Ausgabe I|2014

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ein Magazin mit Texten und Diskussionen zur www.planung-neu-denken.de Entwicklung von Stadt und Region Inhaltsverzeichnis

Editorial I|2014: Flughäfen und ihre Umfelder

Schwerpunkt: Flughäfen und ihre Umfelder

Sven Conventz: Wenn der Flughafen zur Büroadresse wird. Neue multimodale und multifunktionale Bürostandorte an internationalen Flughäfen. Eine Bestandsaufnahme aus Frankfurt und Düsseldorf. Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderung integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung Fabian Sonnenburg: Flughafenbezogene Immobilienentwicklung und Planungskonflikte: Eine Diskussion am Beispiel von /Australien Nadine Scharfenort: Flughafenstandorte als neue Wachstumspole in arabischen Golfstädten? – »Airport-Cities« in Dubai und Doha Cordula Neiberger: Do Airports green cities? Von der Airport City zur nachhaltigen Region. Flughafenstrategien und Regionalentwicklung

Umschau

Ulrich Berding & Florian Kluge: Partzipative Kunst – Stadtgestaltung durch temporäre Interventionen Fabian Thiel: »Milieubedingte Unruhe«? Planung und wirtschaftliche Kenngrößen von Prostitutionsimmobilien und Vergnügungsstätten in Frankfurt am Main Ursula Stein: Ein systemisches Kommunikationsmodell für die räumliche Planung

Lesetipps

Airport Cities. Ein Lesetipp von Claus-C. Wiegandt Flughäfen und Stadtentwicklung – Das Themenheft der »Geographischen Rundschau« zum Weiterlesen Airport. Eine Woche in Heathrow. Ein Lesetipp von Claus-C. Wiegandt Miles Away. Deutsche Flughäfen auf dem Weg in die Zukunft – Das Themenheft der Zeitschrift »polis – Magazin für Urban Development« Black Box BER. Aufklärung und/oder Abrechung. Ein Lesetipp von Sarah Ginski

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Editorial I|2014 Flughäfen und ihre Umfelder

Themenschwerpunkt Flughäfen und ihre Umfelder

Der Skandal um den Bau des neuen Berliner Flughafens hat dazu geführt, dass das Thema der Flughäfen in den vergangenen Jahren in die breite Öffentlichkeit gerückt ist. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Hiobsbotschaften aus der Hauptstadt kommen. Nicht nur Berlin und Brandenburg sind dadurch in Misskredit geraten. Auch das Vertrauen in die Planung sol- cher großen Projekte ist geschwunden. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Großpro- jekten ist aber nur die eine Seite der Medaille beim Thema Flughäfen. Auf der anderen Seite der Medaille stehen bemerkenswerte räumliche Entwicklungen im unmittelbaren Umfeld von Flughäfen, die bisher in der allgemeinen Öffentlichkeit seltener thematisiert werden und die deshalb in dieser Ausgabe von pnd|online aufgegriffen werden.

So sind für die räumliche Planung nicht al- den letzten zehn Jahren von 144 Mio. im Jahr lein die Ausweisung und Realisierung neuer 2000 auf 190 Mio. im Jahr 2010 gestiegen. Flughafenstandorte oder die Erweiterung und Das Frachtaufkommen hat sich in der glei- der Ausbau bereits bestehender Flughäfen chen Zeit von rund 2,3 Mio. auf rund 4,4 Mio. von Interesse. Auch im Umfeld der Flughä- Tonnen sogar verdoppelt (ADV 2011). Etwa fen entwickeln sich neue Agglomerationen, 850.000 Arbeitsplätze hängen heute direkt die in der Wissenschaft inzwischen unter oder indirekt vom Luftverkehr ab (Bundesre- den Begriffen »Airport City« (Güller & Gül- gierung 2009). ler 2003), »Aerotropolis« (Kasarda & Lindsay Mit dieser rasanten Entwicklung geht 2011), »Airea« (Schlaack 2010) oder »Aviopo- nicht nur ein verstärkter Ausbau der Flughä- lis« (Fuller & Harley 2005) diskutiert werden. fen selbst einher, sondern Flughäfen bilden Ausgangspunkt für diese vermeintlich neuen gleichzeitig neue Kristallisationspunkte für Städte ist das enorme Wachstum des Luftver- weitere Entwicklungen auch in ihrem nä- kehrs in den vergangenen Jahren. Allein in heren Umfeld. Am Rande der großen Städ- Deutschland ist das Passagieraufkommen in te sind so neue »urbane Knoten« (Hartwig

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2000; Freestone 2009) mit vielfältigen Wir- auch im Umfeld der australischen Flughäfen kungen für die gesamtwirtschaftliche, aber bemerkenswerte Prozesse der Stadtentwick- auch für die stadtregionale Entwicklung im lung zu beobachten sind. Im spezifischen Umfeld der Flughäfen entstanden. Neben Städtesystem dieses Landes, das durch eine den Erweiterungen aufgrund des steigenden hohe Konzentration der Bevölkerung auf we- Passagieraufkommens wachsen Großflug- nige große Zentren bei gleichzeitig großen häfen auch im sogenannten Non-Aviation- Distanzen zwischen diesen Zentren und dem Sektor, der nicht unmittelbar mit dem Fliegen Rest der Welt gekennzeichnet ist, spielt der zu tun hat. Die Betreiber verfolgen oftmals Flugverkehr eine besondere Rolle. Die weit- vielfältige Unternehmensstrategien, die sich gehende Privatisierung der Flughäfen hat in an den Standorten in ganz unterschiedlichen Australien dazu beigetragen, dass sich in den Flächennutzungen für Hotels, den Einzelhan- vergangenen Jahren Immobilienstandorte del oder Unternehmensansiedlungen äußern und Arbeitsplätze an den Flughäfen entwi- (Schubert & Conventz 2011). ckelt haben, die in einem scharfen Wettbe- werb zu den Innenstadtstandorten stehen. In den fünf Beiträgen des Schwerpunkts wird Brisbane wird als prominentes Beispiel in der Frage nachgegangen, was sich an verschie- dem Beitrag von Sonnenburg vorgestellt. denen Standorten im Umfeld der großen, in- Als weiteres Beispiel für den rasanten ternational bedeutsamen Flughäfen tut und Ausbau internationaler Flughäfen und ihre welche Rückwirkungen diese Entwicklungen gleichzeitige Einbindung in die Prozesse der auf die bestehenden städtischen und regiona- Stadtentwicklung dienen die kleinen Golf- len Raumstrukturen haben. staaten auf der Arabischen Halbinsel. Nadine Die Autorinnen und Autoren richten ih- Scharfenort verbindet die jüngere Geschichte ren Blick zum einen auf die deutsche Situati- der neuen Flughäfen mit der ökonomischen on. Sven Conventz geht dazu der Frage nach, und politischen Situation in den einzelnen wie sich die neuartigen Bürostandorte im Scheichtümern und erklärt auf diese Weise Umfeld der beiden Flughäfen in Düsseldorf vor allem das schnelle Wachstum der beiden und Frankfurt entwickelt haben. Er zeigt, dass Großflughäfen in Dubai und Doha. Ohne den das traditionelle Verständnis von Flughäfen Ausbau der Flughäfen wäre die dynamische als ein bloßer Ort von Verkehrsleistungen in- Entwicklung der Retortenstädte in dieser Re- zwischen überholt ist. Flughäfen sind heute gion, die über kein großes Hinterland verfü- vielmehr interessante Standorte für Büroim- gen, kaum denkbar gewesen. mobilien geworden, die nicht nur durch ihre Der fünfte Beitrag zum Themenschwer- multimodale Verkehrsanbindung, sondern punkt der Flughäfen stammt von Cordula auch durch ihr internationales Image und ihr Neiberger. Sie zeigt in ihrem Beitrag zum spezifisches urbanes Versorgungsangebot an einen, dass der Ausbau von Flughäfen nicht Bedeutung gewinnen. nur positive, vielfältige regionalökonomische Im zweiten Beitrag setzt sich Johanna Effekte zur Folge hat, sondern ebenso viel- Schlaack mit dem Verhältnis zwischen den fältige Konflikte beim Ausbau der Flughäfen drei Berliner Flughäfen und der Stadtent- zu überwinden sind. Gleichzeitig macht sie wicklung in der Hauptstadt auseinander. deutlich, welche Anstrengungen Flughäfen Die Nachnutzungen der beiden Flughäfen unternehmen, möglichst nachhaltig zu agie- Tempelhof und Tegel werden in dem Bei- ren und hier untereinander in einen Wettbe- trag ebenso thematisiert wie die Konflikte werb treten, ein möglichst positives Image der Lärmbelastung durch den zukünftigen der Nachhaltigkeit zu erhalten. Großflughafen für Berlin-Brandenburg (BER) und die ökonomischen Potenziale, die sich in einem möglichen Wachstumskorridor zwi- Umschau schen dem Berliner Hauptbahnhof und dem südöstlich gelegenen Standort in Schönefeld Neben dem Themenschwerpunkt enthält die- ergeben können. Schlaack plädiert dafür, bei se Ausgabe auch aktuelle Beiträge aus ande- Planungen und Projekten zukünftig die Zu- ren Themenfeldern der Stadtentwicklung. sammenhänge zwischen den drei Berliner So beschreiben Ulrich Berding und Flo- Flughafenstandorten stärker zu berücksich- rian Kluge ganz besondere Instrumente, die tigen. zur Beschäftigung mit und Entwicklung von Zum anderen beschäftigen sich zwei wei- Stadträumen beitragen können: Aktionen tere Beiträge mit außereuropäischen Beispie- und Interventionen. Anhand von drei Beispie- len. So weist Fabian Sonnenburg nach, dass len zeigen sie, wie temporäre Interventionen

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niederschwellige Partizipation fördern und Literatur verstetigen können, sonst eher »unsichtbare« Akteure aktivieren und sich mit etablierten ADV, Der Flughafenverband: Statistiken IVF 2010. und bewährten Programmen und Verfahren Abrufbar unter: http://www.adv.aero/verkehrszahlen/ verbinden lassen. archiv/statistiken2010/. Abgerufen am 01.09.2011. Um »unsichtbare« Akteure ganz anderer Bundesregierung (2009): Flughafenkonzept der Bundes- Art geht es in dem Beitrag von Fabian Thiel, regierung 2009. Abrufbar unter: http://www.bmvbs. in dem er die wirtschaftliche Bedeutung von de/cae/servlet/contentblob/30822/publicationFi- Vergnügungs- und Prostitutionsimmobilien le/4215/flughafenkonzept-2009-der-bundesregierung. in Frankfurt am Main beschreibt. Immobili- pdf. Abgerufen am 19.10.2011. enbewerter und Planer sehen sich nicht nur Freestone, Robert (2009): Planning, Sustainability and mit moralischen Vorstellungen und rechtli- Airport-Led Urban Development. In: International chen Unklarheiten zur Definition von Ver- Planning Studies, Jg. 14, H. 2, S. 161-176. gnügungsstätten konfrontiert, sondern auch Fuller Gillian; Harley, Ross Rudesch (2005): Aviopolis: mit einem undurchsichtigen Akteursgefüge, A Book About Airports. London. das schon allein die Bestandsaufnahme er- Graham, Anne (2009): How Important are Commercial schwert – ganz zu schweigen von der Entwick- Revenues to Today’s Airports? In: Journal of Air Trans- lung planerischer Konzepte zur Integration port Management, Jg. 15, H. 3, S. 106-111. von Vergnügungsstätten in das Stadtgefüge. Güller, Mathis; Güller, Michael (2003): From airport to Ursula Stein knüpft schließlich mit ihrem airport city. Barcelona. Beitrag an den Themenschwerpunkt der Aus- Hartwig, Nina (2000): Neue urbane Knoten am gabe II_III|2013 zur Wirkung von Mitwirkung Stadtrand? : Die Einbindung von Flughäfen in die an. Sie entwickelt für die räumliche Planung Zwischenstadt. Frankfurt/ Main. ein »systemisches Kommunikationsmodell«, Kasarda, John; Lindsay, Greg (2011): Aerotropolis. The in dem Stadt und Region gleichermaßen Ort Way We’ll Live Next. New York. und Gegenstadt von Kommunikationsprozes- Schlaack, J. (2010): Defining the Area. Evaluating Urban sen sind. Anhand von vier Beispielen zeigt sie Output and Forms of Interaction between Airport mögliche Effekte auf, die auf diesem kommu- and Metropolitan Region, In: U. Knippenberger, A. nikativen Modell beruhende Planung nach Wall (Hg.): Airports in Cities and Regions. Research sich ziehen kann. and Practise. Karlsruhe: KIT Scientific Publishing, S. 113–126. Schubert, Jan; Conventz, Sven (2011): Immobilienstand- Lesetipps ort Flughafen – Merkmale und Perspektiven der Air- port Cities in Deutschland. In: Berichte zur deutschen Zum Themenschwerpunkt der Flughäfen Landeskunde, H. 1, S. 13-26. und ihrer Umfelder gehören in dieser Ausga- be auch fünf Lesetipps. So finden sich in dem jüngst erschienenen Sammelband »Airport Cities – Gateways der metropolitanen Ökono- mie«, im Themenheft »Flughäfen und Stadt- entwicklung« der »Geographischen Rund- schau« sowie im Heft »Miles Away. Deutsche Flughäfen auf dem Weg in die Zukunft.« der Zeitschrift polis weitere Beiträge zum Zusam- menhang von Stadtentwicklung und Flugha- fenausbau. Zudem werden die beiden kleinen Publikationen »Airport – eine Woche Heath- row« von Alain de Botton zum Alltagsleben auf dem Londoner Flughafen und »Black Box BER – vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen« von Meinhard von Gerkan zur Planungsgeschichte des neu- en Berliner Großflughafens besprochen und empfohlen.

Claus-Christian Wiegandt & Sarah Ginski

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REviewed Wenn der Flughafen zur Büroadresse wird. Neue multimodale und multifunktionale Bürostandorte an internationalen Flughäfen. viewedRE Eine Bestandsaufnahme aus Frankfurt und Düsseldorf.

Abstract Sven Conventz ist wissenschaftlicher Die Immobilie Flughafen regelt als raumgebundene Infrastruktur in erster Linie den reibungs- Mitarbeiter am Lehrstuhl losen Ablauf des Luftverkehrs. Diese verkehrstechnisch zwar zutreffende Kurzbeschreibung für Raumentwicklung an von Flughäfen greift jedoch im Hinblick auf die gegenwärtigen Entwicklungen an internatio- der Technische Universität nalen Flughäfen zu kurz. Flughäfen sind heute Interaktionsräume und Verkehrsknotenpunk- München (TUM). te zugleich, die aufgrund ihrer absehbaren Entwicklungspfade zunehmend als Informations-, Geschäfts- und Wissensdrehscheiben fungieren. Multimodalität in Verbindung mit einer hoch- wertigen Dienstleistungsinfrastruktur wird zunehmend als entscheidender Wettbewerbs- und Entwicklungsvorteil erachtet. Das Zusammenspiel von Service- und Netzwerkinfrastruktur hat Flughäfen und ihre direkten Umfelder zu hochattraktiven Bürostandorten für eine Vielzahl von Firmen werden lassen. Der vorliegende Beitrag nimmt sich diesem Themenkreis an und reflektiert die neuartigen bürobezogenen Raummuster im Umfeld der Flughäfen Frankfurt und Düsseldorf.

1. Einleitung Flugzeug hat an internationalen Großflughä- fen zu einem kontinuierlichen Aufbau von Flughäfen – vor allem jene mit Hubfunkti- physischer Infrastruktur und der Ansiedlung on und leistungsstarker landseitiger Anbin- von Nutzungen geführt, die nicht primär luft- dung – gehören derzeit zu den spannendsten verkehrsbezogen sind. Waren Flughäfen in Standorten und Immobilientypen im urban- der Vergangenheit zunächst funktionale, von regionalen Gefüge, in deren unmittelbaren verkehrstechnischen Überlegungen getrie- Umfeld sich die sichtbarsten Veränderungen bene monomodale Solitäre in der Peripherie von Stadtregionen vollziehen (vgl. Kunzmann der Städte, so haben sich diese im Zuge der 2001: 214 ff., Sudijc 1992: 143). Ansiedlung zusätzlicher Nutzungen graduell zu multifunktionalen und multimodalen Im- Die seit Jahrzehnten stetig anwachsende Be- mobilienstandorten sowie zu Knotenpunkten förderung von Passagieren und Fracht per des Wissens- und Informationsaustausches

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und des globalen Warenhandels verdichtet. In ππ Was zeichnet die Attraktivität dieser Büro- den Vereinigten Staaten haben sich um inter- standorte aus? nationale Flughäfen in einem Radius von 20 ππ Sind diese neuartigen Standorte eher als bis 30 Kilometer vollumfängliche Stadträume Ergänzung oder als Konkurrenz zu den eta- mit Wohngebieten, Shopping Centern, Frei- blierten Standorten, zum Beispiel im Innen- zeiteinrichtungen und Unternehmenssitzen stadtbereich, zu werten? von High-Tech Unternehmen und Produzen- tendienstleistern herausgebildet. Beispielhaft Der nachfolgende Beitrag ist in sechs Ab- lassen sich die US-amerikanischen Städte schnitte untergliedert. Im Anschluss an die Chicago, Dallas, Miami oder Washington, Einleitung befasst sich der zweite Teil mit D.C. anführen. In Metropolräumen Ostasi- aktuellen Entwicklungstendenzen in Bezug ens, wie etwa Seoul, Hongkong, Bangkok oder auf die Stadt-Umland Beziehung. Vor diesem Beijing, werden Flughäfen direkt als Kristalli- Hintergrund thematisiert der dritte Abschnitt sationspunkte von neuen, großmaßstäbigen den Wandlungsprozess von internationalen Stadtentwicklungsplanungen forciert. Dort Flughäfen hin zu multifunktionalen Immo- werden derartige Verstädterungsprozesse bilienstandorten. Mittels der Fallbeispiele nicht nur vom Luftverkehrswachstum beför- Frankfurt Rhein-Main und Düsseldorf Rhein- dert, sondern korrespondieren mit einem Ruhr werden diese Entwicklungstendenzen hohen Wachstum von Wirtschaft und Stadt- im vierten Teil näher beleuchtet. Die Aus- bevölkerung. Weltweit werden Flughäfen führungen konzentrieren sich dabei auf die heute nicht mehr nur als wichtige Motoren in den letzten Jahren an beiden Flughäfen der Beschäftigung und der Regional- und Na- angestoßenen Büroflächentwicklungen. Der tionalökonomie perzipiert, sondern als neue fünfte Abschnitt stellt die Fragen nach den städtebauliche Idee, welche mit Begriffen wie attraktivitätsbegründenden Faktoren dieser zum Beispiel Airport City (Güller et al. 2003) Standorte in den Vordergrund und fragt, ob oder Aerotropolis (Kasarda 2000, 2004) um- und wieweit sich Konkurrenzverhältnisse zu schrieben werden. etablierten Lagen zum Beispiel im Innen- stadtbereich herausbilden können. Der Bei- Im Rahmen der Diskussion um so genannte trag schließt mit einem Fazit im sechsten »Flughafenstädte« scheinen die Interdepen- Abschnitt. denzen zwischen Flughäfen und Büroräu- men – im Gegensatz zum mittlerweile ein- gehend untersuchten Airport Retailing (vgl. 2. Entstehung eines neuen Kasadra 2008; Brust 2005; Oechsle 2005; urbanen Ordnungsmusters Koolhaas et al 2001) – innerhalb der plane- rischen, immobilienökonomischen oder hu- Allgemeiner technischer Fortschritt und mangeographischen Fachliteratur allenfalls Raumentwicklung sind seit jeher eng mitein- eine Randposition einzunehmen. Dies ist ander verbunden und stehen in einem gegen- umso verwunderlicher, als dass die Wirkungs- seitigen Wirkungsverhältnis. Seit den 1960er und Beeinflussungszusammenhänge eine Jahren kommt es vor allem in hoch industri- zunehmend raumgestalterische Funktion in- alisierten Ländern zu einer anhaltenden De- nehaben und eine immer stärkere Dynamik konzentration, d.h. Wanderung von Bevölke- aufweisen. Gegenstand des vorliegenden Bei- rung, Verwaltung, Handel und Gewerbe aus trags sind die neuartigen Bürostandorte, wel- der Kernstadt in das Umland. Diese Entwick- che sich direkt an oder im unmittelbaren Um- lung führt zu einer flächenartigen Expansion feld der Flughäfen Frankfurt und Düsseldorf vieler Städte über ihre bisherigen Siedlungs- herausgebildet haben. Ausgangspunkt bilden und Kommunalgrenzen – ein Prozess, der dabei folgende Fragen: mit dem Begriff »Suburbanisierung« be- ππ Welche Determinanten haben zur funkti- schrieben wird (Brake 2001: 15). onal-ökonomischen Anreicherung der städ- tischen Peripherie beigetragen und damit Mit diesem Ausdehnungsprozess ist eine zu- einen neuen Stellenwert von Flughäfen und nehmende Gewichtsverschiebung innerhalb deren unmittelbarem Umfeld bewirkt? des traditionellen Kernstadt-Umland-Verhält- ππ Welche bürobezogenen Aktivitäten und nisses und die Herausbildung neuer urbaner sonstigen Raumnutzungen lassen sich gegen- Formen verbunden, welche die alte Polarität wärtig am Flughafen sowie dessen Umfeld von Zentrum und Peripherie beziehungswei- ausmachen? se Kernstadt und Umland als hinfällig in Er- scheinung treten lassen (Hesse und Schmitz

