Die Chinesische Titanic Ein Australischer Wracksucher Hat Vor Sumatra Eine 1822 Gesunkene Dschunke Entdeckt
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Ausland D. MORAN / DIVE NEW ZEALAND D. MORAN Taucher, Porzellanschüssel aus der Ladung der „Tek Sing“: „Ich schwamm geradewegs in einen riesigen Berg“ SCHATZSUCHE Die chinesische Titanic Ein australischer Wracksucher hat vor Sumatra eine 1822 gesunkene Dschunke entdeckt. An Bord: Porzellan im Schätzwert von 35 Millionen Mark. Das Stuttgarter Auktionshaus Nagel wird den spektakulären Fund vermarkten und versteigern. ie ganze Nacht war der Segler Meer übersät mit zerborstenen Planken Mehr als anderthalb Jahrhunderte spä- scharf gegen den peitschenden und Treibgut, an das sich entkräftete Schiff- ter, am 12. Mai 1999, kreuzte die „Restless DNordost-Monsun gekreuzt. Nur mit brüchige klammerten. Zahllose Leichen M“, ein für die Wracksuche umgerüsteter großer Mühe war es Kapitän James Pearl trieben auf dem Wasser. In der Nacht zum Trawler, in jenen Gewässern. Die Stim- gelungen, die mit 175 Kisten Opium bela- 7. Februar 1822, die jenem trüben Mon- mung der Crew war auf dem Tiefpunkt: dene „Indiana“ ohne Zwischenfälle durch suntag vorausgegangen war, hatte sich in Kapitän Michael Hatcher, 60, ein Mann mit die berüchtigte Gaspar-Straße zwischen der Gaspar-Straße eine Havarie von er- der Statur eines Kampfstiers und der wohl den Inseln Bangka und Belitung vor Su- schreckendem Ausmaß ereignet. erfolgreichste Wracksucher zwischen Tas- matra zu manövrieren, in manien und dem Golf von der schon zahlreiche Schiffe Bengalen, konnte die Heuer auf Untiefen gelaufen und nicht mehr zahlen. gesunken waren. Alle seine Unternehmun- Jetzt musste seine 54 gen der vergangenen Mona- Mann starke Besatzung nur te waren kläglich gescheitert. noch vorsichtig um die tücki- Hatcher war faktisch pleite. schen schwarzen Granit- In einem letzten, dringlichen felsen des Belvidere-Riffs Telefonanruf nach Jakarta schippern, dann war der bedrängte er seine Inves- Weg frei nach Borneo. Aber toren, den Geldhahn nicht was war das? Plötzlich schie- endgültig zuzudrehen. nen in der schummrigen Abdul Rahim, 34, saß der- Monsunsuppe tausende Ge- weil lustlos auf der Brücke steinsbrocken zu treiben. der „Restless M“ und „mäh- „Gefahr!“, brüllte der Ma- te das Gras“. So nennen die trose im Ausguck. Doch hochgerüsteten Schatzsu- kaum waren die Segel ge- cher der Meere den stupi- refft, da erkannte Pearl die desten Teil ihrer Arbeit. wahre Natur der ungewöhn- Schnurgerade, als gelte es, lichen Erscheinung. So weit MUSEUM LONDON MARITIME NAT. den Rasen im Volkspark- das Auge reichte, war das Chinesische Dschunken (um 1810): Auf dem Deck zerlumpte Kulis Stadion zu mähen, zieht das 212 der spiegel 21/2000 Ausland Mutterschiff ein mit Sonar und von versunkenen Schiffen, son- Magnetometer ausgestattetes dern auch bei der Einordnung Beiboot hinter sich her, die so und Bewertung der Funde. genannte Gummi-Ente. Jede Lediglich mit den genauen Unebenheit am Meeresgrund Koordinaten der Fundstelle sowie dort liegende metallische ausgestattet, begann Pickford Gegenstände werden erfasst die vergilbten Akten des Ar- und auf einem Bordmonitor chivs der Britischen Ostindien gemeldet. Kompanie zu durchstöbern. Seit Wochen ging das schon Die akribische Recherche, die so, täglich 16 Stunden