen die erste deutsche Methodistengemeinde, während in der Schweiz der Methodismus einige Jahre später Fuss zu fassen vermochte, zuerst in Nyon am Genfersee und im Jahr 1863 in B ie l; etwas später auch in Zürich, wo seit 1900 der Bischof der Methodistenkirche der Schweiz seinen Sitz hat. Sie zählt etwa 12.000 erwachsene Mitglieder, 70 Prediger und 240 Predigtsta­ tionen und gehört seit 1922 dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund an. Eine markante Persönlichkeit unter den Methodisten der Schweiz war der « Sängervater » Abraham Lerch (1858-1935 ; Bild Nr. 27), der aus den Kreisen der Täufer im Jura hervorgegangen ist. Er wuchs auf dem Steinerberg oberhalb Sonceboz, einem abgelegenen Bergheimwesen auf. Auf dem kleinen väterlichen Bauernhof arbeitete er und betätigte sich nebenbei als Zimmermann. In seinem 20. Lebensjahre trat eine entscheidende Wendung in seinem Leben ein. Um dem Militärdienst zu entgehen, dem die Mennoniten sich aus Gewissensgründen zu entziehen suchten, gab es keinen ändern Rechtsweg als den der Auswande­ rung über die Grenze. So zog Lerch nach Frankreich, wo er zwei Jahre ver­ weilte. 1880 kam er nach Deutschland. Er hielt sich in der Nähe von Kirch- hardt in Baden auf, wo er mit Methodisten zusammentraf. Der junge aufge­ weckte Mann fand bei ihnen lebendiges Christentum, schloss sich dieser Frei­ kirche an und begann bald, mit dem Wort zu dienen. In den Jahren 1883-1884 kam er als Predigergehilfe nach Vaihingen a. d. Enz in Württemberg. Um sich weiter zu bilden, trat er ins Predigerseminar in Frankfurt ein. Der Eintritt fiel ihm nicht leicht, da er auf den Jurabergen fast keine Schulbildung genossen hatte. Er bestand aber die Studienjahre 1884-1887 gut. Nach Absolvierung des Studiums kehrte er in die Schweiz zurück, um als Prediger der Methodisten­ kirche zu wirken. Infolge des in dieser Kirche üblichen Stationen Wechsels diente er in Oerlikon, Bülach, Uster, Schaffhausen, Lenzburg, Solothurn. Liestal, dann wieder in Uster und zuletzt in Horgen. So stand er im ganzen bei 50 Jahren im Dienst der Methodistenkirche. Nach kurzem Ruhestand verschied er 1935 plötzlich an einem Herzschlag. Die ausserordentlichen Fähigkeiten Abraham Lerchs bestanden aber nicht in erster Linie im Predigen, sondern im Gesang. Mit einer wunderbaren Tenor­ stimme begabt, diente er an vielen Orten in Deutschland und der Schweiz mit Gesangvorträgen. Die Deutschen nannten ihn die « Schweizer Lerche ». Auch in den Kreisen der Mennoniten im Jura war der « Lerche Jubellied » zu hören. Als er im Spätherbst des Jahres 1911 anlässlich eines Gesanggottesdienstes in der vollbesetzten Kirche in Tavannes das damals noch wenig bekannte Lied « Wir sind ein Volk vom Strom der Zeit... » von J. Erdle mit seiner ergrei­ fenden Tenorstimme vortrug — Lerch begleitete sich selber am Harmonium —

398 da hallte die Schlusszeile « Heimat für Heimatlose » noch lange wie ein « Echo aus der Ewigkeit » in den Herzen der Zuhörer nach. Lerchs ausgesprochener Forschersinn auf dem Gebiet der Gesangsliteratur kam besonders zur Geltung, als er mit seinem Freund Eduard Hug im Jahr 1895 die « Feierklänge » herausgab. Was sein Andenken verewigt, sind seine überaus wertvollen Kompositionen. Die Lieder, die er komponierte, wie « Ein volles Heil » und « Der Morgensonne » sind Perlen des christlichen Liedergutes. Letzteres wurde auf meine Veranlassung zu seinem Andenken in unser « Neues Gemeinschaftsliederbuch » auf genommen. An der Schaffung des gediegenen Gesangbuches der Bischöflichen Metho­ distenkirche war Abraham Lerch massgebend beteiligt. Viele Jahre war er auch Vorstandsmitglied des christlichen Sängerbundes der Schweiz.

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Den Methodisten verwandt ist die Evangelische Gemeinschaft, eine Abzwei­ gung des Methodismus, die als unabhängige Denomination im Jahr 1803 durch den deutschen Prediger Jakob Albrecht (gest. 1808) in Pennsylvanien entstan­ den ist, weshalb ihre Anhänger auch « Albrechtsleute » genannt wurden, die auch in der Schweiz vertreten sind. Das christliche Verlagshaus in Bern ist Eigentum dieser Gemeinschaft. Im Jahr 1952 wurde ihr Gesangbuch « Christen­ lieder » herausgegeben, das der Musiklehrer Samuel Furer in Bern fachmännisch ausarbeitete. Es ist ein Werk von Bedeutung in dem das « sentimentale Lied » keinen Platz gefunden hat. Die Zentralverwaltung der evangelischen Gemein­ schaft der Schweiz ist in Bern. Die Methodistenkirche und die Evangelische Gemeinschaft haben sich in jüngster Zeit wieder vereinigt. Die neue Kirche führt den Namen « Evangelisch - Methodistische Kirche ».

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Ebenfalls aus England zu uns herübergekommen ist die Glaubensrichtung der Plymouth - Brüder, welche nach ihrem Stifter John Nelson Darby (1800- 1882) auch Darbysten genannt werden. Darby war ein anglikanischer Geistli­ cher, der 1828 die religiös erstarrte Staatskirche verliess und durch sein « über- denominationelles Denken » die Brüder wieder auf die Geisteshöhe der ersten Christen zu bringen trachtete. Den Brüdern war es nicht um die Gründung einer neuen Denomination zu tun ; sie waren vielmehr darauf aus, wahre Gläubige, die es in allen Denominationen gibt, in einer wahren Kirche zu sammeln. Sie lehnten jede äussere Organisation ab, da der « heilige Geist alles ordne ». Im Jahr 1838 kam Darby in die französische Schweiz. In Lausanne und ändern Ortschaften am Genfersee, besonders in Morges, bildete sich ein Kreis von Brüdern, « die christliche Versammlung », die sich für Darbys Lehre be­ geisterten. Darby versuchte, « in diesen gefährlichen Zeiten » den Abfall der Kirche aufzuhalten und « die Haushaltung Gottes » « genau nach dem Wort »

399 in ihren ursprünglichen Zustand und ihre urchristliche Ordnung zurückzuführen. Infolgdessen führte er auch die Glaubenstaufe ein. Die Darbysten fassten auch in Biel Fuss. Sie betreuen noch heute das christliche Erholungsheim « Bethel » in Orvin bei Biel. Der berühmte Bieler Kunstmaler Paul Robert, der Schöpfer des wunderbaren Kunstgemäldes « das letzte Gericht » im Musee des Beaux-Arts in Neuchätel gehörte zu dieser Rich­ tung. Auch die Kunstgemälde im Wartesaal des Bahnhofes Biel sind sein Werk.

Einer der bedeutendsten Vertreter des Darbysmus war Georg Müller (1805- 1898) in Bristol. Er wurde in Preussen geboren, studierte Theologie, führte aber ein ausschweifendes Leben, bis er im Jahr 1825 als Student nach Halle kam, wo er unter dem Einfluss der Pietisten zum lebendigen Glauben kam. Im Jahr 1829 ging er nach England, um in den Dienst der Judenmission zu treten. Er hatte aber eine gewisse Abneigung, sich von Menschen in seiner mis­ sionarischen Arbeit bestimmen zu lassen. Zunächst fand er eine Anstellung als Prediger der Eben-Ezer-Kapelle in Teigmouth. Um eben die Zeit wurde in christlichen Kreisen viel über die Tauffrage diskutiert. Müller, dem eifrigen Verfechter der Kindertaufe, wurde die Frage gestellt, ob er hinsichtlich der Taufe die Schrift erforscht habe, was er verneinen musste. Nachdem er ernst­ lich mit Gebet die Bibel über diesen Punkt zu Rate gezogen hatte, kam er zu der Ueberzeugung, dass nur die Taufe auf den Glauben die richtige sein könne. Um diesem biblischen Befehl nachzukommen, liess er sich taufen und schloss sich den Darbysten an. Er kam im Jahr 1832 nach Bristol, wo er seine Lebens­ aufgabe in der Gründung der Waisenhäuser fand. Das erste eröffnete er im Jahr 1836 ; 26 Waisenkinder fanden Aufnahme. Das soziale Werk wuchs zu­ sehends, bis fünf grosse Waisenhäuser dastanden, in welchen 2000 Waisen­ kinder untergebracht werden konnten. Ohne einen Pfenning in der Tasche hatte Müller dieses einzigartige Wohltätigkeitswerk angefangen und nie einen Menschen um Geld angegangen, sondern seine Bedürfnisse dem Herrn im Gebet dargelegt. Er ist, wie er am Ende seines Lebens bekannte, in seinem Gottver­ trauen nie zu Schanden geworden, wenn es auch manchmal an Geld für das Allernotwendigste fehlte. Seine Devise lautete : « Erwarte Grosses vom Herrn, und er wird dir Grosses gewähren. » Der Heidenmission hat Müller im Lauf der Jahrzehnte Unterstützung von Millionen vermittelt. Er selbst unternahm grosse Reisen im Dienst der Evangelisation. Im Jahr 1890 predigte er im Vereinshaus der Mennoniten im Kehr bei Langnau. Georg Müller, dieser « Lieb­ haber des Wortes Gottes » hat in den 68 Jahren seiner Arbeit im Reiche Gottes das ganze Alte und Neue Testament über hundertmal mit Andacht und Gebet durchgelesen. In Deutschland versuchte der Darbysmus sich mit dem Evangelischen Brü­ derverein, der seit 1850 im Wuppertal unter der Leitung des Fabrikanten Her­ mann Heinrich Grafe (1818-1869) seine Zusammenkünfte hatte, zu vereinigen, gemäss dem Wunsche, den Grafe zum Ausdruck brachte :

400 « Ein einig Volk von Brüdern, das lass, o Herr, uns sein, in allen seinen Gliedern auf ewig, ewig dein ! »

Doch ging dieser Bruderbund bald in die Brüche.

Im Jahr 1894 gründete Karl Heinrich Brockhaus (1822-1899) unter dem Einfluss John Darbys die « Versammlung » der Darbysten in Elberfeld. Diese « Biblizisten » gaben die sog. Elberfelderbibel heraus, die sich in ihrer Sprach- form eng an den Urtext anschliesst. Zu den Elberfeldern soll auch der weithin bekannte Evangelist Generalleutnant Georg von Viebahn (1840-1935) gehört haben. Da sich die Darbysten in Glaubensfragen gegenüber Andersdenkenden engherzig verhalten, werden sie auch die « engen Brüder » genannt. Im Gegensatz zu ihnen gründeten um die Jahrhundertwende die « Offenen Brüder» in der Schweiz eine eigene Gemeinschaft. Ihre Lehre ist zwar mit derjenigen der Darbysten ziemlich identisch ; auch sie lehnen jede Gemeinde­ organisation ab und betonen die Notwendigkeit einer Geistesleitung. Aber sie pflegen eher Gemeinschaft mit ändern Glaubensrichtungen als die Darbysten. Der eigentliche Gründer dieser Gemeinden im französischen und deutschen Sprachgebiet ist «Fritz Widmer (1861-1933) (Bild Nr. 25) aus Biel, der « Lehrer nach der Schrift », der auch oft in Kreisen der Mennoniten gewirkt hat. Er war ein liebenswürdiger Prediger, der seinem Meister sein Leben lang treu diente. Es war mein Onkel Joel Beer (1874-1898), der im Jahr 1897 den ausserordentlich begabten Prediger in den Jura brachte. Der Bibelkurs, den Widmer Ende des Jahres 1903 in Chaux d’Abel durchführte, machte, unter­ stützt durch die gleichzeitige Evangelisationsarbeit Georg Steinbergers, die Teil­ nehmer anhand des Epheserbriefes mit den biblischen Gemeindeprinzipien ver­ traut. Widmer verstand es, in klaren Ausführungen den « geistlichen Segen in himmlischen Gütern » aufzuzeigen und Christus als die alleinige Autorität der Gemeinde hinzustellen. Sein im Jahr 1905 in Moron gehaltener Bibelkurs über den ersten Korintherbrief, anhand dessen er uns die biblische Gemeindeordnung darlegte, ist mir nach mehr als 60 Jahren noch in lebhafter Erinnerung. Es ging Widmer in seiner Verkündigung stets um das biblische Gemeindeprinzip, den Zusammenschluss der wahrhaft Gläubigen und ihr Verhältnis zum aufer­ standenen Christus. In Bezug auf die Abendmahlslehre war Widmer sehr streng. In seinen Augen sollte nur der wahrhaft Gläubige zum Tisch des Herrn Zutritt haben. Die Taufe wird bei den offenen Brüdern nur durch Untertauchen voll­ zogen, und zwar erst nach Ablegen des Bekenntnisses einer gründlichen Bekeh­ rung und Wiedergeburt. In seiner Broschüre « Seelenpflege » hebt Widmer nicht nur die positive Seite der Reichsgottesarbeit hervor, sondern nach Jer. 1, 10 auch die negative. Gemeinschaft mit Gott war ihm das Wichtigste im Christen­ leben. Er war vor allem ein Beter. Als Missionar diente er einige Jahre in Laos.

401

26 Durch die Wirksamkeit Fritz Widmers und seines Mitarbeiters Jakob Städeli von Chaux d’Abel entstand unter der Bergbevölkerung von Homberg und Kurzenberg (bei Thun) in den Jahren 1905-1906 eine Erweckungsbewe­ gung aus der neue Gemeinden der « Offenen Brüder » hervorgingen. Als Mit­ begründer dieser Versammlungen verdienen genannt zu werden : der Posthalter Gottlieb Stähli in Homberg, Gottfried Amstutz in Endorf bei Sigriswil, Albert Gründer, Landwirt in Niederwangen bei Bern und Christian Stucki (1875-1970), der während vieler Jahrzehnte durch Zeugnis und Predigt wie auch durch Tauf- handlungen an vielen Orten segensreich gewirkt hat. Im Nebenberuf dienten sie als Laienprediger. Zu den führenden Persönlichkeiten der Brüder gehören ferner der Prediger G. Brincke in Bern und vor allem der ehemalige Missionar Fred. Stettier in Biel, der neben seiner ausgedehnten Gemeindearbeit bis in die östlichen Länder reichende Schriftenmission betreut. Auch in Morges und ändern Orten am Genfersee finden sich Spuren von Widmers gesegneter Reichsgottesarbeit, nicht weniger in Basel, Biel und Bern. Ihre monatliche Zeitschrift « Saat und Ernte » wird von der Gesellschaft « Oe- konomia » in Bern, der « freien christlichen Versammlung » wie sie sich nennen, herausgegeben. Die Gemeinschaft der « Offenen Brüder » erlebte nach ihrer Gründung se­ gensreiche Zeiten. Viele von ihnen waren wirklich offen, so z. B. der Theologe Johann Warns (1874-1937). Seine pädagogische Begabung und sein grosses Wissen wirkte sich bei vielen seiner Schüler segensreich aus. Seine kirchenge­ schichtliche und dogmatische Schrift « Eie Taufe, Gedanken über die urschrist- liche Taufe, ihre Geschichte und ihre Bedeutung für die Gegenwart » ist eine der besten die je über dieses Thema geschrieben worden sind. Sein Mitarbeiter Erich Sauer (1898-1959) fand nach seinem Studium an der Berliner Universität seine Wirkungsstätte 1920 im Bibelschul-Missionswerk in Wiedenest, von wo aus der begabte Theologe seine weiten Missionsreisen unternahm. Seine Schriften sind ein klares Zeugnis einer gesunden, auf der Schrift beruhenden Theologie.

402 21. Kapitel

Ausbreitung und Bekämpfung der Täuferbewegung im 17. Jahrhundert

A. ZÜRICH

Die Zustände, in welchen sich die Täufergemeinden im Kanton Zürich nach der Niederlage im Reformationszeitalter befanden, bieten uns ein überaus trauriges Bild. Es waren nur kleine Ueberreste, die nach der Verfolgung übrig blieben. Immerhin konnten die reformierten Geistlichen nicht verhindern, dass die Täufer eine Zeitlang Ruhe hatten. Denn infolge ihrer schmählichen Nieder­ lage im Religionskriege zu Kappel, herrschte in der Staatskirche eine gedrückte Stimmung, da sie in ihrer Existenz bedroht war. Als aber gegen das Ende des 16. Jahrhunderts die Gemeinden der Täufer, besonders unter der Landbevölker­ ung im Knonauer- und Grüninger Amte, sich aufs neue stark auszubreiten be­ gannen, fing auch die Staatskirche allmählich wieder an, alle, die sich ihr nicht fügten, zu verfolgen. Das veranlasste die Täufer, eine « Bittschrift (Supplikation) an den Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich » einzureichen. In dieser « Ein­ fältig bekanntnus » wurde zunächst auf die Ursachen des « grossen Streits » hingewiesen. Der allgemeine sittliche Tiefstand der Kirchlichen sei Anlass genug, sich von dieser « gottlosen Welt » abzusondern. Der wahre Gottesdienst bestehe darin, Gott mit reinem Gewissen zu dienen und ein wahrhaft christliches Leben zu führen. Aber lassen wir das Schriftstück selber sprechen :

« Dass wir aber, lieben herren, von üweren predikanten beschuldigt wer­ den, wir wollend durch unsere werk und lyden selig werden (und machen dadurch den Verdienst Christi ytel und unnütz) darinnen thund sie uns un­ recht, denn alles war wir guts könntind thun und vollbringen, nur frucht eines waren läbendigen würklichen Glaubens sind... Nun, lieben herren, wollen wir euch selbst zu bedenken heimsetzen, wo der Zwietracht herkomme unter denen, die sich Christi rühmend, dass sie einander so übel verstan könnend und ein solcher grösser Zwietracht unter ihnen ist, des Wortes Gottes halb. Sonderlich unter denen, die nun lang geschrien hie ist der Tempel des Herrn, die ist die christenliche Kilch, und mit Gefängnis, Pein und Marter und Un­ barmherzigkeit dazu zwingen und dringen... denn wiewohl alle Parteien der vermeinten Christenheit sich des Lichts, Evangeliums und christenlichen Na­ mens hoch und teuer genug rühmend, so steckt doch noch der mehrer grösser Häuf noch mitten in der Finsternis ... obschon wir aus dem Papsttum ausge­ gangen sind.»

403 Die Obrigkeit als solche hielten sie für notwendig und für von Gott ver­ ordnet, gaben ihr aber zu verstehen, dass sie « nit in die Kilchen und Gemeind Gottes gehöre » und die Gewissen nicht « meistern und verfolgen » dürfe.*) Auf diese Bekenntnisschrift hin reichte die Geistlichkeit bei dem Rat eine Anklageschrift ein, in welcher die Täufer als Ruhestörer, deren verderblicher Einfluss sich je länger je mehr geltend mache, geschildert wurden. Weiter führ­ ten die Geistlichen aus, dass die Lehre der Täufer wider Augustin und alle Gegner der Donatisten sei, « deren verdampte Irrtumb die teuffer widerumb uff die bahn bracht, oder der teuffel durch sie, dass solcher verharrliche kyb und frävel » somit auch wider die Kirche, die Reformation und das Evan­ gelium sei. Der Rat erliess deshalb im Jahr 1601 ein Mandat, das alle Einwohner zum regelmässigen Kirchenbesuch aufforderte und beim Ausbleiben eine Geld­ busse von 5 bis 15 Pfund androhte. Die Täufer aber Hessen sich nicht irre machen ; sie zahlten einfach die Geldbusse und blieben den Gottesdiensten fern, einige mit der Begründung « es sye ouch der Oberkeit mee am Geld gele­ gen ». Durch diese Massregel erreichte somit die Obrigkeit eher das Gegenteil von dem, was sie bezweckte. Ungeachtet aller Bemühungen, die Täufer zu unter­ drücken, vermehrten sie sich zusehends und fanden sogar oft Anerkennung beim Volk. Wie aus den Berichten zu schliessen ist, unterhielten die damaligen Täu­ fergemeinden im Kanton Zürich ein reges Gemeinschaftsleben. Sie entfalteten eine ausgedehnte Liebes- und Wohlfahrtstätigkeit gegenüber den armen Gemein­ degliedern. Zu diesem Zwecke sammelten sie gemeinschaftlich einen Fonds, das Gemeindegut, das von einem dazu verordneten Armenpfleger verwaltet wurde. Ein diesbezüglicher Bericht schliesst mit den Worten : « Mit irem gemein- gutt helfend sy iren armen und könnend hiemit andere zu inen locken. » Der opferwillige Sinn der Täufer und ihre Bereitwilligkeit, Leib und Gut für ihre Ueberzeugungen hinzugeben, mag für manchen Bürger der Ansporn gewesen sein, ihnen beizutreten. Die Geistlichkeit, welche bestrebt war die reformierte Zürcher Staatskirche einheitlich zu gestalten, musste an dieser Entwicklung Anstoss nehmen. Sie suchte mit allen Mitteln der Bewegung Einhalt zu gebieten und beschwerte sich wiederholt bei der Obrigkeit über die Ehen der Täufer, die nicht öffentlich in der Kirche eingesegnet wurden, über ihre heimlichen Zusammenkünfte wie auch über die prinzipielle Verweigerung des Konfirmandenunterrichts und der Kin­ dertaufe. Als trifftigsten Grund, sie zum Kirchenbesuch zu zwingen, führten sie die angeblich ungenügende Unterweisung ihrer Kinder in den Glaubens- und Heilslehren an. Diese Vorwürfe sind einigermassen begreiflich, da die Täuferprediger sämt­ lich Laien und Bauern aus der Landbevölkerung waren und die damalige stu­

1) Cornelius Bergmann: Die Täuterbewegung im Kanton Zürich, S. 62, 66.