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1998: 437 ff.). Das für monozentrische Ver- Vielzahl von Neologismen hervorgebracht dichtungsräume lange dominierende eindi- (vgl. Lang 2000: 31). Der auffälligste und mensionale und hierarchisch geprägte Ver- wohl in der Fachliteratur am meisten gewür- flechtungsgefüge wird daher seit geraumer digte Ausdruck stellt hierbei Garreau‘s Begriff Zeit zunehmend in Frage gestellt (vgl. Prigge der »Edge City« dar (Garreau 1991). Ausge- 1998: 6; Siebel 1998: 93 f.; Sieverts 2001: 38; hend von einer explizit flughafenorientierten Hall und Pain 2006). Sieverts hält hierzu in Raumentwicklung bereicherte Kasarda die seinem Buch »Zwischenstadt« (2001) fest: Diskussion um den Begriff der Aerotropolis, »Die Städte sind schon lange nicht mehr, einer speziellen Ausprägung der Edge City wenn sie es denn je waren, in einer hierar- (Prosperi 2007). Nach Kasarda bezeichnet chischen Raumstruktur geordnet, das Städ- die Aerotropolis eine bis zu 15 Meilen vom tesystem ist vielmehr als ein Netz mit Kno- Flughafen entlang der Hauptverkehrsachsen tenpunkten zu interpretieren. [...] Aber aus abstrahlende neue urbane Form Luftfahrt- mancherlei Gründen geht die Entwicklung orientierter Business-Cluster (vgl. Kasarda unserer Städte schon seit langer Zeit in die 2004: 92). Flughäfen als Standorte haben Richtung eines Abbaus räumlicher Zentra- sich in den letzten Jahren jedoch nicht nur litätshierarchien zugunsten einer räumlich auf zeitsensitive Wirtschaftszweige des pro- gleichmäßig verteilten, arbeitsteiligen, raum- duzierenden Gewerbes und Logistiker an- funktionalen Spezialisierung. [...] Mit der ziehend ausgewirkt, sondern verstärkt auch Auflösung des Begriffs Zentrum verliert auch auf reise- und wissensintensive Unterneh- der Begriff Peripherie seinen Bedeutungsge- mungen der Dienstleistungs- und Hightech- halt, zumal sich die Peripherie mit Zentren Branche. Dies drückt sich räumlich in einer der verschiedensten Art anreichert« (Sieverts verstärkten Ansiedlung von Hauptquartieren 2001: 38 f.). und regionalen Niederlassungen aus. Diese siedeln sich entweder im direkten und teil- In seiner Konsequenz führt diese Entwick- weise fußläufigen Umfeld der Terminals an, lung zu einer Abnahme des Kern-Rand-Gra- so zum Beispiel im Fall der noch näher zu dis- dienten, zu einer Auflösung des ehemals mo- kutierenden Beispiele Frankfurt und Düssel- nozentrischen Beziehungsgefüges und zur dorf, oder im weiteren Umfeld der Flughäfen, Herausbildung eines komplexen polyzentri- wie dies beispielsweise in München der Fall schen Systems. Dieses ist durch eine Vielzahl ist. Die wichtigsten Büromarktkennzahlen ausgelagerter und gegenüber der Kernstadt spiegeln diesen veränderten standörtlichen emanzipierter Subzentren gekennzeichnet, Stellenwert von Flughäfen und ihren Umfel- welche in ihrer Struktur sowohl monofunk- dern wider. tional (z.B. Messestadt, Ikea-Urbia) als auch multifunktional (z.B. Airport City) gestaltet sein können. Somit verlagert sich ein Teil der 3. Vom Verkehrsknotenpunkt zum ehemals in der Kernstadt angesiedelten Zent- multifunktionalen Immobilienstandort ralität in deren Außenbereich (Fassman 2004: 115). In seiner äußersten Konsequenz kann Nach lexikalischem Verständnis sind Flughä- sich die Beziehung sogar ganz umkehren. fen großflächige Anlagen der Luftfahrt, die Hierzu stellt Prigge fest: primär dem Starten und Landen von Flugzeu- »So wie Rand und Peripherie auch in zen- gen sowie durch entsprechende technische tralen Lagen des fragmentierten Stadtraumes Anlagen und Serviceeinrichtungen der Per- erscheinen, entstehen umgekehrt in den sonen- und Güterabfertigung dienen (Leser peripheren Räumen zentrale ökonomische 2005: 238). Folgende fünf Kernbestandteile Wachstumskerne industrieller Dienstleis- charakterisieren in der Regel einen jeden tungsdistrikte. [...] Die regionale Raumstruk- Flughafen: Start- und Landebahn, Kontroll- tur ist durch gleichzeitige Prozesse von Kon- turm, Wartungshalle, Flughafengebäude so- zentration und Zerstreuung geprägt, die nicht wie Park- und Cargo-Bereiche (Edwards 2005: mehr dem herkömmlichen Muster von Zen- 6). trum und Peripherie folgen« (Prigge 1998: 10). Diese verkehrstechnisch zwar zutreffende Definition von Flughäfen greift jedoch im Für diesen nur noch bedingt mit den her- Hinblick auf die gegenwärtige Entwicklung kömmlichen Vorstellungen von Stadt zu grei- an internationalen Flughäfen zu kurz, da sie fenden räumlichen Rekonfigurationsprozess insbesondere solche Funktionen vernachläs- hat die akademische Fachdiskussion eine sigt, welche den Flughafen als ein für Passa- www.planung-neu-denken.de 4| 13 Sven Conventz: Wenn der Flughafen zur Büroadresse wird. ...

giere, Nicht-Reisende und Frachtgüter viel- denden Kräfte nicht nur an so genannten schichtiges System mit diversen und flexiblen Hubflughäfen, wie etwa Frankfurt, sondern Anschlüssen an lokale, regionale, nationale sich ebenfalls an kleineren internationalen und internationale Märkte erscheinen lässt. Flughäfen mit hubähnlicher Kompetenz er- Die unterschiedlichen Funktionen und das kennen lassen, wurde als zweites Fallbeispiel veränderte Verständnis von Flughäfen lassen der Flughafen Düsseldorf gewählt. Einleitend sich sprachlich am besten mit dem Bild eines werden die beiden Flughäfen kurz charakte- Marktplatzes fassen (Gottdiener 2001; Ed- risiert. Sodann wird in einem zweiten Schritt wards 2005), der neben den Bedürfnissen der mittels einer sekundärstatistischen Analyse rein verkehrlichen Marktteilnehmer auch je- von Büromarktkennzahlen die Büroflächen- nen Zwecken anderer Akteursgruppen, etwa entwicklung nachvollzogen. Datengrundlage aus der Handels- und Dienstleistungsbran- für die Analyse der Büroimmobilienentwick- che, Rechnung trägt. lung bildet die BNP Paribas Office Datenbank.

Dieser Transformationsprozess von Flug- 4.1 Fallbeispiel Frankfurt häfen ist vorrangig auf eine Geschäfts- bzw. Rhein-Main Flughafen planerische Entwicklungsstrategie zurück- zuführen, welche sich nicht zuletzt aus den Der Flughafen Frankfurt am Main, rund zwölf für die Flughafenbetreiber veränderten Rah- Kilometer südwestlich vom Frankfurter Stadt- menbedingungen innerhalb des Luftver- zentrum entfernt, ist mit 57,5 Mio. Passagie- kehrsmarktes ergibt. Vor allem deregulatori- ren in 2012 Deutschlands größter Flughafen sche Maßnahmen, d.h. die Herstellung eines und einer der wichtigsten Drehscheibenflug- Konkurrenzmarktes, die Ermöglichung des häfen im internationalen Luftverkehr (vgl. Marktzugangs oder die flexiblere Tarifgestal- Fraport 2012a: 3). Als wichtigster Flughafen tung, haben nicht nur einen wesentlichen Deutschlands übernimmt dieser nicht nur Einfluss auf das Marktfeld internationaler die Gateway-Funktion für die Metropolregion Fluglinien ausgeübt, sondern auch zu ver- Rhein-Main, sondern für Gesamtdeutschland änderten Marktrahmenbedingungen für und verbindet diese mit 295 Destinationen Flughafenbetreibergesellschaften beigetra- in 107 Ländern (Fraport 2012b). Neben der gen (Deutsche Bank Research 2004). Um Integration in die Luftverkehrsnetze von 107 unter diesen neuen Marktgegebenheiten zu internationalen Fluggesellschaften profitiert bestehen, haben viele Flughafenbetreiber im der Flughafenstandort zusätzlich von einer Zuge der Generierung neuer Geschäftsfelder leistungsfähigen Integration in landseitige den Ausbau von so genannten Non-Aviation Verkehrssysteme. Hierzu zählen neben der Nutzungen forciert. Darunter werden alle Anbindung an die Autobahnen A3 und A5 Tertiärfunktionen subsumiert, die »lediglich sowie der Bundesstraße B 43 auch die Anbin- mittelbar das Funktionieren des Flughafenbe- dung an das lokale beziehungsweise regionale triebs unterstützen, indem sie zum Beispiel S-Bahnnetz und die Anbindung an das Hoch- mit ihren finanziellen Erträgen zur Erhöhung geschwindigkeits- und Fernverkehrsnetz der der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens Deutschen Bahn. So zählt der Fernbahnhof beitragen« (Dehn; Hacker; Vesely 1998: 63). »Frankfurt am Main Flughafen« heute zu Beispielhaft sind die Sektoren Einzelhandel, den bedeutendsten Drehkreuzen der Deut- Gastronomie oder sonstige Immobilien- schen Bahn sowohl im Ost-West als auch im nutzungen (Warschun 2007). Der Ausbau Nord-Süd Verkehr. Diese weltweit einzigarti- des Non-Aviation-Bereichs trägt somit ent- ge verkehrstechnische Erschließungsqualität scheidend zur Entstehung multifunktionaler hat den Standort Frankfurt Flughafen sowie Nutzungsagglomerationen auf dem Flugha- sein direktes Terminalumfeld zu einem der fengelände sowie in dessen unmittelbarer am besten erreichbaren Orte der Welt werden Umgebung bei. lassen und gleichzeitig eine wichtige Grund- voraussetzung für Immobilienentwicklungen am Flughafen geschaffen. 4. Die Fallbeispiele Frankfurt Rhein-Main und Düsseldorf Rhein-Ruhr Bezogen auf seinen Büroimmobilienmarkt zählt Frankfurt zu den dynamischsten Märk- Nachfolgend soll der Entwicklungsprozess ten in Deutschland. Trotz der hohen Attrakti- von Flughäfen hin zu Büroquartieren anhand vität einiger Teilmärkte im Innenstadtbereich zweier Fallbeispiele diskutiert werden. Um ist es in den letzten Jahren aufgrund der be- zu verdeutlichen, dass sich die quartiersbil- grenzten stadträumlichen Gegebenheiten

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sowie der Existenz eines dichten Netzes leis- mit 44.000 m2 beziehungsweise 22.000 m2 tungsfähiger Verkehrsträger zu einem Sub- Bürofläche oder das Squaire mit 96.400 m2 urbanisierungsprozess von Arbeitsplätzen (Fraport 2013). im Dienstleistungsbereich an die Peripherie von Frankfurt und den umliegenden Gemein- Rund sieben Minuten von Terminal II fuss- den gekommen (Stadt Frankfurt 2003: 5). läufig entfernt liegt das Main Airport Center Verstärkt wird dieser Prozess aufgrund der (MAC), dessen Büroflächenangebot rund Knappheit an erstklassigen Flächen in den 51.000 m2 umfasst (Fraport 2013). Die zu- begehrten Lagen im Innenstadtbereich (vgl. künftigen Planungen sehen ebenfalls um- Colliers Property Partners 2008). Von die- fangreiche Bürobestände im Rahmen der ser Entwicklung profitieren Standorte wie Erschließungs- und Konvertionsgebiete Gate- Niederrad, Umlandgemeinden wie Eschborn, way Gardens und Mönchhof Gelände vor. Im aber auch der Flughafenstandort selbst. Letz- Fall von Gateway Gardens werden diese sogar terer wird von Mietsuchenden aufgrund des mehrere Hunderttausend Quadratmeter um- quantitativ und qualitativ gestiegen Immo- fassen (Fraport 2013). Die untenstehende Ta- bilienangebots, der multimodalen Erreich- belle 1 fasst die wichtigsten Büroflächenent- barkeitsvorteilen sowie dem Vorhandensein wicklungen zusammen. von urbanen Einrichtungen zunehmend als Ansiedlungsoption wahrgenommen, andis- Mit der Initiierung eines differenzierten Bü- kutiert und – sofern er der Standortprüfung roflächenangebots hat sich der Flughafen- standhält – auch gewählt (Schulze 2008; standort in den letzten Dekaden dem Vermie- Schulze 2013; Conventz und Thierstein 2014). tungsmarkt geöffnet und gilt heute als einer Während sich in den Anfängen die Büroflä- der Standorte innerhalb des Gesamtmarktes chenentwicklungen zumeist auf das durch mit der höchsten Bauaktivität. den Flughafenzaun begrenzte Flughafenareal erstreckte, findet in der jüngsten Vergangen- Die Marktaktivität ist vor allem durch die Flä- heit zunehmend auch eine Überplanung von chennachfrage von Unternehmen gekenn- angrenzenden Arealen statt. Beispiele sind zeichnet, die im Gegensatz zu einfachen etwa das Konversionsprojekt Gateway Gar- Logistikern eine nicht »naturgegebene« Flug- dens, das Main Airport Center (MAC) oder hafenaffinität aufweisen. Hierzu zählen zum das Squaire. Grundsätzlich muss zwischen Beispiel wissensintensive Unternehmen aus zwei Bereichen differenziert werden: Dies dem Beratungswesen, der Finanzindustrie, sind einerseits alle Büroflächen, die mit dem dem Maschinenbau, der Elektro- und Medi- Flughafen eine räumliche Verflechtung auf- zintechnik oder der Werbebranche, welche weisen, d.h. sich im Sicherheitsbereich des verstärkt Flächen im Flughafenteilmarkt Flughafens befinden und folglich nicht jeder- nachfragen. Zu den prominentesten Mietern mann zugänglich sind. Dazu gehören alle Bü- der letzten Jahre gehören neben global täti- roflächen innerhalb der Cargo Cities. gen Mehrbetriebsunternehmen wie KMPG, Arthur D. Little, Nemak oder Dell auch Einbe- Andererseits stehen dem alle frei zugängli- triebsunternehmen wie etwa Herbold Fischer chen Bürostandorte gegenüber. Hierzu zäh- Associate oder Schiff-Martini & Cie. Eine das len z.B. das Frankfurt Airport Center I und II Vermietungsgeschehen dominierende Bran-

Bürostandort Nutzfläche in m2 Entwicklungsstand Gebäude 201 20.000 m 2 Realisiert Gebäude 700 11.100 m2 Realisiert Winglet 13.000 m 2 Realisiert Fraport Unternehmenszentrale 23.000 m2 Realisiert Propeller 48.000 m2 Geplant Frankfurt Airport Center 1 44.000 m2 Realisiert 2 Frankfurt Airport Center 2 22.000 m Realisiert Tabelle 1: Ausgewählte The Squaire 96.400 m2 Realisiert Büroflächenentwicklung am Gateway Gardens Bis zu 700.000 m2 Im Bau Flughafen Frankfurt am Main Quelle: Fraport 2013, eigene Main Airport Center 51.000 m2 Realisiert Darstellung www.planung-neu-denken.de 6| 13 Sven Conventz: Wenn der Flughafen zur Büroadresse wird. ...

che lässt sich nicht identifizieren. Eine star- 10.000 m2 und über 10.000 m2 hervor. Rund ke Flächennachfrage wurde in den letzten 86 Prozent aller Vertragsabschlüsse im Teil- Jahren aus den Branchen Beratung, Handel, markt Frankfurt Flughafen entfielen 2011 Transport & Verkehr, Finanzdienstleistung, auf die Größenklasse über 10.000 m2. Im Information & Kommunikation, Verwaltung Vergleich hierzu waren es 2005 etwas mehr sowie Gesundheitswesen registriert (Völker als 50 Prozent (Völker 2007). Flächengrößen 2007, BNP Paribas 2013). kleiner als 5.000 m2 haben hingegen nur ge- ringere Anteile am gesamten Flächenumsatz. Insgesamt werden, wie Abbildung 1 verdeut- Ähnlich den etablierten innerstädtischen Bü- licht, vor allem großflächige Büros ab 1.000 rostandorten ist es in den letzten Jahren im m2 gesucht. Besonders stark treten Vertrags- Zuge einer gestiegenen Objekt- und Quali- abschlüsse in der Größenklasse 5.001 bis tätsvielfalt zu einer Ausdifferenzierung des

Abbildung 1: Vermietung nach Größenklassen in den Teilmärkten Frankfurt und Düsseldorf Flughafen in den Jahren 2011 und 2012 Quelle: BNP Paribas Real Estate Consult 2013; Bearbeiter: Lehrstuhl für Raumentwicklung (TUM)

Abbildung 2: Flächennachfrage nach Mietpreisgruppen in den Teilmärkten Frankfurt und Düsseldorf Flughafen in den Jahren 2011 und 2012 Quelle: BNP Paribas Real Estate Consult 2013; Bearbeiter: Lehrstuhl für Raumentwicklung (TUM)

www.planung-neu-denken.de 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Flughafen 17,3 25 30 18 25 27 30 30 Hauptbahnhof 18,4 15 17 17 18 21 22,5 25 18 16 Bankenviertel 42 37 34 34 35 36,5 37 35 35 35 Niederradpnd|online I|2014 17,5 14,5 15 15,5 13,5 16 16 16 157| 13 17 Eschborn 16 13,5 14 13,5 12,5 13 18,5 14 14 14 Westend 42 38 33,3 33,5 35 37,5 37,5 35 36 36

45

40

35

30

Flughafen 25

und Monat und Monat Hauptbahnhof 2 Bankenviertel

pro m Niederrad 20 Eschborn Westend Miete in € Miete

15

10

5

0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Büroangebotes und der Preisklassen gekom- 4.2 Fallbeispiel Flughafen Abbildung 3: Spitzenmieten men. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, werden Düsseldorf Rhein-Ruhr ausgewählter Frankfurter in Frankfurt vor allem Flächen in den oberen Teilmärkte zwischen 2005 und Mietpreisgruppen angemietet. Der Düsseldorfer Flughafen liegt rund sechs 2012 im Vergleich Kilometer außerhalb des Düsseldorfer Stadt- Quelle: BNP Paribas Consult Das Zusammenspiel aus hochwertiger Ange- zentrums. Mit 20,8 Mio. Passagieren in Real Estate 2013 bots- und Standortqualität sowie guter Nach- 2012 (Düsseldorf Flughafen 2012: 5) ist er fragesituation hat in den letzten Jahren zu Deutschlands drittgrößter Flughafen und zu- einem Anstieg der Spitzenmieten geführt, gleich der wichtigste Flughafen der Metropol- welche im Fall des Frankfurter Flughafens region Rhein-Ruhr. Zu Jahresbeginn 2013 war mittlerweile das Niveau innerstädtischer Pre- Düsseldorf in die Netzwerke von 63 Flugge- miumlagen erreichen. So stieg die monatli- sellschaften eingespannt, welche zusammen- che Spitzenmiete pro Quadratmeter von 17,30 genommen Verbindungen zu 189 Destinati- € im Jahr 2005 auf 30 € im Jahr 2012. Im onen in 63 Ländern herstellten (Düsseldorf gleichen Zeitraum stieg die durchschnittliche Flughafen 2012). Auch wenn Düsseldorf im Miete von 15,10 € auf 18,70 €. Gegensatz zu Frankfurt nicht zur Kategorie der Hubflughäfen zählt, so verfügt der Flug- Im Vergleich hierzu betrug die Spitzenmiete hafen doch über eine hubähnliche Qualität pro Monat und Quadratmeter in den inner- und eine wachsende Bedeutung als Umstei- städtischen Toplagen 2005 rund 34 € und geflughafen im internationalen Luftverkehr. rund 36 € in 2012. Damit hat sich die Dif- Die Entscheidung von Lufthansa Düsseldorf ferenz der Spitzenmieten zwischen dem pe- als dritten deutschen Hub im Rahmen der ripheren Flughafenstandort und innerstäd- weltweiten Netzwerkplanung zu etablieren, tischen Spitzenstandorten wie zum Beispiel verdeutlicht die wachsende Bedeutung von dem Bankenviertel innerhalb von sieben Jah- Düsseldorf (vgl. Lufthansa 2013). Dieser Ent- ren von 22,70 € in 2005 auf sechs Euro in wicklungstrend wird durch die hohe Effizienz 2012 reduziert (BNP Paribas 2013). des Flughafens verstärkt, denn als »Flughafen

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der kurzen Wege« profitiert der Flughafen pass im Bereich hochwertiger Büroflächen im von kurzen Umsteigezeiten. Innenstadtbereich gekennzeichnet (Anteon 2008: 3, 2012: 5). Im Gegensatz zu vielen Teil- Mit dieser luftseitigen Integration in die märkten im Innenstadtbereich verfügen der Luftverkehrsnetze korrespondiert eine land- Flughafen und sein unmittelbares Umfeld je- seitige Verkehrsanbindung an deutsche und doch über eine Reihe von zur Disposition ste- internationale Schienen- und Straßenver- henden Potentialflächen, welche derzeit eine kehrsnetze, welche eine schnelle An- und Überplanung für neue Nutzungen erfahren Abreise ermöglichen. Über die A44 ist der (Landeshauptstadt Düsseldorf 2013a). Flughafenstandort an das deutsche und in- ternationale Autobahnnetz angebunden. Ein Zu den wichtigsten Büroentwicklungsarea- dem Flughafenterminal vorgelagerter und len zählen neben der 23 ha großen und ca. über eine Kabinenbahn erreichbarer Fern- 250.000 m2 BGF umfassenden Airport City bahnhof bindet den Flughafenstandort in die auf dem ehemaligen Areal der britischen Ka- IC-, EU-, ICE-Netze der Deutschen Bahn und serne auch das auf dem ehemaligen Kaufring- ausländischer Bahngesellschaften ein. Darü- Gelände entstehende Quartier(n), welches ber hinaus verfügt der Flughafen über einen ebenfalls 250.000 m2 BGF für Büro- und Ge- S-Bahnhof unterhalb des Terminals. werbefläche vorsieht (Landeshauptstadt Düs- seldorf 2013a). Innerhalb des Quartier(n)- Düsseldorf zählt zu den fünf wichtigsten Bü- Areals entsteht im südlichen Abschnitt das romärkten in Deutschland und gilt mithin mit über 40.000 m2 große Büroprojekt als Topstandort für Beratungsunternehmen. Airport Trade Center im unmittelbaren An- Ähnlich dem Fallbeispiel Frankfurt zeichnet schluss zum Bahnhof Düsseldorf-Flughafen sich auch Düsseldorf durch eine polyzent- (Landeshauptstadt Düsseldorf 2013). Neben rische Raumstruktur aus. Viele der umsatz- den genannten Bürostandorten sieht die Pla- stärksten Büroteilmärkte wie zum Beispiel nung die Entwicklung weiterer Büroflächen Kennedydamm, Seestern oder Medienhafen im näheren Umfeld des Flughafens vor (vgl. befinden sich nicht im Innenstadtbereich, Dr. Lübke 2008: 7). Die wichtigsten Büropro- sondern in den Cityrandbereichen (Landes- jekte sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Alle hauptstadt Düsseldorf 2012). Zu den wachs- existenten, im Bau befindlichen und projek- tumsstärksten Teilmärkten zählt seit einigen tierten Büroflächen am und um den Flug- Jahren auch der Teilmarkt Flughafen im Düs- hafen zusammengenommen werden nach seldorfer Norden. Über viele Jahre hinweg Fertigstellung ein Gesamtpotential von über waren der Düsseldorfer Flughafen und seine 500.000 m2 BGF aufweisen (Landeshaupt- Umgebung durch industrielle, logistische stadt Düsseldorf 2013). und militärische Flächennutzungen geprägt. Wie der Frankfurter, so ist auch der Düssel- Wie in Frankfurt verzeichnete auch der Düs- dorfer Büromarkt durch einen Angebotseng- seldorfer Teilmarkt Flughafen in den letzten

