17.02.2010 CONCERTO KÖLN ANDREAS STAIER CEMBALO CHRISTINE SCHORNSHEIM CEMBALO

SAISON 2009/2010 ABONNEMENTKONZERT 4 In Hamburg auf 99,2 Weitere Frequenzen unter Mittwoch, 17. Februar 2010, 20 Uhr ndrkultur.de Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal CONCERTO KÖLN

ANDREAS STAIER CEMBALO CHRISTINE SCHORNSHEIM CEMBALO

JOHANN CHRISTOPH FRIEDRICH BACH (1732 –1795) Sinfonie d-moll für Streicher Wfv I/3 I. Allegro II. Andante amoroso III. Allegro assai

WILHELM FRIEDEMANN BACH (1710 –1784) Adagio und Fuge d-moll für zwei Traversfl öten, Streicher und B. c. Fk 65 I. Adagio II. Allegro

WILHELM FRIEDEMANN BACH Konzert Es-Dur für zwei Cembali und Orchester Fk 46 I. Un poco allegro II. Cantabile III. Vivace

Pause

CARL PHILIPP EMANUEL BACH (1714 –1788) Konzert F-Dur für zwei Cembali und Orchester Wq 46 I. Allegro II. Largo e con sordino

Fotos {M}: EastcottFotos Momatiuk | gettyimages III. Allegro assai

JOHANN CHRISTIAN BACH (1735 –1782) Sinfonie g-moll op. 6 Nr. 6 Die Konzerte der Reihe NDR Das Alte Werk I. Allegro II. Andante più tosto adagio hören Sie auf NDR Kultur. III. Allegro molto

Das Konzert wird am 14. März 2010 um 11 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

Hören und genießen PROGRAMMABFOLGE | 03

AZ_KulturHarfe_DAW_148x210_HH.indd 1 02.04.09 12:43 CONCERTO KÖLN CONCERTO KÖLN BESETZUNG

Bereits kurz nach seiner Gründung im Jahr 1985 Bei umfangreich besetzten Produktionen wie z. B. 1. VIOLINE FLÖTE hatte sich Concerto Köln einen festen Platz in der Opern und Oratorien arbeitet die Formation gerne Markus Hoffmann Cordula Breuer ersten Reihe der Orchester für historische Auffüh- mit Dirigenten wie , René Jacobs, Stephan Sänger Martin Sandhoff rungspraxis erspielt. Frühzeitig fand das Ensemble, Marcus Creed, Evelino Pidò, Daniel Harding, David Jörg Buschhaus das musikwissenschaftlich fundierte Interpreta- Stern, Daniel Reuss, Pierre Cao, Laurence Equilbey Frauke Pöhl OBOE tionen mit spielerischem Verve verbindet, den und Emmanuelle Haïm zusammen. Zu weiteren Josep Domenech Weg in die renommiertesten Konzert säle und zu künstlerischen Partnern zählen u. a. die Mezzo- 2. VIOLINE Rodrigo Gutierrez den großen Musikfestivals. Die Diskographie von sopranistinnen Cecilia Bartoli, Waltraud Meier, Sylvie Kraus Concerto Köln umfasst mittlerweile mehr als 50 Magdalena Kožená, Vivica Genaux und Jennifer Antje Engel FAGOTT Einspielungen. Ein Großteil dieser CDs wurde mit Larmore, die Sopranistinnen Natalie Dessay, Hedwig van der Linde Lorenzo Alpert bedeutenden Preisen wie dem Echo, dem Grammy, Malin Hartelius und Véronique Gens, die Counter- Horst-Peter Steffen dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik, dem tenöre Andreas Scholl, Matthias Rexroth und HORN Choc du Monde de la Musique, dem Diapason Philippe Jaroussky, der Tenor Christoph Prégardien, VIOLA Franz Draxinger d’Année oder dem Diapason d’Or ausgezeichnet. der Pianist Andreas Staier, die Schauspieler Antje Sabinski Jörg Schulteß Die Besetzungsgröße von Concerto Köln variiert Bruno Ganz und Ulrich Tukur, der Regisseur Peter Gabrielle Kancachian je nach Programm und Repertoire. Als Ensemble, Sellars sowie der Balthasar-Neumann-Chor, der Cosima Nieschlag TROMPETE das sich der Historischen Aufführungspraxis NDR Chor, der RIAS Kammerchor, Accentus und Ute Hartwich verpflichtet fühlt, ist es Concerto Köln ein Anlie- Arsys de Bourgogne. VIOLONCELLO Gabor Hegyi gen, weitgehend ohne Dirigenten zu spielen. Werner Matzke Jan Kunkel PAUKE Stefan Gawlick KONTRABASS Jean-Michel Forest CEMBALO Gerald Hambitzer