404 dierte Geistlichkeit von dem Standpunkt ausging, sie allein habe das Recht zu lehren und jede Laienpredigt müsse in den Irrtum führen, wovor das Volk zu bewahren sei. Ihre Devise lautete :

« Wie kann nun ein Laie sagen, dass er wüsste vorzutragen und wie sichs gebührt den Leuten gründlich Gottes Wort zu deuten ? wer jetzt lehret unstudiert sich und andre Leut verführt. »

Die Spannung zwischen den Geistlichen und den Täufern veranlasste 1608 den Rat, die Prediger gefangen zu setzen und die Auflösung der Täufergemein­ den energischer zu betreiben. Nach langen Beratungen über die gegen sie zu ergreifenden Massnahmen erfolgte im Jahr 1612 ein weiteres Mandat. Ausser den obgenannten Verfehlungen wurde den Täufern nun noch vorgeworfen, sie lenkten andere Leute vom ordentlichen Besuch des Gottesdienstes ab, höben den Eid auf, durch welchen Obrigkeit und Untertanen verbunden seien und zerrütteten mithin Kirche und Staat. Hierauf wurde folgendes verfügt : Die wegen Versäumnis des Gottesdienstes zu einer Geldstrafe Verurteilten sollten, falls sie nicht von ihren Irrtümern abstünden, gefangen gesetzt werden. Sollten sie sich dann noch immer nicht eines Besseren überzeugen lassen, müssten sie aus dem Lande gewiesen und die Rückkehrenden abermals gefänglich einge­ zogen und verwiesen werden. Alsdann sollten sie, je nach den Umständen an Leib und Leben gestraft werden. An die Geistlichen und Vögte erging der Be­ fehl, darauf zu achten, wer zur Kirche gehe und wer n ich t; auf diese Weise sollten die Täufer ausfindig gemacht werden. « Als dann die Hochlöblich Oberkeit der Stadt Zürich vermerkt, dass die schädlichen um sich fressend wie Kräps Sect der Wiedertäuffer je länger je mehr zunimmt », entschlossen sich die Ratsherren, « mit sonderbarem yffer und be­ ständigem Ernst diesem Uebel zu begegnen. » Zwei Herren vom weltlichen Stand, Bürgermeister Rudolf Rhaan und Landvogt Konrad Grebel, und vier Herren vom geistlichen Stand, Hans Jakob Breitinger, Pfarrer zu St-Peter in Zürich, und die Pfarrer der Kirchgemeinden Horgen, Wädenswil und Richters- wil, wurden beauftragt, mit den Täufern ein Gespräch zu führen, um die Ursa­ chen ihrer Absonderung zu erforschen, sie « von ihrem gefassten Irrtum abzu­ bringen » und der reformierten Kirche wieder zuzuführen. Das Täufergespräch, zu welchem 15 Täufer erschienen, fand am 16. Januar 1613 in Wädenswil statt. Das Verhandlungsprotokoll ist eins der interessantesten Aktenstücke.2) Kurz und entschieden verteidigten die Täufer Hans Landis ab dem Horgerberg, Galli, ein Schullehrer, und Bachmann, der Schmid, ihre Ansichten gegen die Einwürfe der Prädikanten und suchten die Ursachen ihrer Absonderung klarzulegen.

2) Action mit den Wiedertäufern im Schloss der Herrschaft Wädiswil 26 I. anno 1613 gehalten. E. II. 44' Staatsarchiv Zürich.

405 Breitinger hob zunächst hervor, dass die Vorväter das Joch des Papsttums abgeschüttelt hätten und zur Freiheit des Evangeliums durchgedrungen seien, dass der Glaube eine freie Gabe Gottes sei, weshalb auch sie niemand zu zwin­ gen gedächten. Darum sollten die Täufer die Ursachen ihrer Absonderung an- zeigen. Landis entgegnete, dass sie nichts anderes glaubten und lehrten, als was Christus und seine Apostel gelehrt und getan hätten. Darüber wurde der Bür­ germeister aufgebracht und meinte, das schliesse in sich, dass sie, die Kirchli­ chen, nicht glaubten was Christus gelehrt und getan. Breitinger wollte den Irrtum ihrer Absonderung dadurch bewiesen wissen, dass das ganze Täufertum in viele Meinungen zerfalle. Hierauf trat der Täufer Galli hervor und erzählte seine Bekehrungsge­ schichte, wie er zu Rapperswil als Knecht gedient und da nicht viel anderes gehört und gesehen habe als « frässen und suffen, fluchen und schwören und allerlei sünd und Laster », und wie gerade solche Leute sich der evangelischen Lehre gerühmt, diese aber durch ihr gottloses Leben verleugnet hätten. In seiner Not habe er Gott treulich gebeten, ihm die Wahrheit zu offenbaren, bis ein Bruder aus Mähren ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass der rechte Glaube nur der sei, der zu einem neuen Leben führe, dem die Werke folgten. Anhand des « Unser-Vater » habe er erkannt dass er ein Kind Gottes sei und nicht mehr nach dem Irdischen, sondern nach dem Himmlischen zu trachten habe. In gleichem Sinne äusserte sich Bachmann. Auf seinen weiten Reisen durch Polen, Böhmen, Mähren habe er mancherlei Glauben angetroffen, aber keinen, der sein Gewissen hätte beschwichtigen können, weil alle ihren Glauben durch die Tat verleugnet hätten. In seine Heimat zurückgekehrt habe er fleissig die Kirche besucht, daneben aber ganze Nächte durchgeprasst ; da sei er jedermann lieb gewesen. Gott habe ihn dann zu diesen Täuferbrüdern geführt. « Dieselben lehrend was Gotts wort uffwysst, und beflyssend sich auch darnach zeläben. By denen will ich blyben, solang ich den Atem züg. » Das sei die eigentliche Ursache ihrer berechtigten Absonderung, denn « nun spricht die Gschrift, wer mit Harz umgang, der besudle sich, und wer beid Händ voll Koth hab, der könne sonst nüt anrühren. » (Sirach 13, 1). Der Bürgermeister entgegnete etwas heftig, Bachmann solle nicht mit dem Feuer spielen, er könnte sich sonst verbrennen. Vogt Grebel bestätigte, dass Bachmann tatsächlich ein Gottloser gewesen sei, denn er habe oft mit ihm zu tun gehabt. « Ja » meinte dieser, « ich hab aber davon glan. » Die Gegner hielten den Täufern vor, sie könnten doch in der Kirche ein gottselig Leben führen. Bachmann entgegnete, die Prädikanten klagten ja selber, es erwachse keine wahre Frucht aus ihrer Predigt, infolgedessen hätten sie nicht den rechten Glauben. Breitinger rechtfertigte die Ansicht der Kirchlichen und argumentierte mit den bekannten Gleichnissen vom Unkraut unter dem Weizen und von den guten und faulen Fischen. Aber umsonst. Bachmann sagte : « Es blybt bi däm, wär mit Harz umgaht... » Nachdem man sich weiter über den Begriff der wahren

406 Kirche gestritten hatte, klagte Hans Landis, dass man beim Abendmahl keinen Unterschied mache zwischen den Gläubigen und den offenbaren Sündern. Brei­ tinger warnte vor solcher Anmassung des Ausscheidens der Boshaften, welches nicht in unserer, sondern in Gottes Macht stehe. Er suchte anhand von 1. Kor. 10 und 11 zu beweisen, dass alle der äusserlichen Zeichen teilhaftig würden ; « Gott aber ists, der die Würdigen annimmt, die Unwürdigen aber siebet und richtet. » Die Täufer hielten ihnen vor, dass sie demnach alle, die zum Abend­ mahl gingen selig priesen ; sie seien blinde Blindenleiter und keine Vorbilder der Gemeinde. Der Pfarrer von Horgen antwortete, das sei eine grosse Läste­ rung, er selbst befleisse sich nicht nur, die Wahrheit zu lehren, sondern auch die­ selbe mit dem Leben zu bezeugen, worauf Galli lakonisch erklärte : « Es ist kein Vorbild nienen ! » Herr Bürgermeister Rhaan erklärte hierauf, dass die vorge­ brachten Ursachen nicht ausreichten, « ein Sondertrennung anzufangen. » Er ermahnte sie, sich noch einmal zu besinnen, ob sie « miner Herren » untertan sein wollten. Je frömmer sie lebten, desto lieber sei es ihnen. Hans Landis bat hierauf die Herren, doch so freundlich zu sein und sie bei ihrem Glauben zu lassen, in allen ändern Sachen wollten sie gehorsam sein. Herr Rhaan : « Meine Herren sind vor der Zeit so güetig gsin, sie hätten euch lassen verblyben, aber da gond ihr allher und ziehend Junge und Alte nachen und machend euch Anhang. » Landis : « Man kommt oft mit weinenden Augen zu mir und begehrt die zwei Zeichen (Taufe und Abendmahl), warum sollt ich sie nit, so viel mir Gott Gnad gibt, gen, unterwysen ? Man läuft uns mehr nach wie dann uns lieb i s t ! » Herr Rhaan : « Ihr habt miner Herren Will und Meinung gehört, daruf möget ihr wohl heimgahn. » Im Herausgehen sagte Bachmann : « Und wenn ich so viel Leben hätt als Haar uff dem Haupt, so wollt ich sie darstrecken. » Alle insgemein erklärten : « W ir wollen läben, leib, Guet und Bluet dransetzen », und Galli meinte : « Ich hab sieben guet Jahr ghan, ich schätz wohl, die sieben fähljahr werden jetzt auch angahn.» Ein zweiter Versuch, eine Einigung herbeizuführen, wurde im März dessel­ ben Jahres in Grüningen gemacht. Der Statthalter Keller erläuterte das Mandat, welches am Sonntag vorher in allen Kirchen verlesen worden war, und fragte die Täufer, « uss was ursach sie die Kilchen Christi nit besuchen, die h. Sakra­ mente mit uns nit bruchend und sich unser christlichen Satzungen ungehor- samlich widersetzind. » 3) Sie antworteten, dass sie sich keineswegs als von der Kirche abgesondert betrachteten, « sunder von der Welt ussgangen zu der kil­ chen », und führten als Beweisstelle 2. Kor. 6, 14-17 an. Als keine Ermahnun­

3) Cornelius Bergmann: a. a. 0. S. 86.

407 gen und Warnungen halfen, wurden die Täufer vor die Alternative gestellt, entweder Gehorsam zu leisten oder schwerer Strafen gewärtig zu sein. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war die vollständige Erfolglosigkeit der Vereinigungsbestrebungen. Die Täufer liessen sich auf keine Weise von ihrem Glauben abbringen und hielten unerschütterlich an ihren, dem Evangelium ent­ nommenen Grundsätzen fest. Anfangs August kam es zu neuen Verhandlungen mit sechs Täufern, zu denen auch Landis gehörte. Man versuchte ein letztes Mal, sie zu überzeugen, allein sie verharrten in « kybiger, hartnäckiger Wys ». Landis lehnte jeden Kompromissvorschlag, selbst die Auswanderung, ab. Er sagte : « Das Erdrich syge unseres Herrn Gottes, man habe den gwalt nit, jnne und andere dergestalt uss dem landt zu verschicken. » Nun war die Geduld der Obrigkeit zu Ende. Die Hartnäckigsten wurden als « verdammte Irr-und Rottengeister» zu sechs Jahren Galeere verurteilt. Zur Durchführung dieser grausamen Massregel schlossen die Regierungen von Bern und Zürich gemeinsame Verträge mit der Republik Venedig ab. So wurden diese armen Menschen als Galeerensklaven verkauft und in kleinen Trupps zu­ sammen mit Verbrechern ins Ausland transportiert, um dort auf den Ruder­ bänken der Galeeren unter der heissen Sonne und der Peitsche der Aufseher ihre Tage zu verleben. « Ein trauriges Stück in der Geschichte der freien Schweiz » schreibt A. Brons. Wie schrecklich das Leben auf den Galeeren war, welche als « Zuchthäuser » für die schlimmsten Verbrecher dienten, hat ein schlichter Landsmann, Jean Marteilhe, der zwölf Jahre lang dieses elende Sklavenleben fristete, eindrücklich geschildert. Er schreibt: « Schon auf dem Wege zum Hafen erlagen viele den furchtbaren Qualen, denn paarweise wurden sie mit Halsringen an drei Fuss lange Eisenketten geschmiedet und diese wieder je 100 oder 200 an lange, furchtbar schwere durchgehende Ketten, so dass jeder Sträfling bis W 2 Zentner Eisen zu schleppten hatte ; wer ermattet zusammenbrach, wurde mit Stockschlägen auf­ gepeitscht. Auf der Galeere selbst führt natürlich wieder die Peitsche das Re­ giment und saust auf die nakten Rücken der Rudersklaven nieder um sie zur äussersten Anstrengung aller Kräfte zu zwingen... Damit wir nicht ohnmächtig wurden, steckte man uns Brotstücke mit Wein befeuchtet in den Mund. Dann hört man nur noch das Geheul der Unglücklichen, denen unter den mörderi­ schen Peitschenhieben, welche man ihnen versetzt, das Blut herabrieselt, das Klatschen der Peitsche auf den entblössten Rücken, die Schimpfworte und schauderhaften Flüche der Aufseher, welche vor Wut schäumen, wenn Ihre Galeere nicht in Reih und Glied mit den ändern bleibt. Und kommt einer von den unglücklichen Rudersklaven unter den Hieben der Anstrengung elendiglich zum Sterben, so schlägt man auf ihn los und wirft ihn wie ein gefallenes Stück Vieh ins Meer zum Frass für die Fische.» 4) Man kann sich nichts Schauderhafteres denken als die Behandlung dieser armen Menschen, die bei schlechter Nahrung, die sie nur bei grösstem Hunger zu schlucken vermochten, solche Leiden zu erdulden hatten.

4) Zitiert nach: Die Kirche der Wüste. Leiden und Kämpfe der Hugenotten. S. 38.

408 Zürich verurteilte sechs der vornehmsten Täufer zu den Galeeren. Drei von ihnen wurden jedoch wankend und widerriefen. Die ändern drei, Hans Landis, Stephan Zehender und Galli wurden gebunden dem französischen Ge­ sandten in Solothurn zugeführt, wo sie mit Hilfe bernischer Brüder « by nä­ chtlicher wyl ussbrochen und sich über die ringmuren abhin gelassen », also aus dem Gefängnis entflohen. Landis, « der redliführer dieser sect », fand sich im folgenden Jahr wieder im Zürcher Gebiet, da er bei seiner Herde bleiben wollte. Die Akten berichten, dass er wie zuvor « ungeschücht uff synem rebellischen, uffrüherischen gmüet verharret und darby bekannt hatt : Das er, sidt dem er zu Solothurn uss der gefangenschaft ussgerissen, widderumb jnn heimlichen zusammenkomnussen nit nur synen Irrtumb geprediget und gelehrt und das Volkh Jme anhängig ge­ macht, sondern auch jnn schüren Ehen ingeführt und zusammen gegäben und etliche erwachsene Personen wieder uff ein nüwes getaufft habe » .5) Landis wurde wieder gefänglich eingezogen. Als alle Mittel, ihn zur Auswanderung und Ablegung der Urfehde zu bewegen, versagten, wurde er zum Tod durch das Schwert verurteilt. Das Urteil lautete : « Hannsenn Landis (soll) dem Nachrichter bevolchen werden, der solle Jhme syne hend für sich binden, Jnne hinuss uff die gwonliche Walstatt führen und Jme daselbsten syn haupt mit einem Schwert von synem Cörpel schlachen also dass ein Wagen­ rad zwüschen synem haupt und Cörpel durchgahn möge, und darmit er dem gricht und rechten gebüsst haben. » 6) Donnerstag den 29. September 1614 fand die Hinrichtung statt. Laut des Berichts eines Augenzeugen wurde Landis an einem Seil auf den Richtplatz geführt. Seine Gemütsruhe machte auf den Scharfrichter einen solch überwälti­ genden Eindruck, dass er das Seil fallen liess, beide Hände gen Himmel erhob und rief : « Ach Gott müsse sich erbarmen, dem sei es geklagt, dass du Hans mir in solcher Gestalt in die Hand bist kommen, vergib mirs um Gottes willen, was ich an dir tun muss. » Landis beschwichtigte den Scharfrichter mit den Worten, er habe ihm vergeben, er wisse wohl, dass er den Befehl der Obrig­ keit ausführen müsse.7) Landis muss eine hervorragende Persönlichkeit gewesen sein. Er war von hoher ansehnlicher Gestalt, hatte einen langen grauen Bart und eine mächtige Stimme. Er ist der letzte Täufer, der in der Schweiz um des Glaubens willen hingerichtet wurde. Durch diese blutige Massnahme entstand eine grosse Aufregung im Volke, zumal es bekannt war, dass die unerbittliche Strenge den Aufhetzungen der Geistlichen zuzuschreiben war. Nun suchte man das Volk zu beschwichtigen, indem man vorgab, Landis sei nicht um des Glaubens willen, sondern wegen

5) Urteil Hansen Landis. . Miss. Hist. Helv. X 67. Stadt- und Universitätsbibliothek Bern.

6) D ito.

7) Märtyrerspiegel. Ausgabe 1780 II Teil S. 791.

409 Ungehorsam gegen die Obrigkeit getötet worden. Der Zweck wurde aber nur teilweise erreicht. Der Rat ergriff, da Gefängnis und Todesstrafe nichts mehr wirkten und bei der grossen Zahl von Täufern auch nicht mehr anwendbar waren, ein anderes Mittel, nämlich die rücksichtslose Güterkonfiskation ; aber auch dieses Vorgehen fruchtete nichts. * * *

Es scheint, dass vom Jahr 1616 an die Täufer für einige Zeit Ruhe hatten. Wahrscheinlich war der Rat von Zürich durch auswärtige Angelegenheiten und die vielen Opfer, die die Pest in diesen Jahren forderte, zu sehr in Anspruch genommen, als dass er noch Zeit gefunden hätte sich mit der Täuferfrage zu befassen. Im Jahr 1635 begann in Zürich der letzte Kampf gegen das Täufertum. Er wurde von den Zürcher Behörden in rücksichtslosester Weise durchgeführt. Den Anstoss zu einer genauen Untersuchung der Sache der Täufer gab der Amtsfähnrich Heinrich Trick, ein wohlhabender, angesehener Mann, der nach seiner Bekehrung gewissenshalber den Kriegsdienst verweigerte und zu der Täufergemeinde übertrat. Hierauf erfolgte ein neuer obrigkeitlicher Befehl, dass alle Taufgesinnten den kirchlichen Gottesdiensten beizuwohnen hätten. Die Führer der Täufer erklärten diese Verordnungen als unvereinbar mit ihrem Gewissen, worauf im Januar 1636 Rudolf Egli, Ully Schmidt, Felix Urne und Hans Müller im Rathaus in Einzelhaft gesetzt wurden. Urne gelang es zu ent­ fliehen. Die drei ändern wurden 22 Wochen gefangen gehalten.8) Im Laufe desselben Jahres fanden in den drei Aemtern Wädenswil, Knonau und Grüningen mehrere Besprechungen mit Täufern statt, welche meistens ergebnislos verliefen. Sogar schriftlich legten die Täufer der Untersuchungs­ kommission « die Summ ihres Glaubens » vor, die sich eindeutig auf das Erlösungswerk Christi gründete, aber eben an dem Kirchenbegriff alle Vereinig­ ungsbestrebungen scheitern liess. Die Pfarrer gaben sich alle Mühe die Täufer von der Richtigkeit der reformierten Kirche zu überzeugen. Da man von ihnen weiterhin den Kirchenbesuch sowie die Aenderung ihrer Ansicht über Taufe, Abendmahl, und Kirchenzucht forderte, waren auch diese Bemühungen ver­ gebens. Der Vorsteher der reformierten Geistlichkeit, der den Titel Antistes trug, war damals der schon erwähnte Hans Jakob Breitinger, der die Zürcher Kirche mit fester Hand leitete. Er war es, der mit Entschlossenheit für die Heilighal­ tung des Sonntag eingestanden ist. Breitinger suchte anfangs durch überlegene diplomatische Klugheit die Täufer zu überreden und wies die Prädikanten an, sie von der Grundlosigkeit der Ansichten der Täufer zu überzeugen.

8) Ein wahrhaftiger Bericht, von den Brüdern im Schweizerland, in dem Zürcher Gebiet, wegen der Trüb- salen, welche über sie ergangen sein, um des Evangeliums willen : Von dem 1635 sten bis in das 1645 ste Jahr.

410 Als alle Ueberredungen nichts fruchteten, erfolgte der Beschluss die Täu­ fer am 8. September 1636 ein letztes Mal auf die « Chorherrnstube » in Zürich vorzuladen. Breitinger erklärte ihnen nachdrücklich, dass, wenn sie jetzt nicht nachgäben, alle ihre beweglichen und unbeweglichen Güter konfisziert und sie aus dem Land geschickt würden. Um diese Drohung wirksam zu gestalten, ordnete die Obrigkeit im November die Inventarisierung der Täufergüter an. Bald darauf wurden sie vor die Alternative gestellt : entweder mit ihnen in die Kirche zu gehen, oder in den Gefängnissen zu sterben.