Bürostandort Nutzfläche in m2 Entwicklungsstand Airgate 5.100 m2 Realisiert Airport Office III 5.400 m2 Realisiert Airport I & II 5.000 m2 (je Gebäude) Realisiert Le Ciel 7.150 m2 Realisiert Airport I 6.300 m2 Realisiert KB 4 4.800 m2 Im Bau Siemens AG 11.500 m2 Realisiert VDI Zentrale 12.500 m2 Realisiert Panta Rhei 9.600 m2 Im Bau Tabelle 2: Ausgewählte Air Park 13.500 m2 In Planung Büroflächenentwicklungen in der Airport City Düsseldorf Air View k. A. In Planung Quelle: Flughafen Düsseldorf Airport Gardens 14.400 m2 Realisiert 2013, eigene Darstellung A-ERO k. A. In Planung

www.planung-neu-denken.de 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Bankenviertel 22 22 22,5 21,9 21,5 22,5 23 23,5 24,25 26 Medienhafen 21,7 20 18,9 20,9 20 21,5 23,5 21,5 24 23,5 Kennedydamm 17,9 20 15,3 15 19 17,5 20 21,5 22,5 21 Seestern 16,5 15 12,6 12,5 12,5 13 14,5 13 13,5 14 Flughafen 14,1 15,4 13,5 12,9 13,5 13 16 15 16 16,2 Ratingen pnd|online West I|2014 13,5 11,3 11,3 10,9 10,5 9,5 12,5 11,5 9| 13 10,5 10

30

25

20

Bankenviertel Medienhafen und Monat und Monat 2

15 Kennedydamm

pro m Seestern Flughafen Ratingen West Miete in € Miete 10

5

0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Jahren eine starke Nachfrage seitens wis- schiedlichen Lagequalitäten und Preisklassen Abb. 4: Spitzenmieten sensintensiver Unternehmen, darunter glo- gekommen (Dr. Lübke 2008, vgl. Abb. 4). Mit ausgewählter Düsseldorfer bal tätige Unternehmen wie zum Beispiel Sie- einer monatlichen Spitzenmiete von 16,20 € Teilmärkte zwischen 2005 und mens, Mercer Consulting, Sonae Sierra, WTS pro Quadratmeter im Jahr 2012 zählt der Teil- 2012 im Vergleich AG, Capgemini, E-Plus oder Mercuri Urval. markt zu den Topstandorten im Düsseldorfer Quelle: BNP Paribas Real Estate Darüber hinaus wählen auch Handelsunter- Gesamtmarkt (BNP Paribas 2013). Consult 2013 nehmen wie C&A verstärkt den Flughafen als neuen Unternehmensstandort. Lediglich in den Teilmärkten Königsallee / Bankenviertel, Hafen und Kennedydamm Besonders stark ausgeprägt war in den letz- werden höhere Spitzenmieten erzielt. Diese ten Jahren die Nachfrage nach großflächigen bewegten sich Ende 2012 in einer Spannwei- Büroimmobilien ab 1.000 m2. Im Jahr 2011 te von 22 € am Kennedydamm bis 26 € im hatten rund 76 Prozent der Büroanmietun- Bankenviertel. gen eine Größenklasse von 5.001 bis 10.000 m2 zum Vertragsgegenstand (vgl. Abb. 4). Nur jeweils 11 Prozent erfolgten in den Grö- 5. Angebotsattraktivität und ßenklassen 201 bis 500 m2 beziehungsweise Konkurrenz zur Innenstadt 501 bis 1.000 m2. Ein ähnlich gelagertes Bild ergibt sich für 2012, wo rund 70 Prozent aller Angesichts der in beiden Fällen zu verzeich- getätigten Vermietungen in der Größenklasse nenden Ansiedlungs- und Vermietungser- 2.001 bis 5.000 m2 erfolgten. Demgegenüber folge von Bürounternehmen auf dem Flug- entfielen lediglich jeweils 15 Prozent auf die hafengelände oder im nahen Umfeld kann Größenklassen 501 bis 1.000 m2 beziehungs- für das Immobiliensegment »Büro« bereits weise 1.001 bis 2.000 m2 (BNP Paribas 2013). von einer erfolgreichen Etablierung des Flug- Ähnlich den Entwicklungen in Frankfurt ist es hafens als Immobilienstandort gesprochen auch in Düsseldorf im Zuge der gestiegenen werden. In Frankfurt und Düsseldorf sind die Objekt- und Qualitätsvielfalt innerhalb der Entwicklungen bereits so weit vorangeschrit- Entwicklungs- und Bestandsgebiete zu einem ten, dass sich an den Flughäfen sowie in de- differenzierten Teilmarktangebot mit unter- ren Umfeldern eigenständige Büroteilmärkte

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herausgebildet haben. Gleichzeitig weisen die unterschiedlicher Preisklassen sind weitere Teilmärkte, wie dargelegt, schon heute ein gewichtige Standortargumente. Das Vorhan- breites Spektrum von Mietern unterschied- densein solcher Einrichtungen in zum Teil lichster Branchenherkunft auf. Nach Auffas- fußläufiger Distanz zum Büro wird vor allem sung angebotsseitiger Experten gründet sich von wissensintensiven Unternehmungen ge- die Attraktivität des Flughafenstandortes auf schätzt, deren Geschäftsmodelle auf kurzen fünf zentrale Erfolgsfaktoren: (1) multimoda- Reaktionszeiten und einer hohen Kontakt- le Verkehrsanbindung und Konnektivität des häufigkeit zu Kunden und Geschäftspartner Standortes, (2) ausreichende Flächenpoten- aufbauen (Conventz und Thierstein 2014). ziale und hochwertige Immobilien, (3) inter- So nutzen viele Unternehmen zum Beispiel nationales Image (Adressbildung), (4) i.d.R. die vorhanden Restaurants im Rahmen von 24-Stunden Betrieb sowie (5) Aufbau eines Geschäftsessen und Besprechungen mit im urbanen Versorgungsangebotes (Schubert Transit befindlichen Netzwerkpartnern. Die und Conventz 2011). kurzen Wege für die einzelnen Beteiligten werden in der Standortprüfung als besonders Für die Überzeugungskraft dieser Kombi- vorteilhaft erachtet (Conventz und Thierstein nation an Standortfaktoren gibt es in Frank- 2014). furt und Düsseldorf erste Belege (Schubert und Conventz 2011; Conventz und Thierstein Ob und inwieweit sich Konkurrenzsituationen 2014). So hat eine Befragung von 22 wis- zu den Innenstädten herausbilden können, sensintensiven Büromietern gezeigt, dass muss differenziert und in Abhängigkeit vom diese gezielt die Erreichbarkeits-, Zeit-, Kos- jeweiligen Standort diskutiert werden. Zwar ten- und Infrastrukturvorteile der Immobilie wurde bislang eine Konkurrenz zwischen den »Flughafen« zur Optimierung ihrer Wert- Büroteilmärkten Flughafen und Standorten schöpfungsbeziehungen und Wissensgene- in den jeweiligen Innstadtbereichen von Ex- rierung nutzen (vgl. Conventz und Thierstein perten verneint, allerdings könnten sich mit 2014). Die verkehrliche Lagegunst der Büro- der wachsenden Ansiedlungsbereitschaft von standorte, insbesondere die Intermodalität Bürounternehmen, die bislang noch nicht und die damit verbundenen Wahlmöglich- am Flughafen ansässig waren, eine Konkur- keiten in Bezug auf den Verkehrsträger, sind renzsituation zu regionalen Immobilien- der gewichtigste Standortfaktor gewesen standorten beziehungsweise zu traditionellen (Conventz und Thierstein 2014). Neben Er- Standorten etwa im Innenstadtbereich be- reichbarkeitsaspekten sind auch die verfügba- gründen (Schubert und Conventz 2011). Dies ren Immobilienqualitäten, die Ausstattungs- gilt insbesondere für lokale Verlagerungen, merkmale der Büroflächen, das Image der wie beispielsweise geschehen im Fall KPMG Immobilie, die ausreichende Verfügbarkeit in Frankfurt oder für den Verband deutscher von Reserveflächen für zukünftige Expan- Ingenieure (VDI) und Siemens in Düsseldorf. sionen sowie die Wertigkeit des Ambientes Für die Zukunft haben bereits weitere Unter- Ansiedlungsmotive. Schließlich werden von nehmen angekündigt, den Flughafen als Un- den befragten Unternehmen Standortargu- ternehmensstandort wählen zu wollen oder mente angeführt, die mit dem erheblich ge- unterschiedliche über eine Region verteilte wandelten Erscheinungsbild und dem Image Unternehmenseinheiten in einem neuen des Standortkomplexes Flughafen und der Standort am Flughafen konzentrieren zu wol- Einbettung in eine urbane Versorgungs- und len (Schulze 2013). Businessinfrastruktur im Zusammenhang stehen. Sowohl in Düsseldorf als auch in Frankfurt unterstreichen befragte Unterneh- 6. Fazit men neben den repräsentativen Büroimmo- bilien auch die repräsentative Gestaltung des Flughäfen sowie deren korrespondierende Gesamtareals und die im Vergleich zu früher Standortkomplexe sind seit geraumer Zeit gestiegene Raum- und Aufenthaltsqualität. im Umbruch. Der rasante Wandel wird dabei Das Vorhandensein und die räumliche Nähe von unterschiedlichsten Determinationsfak- von hochwertigen Dienstleistungsangeboten toren angetrieben. In Frankfurt und Düssel- und ergänzenden Serviceeinrichtungen wie dorf ist dieser Transformationsprozess be- Besprechungs- und Tagungsinfrastrukturen, sonders weit vorangeschritten und physisch Hotels, Supermärkten, Ärzten, Reinigungs- fassbar geworden. Beide Flughäfen verfügen service oder Versorgungseinrichtungen wie mittlerweile über eine so ausgereifte Infra- Sandwich- und Salatbars oder Restaurants struktur – dies gilt sowohl in Bezug auf die

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verkehrstechnische Erschließungsqualität als lediglich eine geringe Anzahl an transkon- auch in Bezug auf die vorhandene Business- tinentalen Destinationen an. Wie Frankfurt infrastruktur – so dass sie in den letzten Jah- verfügt auch Düsseldorf über eine sehr gute ren zunehmend auch als Bürostandorte in- Integration in lokale und regionale schienen- teressant geworden sind. Die angestoßenen, gebundene Verkehrssysteme. Schwächer aus- bürobezogenen Projektentwicklungen treten geprägt ist jedoch die nationale Schienener- dabei nicht mehr nur als Einzelmaßnahmen reichbarkeit. auf, sondern werden in umfassende Ausbau- und Marketingstrategien eingebettet. Der in Nichts desto trotz konnten beide Flughafen- Deutschland dafür verwendete Begriff »Air- standorte in den letzten Jahren Ansiedlungs- port City« ist nicht als Entwicklung eines neu- erfolge von sowohl regional, national als auch en Stadtteils im ursprünglichen Sinn gedacht, international tätigen Unternehmen verzeich- sondern knüpft lediglich als Label bewusst an nen. Diese, zumeist der Wissensökonomie Aerotropolis-Großprojekte in US-amerikani- zuzuordnenden Unternehmen, zeichnen schen und asiatischen Kontexten an. Sowohl sich durch eine hohe internationale Vernet- in Frankfurt als auch in Düsseldorf konzen- zung und eine hohe Kontakthäufigkeit in der trieren sich die Büroflächenentwicklungen Kunden-Mitarbeiter-Relation aus. nicht mehr nur auf die durch den Flughafen- zaun begrenzten Flughafenareale, sondern Es kann abschließend konstatiert werden, dass strahlen in die Umfelder der Flughäfen aus. ein traditionelles Verständnis von Flughäfen Diese Entwicklungstendenzen haben dabei als Ort von ankommenden und abfliegenden zwischenzeitlich eine kritische Masse an Flugzeugen im Hinblick auf die gegenwärti- Bürofläche erreicht und den Flughafen zum ge Situation an den Flughäfen in Frankfurt Zentrum neuer Büroteilmärkte innerhalb ei- und Düsseldorf nicht mehr greift. Flughäfen nes weitergefassten Gesamtmarktes werden sind heute Marktplätze des 21. Jahrhunderts lassen. Diese noch jungen Bürolagen zeich- und Interaktionspunkte, an denen Wissen nen sich vor allem durch ihre Nutzungsmi- und Informationen ausgetauscht werden. schung und ihre Multifunktionalität aus, ein Ein Indikator für diesen neuen Bedeutungs- erheblicher Vorteil gegenüber monofunktio- gehalt sind die Büroflächenentwicklungen nalen Bürostandorten wie zum Beispiel Nie- direkt am beziehungsweise im Umfeld von derrad und Eschborn in Frankfurt oder dem Flughäfen. Für die Zukunft kann davon aus- Seestern in Düsseldorf. gegangen werden, dass beide Flughäfen dank ihrer Multimodalität und den damit verbun- Allerdings haben die beiden Flughafen- denen Erreichbarkeitsvorteilen weitere Un- standorte unterschiedliche Ausprägungen ternehmen und hochwertige Dienstleistun- der obigen Standortfaktoren und somit ver- gen anziehen werden. Um die einzigartigen schiedene Ausgangsbedingungen hinsicht- Potentiale der Flughafenstandorte langfristig lich ihres Anziehungspotentials. Frankfurt zu sichern, wird die zukünftige Herausforde- kann als Hubflughafen von internationaler rung vor allem darin bestehen, die funktiona- Bedeutung weltweite Luftverkehrsanbindun- len Erfordernisse an das Raumprogramm mit gen anbieten. Darüber hinaus ist der Flugha- räumlich-architektonischer sowie städtebau- fenfernbahnhof neben Köln, Mannheim oder licher Qualität zu verbinden. Flughäfen sind Frankfurt Hauptbahnhof einer der wichtigs- heute über ihre Konzessionsgrenzen hinaus ten Schienenverkehrsdrehscheiben innerhalb zugleich funktionale Interaktionsräume und Deutschlands. Diese einzigartige Erreichbar- Verkehrsknotenpunkte, die aufgrund ihrer keitsqualität hat den Standort Frankfurt-Flug- absehbaren Entwicklungspfade zunehmend hafen zu einem der zentralsten Orte der Welt als Informations-, Geschäfts- und Wissens- gemacht. Im Gegensatz dazu ist Düsseldorf drehscheiben fungieren und daher entspre- wesentlich schwächer aufgestellt und bie- chend qualitätsvoller Gestaltung bedürfen. tet als Flughafen mit hubähnlicher Qualität

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ein Magazin mit Texten und Diskussionen zur www.planung-neu-denken.de Entwicklung von Stadt und Region

Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung*

1 Einleitung Dr. Johanna Schlaack Stadtforscherin und Dipl.-Ing. Selten prallen stadtgestalterische Ansprüche und die baulich-räumliche Realität so hart aufein- Architektur, ander wie im Umfeld großer Verkehrsflughäfen. Flughäfen sind in ihrer Funktion als überre- 2008-2013 Promotion im gionale Dreh- und Angelpunkte gleichzeitig Eingangstor zur Stadtregion und Schaufenster zur DFG Transatlantischen Welt und könnten als Vorzeigeorte für ambitionierte stadtentwicklungspolitische Projekte und Graduiertenkolleg Berlin herausragend gestaltete Referenzbeispiele gelten. Das räumliche Bild im Umfeld dieser wich- – New York zum Thema tigen überregionalen Mobilitätsknotenpunkte wird jedoch vielerorts von zersiedelten, gesichts- »Better Aireas. Flughäfen losen und ungenügend integrierten suburbanen Strukturen geprägt, die weder städtebaulichen als Impulsgeber für noch architektonischen Ansprüchen an Stadt entsprechen. In den letzten beiden Jahrzehnten Stadtregionen«. Seit 2013 sind daher Fragen der möglichen planerischen Steuerung und städtebaulichen Qualifizierung PostDoc Research Fellow am des Flughafenumfeldes vermehrt in den Vordergrund getreten (Hartwig 2000; Güller, Güller Center for 2003; Schaafsma et al. 2008). Metropolitan Studies der TU Berlin.

Der folgende Beitrag hinterfragt anhand des wonnenen Erkenntnisse werden schließlich Berliner Fallbeispiels Grenzen und Probleme übergreifende Thesen und Empfehlungen für sowie Chancen und planerische Möglichkei- die zukünftige stadtregionale Entwicklung im ten einer nachhaltigen und regional integrier- Zuge der Neuordnung der Berliner Flughäfen ten flughafenbezogenen Entwicklung im Zu- und im Hinblick auf eine nachhaltige Zu- * Der Text basiert auf dem sammenspiel mit der Stadtregion. Es wird ein kunft im Flughafenumfeld des neuen Flugha- Beitrag »Zwischen Stadt und Überblick über die gegenwärtige Planungssi- fens Berlin-Brandenburg dargestellt. Flughafen – Die Berliner tuation rund um den Flughafenausbau BER Berlin und seine Flughäfen haben eine Flughafen-Rochade«, im Kontext der stadträumlichen Transforma- lange, von Konflikten flankierte Geschichte, erschienen in: Roost, Frank; tion des Berliner Flughafensystems und der die nicht nur die Flughäfen selbst, sondern Volgmann, Kati (2013): politischen, institutionellen, ökonomischen auch deren Beziehung zur Stadt betreffen. Airport Cities – Gateways der und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Bereits kurz nach der Wiedervereinigung, An- metropolitanen Ökonomie. und Hintergründe gegeben. Auf Basis der ge- fang der 1990er Jahre, wurde öffentlich über In der Reihe »Metropolis und Region«, Band 11. S. 109-130 www.planung-neu-denken.de ISSN 1868 - 5196 2| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

einen neuen Großflughafen für Berlin-Bran- Infrastrukturprojekten. Berlins Vision von denburg nachgedacht. Nach dem vergleichen- exponentiellem Wachstum zerplatzte jedoch den Raumordnungsverfahren und mehreren Mitte der 1990er Jahre. Und die regionale Klagewellen war mit der Entscheidung des Finanzkrise um den Jahrtausendwechsel, an- Bundesverwaltungsgerichts 2006 klar: Der gefacht vom Berliner Bankenskandal, führt neue Hauptstadtflughafen soll in Schönefeld bis heute zu schrumpfenden öffentlichen im Südosten der Hauptstadtregion entste- Haushalten und eingeschränkten Planungs- hen. Die beiden innerstädtischen Flughäfen möglichkeiten öffentlicher Institutionen. Die Tempelhof und Tegel werden zugunsten des Mehrkosten des BER-Flughafenausbaus und neuen Großflughafens geschlossen. Der mitt- die immensen zusätzlichen Kosten durch die lerweile über vier Milliarden Euro teure neue verzögerte Flughafeneröffnung verschärfen Flughafen, samt dem vom Planungsbüro die angespannte finanzielle Lage Berlins in- Gerkan, Marg und Partner und JSK geplan- des weiter (Senatsverwaltung für Finanzen ten Terminalgebäude, dem unterirdischem Berlin 2012). Der zwei Jahrzehnte dauernde Bahnhof und der vorgelagerten Airport City Planungs- und Entscheidungsfindungspro- wird die globale Erreichbarkeit Berlins aus zess um den Flughafenausbau in Schönefeld der Luft, die Bewegungsströme innerhalb der zeugt von der extremen Komplexität eines In- Stadtregion und die Hierarchie der Stadträu- frastruktur-Großprojektes dieser Dimension me stark verändern. Große Erwartungen auf und stellt nach wie vor das Vertrauen vieler Wachstumsimpulse für Wirtschaft und Ar- Beteiligter und Betroffener in der Region auf beitsmarkt in der Region sind an das neue eine empfindliche Probe. Das aus der Teilung Luftdrehkreuz geknüpft. Ob und mit welchem Berlins erwachsene System der drei Flughä- Gewicht sich der über zehn Jahre verspätete fen Tempelhof, Tegel und Schönefeld war Flughafen BER – 2013 wurde die Eröffnung nach der Wiedervereinigung wirtschaftlich das vierte Mal auf unbestimmte Zeit verscho- zunehmend ineffizient und der Flughafenbe- ben – im hart umkämpften Luftfahrtmarkt trieb in Bezug auf Transferverbindungen und Deutschlands als neues Drehkreuz gegen interkontinentale Flüge stark limitiert. Ins- Frankfurt am Main und München behaupten besondere der Standort Tempelhof war auf- kann, bleibt abzuwarten. Das Gleiche gilt für grund seines überholten Flughafenkonzepts die erhofften zusätzlichen wirtschaftlichen und seiner massiven Baustruktur nicht in der Impulse und die Stärkung der Hauptstadtre- Lage, im Verhältnis zu den enormen Betriebs- gion im internationalen Standortwettbewerb. und Wartungskosten ausreichende Einnah- men zu generieren. Aus diesem Grunde entschlossen sich die drei Gesellschafter der 2 Die Transformation des Berliner Berliner Flughäfen, die Bundesländer Berlin Flughafensystems – Aus 3 mach 1 und Brandenburg sowie die Bundesrepublik Deutschland am Ende der goldenen Ära nach Das Berliner Flughafensystem befindet sich der Wiedervereinigung 1996 im sogenannten in einem fundamentalen Umbruch. Bereits Konsensbeschluss zur Erweiterung des existie- seit der deutschen Wiedervereinigung und renden Flughafens Schönefeld südöstlich von der Hauptstadtentscheidung im Jahr 1991 Berlin (Abgeordnetenhaus von Berlin 1996). wurden von der Berliner Politik und Wirt- schaft ehrgeizige Pläne zur Bündelung des 2.1 Klagewellen und Zerreißproben Flugverkehrs in einem Großflughafen für die Region Berlin-Brandenburg geschmiedet. Diese Entscheidung war aber zugleich auch Das neu zu planende Luftdrehkreuz, bis Mitte wichtiger Anlass für den zunehmenden Ver- 2011 unter dem Arbeitstitel Berlin Branden- trauensverlust in der Bevölkerung. Entgegen burg International (BBI) geführt, sollte stark dem Ergebnis des vergleichenden Raumord- und gewichtig genug sein, um im Wettbewerb nungsverfahrens von 1994, in dem Schönefeld- gegen internationale Hubs wie Frankfurt am Süd neben Sperenberg und Jüterbog-Ost als Main, Amsterdam oder Paris zu bestehen. weniger geeigneter Standort abschnitt, ent- Prognosen für ein Bevölkerungswachstum schied man sich auf höchster Ebene zwischen von 40 Prozent auf mehr als 5 Millionen den damaligen Verantwortlichen innerhalb Einwohner und die Erwartung eines starken der Flughafengesellschaft – dem Regierenden wirtschaftlichen Aufschwungs führten zu ex- Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen, pansiven Plänen für die Entwicklung Berlins dem Ministerpräsident des Landes Branden- als weltstädtischer Wirtschafts- und Wohns- burg Manfred Stolpe und dem Bundesmi- tandort und zur ambitionierten Planung von nister für Verkehr Matthias Wissmann – aus