04 | BESETZUNG CONCERTO KÖLN | 05 ANDREAS STAIER CHRISTINE SCHORNSHEIM CEMBALO CEMBALO

Andreas Staier, 1955 in Göttingen geboren, stu- Nach ihrem Klavierstudium an der Hochschule dier te Klavier und Cembalo in Hannover und für Musik in Berlin nahm Christine Schornsheim Amsterdam und war drei Jahre lang Cembalist Cembalo- und Generalbassunterricht bei Walter des Ensem bles Musica Antiqua Köln. 1986 be- Heinz Bernstein in Leipzig. Seit 1985 freiberuflich gann er seine Solistenkarriere als Cembalist und als Cembalistin tätig, qualifizierte sie sich durch Piano forte spieler. Er profilierte sich als einer der Meisterkurse bei , einflussreichsten Interpreten seines Fachs, der und Johann Sonnleitner. Christine Schornsheim Kom po nisten von Haydn bis Schumann intellek- trat unter Dirigenten wie Sir Georg Solti, Seiji tuell wie emotional neu beleuchtet, zugleich große Ozawa, Claudio Abbado, Leopold Hager, Peter Literatur jenseits des Repertoires erschließt Schreier, Markus Creed, Georg Christoph Biller, (Hummel, Field) und mit kreativen Konzepten Hellmuth Rilling, Gilbert Varga, Hermann Max („Delight in Disorder“, „Hamburg 1734“) überzeugt. sowie Christoph Pappen auf. Als Kammermusiker arbeitet Staier mit Künstlern zusammen wie Anne Sophie von Otter, Pedro Seit 1985 ist Christine Schornsheim zunehmend Memelsdorff, Alexej Lubimov, Christine Schorns- als Solistin am Cembalo und Hammerflügel Gast heim; ein festes Klaviertrio etablierte er mit Daniel bei Festivals in den wichtigsten Kulturzentren Sepec und Jean-Guihen Queyras. Mit dem Tenor Deutschlands sowie den meisten Länder Europas, Christoph Prégardien verbindet den Pianisten Israel, Japan und den USA. Als Liedbegleiterin von eine langjährige musikalische Partnerschaft, in der gab sie am Hammerflügel 1994 CDs mit Liedern von u. a. Schubert, Schumann, Andreas Staier hat rund 50 CD-Einspielungen ihr erfolgreiches Debüt. Ihre wichtigsten musika- Von 1988 bis 1992 hatte Christine Schornsheim Mendelssohn, Beethoven und Brahms entstanden. vorgelegt, die größtenteils mit internationalen lischen Partner sind Andreas Staier, Christoph einen Lehrauftrag für die Fächer Cembalo und In Brahms’ Liederzyklus „Die Schöne Magelone“ Schallplattenpreisen ausgezeichnet wurden. Huntgeburth, Ulla Bundies und Mary Mutiger. Generalbass an der Hochschule für Musik und arbeitete Staier zudem mit Senta Berger und Der französische Komponist Brice Pauset schrieb Seit Herbst 2003 ist sie Mitglied des neugegrün- Theater Leipzig. Im November 1992 wurde sie als Vanessa Redgrave als Sprecherinnen zusammen. für ihn seine „Kontra-Sonate“, die Staier 2001 deten Ensembles „Münchener Cammer-Music“. Professorin für Cembalo und Hammerflügel an das zur Uraufführung brachte. Christine Schornsheim legte zahlreiche, vielbe- gleiche Institut berufen. Im Oktober 2002 er hielt Als Solist gibt Andreas Staier regelmäßig Konzerte achtete Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen sie dann eine Professur für Cembalo an der Hoch- mit Concerto Köln, dem Freiburger Barockorches- vor. 1999 erhielt sie den Echo-Klassikpreis für schule für Musik und Theater in München, worauf- ter, der Akademie für Alte Musik Berlin, dem Or- die Einspielung dreier Cembalokonzerte von hin sie ihre Lehrtätigkeit in Leipzig beendete. chestre des Champs-Elysées Paris u. a. Er gastiert Carl Philipp Emanuel, Wilhelm Friedemann und bei den großen internationalen Musikfestivals . Im Fe bru ar 2005 erschien (Festival de La Roque d’Anthéron, Festival de das von ihr an fünf histo ri schen Tasteninstrumen- Saintes, Festival de Montreux, Styriarte Graz, ten gespielte gesamte Klavierwerk Joseph Haydns. Schubertiade Schwarzenberg, Schleswig-Holstein Diese Einspielung wurde in Frankreich mit dem Musik Festival, Bach-Fest Leipzig, Bachtage Berlin, Diapason d’Or Mai 2005 und dem Diapason d’Or Bachwoche Ansbach, Kissinger Sommer u. a.) Jahrespreis 2005 sowie in Deutschland mit dem und auf den international renommierten Konzert- Preis der deutschen Schallplattenkritik sowie dem podien von Berlin bis Tokio. Echo Klassik 2005 aus gezeichnet.