Doch die Täufer lehnten nach wie vor prinzipiell jeden Kirchenbesuch ab. Unterdessen fahndete die Obigkeit eifrig nach täuferischen Schriften, offenbar um deren verderblichen Einfluss entgegenzuarbeiten und die Gründe des harnäckigen Verhaltens der Täufer besser kennenzulernen. Eine in dieser Hinsicht aufschlussreiche Schrift hatte schon Bullinger im Jahr 1561 abdru- cken lassen und zu widerlegen versucht. Diese beachtenswerte « Verantwortung etlicher, die man Täufer nennt, uff die Tragen, warumb sy nit zur Kilchen gangind », stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und verdient hier knapp wiedergegeben zu werden.

«Die 1. Ursache, warum sie nit wöllind zu jrer predig, leer und Gemeind gon» sei der Umstand, dass das allgemeine Priestertum in der Kirche nicht zur Geltung komme. Im Gottesdienst der Evangelischen herrsche nicht Lehr­ freiheit wiezur Zeit der Apostel; die Laienbrüder seien überhaupt zum Stillschweigen verurteilt, so dass die Gaben des Geistes, trotz Proklamation der evangelischen Freiheit, sich nicht entfalten könnten. Alle geistlichen Funktionen seien dem Prediger Überbunden statt der « gantz gemeind ».

Die 2. Ursache bestehe darin, dass die evangelischen Prädikanten im An­ fang ihrer Tätigkeit zwar die Glaubensfreiheit gelehrt und die päpstliche Herrschaft, was den Glauben, die Seele und das Gewissen betreffe, abgeschüttelt hätten, davon aber wieder abgefallen seien und unter evangelischem Schein nun den Glaubenszwang lehrten. Mit weltlichem Schwert und Gewalt sollten die Menschen zum reformierten Glauben gezwungen werden. Das heisse so viel « wie von der Sonne in den Schatten gangen. »

Die 3. Ursache sei wiederum das Abirren der Prädikanten von ihrer ersten biblisch begründeten Lehre, dass die Christen ihren Hassern nicht widerstehen, sich nicht rächen, dem Uebel nicht widerstreben, vor Gericht um Gut und Ehre nicht rechten noch zanken, sondern in Geduld leiden und das Kreuz tragen sollten. Auch von dieser Lehre seien sie abgefallen, so dass sie « das crütz und Geduld Christi uffhebend ». Da sie das Evangelium in « Mosi- scher Form » handhabten, zieme es sich nicht, « zu solcher gmeind und predig zegon, was würden wir gebesseret ? »

Die 4. Ursache sei die, dass die Kirchlichen durch solches Verhalten be­ wiesen, dass sie nicht aus Gott geboren seien, sonst könnten sie unmöglich die Täufer als Anhänger irriger Sekten schelten und wegen ihres Glaubens verfolgen, denn die sei die Kirche Christi, die Verfolgung leide, und nicht die, die andere verfolge. Oder welche seien dem Evangelium nach Schafe Christi,

411 die, welche andere verjagten, beleidigten, würgten, oder die, die sich würgen und beleidigen lassen ? Sie fragen ferner : « War wollt nun über das alles sy samt ihren predigern für eine christliche geistliche gmein erkennen, zu ihrer predig gon und mit ihnen in jhrem Glouben gemeinschaft haben ? »

Die 5. Ursache, warum sie « nit zu ihrer predig und gemeind gond» sei die, dass « sie den Christenlichen geistlichen bann und straf noch die absünderung von der unreinigkeit nit unter ihnen habend. » Ohne dass diese « apostolischen gewaltschlüssel » zur Bindung und Lösung « geistlich Ordnung » nach dem Wort Gottes gebraucht werden, sei keine wahre Gemeinde Gottes denkbar. Das Verbannen der Lasterhaften aus Stadt und Land oder sogar die Todesstrafe entspreche niemals dem biblischen Bann.

Die 6. Ursache: Die Kirchlichen seien weder « ufgerichte abgesünderte gemeind Gottes, noch lyb Christi. » Deshalb könnten sie ihr Abendmahl auch nicht für des Herrn Abendmahl erkennen. Von dem vorbildlichen « Passah Lem- b li» habe kein Unbeschnittener essen dürfen, wie viel weniger « im wesentli­ chen geistlichen Israel» ein Unbussfertiger. Nur geistliche Menschen, die im Gehorsam des Glaubens, im Geist und neuem Leben wandelten, sollten zu­ gelassen werden. Da sie wie die Papisten diese Dinge nur im Mund führten und die Täufer Ketzer schölten, « was sölind wir nun by ihrer predig und Abend­ mahl thun ? »

Die 7. Ursache sei die, dass die Prädikanten in ihrem Dienst die evan­ gelische Ordnung der Taufe, wie sie von Christo befohlen und von den Aposteln gebraucht worden sei, nicht hielten. Sie hätten « das hinder härfür kehrt» und die Kinder getauft, da solches doch nie « mit luteren, hällen, unzwifliehen Wort Gottes erwiesen worden sei, noch je erwiesen werden mag. » Weil diese Lehre « nit nach der Apostolischen leer gestaltet und formiert» sei, müssten sie sich von ihr fernhalten.

Die 8. Ursache: Die Prädikanten hätten zwar dem Evangelium gemäss gelehrt wie man « ein gottselig christlich Leben» führen, brüderliche Liebe üben, Christus nachfolgen und das Kreuz tragen solle. Nun aber, da die Täu­ fer solches lehrten, sei es den Kirchlichen ein Greuel und werde als « kätzerisch und Irrtumb » verschrien. Ihre vorige Evangeliumspredigt hätten sie also « gantz umbkeert » und verleugnet.

Die 9. Ursache : Wenn man ihnen den Vorwurf mache sie hätten in Kauf und Verkauf mit der Welt Gemeinschaft und könnten auch wohl « zu ihren predigen gon» so sei das eine Vermischung von geistlichen und irdischen Sachen. Die Christen müssten ja laut 1. Kor. 7,29-31 in Sachen « ussert des gloubens» mit der Welt verkehren und sie, die Kirchlichen, täten jedenfalls mit den Päpstlern dergleichen auch.

Dieselben Gründe bestimmten die Täufer im 17. Jahrhundert zur kate­ gorischen Ablehnung jeden Kirchenbesuchs. Hierauf begann eine systematische Verfolgung der Täufer, welche mit rücksichtsloser Strenge durchgeführt wurde. Um ihrer habhaft zu werden, wurden von der Obrigkeit dazu verordnete Die­ ner und Späher ausgesandt. Nachts fielen die Schergen in ihre Häuser und führten Haussuchungen durch. Bares Geld, Bücher und Schriften wurden kon­ fisziert und die Leute selbst gefangen genommen, Alte und Junge, Männer und

412 Frauen, Schwangere und Kindbetterinnen, Kranke und Schwache wurden ins Gefängnis geschleppt. Die meisten von ihnen wurden nach Zürich in den feuchten Klosterturm Oetenbach gebracht. Die Behandlung der Gefangenen muss eine sehr harte, zum Teil sogar eine grausame gewesen sein. Zu Haufen wurden sie in den feuchten Räumen viele Wochen lang zusammengepfercht, andere lagen wie Schwerverbrecher in eisernen Ketten und Fesseln und schmach­ teten monatelang bei kümmerlicher Ernährung. Laut der vorhin erwähnten, zum Teil im Märtyrerspiegel abgedruckten Schrift « Ein wahrhaftiger Bericht», in welchem die Aeltesten der Zürcher Gemeinden, also Zeitgenossen, die die Verfolgung miterlebt haben, die Leiden der Unglücklichen während der damaligen Täuferverfolgung schildern, sind mehr als 20 Personen, Männer und Frauen in einem Zeitraum von neun Jahren (1635-1644) entweder in Folge der rohen Behandlung im Gefängnis elend um­ gekommen oder sonstwie an den Folgen der erlittenen Misshandlungen gestor­ ben. Kein Wunder, dass die Täufer auf Flucht sannen. Mehrmals gelang es einigen, dem zum Teil schlecht bewachten Gefängnis zu entrinnen und zu fliehen. Besonders heftig tobte die Verfolgung in den Jahren 1637-1639. Hans Landis der Jüngere, ein Diener der Gemeinde Horgenberg, wurde samt seiner Tochter Margaretha gefangen genommen und 60 Wochen im Turm Oetenbach verwahrt. Auch der schon genannte Rudolf Egli wurde wieder in Haft gesetzt. Es wurde sogar beschlossen, die Haushaltungen von Landis und Egli aufzu­ lösen und die Kinder zu versorgen. Vieh und Mobiliar wurden verkauft. Aus den Gütern Eglis löste die Obrigkeit ungefähr 5000 Gulden und aus denen des Landis sogar 7000. Eglis Frau Martha geb. Lindinger wurde, nachdem sie ebenfalls eine Zeitlang in schwerer Kerkerhaft gelegen hatte, einem strengen Verhör unterworfen, wobei ihr sogar mit der Folter gedroht wurde, wenn sie nicht das Armengut der Gemeinde und die Bücher, welche ihr Mann verwaltete, herausgebe. Angesichts der Folter bat sie, « doch iren schwachen lyb ze ver­ schonen und oberzelte Sachen ze offenbaren gnädig ze überheben. » Doch man setzte der schwachen Frau solange erpresserisch zu, bis sie sagte, wo das Geld, 1000 Gulden in bar, sowie die Bücher und Schriften versteckt waren, worüber sie später bittere Reue empfand. Rudolf Egli muss auf irgend eine Weise wieder aus der Gefangenschaft befreit worden sein, denn wir finden ihn später in den 40ger Jahren wieder seinem Handwerk nachgehend, nebenbei den zerstreuten Gemeindegliedern mit dem Worte Gottes dienend. Aber die Behörden fahndeten eifrig nach ihm weiter. Schliesslich schrieb Egli selber an den Rat und bat, man möge ihm, den man nun elf Jahre lang gehetzt habe, nicht mehr nachstellen, und den Preis von 100 Gulden aufheben. Aller Mittel beraubt und vollständig zusammengebrochen wanderte die ganze Familie in die Pfalz aus.9)

9) Cornelius Bergmann: a. a. O. S. 121 ff.

413 Mit unheimlicher Strenge hauste die Täuferkommission weiter. Im Amt Knonau soll die Verfolgung besonders heftig gewesen sein. Etwa 30 schwerbe­ waffnete Schergen umstellten des Nachts die Häuser der Täufer, machten Wachtfeuer davor, rasten und tobten wie die Unsinnigen, wobei sie Fenster und Türen zerschlugen, die Häuser durchsuchten, plünderten und hernach tran­ ken und prassten. In diesem Tumult wurde auch Hans Meili, ein alter Diener der Gemeinde, samt seinen beiden Söhnen Hans und Martin gefangen genom­ men. Sie machen drei Jahre lang schwere Kerkerhaft, zeitweilig mit eisernen Handschellen durch. Das gleiche Schicksal traf ihre Frauen ; ihre Kinder wur­ den zum Herzeleid der Eltern Fremden übergeben, die eine der Frauen, Mutter eines Säuglings, blieb auch bei Wasser und Brot in ihrem Glauben standhaft. Ein andere Frau, Elisabeth Hilzin, starb an den Folgen der erlittenen Behand­ lung.10) Wiederum andere Glaubensgenossen schmachteten bis zu anderthalb Jah­ ren in den Gefängnissen wo sie dahinsiechten und eines langsamen Todes star­ ben. Bewunderungswürdig ist die Standhaftigkeit dieser frommen Zeugen die sogar den Raub ihrer Güter « mit Freuden » erduldeten und trotz aller Leiden an der erkannten Wahrheit festhielten. Im Jahr 1640 schritt man zu einem förmlichen Verkauf aller eingezogenen Güter. Der Erlös soll die ungemein grosse Summe von mehreren hunderttausend Pfund betragen haben. Das dem Staat verfallene Gut wurde für die Unterhal­ tung von Spitälern, Schulen und Kirchen verwendet. Ein Posten von 11.000 Pfund wurde im Jahr 1664 für eine neue Drucklegung der Bibel ausgegeben. Auch die Ausgaben für Verpflegung und Unterhaltung der gefangenen Täufer wurden aus dieser Kasse bestritten, ja aus ihr wurden sogar dem Schlosser, als er die Täufer « den 31. August 1640 an und den 23. Dezember 1640 wieder ab dem ysen geschlagen, 8 Pfund bezahlt. » n) Selbst die Rotte der Späher und Täuferjäger wurde aus dem Täufergut unterhalten. Die Massnahmen der Obrigkeit stiessen aber im Volk auf grossen Wider­ spruch. Viele der angesehenen Bürger empörten sich über diese Behandlung der Täufer. Die Obrigkeit sah sich deshalb veranlasst, eine Verteidigungsschrift herausgeben. « Wahrhaffter Bericht unser, des Bürgermeisters, des kleinen und grossen Rats, genannt die Zweihundert der Stadt Zürich, worinnen gründlich dargetan wird, theils jüngster unser Handlungen gegen den Widertöuffern eigentlicher Anlass, Ursachen, Form und Billigkeit; theils ihr der Widertöuffer unguts Gemüt.»

Die Schrift wurde unter der Bevölkerung verbreitet, damit diese auf Grund der dargestellten Tatsachen selbst urteilen könne. Es wurde hervorge­ hoben, das Treiben der Wiedertäufer laufe auf Absonderung und Zerrüttung

10) Ein wahrhaftiger Bericht... S. 11 ff.

11) Cornelius Bergmann: a. a. O. S. 136.

414 des wahren Gottesdienstes hinaus. Dies sei der Grund des Auftretens gegen sie gewesen. Der Täufer Ungehorsam sei es, der die harten Massregeln der Regie­ rung hervorgerufen habe. Nachdem sie schon 1538 aus dem Gefängnis ausge­ brochen seien, indem sie ein Loch in die Ringmauer gemacht und sich über die Stadmauer hinabgelassen hätten, habe die Obrigkeit sie einige Zeit gewähren lassen, in der Hoffnung, sie würden aus Furcht vor noch grösserer Strafe aus dem Lande ziehen ; statt dessen aber hätten sie nach wie vor ihre gottesdienst­ lichen Versammlungen abgehalten und je länger desto mehr Leute sich « an­ hängig » gemacht. Hierauf veröffentlichten die Täufer eine Gegenschrift :

« Christenliche und kurtze Verantwortung der brüderen, dienern und eltisten im Zürich gebiedt über das Büchlein oder manifest, so ausgegangen in der Stadt und Landschaft Zürich. »

Sie enthält eine Widerlegung der gegen die Täufer erhobenen Beschul­ digungen. Diese weisen den Vorwurf der Absonderung entschieden zurück, indem sie geltend machen, dass ihnen hierin gleich von Anfang an grosses Unrecht geschehen sei, denn sie wollten sich keineswegs von der christlichen Kirche absondern, sondern bei derselben und dem reinen Wort Gottes zu blei­ ben suchen, ja Leib, Gut und Blut dabei wagen. Dass sie sich nicht zu der reformierten Kirche hielten, geschehe deshalb, weil deren Lehre in vielen Stü­ cken weder mit der alten apostolischen Lehre noch mit den Geboten Christi überemstimme und sie durch Gottes gnädige Erleuchtung einen besseren Weg, nämlich den rechten apostolischen Grund gefunden hätten, bei welchem sie auch durch Gottes Hilfe bleiben wollten. Ferner weisen sie darauf hin, dass nicht die Täufer, sondern die Reformatoren in gewissen Stücken von der anfän­ glich erkannten Wahrheit abgewichen seien, dass also die reformierte Kirche selbst den Grund der Reformation verlassen habe. Das Verteidigungsschreiben half den Täufern nichts. Im Gegenteil, es er­ zeugte eher böses Blut bei den Zürcher Behörden. Mit noch grösserer Brutalität wurde die Verfolgung weitergeführt. Das Gefängnis wurde umgebaut, damit die Gefangenen nicht mehr ausbrechen könnten. Der Verkehr mit den Ange­ hörigen wurde untersagt. Nur die Pfarrer hatten freien Zutritt und waren bemüht, die Gefangenen zum Verrat ihrer Gesinnungsgenossen zu veranlassen. Von den Kanzeln wurde verlesen, dass man den Täufern weder Unterkunft gewähren noch Liebesdienste erweisen dürfe. Es gab Pfarrer, die Helfershelfer dingten, um die Täufer zu überfallen. In einer kalten Winternacht des Jahres 1642 wurde eine Gebetsversammlung in einem Stall überrascht ; die Anwesen­ den wurden auf das Schloss Wädenswil überführt und in kalte Gefängniszellen geworfen. Dem Hans Müller setzte man umso härter zu, als er im Verdacht stand, der Verfasser der Verteidigungsschrift zu sein. Zwei Jahre lang hielt er bei aller Strenge im Kerker aus. Als kranker Mann wurde er freigelassen und starb bald

415 an den Folgen der durchgemachten Leiden. Der Amtsfähnrich Heinrich Frick wurde derart misshandelt, dass er in seiner Gemütsschwachheit einwilligte, in die Kirche zu gehen, worauf er losgelassen wurde. Als er aber die Sache nochmals überlegte, fand er sich in seinem Gewissen verklagt. Er fiel in grosse Angst, er habe der Gemeinde Aegernis gegeben, und bekannte und beweinte seinen Abfall bitterlich. Er begab sich alsbald wieder auf das Rathaus und liess sich erneut einsperren. Seine zwei Bauernhöfe wurden auf Befehl der Obrigkeit verpachtet und ihm an Geld über 13.000 Gulden abgenommen. Später durfte Frick, der 27 Monate gefangen gewesen war, auswandern. Er ging in die Pfalz.12) Nicht einmal das Alter wurde verschont. Betagte Greise wie Jakob Ruster- holz liess man bei dürftiger Nahrung elend sterben. Werner Pfister, ein Diener der Gemeinde wurde, wie Hans Meili, bei einem Ueberfall ergriffen und samt seiner Frau und Schwiegertochter ins Oetenbachgefängnis geworfen. Sie mussten die Standhaftigkeit ihres Glaubens mit dem Tod bezahlen, indem sie an den erlittenen Drangsalen im Gefängnis starben. Ein Greis Rudolf Fachmann, der nicht mehr gehen konnte, wurde auf einem Schlitten ins Gefängnis geschleppt, wo er standhaft in seinem Glauben starb. Sogar Frauen werden mit Namen genannt, die um ihres Glaubens willen in der Gefangenschaft ihr Leben en­ digten. Was der kirchliche Fanatismus im Namen der christlichen Rechtgläubigkeit vermag, zeigt uns noch folgende Begebenheit: Felix Landis, Sohn des Märtyrers Hans Landis aus der Gemeinde Horgenberg, wurde eingezogen und in Oeten­ bach eingesperrt, wo er einer rohen Behandlung ausgesetzt war. Das ganze « Verbrechen », das ihm zur Last gelegt wurde, bestand in der Abhaltung von Privatversammlungen « in Stuben », die wöchentlich zweimal, Mittwoch und Samstag, stattfanden. Vor Gericht hatte Felix Landis erklärt, er wolle lieber zur Schindergrube gehen, als zur Predigt in die Kirche. Viele Tage bekam er nichts zu essen. Selbst einige Uebeltäter, die nebenan gefangen waren erbarmten sich seiner und liessen ihm durch eine Oeffnung etwas Speise zukommen. Als der Gefängniswärter solches merkte, wurde Landis in ein anderes Gefängnis überführt. Später wurde ihm etwas Speise dargereicht, aber sein Leib war durch Hunger derart geschwächt, dass er sie nicht mehr vertrug. In seiner grossen Schwachheit wurde er in die Kirche zur Predigt getragen und unter eine Bank geworfen. Doch gab er bald darauf den Geist auf, den er in die Hände Gottes befahl. Seine Frau Adelheid geb. Egli, die auch in Oetenbach gefangen lag, wurde daselbst fast vier Jahre verwahrt. Oft wurden ihr des Nachts die Kleider ausgezogen, so dass sie mehrere Stunden lang nackt in dem stinkenden Winkel zubringen musste. Endlich gelang es ihr zu entfliehen. Ihre Haushaltung war aber zerstört, die Kinder waren verdingt, Haus und Hausrat verkauft und der Erlös von 5000 Gulden beschlagnahmt.

12) M artyrerspiegel a. a. O. S. 801 ff.