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politisch-strategischen Gründen für den Bau hafengebäude nur mit größten Problemen in des neuen Großflughafens in der Gemeinde seiner baulichen Struktur aufnehmen – jedes Schönefeld. weitere luftseitige Wachstum muss zukünftig Hauptargument für die Entscheidung – mit separat vorschaltbaren, kostspieligen Er- kurz nach dem Scheitern der geplanten Fusi- weiterungspiers abgefangen werden. Damit on der beiden Bundesländer Berlin und Bran- wird Meinhard von Gerkan mit der Planung denburg – war die Lage Schönefelds direkt an des Berliner Hauptstadtflughafens BER sei- der Berliner Stadtgrenze, im Gegensatz zu nem formulierten Anspruch nicht gerecht: den beiden anderen verglichenen Standorten, »Ein Flughafen ist kein Zustand, sondern ein die weiter entfernt im Brandenburger Hin- Prozess. Er ist kein Maßanzug, sondern muss terland lagen. Schließlich sollte die Nähe des flexibel genug sein, sich den neuen Situatio- neuen Flughafens zu Berlin wirtschaftliche nen anzupassen« (Hamburg Airport 2004, Impulse schaffen und zusätzliche Steuerein- 22). nahmen auch innerhalb der südlichen Berli- Gemäß des Hub-Flughafen-Konzeptes ner Stadtgrenzen sichern. Hauptargumente für Berlin und dem Urteil des Bundesver- gegen den Standort Schönefeld-Süd waren waltungsgerichts von 2006 folgend war die die Problematik einer potentiellen Flughafen- Schließung der beiden innerstädtischen Flug- erweiterung mit mehr als zwei Start- und Lan- häfen Tempelhof und Tegel unausweichlich, debahnen durch die räumlich beschränkte um überhaupt ausreichend Kapazität für den Fläche und das relativ dicht besiedelte direkte regionalen Großflughafen sichern und das Umfeld. Ungeachtet dessen wurden der Aus- Megaprojekt BER politisch legitimieren zu bau von Schönefeld zum neuen Single-Air- können. Außerdem wurde damals die Redu- port und die Schließung der innerstädtischen zierung der von Lärm und Emissionen be- Flughäfen zur Bündelung des Flugverkehrs, troffenen Einwohner von ursprünglich circa dem 1990er Jahre Konzept von Hubflughäfen 230.000 um 160.000, im Vergleich zum be- folgend, damals klar empfohlen. Nur so konn- stehenden drei-poligen Flughafenbetrieb, auf te ein derartiger Ausbau – des heute unter etwa 60.000 Lärmbetroffene bei alleinigem dem Namen Berlin Brandenburg Airport BER Betrieb des ausgebauten Flughafen Schöne- »Willy Brandt« bekannten Flughafens – mit feld im Süden der Stadtregion als triftiges Ar- den Argumenten der Nähe zur neu gekürten gument für die Bündelung des Flugverkehrs deutschen Hauptstadt und zum Regierungs- angesehen (Gemeinsame Landesplanung 2007, sitz Berlin gerechtfertigt werden. 33). Der Flughafen Tempelhof wurde im Jahr Hintergrund für die Entscheidung wa- 2008 geschlossen und Tegel schließt mit der ren allerdings auch die bereits kurz nach der Eröffnung des neuen Flughafens BER. Die Wende für einen dreistelligen Millionenbe- Investition der ursprünglich angesetzten 3,2 trag durch die Berliner Flughafengesellschaft Milliarden Euro wird von der öffentlichen und deren Gesellschafter erworbenen enor- Hand finanziert, 2,5 Milliarden Euro davon men Flächenreserven an der südlichen Gren- für den neuen Flughafen und 700 Millionen ze des heutigen Bezirks Treptow-Köpenick. Euro für die Schienen- und Straßenanbin- Ursprünglich war die vorsorglich gesicherte dung (Senatsverwaltung für Finanzen Berlin Fläche von über 100 Hektar, der jetzige Busi- 2009, 390 ff.). Die mehrmalige Verschie- ness Park Berlin, als sogenanntes Baufeld-Ost bung der Eröffnung des Flughafens BER wird für die potentielle Erweiterung des Bestands- die ursprünglich veranschlagten Kosten um flughafens Schönefeld in Richtung Osten vor- schätzungsweise mindestens 1,2 Milliarden gesehen. Im Zuge der Planung entschied sich Euro erhöhen, einschließlich der etwa 500 die Flughafengesellschaft jedoch gegen eine Millionen für zusätzliche Lärmschutzmaß- Ost-Erweiterung und für den Aus- und Neu- nahmen und wird die Länder Berlin und bau des Flughafens in Richtung Süden mit Brandenburg als Gesellschafter des Flugha- einer neuen Start- und Landebahn und einem fens zwingen, noch tiefer in ihre schon jetzt zentral gelegenen Midfield-Terminal (Berlin leeren Taschen zu greifen (Metzner, Zawatka- Brandenburg Flughafen Holding 1994). Der- Gerlach 2012). zeit erweist sich jedoch der Flughafenterminal Die »Landung« des Großflughafens BER mit seinem überholten »One-Roof-Konzept« in einem derart umstrittenen Top-Down- bereits vor der eigentlichen Inbetriebnahme Prozess hat bekanntermaßen zu erheblichem als relativ starr und unflexibel. Die aktuell zivilgesellschaftlichem Widerstand nicht nur notwendige erste Terminalerweiterung, auf- im Südosten der Stadtregion geführt und zu grund der stark steigenden Passagierzahlen einer Klagewelle, die den Planfeststellungs- an den Berliner Flughäfen, konnte das Flug- prozess bis zum Frühjahr 2006 hinauszö- www.planung-neu-denken.de 4| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

gerte. Dieses umstrittene politische Vorgehen Auswirkungen zum einen die Lebensqualität legte den Grundstein für den bis heute von der Menschen und zum anderen die Wirt- rechtlichen Auseinandersetzungen, emotio- schaftskraft der umgebenden Bereiche und nalen Anfeindungen und politischer Überfor- nicht zuletzt der gesamten Stadtregion im in- derung geprägten Neuordnungsprozess der ternationalen Wettbewerb maßgeblich beein- Berliner Flughäfen. flussen. Während sich für die Bewohner im Norden Berlins mit der Schließung von Tegel 2.2 Flughafen-Rochade: Berlin die Fluglärmbelastung drastisch reduziert wird auf den Kopf gestellt und sich eine weitere Steigerung der Preise der Wohnimmobilien und Einfamilienhäu- Die politischen Verantwortlichen und auch ser abzeichnet (During, Kurpjuweit 2012), die Verwaltung sind unterdessen damit be- sind die Bewohner im Süden der Stadtregi- schäftigt, an den verschiedenen Standorten on, beispielsweise in der Flughafennachbar- Konflikte zu lösen, Beteiligung oder zumin- gemeinde Blankenfelde-Mahlow, angesichts dest Information mit Online-Dialogen oder der zu erwartenden zunehmenden Lärmbe- Standortkonferenzen zu ermöglichen, wei- lastung durch den Flughafen stark verunsi- teren Vertrauensverlust in der Bevölkerung chert. Vielerorts rund um den neuen Flug- zu verhindern und Impulse für Wirtschafts- hafen herrscht anstatt freudiger Erwartung wachstum zu setzen. Zu selten wird jedoch vielmehr eine breit getragene Ablehnung des der gesamte Prozess der – wie Think Berl!n Flughafen-Großprojektes. Die dort ansässi- plus es genannt hat – Flughafen-Rochade im gen Bewohner befürchten, dass ihre Kinder Zusammenhang gesehen (Think Berl!n plus nicht mehr ohne Risiko im Freien spielen 2012). können und flächendeckend Herz-Kreislauf- Erkrankungen im Flughafenumfeld durch den Lärmstress zunehmen werden (Jürgens 2012). Mit der Eröffnung des neuen Haupt- stadtflughafens Willy Brandt wird sich dem- nach das wirtschaftliche Scheinwerferlicht, aber auch die Lärmbelastung in die südliche Berliner Stadtregion verschieben. Im Zuge dieser Entwicklung werden die beiden ehemaligen Flughafenareale Tempel- hof und Tegel mit einer Gesamtfläche von nahezu 900 Hektar an zwei strategisch wich- tigen Orten inmitten von Berlin für Neukon- zeptionen, städtebauliche Ideen und Planun- gen frei. Trotz vielfältiger Bemühungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Form des landschaftsplanerischen Wettbewerbes für die Tempelhofer Freiheit (Se- natsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2012) oder dem aufwändigen Werkstattver- fahren zum Zukunftsraum Tegel (Senatsver- waltung für Stadtentwicklung Berlin 2011) sind die strategische Ausrichtung der Planun- gen, die An- und Einbindung der Areale in die Stadt und die konkrete Nachnutzung in vielen Abbildung 1: Flughafen- Die Neuordnung der Berliner Flughäfen ist Bereichen nach wie vor unklar. Nicht zuletzt Rochade im stadtregionalen besonders in den letzten fünf Jahren ein sehr der überstürzte Nutzungsvertrag für Teile Zusammenhang prominentes, brisantes und breit diskutiertes der Hangar-Fläche und des Flugfeldes mit Quelle: eigene Darstellung Thema – genannt sei hier nur die erneute der halbjährlich stattfindenden Modemesse 2012 Eröffnungsverschiebung des BER, die Flug- »Bread & Butter« oder die unmittelbar nach routendebatte oder der kontroverse Diskurs der Schließung 2008 versuchte Besetzung zur Schließung und Nachnutzung der Flug- des ehemaligen Flughafenareals Tempelhof häfen Tempelhof und Tegel. Die Debatten durch linke politische Gruppen sowie der ak- sind von großer Emotionalität geprägt, da die tuelle Prozess rund um das Volksbegehren Flughäfen mit ihren positiven und negativen zum Erhalt der Freifläche verdeutlichen den

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planerischen Handlungsbedarf, die politische Brisanz und die gesellschaftliche Kontroverse um die Nachnutzung. Für die großräumige Verlagerung der Infrastruktur und Anbindung der Haupt- stadt Berlin sieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt indessen ein stadtregionales strategisches Konzept vor, das einen zusammenhängenden Wachstumskor- ridor vom Hauptbahnhof über den östlichen Spreeraum, Schöneweide und Adlershof zum neuen BER vorantreiben soll (Senatsverwal- tung für Stadtentwicklung Berlin 2006, 52 f.). Die radikale Umstrukturierung des Berli- ner Luftverkehrs hat demnach auch auf dem Boden deutliche Auswirkungen, die sich etwa in veränderten Verkehrsströmen, der Verla- gerung von Logistik- und anderen Gewerbe- betrieben oder neuartigen Zentralitäten in der Stadt manifestieren werden. Unklar ist, welche Wanderungsbewegungen von vernet- zungssensiblen Funktionen und Nutzungen Abbildung 2: Nachnutzung wie Hotels, Firmenzentralen, wissensinten- Entwicklung des Großraums Berlin bereits Flughafen Tempelhof – siven und kreativen Industrien realistisch zu abspielt und auch zukünftig konzentrieren Modemesse Bread & Butter erwarten sind und wie sich die verschiedenen wird. Wie in Abbildung 3 dargestellt, bilden Foto: Johanna Schlaack 2009 Zentren der Stadt in diesem Zusammenhang sich regional gesehen drei übergreifende rau- positionieren werden. Wer wird Gewinner, mökonomische Achsen heraus: Erstens die wer wird Verlierer dieser Entwicklung sein – seit dem Ende des 18. Jahrhunderts prosperie- die City West ohne Flughafen Tegel und ohne rende Süd-West-Achse zwischen der Berliner übergeordneten Fernbahnhof oder der Haupt- Innenstadt und Potsdam entlang der alten bahnhof mit direkter Verbindung per Bahn Potsdamer Chaussee. Zweitens die von der zum BER, so denn die Schienenanbindung Berliner Politik und Verwaltung avisierte Süd- gewährleistet ist? Problematisch erscheint in Ost-Achse zwischen dem Berliner Hauptbahn- diesem Zusammenhang, dass sich das durch hof und dem Flughafen BER einschließlich die Teilung Berlins bedingte wirtschaftliche der Bereiche Adlershof, Oberschöneweide, Abbildung 3: Kraftdreieck: West-Ost-Gefälle mit der Schließung der in- Nord-Neukölln und des ehemaligen Media Flughafen BER – Berliner nerstädtischen Flughäfen und der avisierten Spree-Areals. Und drittens die abseits der Innenstadt – Potsdam Nachnutzung von Tegel zunehmend in ein Planungskonzepte entlang der Bundesstraße Quelle: eigene Darstellung Süd-Nord-Gefälle umzuwandeln droht. Es ist B 96a gewachsene Süd-Achse zwischen dem 2011 daher zu befürchten, dass der Norden Ber- lins aufgrund der Schließung von Tegel und der daraus resultierenden Abwanderung von geschätzt etwa 10.000 Arbeitsplätzen wirt- schaftlich weiter geschwächt wird (Baasner 2011, 17). Der schon seit dem 19. Jahrhun- dert prosperierende Süd-Westen Berlins und der strategisch zu entwickelnde Süd-Osten in Richtung BER würden somit einem ökono- misch eher schwachen Norden gegenüberste- hen. Im Zuge der umrissenen gesamtstädti- schen Nord-Süd-Verschiebung und der bis- herigen strategischen Planungen für einen Wachstumskorridor BER – Hauptbahnhof zeichnet sich stadtregional zunehmend ein Kraftdreieck zwischen den Polen Flughafen BER – Berliner Innenstadt – Potsdam ab, in dem sich ein Großteil der wirtschaftlichen www.planung-neu-denken.de 6| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

Flughafen BER und Potsdam, nördlich des 3 Das komplexe Akteursgeflecht Berliner Autobahnrings A 10, mit den Gewer- beparks in den Kommunen Teltow, Großbee- Das komplexe Geflecht von Akteuren rund ren, Ludwigsfelde, Blankenfelde-Mahlow und um das Flughafen-Großprojekt BER in Schönefeld/Selchow. Schönefeld ist tief verzweigt und durchwoben Die beiden vornehmlich auf Berliner Ter- von Mehrfachbeteiligungen in der Region ritorium befindlichen Seiten des Dreiecks, die (Schlaack, Pape 2006, 118 ff.). Wie in der Gra- historisch gewachsene Süd-West-Achse und fik zur Akteurskonstellation in Berlin-Bran- die wirtschaftlich zu vermarktende Süd-Ost- denburg mit dargestellt, können die Figuren Achse, haben sich bereits in den Köpfen von der verschiedenen Spieler vergleichsweise Politik und Planung etabliert. Die Branden- um ein Spielfeld, das Schöne-Feld, gruppiert burger Entwicklungsachse im südlichen Ber- und angeordnet werden (vgl. Abbildung 4). liner Umland vom BER nach Potsdam wird bisher jedoch kaum wahrgenommen und, wie Im Prozess der flughafenbezogenen Planung oben angeführt, nicht in die Planung und Ver- können darin grob folgende acht übergeord- marktung mit einbezogen. (Siekermann 2006, nete Akteursgruppen abgegrenzt werden: 61 ff.) Über die bloße Wahrnehmung hinaus Erstens die Politik mit ihrer Weisungskompe- fehlt es vor allem an einer klaren räumlichen tenz, zweitens die öffentliche Verwaltung mit und städtebaulichen Vision für die Entwick- ihrer Befugnis der ausgleichenden und be- lungsachsen in der Stadtregion, die im Fall schränkenden Planung, drittens die ausfüh- des Süd-Ost-Wachstumskorridors nur zweidi- rende Planung inklusive der Entrepreneurs mensional in Plänen existieren. wie Unternehmen, Investoren und Flächenei- Abbildung 4: Akteurskonstellation rund um den Flughafenausbau BER Quelle: Schlaack, Pape 2006

Ausgleichende und beschränkende Planung

Weisungskompetenz

Ausführende Planung

Förderung & Ansiedlung

Lobbyarbeit ZAB

Bürgerinitiativen

Wähler Betro ene Externe Planung & Beratung Universitäten Einzelpersonen Justiz Forschungseinrichtungen pg bbi Drees & Sommer Jansen Ortsplanung Deloitte Albert Speer & Partner Jahn, Mack & Partner empirica ProStadt

Infra- struktur

bbi-Bau

Bahn Anbindung Schöne-Feld

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gentümern, viertens die externe Planung und lichen Projekten im Rahmen der ausführen- Beratung in Form von Fachplanungsbüros den Planung gestaltend tätig werden. Einfluss und der Wissenschaft, fünftens die Dach-Or- auf die Entwicklung rund um den BER neh- ganisationen und Vereine mit ihrer Lobbyar- men des Weiteren verschiedene öffentliche beit, sechstens die regionalen Institutionen und private Organisationen wie die »Berlin zur wirtschaftlichen Förderung und Ansied- Brandenburg Area Development Company« lung, siebentens die Justiz und achtens die (BADC), die Wirtschaftsförderungsagenturen Bürger selbst (Schlaack 2009). der beiden Länder »ZukunftsAgentur Bran- Neben den Ländern Berlin und Bran- denburg« (ZAB) und »Berlin Partner«, die denburg mit ihrer »Gemeinsamen Landes- jeweiligen Industrie- und Handelskammern planungsabteilung« (GL) ist vor allem die (IHK), die Luftfahrtgesellschaften und Unter- Flughafengesellschaft »Flughafen Berlin nehmen der Luftfahrtindustrie und deren re- Brandenburg GmbH« (FBB) eine der bedeu- gionaler Dachverband »Berlin-Brandenburg tendsten Figuren im Prozess um den Flug- Aerospace Allianz e.V.« (BBAA) sowie eine hafenausbau BER. Ihr teils unberechenbares Vielzahl von Bürgervereinen. In Form von Agieren, die mehrmals verschobene Flugha- Beratung, Steuerung und Planung wirken am feneröffnung und die schwierige Kommuni- Prozess der Flughafenumfeldentwicklung zu- kation mit den lärmbetroffenen Umfeldge- dem sowohl externe Fachplaner mit als auch meinden haben in der Vergangenheit bereits Fakultäten und Lehrstühle der Universitäten großen wirtschaftlichen und politischen Scha- bzw. Fachhochschulen sowie außeruniversi- den angerichtet. Es kann eine angespannte, täre Forschungseinrichtungen der Region. emotional negativ aufgeladene Atmosphäre In einer Kooperation aus wissenschaftlichem rund um den Flughafen konstatiert werden, in und privat-wirtschaftlichem Engagement ist der sowohl das Ansehen der Flughafengesell- beispielsweise die Forschungs- und Anwen- schaft FBB, das Vertrauen der Flughafenan- dungsprojektinitiative »fAIRleben« entstan- wohner, als auch das Image des Investitions- den, welche die strategisch nachhaltige Ent- standortes Berlin-Brandenburg stark gelitten wicklung als kommunales Modellvorhaben haben. Gesellschafter der nach wie vor in im Flughafenumfeld zum Ziel hat (Schlaack öffentlicher Hand befindlichen FBB sind je- 2012). weils zu gleichen Anteilen die Bundesländer Berlin und Brandenburg mit 37 Prozent und die Bundesrepublik Deutschland mit einem 4 Vielschichtigkeit der Pläne: Anteil von 26 Prozent. Folglich sind die drei Zusammen sind wir stark? politischen Repräsentanten Berlins, Branden- burgs und des Bundes mit ihren Verwaltun- Die wirtschaftliche Strahlkraft und Anzie- gen und letztlich den Steuerzahlern mittelbar hung des neuen Flughafens an der südöstli- auch Bauherren des Flughafens und zugleich chen Berliner Stadtgrenze weckt Hoffnungen als Gesellschafter finanzielle Risikoträger die- und Begehrlichkeiten auf verschiedenen Sei- ses Unternehmens. Momentan wird dies im ten – erwähnt seien hier nur der zuvor gezeig- Zuge der baulichen Schwierigkeiten bei der te ambitioniert geplante Entwicklungskor- Terminalfertigstellung und der verzögerten ridor vom BER über Adlershof in Richtung BER-Flughafeneröffnung mit den daraus re- Berliner Stadtzentrum oder die zuversicht- sultierenden mindestens 1,2 Milliarden Euro lich prognostizierten 40.000 Arbeitsplät- Zusatzkosten für die öffentlichen Haushalte ze durch den neuen Flughafen (Baum et al. schmerzhaft spürbar. Darüber hinaus ist der 2005/2009). Die häufig in den Medien zitier- Bund weiterhin Eigentümer der »Deutschen te Studie von Herbert Baum vernachlässigt Bahn AG« und ist damit indirekt auch für den jedoch den lokalen Verlust von Arbeitsplätzen Ausbau und die Erhaltung der BER-Schienen- durch die Schließung der beiden innerstädti- anbindung und den Bau des unterirdischen schen Flughäfen Tegel und Tempelhof. Allein ICE-Flughafenbahnhofes verantwortlich. in Tegel gehen wie oben angeführt annähernd Die Flughafengemeinde Schönefeld so- 10.000 Arbeitsplätze verloren oder verlagern wie die anderen Kommunen im Flughafen- sich zum Standort BER (Baasner 2011). Das umfeld BER sind in diesem Prozess mit der regionalwirtschaftliche Gutachten des »Deut- Schaffung von Baurecht im Sinne einer aus- sches Instituts für Urbanistik« (difu) geht ba- gleichenden und beschränkenden Planung sierend auf der Prognose von Baum für das vorbereitend beteiligt. Gleichzeitig können Jahr 2022 in drei Szenarien sogar von mehr sie durch die Errichtung von öffentlichen In- als 60.000 zusätzlichen flughafenbezogenen frastruktureinrichtungen und konkreten bau- Beschäftigten (oberes Szenario), etwa 35.000 www.planung-neu-denken.de 8| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

prozess in Form des Dialogforums BER ins Leben gerufen, zu dem die Bundesländer Ber- lin, Brandenburg, zwölf Kommunen im Um- Stadtgrenze land des Flughafens, drei Berliner Bezirke und drei regionale Planungsgemeinschaften/ Landkreise sowie die Flughafengesellschaft Schiene Innenstadt

Straße FBB gehören. Das Strukturkonzept gilt als Orientierung und Leitbild für die einzelnen Gemeinden im Flughafenumfeld, die auf- gefordert sind, ihre jeweiligen Planungsent- Entwicklungsachse BER - Stadtzentrum würfe daraufhin anzupassen. Es hat jedoch Planwerk Südostraum informellen Charakter und ist damit nicht bindend für die nachgeordnete Planung. Die FNP Schönefeld Masterplan Gateway darin ausgewiesenen 2.100 Hektar Siedlungs- BER erweiterungsflächen – davon 1.300 Hektar für