06 | SOLIST SOLISTIN | 07 Carl Philipp Emanuels Karriere begann wie die FAMILIÄRE VIELFALT seines achtzehn Jahre jüngeren Bruders Johann JOHANN SEBASTIAN BACH UND SEINE SÖHNE Christoph Friedrich als Cembalist. Während letzte- war es, der in Anspielung und der dann zunächst bei seinem Bruder Halb- rer allerdings am Bückeburger Hof sein Leben ver- auf die kompositorische Größe Johann Sebastian bruder Carl Philipp Emanuel in Berlin lebte, er - brachte und am Ende aufgrund seines geringen Bachs forderte: „Nicht Bach – Meer sollte er heißen“. sparte sich den Umweg über die Jurisprudenz und Einkommens in ärmlichen Verhältnissen lebte, Angesichts eines Konzertes mit Werken seiner vier ging mit neunzehn zielsicher ins Mutterland der schaffte „CPE“ den Sprung aus der zweiten Reihe berühmt gewordenen Komponistensöhne liegt Musik: nach Italien. des musikalischen Regiments Friedrichs des Großen aber eine andere Metapher aus der Naturphäno- ins Rampenlicht der Hamburger Bürgerkultur: Er menologie näher: Wenn man den Vater als großen Möglicherweise war es für ihn am leichtesten wurde mit dreiundfünfzig Jahren Musikdirektor an „Strom“ bezeichnet, so erscheinen die Söhne als von allen, sich schon in jungen Jahren frei zu ent- den Hauptkirchen der Hansestadt und damit Nach- dessen Mündungsdelta, als von ihm gespeiste wickeln, weil er den Vater nicht mehr im zeitinten- folger seines Patenonkels Telemann. Auf diese Stelle Verzweigungen unterschiedlicher Größe, die es siven Amt als Thomaskantor erlebte, sondern als hatte sich auch Johann Christoph Friedrich bewor- aber allemal ebenfalls zu mehr als einem „Bach“ Pensionär mit hoher Aktivität im Konzertwesen ben, aber er hatte gegen den älteren Bruder keine bringen. Gibt es ein zweites familiäres Beispiel in Leipzigs. Seine Assistenz beim Schreiben der Par- Chance – auch wenn der Schaumburg-Lippische der europäischen Kulturgeschichte, in dem gleich tituren des allmählich erblindenden Vaters war Hof nördlich des Weserberglandes als eine der bes - vier Söhne den Beruf des Vaters mit Erfolg und sicherlich eine wichtige Vorübung für den eigenen ten Hofkapellen in deutschen Landen galt, so kam Können ausübten? Von insgesamt neun und zehn Werdegang, die er mit seinen Geschwistern teilte, ein Musiker aus dem unmittelbaren Umfeld des Kindern zweier Mütter mag die Wahrscheinlichkeit, denn als Kopisten mussten alle heranwachsenden Preußischen Königs doch aus einer anderen „Liga“. dass mehrere begabte Sprösslinge ihren Weg Brüder dienlich sein. Dennoch lernte Johann machen, nicht allzu gering erscheinen. Aber zum Christian in Italien nach anfänglichen Kirchenmu- Obgleich CPE in Berlin eher im Schatten eines Johann Christoph Friedrich Bach einen überlebten das Kindesalter nur jeweils sechs sikstudien bei dem berühmten Bologneser Padre Quantz (Flöte) oder Graun (Oper) stand, hat er und zum anderen war es im 18. Jahrhundert durch- Martini ein völlig anderes Feld, die Oper, kennen seinen individuellen Kompositionsstil entwickeln entwickelt haben und