lang. Pickford demnächst in einem Hatcher wusste aus einem al- Buch schildern will, entwickel- ten Seefahrerjournal lediglich, te sich zu seinem spannends- dass irgendwo in der Gegend ten Fall. um das Belvidere-Riff eine Im „Calcutta Journal“ vom große Dschunke zerschellt Juni 1822 wurde Pickford fün- war und dass die Überleben- dig. Die Zeitung aus den bri- den von einem Schiff namens tischen Kolonialtagen in In- „Indiana“ gerettet worden dien erzählte die Geschichte waren. des Opiumschmugglers James Als an diesem Morgen der Pearl, der am 7. Februar 1822 Magnetometer wieder eine mit seinem Segler „Indiana“ auffällige Unregelmäßigkeit am 198 Chinesen aus den Gewäs- Meeresboden ortete, stieg Ra- sern um das Belvidere-Riff ge- him nur missmutig in seinen fischt hatte. Taucheranzug. Ein paar indo- Das passte zu den vagen In- nesische Fischkutter, Anker formationen, die Hatcher dem und Eisenschrott waren alles, Seefahrerjournal eines gewis- was die Sucherei bisher zu sen James Horsburgh entnom- Tage gebracht hatte. men und zum Anlass seiner Was er dann in 30 Metern Wracksuche vor Sumatra ge- Tiefe sah, machte ihn ähnlich / DIVE NEW ZEALAND D. MORAN macht hatte. Mit Hilfe hollän- fassungslos wie den Matrosen Fracht der „Tek Sing“: Den Jackpot entdeckt discher Seerechtskladden in am 7. Februar 1822 im Ausguck Den Haag und chinesischer der „Indiana“ der Anblick der Schiff- Michael Hatcher hatte den Jackpot der Un- Quellen konnte Pickford jetzt das Schick- brüchigen: „Ich schwamm geradewegs in terwasser-Archäologie entdeckt. sal der Schiffbrüchigen rekonstruieren. einen riesigen Berg aus altem chinesischen Jetzt galt es, schnell zu sein; Hatcher Anfang Januar 1822 hatten die Passagie- Porzellan.“ war in solchen Dingen erfahren. Schon als re im ostchinesischen Hafen Amoy (heute: Auf dem Grund der Gaspar-Straße la- 29-Jähriger hatte er es mit dem Heben Xiamen) die Dschunke „Tek Sing“ („Wah- gen rund 350 000 alte Teller, Schüsseln, deutscher U-Boote aus dem Zweiten Welt- rer Stern“) bestiegen – eines der größten Schalen im traditionellen Blau-Weiß, da- krieg zum Dollarmillionär gebracht. 1985 und stolzesten Schiffe, die das Land je ver- zu Sakralgegenstände, Medizinbehälter, barg er die Ladung des 1752 gesunkenen lassen hatten. Der Dreimaster war über 50 Sextanten, Taschenuhren und sogar Grab- holländischen Schiffs „Geldermalsen“, das Meter lang und 20 Meter breit; sein höchs- steine – ein Hügel von 42 Metern Länge, auf dem Weg von Kanton nach Europa war ter Mast ragte mehr als 30 Meter empor. 10 Metern Breite und 4 Metern Höhe. und ebenfalls kostbares chinesisches Por- Sein Ziel war Batavia (heute: Jakarta), zellan an Bord hatte, insgesamt 160 000 die Hauptstadt von Niederländisch-Indien. Einzelstücke. Die meisten Passagiere waren Auswande- Von Singapur ließ Hatcher die 60 Meter rer, die dem von inneren Unruhen zerrüt- lange und 15 Meter breite Bergungs- teten Reich der Qing-Dynastie den Rücken plattform „Swissco Marie II“ zum Belvi- kehren wollten. In den Kabinen reisten rei- dere-Riff herbeischleppen. Sie ist mit che Händlerfamilien, die ein angenehme- einem 50-Tonnen-Kran ausgestattet und res Leben bei Verwandten in den Tropen mit einem dreistöckigen Wohnsilo für bis zu 50 Arbeiter. VIETNAM Das Unternehmen der folgenden Wo- THAILAND chen war eine logistische Meisterleistung. MALAYSIA