Hellmuth Karasek Über Den Siegeszug Des Films (II): DIE BILDER LERNEN SPRECHEN
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100 JAHRE KINO LOKOMOTIVE DER GEFÜHLE Hellmuth Karasek über den Siegeszug des Films (II): DIE BILDER LERNEN SPRECHEN Szene aus DeMilles Hollywood-Monumentalfilm „Samson m das Jahr 1950 herum erlebte und gerträumen, ihrem System der Verhei- packte das Kino da, wo es am empfind- durchlitt die amerikanische Filmin- ßungen auf Erden und ihrer neuen My- lichsten war – bei den Zuschauern, die Udustrie ihre bis dahin größte Krise, thologie, dem Starkult, schien unaus- es zu TV-Sehern konvertierte, in den die den Film buchstäblich in seiner Exi- weichlich der Verdrängung durch den Augen der Filmschaffenden: pervertier- stenz erschütterte – das Fernsehen be- kleinen schwarzweiß rauschenden Ka- te. gann seinen Siegeszug durch Amerikas sten und seinem phosphoreszierenden Wir wissen heute, daß das Kino aus Wohnstuben; das Pantoffelkino schickte Licht ausgeliefert. Der neue Todfeind diesem Krieg letztlich gestärkt hervor- sich an, dem Kino seine Zuschauer weg- des Kinos verdankte sein Dasein dem ging, weil es einerseits sein Publikum zunehmen. Aus dem Publikum des Ki- gleichen Antrieb: einer Kamera. Er zurückerobern konnte, raus aus der nos wurden wieder vereinzelte Glot- zer, die, in Familienrudeln versammelt, schließlich das weltweite elektronische Dorf bilden sollten, wie es Marshall McLuhan später beschrieb. Die Television war für das Kino kein Spaß, sie ging ihm an den Kragen. Da- bei hatte mit dem Sieg der Alliierten über Hitler, den Duce und den Tenno gerade ein unvorstellbarer Siegeszug Hollywoods rund um den Erdball be- gonnen, der nur an dem Eisernen Vor- hang haltmachte. Mit den einmarschierenden GIs ka- men nicht nur Coca-Cola, Camel, Kau- gummi und Nylons, sondern auch die Filme aus der Traumfabrik Kaliforniens und propagierten, willentlich und auch unbewußt, den American Way of Life als die Zivilisationsform der zweiten Jahrhunderthälfte. Das drohte jetzt durch die TV-Revolte zu Bruch zu ge- hen. Der Film als Medium, als Bot- schaftsträger der US-Kultur mit ihrer KINOARCHIV ENGELMEIER Mittelstandsphilosophie, ihren Aufstei- Publikum in einem 3-D-Film (1953): Gemeinsames Erleben im Kino 140 DER SPIEGEL 1/1995 . EVERETT COLLECTION und Delilah“ (1950)*: Mit großem Format gegen den kleinen schwarzweiß rauschenden Kasten Wohnung, zurück zum gemeinsamen In all dem ersten Schrecken reagierte technischer Pionier, kündigte im Febru- Erleben. Und weil es andererseits eine die Industrie, als ihr das Wasser bis zum ar 1953 an, daß er 48 Warner-Kinos mit seltsame Symbiose mit dem ursprüngli- Kinn stieg, instinktiv richtig. Sie machte 3-D-Leinwänden und Warner Phonic- chen Todfeind einging: Beide leben als die Leinwand größer, breiter, die Bilder Tonsystemen ausstatten werde, die spe- Parasiten voneinander. Das Fernsehen plastischer. Cinemascope wurde erfun- ziell für 3-D-Filme entwickelt wurden. ist auf das Abspielen von Filmen ange- den, Vistavision, Todd-AO, Panavision, Im April hat der erste große 3-D-Film wiesen. Das bringt wiederum das Geld, 3-D-Kino und wie die Breitwandsyste- Premiere. Es ist das Gruselstück „Das das die Filmindustrie für ihre immer auf- me alle