Regieren: Die Geschichte Einer Zumutung
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Wolfgang Fach Regieren: Die Geschichte einer Zumutung Edition Politik | Band 36 Wolfgang Fach, geb. 1944, war bis 2011 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Leipzig und dort als Prorektor auch mit »Bologna« befasst. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Wandlungen des Politik-Begriffs sowie neue Formen des Regierens. Veröffentlicht hat er u.a. »Die Hüter der Vernunft« (1999), »Politische Ethik« (2003), »Die Regierung der Frei- heit« (2003) und »Das Verschwinden der Politik« (2008). Außerdem ist er Mit- herausgeber von »Behemoth. A Journal on Civilisation«. Wolfgang Fach Regieren: Die Geschichte einer Zumutung Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCom- mercial-NoDerivs 4.0 Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de/. 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Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] Inhalt 1 Einleitung | 7 I DEVIANZ 2 Fremdheit und Fortschritt | 13 2.1 Am Ende der Staat? | 14 2.2 Wildheit wählen | 18 2.3 Beherrschte Wilde | 22 3 Das verdeckte Volk | 27 3.1 Die Höhe der ›Hoheit‹ | 28 3.2 Thron und Trieb | 32 3.3 Raum ohne Volk | 37 4 Ties that bind? | 43 II DOMINANZ 5 Volksbildung | 51 5.1 Spuren lesen | 52 5.2 Gewerbe und Gehirn | 54 5.3 Gottes Dienste | 57 5.4 Wahl-Bürger | 61 5.5 Repressionsreserve | 64 6 Der geschäftige Staat | 71 6.1 Gemeine Vertreter | 72 6.2 Amt ohne Verstand | 76 6.3 Verwaltung im Recht | 79 6.4 Geist im Getriebe? | 84 6.5 König der Leute | 87 7 Ties that bind? | 91 III DISTANZ 8 Fluchten und Fronten | 99 8.1 Protesttheater | 100 8.2 Irrungen, Wirrungen | 104 8.3 Nach der Farce | 108 8.4 Staatsjagd | 113 8.5 Gelächter, Gezeter | 118 9 Leichtigkeit und Last | 123 9.1 Die Kraft des Hebels | 124 9.2 Geheime Verführung | 128 9.3 Zerstreutes Regieren | 133 9.4 Dienst ohne Vorschrift | 137 9.5 Ernst sein ist alles | 142 10 Ties that bind? | 147 Literatur | 153 1 Einleitung Regieren heißt: »eine große, tumultöse Menge nach Belieben zu beschleu- nigen oder anzuhalten, dabei gleichsam als Seele zu wirken, die perma- nent auf den großen Körper einwirkt, ohne dass er davon viel merkt« (Fontenelle 1818, 313 f.). Manches davon kommt einem bekannt vor, ande- res wirkt inzwischen eher fremd, und Neues ist seither hinzugekommen. Regieren, auch das weiß Fontenelle, der französische Frühaufklärer, ist ein schwieriges und dazu undankbares Geschäft: Die Bürger eines gut regierten Staates »erfreuen sich wohlgeordneter Verhältnisse, ohne im Traum daran zu denken, welche Mühe es macht, diese herzustellen oder aufrechtzuerhalten. So wie sie auch die regelmäßige Bewegung der Himmelskörper bewundern, ohne zu wissen, wie es dazu kommt. Und je weiter sich die staatliche Ordnung der Perfektion des Universums nähert, desto weniger nimmt man sie wahr. Weshalb man ihren Wert umso weni- ger zu schätzen weiß, je vollendeter sie ist.« (Fontenelle 1818, 313) Das Regieren ist also (nur oder doch in erster Linie) darum so lästig, weil seine Adressaten einen allzu hohen Anspruch stellen. Die Leute wol- len so regiert werden, dass sie nichts davon merken – und je näher dieses Ziel rückt, desto weiter entfernt es sich gleichzeitig, weil immer kleine- re Störungen als immer größere Zumutungen empfunden werden. Dass unter solchen Umständen Regierende häufig für unzumutbar halten, was von ihnen verlangt wird, kann niemanden verwundern. Welches Helden- tum des Leidens und auch der Leidenschaft Max Weber dem ernsthaft arbeitenden Politiker abfordert, spricht Bände (Weber 1993). Allerdings wird sich die Zumutungsspirale nicht unaufhaltsam drehen, weil keine Seite sie am Ende aushält: Regierende geben auf oder werden geschasst, Regierte müssen damit rechnen, dass sie zur Räson gerufen oder getrie- ben werden. Es bleibt die Erkenntnis: ›Bürger‹ lassen sich nur schwer in Umlaufbahnen bringen. 