Lärmkontur Gewerbe und 800 Hektar für Wohnen – sind Autobahn im Vergleich mehr als fünfmal so groß wie Gemeinsames Strukturkonzept die Gesamtfläche des ehemaligen Flughafens Tempelhof oder entsprechen beispielsweise Flughafenregion der Fläche des gesamten Bezirks Friedrichs- hain-Kreuzberg. Deutlicher kann das Flä- chenüberangebot im engeren und weiteren Flughafenumfeld kaum illustriert werden. Abbildung 5: Überlagerung (mittleres Szenario) und reichlich 20.000 der Planungsebenen im flughafenbezogenen Beschäftigen (unteres 4.2 Das Ziel: Strategische Flughafenumfeld BER Szenario) aus (Deutsches Instituts für Urba- Clusteransiedlungen für Wirtschaft und Arbeit Quelle: eigene Darstellung nistik 2012, 103). 2012 Hauptsächlich gespeist aus dem Bedarf Wie können die Maßgaben und Empfeh- der Hauptstadt liegt der Flughafen BER – mit lungen des Strukturkonzeptes jedoch im den damit verbundenen (Steuer-) Einnahmen Planungsalltag der Gemeindeverwaltungen und Wachstumsimpulsen – jedoch auf Bran- umgesetzt werden, bei aufkeimender Kon- denburger Territorium mitten in der Gemein- kurrenz um anzusiedelnde Unternehmen de Schönefeld. Die Beziehung der beiden und solvente Investoren? Ursprünglich sollte Länder wird daher auf eine gefährliche Zer- die Schlüsselrolle dabei der BADC zukom- reißprobe gestellt, da jeder sein »Stück vom men. Diese, nach dem niederländischen Vor- Kuchen« der ökonomischen Impulse und der bild der SADC (ARGE BBI Regio-Plan 2000, Prosperität abbekommen möchte. 118 ff.) am Amsterdamer Flughafen Schiphol, von den BER Umfeldgemeinden gemein- 4.1 Strukturkonzept für Dialog schaftlich gegründete Gesellschaft sollte so- und Orientierung wohl Flächen in öffentlicher Hand gemein- deübergreifend strategisch entwickeln und Zur übergeordneten Steuerung der Wohn- vermarkten, als auch gezielt Schlüsselflächen und Gewerbeentwicklung wurde daher – für höherwertigere Nutzungen vorhalten. We- maßgeblich von der »Gemeinsamen Lan- gen des unzureichenden interkommunalen desplanungsabteilung der Länder Berlin und Flächenpools und mangelnder finanzieller Brandenburg« (GL) getragen – bereits 2007 Schlagkraft bleibt das Handeln der BADC das »Gemeinsame Strukturkonzept Flugha- jedoch bis auf weiteres auf ökologische Aus- fenumfeld BBI« (GSK) erarbeitet (Gemeinsa- gleichs- und Ersatzmaßnahmen beschränkt. me Landesplanung Berlin-Brandenburg 2007). Für die übergreifende wirtschaftliche Ent- Das regionale Planwerk mit sekundären wicklung kommt daher dem bisher wenig Karten für Mobilität und Verkehr, Gewerbe, konsequent strategisch agierenden »Airport Wohnen sowie für Natur- und Erholungs- Region Team« besondere Bedeutung zu. räume stellt laut GL eine »interkommunal Dieses gemeinsame Vermarktungsorgan abgestimmte Flächenkulisse für die weitere der Wirtschaftsförderungsagenturen beider Siedlungsentwicklung« (Ministerium für In- Länder, »Berlin Partner« und der »Zukunfts frastruktur und Raumordnung, Senatsver- Agentur Brandenburg«, hat die Ansiedlung waltung für Stadtentwicklung Berlin 2006) von Investoren und Unternehmen in der Re- dar. Außerdem wurde ein regionaler Dialog- gion und im direkten Flughafenumfeld zur

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Aufgabe. Wichtig wäre es, im Hinblick auf meinsam von der Berliner Senatsverwaltung, eine robuste und flexible Entwicklung, den der Gemeinde Schönefeld und der Flugha- Grundsatz Qualität vor Quantität und die vom fengesellschaft Flughafen FBB für den Ein- Brandenburger Ministerium für Landwirt- gangsbereich zum Flughafen entwickelte schaft und Infrastruktur geforderte Maxime Konzept beinhaltet die drei Schlüsselbereiche »Baukultur als Standortfaktor« im Flughafen- »Airport City« (FBB), »Business Park Ber- umfeld ernst zu nehmen (Ministerium für lin« (FBB, Berlin) und »Waltersdorf-Nord« Infrastruktur und Landwirtschaft 2011). Nur (Schönefeld), die gemeinsam als Auftakt für so können wirtschaftlich falsche Signale wie die Entwicklungsachse in Richtung der Ber- am flughafeneigenen »Business Park Berlin« liner Innenstadt fungieren sollen. Der in drei verhindert werden, bei dem nach ambitio- Entwicklungsoptionen konzipierte städtebau- nierten Planungsideen nun ein Aldi-Discoun- liche Rahmenplan reiht in konventioneller termarkt im repräsentativen Eingangsbereich Art maximal gefüllte Flächen ohne spezifi- den Takt für weitere Projekte angibt. sche räumliche Ausgestaltung ausschließlich Von großer Bedeutung ist daher – auch durch Verkehrsflächen untergliedert aneinan- im Hinblick auf den internationalen Stand- der. Im Eingangsbereich zur Airport City und ortwettbewerb mit anderen Metropolen wie zum Terminal wird eine Torsituation mittels Paris, London oder Amsterdam – gerade im größerer Bauvolumen und Bauhöhen vorge- dynamischen Wirtschaftsraum rund um den schlagen, die links und rechts von stadtähn- deutschen Hauptstadtflughafen grenzüber- lichen Quartieren flankiert wird. Der Bereich schreitend zu denken und zu planen. Das ist des »Business Parks Berlin« ist als klassischer nicht immer leicht, da Politik und Verwaltung Gewerbepark mit rasterartiger Erschließung jeweils an den Landes-, Landkreis- bzw. Ge- geplant. Alle drei Schlüsselbereiche werden meindegrenzen haltmachen und übergreifen- zukünftig mit einer sekundären Erschlie- de Planungen und Projekte wie beispielswei- ßungsstraße miteinander verbunden und se gemeinsame, sogenannte interkommunale werden daher unmittelbar von den Erreich- Gewerbeparks sichtlich erschweren. Diese barkeitsvorteilen des Flughafens profitieren Planungsproblematik führt auf lokaler Ebene können. Als drittes länderübergreifendes zu anhaltenden Konflikten und massiver Kon- Konzept versucht das gemeinsam von »Berlin kurrenz um Investitionen und Wirtschafts- Partner« und »ZAB Brandenburg« entwickel- entwicklung zwischen den verschiedenen te regionale Marketingkonzept »Airport Regi- Flughafenanrainergemeinden und den südli- on Berlin-Brandenburg« mehr oder weniger chen Berliner Bezirken. Um eine ambivalente gezielt relativ unspezifische wirtschaftliche Entwicklung mit eindeutigen Gewinnern und Cluster wie Industrie, Life Sciences, Clean Verlierern in der Flughafenregion zu verhin- Technologies und Medien an verschiedenen dern, wurden unterschiedliche Pläne und Gewerbestandorten rund um den Flughafen Konzepte entwickelt, die auf die gekoppelte zu vermarkten (Airport Region Berlin Bran- Wirtschafts- und Lärmproblematik eingehen denburg 2011, 24). Das vierte Konzept des und die Ungleichgewichte ausbalancieren »Stadtforums 2020« konzentriert sich indes sollen (Gemeinsame Landesplanung Berlin unter dem Titel »Perspektiven für Berlin« (Se- Brandenburg 2008). Die verschiedenen Plä- natsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin ne, obgleich teilweise exemplarisch grenz- 2006) als strategische Vision für Berlin ein- übergreifend geplant, widersprechen und deutig auf die designierte Wachstumsachse behindern sich jedoch im Planungsalltag oft Hauptbahnhof – BER. Weiterhin wichtig für und führen demzufolge eher zu Verwirrung die übergeordnete Berliner Planung ist das in den überforderten lokalen Planungsäm- »Planwerk Süd-Ost« (Senatsverwaltung für tern als zur Klärung der Unsicherheiten im Stadtentwicklung Berlin 2008) als Berlins Flughafenumfeld. Die relevanten Pläne und übergreifender Bezirksplan, der den südöst- Konzepte werden im Folgenden kurz erläu- lichen Berliner Bereich bis zum Flughafen tert und dargestellt. in Schönefeld auf Brandenburger Terrain ab- Neben dem zuvor genannten »Gemein- deckt. samen Strukturkonzept Flughafenumfeld Darüber hinaus gibt es eine Fülle nachge- BBI« (GSK), ist der gemeindeübergreifende ordneter Pläne wie beispielsweise die jeweili- »Masterplan Gateway« ein zweiter wichti- gen Flächennutzungspläne der Kommunen ger übergeordneter Plan für die zukünfti- um den Flughafen. Von großer Bedeutung ge Entwicklung im Flughafenumfeld BER ist sich in diesem Zusammenhang zu ver- (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenwärtigen, dass die Planungshoheit in Berlin, Gemeinde Schönefeld 2008). Das ge- Deutschland bei den Kommunen liegt. So hat www.planung-neu-denken.de 10| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

die Gemeinde Schönefeld in ihrem Flächen- wendige Rückendeckung aus der Politik und nutzungsplan (Gemeinde Schönefeld 2005) der Verwaltung. selbstbewusst etwa 465 Hektar Gewerbeflä- che ausgewiesen, was der Größe des Flughafe- 4.3 Interessenkonflikte und nareals Tegel entspricht. Bei durchschnittlich Entscheidungsfindungen 25 Hektar prognostiziertem Flächenbedarf im Flughafenumfeld pro Jahr – diese Zahl nann- Die erläuterte komplexe Konstellation von te die ehemalige Berliner Senatorin für Stadt- Akteuren und Plänen mit teils widerstreiten- entwicklung Ingeborg Junge-Reyer im Juni den Interessen und der langwierige Entschei- 2008 im Rahmen der »Berliner Wirtschaft- dungsfindungsprozess führen, wie gezeigt, gespräche«– könnte demnach allein Schöne- im Planungsalltag oft dazu, dass planungspo- feld im eigenen Gemeindegebiet die gesamte litische Absichtserklärungen und übergeord- Gewerbeentwicklung der nächsten 20 Jahre nete Ziele – wie die koordinierte, integrierte aufnehmen. und nachhaltige räumliche, wirtschaftliche Aufgrund des dargestellten immensen und soziale Entwicklung – sowohl im direk- Flächenüberangebots im Umfeld des Flug- ten Flughafenumfeld des neuen BER als auch hafens und des langen, immer wieder zähen in der gesamten polyzentralen Stadtregion Planungsprozesses hat sich eine zunehmen- Berlin-Brandenburg in den Hintergrund ge- de wirtschaftliche Konkurrenz im Flughafen- raten. Die drängende Frage bleibt dement- umfeld entwickelt. Die Verzögerung der BER- sprechend, wie eine derart große Chance Flughafeneröffnung auf unbestimmte Zeit der Gestaltung des neuen Eingangsbereichs führt zu neuen Unsicherheiten auf Seiten zur Hauptstadt Berlin rund um den Flugha- potentieller Investoren und der unklare Pla- fen BER gleichzeitig als ,Tor zur Welt‘ und nungsstand des Flughafens droht den Wett- ,Visitenkarte der Region‘ zukunftsfähig und bewerb in der Immobilienbranche rund um nachhaltig gelingen kann? Und wie kann die den BER weiter zu verschärfen. So mancher gesamte Region – von der Airport City gen Grundstücksspekulant, der schon vor der ers- Osten über Schönefeld in Richtung Berliner ten Eröffnungsverschiebung 2011 mit seiner Innenstadt und im Westen vom neuen ILA- Geduld am Ende war und wirtschaftlich mür- Messestandort zur brandenburgischen Lan- be, geht mittlerweile buchstäblich auf dem deshauptstadt Potsdam – von der wirtschaft- Zahnfleisch, denn die Nachfrage auf dem lichen Strahlkraft des neuen Flughafens BER Immobilienmarkt zieht bekanntermaßen und einer integrierten wirtschaftlichen Ent- erst nach der Inbetriebnahme des Flughafens wicklung profitieren? Es besteht daher mehr spürbar an. denn je der dringende Handlungsbedarf, die Das erklärte Ziel einer regional-wirtschaft- erarbeiteten übergeordneten Strategiekon- lich integrierten Entwicklung der Flughafen- zepte auch endlich wirksam zu implementie- region rückt somit fatalerweise immer wei- ren, um eine nachhaltige Entwicklung in der ter in die Ferne. Zu beobachten ist, dass die Hauptstadtregion zu gewährleisten, die dem Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft regionalen, nationalen und internationalen und die Bereitschaft für wirtschaftliche Zu- Anspruch an den neuen Großflughafen BER geständnisse – zugunsten einer gesteuerten, und seinem Umfeld, als Schaufenster zu Wo- auf lange Sicht mehrwertgenerierenden Wirt- wereits »Modellstadt für das nachhaltige Zeit- schaftsansiedlung im Flughafenumfeld – auf alter« (Wowereit, Müller 2010, 2), gerecht den verschiedenen Seiten der Kommunen, werden kann. Immobilienentwickler und Flächeneigentü- mer dabei zusehends abnimmt. Obwohl die Anliegergemeinden des Flughafens weiterhin 5 Airea Berlin-Brandenburg: Erklärungsmodell im Dialogforum organisiert sind und sich re- flughafenbezogener räumlicher Dynamik gelmäßig in Arbeitsgruppen treffen, sollte die Vision der gemeinsamen, nachhaltigen Wirt- Um ein genaueres Bild der eigentlichen flug- schaftsentwicklung rund um den Flughafen hafenbezogenen Bereiche innerhalb der Stadt- BER dringend für den Planungsalltag ope- region Berlin-Brandenburg zu generieren rationalisiert und konkrete Anreize für das und Ansatzpunkte für mögliche planerische Einhalten von Planungszusagen geschaffen Interventionen im Planungsfortschritt des werden. Gelingt dies nicht, so verkommen Flughafenausbaus zu identifizieren, wäre die die regionalen Dialogformate zu »Kaffee- Ermittlung des Status der sogenannten Airea, kränzchen« ohne eigenes Instrumentarium, des Entwicklungsraumes Flughafen – Stadt ohne Durchsetzungskraft und ohne die not- (Schlaack 2010), rund um den zukünftigen

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Großflughafen BER sinnvoll und hilfreich. Flughafenbetrieb in Schönefeld seit mehr Als Airea konzeptualisiert, bündeln die flug- als einem halben Jahrhundert und der erläu- hafenbezogenen Entwicklungsbereiche in der terten fast zwanzigjährigen Erwartung der Region die Herausforderungen, aber auch die Eröffnung des ausgebauten Großflughafens Potentiale einer integrierten städtischen Ent- an diesem Ort haben sich allerdings teilwei- wicklung und des dynamischen Wachstums se zunehmend Airea-typische Komponenten wie kaum ein anderer Teil der Stadtregion. an verschiedenen Standorten herausgebildet. Diese Bereiche bedürfen besonderer plane- Diese befinden sich sowohl in der Gemeinde rischer Beachtung, da sie als paradigmatisch Schönefeld und im direkten Flughafenum- für die zukunftsfähige nachhaltige Entwick- feld als auch in den (zukünftig) gut an den lung innerhalb eines komplexen regionalen Flughafen angebundenen Bereichen der wei- Umfeldes betrachtet werden können. teren Stadtregion wie dem Technologiepark Die Airea, als Erklärungs- und Analyse- in Adlershof, dem Euref-Campus am Süd- modell flughafenbezogener Entwicklung, kreuz oder dem Luft- und Raumfahrtzentrum bezieht sich dabei auf die verschiedenen rund um die Technische Fachhochschule in fragmentierten Entwicklungsinseln inner- Wildau. Da ein Großteil der Airea-Kompo- halb eines bestimmten Möglichkeitsraums nenten rund um den zukünftigen BER der- im Verhältnis zum Flughafen. Gemeint ist zeit noch Konzeptcharakter hat und sich erst der Teil der Stadtregion, der maßgeblich vom in der Planung befindet, stellt die Verfeine- Flughafen beeinflusst ist oder im Gegenzug rung des Status Quo und die tiefergehende den Flughafen direkt beeinflusst (ebd., 117 f.). Untersuchung der Airea Berlin-Brandenburg, Zusammenfassend dargestellt geht die Analy- sobald sich die Planungen weiter konkreti- se-Methodik der Airea dabei in drei Schritten siert haben und ein verbindlicher Eröffnungs- vor: Im ersten Schritt werden die flughafen- termin des neuen Flughafens BER feststeht, bezogenen Entwicklungsinseln, die Airea- eine wichtige anstehende Forschungsaufgabe Komponenten, räumlich abgegrenzt, um ein dar. genaueres Bild der eigentlichen flughafenre- levanten Bereiche innerhalb der Stadtregion zu erhalten. Dazu werden die drei Kriterien in 6 Schluss: Thesen und Empfehlungen Relation zur Stadtregion untersucht: die Nähe für Berlin-Brandenburg – Was bzw. die Erreichbarkeit, die Entstehungszeit lange währt, wird endlich gut? ab Planungsbeginn bzw. Inbetriebnahme des Flughafens und der Flughafenfokus, wobei Es gibt an den »Baustellen« der drei Flughä- die betrachteten Bereiche, um als Airea-Kom- fen jeweils handfeste Herausforderungen, ponente eingestuft zu werden, regional ange- die einer klaren Struktur, eines transparen- passte Schwellenwerte über- bzw. unterschrei- ten Prozesses und einer überzeugenden Visi- ten müssen. Im zweiten Schritt werden die on bedürfen, aber auch eines guten Produktes eingegrenzten Airea-Komponenten gemäß bzw. Ergebnisses in Form von städtebaulicher ihrer Lage, ihres Reifegrades und ihres Pro- und architektonischer Qualität. Am Flugha- fils untereinander klassifiziert und hinsicht- fen Tempelhof tritt das virulente Thema von lich ihres Flughafenbezuges eingeordnet. Im Bebauung versus Freiraumgestaltung zuneh- dritten und letzten Schritt der Airea-Analyse mend in den Vordergrund und auch die Frage erfolgt eine tiefergehende Untersuchung der der Standortwahl der Zentral- und Landesbi- Airea-Komponenten bezogen auf die drei bliothek (ZLB) als Neubau und nicht als Teil Parameter Programm in Konzept, Funktion des Altbaus des Terminals. Im Falle von Tegel und Nutzung, Form in Gerüst, Rahmen und stellt sich die Frage, wie nach fünf Standort- Entwicklungsmuster sowie Hauptakteure in konferenzen und drei Werkstätten in einem Konstellation, Hauptziele und Kräfteverhält- scheinbar demokratischen Prozess unter Ein- nis. Die flughafenbezogenen Bereiche einer bindung vieler Beteiligter, Bürger und renom- Stadtregion können mit dem Ansatz der Airea mierter Planungsbüros wie MVRDV oder zunächst räumlich eingegrenzt und unterein- West 8, das am Schluss im Flächennutzungs- ander im Hinblick auf den Flughafen einge- plan ausgewiesene Industrie- und Gewerbege- ordnet werden sowie in ihrer Beschaffenheit biet zukunftsfähig gestaltet und schrittweise zumindest überblicksartig untersucht werden entwickelt werden soll (Senatsverwaltung für (ebd., 118 ff.). Stadtentwicklung Berlin 2011, 73). Und im Die BER-bezogene Airea in der Stadtregi- BER-Umfeld spitzt sich das zweischneidige on Berlin lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt Thema der Lärmbelastung und Anwohnerbe- nur prognostizieren. Durch den bestehenden troffenheit zu, bei gleichzeitigem Wirtschafts- www.planung-neu-denken.de 12| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

wachstum und aufkeimender Konkurrenz in Flughafen die wirtschaftliche Entwicklung in Anbetracht der im »Gemeinsamen Struktur- gesichtslosen Gewerbe- und Wohnparks ballt. konzept« (GSK) ausgewiesenen 2.100 Hektar Hier gilt es, eine neue Balance zwischen Tran- Siedlungserweiterungsfläche allein im Flug- sitraum und Lebensraum zu finden. Gewer- hafenumfeld. begebiete und Verkehrstrassen – insbesonde- Bei all diesen drängenden Herausforde- re im Bereich der verlängerten Bundesstraße rungen an den drei verschiedenen Flugha- B96 – müssen hierfür aus ihrem gestalteri- fenstandorten und der Herkulesaufgabe der schen Schattendasein gehoben werden und zügigen Eröffnung des neuen Flughafens ebenfalls räumlichen Ansprüchen an Nach- BER inklusive Anbindung darf der Blick für haltigkeit entsprechen. das Ganze – für den Zusammenhang in der Stadtregion Berlin-Brandenburg – nicht ver- 6.2 Berlin in Balance: Wirtschaftliche loren gehen. Gewichtsverlagerung

