26. Mai 2019 Vladimir Jurowski
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26. Mai 2019 Vladimir Jurowski „Der menschliche Geist kann zwar große Katastrophen und tragische Ereignisse überleben und am Ende sogar gestärkt aus ihnen hervorgehen, doch was dann letztlich einen Schutthaufen aus ihm macht, sind die erbarmungslosen, gleichgültigen und quälenden Banalitäten des modernen Lebens, denen wir uns fatalerweise angepasst haben – die hinterhältige, wachsende Ansammlung kleinlicher, tagtäglicher Seelentraumata, die den lebenswichtigen Fluss von Imagination und Bedeutung so zuverlässig durcheinanderbringen und behindern, wie Cholesterin die Arterien verstopft.“ Michael Leunig (geb. 1945) 4 PROGRAMM 5 So 26. Mai 19 20 Uhr Philharmonie Berlin RSB Philharmonie-Abo Gold RSB Abo Goldene Mischung Vladimir Jurowski Joseph Haydn Brett Dean Thomas Hampson / Bariton (1732 –1809) (geb. 1961) Gondwana Voices / Nationaler Sinfonie Nr. 45 fis-Moll Hob I:45 „Vexations and Devotions“ Jugendchor von Australien („Abschieds-Sinfonie“) auf Texte von Michael Leunig, Lyn Williams AM / Chordirektorin › Allegro assai Dorothy Porter und ergänzenden, Rundfunkchor Berlin › Adagio vom Komponisten ausgewählten James Wood / Choreinstudierung › Menuett. Allegretto – Trio Texten für Kinderchor, gemischten Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin › Finale. Presto – Adagio Chor und großes Orchester › Watching Others 18.45 Uhr, Südfoyer › Bell and Anti-Bell Einführung von Steffen Georgi Gustav Mahler › The Path to Your Door (1860 –1911) Fünf Lieder aus „Sieben Lieder aus letzter Zeit“ nach Gedichten von Friedrich Rückert für Singstimme und rlic tü h a Orchester n › „Blicke mir nicht in die Lieder“. Sehr lebhaft › „Liebst du um Schönheit“. Innig › „Ich atmet’ einen linden Duft“. Partner in der roc berlin Sehr zart und innig › „Um Mitternacht“. Ruhig, gleichmäßig Konzert mit › „Ich bin der Welt abhanden und gekommen“. Äußerst langsam und zurückhaltend Übertragung am 14. Juni 2019, 20.03 Uhr. Europaweit. In Berlin auf 89,6 MHz; Kabel 97,55; Digitalradio (DAB); Satellit; online und per App. Pause 6 Steffen Georgi Zopf ab! Obwohl es längst kein Geheimnis Joseph Haydn mehr ist, erzeugt es dennoch im- Sinfonie Nr. 45 fis-Moll mer wieder ungläubiges Staunen: Hob I:45 Unter der Perücke von Joseph Haydn lauert ein spritziger Geist, Besetzung der mit Vergnügen den ausüben- 2 Oboen, Fagott, 2 Hörner, den Musiker wie den genießen- Streicher den Hörer „befällt“ – und ihn gelegentlich vor sich herjagt. Dauer Vorausgesetzt, man erlaubt dem ca. 25 Minuten eigenen Geist den gefährlichen Umgang. Dann kann sich die Verlag immer wieder unterschätzte Doblinger Substanz der Musik von Haydn Wien entfalten in ihrer reinigenden Wirkung für Herz und Verstand. Entstanden Mit acht Jahren war Joseph 1772 Haydn als Chorknabe in die Wiener Domkapelle gekommen. Stellte sich in seinem leeren Magen schon hier das Gefühl ein, „als ließe man absichtlich mit dem Geiste zugleich den Körper verhungern“ (Haydn), so landete er nach dem Stimmbruch buch- stäblich auf der Straße. Trotz existentieller Notlagen verging ihm weder die Lust an der Musik noch sonst eine. Beharrlich trieb er seine Ausbildung voran Joseph Haydn 8 HAYDN – SINFONIE NR. 