Arbeit Im Nationalsozialismus
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Marc Buggeln, Michael Wildt (Hrsg.) Arbeit im Nationalsozialismus Arbeit im Nationalsozialismus | Herausgegeben von Marc Buggeln und Michael Wildt Dieser Band geht zurück auf eine Tagung, die im Dezember 2012 im Internationalen Geistes- wissenschaftlichen Kolleg „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ (re:work) in Berlin stattfand, und konnte mit freundlicher Unterstützung des Kollegs gedruckt werden. ISBN 978-3-486-76538-0 e-ISBN (PDF) 978-3-486-85884-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039907-3 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, 81671 München, Deutschland www.degruyter.com Ein Unternehmen von De Gruyter Titelbild: Hakenkreuzfahnen für den ‚Tag der nationalen Arbeit‘ (1. Mai) werden in einer Fahnenfabrik vor der Färbung mit roter Farbe zum Trocknen aufgehängt. Photographie, Berlin 1933. © akg images, Berlin. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 www.degruyter.com Inhalt Marc Buggeln, Michael Wildt Arbeit im Nationalsozialismus (Einleitung) | IX Teil I: Ideologien und Praxen der Arbeit Michael Wildt Der Begriff der Arbeit bei Hitler | 3 Jürgen Kocka Ambivalenzen der Arbeit | 25 Nicole Kramer Haushalt, Betrieb, Ehrenamt Zu den verschiedenen Dimensionen der Frauenarbeit im Dritten Reich | 33 Karsten Linne Von der Arbeitsvermittlung zum „Arbeitseinsatz“ Zum Wandel der Arbeitsverwaltung 1933–1945 | 53 Detlev Humann Die „Arbeitsschlacht“ als Krisenüberwindung | 71 Rüdiger Hachtmann Arbeit und Arbeitsfront: Ideologie und Praxis | 87 Martin Becker Die Betriebs- und die Volksgemeinschaft als Grundlage des „neuen“ NS-Arbeitsrechts Arbeitsrechtsideologie im NS-Rechtssystem | 107 Irene Raehlmann Forschungen des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie im Nationalsozialismus | 123 VI | Inhalt Teil II: Bilder und Inszenierungen der Arbeit Katharina Schembs Korporativismus, Arbeit und Propaganda im faschistischen Italien (1922–1945) | 141 Harriet Scharnberg Arbeit und Gemeinschaft Darstellungen „deutscher“ und „jüdischer“ Arbeit in der NS-Bildpropaganda | 165 Ulrich Prehn Von roter Glut zu brauner Asche? Fotografien der Arbeit in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts | 187 Inge Marszolek Vom Proletarier zum ‚Soldaten der Arbeit‘ Zur Inszenierung der Arbeit am 1. Mai 1933 | 215 Teil III: Von der Kollaboration bis zur Vernichtung Marc Buggeln Unfreie Arbeit im Nationalsozialismus Begrifflichkeiten und Vergleichsaspekte zu den Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten | 231 Christoph Thonfeld Geschichte und Erinnerung der NS-Zwangsarbeit als lebensgeschichtlich reflektierte Arbeitserfahrung | 253 Sabine Rutar „Unsere abgebrochene Südostecke …“ Bergbau im nördlichen Jugoslawien (Slowenien) unter deutscher Besatzung (1941–1945) | 273 Andrea Löw Arbeit in den Gettos: Rettung oder temporärer Vernichtungsaufschub? | 293 Inhalt | VII Julia Hörath „Arbeitsscheue Volksgenossen“. Leistungsbereitschaft als Kriterium der Inklusion und Exklusion | 309 Jens-Christian Wagner Selektion und Segregation. Vernichtung und Arbeit am Beispiel Mittelbau-Dora | 329 Stefan Hördler Rationalisierung des KZ-Systems 1943–1945 Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit als ordnende Selektionskriterien | 349 Teil IV: Statt eines Schlusses: Interview der Herausgeber mit Alf Lüdtke „Deutsche Qualitätsarbeit“: Mitmachen und Eigensinn im Nationalsozialismus – Interview von Marc Buggeln und Michael Wildt mit Alf Lüdtke | 373 Dank | 403 Marc Buggeln, Michael Wildt Arbeit im Nationalsozialismus (Einleitung) 1 Historische Arbeits-Semantiken in Deutschland bis 1933 Im Schweiße seines Angesichts sollte der Mensch sein Brot essen, so lautete der Fluch Gottes nach der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Müh- sal und Plackerei gehören ohne Zweifel zu den ältesten Vorstellungen von Ar- beit; und es ist kennzeichnend, dass die Bedeutung von Arbeit als Strafe hier ihren Ausgang nahm. Das Leben all-inclusive ohne Arbeit hieß Paradies.1 In den antiken Stadtstaaten war die schwere Handarbeit den Sklaven aufer- legt, während die Bürger sich für die Geschicke ihrer Polis engagierten, ihre Muße zum Philosophieren nutzten oder Kriegsdienst leisteten – ihrem Ver- ständnis nach alles tugendhafte Beschäftigungen, keine Arbeit. Faulheit indes war eine Schande.2 Die in Europa christlich geprägte Vormoderne bildete eine deutliche Zäsur, war doch Arbeit für alle Christenmenschen obligatorisch: ora et labora. Nichts- tun wurde als Gefahr für die Seele begriffen. Somit galt