6.1 Die Region als Maßstab: Bezogen auf die dargestellte Flughafen-Rocha- Strategisch vernetzte Planung de in der Stadtregion stellt sich die Frage: Wie können im Interesse einer Balance zwischen Mit Blick auf das tri-polare Flughafensystem den Berliner Bezirken regional übergreifende – den bereits geschlossenen Flughafen Tem- Strategien gegen den aufgezeigten möglichen pelhof, den noch zu schließenden Flughafen Gewichtsverlust der nördlichen Metropolre- Tegel und den zukünftigen Flughafen BER gion z.B. im Rahmen des Prozesses des ak- – wird deutlich, dass ein Zusammendenken tuellen Stadtentwicklungskonzeptes (STEK) dieser drei wichtigen stadtregionalen Entwick- 2030 vorangetrieben werden, damit isolierte lungspole offenbar kaum erfolgt und ein regi- Projekte wie der »Campus Buch« nicht die onal-integrierter Planungsansatz nach wie vor einzige Antwort auf ein mögliches Zurückfal- zu fehlen scheint. Die Metropolregion Berlin- len des Nordens bleiben? Ein Bewusstsein für Brandenburg ist zwar ein gern beschwore- die entstehenden zunehmenden Ungleich- nes Bild, im tagespolitischen Geschäft wird gewichte in der Region muss ressort- und die stadtregionale Dimension der Flughafen verwaltungsübergreifend geschaffen werden. (-nachnutzungs)entwicklung jedoch meist Die weitere Konkretisierung des Nachnut- völlig außer Acht gelassen. Faktisch konzen- zungskonzeptes für den Flughafen Tegel als trieren sich die Pläne und Projekte eher au- neuer Attraktor mit klarem Standortprofil tistisch auf die jeweiligen Flughafenareale und guter Erschließung auf hohem Niveau ist selbst und auf prominente Gebiete innerhalb dafür unabdingbar, damit die dort angesiedel- der Berliner Stadtgrenze. Dafür gibt es gute ten nicht direkt flughafenaffinen Branchen Gründe, aber diese Pläne müssen in einem am Standort gehalten werden können und größeren planerischen Kontext legitimiert nicht in den Süden der Berliner Stadtregion und eingebettet werden. Die große Vision abwandern. Für eine breitere inhaltliche Ver- für Berlin im Sinne eines Leitbildes über die netzung der (ex-)flughafenbezogenen Ent- Stadtgrenze hinaus, das auch die (ehemali- wicklungsräume wäre zudem die strategische gen) Flughäfen zusammendenkt, lässt noch Weiterformulierung der Berliner Planwerke immer auf sich warten. Die Konsequenz ist Südost (BER), West (Tegel) und Innere Stadt eine isolierte Sichtweise der verschiedenen (Tempelhof) im Zusammenhang sinnvoll. Akteure in Politik und Verwaltung und eine verinselte städtebauliche Entwicklung der 6.3 Neue Mobilität in der Luft und am drei Standorte mit einem Flickwerk von Pro- Boden: Integriertes Verkehrskonzept jekten. Zudem bietet der zersiedelte Raum im südlichen Berliner Speckgürtel rund um den Da das Flughafen- und damit das globale Er- Flughafenausbau BER mit seinen lose zusam- reichbarkeitssystem in Berlin nun auf einen menhängenden, häufig unzureichend an den Pol an der südöstlichen Berliner Stadtgrenze öffentlichen Nahverkehr angeschlossenen in Schönefeld beschränkt wird, sollte die Ver- Siedlungsfragmenten ein städtebaulich de- netzung der Innenstadtbereiche, vor allem solates Bild. Aufgaben wie die Eindämmung der nun abgehängten City West sowie der der Zersiedelung und die Qualifizierung der ehemaligen Flughäfen Tempelhof und Tegel, vorhandenen suburbanen Landschaft im im Berliner Stadtgewebe unbedingt qualifi- Flughafenumfeld müssen unverzüglich ange- ziert werden. Die beiden Flughafenareale wa- gangen werden, da sich gerade in den südli- ren bisher von einer singulären punktuellen chen Randlagen Berlins rund um den neuen Erschließung über ihre zentralen Eingangs-

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bereiche gekennzeichnet. Diese hermetische maximalen Fahrtzeiten von 20 bis 40 Minu- Abgeschlossenheit kann durch eine stadt- ten in den Großteil des Berliner Stadtgebie- räumliche Perforierung der Außenkontur tes gefunden werden. Nur so kann gesichert und mit einer vielfältigen Durchwegung und werden, dass der Modal Split am BER nicht Erschließung überwunden werden. Die Ra- endgültig in Richtung motorisierten Indivi- dialstraßen mit ihren parallelen öffentlichen dualverkehr kippt, sich die Vorbehalte gegen- Nahverkehrssträngen bilden dafür ein solides über dem »unerreichbaren« Flughafenstand- Rückgrat, um die Berliner Innen- und Außen- ort in Schönefeld nicht weiter erhärten und stadtbereiche über die verlängerte Karl-Marx- die Impulse nicht primär ins Brandenburger Straße, den verlängerten Tempelhofer Damm Umfeld abwandern. Eine weitere wichtige und das Adlergestell mit dem neuen Flug- Aufgabe in diesem Zusammenhang ist der hafen BER zu verbinden (Think Berl!n plus Umgang mit der großräumlichen Bündelung 2010). Außerdem müssen die beiden ehe- der Verkehrsströme und den daran gekoppel- maligen Flughafenareale Tegel in Richtung ten zusätzlichen Emissionen, z.B. im Sinne Kurt-Schumacher Platz bzw. U-Bahnlinie einer Gesamtlärmbetrachtung (Luft, Straße 6 und Tempelhof in Richtung Tempelhofer und Schiene kumuliert) sowie die Erreichung Damm, U-Bahnhof »Platz der Luftbrücke« einer breiteren Akzeptanz in der Bevölkerung und U- und S-Bahnhof »Tempelhof« sinnvoll insbesondere um den neuen Flughafen. angebunden werden. Die großen Magistralen als Kraftlinien der Region mit ihren Identifi- 6.4 Leere als Luxus: Nachnutzung kationsorten, den angegliederten Stadtteil- von Tempelhof und Tegel und Ortsteilzentren, an denen sich wichtige Einrichtungen konzentrieren, die einen Mit- Ein großes Potential ist die Adressbildung. telpunkt des Alltaglebens für viele Berliner Die Lagegunst, das Image und die Symbol- bilden, müssen im Sinne eines »Zugangs für kraft sind schon da – Tempelhof und Tegel Alle« ihrer ursprünglichen Bedeutung und sind als zentrale, mehr oder weniger gut an- Attraktivität wieder zugeführt werden. Nur gebundene Orte mit bedeutender historischer auf der stadtregionalen Ebene – mit den neu- Bausubstanz und als ikonografische Archi- en Erreichbarkeiten aus der Luft im Blick – tekturdenkmale in der Stadt- und Fachöffent- kann so die Stärkung der Vielfalt der Mobilität lichkeit bereits etabliert. Wie kann jedoch als zentrales Ziel nachhaltiger Stadtentwick- die schwierige Aufgabe gelöst werden, diese lung übergreifend für Berlin-Brandenburg beiden stadt-identifikatorisch wichtigen Are- angegangen werden. ale vielschichtig in das Berliner Stadtgewebe Zudem stellt die zunehmende Verkehrs- einzuweben? Schließlich kennzeichnen beide problematik an und um den neuen Flughafen Flughafenareale ähnliche Sondermerkmale: und die damit verbundene drohende Überlas- Der sie umschließende (Flughafen-)Zaun, der tung des gerade erst ausgebauten Verkehrs- hohe Grad an Versiegelung und die sie um- systems eine Herausforderung für Berlin dar. gebenden Mobilitätskorridore wie Schnell- Durch die Schließung der innerstädtischen straßen und Bahntrassen. Außerdem darf die Flughäfen zugunsten des neuen Großflug- Chance der Nutzung der Areale als Experi- hafens BER und seiner, zumindest zur Er- mentierfelder für neue und bereits etablierte öffnung, mangelnden Schienenanbindung Ideen nicht vergeben werden – Berlin sollte sind höchstwahrscheinlich massive Engpässe versuchen internationale Anerkennung für auf Straße, Schiene und auch im Luftverkehr den beispielhaften und transparent-partizipa- (General Aviation) zu erwarten. Die verkehr- tiven Umgang mit der Nachnutzung der in- liche An- und Einbindung insbesondere von nerstädtischen Flughafenareale zu gewinnen. Tegel und dem BER mit dem öffentlichen Die in der Nachnutzungsdebatte bereits Nahverkehr sollte gesamtstädtisch und klein- vorhandenen innovativen Ansätze, z.B. Kli- räumlich unbedingt ausgebaut werden – eine maeffizienz, nachhaltiger Tourismus, neue besondere Rolle spielt hierbei die verkehrli- Formen der Produktion, innerstädtische che Feinverteilung. Aufgrund massiver Pla- Landwirtschaft, gesellschaftliche Teilhabe, al- nungsfehler und -versäumnisse im Zuge der ternative Mobilitätskonzepte usw. sollten erns- Erstellung des übergreifenden ÖPNV-Kon- ter genommen und progressiv vorangetrieben zeptes und der Anbindung des Flughafens werden. Welche Konzepte könnten zum Bei- muss aus Berliner Sicht dringend eine gute spiel zum Thema »Autarkie« – exemplarische Übergangslösung für die nach wie vor deso- Ansätze zur Selbstversorgung Berlins – ent- late öffentliche Nahverkehrsanbindung des wickelt werden? Was kann Berlin von ande- Flughafens BER bis voraussichtlich 2019 mit ren Städten mit ähnlichen Flughafennachnut- www.planung-neu-denken.de 14| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

Abbildung 6: Nachnutzung des Flughafenareals Tempelhof Foto: Johanna Schlaack 2009

zungsprojekten wie beispielsweise Denver in me aussehen, wie sollen sie funktionieren den USA lernen und wie kann Berlin sich zu- und gestaltet sein? Wie nimmt man diese künftig als wichtige Referenz für einen neuar- wahr – aus dem Auto, aus der S-Bahn oder tigen Umgang mit ehemaligen Flughafenare- vom Fahrrad aus? Der Entwicklungskorridor alen international positionieren? Und warum BER – Hauptbahnhof darf nicht als bloßer nicht provokant Leere als Luxus verstehen und, Wirtschaftsraum zweidimensional in Karten anstatt weiter von Flächenexpansion zu träu- gedacht werden, sondern sollte vielmehr mit men, eine Qualifizierung von öffentlichem einer Sequenz von Erlebnisräumen den Gate- Frei- und Erholungsraum in Tempelhof und way BER – Hauptstadtzentrum erfahrbar ma- Tegel vorantreiben? chen. Schlagworte müssen hierbei Kontinu- Die Nachnutzung des Flughafens Tempel- ität, Qualität und Wiedererkennbarkeit sein. hof als städtischen Park mit neuen Wohnquar- Wichtig ist zudem, die Querverbindungen tieren und der Ansiedlung von Medien- und sinnvoll zu planen und zu gestalten, damit kreativen Unternehmen sowie dem geplanten der Flughafenwachstumskorridor mit seiner Neubau der Zentral- und Landesbibliothek avisierten linearen Entwicklung und den zen- und Tegel als Gewerbe- und Industriepark für tralen Verkehrsachsen sich nicht zur Barrie- sogenannte »Urban Technologies« sind Kon- re im Stadtraum auswächst. Die bisher eher zepte, die in verschiedenen Plänen angespro- ungesteuert gewachsene Entwicklungsachse chen und mit der Öffentlichkeit kontrovers BER – Potsdam verdient als Schulterschluss erörtert werden (Senatsverwaltung für Stadt- der Brandenburger Landeshauptstadt mit entwicklung Berlin 2011). Trotz dieser Pläne dem Hauptstadt-Flughafen zukünftig beson- sind die eingesetzten öffentlichen Ressourcen dere planerisch-gestalterische Zuwendung. bescheiden sowie die Implementierungsstra- Am Rand der Kartenausschnitte ist hier eine tegie, das Profil und die konkreten Ergebnis- gemeinde- und landesübergreifende Koopera- se in Bezug auf die städtebauliche Form und tion und Steuerung dringend notwendig, da- die Auswirkungen auf die Stadt bisher relativ mit sich dieser wichtige Brandenburger Wirt- vage. Die Übertragung eines guten Prozesses schaftsraum nicht zu einem rein linearen, in ein gutes Ergebnis oder ein gutes Produkt peripheren Berliner Transitraum entwickelt. mit einer hohen Qualität stellt daher gegen- wärtig die größte Herausforderung dar. 6.6 Modellvorhaben fAIRleben: Bottom-up versus Top-Down im Flughafenumfeld 6.5 Auf der Straße nach Süden: Permanenz anstatt Transit Einen wichtigen Ansatz und Baustein für zukünftige planerische Interventionen im Das in der Region zunehmend entstehen- Flughafenumfeld BER stellt die regional ini- de Kraftdreieck »Flughafen BER – Berliner tiierte Modellprojektinitiative für Forschung und Innenstadt – Potsdam« bedarf besonderer Anwendung – fAIRleben dar (Schlaack 2012). Aufmerksamkeit und Steuerung. Wie sol- Das Modellprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, len diese überregional wichtigen Stadträu- den bereits stattfindenden, tiefgreifenden

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Transformationsprozess im Umfeld des Flug- Tegel mit nahezu 900 Hektar Fläche entspan- hafens BER zu begleiten und ihn gemeinsam nen den schwachen Berliner Immobilien- mit den beteiligten Akteuren und der ansäs- markt zusätzlich und treten damit in Konkur- sigen Bevölkerung im Sinne eines Perspekti- renz zu anderen regionalen Großprojekten venwechsels zum Positiven zu wenden. wie Hauptbahnhof/Heidestraße, östlicher Als Modellvorhaben widmet es sich dabei Spreeraum, Euref-Campus und nicht zuletzt den oben aufgezeigten prototypischen Prob- auch zum Flughafenumfeld BER. lemen und Potentialen im Flughafenumfeld Doch wie müsste eine nach außen trans- und bietet die Möglichkeit, die Lücke zwi- parente Profilierung und Priorisierung der schen »Top-Down«- und »Bottom-up«-Pro- Stadtentwicklungsprojekte in der Region Ber- zessen zu schließen. Das Projekt versucht in lin-Brandenburg realistisch aussehen, damit diesem Zusammenhang auf die multiplen sich keine ,first-come-first-served‘-Mentalität Herausforderungen im Umfeld von Großinf- unter den Investoren verfestigt? Und wie kön- rastrukturprojekten in den Flughafennachbar- nen die Themen Liegenschaftspolitik, Bezirk- gemeinden einzugehen und in einer engen sausgleich, interkommunale Planung und Kooperation aus öffentlichen, privatrechtli- das Rückhalten potentieller Entwicklungsflä- chen, kommunalen und wissenschaftlichen chen in Tempelhof, Tegel, rund um den BER Partnern in Berlin-Brandenburg integrierte und in der Entwicklungsachse BER – Haupt- erste Lösungsansätze im Flughafenumfeld bahnhof sinnvoll eingebracht werden? BER aufzuzeigen. Neben den Aspekten einer Eine durchdachte, integrierte und nach- nachhaltig grünen, energieeffizienten, sozi- haltige Flughafenumfeldentwicklung bzw. alen, lärmverträglichen, qualitätvoll gestalte- Flughafennachnutzung braucht Zeit: Geduld ten und bürgernahen Gemeindeentwicklung ist also ein wichtiger Faktor. Wie am Beispiel steht vor allem auch die Herausforderung des Flughafens Schiphol in Amsterdam er- der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung sichtlich, sind Anstrengungen, die in die Ko- im Umfeld eines solchen Großflughafens im ordination und die Kooperation der involvier- Vordergrund des Projektes. ten Entscheidungsträger investiert werden, um ein international wettbewerbsfähiges und 6.7 Geduld bewahren: Flächenüberangebot gut organisiertes Flughafenumfeld zu för- und Entwicklungsvakuum dern, den Zeitaufwand und die Mühe durch- aus wert. Das Überangebot an innerstädtisch zu entwi- In Bezug auf die Nachnutzung eines ehe- ckelnden Flächen in Berlin und die Fülle von maligen Flughafenareals zeigt das Beispiel verfügbaren Flächen im Brandenburger Um- Denver in den USA, dass auch dort zunächst land stellen wie erläutert eine schwierige Her- sechs Jahre Diskussionsprozess vor der ei- ausforderung, aber auch ein großes Potential gentlichen Schließung des innenstadtnahen der Stadtregion Berlin dar. Die riesigen frei Flughafens Stapleton notwendig waren, um werdenden Flächenpotentiale Tempelhof und zunächst eine gemeinsame Vision für das

Abbildung 7: Blankenfelde-Mahlow: Flughafennachbargemeinde im Dauerstress Foto: Johanna Schlaack 2011 www.planung-neu-denken.de 16| 17 Johanna Schlaack: Berlin und seine Flughäfen: Herausforderungen integrierter Infrastruktur- und Stadtentwicklung

2.000 Hektar große Areal zu entwickeln Flughafenausbau in Schönefeld verstärkt in- und weitere fünfzehn Jahre bis zum Resul- des die wirtschaftliche Konkurrenz und die tat eines mehr oder weniger intakten neuen politischen Gefechte. Es führt aber auch zu Stadtquartiers. Nach der Eröffnung des neu- einem Zeitgewinn, um die Dinge für eine en Flughafens DIA 1995 dauerte es auch dort nachhaltige Zukunft im Flughafenumfeld im engeren und weiteren Flughafenumfeld BER und für die Nachnutzung des Flugha- mehr als zehn Jahre, bis spürbare wirtschaft- fens Tegel auf den richtigen Weg zu bringen. liche Impulse in Form von flughafenbezoge- Nur so kann ein weiteres Auseinanderdriften, ner Gewerbe- und Wohnentwicklung sichtbar sowohl des BER-Umfeldes als auch der nörd- wurden. lichen und südlichen Berliner Stadtregion, Das unglückliche Zusammentreffen der mit strahlenden Gewinnern und abgeschlage- erneuten Eröffnungsverschiebung des Flug- nen Verlierern verhindert werden, damit was hafens BER und des mittlerweile mürben lange währt, auch wirklich für Berlin-Bran- Flughafenumfelds nach zwei Jahrzehnten denburg endlich gut wird. planerischer Unsicherheit in Bezug auf den

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REviewed Flughafenbezogene Immobilienentwicklung und Planungskonflikte: Eine Diskussion am Beispiel von Brisbane/Australien viewedRE

Zusammenfassung Fabian Sonnenburg, seit August 2012 Viele große Flughäfen haben auf ihrem Gelände einen großen Bestand an Gewerbeimmobilien Wissenschaftlicher Mitarbeiter errichtet und treten in Konkurrenz zu benachbarten Einzelhandels-, Büro- und Logistikstandor- am Geographischen ten. Dies führt zu Planungskonflikten zwischen den Betreibergesellschaften und anderen Flug- Institut, Universität zu hafen-Stakeholdern. Australische Flughäfen stellen aufgrund ihrer vollständigen Privatisierung Köln; Projektbearbeiter und den Besonderheiten des flughafenbezogenen Planungs- und Genehmigungsrechts einen im DFG-geförderten interessanten Untersuchungskontext dar. Projekt: »Flughäfen als neue Immobilienstandorte und Arbeitsplatzzentren: kleinräumige Analysen in Einleitung Planungskonflikten in Australien. Die Ana- australischen Metropolen« lyse beruht auf einer Literaturauswertung, (2012-2015) Viele Großflughäfen haben sich in den letzten Sekundärdatenanalyse sowie den Ergebnis- Jahrzehnten weltweit von multimodalen Ver- sen aus fünf leitfadengestützten Expertenin- kehrsknotenpunkten zu multifunktionalen terviews und 18 Hintergrundgesprächen mit städtischen Zentren mit einer erheblichen relevanten Akteuren in , , Bedeutung für Immobilien- und Arbeits- Brisbane, und . Diese wurden märkte entwickelt. Inzwischen haben sich als im Jahr 2011 und 2013 durchgeführt. Modelle flughafenbezogener Stadtentwick- Der Text orientiert sich an folgenden Leit- lung Konzepte wie Airport City, Aerotropolis, fragen: Airport Corridor und Airea etabliert, die gene- ππ Welche Rolle spielen die gesetzlichen relle räumliche Verflechtungs- und Interakti- Rahmenbedingungen für die Immobilienent- onsmuster zwischen Flughafen und Stadt zu wicklung auf dem Flughafengelände? identifizieren und zu erklären versuchen. Im ππ Welche Gebäude wurden konkret auf dem Gegensatz dazu konzentriert sich dieser Bei- Flughafengelände errichtet, wie werden sie trag auf die Bedeutung von gesetzlichen Rah- genutzt und inwieweit beeinflusst das zusätz- menbedingungen und immobilienwirtschaft- liche Flächenangebot die lokalen Immobilien- lichen Prozessen für die Entstehung von märkte?

www.planung-neu-denken.de ISSN 1868 - 5196 2| 10 Fabian Sonnenburg: Flughafenbezogene Immobilienentwicklung und Planungskonflikte ...

