Stadt Und Armut Im Langen 19. Jahrhundert. Informationen Zur
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Informationen zur modernen Stadtgeschichte 2014 2.Halbjahresband Verlagsort: Berlin Herausgegeben von Martin Baumeister, Christoph Bernhardt, Dorothee Brantz, Martina Heßler, Gerd Kuhn, Friedrich Lenger, Gisela Mettele, Susanne Rau, Jürgen Reulecke, Ralf Roth, Axel Schildt, Dieter Schott und Clemens Zimmermann in Verbindung mit Stefan Fisch, Antjekathrin Graßmann, Adelheid von Saldern, Hans Eugen Specker und Clemens Wischermann Themenschwerpunkt Stadt und Armut im langen 19. Jahrhundert Verantwortliche Herausgeber: Olga Fejtová, Milan Hlavacka LEITARTIKEL Olga Fejtová / Milan Hlavacka Stadt und Armut....................................................................................... 5 BERICHTE UND AUFSÄTZE ZUM THEMA Andreas Weigl Armut – Armenhilfe – Fürsorge. „Sozialpolitik“ und ihre Träger in Wien vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs................................................................................ 13 Olga Fejtová Von der staatlichen zur kommunalen Sozialpolitik in Prag im langen 19. Jahrhundert............................................................................. 23 Gabriela Dudeková Reformen versus Stereotypen. Modernisierung der kommunalen Armenpolitik in Ungarn um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – Provinzstadt Pressburg (Bratislava) und Hauptstadt Budapest................................................................................. 32 Katharina Brandes Die Armenfürsorge in Hamburg von 1788 bis 1914.................................. 42 Ulrike Harmat Die Wohnungsfrage als Teil der „sozialen Frage“ am Beispiel Wiens 1848-1914...................................................................................... 52 Martina Niedhammer „Weil erfahrungsgemäß unsere Armen in erster Reihe auf uns angewiesen sind“. Das Armenwesen der Prager jüdischen Gemeinde im langen 19. Jahrhundert...................................................... 62 Jens Gründler Die Versorgung ,armer Irrer‘ im städtischen Raum – Glasgows Armenfürsorge zwischen 1850 und 1925.................................. 72 LEITREZENSION Olga Fejtová Herbert Uerlings, Nina Trauth, Lukas Clemens (Hrsg.), Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft. Begleitband zur Ausstellung, Frankfurt am Main 2011....................................................... 81 FORUM Michał Pszczółkowski Kleines Berlin. Grundzüge der Stadtentwicklung von Bromberg 1850-1914................................................................................. 84 Adelheid von Saldern Wolkenkratzer, Medien-Öffentlichkeiten und Amerikanismus im frühen 20. Jahrhundert............................................................................. 109 Peter Payer Stadt und Zeit. Zur Chronometrisierung des öffentlichen Raumes, Wien 1850–1914....................................................................................... 126 ALLGEMEINE BERICHTE Elisabeth Gruber Stadt und Gewalt (Tagungsbericht)........................................................... 144 Eszter Gantner / Heidi Hein-Kircher Wissenstransfer und urbaner Raum. Formate, Modi und Akteure des Wissenstransfers in den Städten Ostmittel- und Osteuropas (Tagungsbericht).................................................................... 147 Florian Riedler Visible and Invisible Urban Boundaries in the Ottoman and Post- Ottoman World from a Comparative Perspective (Tagungsbericht)......... 151 Christoph Strupp Seaports in Transition. Global Change and the Role of Seaports since the 1950s (Tagungsbericht)....................................................................... 155 Alois Woldan Cities as Cultural Spaces. Ukraine: History, Legacy, Literature (Tagungsbericht)....................................................................................... 158 Kathrin Zöllner Authentifizierung von StadtLandschaften (Tagungsbericht)..................... 161 Dieter Schott Bericht vom International Committee der European Association for Urban History........................................................................................... 164 Christoph Bernhardt Bericht von der Mitgliederversammlung der GSU.................................... 171 Gisela Mettele / Dieter Schott Laudatio GSU-Nachwuchspreis 2014........................................................ 173 MITTEILUNGEN............................................................................................... 