auch, dass Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht im Sinne der christlichen Ob- rigkeit arbeiteten, einer Arbeit zugeführt werden sollten. Keine betteler unnd bettleryn sollen ynn unnserem kirchspiell ynn der stadt noch dorf- fern, gelidden werden, dann welche mit alder oder kranckkeitt nicht beladen, sollen ar- beiten oder aus unnserm kirchspiell [...] hynwegk getrieben werden, forderte Martin Luther 1523.3 Seit dem 16. Jahrhundert entstanden so genannte Arbeitshäuser, in denen Arbeit für den Lebensunterhalt und Arbeit als Strafe gleichermaßen galten. Menschen wurden eingeteilt in diejenigen, die arbeite- || 1 Walter Bienert, Die Arbeit nach der Lehre der Bibel, Stuttgart 1954. 2 Wilfried Nippel, Erwerbsarbeit in der Antike, in: Jürgen Kocka/Claus Offe/Beate Redslob (Hrsg.), Geschichte und Zukunft der Arbeit, Frankfurt/New York 2000, S. 54–56; Werner Conze, Arbeit, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegrif- fe, Bd. I., S. 154–215, hier S. 155–158. 3 Zit. n.: Conze, Arbeit, S. 164. Umgekehrt konnte sich diese Kritik auch gegen den müßiggän- gerischen Adel richten. „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ wurde zum geflügelten Wort im 15./16. Jahrhundert. X | Marc Buggeln, Michael Wildt ten, die nicht arbeiten konnten und die nicht arbeiten wollten. Arbeit, Armen- fürsorge und soziale Kontrolle waren seit dem Spätmittelalter zunehmend mit- einander verbunden.4 All diese Bedeutungen verschwanden nicht in der Moderne, doch mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa verknüpfte sich Arbeit mit dem Streben nach Reichtum und Glück. In den Schriften der Aufklärer und frühen Nationalökonomen wie John Locke oder Adam Smith kam es zu einer „emphatischen Aufwertung der Arbeit als Quelle von Eigentum, Reichtum und Zivilität bzw. als Kern menschlicher Existenz und Selbstverwirklichung“.5 Auch Karl Marx’ fundamentale Kritik am Kapitalismus gründet auf der Annahme, dass die Arbeit allein Werte schaffe und sich der Kapitalist ungerechtfertigt einen Mehrwert der von den Arbeitern geleisteten Arbeit aneigne. Jürgen Kocka betont, dass dennoch die Ambivalenzen von Arbeit nicht unbeachtet blieben. So unterschieden Adam Smith und Adam Ferguson zwischen produktiver und unproduktiver, geistiger und mechanischer, hochwertiger und gemeiner Arbeit. Durch die Industrialisierung, die Entwicklung einer kapitalistischen Markt- wirtschaft setzte sich die lohnabhängige Erwerbsarbeit als dominante Arbeits- form durch. Mit der räumlichen Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz er- hielt die Fabrikarbeit nicht nur ein eigenes Zeitregime,6 sie wurde auch entlang der Geschlechterlinien ganz unterschiedlich verteilt. Die Familie hörte auf, Pro- duktionseinheit zu sein; Frauen wurden für den Haushalt und die Familie ver- antwortlich, während überwiegend die Männer ‚zur Arbeit‘ gingen.7 Das Modell der „male breadwinner family“ herrscht seither vor, obwohl Sonya O. Rose zu || 4 Otto Gerhard Oexle, Arbeit, Armut, „Stand“ im Mittelalter, in: Kocka/Offe/Redslob, Ge- schichte und Zukunft der Arbeit, S. 67–79. Es ist kein Zufall, dass Arbeitshäuser sich zuerst in England und in den Niederlanden, also in frühkapitalistischen Gesellschaften ausbreiteten. Ihre zentrale Aufgabe war es, vor- bzw. unterbürgerliche Schichten zu einem bürgerlichen Arbeits- und Leistungsethos zu „erziehen“. 5 Jürgen Kocka, Mehr Last als Lust. Arbeit und Arbeitsgesellschaft in der europäischen Ge- schichte, in: ders., Arbeiten an der Geschichte. Gesellschaftlicher Wandel im 19. und 20. Jahr- hundert, Göttingen 2011, S. 203–224, hier S. 206 (Online verfügbar: [http://www.zeitgeschichte- online.de/thema/mehr-last-als-lust], eingesehen 12.5.2014). 6 Edward P. Thompson, Time, Work-Discipline and Industrial Capitalism, in: Past & Present 38 (1967), S. 56–97; Alf Lüdtke, Arbeitsbeginn, Arbeitspausen, Arbeitsende. Skizzen zur Be- dürfnisbefriedigung und Industriearbeit im 19. und frühem 20. Jahrhundert, in: ders., Eigen- Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993, S. 85–119. 7 Karin Hausen, Work in Gender, Gender in Work: The German Case in Comparative Perspec- tive, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Work in a Modern Society. The German Historical Experience in Comparative Perspective, New York/Oxford 2013, S. 73–92. Arbeit im Nationalsozialismus | XI Recht darauf aufmerksam macht, dass in der Wirklichkeit die Sphären Haushalt und Arbeitsplatz keineswegs so strikt voneinander getrennt waren (und sind), sondern vielfältig miteinander verflochten. Selbstverständlich gab und gibt es viele Frauen, die erwerbstätig