eben gemeinsam jene aus nicht selbstverständlich, es mit seiner künst- und lieben – ein Genre, das er als einziger der vier können und sich selbstbewusst gegen die im Vielfalt verkörpern, die im Strom der väterlichen lerischen Begabung tatsächlich ins Blickfeld der Bach-Söhne pflegen sollte. ge samten europäischen Raum zunehmenden Ein- Musik angelegt war. Musikgeschichte zu schaffen. flüsse der italienischen Oper behauptet, wie sich Die größten Schwierigkeiten im Abnabelungs- und Gottfried Ephraim Lessing an ein mit CPE geführtes ITALIENISCHE FREUDEN IN BÜCKEBURG: Gerade weil ein Kantor oder Kapellmeister noch Selbstbeweisungsprozess hatte augenscheinlich Gespräch erinnerte: „Bach klagt über den itzigen JOHANN CHRISTOPH FRIEDRICH eher dem Handwerk als der hohen Kunst zugeord- der Älteste, Wilhelm Friedemann, mit dem sich der Verfall der Musik. Er schreibt ihn der komi schen Die nachwirkende Schule des Übervaters Johann net wurde, ist die Familie Bach ein einzigartiges Vater intensiv beschäftigt hatte. Die Erwartungen Musik zu; und sagte mir, dass Galuppi selbst, der Sebastian Bach ist im vorliegenden Konzertpro- Phänomen. Drei der vier komponierenden Söhne, an ihn waren übergroß, doch auch er schaffte es, einer von den ersten komischen Komponisten ist gramm ebenso deutlich zu spüren, wie die vorsich- von denen jeweils zwei Vollbrüder sind – Wilhelm einen eigenen Weg zu gehen und sich als Organist [...] versichert habe, dass der Geschmack an der tige Abnabelung einer jüngeren Generation von ihr. Friedemann (geb. 1710) und Carl Philipp Emanuel einen Namen zu machen: „Dieser Friede. Bach (der komischen Musik sogar die alte gute Musik aus den Ein schönes Beispiel dafür bietet gleich zu Beginn (geb. 1714) auf der einen sowie Johann Christoph Hallische) war der vollkommenste Orgelspieler den Kirchen in Italien verdränge.“ In Hamburg konnte eine Sinfonie des zweitjüngsten Sohnes Johann Friedrich (geb. 1732) und Johann Christian (geb. ich gekannt habe. Er war hier i. J. 1784 gestorben er sich schließlich umso intensiver der „guten alten Christoph Friedrich. Denn der als außergewöhn- 1735) auf der anderen Seite, begannen allerdings als ich schon Bürger und Meister war. Er wurde für Musik aus den Kirchen“ widmen. lich begabter Pianist gehandelte „Bückeburger zunächst mit dem Jurastudium, um dann festzu- eigensinnig gehalten wenn er nicht jedem aufspie- Bach“, war hörbar geprägt von italienischen Ein- stellen, dass die Musik auch für sie das einzig len wollte; gegen uns junge Leute war er’s nicht und Wenn man Kompositionen der vier Bach-Söhne flüssen. Die hatte er im Schaffen seines Vaters Wahre ist. Nur der Jüngste, Johann Christian, der spielt Stundenlang“, schwärmte der Komponist Carl näher betrachtet, so fällt sofort auf, dass sich die schon in vielen Varianten kennen gelernt – man erst vierzehn Jahre alt war, als sein Vater starb, Friedrich Zelter gegenüber seinem Freund Goethe. Tonsetzer alle in unterschiedliche Richtungen denke etwa an die Brandenburgischen Konzerte