416 Im Laufe der nächsten Jahre traf noch viele das traurige Los strenger Kerkerhaft. Fünfmal wurde der greise Jakob Baumgartner ins Gefängnis ge­ worfen. Die besonders Verdächtigen legte man in Fesseln und Handschellen, um ihnen das Ausbrechen unmöglich zu machen. An Stelle ihrer gewöhnlichen Kleider zog man ihnen zum Spott lange graue Röcke an. Es wäre noch manch trauriges Erlebnis zu erzählen und manch unglücklichen Täufer zu nennen. Doch genug damit. Man kann diese Berichte nicht lesen, ohne von Mitleid und innerer Empörung ergriffen zu werden. Wie viel Unheil hätte vermieden werden können, wenn man diese Bürger in ihrem Glauben hätte leben lassen . Endlich fand sich eine irdische Macht bereit, sich für die unglücklichen Verfolgten zu verwenden. Die Amsterdamer Täufergemeinde hatte Kenntnis von den Verfolgungen erhalten. Grosses Aufsehen hatte der vorgenannte « wahrhaftiger Bericht » erregt, der « unsern Brüdern im Niederland zu einer Nachricht » übersandt worden war. So machte sich bei den Holländern der Wunsch geltend, den bedrängten Schweizer Brüdern Hilfe zu leisten. Durch einen Kaufmann Jsaak Hattavier, Vorsteher eines Hospizes, traten sie mit ihnen in Verbindung. Sie bemühten sich ernstlich, die Schweizer Täufer mit Geldmittel zu unterstützen. Das Geld wurde aber den Gefangenen vorenthalten. Ausser Hattavier legte noch ein anderer edler Kaufmann, Hans Vlamingh, für die schweizerischen Glaubensgenossen Fürsprache ein. Er bezeugte in seinen betreffenden Vorstellungen wiederholt, dass die Taufgesinnten wahre Christen seien, die sich befleissigten, nach dem Evangelium zu leben. Er schäme sich nicht, die schweizerischen Täufer seine Brüder zu nennen. Was man ihnen zur Last lege, stimme mit der heiligen Schrift überein. Ob es etwa nicht apostolisch sei, dass die Prediger durch die Gemeinde gewählt würden ? Und wenn man ihnen ihre nächtlichen Zusammenkünfte zum Vorwurf mache, so hätten sie lediglich aus Not zu diesen gegriffen, weil man ihnen verboten habe, bei Tage zusammen zu kommen. Als alle Bemühungen der niederländischen Taufgesinnten erfolglos blieben, wandten sie sich um Hilfe an die Generalstaaten und an die Magistrate der Städte Amsterdam und Rotterdam. Jene sandten hierauf einen Abgeordneten, Adolf de Vreede, nach Zürich und Bern, damit er dem Rate ein Interzessions­ schreiben überreiche. Dieses Schreiben lautet :

«D ie Staaten, etc. an die Stadt Zürich in der Schweiz Wohledle, hochachtbare, weise, vorsichtige Herrn, besonders gute Freunde und Nachbarn. Aus den Klagen unterschiedlicher Personen als Abgesandten von ihren Gemeinden die man hier zu Land Mennonisten nennet, als Bürger und Ein­ wohner der Städten Dortrecht, Haarlem, Leiden, Amsterdam, Gouda und Rot­ terdam, alle gelegen in der Landschaft Holland, haben wir vernommen, dass ihre Glaubensgenossen, Wiedertäufer genannt, zu Zürich und hin und wieder in eurem Gebiet, grosse Verfolgung haben erlitten durch Kraft sehr ernstlicher Befehlen, die gegen sie seynd gemacht worden : als wodurch sie sind genöthi- get worden alles zu verlassen, und nach ändern Landen zu ziehen, zu ihrem

417

27 grossen Ungemach und gänzlichem Verderben. Welches alles uns zum christli­ chen Mitleiden hat bewogen, darum haben wir nicht können unterlassen, son­ dern haben im Gegentheil vor gut befunden, euch hiemit sehr freundlich, nachbarlich und auch ganz ernstlich zu ersuchen, dass ihr euch wollet, nach dem guten Exempel der Obrigkeit der Stadt Schaffhausen, der Güter der Glau­ bensgenossen derer Bittenden, als die ihr einige Jahr her durch dazu bestellte Verordnete habt lassen regieren und die Früchte davon ziehen, entschlagen, und sie den vorgemeldeten Theilhabern, oder die Befehl von ihnen haben, lasset abfolgen, um innerhalb einer grossen erlaubten Zeit, zu ihrem Besten verkauft und zu Geld gemacht zu werden, etc. Wir wollen unser Vertrauen dahin stellen, dass ihr diese unsere wohl- meynende freundnachbarliche Vorbitte so wohl werdet aufnehmen, als es der Sache Billigkeit erfordert, und wir von eurer gewöhnlichen Weisheit und Bescheidenheit gewärtig sind, und versichern euch, dass wir niemals werden ermangeln solches gegen euch insgesamt und besonders und auch gegen eure Einwohner zu verschulden und erkenntlich zu sein, wann uns darzu wird Gele­ genheit Vorkommen, und euch gefallen wird eine Probe davon zu nehmen. Unter­ dessen bitten wir den allmächtigen Gott. Wohledle, etc. In den Haag, den 19. Februarij 1660. Kommt überein mit dem Original, welches in ihre Hoch. Mög. Canzelay liegt. J. Spronssen. » u)

Die Zürcher antworteten den Generalstaaten, sie könnten ihrer Bitte um Zurückgabe der eingezogenen Güter nicht entsprechen, weil sie diese Güter zum Unterhalt der Frauen und Kinder der Entwichenen brauchten Zugleich führten sie bittere Klagen gegen die Täufer. Was das Verfahren der Zürcher Regierung gegen ihre Untertanen betreffe, so habe sie anfangs nur gesucht, sie durch die geistlichen und weltlichen Behörden von ihren Irrtümern abzubrin­ gen. Aber es habe alles nichts genützt ; nachdem die Täufer wieder auf freien Fuss gekommen, hätten sie das heimliche Predigen in den Wäldern und nächt­ lichen Versammlungen in Häusern nicht lassen wollen und fortgefahren, ihre verderblichen Irrtümer zu verbreiten und andere vom Guten abzubringen. Die Regierung habe hierauf die Sache mit grösserem Ernst anfassen müssen, weil sie sonst den Untergang der reformierten Kirche sowie des Staates hätte be­ fürchten müssen. Die Hochmögenden Herren könnten daraus ersehen, dass die schweizerischen Täufer allerlei bösen Samen gegen den Kirchenstand aus­ gestreut und die Kirchendiener nicht für Kinder Gottes gehalten hätten. Die Regierung habe deshalb suchen müssen, diese eigensinnigen Menschen unschäd­ lich zu machen. In solchem Falle stehe es der Regierung wohl an, Hab und Gut der Widerspenstigen an sich zu nehmen. Die Holländische Interzession hatte nur insoweit Erfolg, als die Zürcher Regierung schliesslich nicht mehr verhindern konnte, dass die Täufer aus- wanderten. Die meisten zogen nach der Pfalz. Mit der Auswanderung ver­ schwanden die letzten Täufergemeinden im Kanton Zürich. Die so hoffnungs­ volle Bewegung war endgültig zerschlagen..

13) Märtyrerspiegel a. a. 0. S. 817.

418 B. BERN

Das politisch starke Bern stand im 17. Jahrhundert als mächtiger Eckpfei­ ler der protestantischen Lehre da, welche es nach allen Seiten hin zu schützen wusste. Die protestantische Obrigkeit liess als Haupt ihrer Kirche kein Mittel unversucht, die Herzen und Geister ihrer Untertanen zu lenken. Diesem reli­ giös-politischen Willen wollten sich aber nicht alle Berner unterordnen. Es waren, wie in Zürich, die Täufer, welche, in starken Gemeinden zusammen ge­ halten, Widerstand leisteten. Auf allerlei Weise versuchte die Obrigkeit diese « Täufersekte » auf die Seite der Kirche zu bringen. Sie sah die Treue der Täufer zu ihrem Glaubensbekenntnis nur als Starrköpfigkeit an, die um jeden Preis im Interesse des Staates gebrochen oder beseitigt werden müsse. So wa­ ren es nicht nur religiöse, sondern auch politische Gründe die zur Verfolgung der Täufer im Kanton Bern führten. Die Regierung musste aber mehrmals fest­ stellen, dass alle ihre Bemühungen erfolglos blieben und die Zahl der Täufer eher zunahm. Die Akten im bernischen Staatsarchiv, die zum Teil von Pfarrer Müller in seiner « Geschichte der bernischen Täufer » veröffentlicht worden sind, geben uns einen Einblick in die verschiedenen Mittel und Wege, die die Obrigkeit versuchte, um entweder die Täufer auf gütlichem Wege zur Umkehr auf « den rechten Weg » zu bringen, oder die « Sekte » gewaltsam auszurotten. Im 17. Jahrhundert war der Zeitabschnitt zwischen 1644 und 1670 eine besondere Verfolgungszeit. Wegleitend für das Verhalten der Obrigkeit gegen die Täufer war das Gutachten der Geistlichen und das darauffolgende Mandat vom Jahre 1585, das 1597 mit einigen Ergänzungen neu gedruckt wurde. Das strenge Mandat sollte alle Jahre einmal an einem Sonntag von den Kanzeln verlesen werden, damit man sich « darnach wüsse zehalten ». Oefters nahmen die Verordnun­ gen und Erlasse im 17. Jahrhundert Bezug auf das gedruckte Täufermandat. Dieses befahl, zunächst die Täufer durch die « Predicanten und Kilchendiener, Ober- und Unteramptlüt, Kilchmeier, Eegöumer... fründlich uss götlichem Wort » unterrichten zu lassen. Man versuchte also auch in diesem Jahrhundert durch Unterhandlung zum Ziele zu gelangen. Sollte dies gelingen, so musste der « bekeert Widertöuffer » in der Kirche vor versammelter Gemeinde seine « ungegründte und falsche Leer und übel verkehrten Missbrauch der Heyligen Sakramenten » öffentlich abschwören und versprechen, sich gemäss « der Arti­ kel der Evangelischen und Christlicher Reformation » zu verhalten.14) Die Pfarrer gaben sich alle Mühe, die Täufer von der Absonderung von der Kirche abzubringen und sie zum Kirchenbesuch zu bewegen, was aber selten gelang. J. R. Rh. Forrer, Pfarrer in Langnau, erzählt in seinen hand­ schriftlichen Notizen « dasjenige, was der Widertöufferen halben » im Jahr

14) Gedrucktes Täufermandat 1597. A. D. Stadt-und Universitätsbibliothek Bern.

419 1621 « in der Kilchhöri Langnauw ist verhandlet worden ». Forrer hatte ge­ hört, wie viele « uss lätzem und verkehrtem Eyfer vom christenlichen Kirch­ gang und Predigthören sich abkehrind und absünderind ». Als derjenige, der « von Gott durch eine hohe Oberkeit zum Hirten gesetzt », wollte er nun seine Pflicht tun und « die, da in die Taufferey irrind, zur Weyd holen und treiben. » Mehrere Ehepaare wurden dem Pfarrer verzeigt, die « ohn den ge­ wohnten Christlichen Kilchgang beyeinander gsin sind », so unter anderen «Ben- dicht Baumgartner und sein Bruder Uelli Baumgartner auff Dürren Rüti und sein Frauw, die nun bey zechen jahren lang, ohn den Kilchgang, miteinanderen sollen han haussgehalten und Kinder gewunnen die nit mehr klein sind. » Ausführlich berichtet der Pfarrer über seine Verhandlungen mit Simon Bichsel. Er vermahnte ihn, « er solle in Gottes nammen zur Kilchen gan und der Predig fleissig zulosen. » Dieser erklärte dem Pfarrer rundweg, es helfe alles Lehren, Warnen und Strafen nichts, es stehe einfach geschrieben : « Gehet aus von ihnen ! » 15) Ein anderer, Uli Bischer von Signau, erwiderte auf die Mahnung, die Kirche zu besuchen : « Was soll ich in dem Steinhaufen tun ? » Die Schwes­ ter eines Täufers, der man nachsagte, sie wolle Täuferin werden, meinte : « ich bin nicht wert eine Täuferin zu werden, sie würden mich wohl nit annehmen, dann die Täuffer seien gar heilige Leut. » Ihr Bruder Uli sei « zuvor gottlos gewesen ; als er aber ein Täufer worden, seye er nit anderst als wie der Apostel Paulus erleuchtet und bekehret worden. » Seit 1644 fanden Verhandlungen mit Täuferführern statt, die eine Aus­ sprache wünschten um von ihrem Glauben und Leben Rechenschaft geben zu können. Sie wurden deshalb nach Bern vorgeladen. Die Täufer Hans Tester und Martin Glur wurden auf ihren Glauben geprüft, wollten aber nicht nach­ geben, weil man « nit folge dem, was gelehrt wird, sondern in aller Gottlosigkeit immerzu fortfahre, keine Sonderung mache, die Gottlosen mit den Guten lasse man zum Abendmahl hinzugehen. » Ebenso wurden am 2. März 1646 Hans Stenz und Martin Burger eingehend über ihren Glauben verhört. Sie wurden gefangen gehalten und am 30. De­ zember 1647 nochmals einem Verhör unterzogen. Als auch dieses nichts fruch­ tete, wurden sie am 6. Januar 1648 einzeln befragt. Diese Verhöre geben uns Aufschluss über ihre Glaubensstellung und ihre Beweggründe, warum sie zu den Täufern übergetreten waren. Auf die Ermahnung, von ihrer Ver­ stockung abzulassen, gab Stenz zur Antwort, ihre Sache sei keine Verstockung, er wolle seinen Glauben am jüngsten Gericht selbst verantworten. Zwar wolle er sich gern unterweisen lassen, er halte aber dafür, dass ihr Handel und Wandel, wenn ihr Glaube irrig wäre, das bezeugen und bös sein würde, was nicht der Fall sei. Martin Burger bezeichnet als Grund der Absonderung von der Kirche die Tatsache, dass in ihr die offenbaren Sünden überhand nähmen, die christliche Liebe aber abnehme. In der Kirche sei keine Andacht, der eine

15) Miss Hist. Helv. VII/I44. Stadt-und Universitätsbibliothek. Bern.

420 habe hinter, der andere vor ihm geschlafen. Diese Zustände hätten ihn bewegt, « sich zu den Wiedertäufern zu schlachen und auch derselben Lebwesen zu erfahren », zumal er gehört habe, dass sie ein friedsames und aufrichtiges Volk seien. Er habe sie dann auch « dermassen beschaffen » befunden : gern Almo­ sen gebend, einander liebend, nicht schwörend und nicht unkeusch. Wegen solcher Ursachen habe er das Predigtbesuchen aufgegeben und die Täuferei angenommen, wobei er zu verbleiben begehre. Christus habe befohlen, einander zu lieben, er finde aber, dass die Liebe in der Kirche erkaltet sei. Beim Abend­ mahl verspreche man die Liebe zwar auch und gelobe, dass man Glieder Christi sein wolle, aber es gehe so zu, dass sich Gott erbarmen müsse und ihm darob grause. Er könne solche Leute keineswegs für Brüder halten, denn nach 1. Korinther 5 solle man den Bösen hinaustun. Das geschehe in der Kirche nicht; weswegen sie sich notgedrungen von ihr hätten absondern müssen.

Die Gegenpartei suchte den Irrtum der Täufer wie so oft aus den Gleichnissen von den guten und faulen Fischen und vom Unkraut unter dem Weizen zu beweisen, kam aber zu ganz falschen Schlussfolgerungen, indem sie den Standpunkt des allgemeinen Kirchentums vertrat. In der Geschichte be­ gegnet uns bei den Vertretern des Staatskirchentums immer die gleiche Auffas­ sung. Ihnen schien es ein ärgerlicher Widerspruch, dass Gott das Heil für alle Welt gebracht habe und doch nur eine verhältnismässig geringe Zahl von Personen erwählt sein sollte, die sich von der Welt absonderten und zu Ge­ meinden von Gläubigen zusammenschlossen, um nach dem göttlichen Heils­ plan mitten in einer gottlosen Welt für die bevorstehende ewige Scheidung auszureifen.

Als sie Donnerstag, den 13. Januar 1648 « letztmals absonderlich ihrer endlichen Meinung halber, ob sie nicht sich wiederum zu uns zu kehren beque­ men wollten », befragt wurden, gab Stenz zur Antwort, er könne sein Ge­ wissen nicht fallen lassen, wolle bei seinem Glauben verbleiben und eher alles verscherzen, ja lieber das Blut lassen, wenn ihm Gott die Gnade dazu gebe. Er bitte aber die gnädige Obrigkeit, ihm Barmherzigkeit zu erzeigen. Martin Burger bestätigte, auch er begehre zu bleiben bei dem was ihm Gott zu erken­ nen gegeben habe, und sollte es kosten was es wolle, bat aber dabei auch um Gnade. Dennoch wurden die beiden « Lätzköpfe » ihrer « Halsstarrigkeit wä­ gen, und dass sie von ihrer Sect und Meinung nicht fallen, noch sich bekehren wollen, den 16. Januar 1648 (wiewohl M.G. H.H. deliberiert gsin, sie aufs Meer zu schicken) doch zur Verschonung ihrer Seel in das Zuchthaus gen Zü­ rich verschickt. » 16) Die beiden wurden nach Zürich gebracht, konnten aber entfliehen. Stenz wurde wieder eingefangen und erklärte, er wolle lieber des Landes verwiesen werden als vom Glauben lassen. Nach getanem Versprechen, das Land zu meiden, wurde er am 2. März 1650 an die Grenze geführt.

16) Nach Ernst Müller: Geschichte der bernischen Täufer S. 115.

421 Im Emmental muss das Täufertum eine überaus grosse Verbreitung ge­ funden haben. In den meisten Ortschaften befanden sich einige Personen, die diesem Glauben zugetan waren ; Hauptsitze waren Langnau und Sumiswald. Seine allgemeine Verbreitung lenkte die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf die Täufer. Um das Jahr 1640 begann ihre Lage sich ernster zu gestalten. Am 17. Januar desselben Jahres ging ein Befehl an die Aemter Aarwangen, Zofingen, Aarburg, Lenzburg, Thun, Signau, Brandis17) und Trachselwald auf Donners­ tag, den 25. Januar, « mit dem täuferischen Gesind eine Musterung zu halten. » Die alten Mandate wurden wieder in Kraft gesetzt, damit « das durch die Finger sehen » aufhöre. Nach wiederholten Klagen über die Nutzlosigkeit der bisherigen Mandate wurde von neuem die Ausrottung der Sekte « mit Gottes Beistand » in Angriff genommen. Am 11. April 1644 befahl die Regierung von Bern ihren Amtsleuten, gegen hartnäckige Täufer streng zu verfahren. Namentlich sollten Uli Zaugg, Uli Neuhaus, und Christen Stauffer gefangen gesetzt werden, weil sie eifrige Lehrer der Wiedertäuferei seien. Diese drei Täufer müssen sich in der Gegend von Thun oder im Emmental aufgehalten haben, da dort nach ihnen gefahndet wurde.18) Ein neues Mandat vom 26. Dezember 1644 bestimmte, die Täufer sollten gewarnt und womöglich durch Unterweisung zur Kirche zurückgebracht wer­ den. Diejenigen aber, bei welchen solche Warnung vergeblich sei, sollten « gewahrsamlich uff die grentzen geführt und als Ungehorsame und Wider­ spenstige mit einer glübd an Eidts statt (wilen sie den Eyd nit schwören) von unseren Landen und gepieten, bis zu ihrer schynbaren Wiederbekehrung, gentz- lich verwiesen werden. » 19) Amtleute und Prädikanten wurden dringend an ihre Pflicht gemahnt, damit die Täufer eingezogen und belehrt würden. Im Februar 1649 wurde der Täuferlehrer Joseph Widmer ertappt. Die Regierung befahl dem Landvogt, ihn in die Hauptstadt zu schicken, was bald darauf geschah. Der Verwalter der « Insel » bekam Anweisung, ihn in das « Glätterstübli» einzusperren. Mit Rücksicht auf sein hohes Alter wurde Widmer bald wieder aus der Haft entlassen, musste aber versprechen, sich des Lehrens zu enthalten und fleissig die Predigt zu besuchen. Die Vögte von Signau und Brandis sollten Widmer beaufsichtigen.20) Nach dem Berner Bauernkrieg 1653 ist eine bedeutende Zunahme des Täufertums zu konstatieren. Aber bald darauf setzen heftige Verfolgungen ein. Zunächst sollten die Lehrer der « überhandnehmenden töufferischen Sect » in Gewahrsam genommen und « mit hätten und erklärung göttlichen Worts » zur

17) Das im 12. Jahrhundert erbaute Schloss Brandis war Amtssitz und stand einst stolz und mächtig auf dem steil ansteigenden Hügel zwischen Lützelflüh und Rüegsauschen. Es wurde am 14. April 1798 durch die Franzosen verbrannt und nicht wieder aufgebaut. 18) Mandatenbuch VII-7. Staatsarchiv Bern. 19) Kirchenwesen II. Die Anabaptistis Varia 131-9. Staatsarchiv Bern. 20) Ratsmanual 1649 102- 1 1 9 ; 102-131 ; 102- 210. Staatsarchiv Bern.

422 Bekehrung gebracht werden. Dazu schien das neuerbaute Zucht- und Waisen­ haus in Bern der geeigneste Ort. Dieses hat in der Geschichte der Berner Täufer eine traurige Berühmtheit erlangt. Viele schmachteten daselbst in langer Ge­ fangenschaft. Der erste täuferische Lehrer, der eingeliefert wurde, war der alte gebrechliche Anthoni Himmelberg (Wäber Anthj genannt) von Wattenwil. Volle 28 Monate (vom 24. Juni 1658 bis 25. Oktober 1660) musste er in diesem Zuchthaus zubringen, bis ihn der Tod erlöste. Am 20. Dezember 1658 erging an die Amtleute der verschiedenen Aemter der Befehl, ein Verzeichnis der Täufer einzusenden und die « vornehmsten lehrer und redliführer allhar inns Waisenhaus zu führen. » 21) Diese Verordnung hatte einigen Erfolg. Kaum 14 Tage später wurde von der Staatskanzlei be­ richtet, dass « die vermehr- und zunehmung der nach Gottes unfehlbarem Wort verdammli- chen und sonst dieser landen sonderlich gefahr und unleidentlichen irrigen sect der widertäufferei meinen gnedigen herren so weit Vorkommen, dass in dem ambt Lentzburg allein über 60 personen durch einmalige nachforschung bekannt und namhaft gemacht worden. » 22)

Bald darauf erfolgte auf Dürsrütti bei Langnau die Gefangennahme einer Täuferversammlung samt ihrem Lehrer Ulli Baumgartner und drei seiner Mitar­ beiter Bendicht Baumgartner, Hans Zaugg und Christian Christen, wovon das fol­ gende Dürsrüttilied berichtet :

« O Herr, umb dein Gnad ruf ich dich an, Als nun die Lehr war bald zu End, ohn dein Gnad niemand nüt thun kann. in die Stuben kamen rauch gerennt, Hilf Gott, dass mirs gelinge, mit Lichteren und mit Waffen, ein newes Lied ich singe. gleich wie die Wölf zun Schaafen.