45 9 und trat 1758 eine erste feste zugehen. Der Rundumjob schien Anstellung als Kammerkomponist ihn nicht zu überfordern, im und Musikdirektor beim Grafen Gegenteil: Nachdem Paul Anton Morzin an, „mit zweyhundert 1762 gestorben war, sah sein Gulden Gehalt, freyer Wohnung Nachfolger Nikolaus keinen und Kost an der Offiziantentafel“ Grund, an Haydns Stellung etwas (Haydn). Der junge Kapellmeister zu ändern. Ab 1766 Hauptkapell- sorgte im Winter in Wien und im meister, hatte sich Haydn fortan Sommer auf Schloss Lukavec auch noch um die Oper und die bei Plzen für die Musik zu den Kirchenmusik zu kümmern. Zu- zahlreichen Festivitäten des nehmend blickte das Ausland auf Grafen Morzin – bis dessen Geld den Kapellmeister von Schloss aufgebraucht war und er seine Esterházy: Aus Spanien, Frank- Hofkapelle entlassen musste. reich, England trafen Huldigun- Zum Glück hatten bereits einige gen ein. In Italien wählte ihn die von Morzins adligen Gästen Philharmonische Gesellschaft Schloss Esterházy in Eisenstadt Haydns Talent erkannt. Fürst Paul von Modena zu ihrem Mitglied, Anton Esterházy – selbst kundig Friedrich Wilhelm II. von Preußen auf Violine, Flöte und Laute sowie und die russische Großherzogin Cembalo als Generalbassstütze. sieren ihre Sprache, lassen Ecken ein passionierter Partituren- und spätere Zarin Maria Fede- Bei Opernaufführungen saß und Kanten stehen, trocknen den sammler – bot Haydn 1760 eine rowna schickten kostbare Ringe. er am Cembalo und spielte den Sumpf der Sentimentalität aus. Stellung als Vizekapellmeister an. Generalbass. Die Zeit ist insgesamt reif für Haydns mannigfaltige Aufga- Leidenschaft mit Bedacht Die Sinfonie Nr. 45 ist im zivilen Ungehorsam, für aufkläre- ben waren vertraglich genau Frühjahr 1772 entstanden. Das rischen Mut. Haydn: „Ich konnte festgelegt: Dirigent, Komponist, Die Sinfonien der Esterházy- fis-Moll-Werk, neben der Sinfonie als Chef eines Orchesters Ver- Geiger, Cembalist, Klavierstim- Jahre sind auf die Besetzung der Nr. 49 f-Moll über lange Zeit suche machen, beobachten, was mer, Instrumentenverwalter, dortigen Hofkapelle zugeschnit- eines der meistgespielten Werke den Eindruck hervorbringt und Bibliothekar und zuständig für ten. 1775 bestand die aus vier Haydns, fährt heftig aus dem was ihn schwächt, also verbes- alle Personalangelegenheiten der Violinen 1, drei Violinen 2, zwei Musikhimmel auf uns herab. Mit sern, zusetzen, wegschneiden, Musiker. Das hieß auch, dass er, Violen, einem Violoncello, einem lautstarken Explosionen, weiten wagen.“ „Joseph Heyden all besondere Kontrabass, zwei Oboen, zwei Sprüngen der Violinen und wild Familiarität, gemeinschafft in Klarinetten, zwei Fagotten, zwei auffahrenden Gesten des ganzen Die Unverblümte essen, trincken, und anderen (oder vier) Hörnern und einem Orchesters atmet diese Musik umgang vermeiden, um den Satz Pauken. Die Hornisten spiel- den Geist der Epoche, zu der Im Falle der Sinfonie Nr. 45 lie- ihme gebührenden Respect nicht ten bei Bedarf auch Violine. Der auch Carl Philipp Emanuel Bach, fert sich Haydn mit rein musikali- zu vergeben“ – so stand es in Pauker und ein Fagottist waren die Mannheimer Schule und viele schen Mitteln eine Auseinander- seinem Arbeitsvertrag. Das hielt ein und dieselbe