08 | PROGRAMM PROGRAMM | 09 Sebastian Bachs, sein Italienisches Konzert für instrumente den langsamen „Cantabile“-Mittelsatz Cembalo oder die Bearbeitungen von Werken einvernehmlich in c-moll verdichten. Dass das Vivaldis. Bei Johann Christoph Friedrich verschie- Orchester dabei sogar ganz schweigt, ist aus dem ben sich jedoch die Akzente eindeutiger zur ita- Geist des ersten Satzes heraus verständlich. Schon lienischen Oper hin. dort setzen sich die Solisten mit ihren schwärme- rischen, erst nach und nach virtuosen Ideen gegen Die dreisätzige Streichersinfonie d-moll zählt zu die Barockpracht eines Tutti ab, das wohl erst nach- insgesamt zehn, zwischen 1765 und 1772 geschrie- träglich mit Hörnern, Clarinen (Trompeten) und benen, „frühen“ Gattungsbeiträgen. Der Tonart Pauken klanglich angereichert wurde. Im Fi na le d-moll, die das 18. Jahrhundert eigentlich als de - finden dann Soli und Tutti vollends zum Konsens. mütig und ernst empfand, gesellt sich im ersten Wann das Werk genau entstanden ist – darüber Satz eine gewisse bühnennahe Dramatik und eine gehen die Meinungen auseinander. Wahrscheinlich gelegentliche Lust am konzertierenden Wettstreit ist eine Datierung zwischen 1750 und 1760 rich- hinzu. Opernhaft darf man auch den langsamen tig. Und auch die Annahme, es sei im Hause der Mittelsatz empfinden, der die Streicher (mit Dämp- Berliner Bankiersfamilie Itzig uraufgeführt worden, fern!) zu einer „amourösen“ Serenadenmusik mit hat viel für sich. Mancher möchte aber im reifen empfindsamen Seufzern einlädt: Die Satzbezeich- Profil der Musik doch gerne ein Spätwerk gespie- nung „Andante amoroso“ findet sich wenig später gelt sehen. in Mozarts B-Dur-Klaviersonate KV 281 und wird noch nach mehr als 100 Jahren in der „Lyrischen VORBOTE DER ROMANTIK: Suite“ von Alban Berg oder in der zweiten „Nacht- Wilhelm Friedemann Bach CARL PHILIPP EMANUEL Carl Philipp Emanuel Bach musik“ der Siebten Sinfonie Gustav Mahlers auf- Carl Philipp Emanuel, der mit seinen Anklängen an fallen. Konventioneller im Sinne eines souverän ist ganz sicher der Maßlosere, wenn es um kühne die Ästhetik der „Empfindsamkeit“ gern als Vor- fröhlich natürliche F-Dur-Konzert ein Herzstück in angewandten Spätbarocks gestaltet sich der ab - Ausritte in der Harmonik oder um eine üppig auf- bote der Romantik und damit als der „modernste“ seiner Moll-Variante, eine Tonart, die im 18. Jahr- schließende Hoftanz-Rausschmeißer: eine munte re, blühende Melodik geht. Sein inneres Schwanken unter den Bach-Söhnen gilt, hält hier mit einem hundert mit Klage, Melancholie und „tödlicher eher an französischen als italienischen Vorbildern zwischen väterlicher Tradition und eigener Innova- eindeutig frühen Beitrag noch eher vorsichtig da- Hertzens-Angst“ (Johann Mattheson, 1713) verbun- geschulte Bourée. tionskraft ist im übrigen auch mit dem Adagio und gegen. Schon 1740 in Berlin entstanden, erweist den wurde. Hier kündigt CPE schon seine empfind- der Fuge d-moll verbunden worden, wo die beiden das F-Dur-Doppelkonzert Wq 46 eindeutig dem same Ader, seinen außergewöhnlich fein entwickel- KONZERTANTER WETTSTREIT UM DAS ERBE: obligaten Traversflöten im Adagio in neue empfind- damals noch lebenden Vater die Ehre, der die Gat- ten Klangsinn und seine Fähigkeit an, betörende WILHELM FRIEDEMANN same Welten vorzustoßen scheinen, um sich dann tung Cembalokonzert (zum Teil ebenfalls mit zwei, und verstörende Melodie-Linien zeichnen zu kön- Besonders interessant gestaltet sich das musikali- gemeinsam mit den Streichern der Exegese einer aber auch mit drei und sogar vier Tasteninstru- nen. Der würdige Tiefsinn des aufstrebenden sche Defilee der ungleichen Brüder nicht nur bei der doch wieder eher strengen Fuge zu unterwerfen. menten) selber nur wenige Jahre zuvor in Leipzig Dreiklang-Kopfmotivs mit nachfolgend absinken- rahmenden Gegenüberstellung der Sinfonien von weit entwickelt hatte. Dennoch darf man auch hier der Seufzer-Folge wird im Finale in ein stolz auf- Johann Christoph Friedrich und Johann Christian. Doch solche Widersprüche prägen auch eines sei- feststellen, dass die Söhne, kaum der väterlichen begehrendes Jetzt-erst-recht-Dur verwandelt. Die Gerade auch der vermeintliche Wettstreit der ner bedeutendsten und größten Instrumentalwerke: Lehrzeit entwachsen, eigenständige Ideen entwi- Cembali überbieten sich gegenseitig in munteren beiden älteren Brüder Carl Philipp Emanuel und Eigenwillig ist das Es-Dur-Doppelkonzert schon ckeln. Auf einen eher konventionell hochbarocken, Spielfiguren und die (nachträglich vom Komponis- Wilhelm Friedemann um die kompositorische deswegen, weil es eher das gegenseitige musika- ganz dem Wechselspiel zwischen Orchesterritornell ten in den Streichersatz eingefügten) Hörner Krone in der Gattung Doppelkonzert für Cembali lische Einverständnis zwischen den beiden Cem- und Solo-Zwiesprache der beiden Cembali gewid- sorgen für prächtige Jagd-Fanfaren-Stimmung. und Orchester hat es in sich. Wilhelm Friedemann, bali betont – und eben nicht den konzertanten meten Kopfsatz, folgt ein faszinierend nachdenk- obwohl spürbar ein glänzender Kontrapunktiker, Wettstreit. Das geht so weit, dass die beiden Tasten- liches Largo in f-moll. So bekommt das eigentlich