Matthei am fünften thut es stan, Der vorderst war Simon genannt, wie Christus uff ein Barg thät gahn, die Glegenheit ward ihm bekannt, und lehrt das Volk mit Unterscheide selb sechst kam er gegangen, die acht Stück der Seligkeite. sie nahmen vier Brüder gefangen.

Jetzt im neunundfünfzigsten Jahr Der Rytknecht war ein raucher Trabant, gieng auf einen Berg ein kleine Schar ein blosses Schwert trug in der Hand, auffs Dürs-Reutte mit Nammen schwört und fluchet und wüttet sehre : da kam das Völklein zusammen. wöll dienen seinem Herre.

Da hatten sie auch dieselbe Lehr Zween muthige Gsellen schreyen mit Namen wie auf dem Berg Christus der Herr : lüffen und trugen Seyl zusammen, das fünft, das sechst, das siebend sie thäten die Brüder binden viel schönen Sprüch der Bibel. und führen von Weib und Kinden.

2ll Mandatenbuch VIII/28. Staatsarchiv Bern.

22) Adolf Fluri; Beiträge zur Geschichte der bernischen Täufer: Das Waisenhaus als Täufergefängnis. Bern 191

423 15 Endlich wend sie den Lehrer han, Vil arges thät man über sie sagen, ich hört, er gab sich selber an. in frömbden Landen auch verklagen. O Gott thu uns nit strafen Matthei schreibet, ihr Lieben, send uns ein Hirt der Schaafen. frewet euch : so sie daran lügen.

10 16 Ulli Baumgartner zog gebunden darvon, Weiters will ich euch zeigen an, sprach « forchtet Gott, haltet euch w ol» wie die Brüder hand Glauben ghan, Solchen abschied thät er machen, zu führen ein still friedsam Leben, der lieblich Hirt der Schafen. so viel Gott Gnad wird geben.

11 17 Sie führten sie gen Trachsehvald Nur Gottes Gnad, der Frommen Fürbitt, der Landvogt macht den Abscheid bald : auf Menschen Hülff vertrauen sie nit. gen Bern thät er sie senden, Auf den rechten Felsen bauen, da ist die Haupt-Stadt in Landen ist allein Gott vertrauen.

12 18 Sie führten sie ins Zuchthaus gnannt Der Oberkeit auch Zins und Zehnten, darinne zween Brüder wohl bekannt, ja Zoll und Steur, was ihnen mag gehören es sind zween alte Hirten und dienen mag zum Frieden, hand schon ein zeitlang gstritten. auch Gott für sie zu bitten.

13 19 Die Glebrten kamen oftmals dar, Die Brüder wollten sich nicht kehren besonders in dem ersten Jahr, nach frömden Landen zu ändern Herren, ersuchten sie mit Studieren darauff schickt man sie balde, von ihrem Glauben abzuführen. auff die March aus dem Lande.

14 20 Ulli Baumgartner zur Antwort gab, Anthoni Himmelberg, ein Hirt der Schaafen von meinem Glauben stan ich nit ab, ist zu Bern im Frieden entschlaffen. der mir mein Glauben hat geben, Mit Tränen thät er säyen der erschuf Himmel und Erden. mit Frewden wird er erndten.

21 Der das Lied sang und hat gedieht, der war anfangs bei dieser Gschicht. Gott helff uns allensammen durch Jesum Christum. Amen23)

Auf Grund eines ausführlichen Gutachtens der « Kirchen- und Schuldiener der Stadt Bern » vom 24. April 1659 über die Bekämpfung der Täufer erliess der Rat das Täufermandat vom 9. August 1659 :

« Erfrischung vnd Erläuterung der alten, vnd vor diesem ausgangenen Ordnungen vn Mandaten, wie inn der Teütschen landschaft Bern procediert werden solle: wider die jrrige, verführerische schädliche vnd vnleidenliche Sect der Widertäuferey vnd derselben Zugetane vnd Anhängere. »

23) Aus einem alten, 1696 gedruckten Täuferliederbuch, betitelt: «Geistliches .Liederbüchlein”.

424 Dieses Mandat enthält die Gesetzesvorschriften zu einem unanstössigen Leben. Vor allem wird den Amtleuten befohlen, ein tugendhaftes Leben zu führen. Ebenso sollen die Prediger sich « unärgerlich » erweisen. Ueberhaupt sollen die « Fürgesetzten beider Ständen » darauf hinarbeiten und dafür sorgen, dass alles lasterhafte, ärgerliche Leben der Untertanen bestraft werde. Beson­ ders soll Gott angerufen werden, er möge zu der öffentlichen Verkündigung der reinen Lehre das Gedeihen und Wachstum geben und verhüten, dass unter dem Schein der Frömmigkeit und Heiligkeit das verderbliche Unkraut der Gleisnerei, des Ungehorsams gegen Gott, die schnöde Verachtung des öffentli­ chen Gottesdienstes und der heiligen Sakramente und anderer heiligen Ord­ nungen, auch der Schuldigkeit und Gebühr gegen die christliche Obrigkeit, fortgepflanzt werde. In sieben Punkten wird sodann die Schuldigkeit der Untertanen hervor­ gehoben und erstens betont : « Unwidersprechlich sind alle Untertanen schuldig ihrer natürlichen, von Gott gegebenen Oberkeit Trew und Wahrheit zu leisten und solche Huld und Trew mit einem Eyd zu bezeugen : diejenigen aber, so solche Juramentum fidelitatis (Treueid) zu leisten sich weigerind werden nit für Untertanen erkennt noch im Land geduldet ; hiemit können und sollen auch die Wider-Täufer, die ein solches zuthun rund abschlagen, im Land keineswegs geduldet werden. » Und in Punkt 6 heisst es : « Diejenigen, welche sich der Lands-Oberkeit guten Ordnungen und Statuten zu unterwerfen wei­ gerend, ja directe darwider handlend, die mögend noch weniger geduldet wer­ den. Nun sind die Wider-Täufer solche Leut. Denn :

1. Sie predigen ohne Beruff und Bestätigung der Oberkeit. 2. Sie tauffen in jhren Gmeinden ohne Bef eich der Oberkeit. 3. Sie verführen die Kirchen-Disciplin wider öffentliche Satzungen der Ober­ keit. 4. Sie besuchen keine Versammlungen, welche an Sonn- und Bättagen gehalten werden. » 24)

Die starke Zunahme der Täufer hatte den Rat veranlasst, einen besonde­ ren Ausschuss zur Behandlung der Täuferangelegenheiten einzusetzen. Diese Täuferkommission bestand aus den Herren Wilhelm von Diesbach und Chris­ tian Willading vom Rat, dem Obersten Daniel Morlot und dem Landvogt Johann Stürler, sowie den zwei Theologen Professor Christoph Lüthard und Pfarrer Abraham de Losea. Dem Verhörsprotokoll entnehmen wir, dass diese Herren « Examen mit etlichen Teüferen im Zuchthaus gehalten ».

« Freytags, den 20. Jan. 1660, habend die Herren Commitierten zu dem Teüfferischen geschäft sich sämtlich in das Zuchthaus begeben und den allda enthaltenen Teufferen vermeldet, dass so sie im Land zu blyben begerind,

24) Kirchenwesen II. De Anabaptistis Varia 131-16 Staatsarchiv Bern.

425 von nöthen syn werde, dass sy sich wie andere treüwe fromme Unterthanen haltind und dieses von ihnen zu erfahren sind sie über folgende punkten befragt worden. »

Das Protokoll verzeichnet folgende Namen :

« Rudolf Wirtz von Kulm, Lenzburg. Anthoni Himmelberg von Wattenwil. Jakob Schlappach von Oberdiessbach. Ulrich Baumgartner von Lauperswil. Hans Zaugg von Signau. Jakob Gutt von Oftrigen bei Zofingen. Hans Jakob Mumprecht von Rüegsau (Brandis). Peter Friedli von Biglen. Bendicht Baumgartner von Langnau (Dürsrütti). Christian Christen von Langnau. Mathis Kauffmann von Kriegsstetten (Solothurn).»25)

In 16 Punkten hatten sich die Täuferführer zu verantworten. Die Ver­ handlungen erstreckten sich hauptsächlich auf die Absonderung von der Kirche, die Sakramente und die Stellung zur Obrigkeit. Von Himmelberg heisst es ; « Dieser will gar nichts thun noch sich einichen wys bequemen, sonder durch­ aus by synem glouben blyben. » Befragt, ob er « syne Mitlehrer und Lehrjünger, von der hohen Obrigkeit begehrt, offenbaren und angeben » wolle, antwortete er : « Nein, er wolle niemand in Gefahr und Ungelegenheit bringen. Es wäre der Liebe nit gemäss. » Auf die Frage, ob er denn meine, sie, die Herren der Täuferkommission « syen nit recht daran und begerind auch inn Himmel » antwortete er : « Da luget ihr zu ! ». Ulrich Baumgartner sagte inbezug auf die Verteidigung der Reformation, man solle den Glauben « nit mit ysen und Stachel defendieren » und Jakob Gutt meinte sogar, wenn alle wären wie sie, so brauchte man keine Schlösser an Türen, man bliebe ohne das sicher. Nun wurde von der Täuferkommission ernstlich die Frage erwogen, ob Verschickung nach den Niederlanden oder fernere Einsperrung im Waisenhaus rätlich sei. Gegen Verschickung hegte der Rat folgende Bedenken :

1. Es wäre gleichsam eine Approbation (amtliche Billigung) ihrer Sekte, wenn sie dahin geschickt würden, wo ihre Lehre öffentlich betrieben wird. 2. Von dort aus könnten sie mit denen, die im Land bleiben, Gemeinschaft pflegen, sie stärken und ihre Zahl vermehren. 3. Dadurch würden die einen und ändern nicht auf den rechten Weg geleitet. 4. Es wäre diese Verschickung zu ihren Brüdern eine so gelinde Strafe, dass andere dadurch nicht abgeschreckt würden. 5. Hingegen wäre die hiesige beständige Gefangenhaltung ein Mittel des Ab­ schreckens und ermöglichte die Täufer wiederum zu gewinnen und zurecht­ zubringen. » “)

25) Ernst Müller: a. a. O. S. 174 ff. 26) Ratszedel vom 15. Februar 1660 betreffend der Täufer Verweisung oder Einsperrung.

426 Somit sollte an der Gefangenhaltung im Waisenhaus einstweilen festge­ halten werden. Die Täuferkommission aber war anderer Meinung. Sie verfasste ein Gutachten und beantragte, dass mit Rücksicht auf die Geltung der Mandate die Verbannung ohne Bedenken zur Ausführung gelange. Nach all diesen Erwä­ gungen und Bedenken kam der Rat am 15. Juni 1660 doch zu dem Entschluss, « dass nunmehr zur würcklichen Exekution nach Anleitung des Mandats ge­ schritten » und die vorgesehene Landesverweisung durchgeführt werden solle.27) Inzwischen hatte die holländische Interzession eingesetzt. Zu gleicher Zeit wie in Zürich standen die holländischen Taufgesinnten für ihre hart bedrängten Glaubensbrüder im Kanton Bern ein. Am 24. Oktober 1659 hatte der Kauf- man Hans Vlamingh aus Amsterdam ein umfangreiches Schreiben an ein Mit­ glied der Täuferkommission, Christoph Lüthard, gerichtet, worin er mitteilte, ihnen sei aus der Pfalz und dem Eisass berichtet worden, dass Bern die Täufer gefänglich einziehe. Er schrieb unter anderem : « Wir haben uns Mühe gegeben, schriftlich die Verhältnisse kennen zu lernen und haben erfahren... dass die Prediger zur Erlösung der Gefangenen viel tun können, da es doch eine schwere Sache ist von Weib, Kind und Haushaltung weg in Gefangenschaft gesetzt und zur Arbeit gezwungen zu werden, ganz besonders, wenn dies um des Glaubens willen geschieht. »

Ferner wurde in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Reformierten Gut und Blut für die Freiheit des Glaubens gewagt hätten, weshalb es unstatthaft sei, die Täufer zu verfolgen ; es gehe nicht an, dass man tue was man an den Papisten so schwer tadle. Die Täufer seien ja in der Hauptsache den Refor­ mierten gleich und stünden ebenso auf dem Boden des Sühnopfers Christi als der einzigen Ursache unserer Seligkeit. Hierauf berührte Vlamingh die täuferi- schen Grundsätze und fragte zum Schluss : « Ei mein Herr, warum sollen solche Leute also leiden; sie predigen ja Christum und lehren, ihm wehr- und waffenlos nachzufolgen ?... Haben die Reformierten und die unsrigen in gleicher Weise mit einander die päpstlichen Verfolgungen ertragen, so ist es nicht zu verwundern, wenn die Unsrigen nun von den Reformierten ihre Freiheit inständig begehren und sich über die Ver­ folgung bitter beklagen. Wenn sie sich verteidigen wollen, so wird ihnen das nur zu ihrem Nachteil ausgelegt, wie ihnen zu Zürich wiederfahren ist, so dass sie sich nicht mehr verantworten dürfen, sondern die Sache mit Geduld auf­ nehmen und sich ihrer Unschuld trösten und damit, dass sie mit ihrem Herrn Christo und seinen wehrlosen Nachfolgern das Kreuz müssen tragen. Wie die erste christliche Kirche ohne Waffen und ohne obrigkeitlichen Schutz und Schirm so gross gewachsen, so werden sie dieselbe auch um etwas bauen helfen und hoffen mit den frommen Reformierten einst selig zu werden.» 2S)

Im Februar 1660 versammelte sich eine Anzahl der hervorragendsten Glau­ bensgenossen der Täufer aus den grösseren Städten Hollands im Haag und zy) Endliche Resolution M. g. h. H. Kirchenwesen n , Bd. E. Nr. 86. von Abraham de Losea. 1130 Staats­ archiv Bern

28) Ernst M üller: a. a. O . S. 174 ff.

427 arbeitete eine Bittschrift an die Regierung der Generalstaaten aus, um diese zur Intervention zu veranlassen. Bei den Bernern fand die Fürsprache der Holländer ebenso wenig Gehör als bei den Zürchern. Am 15. Juni 1660 wurde das Schreiben beantwortet und darin besonders hervorgehoben, es sei Pflicht der Obrigkeit, durch gute Ord­ nungen und Satzungen das Land zu regieren und sonderlich die wahre refor­ mierte Religion rein und lauter zu bewahren. Diese habe durch den Ungehor­ sam der Täuferei einen nicht geringen Stoss erlitten, deshalb habe man auf Mittel sinnen müssen solch fressendem Unkraut zu wehren. Es sei dies mit der « äussersten Gutmütigkeit » versucht worden, wodurch aber das Uebel nur noch zugenommen habe. Sie hätten deshalb zwölf der vornehmsten Sektierer im Wai­ senhaus nicht in harte Gefangenschaft, sondern in ein zugerüstetes Gemach setzen lassen und durch ernste freundliche Unterweisung aus dem Wort Gottes ihr Heil und ihre Bekehrung gesucht. Da aber dies nichts gefruchtet habe, hätten sie beschlossen, das Land von ihnen zu säubern, da sie nicht geduldet werden könnten, und deshalb die in Gottes Wort nicht unbegründete Landes­ verweisung wider die Halsstarrigen und unbekehrsamen statuiert.28) Tatsächlich wurde die am 15. Juni 1660 gefasste « endliche Resolution M.H.G.H. betreffend die Landesverweisung ausgeführt und mit den im Waisen­ haus gefangen gehaltenen Täuferlehrern der Anfang gemacht. Es wurden nun, da « die güetliche Mittel » versagt hatten, « die schärpfere mittel, das ausmus­ tern vor die Hand genommen ». Von den Kanzeln wurde bekannt gemacht, dass der Termin der Ausmusterung auf künftigen Bartholomäustag gesetzt sei. Darnach sollten andere aufgegriffen und zur Bekehrung unterwiesen werden. Die in ihrem Glauben Verharrenden sollten wieder fortgeschafft werden, und dies würde sooft wiederholt, bis das Land « von diesem Unkraut gereinigt » sei. Montag den 27. August 1660 wurde nochmals mit den gefangenen Täu­ fern unterhandelt, Sie erklärten aber insgemein : « Sie könnind Und wöllind von ihrer gefassten Meynung gantz und gar nit abston, sonder beständig darby verbleiben, was man immer mit ihnen fürnemme. » Auf die Frage, ob sie die Urfehde halten und das Land meiden wollten, antworteten sie : « Sie könnind und wöllind nit versprechen, sie wissind nit, was Gott mit ihnen machen möchte, es stehe in Gottes Hand, dem wöllind sie es heimstellen. » 29) Der Tag der Verschickung wurde auf Donnerstag den 6. September fest­ gesetzt. Der « Schwellimeister » wurde beauftragt, sich mit einem Schiff bereit zu halten, um die Gefangenen nach Brugg zu führen, von wo die Profosen (Polizeibeamte) sie über die Grenzen zu schaffen hatten. Vor der Abreise, die sich um vier Tage verzögerte, mussten die Täufer folgendes Verbannungsschrei­ ben eigenhändig unterzeichnen :

29) Kirchenwesen II. De Anabaptistis Varia 131-33 Staatsarchiv Bern.

428

Ich Unterschriebener N.N. von N. bekenne hiemit nachdem ich wegen angenommener genannter Täufferischer lehr, von unseren hochen Christlichen Oberkeit eine zeytlang zu Bern in dero Zucht- oder Waisenhaus enthalten, auch anlässlich ermant worden, derselben mich zu entzüchen, ich aber von meiner gefassten Meinung, und gedachter angenommener Lehr auf diesmalen noch nicht abstehen können noch wollen, daher ich je mehr und mehr in die Straf der Ungnad myner hochen Oberkeit gefallen. In ansechen myner ange­ nommenen Lehr, wider dero ausgangen obrigkeitliches Mandat schnurstraks zuwiderstreiten thut. Und es nun an deme, dass ich von deswegen derselbigen Statt und Land myden, und mich fortmachen soll. Also gelobe und verspreche ich hiemit, solche Landesverweisung von nun, und der Stund an, wann ich über dero Grentzen hinausgeführt sein wirden, an die Hand zenemmen und der hochen Oberkeit Statt und Landschaft auch der Grentzen gentzlich zu mey- den, zugleich mit desselben Unterthanen, gemelter Lehr halber hinfüro weder schriftliche noch mündliche, heimliche noch öffentliche Verständnus jn einichen Weg zuhaben. Mit dieser heiteren Erleüterung, dass ich mich in dero Landen und Gepieten weiters nicht sehen lassen, noch einiger gestalt widerumb eintre- ten solle noch wolle, wo aber, wider Verhoftes, ich dies mein Versprechen nicht halten, sonder demselben zuwiderhandeln würde, alsdann söliches so hoch, als hätte ich einen ordentlichen geschwornen Eyd Übersechen, geachtet werden, und daher eine hoche Oberkeit ohne vernere Umstandt nach laut Ge­ setzes und Inhalt öffentlich verlesenen Mandats, und wie über dergleichen Per­ sonen gerichtet zu werden pflegt wirt, wider mich Verführer und über mich richten solle, in Kraft dies brieffs, den ich mich darmit zubezüglich mit eigener Hand unterschreiben. In Bern, den... » 3“)

Das Mandatenbuch V III enthält ein Verzeichnis der Namen der Verschick­ ten. Ausser dem alten Anthoni Himmelberg, der wegen « seiner grossen Leibs­ schwachheit » zurückbehalten wurde, sind es die gleichen Namen, die oben genannt worden sind. Zusätzlich genannt werden Hans Wenger von Kirchdorf und Hans Burghalter in der Schniggenen bei Thun, welchem es aber gelang, aus der Gefangenschaft zu entweichen. Die bewunderungswürdige Liebe zu ihren heimatlichen Bergen liess aber den Verschickten in der Fremde keine Ruhe. Sie waren verbannt, « damit sie zu ihren Sektgenossen in Niederland zeuchen könnind » ; ihnen war « heitter eingeschärpft » worden, dass derjenige, so wieder eintreten würde, « die in jüngst zuvor ussgangnem Mandat bestimmte Straff ohne schonen zu gewarten habe. » Der amtliche Bericht vom 7. Juli 1662 meldet aber, « dass diese zwar ausgezogene Leuth nit lang ussgeblieben, sondern ungescheucht widerum In- tretten und mit vortsetzung ihrer irrigen Lehr nit minder als zuvor verharren thüindt. » 31) Dem wollte die Regierung nicht länger Zusehen. Die Täufer hatten ihr Versprechen nicht gehalten und waren wieder in das Land gekommen, des-

30) Dito 131- 37. 31) Mandatenbuch VIII/ 189 Staatsarchiv Bern.