heißen. Der Warner-Konzern, Kabinett des Professor Bondi“ von An- wendigeren Projekte braucht. schon bei der Erfindung des Tonfilms dre´ de Toth. Das Werk läuft in Stereo- ton. Im September des gleichen Jahres wird der erste Cinemascope-Film urauf- geführt: Henry Kosters Monumental- schinken „Das Gewand“. Auch thema- tisch flüchtet sich der Film ins große Format: Er setzt auf „Sandalenfilme“ („Samson und Delilah“ von Cecil B. DeMille zum Beispiel) und deren Mas- senszenen und Kostümpracht. Man kul- tiviert Stars ins Überlebensgroße: die Krisenjahre waren auch die Jahre der Marilyn Monroe. Daß gleichzeitig, während die Holly- wood-Industrie durch den Ansturm des Fernsehens ins Wanken geriet, Holly- wood durch die McCarthy-Zeit in sei- nem Innersten schwer und existentiell beschädigt wurde, steht auf einem ande- ren Blatt. Im Rückblick stellt sich die Zeit der Schnüffeleien und Denunziationen durch den Ausschuß zur Untersuchung PHOTOFEST US-Familie beim Fernsehen (1950): Weltweit daheim vor der Glotze * Mit Hedy Lamarr und Victor Mature. DER SPIEGEL 1/1995 141 . unamerikanischer Umtriebe seit 1947 unter anderem als der Versuch des puritani- schen Amerika dar, den Sün- denpfuhl Hollywood (dessen Hauptsünde der Liberalis- mus Rooseveltscher Prägung war) auszutrocknen. Nach- träglich ist auch die anti- semitische Komponente der McCarthy-Ära nicht zu ver- kennen. Man sah mit Arg- wohn den „Internationalis- mus“, das Weltbürgertum der Industrie, die Sympathie für linke Ideen. Neal Gabler hat dies in seinem Buch „An Empire of Their Own – How the Jews Invented Holly- wood“ vielleicht am besten zusammenfassend analysiert. In schwierigen Zeiten, in sogenannten Epochen der Bewährung, besinnen sich Menschen gern auf ihre Ge- schichte – auf verflossene schwierige Zeiten, die gemei- stert wurden und in denen sich Menschen angesichts der Herausforderung bewährt hatten. Das war beim Film, KINOARCHIV ENGELMEIER der sich gern auch selbst zum Filmprospekt (1953): In der existentiellen Krise 3-D-Gruselstück mit Stereoton Thema hat, nicht anders. So erinnerte man sich in der zweiten gefährliche Viper nähert, angstvoll und Die Story, die sich um die verregnete großen Umwälzung (der um das Jahr angeekelt beiseite. Glanznummer des getanzten Titelsongs 1950) an die erste (die um das Jahr 1952 drehten Stanley Donen und rankt, erzählt von der Zeit, als der Ton- 1930) – als der Stummfilm dem Ton- Gene Kelly, der auch die Hauptrolle film wie ein Gewitter über Hollywood film die Leinwand räumen mußte. tanzte und spielte, mit Debbie Rey- kam. Verstörte Studios reagierten zu- Auch damals waren Karrieren, Syste- nolds, Jean Hagen und Donald O’Con- nächst panisch auf die Erfindung. me, Firmen, Gewohnheiten zerbro- nor das geglückteste und stimmigste Im Film ist es das Stummfilmpaar Li- chen; ein Sturm der Zerstörung und Musical aller (Film-)Zeiten: „Singin’ in na Lamont und Don Lockwood, das auf Erneuerung war über die Kinoland- the Rain“, das in den Jahrzehnt-Umfra- einmal, bei den Dreharbeiten, von gro- schaft gekommen. gen der Kritiker und Filmschaffenden ßen stummen Gebärden auf flotte seit 1958 stets unter die Dialoge umschalten muß: aus der besten zehn Filme ge- (ursprünglich) stummen Plotte „The Mit der Tonfilmrevolution