ππ Welche Interessen- und Zielkonflikte be- Das Angebot richtet sich an Passagiere, Ange- stehen zwischen den privatwirtschaftlich ge- stellte des Flughafens, Bringer und Abholer, steuerten Flughafenbetreibern und den Pla- Anwohner aus den angrenzenden Gemein- nungsbehörden? den sowie Flughafen-Touristen. ππ Was sind Ansatzpunkte für die Lösung der Aufgrund des schnell wachsenden Luft- Konflikte? verkehrs sah sich der öffentliche Sektor als Eigentümer der Flughäfen mit zunehmenden Für eine Untersuchung des Zusammenhangs Kosten für den Ausbau der luftseitigen Inf- zwischen flughafenbezogener Immobilie- rastruktur konfrontiert. Daher mündete der nentwicklung und Planungskonflikten bieten Kommerzialisierungsprozess ab der zweiten sich australische Flughäfen besonders an, Hälfte der 1980er Jahre und vor allem im Lau- da… fe der 1990er Jahre in einer vollen oder teil- ππ der Luftverkehr in Australien aufgrund weisen Privatisierung vieler Großflughäfen. der großen Distanzen zwischen den küsten- Die Verpachtung des Flughafenlandes und nahen Verdichtungsräumen traditionell eine der sich darauf befindlichen baulichen Struk- wichtige Rolle spielt (vgl. Tab. 1), turen an private oder teilprivate Investoren- ππ die wichtigsten 22 Flughäfen zwischen konsortien brachte den staatlichen Vorbesit- 1997 und 2003 vollständig privatisiert wur- zern große Einnahmen, da die Interessenten den und die Flughafenbetreiber mit dem den ökonomischen Wert des Flughafenlandes Pachtvertrag (50 Jahre plus 49 Jahre als Opti- für Non-Aviation-Nutzungen im Vorfeld anti- on) umfassende Entwicklungsrechte auf dem zipierten. Flughafengelände erworben haben, In der Post-Privatisierungsphase kam ππ und ihre Betreiber unter der Kontrolle von es zu einem deutlichen Ausbau der Einzel- Tabelle 1: Einwohnerzahlen internationalen Investorenkonsortien stehen, handels-, Büro-, Hotel-, Lager- und Logistik- der fünf größten die vergleichsweise geringen Restriktionen flächen außerhalb der Terminals. Während australischen Metropolen im Hinblick auf Landnutzung und Möglich- das unmittelbare Terminalumfeld aufgrund und Passagierzahlen ihrer keiten zum Bau und Betrieb von Non-Aviati- seines schnellen Zugangs zu den Gates vor internationalen Flughäfen on-Projekten auf dem Flughafengelände un- allem für Hotels, Konferenzzentren und Be- (ABS 2012; BITRE 2012) terworfen sind. triebe der Wissensökonomie (z. B. Unterneh- mensberatungen etc.) interessant ist, sind Luftverkehrsspeditionen und luftfrachtorien- Verdichtungsraum Einwohner 2011 [Mio.] Passagiere 2011-12 [Mio.] tierte Lagerbetriebe grundsätzlich an einem Sydney 4,4 36,0 unmittelbaren Zugang zum Frachtvorfeld Melbourne 4,0 28,0 interessiert. Unternehmenszentralen siedeln Brisbane 2,1 20,9 sich ebenfalls auf Flughafengeländen an, da sie die gute regionale und internationale Er- Perth 1,7 12,0 reichbarkeit schätzen und sich an globalen Adelaide 1,2 6,9 Hub-Flughäfen auch häufig einen prestigeo- Australien 21,5 137,3 rientierten Wettbewerbsvorteil erhoffen. Ihre wirtschaftliche Entwicklungsdynamik, funkti- onale Vielfalt und zielgerichtete Vermarktung Flughäfen als Immobilienstandorte durch die Betreibergesellschaft machen viele Großflughäfen weltweit zu einem attraktiven Großflughäfen wurden im Laufe der 1970er Immobilienstandort. und 1980er Jahre zunehmend kommerzia- lisiert. Dies umfasste sowohl die Gründung von unabhängigen Flughafengesellschaften Staatliche Kontrolle der als auch die Einführung von betriebswirt- Immobilienentwicklung auf schaftlichen Praktiken und Strategien. Ein dem Flughafengelände wichtiger Bestandteil dieser Entwicklung war die zunehmende Implementierung von Flughäfen sind aufgrund ihrer großen regi- Non-Aviation-Nutzungen, wie zum Beispiel onalökonomischen Bedeutung und ihrer er- Einzelhandel und Cateringbetriebe in den heblichen externen Effekte ein prominentes Terminals. Diese Umgestaltung der Abferti- Beispiel für die Privatisierung öffentlicher gungsgebäude in Konsum- und Erlebniswel- Verkehrsinfrastruktur. Befürworter argumen- ten ging einher mit baulichen Veränderun- tieren, dass privatisierte Betreibergesellschaf- gen, die auf die optimale Abschöpfung der ten aufgrund eines stärker betriebswirtschaft- Kaufkraft der Terminalbesucher abzielten. lich ausgerichteten Managements effizienter

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arbeiten als Betriebe, die von der öffentlichen ππ Mangelhafte Integration von nationalen, Hand kontrolliert werden. Kritiker halten je- länderbezogenen und lokalen Planungsregi- doch dagegen, dass die Privatisierung zu un- men beabsichtigten und letztlich von lokalen Inte- ππ Schaffung von Wettbewerbsvorteilen für ressen abgekoppelten Entwicklungen führen den Flughafenbetreiber gegenüber privaten könne. Projektentwicklern durch geringe Planungs- Im Falle australischer Flughäfen steht kontrollen und Dokumentationserfordernis- dabei die gewerbliche Immobilienentwick- sen bei Bauprojekten auf dem Flughafenge- lung auf dem Flughafengelände im Fokus, lände welche nicht mehr mit der Abwicklung des ππ Mangelnde rechtsverbindliche finanzielle Luftverkehrs in Verbindung steht, sondern in Beteiligung der an den Bauprojekten auf dem erster Linie eine zusätzliche Einnahmequelle Flughafengelände involvierten Akteure an für die Flughafenbetreiber darstellt. Da die den Kosten zur Bereitstellung von Verkehrs- wichtigsten Flughäfen trotz der langfristigen infrastruktur außerhalb der Gelände, z. B. ein Verpachtung im staatlichen Eigentum ver- Ausbau der Zufahrtsstraßen bleiben, unterliegt die Bautätigkeit auf dem ππ Keine Gewährleistung von Planungssi- Flughafengelände einem speziellen Bundes- cherheit aufgrund der Unbestimmtheit des gesetz (Airports Act 1996). Die Betreiber Airports Act 1996 bezüglich der Anforde- sind demnach verpflichtet, alle fünf Jahre ei- rungen an »Master Plans« und »Major De- nen Masterplan zu erstellen und diesen von velopment Plans«; lokale und regionale Pla- den Flughafen-Stakeholdern kommentieren nungsbehörden können sich nicht langfristig zu lassen. Diese Pläne sind die Grundlage für auf bestimmte Entwicklungen am Flughafen sämtliche Entwicklungen auf dem Flughafen- einstellen gelände und müssen vom Minister für Infra- ππ Konkurrenzsituation der Flughäfen als struktur und Regionale Entwicklung geneh- neue Einzelhandels- und Arbeitsplatzzentren migt werden (Australian Government 1996a, zu benachbarten gewachsenen Zentren ab- 70). Große Bauprojekte, bei denen die Gebäu- seits planerischer Leitvorstellungen. de Herstellungskosten von derzeit A$ 20 Mio. überschreiten, müssen darüber hinaus durch Nach Inkrafttreten des Gesetzes wurden die eine separate Veröffentlichung von »Major Interessen der Länderregierungen, Kom- Development Plans« vorbereitet werden. munen, Bürgerinitiativen und Branchen- Diese bedürfen ebenfalls einer öffentlichen verbände im Wesentlichen ignoriert oder Kommentierung und einer Genehmigung nur marginal in den Steuerungsprozess der durch den zuständigen Minister (Australian Flughafenentwicklung einbezogen (Freestone Government 1996a, 84; Baker und Freestone 2011, 115; Stevens et al. 2010, 279). 2012, 335). Diese gesetzliche Regelung ist letztlich Die zuständige Bundesbehörde, aktuell das Ergebnis eines pfadabhängigen Prozes- das Department of Infrastructure and Regio- ses der flughafenbezogenen Gesetzgebung, nal Development, hat »Airport Development die bis die 1920er Jahre zurückreicht (Baker Consultation Guidelines« erlassen, um ein und Freestone 2012, 339) und im krassen gemeinsames Verständnis der notwendigen Gegensatz zur integrativ orientierten, bera- Konsultationsverfahren zu fördern (Depart- tenden Planung auf der lokalen und regio- ment of Infrastructure, Transport, Regional nalen Ebene steht. Während die gesetzlichen Development and Local Government 2007). Rahmenbedingungen außerhalb der Flug- Zusätzlich zu dieser Regulierung muss jedes hafengelände im Laufe der Jahrzehnte im- Projekt auf dem Flughafengelände noch ein- mer wieder den aktuellen gesellschaftlichen mal separat durch einen »Airport Building Rahmenbedingungen angepasst wurden, Controller« vor dem Hintergrund der Bestim- blieb die Landnutzungsregulierung auf den mungen der »Airports (Building Control) Re- Flughafengeländen von der Zuständigkeit gulations 1996« geprüft werden (Australian der lokalen und regionalen Planungsbehör- Government 1996b, 96). Die angrenzenden den abgekoppelt. Diese Situation wird sich Gemeinden als Träger der örtlichen Planung in absehbarer Zukunft auch nicht ändern, da und die Regierung des jeweiligen Bundes- der faktische Ausschluss der lokalen und re- lands als Träger der regionalen Planung üben gionalen Planungsebene aus dem formalen lediglich eine beratende Rolle im Genehmi- Entscheidungsprozess in der zweiten Hälfte gungsprozess von aus. der 1990er Jahre auf einem überparteilichen Freestone et al. (2006, 503) kritisieren die- Konsens auf Bundesebene beruhte und trotz se Regulierung in folgenden Punkten: der Planungskonflikte in der letzten Refor- www.planung-neu-denken.de 4| 10 Fabian Sonnenburg: Flughafenbezogene Immobilienentwicklung und Planungskonflikte ...

mierung des »Airports Act 1996« im Jahr wird ein Golfplatz auf dem Flughafengelände 2012 keine Verfahrensänderung festgelegt in unmittelbarer Nähe zu Büro- und Einzel- wurde (Baker und Freestone 2012, 333). Ro- handelsflächen im November 2013 eröffnen bert Freestone interpretiert dieses Ergebnis ( Corporation 2013c). Der Foto 1 – Direct Factory Outlet, der australischen Flughafen-Governance als Flughafenbetreiber hat kürzlich für zwei Brisbane Airport, 2011, Quelle: eine Manifestation eines »neoliberal urba- weitere Großprojekte vorläufige Pläne veröf- Fabian Sonnenburg nism« (Freestone 2011, 123). fentlicht: Erstens eine Erweiterung des Direct Factory Outlets um 4.700m2 vermietbare Ein- zelhandelsfläche, einige Büros und ein neues Parkhaus und zweitens ein 5-Sterne- und ein 3,5-Sterne-Hotel in unmittelbarer Nähe zum Domestic Terminal, die auch ca. 1.400m2 Konferenzflächen enthaltenB ( risbane Air- port Corporation 2013a, 5; 2013b, 5). Die hohe Geschwindigkeit des Ausbaus wird von den Vermarktungsaktivitäten des Betreibers und dem starken Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum in der Region Sou- th East Queensland unterstützt. Limitierende Faktoren sind hingegen die privatwirtschaft- liche und öffentliche Gewerbeflächennach- frage, die relativ hohen Kosten für die Stand- ortvorbereitung (der Flughafen liegt in einem Sumpfgebiet), die luftverkehrsbedingten Hö- henbeschränkungen von Gebäuden und die eingeschränkte Zugänglichkeit von Teilen des Flughafengeländes, die von den Haupt- Immobilienentwicklung am zufahrtsstraßen weit entfernt sind. Zudem ist Flughafen Brisbane es aufgrund des Pachtvertrags zwischen dem Betreiber und der Regierung nur möglich, Innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens wur- für ein Grundstück oder ein Gebäude einen de bis heute an australischen Flughäfen eine zeitlich begrenzten Unterpachtvertrag abzu- Vielzahl an Gewerbeimmobilien außerhalb schließen. Da es jedoch bei selbst genutzten der Terminals errichtet. Beispiele für große Immobilien in Australien generell üblich ist, Non-Aviation-Projekte sind das Flughafenho- diese käuflich zu erwerben, beeinträchtigt tel und die IKEA-Niederlassung in Adelaide, diese kulturelle Eigenheit die Nachfrage. Der einige großflächige Fachmärkte und ein Bü- Flughafen verfügt jedoch noch über große rokomplex in Canberra, eine Ziegelfabrik in Freiflächen für die Entwicklung weiterer Ge- Perth und diverse Logistik- und Verteilzentren werbeimmobilien, so dass in den nächsten in Melbourne. Am weitesten ist die immobi- Jahrzehnten trotz dieser Einschränkungen lienwirtschaftliche Inwertsetzung des Flug- mit der Realisierung weiterer kommerzieller hafengeländes allerdings in Brisbane fortge- Projekte zu rechnen ist. schritten: Dort wurden 33.000m2 vermietbare Büro-, 157.000m2 Lager- und Logistik- und 29.000m2 Einzelhandelsfläche geschaffen. Effekte auf lokale Immobilienmärkte Darin enthalten sind ein 24.000m2 Direct in Brisbane Factory Outlet mit regionalem Einzugsgebiet (siehe Foto 1), ein Supermarkt, eine Spiritu- Flughäfen sind wirtschaftlich eng mit der sie osenhandlung, zehn Bürogebäude, ein Ho- umgebenden Region verflochten. Jedes neue tel mit 157 Zimmern, eine Kindertagesstätte Gebäude auf dem Flughafengelände stellt und ein Datenzentrum. Aktuelle Mieter sind daher letztlich ein zusätzliches Angebot auf der Flughafenbetreiber, Fluggesellschaf- dem lokalen Immobilienmarkt dar. Während ten, öffentliche Behörden mit Bezug zum die Steuerung der baulichen Entwicklung des Luftverkehr, ein Taxiunternehmen, die Un- Flughafengeländes in erheblichem Maße der ternehmenszentrale von Aviation betriebswirtschaftlichen und verkehrsplaneri- (Ausbildungsstätte der Luftverkehrsbranche) schen Strategie der Betreibergesellschaft und und diverse Niederlassungen international ihrer Anteilseigner unterliegt, ist die Entwick- agierender Logistikdienstleister. Zusätzlich lung des Flughafenumfelds von den Zielen,

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Strategien und Handlungen einer Vielzahl ten. Dies führte in den letzten Jahren dazu, unterschiedlicher Akteure abhängig. Neben dass sich ein heterogenes und fragmentiertes öffentlichen Behörden (wie z. B. die Stadt- Muster aus alten Strukturen (v. a. Lagerhallen und Regionalplanung) spielen vielerorts auch und Fabriken) und neuen Gebäude gebildet flughafenaffine Unternehmen, Wirtschafts- hat. förderungen, Industrie- und Handelskam- Insbesondere die flughafenbezogene mern, Umweltverbände, Bürgerinitiativen Büro- und Lagerflächennachfrage trug maß- und in zunehmendem Maße auch die Immo- geblich zu einem Anstieg der Bodenpreise bilienwirtschaft eine Rolle. Die Deregulierung und zu einer baulichen Erneuerung und Auf- der Immobilienmärkte hat zum Bedeutungs- wertung des Flughafenumfelds bei (Sonnen- gewinn von international agierenden insti- burg 2014). Dies trifft insbesondere auf den tutionellen Investoren (z. B. Pensionsfonds) Bereich zu, der unmittelbar westlich in Rich- beigetragen, die oftmals Flughafenimmobili- tung Innenstadt an den Flughafen grenzt. en als lohnenswerte Spekulationsobjekte ent- Ein 135ha großes Gebiet, welches ursprüng- decken. Diese verfügen aber nicht über per- lich den alten Flughafen von Brisbane um- sönliche Netzwerke in der jeweiligen Region, fasste, wird dort als »fully integrated master die für eine erfolgreiche Projektabwicklung planned corporate office park and industrial notwendig sind. Daher kooperieren sie häufig community« (ATC 2011b) von einem privaten mit großen Projektentwicklern, die Niederlas- Projektentwickler vermarktet. Der Preisan- sungen vor Ort betreiben und somit über eine stieg für gewerbliche Flächen in diesem Ge- ausreichende Marktkenntnis verfügen. biet führt bereits seit einigen Jahren zu einer Innerhalb der Region South East Queens- Verdrängung von Betrieben mit geringer Flä- land, deren Kern die Stadt Brisbane bildet, chenproduktivität, welche durch büroorien- ist der Flughafen eine zentrale Verkehrsinf- tierte Dienstleistungsbetriebe ersetzt werden rastruktureinrichtung (Department of Infra- (Sonnenburg 2012, 96). structure and Planning 2010b, 25). Wie der Der für den Flughafenbetreiber lukrativste Seehafen von Brisbane liegt er innerhalb der Teilmarkt ist der Einzelhandel. In Brisbane sogenannten »Australia TradeCoast Region« eröffnete im Jahr 2005 das Direct Factory (ATC Region), welche von der Wirtschaftsför- Outlet auf dem Flughafengelände und trat in derungsgesellschaft »Australia TradeCoast« Konkurrenz zu dem nur zwei Kilometer ent- (ATC) vermarktet wird. Diese wurde gemein- fernten und flächenmäßig doppelt so großen sam von der Regierung des Bundeslands Toombul Shopping Centre (siehe Foto 2). Die- Queensland, dem Brisbane City Council ses war von den späten 1970er bis Ende der sowie den Betreibergesellschaften des Flug- 1990er Jahre das wichtigste Versorgungszen- hafens und des Seehafens (Brisbane Airport trum für die wohlhabenden nördlichen Voror- Foto 2 – Toombul Shopping Corporation und Port of Brisbane Pty Ltd.) ge- te. Der Flughafenbetreiber argumentiert zwar, Centre, Brisbane, 2013, Quelle: gründet, um Investitionen anzuziehen sowie dass die Kombination aus relativ speziellem Boris Braun die Landnutzung und Infrastrukturplanung zu koordinieren (ATC 2011a). ATC arbeitet bei neuen Großprojekten eng mit Investoren, Entwicklern und sich ansiedelnden Unter- nehmen zusammen. Die ATC Region umfasst neben den ge- nannten Infrastrukturen auch großflächige Gewerbegebiete, die im Wesentlichen durch verarbeitendes Gewerbe sowie Lagerwesen und Logistik geprägt sind und aufgrund der Langlebigkeit der vorhandenen Bausubstanz in weiten Teilen städtebaulich unattraktive, gering verdichtete und vom Strukturwandel betroffene Gebiete darstellen. In den 2000er Jahren war die ATC Region neben der do- minierenden Innenstadt und dem südwest- lichen Entwicklungskorridor innerhalb von Brisbane ein bedeutender Schwerpunkt für Investitionen in Gewerbeimmobilien (Son- nenburg 2012, 77 ff.), woran die Standortvor- teile des Flughafens einen großen Anteil hat- www.planung-neu-denken.de 6| 10 Fabian Sonnenburg: Flughafenbezogene Immobilienentwicklung und Planungskonflikte ...

Angebot (v. a. vergünstigte Produkte der zwei- an Logistik- und Lagerflächen auf dem Flug- ten Wahl, Auslaufmodelle etc.), deutlich kür- hafengelände eng mit dem Wachstum des zeren Öffnungszeiten und begrenzter Größe Frachtverkehrs verknüpft. In diesem Segment des Direct Factory Outlets eher Passagiere, war in den 2000er Jahren auch eine anstei- Tagesausflügler und Touristen anspräche gende Investitionstätigkeit im unmittelbaren (Brisbane Airport Corporation 2013a, 35 ff.). Flughafenumfeld zu beobachten (Sonnenburg Fakt ist jedoch, dass das benachbarte Toombul 2014, 40). Im Hinblick darauf, dass vergleich- Shopping Centre im Jahr 2010 seinen wich- bar strukturierte Regionen Brisbanes eher tigsten Ankermieter (ein großes Warenhaus) stagnieren, ist davon auszugehen, dass der verlor, was laut Brisbane City Council unter Flughafen neben der Förderung von Dienst- anderem auf das Outlet Centre zurückzufüh- leistungsaktivitäten auch zu einer Stärkung ren ist. Nicht zuletzt der große Supermarkt, der traditionell ansässigen Branchen in der der sich unmittelbar an das Direct Factory ATC Region beiträgt. Outlet anschließt, führt dazu, dass die schnell Diese wirtschaftlichen Prozesse im Flug- wachsende Anzahl an Flughafenbeschäftig- hafenumfeld werden erheblich durch lokale ten sich bequem bereits auf dem Flughafen- Behörden und Landesministerien beein- gelände mit Gütern des täglichen Bedarfs ver- flusst. Der mit Abstand wichtigste Akteur ist sorgen kann, ohne das benachbarte Shopping die Regierung von Queensland. Dem »De- Centre in Anspruch nehmen zu müssen. partment of State Development, Infrastruc- Im Bereich von gewerblichen Büroim- ture and Planning« obliegt sowohl die Erstel- mobilien profitiert der Flughafen Brisbane lung einer »Metropolitan Planning Strategy« vor allem von seiner internationalen Erreich- als auch die Verkehrsinfrastrukturplanung im barkeit. In den unmittelbar an das Flugha- gesamten Verdichtungsraum. Während die fengelände angrenzenden, durch Logistik, anderen australischen Metropolen durch eine Lagerwesen und Schwerindustrie geprägten administrative Zersplitterung auf der lokalen Gewerbegebieten konnten in den 2000er Ebene geprägt sind, wird die gesamte »Local Jahren eine deutlich erhöhte Bürobautätigkeit Government Area« von Brisbane durch Bris- und ein verstärktes Ansiedlungsinteresse von bane City Council verwaltet. Im Bereich der flughafenaffinen Dienstleistungsbetrieben strategischen Planung und Landnutzungspla- nachgewiesen werden (Sonnenburg 2012, 85 nung muss sich das Council jedoch an den ff.; 2014). Vorgaben der Landesregierung orientieren. Die Büroflächen sind im Stadtgebiet von Beide Organisationen veröffentlichen recht- Brisbane ansonsten sehr stark auf den Central lich verbindliche Pläne, die wichtige Bezugs- Business District (CBD) und die unmittelbar punkte für die Genehmigungsentscheidung angrenzenden, innerstädtischen Stadtteile von neuen Bauprojekten darstellen (Sonnen- konzentriert. Die Mietpreise auf dem Flugha- burg 2012, 97). fengelände liegen allerdings eher auf dem Ni- Das beste Beispiel für staatliche Steue- veau anderer suburbaner Bürostandorte. Dies rung der ökonomischen und raumstruktu- spricht dafür, dass der Flughafen in diesem rellen Entwicklung der ATC Region sind die Segment nicht mit dem CBD in Konkurrenz vom Brisbane City Council und der Regie- tritt, wie dies an einigen europäischen Hub- rung von Queensland getätigten Infrastruk- Flughäfen der Fall ist (Conventz & Thierstein turinvestitionen. So wurde die Erreichbarkeit 2013, 52). Da ein sehr hoher Anteil der Mieter der Region von Süden durch den Clem Jones auf dem Flughafengelände eine hohe Affini- Tunnel unter dem Brisbane River (2010), tät zum Luftverkehr aufweist, konzentriert von Norden und Süden durch das »Gateway sich der Betreiber eher auf die Abschöpfung Upgrade Project« (2011) und vom CBD und der Nachfrage dieser speziellen Zielgruppe. den nördlichen Vororten durch den »Airport Im Hotelbereich besteht zwischen Flug- Link« (2012) verbessert (Department of Inf- hafenbetreiber und den Planungsbehörden rastructure and Planning 2010a, 6 ff.). Letz- Einigkeit, dass es sich aufgrund der ständi- terer umfasste den Bau eines 6,7 km langen gen Knappheit an Hotelzimmern in Bris- Tunnels zwischen dem CBD, dem Flughafen bane und dem hohen Bedarf an Übernach- und den nördlichen Vororten. In Kombinati- tungsmöglichkeiten am Flughafen um ein on mit dem »Airport Roundabout Upgrade« komplementäres Angebot handelt, welches an der Zufahrt zum Flughafen und weiteren andere Standorte nicht beeinträchtigt. Da kleineren Projekten im gleichen Bereich war Luftfrachtspeditionen unmittelbaren Zugang dies das größte Bauprojekt Australiens im zum Vorfeld benötigen, um die Fracht effi- Jahr 2012 (Department of Infrastructure and zient abfertigen zu können, ist der Ausbau Planning 2010a, 71). Da die Beschäftigtenzahl