429 halb war die Regierung auf erfolgreichere Mittel bedacht. Sie sollten von neuem ins Waisenhaus eingesperrt und aus ihrem eigenen Gut erhalten werden. Da die « verschickten Wiedertäufer vast alle wieder bei Haus sein », ver- ordnete die Kanzlei Bern am 20. Januar 1663, « auf die Lehrer ernsteifrig ze- setzen und auf Behendigen sie allhar ins Waisenhaus zeschicken. » 32) Besonders der Lehrer Ulrich Baumgartner, der einer der « wiedereingetrettenen » sei, solle « stracks behändiget und wiederum gwarsamlich allhar geschaffet werden. » Die meisten der Täuferlehrer wurden wieder gefangen genommen und ins Wai­ senhaus eingeliefert. Zwei von ihnen befanden sich zeitweilig auf dem Schloss Trachselwald ; da sie aber auf ihrer Lehre beharrten, wurden sie vom Landvogt nach Bern gesandt. Der sogenannte Schüssler Hans und seine zwei « Gespan­ nen » welche den Transport besorgten, erhielten eine Entschädigung von 9 Pfund. Aber nicht alle Amtleute waren so eifrig in dieser Sache. Am 12. Dezem­ ber 1663 schrieb Johannes Frisching, Landvogt in Signau, nach Bern, die Unter­ amtleute und Chorrichter wollten sich wegen Blutsverwandtschaft mit Täufern zu diesem Geschäft der Behändigung nicht hergeben. Im Jahr 1668 versuchte die Berner Regierung, mit den Täufern nochmals in einem öffentlichen Gespräch zu verhandeln, d. h. sie durch die « Geistlichen allhier » « über die fürnembsten Punkten ihres Irrtums » zu überzeugen, um zu sehen, « was die Gnad Gottes durch seinen heiligen Geist darüber wirken wolle. » Die Täufer nahmen aber das Anerbieten nicht an, sondern schlugen es « durch ihr sämtliches Ausbleiben verächtlich inn Wind. » 33) Schliesslich erhielt der geistliche Konvent einen amtlichen Auftrag, ein Gutachten betreffend die Täuferordnung und fernere Behandlung der Täufer auszuarbeiten. Ueber diese war der Konvent zweierlei Meinung. Es machten sich unter den Berner Geistlichen Stimmen geltend, die offen betonten, dass die Misshandlung der Täufer ein Hohn auf das Christentum sei. Die ange­ wandten Mittel seien sicher nicht dazu angetan, die Leute für die reformierte Kirche zu gewinnen. Die erste Meinung, ein Schreiben an die « gnädigen Herren » aus dem Jahr 1670, wahrscheinlich von Pfarrer de Losea verfasst, endigt mit der Bemer­ kung : « dieser Meinung sind fünf. » Darin lesen wir : « Der Augapfel des Menschen ist zart, nicht minder ists auch ein zart Ding um die Religion und das Gewissen ; keintwederes leidet menschlichen Zwang, äusserliche und fleisch­ liche Gewalt, nach dem bekannten Canon : Die Religion ist nicht zu erzwingen noch mit Waffen zu verbreiten, sondern zu lehren. So ist auch das Gewissen Gottes eigenes Gebiet. » Weiter betont der Schreiber, dass Christus seine Apostel zu predigen ausgesandt, aber nichts davon gesagt habe, dass man solche, die sich nicht belehren lassen wollten, mit äusserlicher, fleischlicher Gewalt zum

32) Auszug aus dem Ratsmanual, De Anabaptistis Varia 131-35 b. Staatsarchiv Bern.

33) Mandatenbuch VIII/417 Staatsarchiv Bern.

430 Glauben zwingen, mit Ruten schlagen oder mit Eisen brennen solle. Die der wahren Religion Zugetanen sollten sich der Grausamkeit in Religionsgeschäften enthalten, deren die Widersacher aus dem Papsttum mit Recht beschuldigt würden. Der Schreiber bekennt offen, dass er, wiewohl die Täufer in vielen gefährlichen Irrtümern steckten, nicht finden könne, dass sie zu den ketzeri­ schen Menschen zu rechnen seien, denn auch sie, die Reformierten, fehlten in vielen Punkten, wodurch sie solchen irrenden Menschen nicht geringen Anstoss in den Weg legten. Christus, als der barmherzige Hohepriester, habe mit den Schwachen und Unwissenden Mitleiden gehabt ; darum sei es besser, für die Irrenden zu beten statt sie zu verfolgen. Die andere Meinung des Konvents hiess die Ordnungen und Mandate gegen die Täufer gut und riet zu nochmaliger Unterredung mit ihnen. Bei Nichterfolg solle die sofortige Exekution der angedrohten Landesverweisung durchgeführt werden, da doch die « ewige Gefangenschaft » auch nicht viel fruchte. Besonders sei auf die Täufer zu achten, die « durch ihr ungelehrt Predigtamt allen Irrtü­ mern Thür und Thor aufthun und alles Polizey-Wesen und menschliche Societät über einen Haufen werfen ». Solche Strafanwendung sei nichts Böses da laut des Religionsvertrages von 1648 jedem Landesherrn gestattet sei, einen Unter­ tanen, der einer widerwärtigen Religion zugetan, aus dem Land zu schaffen und über seine Güter zu verfügen. Niemand dürfe gegen solche Verordnungen reden.34) Die Berner Regierung hatte für die Stimme der Toleranz kein Gehör. « Die andere Meinung» von einer starken Mehrkeit vertreten, siegte. Mit Gewalt sollte die Uniformität der Kirche herbeigeführt und erhalten werden. Zunächst allerdings wollte man das Mittel der Unterweisung nochmals pro­ bieren. Die Täufer sollten laut Ratsverordnung am 5. August 1670 von den Amtsleuten und Prädikanten nochmals über folgende drei « Stücke » befragt werden : Ob sie willig seien, die Predigt des göttlichen Worts in der Kirche zu besuchen ? Zum ändern, ob sie im Notfall bereit seien die Waffen zu er­ greifen, und drittens bereit den Huldigungseid zu leisten ? Das darauffolgende Mandat vom 8. September 1670 bestimmte, dass dieje­ nigen, die den Huldigungseid nicht leisten wollten, innert 14 Tagen das Land zu räumen hätten. Gegen ganz Halstarrige solle man die mehrmals angedrohte « würkliche Leibsstraff » anwenden und « söliche Ungehorsame und widerspens­ tige Köpf mit ruthen öffentlich schmeitzen und darüber auf die Grenze führen. » Würden sie wiederum das Land betreten, so werde man sie « mit dem Brönney- sen zeichnen. » 35) Dieses « Experiment » wurde nur bei ganz besonders gefähr­ lich erscheinenden Täufern angewandt, indem man ihnen mit einem glühenden Brenneisen eine Bärenfigur auf die Stirn drückte.

34) Miss. Hist. Helv. III/272 Stadt- und Universitätsbibliothek Bern.

35) Mandatenbuch V I I I /562. Staatsarchiv Bern.

431 Das Mandat bestimmte ferner, dass der Besitz der Verschickten verkauft werden und das Täufer gut in die Verwaltung der Kirche übergehen solle. Die Regierung war bestrebt, die Täufer möglichst mittellos zu vertreiben und ihr Vermögen im Lande zu behalten. Ueber die konfiszierten Güter wurde in den Gemeinden gesonderte Rechnung geführt. Die Zinsen, die sie ab warfen, flössen in das Kirchen- und Schulgut der betreffenden Gemeinde. Später legte die Re­ gierung das eingezogene Täufergut ämterweise in einem sogenannten Täufer­ gutsfonds an. Nach Abzug der Behändigungskosten wurde das Täufergut in einem eigens dazu hergestellten « Täufer-Urbar » verzeichnet, damit man jederzeit sehen könne, wie man mit dem Gut umgegangen sei. Wenn die Kinder von geplünderten Täufern sich zur Kirche bekehrten, so erhielten sie ihr Erbe, insofern die Eltern nach kirchlicher Ordnung getraut worden waren, sonst wur­ den sie für erbunfähig erklärt, und das Erbe fiel der Obrigkeit anheim.36) Nach dem « Täufer-Urbar » gingen die Güterkonfiskationen in die Tau­ sende von Pfunden. « Im Jahr 1585 wurde von Alexander Rychart in Affol- tern i. E. ein Gültbrief von 600 Pfund eingezogen ; 1597 von Peter Rudolf in Schangnau wegen seiner täuferisch gesinnten Frau 800 Pfund ; 1599 von Hans Gerber, Gohl, 1800 Pfund und von Peter Schlüchter Schangnau sogar 2000 Pfund » .37) Einem Täufer Bendicht Krebs von Oppligen bei Wichtrach wurden im Jahr 1696 2000 Pfund beschlagnahmt, einem ändern namens Tschantz im gleichen Dorf 1000 Pfund. Die « Kilchhöri » Steffisburg hatte im Mai 1729 sogar ein Täufergut von 11.129 Pfund, diejenige von Lützelflüh 5111 Pfund ; Eriswil 3686 Pfund ; Langnau 3329 Pfund ; Grosshöchstetten 2350 Pfund ; Oberdiessbach 8709 Pfund ; Signau 1900 Pfund. Laut dem erwähnten « Täufer-Urbar », einem grossen Folioband im Staats­ archiv Bern, der die Täufergutsrechnungen der einzelnen Personen der Kirch­ gemeinden enthält, wurde die Verwendung der eingezogenen Güter oberamt­ lich angeordnet. Grössere Summen aus dem Täufergutsfond wurden für Subven­ tionen der Schulhäuser und Kirchenbauten verwendet. So hat die Kirchgemeinde Schwarzenegg oberhalb Thun im Jahr 1692 einen grösseren Betrag für den Kirchenneubau erhalten. Ueber den Kirchenbau in Huttwil zu dessen Finan­ zierung 500 Gulden aus dem Täufergut genommen wurden, bemerkte der Schul- theiss : « Wir haben eine güldene Kanzel, aber hölzini Predig » .38) Auch ändern Zwecken musste das Täufergut dienen. So wurde in der « Kilchhöri » Walkringen ein Täufergut von 2000 Pfund, das man dem Täuferlehrer Bendicht Schneider gewaltsam enteignet hatte, « zu besserer Erhaltung der Armen dieser Gmeind » überlassen. Manchmal wurden die Kosten für Reparaturen von Kirch­ türmen, Umgiesen der Glocken, Anschaffung von Kirchstühlen u.s.w. aus dem Täufergutsfond bestritten. Aus dem Vermögen der Täuferin Cathrin Ramseier

36) Mandat vom 6. März 1690. Mandatenbuch IX. Staatsarchiv Bern.

37) Kurt Guggisberg: Berniche Kirchengeschichte. S. 361.

38) Dito. S. 435.

432 von Münsingen wurden sogar 200 Pfund der Täuferkammer, dem « geistlichen Gerichtstribunal » zugewiesen. In einem weiteren Band, dem « Geltstag-Rodel» im bernischen Staatsar­ chiv, werden die « Täufer-Geltstage » (Konkurse) aufgeführt. Dass nur Täufer in diesem Verzeichnis aufgeführt sind, ist auffallend und lässt nach unserem Dafürhalten auf eine verkappte Güterkonfiskation schliessen. Dem Ulrich Sterchi zu Häuseren bei Trub wurde als einem « von Wiedertäufer Verführten » im Jahr 1699 der Geltstag eröffnet, obwohl die amtliche Schätzung seines Ver­ mögens noch einen Aktivsaldo von 4700 Pfund nachweist. Der kunstvoll geschriebene « Theillungs-Brieff » (Bilderseite 1) des Felix Ryser « aus dem Gricht und Kilchhöri Sumiswald », gehört in denselben Zu­ sammenhang. Ryser war einer von denen, die sich « des Lands geäusseret» hatten, und zwar nicht freiwillig, sonst wäre sein Gut nicht erst nach seinem Wegzug an seine Schwestern aufgeteilt worden. Dem Täufer Hans Reinhard von Eriswil wurde am 27. Juli 1698 Heimwesen und Hausrat zum Pauschal­ preis von 3004 Pfund versteigert. Der spottniedrige Preis lässt vermuten, dass es auch da nicht mit lauteren Dingen zugegangen ist. Es muss aber doch erwähnt werden, dass in gewissen Fällen den Täufern etwas zurückerstattet wurde. Von Sumiswald wird berichtet, dass dem Ulrich Meister, einem « Widertäufer in der Kurtzenei », 1821 Pfund zurückerstattet worden sind. Das Mandat vom 8. September 1670 verbot strengstens, solchen Leuten Raum zu ihren Versammlungen zur Verfügung zu stellen, ebenso die Täufer zu « behausen » und zu « behoffen » (Unterkunft zu geben). Darauf standen sehr hohe Strafen. Aus den Verzeichnissen der Landvögte ist ersichtlich, dass einzelne Täufer hohe Geldbussen bis zu 1000 Pfund und darüber hinaus bezahlen mussten. Eine amtliche Mitteilung vom 5. November 1670 lautet : « W ir habend, dem der widertöfferen halb ausgangen Mandat nach, zwen halsstarrigen, selbi­ gen Sect zugetanen Gesellen, deren der einte aus unserem Ampt Trachselwald nahmens Durs Aehi, der andere von Höticken namens Hans Haldimann, welche weder sich bekehren noch das Land räumen wollen, durch unsere Profosen an die Grentzen führen lassen. » Da befürchtet wurde, diese zwei Täuferführer könnten wieder zurückkehren und « mit ihrem Sauerteig auch andere anstecken », erging gleichzeitig der Befehl, auf sie zu achten.39) Sie seien bei Betreten des Landes kraft des Mandats « auszuschmeitzen » und zudem noch mit dem « Brön- neysen gezeichnet » abermals fortzuweisen. Bei ihrem dritten Widererscheinen seien sie zu fernerer Strafordnung in Haft zu setzen. Es dauerte lang, bis es endlich gelang, diesen gesuchten Täuferlehrer Aebi zu fangen und nach Bern zu führen. Zum zweitenmal wurde er samt seiner Frau eingefangen. Die beiden wurden auf Befehl der Obrigkeit wieder ins Schloss Trachselwald gebracht und dort sechs Tage gefangen gehalten. Dann

39) Mandatenbuch V I I I /556, 562. Staatsarchiv Bern.

433

28 öffnete sich ihnen die Kerkertüre. Die beiden älteren Leutchen wurden, eins nach dem ändern, auf die « Schmeitzbank » gelegt und vom Wasenmeister « aus- geschmeitzt ». Dann wurden sie an die Grenze geführt und erhielten ein Reise­ geld von 33 Pfd. 6 Bazen.40) Aebi kehrte aber wieder zurück und musste als alter Mann nochmals ins Zuchthaus nach Bern wandern. Dass die reformierte Kirche, resp. die streng kirchlich gesinnten Staats­ beamten zu solchen Bekehrungsmethoden griffen, ist furchtbar. In Trachselwald können die Gefängniszellen, die im Schlossturm erhalten geblieben sind noch heute besichtigt werden. Diese schwer verriegelten kleinen Kerker ohne Fenster, in welche nur durch eine kleine Oeffnung einwenig Tageslicht eindringen konnte, in denen es kein Bett, sondern nur eine Britsche zum liegen gab, haben etwas Schauerliches. Und das nannte man Methoden der Bekehrung zur rechten christ­ lichen Kirche. (Bild Nr. 34). Die Verfolgung nahm in den Jahren 1670-1671 die Gestalt von wahren Hetzjagden an. Viele Täufer wurden gefänglich eingezogen und « gan Bern geschickt ». Dort harrte ihrer ein schweres Los. Im Waisenhaus oder der Insel mussten sie oft jahrelang Zwangsarbeit verrichten. Am 28. November 1670 erging der Befehl an die Amtleute, die Lehrer alsbald « alher ins Schallenwerk » zu schicken, da diese « unbekehrsame Lätzköpf » immer wieder « im Land sich zu verschleufen » suchten. Damit man sie nicht aus den Augen verliere, sandte der Rat an die Amtleute ein Verzeichnis aller ihm bekannten Täufer. Bei der Ausführung obiger Befehle zeigten sich aber bald Schwierigkeiten. Der Rat veröffentlichte deshalb am 7. Januar 1671 eine Erläuterung, wie die gegebenen Verordnungen gehandhabt werden sollten. Was die Kosten zur Be- händigung des « widerspenstigen Gesind » anbelange, solle mehr Sparsamkeit geübt werden. Da die Täufer oft auf ihre Güter zur Täuschung der Obrigkeit « Gültbriefe » hätten ausstellen lassen, müsse dieser Umweg, der Güterkonfis­ kation zu entgehen, streng « examiniert » werden. Die Amtleute erhielten Wei­ sung, einander Handreichung widerfahren zu lassen, damit die Täufer nicht von einem Amt ins andere sich begeben und so der Gefahr der Behändigung entgehen könnten. Um diese Leute besser ausfindig zu machen, sei eine förmliche «■ Aus­ musterung » in allen Aemtern anzuordnen. Aller Mannschaft, sowohl den Haus­ vätern wie den Jünglingen, die das 15. Altersjahr erreicht hätten, solle das Landgericht den Huldigungseid abnehmen, und es sollten jeweils in einer Ge­ meinde nur so viele zum Eidschwur zugelassen werden, dass man hören und sehen könne, ob jeder wirklich schwöre. Solche « Eidshuldigung » habe jeweils nach der Predigt stattzufinden. Die Prädikanten sollten sich darnach richten und sowohl die Hausväter wie auch die Kinder in einem Rodel verzeichnen. Die obgenannte Ausmusterung war das Vorspiel zu einer allgemeinen Lan­ desverweisung. « Die Weibspersonen dieser ungehorsamen rott » sollten eben­

40) Hans Käser, in: «Brosamen» Jd. 1926.

434 falls aus dem Land geschickt werden, ausgenommen die Schwangeren bis zu ihrer Genesung. Die « gar Alten und Uebelmögenden », die nicht ausgemustert werden könnten, seien ins Waisenhaus zu schicken, wo sie bis zu ihrem « Absterben » erhalten werden sollten. Zu diesen gehörte « sonderlich der 84jährige boss­ hafte ertztäufer Jakob Schlappach ». Den Höhepunkt der Verfolgung im 17. Jahrhundert bildete der Ratsbe­ schluss, die Täufer auf die Galeeren zu verschicken. Unter dem Datum vom 7. März 1671 wurde an alle Amtleute und Venner folgendes Kreisschreiben gerichtet :

« Schultheiss und Rat der Stadt Bern Wir schickend eine anzahl derjenigen unserer Ungehorsamen Unterthanen der sogenannten Teüffern an eisen gefesselt in Italien auff die venetianische Galeeren zur Ruderarbeit und sind steiff entschlossen wider alle die, so sich solcher gestalten Ungehorsam erzeigend gleicherweise zu verfahren. Damit nun dies sonderlich an denen Orten, da ihre Anhänger sich aufhaltend, kund und ruchbar gemacht werde, befehlchend wir dir, wie gegen ändern unsern Ambt- leuten auch beschieht, solches in deiner Ambts-Verwaltung erschallen zu las­ sen und mit der Exekution der wider sie ausgangenen Mandaten zugleich drauff zu drücken, volgends was es gewürkt uns von Zeit zu Zeit zeberich- ten. »*’)

Die Galeerenstrafe war beinahe so gefürchtet wie der Tod. Es ist traurig, dass eine evangelische Obrigkeit solche grausame Mittel gebrauchte, während sie die Verfolgung der Hugenotten im katholischen Frankreich so scharf tadelte. « Bern wetteiferte mit den ändern evangelischen Ständen, solche unglücklichen Hugenotten von ihren Ruderbänken loszukaufen, für sie diplomatisch zu inter­ venieren und die Befreiten zu versorgen. Und dasselbe Bern lieferte gleichzeitig Täufer auf die Galeeren » .42) Dass der bernische Theologe Christoph Lüthard im Jahr 1648 mit beredten Worten das Elend und die Bedrängnis der Walden­ ser schilderte, dass hierauf Bern eine Geldsumme für diese Verfolgten zur Ver­ fügung stellte und auch den Herzog von Savoyen zur Milde zu stimmen ver­ suchte, während zu gleicher Zeit dasselbe Bern die Täufer mit solchen bruta­ len Massnahmen verfolgte, muss als widerliche Politik betrachtet werden.43) Was den Rat zu diesem Entschluss bewog ist in den folgenden Worten deutlich gesagt : « damit der Schrecken in diesere leuth gejagt werde, sollen etliche der bössten täufferen den galeeren zugeführt werden. » Die Geduld der Obrigkeit mit diesen « ungehorsamen halsstarrigen Lätzköpfen » war erschöpft. Die schon in dem Gutachten der Geistlichen vom Jahr 1670 vorgesehene Strenge sollte nun zur Anwendung gelangen.

4 1) Mandatenbuch VIII/575. Staatsarchiv Bern. 4a) Ernst M üller: a. a. O . S. 215.

43) Kurt Guggisberg: a. a. O. S. 308.

435 Vorerst wurden 12 Täufer verurteilt : sie sollten nach Bergamo geschafft und daselbst der venezianischen Behörde zu zweijährigem Galeerendienst über­ geben werden. Zwei von ihnen versprachen hierauf Gehorsam, vier gelobten das Land zu räumen. Die übrigen sechs wurden Donnerstag den 16. März an­ einander gefesselt, in Thun auf ein Schiff gebracht, von da über Interlaken nach Brienz geführt, von wo die Reise zu Land über die Alpen bis Bergamo ging. In einem alten Täuferlied ist wohl von diesen sechs, die nach Venedig gebracht worden sind, die Rede : « Sy haben sechs Brüder genommen, geschmit ins eisen hinein, aufs meer thun sie die schicken, Gott wöll ihr seelen hauptmann sein.»