10 | PROGRAMM PROGRAMM | 11 Das dreisätzige Werk, das wohl in der zweiten Hälfte der 1760er-Jahre und wahrscheinlich für die JOHANN SEBASTIAN BACH gemeinsam mit dem Komponisten und Gambisten Carl Friedrich Abel veranstalteten Londoner Kon- VERHEIRATET MIT: VERHEIRATET MIT: zerte im Saal des St.-James-Parkes entstand, steht der dreiteiligen italienischen Opernouvertüre nahe. MARIA BARBARA BACH (1684 – 1720) ANNA MAGDALENA WILCKE (1701 – 1760) Von opernhafter Plastizität sind denn auch die (9 Kinder, davon 3 Kinder gestorben) (10 Kinder, davon 5 Kinder gestorben) musikalischen Gestalten, die hier auf die Hörbühne drängen: jugendliche Liebhaber, die wütend drein- schlagen, aber auch betörend elegisch singen SÖHNE: SÖHNE: können. Die dramatischen, ja grollend vorüber- zuckenden Ecksätze umrahmen ein schmerzlich WILHELM FRIEDEMANN (1710 – 1784) JOHANN CHRISTOPH FRIEDRICH (1732 – 1795) fast zum Adagio gebremstes Andante. Der Unisono- („Hallenser Bach“) („Bückeburger Bach“) Themenkopf des Satzes steckt den Raum einer c-moll-Sexte charakteristisch ab. Auf ganz eigene CARL PHILIPP EMANUEL (1714 – 1788) JOHANN CHRISTIAN (1735 – 1782) Weise weitet der jüngste Bach-Sohn so seinerseits („Hamburger Bach“) („Londoner Bach“) den musikalischen Kosmos seiner erstaunlichen Familie.