Person. Haydn andere Zeitgenossen beigetragen setzung mit seinem Dienstherrn. Haydn nicht davon ab, seinerseits selbst leitete das Orchester bei haben. „Sturm und Drang“ heißt Der hat im Januar 1772 nicht respektvoll und ausgesprochen Konzerten wohl von der Violine ihr literarisches Äquivalent. Lenz nur verfügt, dass die Musiker sozial mit seinen Musikern um- aus und verzichtete damit auf das oder der junge Goethe radikali- der Hofkapelle die Monate der 10 HAYDN – SINFONIE NR. 45 11 Esterházyschen Konzertsaison spruchsvolle Kontrapunkt fährt getrennt von ihren Familien harmonisch gegen die Wand, allein im Schloss zu verbringen endet unaufgelöst auf der Domi- haben, sondern er verlängert nante. Nahtlos folgt ein überra- die Saison auch noch willkürlich schend freundlicher, versöhnli- weit über die vereinbarte Zeit cher Nachsatz im Tempo Adagio. hinaus. Haydn reagiert stellver- Doch einer nach dem anderen tretend für seine Musiker nicht setzen die Musiker ihre Instru- direkt mit Dienstverweigerung, mente ab, löschen das Pultlicht lässt jedoch im Eröffnungssatz aus und verlassen die Bühne. der fis-Moll-Sinfonie die beiden So hat es Haydn dem Fürsten Themen, ein harsches, fast tatsächlich vorexerziert. Übrig starrsinnig-despotisches, und ein geblieben sind damals allein der weiches, freundlich-flehendes, Konzertmeister Tomasini und völlig unverbunden und unver- Haydn selbst. Und Fürst Ester- söhnt nebeneinander stehen. házy? Er hat die mutwillige Das nachfolgende Adagio Ausdünnung der Hofmusik ver- verzichtet auf alle aktiv berüh- standen, seinem Kapellmeister renden Momente, trübe und Respekt gezollt für den Wink mit glanzlos reiht es Seufzer an dem Zaunpfahl und die Musiker Seufzer und schleppt sich müde in den wohlverdienten Urlaub eine gefühlte Ewigkeit lang bis geschickt. „Wenn sie alle wegge- hin zum Menuett. Gerade durch hen, so müssen wir auch gehen“, seine quälende Ereignislosigkeit soll er gesagt haben. vermag der langsame Satz zu erschüttern. Das Menuett scheint dafür Schluckauf zu haben, es stolpert und hinkt durch den Dreivierteltakt, das Trio macht Dienst nach Vorschrift. Mitten in einer Phrase bricht das Menuett ab. Mitreißender Schwung würde anders klingen. Dann wagt sich das Finale noch weiter vor. Es greift den rauen Ton des Kopfsatzes wieder auf. Aber die Rollen scheinen getauscht. Nun ist es das Haupt- thema, das nicht mit sich um- springen lassen will. Der an- 12 Wunder Mahler Gustav Mahler hatte zwei der Gustav Mahler lukrativsten Positionen im Musik- Fünf Rückert-Lieder geschäft inne, die ein Dirigent nur erreichen kann: Er war ab Besetzung 1897 zehn Jahre lang Direktor 2 Flöten, 3 Oboen, 2 Klarinetten, des damals angesehensten 3 Fagotte, 4 Hörner, Opernhauses der Alten Welt, der 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Wiener Hofoper, die er mit seinen Pauken, Harfe, Celesta, Klavier, Interpretationen nachhaltig Streicher, Gesang solo revolutionierte. Anschließend leitete er für vier Jahre das be- Dauer deutendste Opernhaus der Neuen ca. 21 Minuten Welt, die Metropolitan Opera in New York, und war Chef des New Verlag York Philharmonic Orchestra. Universal Edition Zum Komponieren blieben ihm Wien allein die Sommermonate. Dann zog er sich in die Alpen