Mit ziemlicher Sicherheit ist anzunehmen, dass zwei von diesen Sklaven die Brüder Hans und Melchior Lötscher von Latterbach gewesen sind44), die 1666 im Berner Waisenhaus gefangen gewesen, dann im August 1667 von dort entflohen, wieder ergriffen, bis 1671 gefangen gehalten und dann als Galeeren­ sträflinge abgeführt worden waren. Ende 1673 kehrten sie von den Galeeren in die Berner Heimat zurück. Diesem Hans Lötscher verdanken wir das im 10. Kapitel genannte Verzeichnis der hingerichteten Berner Täufer. Das geseg­ nete Geschlecht der Lötscher, aus welchem mehrere Lehrer der Taufgesinnten hervorgegangen sind, ist viele Generationen hindurch dem Täuferglauben treu geblieben. Indessen nahmen die Verfolgungen der Täufer in Bern ihren Fortgang. Die Verhältnisse wurden auf die Dauer unhaltbar. Die Bedrängnis wuchs, und die Dinge spitzten sich immer mehr zu, bis es im Jahr 1671 zu einer grossen gewaltsamen Vertreibung kam. Etwa 700 Personen zogen aus dem Bernerland nach der Pfalz. Im elendesten Zustand kamen sie daselbst an. Jakob Everling, Aeltester der Gemeinde Obersülzen setzte sich als Vermittler für sie ein. Er schilderte den Brüdern in Holland in ergreifenden Briefen die traurige Lage der Schweizer Täufer im Bernergebiet. Der Geschichtsschreiber Thielemann Janzen van Braght besuchte die Flüchtlinge in der Pfalz und fand ihren Zustand so wie ihn Everling beschrieben hatte. W ir lassen Auszüge aus diesen Briefen, welche von Braght im Märtyrerspiegel veröffentlicht hat, folgen :

«Den 7. April 1671. Was das Ersuchen der Freunde wegen des Zustandes unserer schweizeri­ schen Brüder im Berner Gebiete betrifft, so verhält es sich so, dass dieselben in einem betrüben Zustande sind, wie wir aus dem Munde der Flüchlinge, die bei uns angekommen sind, deren einige noch gegenwärtig in meinem Hause sind, vernommen haben. Denn dieselben sagen, dass man sie täglich mit Pro- fosen aufsuche und alle, die sie erwischen können, gefänglich nach der Stadt Bern führen, so dass vor ungefähr vier Wochen schon an 40 Personen, sowohl Männer als Weiber in Verhaft gewesen seien. Sie haben auch einige gegeisselt

44) Adolf Fluri: Die Lötscher von Latterbach. S. 16.

436 und des Landes verwiesen, von welchen einer bei uns hier angekommen ist. Auch haben sie einen Diener des Worts gegeisselt und ihn sodann zum Lande hinausgeführt bis nach Burgund. Dort haben sie ihn erst gebrandmarkt und ihn dann unter die Franzosen laufen lassen. Weil er aber mit niemand reden konnte, so hat er wohl drei Tage mit dem verbrannten Leibe umhergehen müssen, ehe er verbunden werden und einige Erquickung gemessen konnte, so dass, als man ihn entkleidete, ihm der Eiter über den Rücken lief, wie mir ein Bruder, der bei dem Verbände geholfen, selbst erzählt hat. » (Dieser Diener war Heinrich Funck. Er zog dann nach dem Eisass.)

«Den 13. Oktober 1671 Dieses dienet zur Antwort auf dein Ansuchen wegen dem Zustand unserer unterdrückten Brüder in der Schweiz. Es ist nun dem also, dass den 11. dies, in dem vollen Rat zu Bern ist beschlossen worden : Dass die gefangenen Mannspersonen, die noch jung und stark sind, auch sollten auf die Galeeren gesandt werden, gleich wie sie vor diesem sechs von ihnen getan haben. Die alte unvermögende Leute wollen sie anders wohin schicken, oder sie in ewiger Gefangenschaft halten... Eben jetzt kommen hier bei mir an vier Brüder aus der Schweiz mit Weibern und Kindern und bringen Nachricht, dass noch viele unterwegs seien weil das Verfolgen und Auf suchen täglich zunimmt. Hiermit kürze ich ab, seid, nebst christlichem und brüderlichem Gruss, dem Allerhöchsten zur ewigen Seligkeit anbefohlen. Von eurem zugeneigten Freund und Bruder in Christo Jacob Everling. »

«Den 2. November 1671. Was unsere Freunde aus der Schweiz betrifft, so kommen dieselben jetzt in grösser Anzahl zu uns, so dass schon 200 Personen hieher gekommen sind, unter welchen viele Greise sich befinden, Männer sowohl als Weiber, die 70 80 ja 90 Jahre erreicht haben ; auch mehrere Krüppel und Lahme sind darunter. Sie trugen ihre Bündel auf dem Rücken, die Kinder aber auf dem Arme. Einige derselben waren wohlgemut, einigen aber flössen die Tränen über die Backen, insbesondere den Alten, unvermögenden Leuten, die in ihrem hohen Alter im Elende herumwandern und fremde Länder betreten mussten. Viele unter ihnen haben nichts worauf sie des Nachts schlafen, weshalb ich mit Hülfe anderer schon an 14 Tagen mich habe damit beschäftigen müssen, für ihre Herberge und übrige Notdurft Sorge zu tragen. Wir erwarten auch tä­ glich noch Zuwachs und hoffen, dass, wenn das Volk zum grössten Teil aus dem Lande ist, die Gefangenen alsdann auch die Freiheit erlangen werden. Darauf ist erfolgt, dass immer mehr der vertriebenen und flüchtigen Leute aus dem Schweizerland in die Pfalz gekommen sind, beinahe 700 Personen, alt und jung, unter welchen Haushaltungen mit 8,10 und 12 Kindern sich befanden, welche kaum so viel gerettet hatten, dass sie Reisgeld genug gehabt hätten. »

Einen mit obigen Mitteilungen übereinstimmenden Bericht erhielt die Ge­ meinde zu Rotterdam am 19. Dezember 1671 von der Gemeinde Krefeld in welchem der Bruder Jan Floh mitteilte, dass er am 21. Oktober von Heidelberg kommend zu Mannheim ungefähr 20 Glaubensbrüder angetroffen habe, welche tags zuvor von Bern hier angekommen seien. Sie böten einen erbärmlichen An­ blick. Seit mehr als einem Jahr hätten diese Leute nirgends mehr Ruhe gehabt.

437 Unter bitteren Tränen erzählten sie ihre betrübliche Lage, wie der Aufenthalt im Schweizerland sozusagen unmöglich geworden sei. Mit weinenden Augen mel­ deten sie, dass noch etwa 40 Personen aus der Schweiz erwartet würden. Etwa 100 Familien ihrer Glaubensgenossen seien schon in der Pfalz angekommen.45) Auf die Frage, warum sie nicht eher ausgewandert seien antworteten die Flüchtlinge : 1. Sie hätten gesehen, dass die Gemeinden trotz allem Leiden beständig zunähmen und sich eines steten Anwachsens erfreuten. Die Diener hätten dieses bedacht und seien besorgt gewesen, es möchte durch den Wegzug die blühende Ernte versäumt werden und viele von ihrem guten Vornehmen wieder abfallen. 2. Es sei nicht leicht gewesen aufzubrechen und nach ändern Ländern zu ziehen, weil es unter ihnen viele zerteilte Haushaltungen gebe, in welchen entweder nur der Mann oder nur die Frau der Täufergemeinde ange­ höre, weshalb beim Wegzug nicht nur mit einer Trennung der Ehegatten, son­ dern auch der Kinder hätte gerechnet werden müssen, was allerdings namen­ loses Elend verursacht haben würde. Die zahlreichen Schweizer Täufer, die sich in der Pfalz, zum Teil auch im- Elsass, niedergelassen hatten, suchten eine neue Heimat zu gründen. Von seiten der Pfälzer wurde ihnen weitgehend geholfen und ermöglicht, Güter zu pachten und so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die holländischen Brüder unter­ stützten sie mit Geldmitteln im Betrag von 11.000 Gulden. Mit den Brüdern, die in der Schweiz zurückgeblieben waren, unterhielten sie noch lange Zeit schriftliche Verbindung. Hatte auch die gewaltsame Vertreibung dem Täufertum in der Schweiz arg zugesetzt, so führte der Vernichtungskampf der Berner Regierung doch nicht zum Ziel. Als alle Gewaltmittel, das Täufertum auszurotten, versagten, erging unter dem Datum vom 15. Februar 1693 ein obrigkeitlicher Befehl « an ein ehrwürdigs Convent » (Kollegium der Geistlichen), sie sollten ihrerseits raten « was doch die Ursache dieses Sauerteigs » sei, und wie dem zunehmenden Täu­ fertum besser gewehrt werden könne. Sie wurden ersucht, ihr Gutbefinden schriftlich abzufassen und dem Rat zu übermitteln.46) Hierauf wurde von den Geistlichen der Stadt Bern ein ausführliches Gut­ achten ausgearbeitet. Dieses berühmte «Täufer - Memorial» befindet sich in mehreren Abschriften in der Berner Stadtbibliothek. In ihm werden die

« Ursachen der je mehr und mehr anwachsenden Widertäufer-Sect samt beigefügten Mitteln, wie solchem Uebel abzuhelfen »

dargelegt. Das Aktenstück ist ein Beweis dafür, dass auf kirchlicher Seite schliess­ lich der Gedanke erwachte, es könnte die Schuld an der allgemeinen Entsitt­ lichung im eigenen Lager zu suchen sein. Ganz offen wird auf das liederliche,

45) Der Geschichtsschreiber Pfarrer Müller veröffentlichte ein Verzeichnis von 75 Familien, in welchem die Flüchtlinge mit Namen angeführt sind.

46) Ratsmanual 233- 331. Staatsarchiv Bern.

438 lasterhafte Leben bei den Regierenden, den Geistlichen und der Bevölkerung hingewiesen. Anderseits stellt das Schriftstück den Täufern ungewollt das denk­ bar beste Zeugnis aus : durch das Exempel der Liebe und Wohltätigkeit, welche die Täuferleute sich gegenseitig erwiesen, seien viele angelockt und zum Irrglauben verleitet worden ; während auf Seiten der Pfarrer die familiäre Privatunterweisung und freundliches Zusprechen vermisst, ja sogar das lautere Wort Gottes nicht einfältig genug « in Beweisung des Geistes », gepredigt werde, beweise gerade das Beispiel der täuferisch Gesinnten genugsam, dass die evan­ gelische Einfalt, Demut, Sanftmut, Selbstverleugnung und Liebe eines frommen gottseligen Wandels beim Volk die beste Predigt sei. Hierauf werden die Mittel zur Beseitigung der « anstöss und ergernüssen in Lehr und Leben » genannt. Es soll eine durchgreifende Reformation in allen Ständen durchgeführt, besonders soll das Wort Gottes wieder einfältig und gründlich erklärt werden, damit die Erkenntnis des Heils vermehrt werde und das Wort Christi reichlich unter dem Volk wohne. Auf dieses Gutachten hin wurden, statt dass die geforderte Reformation durchgeführt worden wäre, die alten Mandate aufs neue in Kraft gesetzt. Am 10. Juli 1693 veröffentlichte der Rat einen nahezu unveränderten Neudruck des Mandats vom 9. August 1659. Neu darin ist das im Oktober 1671 verordne- te Mittel der Geiselnahme: da in einzelnen Gemeinden die Behörden aus Gründen der Freundschaft und Verwandtschaft mit Täufern nicht die gewün­ schte Mithilfe bei deren Vertreibung erzeigten, sollten aus diesen Gemeinden je zwei « von den Habhaftesten und Ehesten für Gysel allhero in unser Haupt­ statt » geschickt werden. Die erhoffte Neugestaltung und Verbesserung der Zustände schlug also ins Gegenteil um. Trotz der bisherigen Misserfolge wollte die Berner Regierung den Kampf mit dem Täufertum nicht aufgeben, sondern bis zum äussersten führen. Das trat besonders in der strengen « Widertäuffer-Ordnung » vom Februar 1695 zu Tage. Erneut war die Obrigkeit entschlossen, « mit Gottes Hülff und Beystand dieses Unkraut in unseren Landen auszuwurzlen. » Alle erdenklichen Mittel sollten angewendet werden, « biss solche Leut völlig behendiget und ausge­ mustert sein werdind. » Die aus der Verbannung Zurückkehrenden sollten nach Bern in die Gefangenschaft geführt und ans Eisen geschlagen werden. Für jeden eingelieferten Lehrer wollte die Obrigkeit 100 Reichstaler bezahlen. Bei 50 Pfund Busse war es jedem Bürger verboten, eine Dienstperson einzustellen oder irgend etwas an jemand zu vermieten, der nicht einen Beglaubigungsschein von seiner Heimatgemeinde aufweisen konnte, dass er ein ehrlicher und gehorsamer Untertan sei. Dadurch sollte den Täuferleuten der Aufenthalt im ganzen ber­ nischen Gebiet verunmöglicht werden. Da die weiblichen Personen bei der « Eidshuldigung» nicht zugegen waren, sollten die Kirchendiener alljährlich eine Hausmusterung durchführen, das ganze Hausgesinde aufschreiben und mit Fleiss darauf achten, « ob sie die Predigen, Kinderlehren und Unterweisung der Alten, wie auch die heiligen

439 Sakramente besuchind, ihre Kinder nicht zu rechter Zeit oder gar nicht touffen lassind. » Dadurch wurde der Dienst der Geistlichen sozusagen zur Polizei­ aktion erniedrigt. « Die gar alten und presthaften Weibspersonen aber, wann vorläufiges Zusprechen und Vermahnen nicht Platz finden mag, sollend gewahr- samlich allhero in unsere Insel, an dazu bereitete Ort geführt, und allda in ihren Kosten in ewige Gefangenschaft gelegt, und ohne Versprechen des schuldi­ gen Gehorsams nicht losgelassen werden. » Vorsorglich steht noch der Zusatz « dass niemand mit selbigen wird reden noch... sie wird losmachen können. » Ein wahrhaft blinder Fanatismus scheint die Behörden in Bern beseelt zu haben. Noch über Tod und Grab hinaus tobte die Verfolgungswut der erbitter­ ten Regierung, wie die folgende Verordnung beweist : Weil diese Täuferleute sich scheuen, mit den übrigen Untertanen die Kirchen und Gottesdienste zu besuchen und sich also mutwillig absondern, « so wollend wir hiemit auch selbige von der Kirche ausgeschlossen, und hiemit geordnet haben : dass alle im Land diesem Irrtum und Eigesinnnigkeit absterbende Manns- und Weibs­ personen auff keinen Kirchhof oder sonst gewohnte Grabstell begraben werden söllind. » 47) Nach einem ändern Beschluss sollte « die Begräbnis der Teuffern ohne begleit und ohne geleut verrichtet werden. » In der Kurzenei bei Wasen wird heute noch ein versteckter Ort, das « Täuferloch », gezeigt, wo in der Verfolgungszeit die Täufer ihre Toten begruben.4S) Im Jahr 1693 wurde in Bern eine Kampfschrift gegen die Täufer gedruckt, die den Pfarrer in Lützelflüh, Georg Thormann (1655-1708) zum Verfasser hatte. Der Titel lautet : « Trobier-Stein, oder schrifftmässige und aus dem wahren innerlichen Christentumb hargenommene, gewissenhaffte Prüffung des Täuffer- thums. » Der Verfasser versucht nicht, wie seine Vorgänger in der Reforma­ tionszeit, nur mit Schlagwörten das Täufertum zu « vermalledeyen », sondern durch « sachliche Beweisgründe » den « Irrtum » desselben darzulegen. Bevor Thormann auf das eigentliche Thema eingeht, schildert er in der Einleitung die beiden Stände : « die hohe Obrigkeit von Gott gesetzet und verordnet» und « den Geistlichen Gewalt des Hochwichtigen Predigtamptes der Seel vor­ zustehen. » Er nennt die Vertreter des Staates « bestellte Säugammen und Pflegväter der Kirchen » und unter Berufung aus Jesaja 49 sogar « Statthalter Gottes », ja « Götter », die « Gottes Herrlichkeit vorstellen sollen auf Erden », und « Wächter über das Haus Israel... Gottes und Diener Christi, ja Gesandte und Botschafter an Christi Statt », die dem « entstandenen Täufertumb » ent­ gegenzutreten hätten. In einem « kurzen Entwurf des Ursprungs, Herkommens und Zunehmens der Teuffer-Leuten in diesen Landen» kommt Thormann sogleich auf die Zwickauer Propheten und Thomas Münzer zu sprechen, der Hubmaier, Manz und Grebel verführt habe, so dass später auch Menno Simons, « Haupt und

47) Widertäuffer-Ordnung, A, D. 139- Stadtbibliothek Bern.

48) Wochenblatt Zionspilger Nr. 18. Jd. I 890.

440 Stammvater der niederländischen Mennoniten», verführt worden sei. Dabei stützt er sich offenbar auf die altbekannten Behauptungen Heinrich Bullingers. Das Ueberhandnehmen des Täufertums im Emmental sei auch der Anlass zu seinem Traktat. In ihm solle erwiesen werden, « dass in den streitigen Punkten die Wahrheit auf unserer Seite und das Unrecht auf Seite des Täufertums » sei. In der Einleitung kommt der Verfasser zu der Feststellung, « dass das Land-Volk bei uns ein sehr grosse Hochachtung traget gegen die Täuffer-Leuthe, also dass ihrer viel sie anschauen als Heilige, als das Salz der Erden, also das wahre auserwählte Geschlecht und der rechte Kern aller Christen » ; deshalb sei es hohe Zeit, dem Täufertum zu wehren, sagt er, fügt aber bei : « die Wieder­ bringung aller Täuffer Leuthen betreffend, ist solche zwar mehr zu wünschen als zu hoffen. » Georg Thormann gliedert seine Ausführungen in drei Abschnitte. In einem ersten Teil versucht er die « Schein-Gründen, die das Landvolk bewegen, eine so grosse Hochachtung gegen die Teüffer-Leuthe zu haben », zu entkräften. Er kann zwar die Tatsache, dass die meisten Täufer ein sittenstrenges Leben führen, nicht wegleugnen, wie er selbst bezeugt : « Wie ich in der Tat befun­ den hab, dass viele dieser Leuten stille eingezogene Leute sind, die da trachten ihr Gewissen unverletzet zu behalten, ohngeachtet aller Gefahr, die ihnen hierüber entstehen möchte. » Doch sei ihre Freudigkeit und Standhaftigkeit im Leiden noch kein Beweis ihrer Aufrichtigkeit. Sie entsprächen vielmehr « einem blinden Eyffer und einem ganz irrenden Gewissen. » Niemand von der Kirche habe je versucht, « sie von Christo abtrünnig zu machen » ; auch der Obrigkeit « Befehle und Mandate, den Gottesdienst betreffend, weisen auf Christum allein ». Ihre Leiden seien selbstverschuldet, da sie in ein fremdes Amt griffen und sich « ohne rechtmässsigen ordentlichen Beruf zu öffentlichen Lehrern der Kirchen » aufwürfen. In Bern herrsche die « Stants-Regel », dass gar keine fremde Religion geduldet werde, da solches wider alle « Lands-Gesetze und Lands Gebräuche » verstosse, unter Umständen sogar die « Lands-Sicherheit » gefährde. Eigentlich könnten sich die Täufer ihres Märtyrertums nicht rühmen, denn die reformierte Kirche habe unter den Hugenotten in Frankreich eine viel grössere Zahl von Märtyrern als sie. Die Massnahmen gegen die Hugenotten bezeichnete Thormann als Gewissenszwang, jedoch das Vorgehen der Schweizer gegen die Täufer als voll berechtigt; denn die schweizerische Obrigkeit habe nie freie Religionsübung zugesichert wie die Franzosen in dem Edikt von Nantes. Der Unterschied bestehe also darin, dass die Hugenotten wegen ihrer Religion gelitten hätten, die Berner Täufer aber wegen Ungehorsam. Welche Konsequenz ! Schliesslich kommt der Verfasser noch auf den Umstand zu sprechen, dass die Täuferprediger arme unstudierte Handwerksleute seien, aber mit « heiligem Eifer », ja mit « Kraft und Nachdruck » predigten. Zunächst stellt er fest, dass es keiner besondern Erleuchtung durch den heiligen Geist bedürfe,