8 Regieren: Die Geschichte einer Zumutung Erst recht gilt dies für ›Menschen‹ – jene vorbürgerlichen Wesen, de- ren naturbelassene ›Wildheit‹ darin zum Ausdruck kommt, dass ihnen das Regiertwerden (von Staats wegen) grundsätzlich zuwider ist: ein Maxi- mum an Devianz, gemessen daran, was Individuen mit dem rechten Ver- stand oder Glauben haben wollen. Wer seine fünf Sinne beisammen hat resp. zum richtigen – christlichen – Gott betet, möchte regiert werden, (fast) egal wie. »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, sagen uns beide Quellen, Hirn und Herz, Hobbes und Luther. Entsprechend unverständig, ja un- gehalten hat man Mal für Mal auf verwirrte Zeitgenossen reagiert, die ein Leben in wilden Umständen vorgezogen haben: sei es nach herumstrei- fender Indianer-Art auf Dauer, sei es – wie bei unseren Vorfahren, den mordbrennenden Bauern – immerhin so lange, bis der Ruf nach einem besseren Leben entweder erhört oder erstickt worden ist. Teil I handelt von solchen ›Verrücktheiten‹ und fragt auch danach, warum Regenten, einmal etabliert, ihren Untertanen häufig so wenig entgegengekommen sind, dass die sich ihre abgelegte Wildheit zwischendurch wieder über- gestreift haben. Allerdings hat später ein besser ›temperiertes‹ Regime der Menge in Grenzen Gehör verschafft, immer darauf bedacht, dass diese ihre Masse ganz friedlich – als plumpe »Kopfzahlmehrheit« (John St. Mill) – in die Waagschale würde werfen können. Davon handelt Teil II. Er rekapituliert unterschiedliche Strategien, das ungeschlachte Rohmaterial, den »Pö- bel«, so lange zurechtzuhobeln, bis die Konturen eines geglätteten »Vol- kes« erkennbar werden. Restriktive Maßnahmen (indirekte Demokratie, limitiertes Wahlrecht, zensierte Meinungen) haben einen Teil der Zivili- sierung erledigt, konstruktive Vorkehrungen (pädagogische Aufrüstung, religiöse Indoktrination) den anderen. Insofern versteckt sich hinter dem, was bis heute als Demokratisierung gefeiert wird, die Produktion von Do- minanz. Am fernen Epochenende stand die westliche Demokratie. Dieses Re- gime funktioniert grundsätzlich nach einer einfachen Gleichung: Mas- senloyalität gegen Wohlfahrtsstaat. Es bestätigte sich so eine These, die der Staatswissenschaftler Lorenz von Stein schon vor anderthalb Jahr- hunderten vertreten hat: Dem Volk ist jede Verfassung recht, Hauptsache sie öffnet den Weg zur Verwaltung – speziell der des Wohlfahrtsbudgets. Eine Weile sah es so aus, als ob man ans Ende aller Zumutungen gekom- men sei, weil unter solchen Auspizien »Regieren Spaß macht« (ein längst verblichener SPD-Slogan), auch den Regierten. Dieser Eindruck hat ge- Einleitung 9 täuscht, denn zur selben Zeit gab es Anzeichen dafür, dass beide Seiten auf Distanz zueinander – und damit auch zum »System« – gehen würden. Über Unregierbarkeit haben die einen geklagt, Politikverdrossenheit war den anderen anzumerken. Weil es aber irgendwie weitergehen musste, ist ein ›erratisches Denken‹ darüber in Mode gekommen, wie man sich mit den Verhältnissen arrangieren könnte. Geister wurden gerufen und Geister sind gekommen, darunter viele, von denen bis vor kurzem nie- mand (schlecht) geträumt hätte. Ihr Gesicht ist ganz ohne Zweifel Donald Trump. Verkehrt wäre es jedoch, diese Gestalt samt ihrem Gefolge ins Reich von Wahn und Wut abzuschieben: eine Gegenwelt, die mit allem bricht, was bisher war. Spätestens auf den zweiten Blick erweist sich, dass Trumps Triumph nur einen Trend in Tollerei verwandelt: die Verweige- rung von Komplexität. Alle drei Teile führen zur selben Frage: Ties that bind? Sprich: Ist ein Regime gefunden worden, dessen Zumutungen innerhalb des Zumutba- ren geblieben sind? Solange der Rückblick informiert, fällt die Antwort leicht; was künftig passiert, hängt nicht zuletzt davon ab, was der Terror aus ›uns‹ macht. Die Geschichte des Regierens kann man auf verschiedene Weise er- zählen – beispielsweise als das Schicksal des »modernen Staates« (Rein- hard 2007) oder »politischen Systems« (Schlögl 2014). Dann stehen andere Fragen im Zentrum und andere Faktoren kommen zum Zug: Man inte- ressiert sich für Organisationsstrukturen bzw. Kommunikationsmedien, eben »subjektfreie Gewalt« (Gerstenberger 2006). Regieren als Zumu- tung erinnert daran, dass Strukturen und Medien nicht das Ganze sind, sondern lediglich Formen bestimmen, in denen Personen handeln, also durch Texte Taten sprechen lassen: ankündigen, begründen, erklären oder auch begehen. Der Worte sind deshalb nie genug gewechselt. I Devianz 2 Fremdheit und Fortschritt »Am Anfang«, glaubt John Locke,