wird kürt wird. Duelling Cavalier“ wird das beredte „Singin’ in the Rain“ Musical „The Dancing Cavalier“. die blonde Stummfilm-Diva (deutscher Titel: „Du Aber, o Graus, die dumme blonde erfrischend grausam abserviert sollst mein Glücksstern Diva (hinreißend entsagungsvoll ge- sein“) ist der Versuch spielt von Jean Hagen) hat eine scheuß- einer opulenten Ant- lich kreischige Stimme und ist auch zu wort auf das Fernse- dämlich, die Dialogregie des Tonfilms 1950 zeigte Billy Wilder sein großes hen: mit viel Musik, vielen Kostümen, zu begreifen – am Ende wird sie abser- Hollywood-Melodram „Sunset Boule- rauschenden Tanzvisionen. viert und durch ihr Stimmdouble (Deb- vard“, in dem ein Opfer der Zeitenwen- Auch „Singin’ in the Rain“ handelt bie Reynolds) ersetzt: Die Star-Ablö- de vom Stumm- zum Tonfilm, der von der Tonfilmrevolution, wenn auch sung vollzieht sich mit der erfrischenden Stummfilmstar Norma Desmond (ge- nicht elegisch-satirisch wie Wilders Grausamkeit, mit der sie von den Stu- spielt von einem der größten Stumm- „Sunset Boulevard“, sondern, wie es dios Ende der zwanziger Jahre prakti- filmstars, nämlich Gloria Swanson), sich bei der MGM, der größten Filmge- ziert wurde – a star is born, a star is vorgeführt wird. Ein Opfer und dessen sellschaft, gehörte, optimistisch über- gone. Tragödie. mütig. „We had faces!“, wir hatten Der Film, der 1927 diesen Umsturz Unvergeßlich die Szene, in der die (damals im Stummfilm noch) Gesichter, tatsächlich spektakulär einleitete, war Swanson auf dem Set von Cecil B. De- sagt die abgehalfterte Stummfilmdiva in „The Jazz Singer“ der Warner-Brothers- Mille kommt. DeMille hatte schon in „Sunset Boulevard“, eine große Ver- Studios. Schon im Jahr zuvor hatten die Stummfilmzeiten Kolossalwerke produ- gangenheit gegen eine billige Tonfilm- Warners, die Brüder Harry, Albert, ziert. Jetzt dreht er „Samson und Deli- gegenwart verteidigend. Erst wenn der Sam und Jack (Jack wurde später der ei- lah“ mit Ton. Und so schiebt die Swan- Film zu sprechen beginnt, verliert er sei- gentliche Herr des gigantischen Studios) son, die einen Moment auf dem Regie- ne stumme Stupidität – so ungefähr sagt mit „Don Juan“ (Regisseur beider Fil- stuhl DeMilles sitzt, das Mikrofon, das es Debbie Reynolds in „Singin’ in the me: Alan Crosland) die Tonfilmevoluti- sich ihr, so kommt es ihr vor, wie eine Rain“. on in Gang gesetzt: zu dem stummen 142 DER SPIEGEL 1/1995 . Mantel-und-Degen-Melodram mit John Barrymore und Mary Astor lief syn- chron über ein Plattenabspielgerät na- mens „Vitaphone“ die Musik zu dem Film. Mit der Flucht in die technische (Tonfilm-)Zukunft rettete sich das Stu- dio der Warner Brothers vor der Pleite und gehörte fortan zu den großen fünf Hollywood und später die (Film-)Welt beherrschenden Studios. Der entscheidende Durchbruch er- folgte mit dem „Jazz Singer“, auf dessen Gesangsnummern und Dialogfetzen das Publikum frenetisch reagierte: Die Menschen gerieten angesichts des spre- chenden Kinos außer Rand und Band. Es war ein lauthals hörbarer Sieg des (damals noch geglaubten) Fortschritts, KINOARCHIV ENGELMEIER ein neues Medium war kreiert, der Film Swanson in „Sunset Boulevard“ (1950): Opfer der Zeitenwende zum zweitenmal geboren. Der große Hollywood-Regisseur