441 um erbauliche Ermahnungen an das Volk zu richten ; dazu genüge, « etwelche natürliche Wolredenheit. » Die einfältige und natürliche Weise sei eben viel eindrücklicher als die wissenschaftlich « studierte » Predigt; jene sei aber kein Kennzeichen einer besonderen Kraft des Geistes. Es sei eine Frechheit, die Unfruchtbarkeit der Predigt der Kirchlichen anzuprangern. Wenn auch nicht aller ausgestreute Same Frucht trage, so bestätige doch immerhin das Gleichnis vom Säemenn, dass ein vierter Teil Frucht bringe. Die Täufer sollten bedenken, dass auch ihr Netz nicht nur Gute, sondern auch faule Fische enthalte, das beweise ihre Anwendung des Bannes. Ein ganz bedenkliches Argument scheint dem Pfarrer Thormann die Tat­ sache zu sein, dass bussfertige Sünder « in dem Täuferthumb die innere Ruhe finden, und ihre Seelen zum Frieden gelangen. » Er geht sogar so weit diesen Frieden dem Klosterleben zu vergleichen, und bezeichnet die Angst einer um das Heil bekümmerten Seele als melancholisch, als Ausdruck eines irrenden Gewissens, ja als eine gefährliche Versuchung Satans. Im zweiten Teil seiner Schrift verneint Thormann die täuferische These, « dass es zur Seligkeit notwendig seye, dass man ein Täufer werde », und behauptet, « dass es zur Seligkeit vielmehr höchst gefährlich seye, ein Täufer zu werden. » Er wolle zwar niemand von dieser Bruderschaft abhalten, aber er finde es höchst gefährlich, « seine Seele verstricken », dazu die « christliche Obrigkeit betrüben. » Die strittigen Punkte seien nur äusserliche Kirchenge­ bräuche : die Kirche hindere doch niemand an Jesus zu glauben und Nächsten­ liebe zu üben. Schliesslich stösst Thormann zur Kernfrage vor : « Ob man mit gutem Gewissen könne Kirchengemeinschaft mit uns pflegen wie es erfordert wird ? » Um diese Frage zu beantworten, spricht er alsbald von der Kindertaufe, welche er mit der zwinglischen These, die Taufe entspreche der Beschneidung, recht­ fertigt. Nach Apg. 10,14 solle man alle taufen die den heiligen Geist empfan­ gen haben ; da « auch unsere Kinder des heiligen Geistes teilhaftig » seien, dürfe man ihnen das Taufwasser nicht verwehren, « sintemal der Tauf ihnen ein immerwährende Obligation und Verpflichtung ist, vor den Augen, die sie zum christlichen Leben antreiben kann und soll. » Er muss aber zugeben, dass da « wo die Wiedergeburt, die Begrabung des alten Menschen, die Anziehung Christi und die Frag eines guten Gewissens zu dem Wasser nicht hinzukom­ men », keine rechte Taufe sei, bis « die Kraft des Taufs ausschlagt » und wirksam werde. Des weitern kommt Thormann auf die « Geistliche Hauptpflicht » « dass ihr mit uns Kirchengemeinschaft pfleget » zu sprechen. In allerlei Redewen­ dungen sucht er diese Forderung zu rechtfertigen und gelangt inbezug auf den Bann zu der Feststellung, dass das « Ober-Chorgericht zu B ärn » den mit « Polizeisünden » behafteten Personen das Abendmahl verweigere, bis sie ihre « Kirchen-Straff» abgebüsst hätten. Dass, wie Thormann sagt, die Absonde­ rung nicht die « Geistliche Kirchengemeinschaft », sondern nur leibliche Freund-

442 Schaftsbezeugungen » betreffe, dass es gelte aus « dem Babel in der Kirche », nicht aber « aus der Kirche und Babels willen » auszutreten, da Judas ein Judas auch inmitten der Apostel bleibe. Diese Auffassung ist doch wohl eine etwas sonderbare Interpretation der Schriftwahrheit. Das von den Täufern so oft geforderte Recht des Laien zu predigen wird von Thormann strikte abgelehnt mit der Begründung, die im 1. Korintherbrief erwähnte Gabe der « Prophezey » sei in den ersten Jahrhunderten erloschen ; heute habe der staatlich ordinierte Pfarrer das alleinige Recht zu lehren. Wenn es in der Kirche auch « blosse Buchstabengelehrte » gebe, so gebe es doch auch « wahre Gottes-Gelehrte ». Im ersten Fall sei die Gemeinde, und nicht zuletzt auch das Täufertum, selber schuld ; denn man habe offenbar nicht inständig genug einen wahren Hirten von Gott erbeten. Zudem gelte nach dem Beispiel der Christen von Beröa in Apostelgeschichte 17, 11, auch das Wort : « Prüfet alles und das Gute behaltet » (1 Tess, 5, 21). Es könne ja von den Lehrern auch nicht gerade « englische Vollkommenheit » gefordert werden. Zu den « Untertans-Pflichten » eines jeden Staatsbürgers rechnet der Ver­ fasser auch den Gebrauch der Waffen und die Eidesleistung als allgemeine Huldigung der Untertanen, Pflichten, welche er mit einer Anzahl Bibelverse zu verchristlichen sucht. Das Schwören des Eids sei « Christen-Pflicht ». Das Nichtschwören der Täufer aus Gehorsam gegenüber dem Evangelium sei im- tiefsten Grund ein Ungehorsam gegen dasselbe. In längeren Ausführungen sucht der Verfasser seine Auffassung zu begründen und mit der Bibel zu belegen. Seine Darlegung entwickelt sich aber zu einem grossen Teil aus einem über­ betonten Staatsbegriff, den er auf das Alte Testament gründet. Auch den Krieg, sagt er, « getraue ich klärlich beweisen zu können aus Gottes heiligem Wort. » Er entspreche dem « Rach-Willen Gottes », oder, wie er sich ausdrückte : Gott verhängt den Krieg sowohl als Teurung und Pestilenz. » Es tönt leicht ironisch, wenn Thormann behauptet, man solle das Schwert in Liebe gebrauchen, also « in Liebe töten ». Wenn das Töten Befehl der Obrigkeit sei, so möge man solches wohl tun, denn was die Obrigkeit tue, sei « das Werk des Herren. » Im dritten Teil seiner Schrift kommt Thormann auf « ganz bedenkliche Schattenseiten » des Täufertums zu sprechen. Der beste Beweis, dass sie irrten seien doch die münsterischen Täufer, die die « Baalspfaffen » ausrotten wollten. Wer wisse ob die Täufer, wenn sie « einmal Meister in dem Land wären » nicht « die Hörner bald zeigen würden », obschon sie die Rache heute ver­ neinten. Der Verfasser stellt sogar die Behauptung auf, der « unselige Bauern­ krieg » sei « von den Täufer-Leuthen in einer Täuffer Stuben angezettelt und angesponnen worden », spinnt also die Behauptung von Bullinger weiter. Wenn es auch solche unter ihnen gebe, die « Lammes-Art » hätten, so fänden sich unter ihnen auch genug mit « Löwen-Klauen ». Wenn Thormann die nächtli­ chen Zusammenkünfte der Täufer in Wäldern und Schlupfwinkeln als Gelegen­ heit zur Ausübung von Unzucht und Blutschande bezeichnet, wird er vollends zum Verleumder. Er fügt zwar bei, allen üblen Nachreden glaube er nicht, fährt

443 aber fort, immerhin gelte das Sprichwort: « Kein Rauch ohne Feuer ! » Dass sich der Verfasser hiermit in einen Widerspruch verrennt scheint er gar nicht zu merken ; er scheint vergessen zu haben, dass er im ersten Teil seiner Schrift den Täufern das denkbar beste Zeugnis ausgestellt hat. Besonders regt sich der Verfasser darüber auf, dass die Täufer die Prädi­ kanten ablehnen, während er meint es sei bewiesen, dass das Täufertum « von dem wahren Wesen in Christo » ab und zum Schein und zur Heuchelei ver­ führe. Diese sieht er in ihrem « langsamen reden, mit leiser Stimme singen, sich des Wirtshauses, der Tauf- und Hochzeitsmählern entschlagen, nicht viel zu Markt gehen, nicht viel grützen, märkten, handeln und schacheren, willig sein zu leiden... einen feinen Schein vor den Menschen zu geben eines stillen eingezogenen, ehrlichen frommen Wandels », was alles nur Schein der Gottse­ ligkeit sei. Man könne äusserlich die Demut spielen und doch innerlich voll Hoffart sein. Demut und Geistlichkeit der Engel (Kol. 2,18), wie die Täufer sie demonstrierten, seien verwerflich. Was den Täufern am meisten anzukrei­ den sei, sei die « Trennung von uns », von der Kirche, ihre Behauptung, « ihre Gemeind seye die wahre Kirch Jesu Christi, sein Leib und liebe Braut, die kleine Herde und das auserwählte Völklein seines Eigentums », was Thormann bestreitet ; sie seien vielmehr von « fleischlichem Parteigeist » beherrscht und hätten einen « seelengefährlichen geistlichen Hochmut. » Des weitern meint Thormann, das Täufertum führe zu einer blinden Werkgerechtigkeit; je weniger die Täufer « den Glauben trieben » desto mehr hielten sie die Früchte für den Baum selbst, das heisse doch den Wagen vor die Ross spannen und « alles hinterfür angreiffen. » Da sie den Glauben nicht in Vordergrund stellten, sei das Täufertum in den « Fundamental-Punkten » sehr gefährlich. « Eine von den grössten Sünden die ein Mensch begehen kann », ist nach Thormann die Absonderung « von seiner Mutter-Kirche ». « O wie viel Chris­ tenblut ist schon mittelst dieses Partey-Geistes vergossen worden », fährt Thor­ mann fort, als ob die Täufer dieses Blutvergiessen veranlasst hätten. Diese « unnötige Trennung » sei ein geistloses, fleischliches Werk. Doch zu Recht hielten ihnen die Täufer ihre Trennung von der römischen Kirche entgegen. Wenn die Täufer, meint der Schreiber, uns, die Prädikanten als die heutigen Pharisäer bezeichnen, so dürften sie selber « nicht weit von den Pharisäer­ gassen zu Hause sein. » Mit diesem allem glaubt Thormann seine Pflicht erfüllt und dafür gesorgt zu haben, « dass eure Hochachtung gegen diese Leuthe um ein ziemliches fallen » und die Begierde, zu ihnen überzutreten abnehmen wird. In dieser Zuversicht bringt er seine « getreuen, herzlich gemeinten und auf­ richtigen Vorstellungen » zum Abschluss. Auf Thormanns Schrift ist Walter Lädrach in seinem Täuferroman « Pas­ sion in Bern » eingegangen, in welchem er die Zeit des Schultheissen Johann Friedrich Willading (1641-1718) schildert. (Bild Nr. 35) Willading, der 1708 zum Schultheissen gewählt wurde, war ein brutaler, ehrgeiziger, mit diploma­

444 tischer Klugheit ausgerüsteter Staatsmann. Während seiner Regierungszeit haben die Täufer die « Tatze des Berner Bären » schwer zu spüren bekommen. Die im folgenden Kapitel geschilderten rabiaten Verfolgungsmethoden sind grossen- teils ihm zuzuschreiben.

* * *

All diese Verfolgungsstürme des 17. Jahrhunderts vermochten das Täu­ fertum in der Schweiz zwar stark zu erschüttern, aber nicht auszurotten. Kri­ tischer wurde die Situation, als der Kampf im eigenen Lager entbrannte und tiefgreifende Verwirrung stiftete. In den Schweizer Täufergemeinden wurde durch den Aeltesten eine Trennung hervorgerufen. Ammann glaubte, die rechte christliche Ordnung sei in den Gemeinden der Täufer einigermassen verloren gegangen. Er nahm sich deshalb vor, « den Tempel Gottes wieder auf die alte Hofstatt zu bauen. » Im Jahr 1693 bereiste er mit ändern Brüdern die Gemeinden in der Schweiz und suchte überall eine strengere Auffassung in Bezug auf die Gemeindezucht durchzusetzen. Er wollte diese schärfer handhaben und einen Bann einführen, der sogar Ehemeidung und Auflösung jeder äusseren Verbin­ dung umfasste. Hatte sich der Bann bisher meistens auf die Abendmahlsgemein­ schaft beschränkt, so sollte er jetzt auf das ganze bürgerliche Gemeinschafts­ leben ausgedehnt werden. Im Emmental kam Ammann zuerst zu dem Aeltesten Niklaus Moser in Friedersmatt bei Bowil und dann zu Peter Giger in Reutenen bei Zäziwil. Er fragte die beiden Diener, ob sie sich mit ihm zum Prinzip der Meidung beken­ nen wollten. Sie waren dafür nicht zu haben. Etwas später kamen wieder einige Diener und Aelteste in Niklaus Mosers Haus zusammen. Daselbst sollte die Sache besprochen und geregelt werden. Der Aelteste Hans Reist, der so­ genannte Hüssli Hans von Obertal bei Zäziwil, war auch eingeladen worden, aber nicht erschienen. Ammann fing an, Reist als einen Rottenmacher zu schel­ ten, der aus der christlichen Gemeinde ausgeschlossen und « gebannt » werden sollte. Die Brüder baten, doch um Gottes willen keine Verwirrung zu stiften und Geduld zu haben. Nur ein offenbarer Sünder, der in seiner Halsstarrig­ keit verharre, solle durch Gemeindebeschluss ausgeschlossen und gebannt werden, aber nicht Brüder wegen Meinungsverschiedenheiten. Doch alles Bitten und Vermahnen half nichts. Ammann kündigte seinen Gegnern die Bruder­ schaft auf und tat sie in den Bann. Mehrmals kam es zu heftigen Auseinander­ setzungen. Nun stellte sich Hans Reist an die Spitze derer, die Ammann ent­ gegentraten. Die Verstimmung wurde so tief und die Erbitterung so gross, dass alle Versuche einer Aussöhnung scheiterten. So standen die beiden Par­ teien einander gegenüber, einerseits die Ammischen und anderseits die Emmen­ taler, auch Reistsche genannt. Bald trat noch anderes trennend in den Vor­ dergrund, die Fusswaschung nach dem Abendmahl gemäss Johannes 13, sowie die strengen Kleidervorschriften auf Grund von 1. Petri 3,1-7.

445 Die Trennung dehnte sich bis nach dem Eisass und der Pfalz aus. Ammann bereiste die elsässischen Gemeinden, überall diejenigen mit dem Bann belegend, welche sich nicht seiner Ansicht fügten. Am 3. März 1694 trafen die Pfälzer Diener zu Ohnenheim ein Uebereinkommen mit den Schwei­ zern, wonach sie an ihrer bisherigen milderen Ansicht festhalten wollten. Das­ selbe unterschrieben neun Schweizer Diener und Aelteste und sieben Pfälzer. Ferner kamen die Brüder am 8. November 1697 in Markirch zusammen, um gegen die schroffe Haltung der Ammischen Stellung zu nehmen. Der Aelteste Hans Rudolf Nägeli und seine Mitarbeiter richteten unter dem Datum « 13. Tag Wintermonat 1697isten Jahr » von dort aus ein Schreiben an ihren Freund Hans Reist im Emmental und tadelten die Auffassung Ammanns, dass ausser­ halb der Meidung keine Seligkeit zu hoffen sei. Wenn die Erkenntnis des Wortes Gottes zunehme und das Licht der Wahrheit heller scheine, so werde man bald zu sehen vermögen, ob die Seligkeit in der Meidung oder in dem Verdienst Christi zu suchen sei. Trotz alledem blieben die Gemeinden getrennt. Ammann bereute später sein schroffes und heftiges Auftreten. In einem Schreiben, das er am 7. Februar 1700 an die Reistschen schickte heisst es : « W ir bekennen mit diesem stritti­ gen Handel und des strengen Bannes, den wir gegen euch gebraucht haben in dem Schweizerland, dass wir darin übel gefehlt haben... Darum sprechen wir euch herzlich um Geduld allesamt an, ihr wollet doch Geduld mit uns haben und den Herrn herzlich für uns bitten dass er uns alles aus Gnaden schenken wolle... ». Doch es war zu spät, der Riss war nicht mehr zu heilen, so dass jahrzehntelang die Gemeinden getrennt blieben. Aus dem Leben und der Wirksamkeit Hans Reists ist wenig bekannt ge­ worden, jedoch muss er ein bedeutender Lehrer der Täufer gewesen sein. In den Amtsrechnungen von Trachselwald vom Jahr 1670 wird Reist erwähnt : er sei mit seiner Frau, der Barbara geb. Ryser aus dem Lande gezogen ; wahr­ scheinlich verliess er das Land nicht freiwillig, denn damals fand die gewalt­ same Vertreibung von etwa 700 Täufern aus dem Bernerland statt. Der Beweis der Vertreibung liegt in dem Umstand, dass sein Heimwesen in Rothenbaum bei Affoltern im Emmental von der Obrigkeit beschlagnahmt und verkauft wurde. In dem Aktenband « Täufergeltstage » im Staatsarchiv Bern ist sein gesamtes lebendes und totes Inventar im einzelnen angeführt. Der Vorrat an Korn, sieben aufgerüstete Betten, ein Webstuhl, zwei Kühe, ein Kalb, ein Schwein, Heu und Stroh und eine Menge Hausgeräte, kurz seine ganze Vieh- und Fahrhabe wurde öffentlich versteigert. Nach Deckung der Schulden und erwachsenen Kosten blieb ein Ueberschuss von 854 Pfund, das dem Täufergut zugesprochen wurde. Also nicht einmal den Erlös aus dem verkauften Gut durfte Reist mitnehmen, alles wurde konfisziert, mittellos musste er das Land verlassen.49) 49) Dass Hans Reist in den Trennungsbriefen als wohnhaft in Obertal bei Zäziwil angegeben ist, muss wahrscheinlich so verstanden werden, dass er ursprünglich von dort stammte, nun aber sein Heim bei Affoltern gefunden hatte, welche Orte ziemlich weit auseinander liegen.

446 Reist muss aber aus der Verbannung zurückgekehrt sein, denn im Jahr 1686 wird in den Akten erwähnt, dass er sich wegen nächtlichen Täuferver-- sammlungen hätte verantworten sollen, aber « nit erschienen » sei. Erst 15 Jahre später hören wir wieder von ihm. In den Chorgerichtsmanualen von Dürrenroth, unter dem Datum v. Februar 1701 steht verzeichnet, dass « Hans Reist wägen seiner Teuferey » vor dem Landvogt und dem Chorgericht die « anhörung verbi dei (des Wortes Gottes) und « Gebrauch der Sacramen- torum » (des Abendmahls und der Taufe) geloben musste. Aber schon im Mai 1704 werden Klagen laut wegen « Hans Reistens des Täufers Weib », dass sie nicht zum Tisch des Herrn komme, dass sie und ihr Mann dagegen Samstag nachts in die Täuferversammlung gegangen und erst am Morgen heimgekehrt seien. An der durch Jakob Ammann hervorgerufenen Trennung der Täuferge­ meinden scheint Hans Reist schwer gelitten zu haben, wie aus einem Gebet, das im Druck vorliegt, ersichtlich ist. Darin bittet er, der heilige Vater möge sich der zerstreuten Gläubigen, die sich in Kreuz und Trübsal, in Kummer, Angst und Not befänden annehmen und ihnen zu Hilfe kommen. Die Bitte : « Verfass uns alle zusammen in deine väterliche grosse Liebe und lass kein Zweitracht oder Zerstreuung unter uns nirgends mehr kommen » ist der Seuf­ zer eines tief ergriffenen Herzens. Sein 46strophiges Lied « Es ist ein wunder­ schöne Gab » ist bei Rudolf Wolkan « Die Lieder der Wiedertäufer » und in dem kleinen « Handbüchlein », Biel 1867, abgedruckt. Der Schmerz über die Spaltung wurde überall in den taufgesinnten Kreisen tief empfunden. In der Schweiz kamen viele allmählich von der einseitigen Gesetzlichkeit Ammans wieder weg. Die schriftgemässe Verteidigung der milde­ ren Ansicht führte zu einer Befestigung derselben. Immerhin entbrannten wegen der hervorgetretenen Differenzen manchen­ orts, besonders im Eisass, schwere Kämpfe. Der Aelteste Gerrit Roosen von Hamburg richtete deshalb ein ermahnendes Schreiben an die Brüder im Eisass. Darin bedauert er, dass sie durch gesetzlich eingestellte Menschen beunruhigt worden seien. Er schreibt : « Meines Erachtens ist es was Paulus in Kolosser 2 sagt : Das Himmelreich oder Reich Gottes zu erben wird nicht erreicht durch Speise oder Trank, noch dieses oder jenes, in der Form oder Gestalt der Kleidung ; es bindet der Heiland uns nicht an äussere Dinge. Woher nimmt sich der Freund Ammann vor, dass er den Menschen Gesetze davon zu geben vornimmt, und die ihm nicht gehorchen wollen, aus der Gemeinde zu stossen ? Hält er sich denn für einen Diener des Evangeliums Jesu Christi und will das Gesetz äusserlich treiben, so muss er nicht zween Röcke haben, noch Geld im Seckel, noch Schuhe an den Füssen ». Ferner mahnt Roosen, sich nach Landes­ sitte zu kleiden, aber die Ueppigkeit, den Hochmut und die fleischlische Welt­ lust zu meiden, in der Niedrigkeit zu wandeln und die schwachen Gewissen nicht zu verwirren. Der Schluss des Briefes lau tet: « Die heilige Schrift muss unser Masstab sein, denn es ist gefährlich, in das Gericht Gottes zu treten und

447 zu binden, das im Himmel nicht gebunden ist. So viel aus Liebe und Wahrheit euch zum Dienst und Unterricht zum Guten geschrieben. » Erst Ende des 19. Jahrhunderts näherten sich die Ammischen in der Schweiz und im Eisass wieder den ändern Täufergemeinden und gingen sozusa­ gen in diesen auf. Die ganz Konservativen wanderten nach den Vereinigten Staaten aus und bildeten in Lancaster Country, Ohio und Indiana selbständige Gemeinden. In Amerika erkennt man die Ammischen schon an ihrer Kleider­ tracht, da bei ihnen nur « Häftli » und « Rickli » geduldet werden, denn : « Die mit Hacken und Oesen wird der Herr erlösen, die mit Knöpfen und Taschen wird der Teufel erhaschen. »

Auffallend ist auch ihre Haar- und Barttracht. Die verheirateten Männer tragen alle einen Kranz- oder Vollbart ohne Schnurbart (Bild Nr. 33), auf dem Kopf einen breitrandigen, schwarzen niedern Hut. Ihre konservative Haltung verbietet ihnen sogar Auto, Traktor, Telephon, Elektrizität, da all dies zu einem « hoffärtigem Leben » gehöre. Zur Predigt in den Bauernhäusern fahren sie mit ihrem Pferdegespann, dem Booggy. Allen Neuerungen gegenüber ver- schliessen sie sich. Es war für mich interessant zur Zeit der mennonitischen Weltkonferenz in Goshen (1948) mit diesen bärtigen Brüdern zusammenzutref­ fen, auch einmal einer ihrer Versammlungen beizuwohnen. Die Predigt wird noch immer in Deutsch gehalten, gesungen wird aus dem « Ausbund », unserem uralten Liederbuch.

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