BORNEO Bis Dezember waren mehr als 300 000 Borneo Fundstücke gehoben, gesäubert und foto- Sumatra grafisch erfasst. Sie wurden in 50 Container von 20 Fuß Länge verpackt, nach Austra- INDONESIEN lien verschifft und dort unter größter Ge- heimhaltung gelagert. BANGKA Mit der ersten Kiste und den schönsten Teilen seines Porzellanschatzes allerdings BELITUNG reiste Hatcher nach London. Der Brite Nigel Pickford, 53, einer der renommiertes- SUMATRA Gaspar-Straße D. MORAN / DIVE NEW ZEALAND D. MORAN ten Wrackforscher, war immer sein ver- Schatzsucher Hatcher lässlicher Partner und wissenschaftlicher 200 km Logistische Meisterleistung Ratgeber gewesen – nicht nur im Auffinden der spiegel 21/2000 215 erstrebten. Sie führten Krüge, Schalen und Schüsseln aus Porzellan zum baldigen Ver- kauf mit, aber auch Familienschmuck und, vorsorglich, Grabsteine aus heimischem Granit. Auf dem Deck, nur von Planen ge- schützt, lagerten zerlumpte Kulis, die eine Anstellung in den Zuckerplantagen von Java erhofften. „Als die ,Tek Sing‘ am Belvidere-Riff zerschellte“, so Pickford, „waren gut 2000 Menschen an Bord.“ Davon ertranken rund 1800, etwa 300 mehr als ein knappes Jahrhundert später auf der „Titanic“. Die Havarie-Geschichte der modernen See- fahrt muss nach Hatchers Entdeckung er- gänzt werden. Michael Hatcher lud Ende des vergan- genen Jahres seine Investoren und einen kleinen Kreis von Spitzenauktionären zur ersten Begutachtung des „Tek Sing“-Schat- zes in ein Lagerhaus nach Adelaide (Süd- australien) ein. Die Vertreter von Christie’s aus London und Sotheby’s aus New York waren fasziniert. Doch letztlich erhielt das Stuttgarter Auktionshaus Nagel den Zu- schlag. Hatcher: „Mich überzeugte das Ge- samtkonzept, das die Deutschen präsen- tierten.“ Nagel wird nicht nur in einer Mammut- veranstaltung im November den gesamten Fund versteigern, sondern auch den My- thos der chinesischen Titanic vermarkten. Von kommender Woche an entsteht ein Nachbau der „Tek Sing“ im Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Baukosten betragen etwa 1,5 Millionen Mark. Im Herbst sind zudem Teile des Schatzes in einer Wan- derausstellung in zwölf Metropolen zu se- hen, darunter Tokio, Los Angeles, London und Mailand. Nagel hofft auf Auktionserlöse von min- destens 35 Millionen Mark. Ob auch Schatz- sucher Hatcher und seine Investoren auf ihre Kosten kommen, ist indes noch unklar. Anfang April hat die indonesische Ma- rine die mehrere Millionen Mark teure Ber- gungsflotte des Australiers konfisziert und die Besatzung im Hafen von Jakarta unter Hausarrest gestellt. Begründung: Die Ver- träge, die noch mit der Regierung des im Herbst 1999 abgelösten Präsidenten B. J. Habibie abgeschlossen wurden, seien nicht in Ordnung. Außerdem liegen etwa 50000 Porzellan- teile aus der Ladung der „Tek Sing“, dar- unter einige der wertvollsten, noch immer auf dem Boden der Meeresstraße von Gas- par – für Hatcher ist auch das ein herber Schlag. Nicht auszuschließen, dass dem Austra- lier ein ähnliches Schicksal wie Kapitän James Pearl von der „Indiana“ blüht. Der konnte, weil ihn die Rettung der Schiff- brüchigen in Verzug gebracht hatte, seine Ladung in Borneo nicht mehr absetzen. Von dem Verlust von 1,5 Millionen Mark (nach heutigem Geldwert) hat er sich sein ganzes Leben lang nicht mehr er- holt. Jürgen Kremb 216 der spiegel 21/2000.