180 LEITARTIKEL OLGA FEJTOVÁ / MILAN HLAVACKA Stadt und Armut1 Armut ist wieder zu einem der großen Themen des aktuellen gesellschaftlichen Dis- kurses im euroamerikanischen Raum geworden.2 Zwar war dieses Problem auch in der Nachkriegszeit nicht ohne Bedeutung, sein Charakter hatte jedoch durch die beiderseits des Eisernen Vorhangs stattfindenden Bemühungen um die Schaffung eines Sozialstaates einiges an Schärfe eingebüßt. Die Hauptursachen der Armut wa- ren in erster Linie Krankheit, Alter und in der modernen Geschichte Arbeitslosig- keit, ein bereits seit dem 19. Jahrhundert gesellschaftliches Massenphänomen.3 Auch wenn Armut also ein gesamtgesellschaftliches Problem war, ist und bleibt, so spielen doch die Stadt und ihr Raum in dieser Frage eine wesentliche Rolle.4 Der städtische Organismus musste zeit seiner Existenz auf die Probleme reagieren, die das Leben der untersten Schichten bzw. der Schichten am Rande oder außerhalb der städtischen Gesellschaft mit sich brachte. Die Armenhilfe war dabei in verschie- denen Hinsichten mit der Lösung von Problemen beschäftigt, die aus dem ländli- chen Milieu in die Stadt übertragen worden waren. In diesem Bereich der Armen- hilfe spielte die Kirche zwar seit dem Mittelalter eine dominante Rolle; in der Stadt müssen jedoch auch die Initiativen der städtischen Gemeinschaft selbst erwähnt werden, ob es sich nun um Aktivitäten Einzelner oder solche der städtischen Ver- waltung bzw. der städtischen Gesellschaften, etwa der Zünfte, handelte. Im christli- chen Europa oszillierte die Reaktion der Städte und ihrer Bewohner auf das Problem der Armut und das damit eng verbundene Betteln zwischen Fürsorge, Kontrolle und Repression. Die allgemein verbreitete Ansicht, dass die Armut in der mittelal- terlichen europäisch-christlichen Gesellschaft als „gottgefälliger Zustand“ angese- 1 Übersetzerin dieses Beitrages: Dr. Nina Lohmann. 2 Dieses Interesse wird auch von der sozialhistorischen Forschung reflektiert. Vgl. vor allem den Sonder- forschungsbereich 600 „Fremdheit und Armut: Wandel von Inklusions- und Exklusionsformen von der Antike bis zur Gegenwart“ an der Universität Trier; für eine Übersicht über die Publikationsergebnisse siehe die Webseite des Projekts: <http://www.sfb600.uni-trier.de/index.php?site_id=121> (letzter Zugriff: 16.6.2014). 3 Wolfram Fischer, Armut in der Geschichte. Erscheinungsformen und Lösungsversuche der „Sozialen Frage“ in Europa seit dem Mittelalter, Göttingen 1982, S. 82-83. 4 Andrea Iseli, Gute Policey. Öffentliche Ordnung in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2009, S. 45. IMS 2/2014 5 hen und daher noch nicht zwischen würdigen und unwürdigen Armen unterschie- den worden sei, ist nicht ganz zutreffend. Vielmehr unterschied der damalige christliche Armutsbegriff bereits die „selbst verschuldete“ und die „ehrenvolle“ Ar- mut. Es gab daher im christlich-intellektuellen Milieu des Mittelalters bereits Dis- kussionen darüber, wer Anspruch auf Armenunterstützung haben sollte: alle „Be- dürftigen“ oder nur diejenigen, die sich ohne eigenes Verschulden in dieser Situati- on befanden?5 Im Zuge der Durchsetzung der Ideen des Humanismus und der Re- formation wurde zwischen Armut als Folge der Arbeitsunfähigkeit, ungenügender Einkünfte aus der Erwerbsarbeit, mangelnder Arbeitsgelegenheiten oder eines unzu- reichenden Arbeitswillens unterschieden.6 Damit ging eine verstärkte Reglementie- rung und Kontrolle im gesamten Bereich des Armenwesens wie auch eine Verände- rung der Mittel zur Bewältigung des Armenproblems einher. Dies betraf sowohl die offene (d. h. vor allem das Almosen) als auch die geschlossene (institutionelle) Ar- menpflege. Im Bereich der offenen Armenpflege kam es zu einer deutlichen Regulierung des Bettelns. Die Tendenz, die Armen zu registrieren oder gar zu kennzeichnen, die Er- hebung von Finanzmitteln zu ihrer Unterstützung, die Distribution dieser Finanzen mittels eines Netzwerks weltlicher wie kirchlicher Personen und nicht zuletzt das Bestreben, das oft überbordende Netz verschiedener Armenstiftungen sowie das Al- mosensystem unter Kontrolle zu bekommen 7, konvenierte mit dem frühneuzeitli- chen Prozess der sozialen Disziplinierung.8 Noch gewichtigere Veränderungen gab es im Bereich der geschlossenen Armen- pflege. Hier kam es zu der Gründung neuartiger Armeninstitutionen, die die Funk- tion der ursprünglich großzügig und relativ universal angelegten Spitäler erweiter- ten. Seit dem 16. Jahrhundert entstanden so in den europäischen Städten Einrich- tungen, deren Ziel es war, die arbeitsfähigen Armen, die Anspruch auf verschiedene Formen der Unterstützung erhoben, aus der Gesellschaft auszugliedern und sie zur Arbeit zu „nötigen“.9 5 Fischer, S. 41; Bronisław Geremek, Geschichte der Armut: Elend und Barmherzigkeit in Europa, Mün- chen 1988; Lukas Clemens, Armenfürsorge in den mittelalterlichen Städten Westeuropas, in: Herbert Uerlings/Nina Trauth/Lukas Clemens (Hrsg.), Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft, Darm- stadt 2011, S. 116. 6 Wolfgang von Hippel, Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit, München 1995, S. 4. 7 Geremek, S. 150-180; von Hippel, S. 46. 8 Iseli, S. 8-31, 45-49. 9 Die erste Einrichtung dieses Typs