KAS-Auslandsinformationen 1/2001
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Aus: KAS-Auslandsinformationen 1/2001 Reiner Biegel Die Parlamentswahlen 2000 in Ägypten: Pyrrhussieg der Regierungspartei wird zur Niederlage Die im Oktober/November 2000 in Ägypten abgehaltenen Parlamentswahlen waren mit großen Erwartungen verbunden. Staatspräsident Mubarak hatte saubere und faire Wahlen versprochen. Zum ersten Mal überwachten Richter in den Wahllokalen den Wahlverlauf. Da nicht genügend Richter zur Verfügung standen, wurden die Wahlen in drei Etappen durchgeführt. Nachdem bereits in der ersten Runde die allein regierende NDP nur auf ein Drittel der Stimmen kam und sich für sie ein Wahldisaster abzeichnete, wurde in der zweiten und dritten Runde den Anhängern der Opposition der Zugang zu den Wahllokalen, teilweise unter Einsatz massiver Gewalt, weitgehend verwehrt. Die Mehrzahl der unabhängigen Kandidaten, die einen Sitz gewonnen hatten, schloß sich umgehend der NDP an, wodurch die NDP mit 388 Sitzen einen klaren Wahlsieg errang. Überraschend gewannen die Islamisten als Unabhängige 19 von insgesamt 444 Sitzen. Das Verständnis von Opposition in arabischen Staaten Die im Oktober und November 2000 in Ägypten abgehaltenen Parlamentswahlen geben den Anlaß, grundsätzlich die Frage nach der Bedeutung von Wahlen und Parteien in arabischen Staaten aufzuwerfen1. Wahlen setzen allerdings voraus, daß es echte Alternativen gibt: zwischen einer Regierungspartei oder –koalition, die vom Wähler bestätigt oder durch Oppositionsparteien abgelöst wird, wie dies in den Demokratien westlicher Prägung regelmäßig der Fall ist. In arabischen Staaten haben die Herrschaftseliten eine Auffassung von Opposition, die mit den Vorstellungen von Opposition in liberal-rechtsstaatlichen Demokratien kaum übereinstimmt. In der engeren politikwissenschaftlichen Diskussion läßt sich Opposition als „legitim anerkannte politische Gegenkraft im Institutionengefüge eines Regierungssystems“ charakterisieren2. Bei den arabischen Staaten handelt es sich um politische Systeme, die bezüglich der Zuweisung von politischen Rechten an Individuen und Gruppen oder Organisationen zwar graduelle Unterschiede aufweisen, aber im wesentlichen dadurch gekennzeichnet sind, daß ihr vorrangiges Interesse dem Machterhalt einer bestimmten politischen, sozialen, religiösen, ethnischen oder familiär definierten Elite gilt. Sie werden deshalb, je nach Standpunkt, mehr oder weniger differenziert als autoritär, patrimonialistisch oder (neo-)paternalistisch bezeichnet. 1 Vgl dazu: Ali E. Hellal Dessouki: „L`évolution politique de l`Egypte: pluralisme démoqratique ou néo- autoritarisme?“, in: Monde Arabe Maghreb-Mashrek 127 (1990), S. 7-16; Michael A. Köhler: „Wahlen – Partizipation – Demokratie? Welchen Einfluß haben Wahlen auf die Entwicklung der parlamentarischen Systeme und der politischen Parteien im Nahen und Mittleren Osten?, in: KAS-Auslandsinformationen 8/1995, S. 26-48; Cilja Harders: „“Die Furcht der Reichen und die Hoffnungen der Armen“ – Ägyptens schwieriger Weg zur Demokratie“, in: Gunter Schubert, Rainer Tetzlaff (Hrsg.): Blockierte Demokratien in der Dritten Welt, Opladen 1998, S. 267-295; Hanspeter Mattes: „Politische Opposition in Nordafrika“, in: Sigrid Faath, Hanspeter Mattes (Hrsg.): Politische Opposition in Nordafrika (= wuqûf Bd. 12, Beiträge zur Entwicklung von Staat und Gesellschaft in Nordafrika), Hamburg 1999, S. 9-77. 2 s. dazu: Walter Euchner: „Opposition“, in: Wolfgang W. Mickel: Handlexikon der Politikwissenschaft, München 1983, S. 322-325. 2 Politische Opposition wird folglich in den arabischen Staaten unterschiedlich definiert. So unterscheiden arabische Herrschaftseliten zwischen loyaler und illoyaler Opposition, was zur Folge hat, daß loyale Opposition als institutionell legalisiert angesehen wird und illoyale als illegitim und somit illegal gilt. Von Staat zu Staat graduell und temporär unterschiedlich wird illoyale (religiöse, ethnische, tribale oder militärische) Opposition strikt unterdrückt oder geduldet. Die jährlich veröffentlichten Berichte von Organisationen wie Amnesty International u.a. über den Grad an Menschenrechtsverletzungen sowie die Einschränkungen politischer und bürgerlicher Freiheiten in den einzelnen Staaten führen regelmäßig zu dem Ergebnis, daß die arabischen Regime auf den unteren Rängen zu finden sind. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: ist der Islam, der in allen arabischen Ländern Staatsreligion ist, für den autoritären Charakter dieser Staaten allein oder mitverantwortlich?; liegt es an den dominanten klientelistischen Strukturen?; warum hat bisher kein einziger arabischer Staat eine konsolidierte Demokratie hervorgebracht?; warum hat sich noch keine politische Opposition herausgebildet, die in der Lage wäre, einen grundlegenden Systemwandel herbeizuführen? Bei den Experten gehen die Meinungen, ob es nur eine Frage der Zeit sei, wann in den arabischen Staaten substantielle Anstrengungen in Richtung Liberalisierung und Demokratisierung unternommen werden, weit auseinander. Optimistischere Prognosen, die dies bejahen, führen drei Faktoren ins Feld: 1. langfristig würden die wirtschaftlichen Öffnungsprozesse auch zu einer politischen Liberalisierung führen; 2. erzeuge die wachsende Unzufriedenheit der jüngeren Generationen einen Veränderungsdruck und 3. brächte der schon begonnene Generationenwechsel an der Staatsspitze (Marokko, Jordanien, Syrien) reformfreudigere junge Herrscher an die Macht. Pessimistischere Kenner der Region nennen fünf Gründe, die auf absehbare Zeit durchgreifende Veränderungen verhindern: 1. Die von den Staatsführungen unterhaltenen Patronagesysteme kooptieren bestimmte politische, soziale oder ethnische Gruppen durch die Gewährung wirtschaftlicher Privilegien (Im- und Exportlizenzen, Schutzzölle, gezielte Auftragsvergabe). Dadurch werden Rentenstrukturen gezielt zementiert. Einflußreiche wirtschaftliche Gruppen und eine entstehende Mittelklasse haben deshalb an einem Systemwandel kein Interesse. 2. Die Unterdrückung politischer Opposition bleibt neben der Kooptation ein bewährtes Mittel zur Aufrechterhaltung des Status Quo. Durch entsprechende Gesetze bleibt der Handlungsspielraum andersdenkender Personen oder Gruppen gering. 3. Die strukturelle Schwäche der Oppositionsparteien (geringes Interesse an Basisarbeit, Mitgliederschwäche, programmatische Defizite, Flügelkämpfe, fehlende Ressourcen, keine innerparteiliche Demokratie) auf der einen Seite und Gesetze, die eine aussichtsreiche politische Oppositionsarbeit systematisch behindern, auf der anderen Seite, lassen einen politischen Wechsel wenig aussichtsreich erscheinen. 4. Viele in den arabischen Staaten bestehende Nichtregierungsorganisationen sind noch kein Indikator für eine sich entwickelnde Zivilgesellschaft. Teils sind sie ebenfalls staatlich kooptiert und somit gebändigt, teils verfolgen sie nicht dem Gesamtwohl dienende Ziele, wie z.B. islamistische Einrichtungen, die nur ihre eigenen Vorstellungen, wie Staat und Gesellschaft aussehen sollen, gelten lassen. 3 5. Hierarchisch-patriarchalische Strukturen prägen in arabisch-islamischen Staaten Familie, Unternehmen und Politik. Dem einzelnen Bürger werden kaum Möglichkeiten zu einer individuellen Entfaltung gegeben. Kritik auf allen gesellschaftlichen Ebenen wird deshalb meist als Infragestellung der Autorität von Vater, Ehemann, älterem Bruder, Unternehmens- oder Parteichef oder am Staatspräsident interpretiert. Im politischen Bereich wird damit oft implizit ein Verrat an Staat und Nation suggeriert, weshalb das Wort Opposition gesellschaftlich zwiespältig bleibt: wo ist die Grenze zwischen berechtigter Kritik und wo beginnt Kritik die Grundfesten des Systems zu erschüttern? Solange die Interessenvertretungen, aus der Sicht der Betroffenen durchaus berechtigt, von hierarchisch geprägten Familien-, Stammes- oder anderen Gruppeninteressen bestimmt bleiben, ist es wenig wahrscheinlich, daß der Staat Autorität sukzessive zum Wohl der Bürger abgibt. Die im Herbst 2000 in Ägypten stattgefundenen Parlamentswahlen illustrieren anschaulich die angeschnittenen Problembereiche. Mittelfristig wird die politische Opposition nicht nur in Ägypten, sondern im gesamten arabischen Raum, weiter zahnlos bleiben. Zwar gab es bei den Wahlen in Ägypten insgesamt Zeichen eines ernsthafteren Bemühens um mehr Pluralismus und Demokratie, aber substantiell wird sich das politische System Ägyptens nicht ändern. Politische Parteien und Gruppierungen Zur Zeit sind in Ägypten 15 politische Parteien zugelassen, von denen aber neben der Regierungspartei NDP tatsächlich nur vier Parteien neben den als Unabhängige kandierenden Muslimbrüdern den Sprung in die ägyptische Volksversammlung geschafft haben. Zur regierenden NDP von Präsident Mubarak konnte sich allerdings keine der Oppositionsparteien als ernsthafte politische Gegenkraft etablieren. Das heutige Parteiensystem Ägyptens ging aus der von Präsident Anwar as-Sadat ab 1974 eingeleiteten politischen Liberalisierung hervor. Nach dem Tode Nassers 1970 entmachtete Sadat, als Vizepräsident war er automatisch sein designierter Nachfolger, im Mai 1971 in der sogenannten „Korrektivrevolution“ alle innenpolitischen Konkurrenten und leitete eine wirtschaftliche Öffnung (arab. infitah) ein, um die stagnierende Wirtschaft zu beleben3. Die nach der ägyptischen Revolution 1952 von Gamal Abdel Nasser gegründeten Einheitsparteien Arabische Union (1957-61), zuletzt ab 1962 die Arabische Sozialistische Union (ASU), umfaßten alle gesellschaftlich relevanten Institutionen (Medien, Gewerkschaften, Universitäten u.a.). Innerhalb der ASU bestanden informell politisch sehr unterschiedliche