Selke Harten-Strehk Johann Christian Bach

GEISTIGE BRUDERSCHAFT MIT MOZART: JOHANN CHRISTIAN Am hellhörigsten erahnt wohl Johann Christian den neuen Klang, der uns in der Musik von Haydn, Mozart und Gluck heute so vertraut erscheint. Der „Mailänder“ oder „Londoner Bach“ ist die entschei- dende Scharnierfigur, die die epocheübergreifende Verbindung zwischen der Familie Sebastian Bach und den Klassikern anschaulich macht. Die freund- schaftliche Geistesverbindung zu dem eine knappe Generation jüngeren und die deutliche Abwendung von der in sich ste- ten Generalbass-Barockmusik zu einer sprunghaft diskontinuierlichen „Sturm-und-Drang“-Ästhetik meint man gerade in der singulären Sinfonie g-moll op. 6, Nr. 6 hautnah nachempfinden zu können.

12 | PROGRAMM JOHANN SEBASTIAN BACH | 13 NDR DAS ALTE WERK ARVO PÄRT ZUM 75. GEBURTSTAG NDR CHOR IMPRESSUM ABONNEMENTKONZERT Donnerstag, 11. März 2010, 20 Uhr ABONNEMENTKONZERT St. Johannis am Turmweg Herausgegeben vom Abo-Konzert 5 Theatre of Voices URLICHT NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Samstag, 27. März 2010, 20.30 Uhr Paul Hillier Leitung Abo-Konzert 4 PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal GUILLAUME DE MACHAUT Donnerstag, 4. März 2009, 20 Uhr BEREICH ORCHESTER UND CHOR Les Musiciens du Louvre Grenoble „Veni creator spiritus“ Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio Leitung: Rolf Beck Leitung ARVO PÄRT Dirigent: Philipp Ahmann Markus Brutscher Tenor (Evangelist) „Missa Syllabica“ – Kyrie, Gloria Elbtonal Percussion Redaktion NDR Das Alte Werk: Christian Immler Bass (Jesus) PEROTIN Mitglieder des NDR Sinfonieorchesters Angela Piront Vokalsolisten „Beata viscera“ MAURICIO KAGEL JOHANN SEBASTIAN BACH ARVO PÄRT „Mitternachtsstük“ Redaktion des Programmheftes: „Johannes-Passion“ BWV 245 „Missa Sillabica“ – Credo für Stimmen und Instrumente Dr. Harald Hodeige ANONYMUS (Frz.) über vier Fragmente aus dem Tagebuch 19.30 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal der Laeiszhalle „O Maria Maris Stella“ | „O Maria Virgo“ von Robert Schumann Der Text von Selke Harten-Strehk HERMANNUS CONTRACTUS ROBERT SCHUMANN ist ein Originalbeitrag für den NDR. „Alma redemptoris mater“ Romanzen op. 69 ARVO PÄRT für Frauenchor und obligates Klavier Fotos: SONDERKONZERTE Wallfahrtslied GUSTAV MAHLER/CLYTUS GOTTWALD Janos Stekovics (Titel + Umschlagrückseite) GUILLAUME DUFAY „Urlicht“ Giampiero Corelli (S. 5) THE RARE FRUITS COUNCIL „Alma redemptoris mater“ „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ France-Alvaro Janez (S. 6) Mittwoch, 3. März 2010, 20 Uhr ARVO PÄRT WILHELM KILLMAYER Laion (S. 7) Bucerius Kunst Forum „Missa Syllabica“ – Sanctus, Agnus, Ite „... was dem Herzen kaum bewusst ...“ akg-images / Nimatallah (S. 9) Ian Karan Auditorium ANONYMUS (Frz.) Acht Chorlieder von J. v. Eichendorff akg-images (S. 10) Rathausmarkt 2 Post missarum für Männerchor a cappella akg-images (S. 11) Manfredo Kraemer Violine und Leitung ANONYMUS (Engl.) Kammermusik Nr. 2 akg-images (S. 12) HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER „Stond wel moder under roode“ „Schumann in Endenich“ „Sonata Representativa“ ARVO PÄRT NDR | Markendesign 18.45 Uhr: Klangradar 3000 Klangwellen Battalia à 10 Stabat Mater Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg „Die Pauernkirchfahrt“ In Kooperation mit NDR das neue werk Litho: Reproform PAVEL VEJVANOVSKY In Kooperation mit NDR das neue werk Druck: KMP Print Point Sonata a 6 Campanarum JOHANN VALENTIN MEDER „BAROCK LOUNGE“ NDR Das Alte Werk im Internet: „Der Polnische Pracher“ Samstag, 13. März 2010, 21 Uhr www.ndr.de/dasaltewerk PHILIPP JAKOB RITTLER Hamburg, Kampnagel, [kmh], Jarrestr. 20 Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. 0180 - 1 78 79 80 [email protected] (bundesweit zum Ortstarif für Anrufe aus dem deutschen Festnetz, „Harmonia Romana“ Elbipolis Barockorchester Hamburg Preise aus dem Mobilfunknetz können abweichen), online unter Tim Exlie DJ www.ndrticketshop.de Nachdruck, auch auszugsweise, In Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum „ZURÜCK ZUR NATUR“ nur mit Genehmigung des NDR gestattet. anlässlich der Ausstellung launisch, wunderbar, bizarr „Täuschend echt – Die Kunst des Trompe-l’oeil“ Musik von HÄNDEL, VIVALDI

14 | KONZERTVORSCHAU KONZERTVORSCHAU / IMPRESSUM | 15