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in der ATC Region in den letzten Jahren stetig Brisbane Airport Corporation um den beab- zugenommen hat, wurden zusätzlich bislang sichtigten Bau des Direct Factory Outlets auf nur schwer zugängliche Bereiche der ATC dem Gelände des Flughafens. Westfield argu- Region in das ÖPNV-Netz aus Zügen, öffent- mentierte, dass das Projekt im Widerspruch lichen Bussen und Shuttle-Bussen auf dem zu den Vorgaben des Airports Act 1996 in Flughafengelände integriert. Bezug auf Landnutzung, Planung und Bau- Trotz der staatlichen Unterstützung hat recht stünde. Weiterhin könne ein solches sich in Brisbane bislang keine zusammen- Projekt nicht auf Grundlage von Vorschriften hängende flughafenbezogene Metropole im im Rahmen von Major Development Plans Sinne einer Aerotropolis (Kasarda 2001) her- genehmigt werden, da diese sich vor allem ausgebildet. Auch einen dynamischen Airport auf unmittelbar luftverkehrsbezogene Pro- Corridor entlang der Verkehrsachse zwischen jekte beziehen. Letztendlich bestätigte das Flughafen und CBD sucht man in Brisbane Gericht allerdings das Recht des Betreibers, vergebens (Sonnenburg 2012, 111 f.). Aus dem das Gebäude zu errichten (Stevens et al. 2010, noch recht fragmentierten Entwicklungsmus- 278; Freestone et al. 2006, 505). Diese Aus- ter innerhalb der ATC Region lässt sich schlie- einandersetzung bildete einen Präzedenzfall ßen, dass neben den Anziehungskräften des für die Legitimierung von allen großformati- Flughafens die lokalen Gegebenheiten sehr gen kommerziellen Bauprojekten an australi- wichtig für die räumliche Ausprägung der schen Flughäfen in den letzten Jahren. flughafenbezogenen Strukturen sind. So spie- Der Büroflächenbestand am Flughafen len Verfügbarkeit von freiem Land für Neu- wurde zwar seit der Privatisierung deutlich ansiedlungen oder Erweiterungen, Immobi- erweitert, reicht aber bei Weitem nicht an den lienpreise, Verkehrsinfrastrukturkapazitäten CBD heran. Der Flughafenbetreiber betont, und die Landnutzungsregulierung durch das dass es sich um ein komplementäres Angebot Brisbane City Council und die Regierung von handele und daher der Flughafen auch lang- Queensland eine sehr wichtige Rolle (Sonnen- fristig nicht in Konkurrenz zur Innenstadt burg 2012, 111 ff.). treten werde. Dennoch trifft auch in Brisbane die generelle Kritik von Vertretern der Immo- bilienwirtschaft zu, dass die neuen Büroflä- Flughafenbezogene Planungskonflikte chen am Flughafen eine Wettbewerbsverzer- rung gegenüber ihrem eigenen Angebot in Seit der Privatisierung wurde der Ausbau anderen Teilen der Stadt darstellen (Cassidy der Flughäfen durch eine Reihe von kontro- 2004a; 2004b; zitiert nach May, Hill 2006, versen Diskussionen begleitet. Stevens und 446). Baker (2013, 322) haben anhand von prob- Bei der Errichtung von Wohngebäuden lemzentrierten Workshops mit Flughafen- im Flughafenumfeld bestehen grundsätzlich Stakeholdern und Wissenschaftlern in Bris- einige Interessenkonflikte zwischen ren- bane, Canberra und Adelaide die gesetzlichen diteorientierten Projektentwicklern sowie Rahmenbedingungen, konvergierende Inte- lokalen und regionalen Planungsbehörden ressen und Prioritäten von Flughafen-Stake- auf der einen und den Flughafenbetreibern holdern und die ungenügende Koordination auf der anderen Seite (Freestone und Baker von Entscheidungsprozessen als übergeord- 2010, 74). Die australische Immobilienwirt- nete Konfliktursachen identifiziert. schaft profitiert vom Bevölkerungswachstum So wird beispielsweise der Ausbau von und den steigenden Kauf- und Mietpreisen Einzelhandelsflächen in den Terminals oder für Wohnimmobilien. Um den Wohnraum in separaten Handelsimmobilien auf dem bezahlbar zu halten und die physische Stadt- Flughafengeländehäufig kritisiert. Während struktur nachhaltig zu gestalten, unterstützen die Flughafenbetreiber betonen, dass Passa- die Kommunal- und Landesbehörden den giere und Angestellte des Flughafens Versor- Neubau von mehrgeschossigen Apartmentge- gungsmöglichkeiten benötigen, halten Ein- bäuden und die »urban consolidation«-Poli- zelhandelsverbände und Planungsbehörden tik. Diese zielt vor allem auf Nachverdichtung dagegen, dass das zusätzliche Angebot am bestehender Wohngebiete durch Füllung von Flughafen gewachsene Zentren im Flugha- Baulücken und Bebauung von Brachflächen fenumfeld beeinträchtigen könne. So kam es ab. Die Flughafenbetreiber möchten hinge- im Jahr 2003 zu einem öffentlichkeitswirksa- gen erstens eine Beeinträchtigung des Luft- men Rechtsstreit zwischen dem international raums durch (Wohn-)Hochhäuser und zwei- agierenden australischen Shopping-Centre- tens eine Steigerung der Bevölkerungszahl in Betreiber Westfield Management Ltd. und den Einflugschneisen vermeiden. www.planung-neu-denken.de 8| 10 Fabian Sonnenburg: Flughafenbezogene Immobilienentwicklung und Planungskonflikte ...

Ein Beispiel für ein Stadterneuerungs- Link« und des »Gateway Motorways« brach- projekt im Flughafenumfeld von Brisbane ist ten zwar eine deutliche Entlastung. Vor dem »Hamilton Northshore«. Das Gebiet ist 304 ha Hintergrund der schnellen Beschäftigungs- groß, beherbergte ursprünglich den Seehafen zunahmen auf dem Flughafengelände wer- und wird im Moment unter der Verwaltung den aber bald weitere Investitionen erforder- des Brisbane City Council in Kooperation lich sein. mit verschiedenen großen Projektentwick- lern in einen durchmischten neuen Stadtteil mit mehrgeschossigen Apartmentgebäuden, Informelle Abstimmung als Lösungsansatz? Einzelhandel und Büros umgewandelt. Es liegt zwischen dem Flughafen und der In- Um weitere kostspielige Rechtsstreitigkeiten nenstadt am Ufer des Brisbane River, der zu- zu umgehen, haben mittlerweile die meisten gleich auch eine wichtige Anflugschneise für australischen Flughafenbetreiber informelle den Flughafen bildet. Innerhalb der nächs- Konsultationsprozesse etabliert. Durch regel- ten 20 Jahre sollen bis zu 15.000 Menschen mäßige persönliche Treffen, einen regen Aus- aus unterschiedlichen Einkommensklassen tausch über den Inhalt der neuen Masterpläne so direkt unter oder unmittelbar neben den und im weitestgehenden Fall sogar verkehrs- Einflugschneisen des Flughafens angesiedelt infrastrukturbezogene Finanzierungszusa- werden. gen durch die Flughafenbetreiber in Brisbane Ein zweites Beispiel ist ein Neubaugebiet und Canberra hat sich in den meisten Fällen in der Gemeinde Queanbeyan in New South das Verhältnis zwischen Betreibern, Kommu- Wales. Dort wollte die »Village Building Com- nen und Landesregierung deutlich entspannt pany« 4.000 Einfamilienhäuser in einem Ge- (Baker und Freestone 2012, 337). Laut Stevens biet errichten, welches laut einer Vorhersage und Baker (2013, 312) steht die Entwicklung von Airservices Australia in den nächsten 50 einer integrativen, flughafenbezogenen Pla- Jahren zunehmend von Fluglärm betroffen nung allerdings erst am Anfang. Auch noch sein wird, der von dem benachbarten Can- in den letzten Jahren wurde seitens vieler berra Airport im Australian Capital Territory Flughafen-Stakeholder eine erhebliche Unzu- erzeugt wird. Da zwischen Flughafen und friedenheit mit der rechtlichen Situation ge- dem Bauland die Grenze zwischen den bei- äußert (Baker und Freestone 2012, 335). den Bundesländern verläuft und keine ausrei- chende grenzüberschreitende Koordination zwischen den lokalen Planungsbehörden und Fazit zuständigen Länderministerien stattfand, wurde der Konflikt erst nach 15 Jahren erbit- Australische Flughäfen haben sich seit ihrer terter und öffentlich ausgetragener Auseinan- Privatisierung rasch zu Immobilienstand- dersetzung zwischen Flughafenbetreiber und orten und Arbeitsplatzzentren von regiona- Immobilienentwickler im Juli 2013 mit einem ler Bedeutung entwickelt. Ein wesentlicher Kompromiss beigelegt (Stevens et al. 2010, Treiber dieser Entwicklung ist das nationale 278 f., Towell 2013). Planungs- und Genehmigungsrecht auf dem Weitere Interessenskonflikte gab es in Flughafengelände, welches den Flughafenbe- Brisbane aufgrund der verkehrsinduzieren- treibern große Freiheiten bei der kommerzi- den Wirkung des flughafenbezogenen Wachs- ellen Nutzung ihrer Landressourcen gewährt. tums. Die Hauptstraße zwischen Innenstadt Am Beispiel des Flughafens Brisbane lässt und Flughafen war schon vorher stark befah- sich nachweisen, dass die Immobilienent- ren und während der täglichen Spitzenzeiten wicklung auf dem Flughafengelände erhebli- überlastet. Am Beispiel des Direct Factory che Effekte auf die lokalen Immobilienmärkte Outlets argumentierte der Flughafenbetrei- ausübt. Das starke Bevölkerungs- und Wirt- ber zwar, dass aufgrund der verkürzten Öff- schaftswachstum in South East Queensland nungszeiten zwischen 10 und 18 Uhr die neu- erzeugt einen hohen Entwicklungsdruck, der este Erweiterung keine zusätzliche Belastung sich durch die intensive Vermarktung und die des Straßennetzes zu den kritischsten Zeiten baulichen Aufwertungsprozesse innerhalb bedeute. Die zahlreichen Büro-, Logistik- und der ATC Region am Flughafen und seinem Lagerbetriebe auf dem Flughafengelände er- unmittelbaren Umfeld konzentriert. Die kon- zeugen dennoch so viel zusätzlichen Verkehr, kreten Bauprojekten stehen häufig unmittel- dass die Zugänglichkeit der ATC Region von bar im Widerspruch zu den Interessen der der Innenstadt aus beeinträchtigt wird. Der Betreiber benachbarter Einkaufszentren, kon- bereits beschriebene Neubau des »Airport kurrierenden Immobilienentwicklern und

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den Vorstellungen der zuständigen Stadt- und Regionalplaner (siehe Tabelle 2) und führte daher zu einer Reihe von Planungskonflik- ten. Weitere kleinräumige Analysen müssen zeigen, inwieweit eine flughafeninduzierte Veränderung der räumlichen Verteilung von Arbeitsplätzen und Pendlerströmen im Ein- klang oder Widerspruch zu den Ideen nach- haltiger Stadtentwicklung stehen.

Tabelle 2: Interessendivergenz Interessen des Flughafenbetreibers Interessen staatlicher/städtischer Planung zwischen Flughafenbetreibern Weiterhin Recht auf Bau gewerblicher Förderung von flughafenbezogener landseitiger und Planungsbehörden in Immobilien auf dem Flughafengelände Entwicklung ohne zukünftige luftseitige Australien Quelle: Baker und Erweiterungen zu behindern Freestone 2012, 336

Zur Unterstützung der Flughafenentwicklung Unbedingt notwendige Kostenteilung für sollen die umgebenden Regierungen die zunehmende Bereitstellung von Infrastruktur im notwendige Infrastruktur bereitstellen Flughafenumfeld

Umgebende städtische Landnutzungen müssen Zunehmende Transparenz und Einbeziehung mit der Flughafenentwicklung sowie den von Stakeholdern in die Flughafenplanung Flugzonen koordiniert werden

Flughafeninduziertes Wirtschaftswachstum Bedarf der Koordinierung von muss in der Regionalplanung berücksichtigt Flughafenentwicklung und gesamtstädtischen werden Landnutzungsstrategien

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REviewed Flughafenstandorte als neue Wachstumspole in arabischen Golfstädten? – »Airport-Cities« in Dubai und Doha viewedRE

Abstract Nadine Scharfenort, wissenschaftliche Dubai und Doha haben als Wirtschafts- und Logistikstandorte in den vergangenen Jahren an Mitarbeiterin am Bedeutung gewonnen und bauen ihre Flughafenstandorte aus. Durch vorausschauende Pla- Geographischen Institut nung hat sich Dubai zum führenden Logistikstandort in der islamisch-arabischen Welt entwi- der Johannes Gutenberg- ckelt und nimmt daher eine viel beachtete Pionierfunktion ein. Universität Mainz; Studium In Dubai und Doha wurden Masterpläne entwickelt, die einen massiven Ausbau der beste- der Geographie in Köln henden Kapazitäten sowie des unmittelbar angrenzenden Umfeldes vorsehen. Während der und Wien; Promotion in Cluster am Dubai International Airport seit Jahren zum wirtschaftlichen Erfolg Dubais beiträgt, Geographie in Wien; Trägerin soll dieses Konzept in noch größerer Dimension auf den neuen Al Maktoum International des Förderungspreises Airport übertragen werden. In Doha ist die Airport City in unmittelbarer Umgebung des New 2004 der Österreichischen Doha International Airport in Planung, die als eines von vier zukünftigen Zentren Dohas fun- Geographischen gieren soll. Gesellschaft; zahlreiche Dieser Beitrag analysiert die Stadtentwicklung in den arabischen Golfstaaten unter Berück- Forschungsaufenthalte sichtigung der Bedeutung der Luftfahrt und Einbettung in historische, politische, wirtschaftli- in den VAE und Katar; che und soziale Rahmenbedingungen, die sich in ihrem besonderen Zusammenspiel einfluss- Veröffentlichungen zu reich auf die Transformationsprozesse ausgewirkt haben. politischen, wirtschaftli- chen und sozialen Transformationsprozessen in den GKR-Staaten. Die kleinen arabischen Golfstaaten Vereinigte scher Einrichtungen und Unternehmen, die Arabische Emirate (VAE), Katar, Bahrain und von den Synergieeffekten innerhalb des Clus- Kuwait bauen seit einigen Jahren ihre Flugha- ters profitieren können, sowie der Ausbau der fenstandorte aus. Insbesondere Dubai (VAE) Kapazitäten für den Passagier- und Luftfracht- und Doha (Katar) haben als Wirtschafts- und verkehr. Logistikstandorte in den vergangenen Jahren Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren die an Bedeutung gewonnen. Hohe Prioritäten heutigen arabischen Golfstaaten infrastruktu- erfahren die Modernisierung der vorhande- rell unterentwickelt sowie politisch und öko- nen Infrastruktur, die Angliederung logisti- nomisch unbedeutend. Mit dem Auffinden

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von Erdöl- und Erdgaslagerstätten und dem weltweite Arbeitsteilung im Rahmen der Glo- darauf folgenden Export setzte ein massiver balisierungsprozesse und durch die Zunah- Entwicklungsprozess ein. Dieser führte inner- me im Tourismus durch die Erschließung halb von nur wenigen Jahrzehnten zu einer neuer Destinationen verstärkt hat, spielt die dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung Liberalisierung des Luftverkehrs eine bedeu- und einer urbanen, sozialen und kulturellen tende Rolle. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre Transformation, die in dieser Form weltweit öffnen sich auch die arabischen Golfstaaten nahezu einzigartig sind. Diese Prozesse sind zunehmend dem internationalen Markt und eindrucksvoll, weil die arabischen Golfstaaten bauen ihre Infrastruktur aus. Gleichzeitig über kein nennenswertes Hinterland verfü- sind sie Ziel von Arbeitsmigranten aus Län- gen. Sie nutzen vielmehr ihre geostrategisch dern Asiens, Afrikas, Europas, Nordamerikas günstige Lage an der Schnittstelle zwischen und der islamisch-arabischen Welt. Seit den Europa, Afrika und Asien, die Zugang zu gut 1970er Jahren, und verstärkt seit Ende der zwei Milliarden Menschen in Ländern des Na- 1990er Jahre, wird an vielen Standorten der hen Ostens, Europas, Süd- und Westasiens, internationale Tourismus als wichtige Säule Russlands und Afrikas gewährt. Dabei spie- der Wirtschaft im Rahmen von wirtschaftli- len die Flughäfen – neben den Seehäfen – als chen Diversifizierungsmaßnahmen forciert: Verkehrsträger eine wesentliche Rolle. Nicht nur der Geschäftstourismus (z.B. poli- Insbesondere Dubai hat sich durch vo- tische und geschäftliche Termine, Tagungs- rausschauende Planung bereits seit den und Kongressreisen), sondern ebenfalls der 1970er Jahren, verstärkt jedoch seit Beginn Freizeittourismus sind dabei von besonderem des 21. Jahrhunderts, zum führenden Logis- Interesse. tikstandort in der islamisch-arabischen Welt Aufgrund ihrer Erdöl- und Erdgasvorkom- entwickelt und nimmt daher eine viel beach- men sowie Dubais besonderer Position als tete Pionierfunktion ein. Die logistischen Ver- Wirtschaftszentrum mit globaler Reichweite flechtungen des Hafennetzwerks und des Du- werden die kleinen arabischen Golfstaaten bai International Airports (DXB) mit einem als wichtige Handelspartner wahrgenommen hochgradig vernetzten Einzugsgebiet unter- und immer attraktiver für Geschäfts- und stützt Dubais wachsende Drehkreuzfunktion Freizeitreisende. In jüngerer Zeit spielt der (Scharfenort 2014: 46f.). Die in Dubai behei- Eventtourismus (Sport, Kultur) insbesondere matete Fluggesellschaft Emirates1 verzeichnet in den VAE und Katar eine wesentliche Rolle seit ihrer Gründung 1985 ein dynamisches für die Wirtschaft, aber auch für die Vermark- Wachstum im Passagier- und Frachtverkehr. tung der Standorte. Daher wurden gezielt Sie steht in Konkurrenz zu den beiden auf- Kampagnen entwickelt, um die Sichtbarkeit strebenden Fluggesellschaften Qatar Airways der Destinationen zu erhöhen und den Be- (Doha) und Etihad Airways (Abu Dhabi), die kanntheitsgrad zu steigern. in den kommenden Jahren ihren Anteil am Ziel dieses Beitrags ist es, eine Übersicht globalen Markt sukzessive erhöhen wollen. über die Stadtentwicklung der arabischen Im Zuge der langfristigen strategischen Ent- Golfstaaten zu geben. Diese erfolgt an den wicklungsziele, die in verschiedenen Master- Beispielen von Dubai und Doha, wobei der plänen formalisiert wurden, sollen sich Du- Bedeutung der Luftfahrt, der lokalen Flughä- bai, Abu Dhabi und Doha zu den führenden fen sowie dem Flugzeug als Verkehrsträger Drehkreuzen in den arabischen Golfstaaten ein besonderes Augenmerk eingeräumt wird. entwickeln. Dubai wird seine Vorrangstel- Einer kurzen Einführung über die Entwick- lung voraussichtlich langfristig beibehalten lung des Luftfahrtwesens in den Golfstaaten können. Die Standorte Dubai und Doha ran- folgt eine Erläuterung wesentlicher histori- gierten 2012 mit Rang 10 und 71 unter den scher, politischer, wirtschaftlicher und sozi- 75 größten Passagierflughäfen weltweit sowie aler Rahmenbedingungen, die sich in ihrem Dubai auf Rang 6, Doha auf 25 und Abu Dha- besonderen Zusammenspiel einflussreich bi auf 41 im Frachtflugverkehr F( lightglobal auf die Transformationsprozesse ausgewirkt Insight 2012: 7ff., Flightglobal Insight 2013: haben. Der Standort Dubai nimmt in diesem 5ff.; vgl. dazu auch Tab.1). Zusammenhang eine besondere Rolle ein, auf Einige Faktoren haben insbesondere seit die im Verlauf der Darstellung immer wieder Beginn der 1990er Jahre dem Flugzeug als Referenz genommen wird. Verkehrsträger für Personen und Fracht auch in den arabischen Golfstaaten eine wichtige Rolle zugeschrieben. Neben der steigenden Mobilität von Personen, die sich durch die

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Entwicklung des Luftfahrtwesens in den Ein- und Ausreiseverkehr der zunächst den kleinen arabischen Golfstaaten überwiegend im Erdölsektor beschäftigten Expatriates regelten. Weiterhin wurden die Die Geschichte der Luftfahrt ist länger als die vorhandenen Kapazitäten für das steigende Unabhängigkeit der einzelnen Staaten, die bis Flugverkehrsaufkommen stetig erweitert. Anfang der 1970er Jahre zu den unter briti- 1950 erfolgte die Gründung der Gulf Aviati- schem Protektorat stehenden Vertragsstaaten on Company, einem Vorläufer der heutigen (Trucial States) gehörten. Die ersten Lande- Gulf Air, deren Hauptaktionär bis 1970 die pisten entstanden bereits 1927 auf dem Ho- BOAC war. Heimatstandort der Gulf Air war heitsgebiet des heutigen Kuwait und Bahrain, der Flughafen in Muharraq (Bahrain). Die die als Tankstopp der Imperial Airways, später Gulf Air verkehrte in den ersten Jahren ihres British Overseas Airways Corporation (BOAC), Bestehens zunächst zwischen den größeren auf der Verbindung zwischen London und Städten der Golfregion (z.B. Kuwait, Bahrain, Karachi (Indien) fungierten.2 1932 wurde Doha, Abu Dhabi, Dubai, Sharjah, Muskat) Sharjah (heute VAE) als dritter strategischer und erweiterte stetig ihr Streckennetz. Standort in der arabischen Golfregion in das Nach knapp zweijähriger Bauzeit wurde Streckennetz aufgenommen und war bis zur 1960 in Dubai der Flughafen (DXB) eröffnet, Eröffnung des Flughafens in Dubai Ende der der Dubai sowohl in das regionale Netzwerk 1950er Jahre der einzige Landeplatz der süd- als auch in den interkontinentalen Flugver- lichen Golfregion (Wilson 1999: 54, Bahrain kehr integrierte. Bislang war Dubai von inter- Airport Company 2014, Ramos 2010: 71). nationalen Besuchern nur über Bahrain, dem Ende der 1940er Jahre entstanden im benachbarten Sharjah, per Schiff oder mit Zuge der nach dem Zweiten Weltkrieg durch dem unregelmäßig operierenden Flying Boat- Großbritannien wieder aufgenommenen Erd- Service (siehe Textbox) erreichbar (Scharfen- ölförderung3 weitere Einrichtungen für die ort 2009: 131). Die Entscheidung für den Bau Zivilluftfahrt, wie z.B. Passagierterminals, die eines Flughafens an einem Standort nur etwa

Historische Entwicklung der Flughafenstandorte in der arabischen Golfregion Ende der 1920er Jahre wurden bereits Landepisten in Kuwait und Bahrain angelegt, um die Imperial Airways (später BOAC) auf ihren Tankstopps zwischen London und Indien abzufertigen. Zwischen 1937 bis etwa Mitte der 1950er Jahre wurden die Flüge der BOAC überwiegend mit einem Flugboot-Dienst (Flying Boat-Service) durchgeführt. Flying Boat-Terminals befanden sich zwischen dem Marina Club und dem Hafen Mina Salman in Bahrain und am Creek in Dubai (Dubai Airports 2014), der jedoch nur zwischen 1942 und 1947 genutzt wurde (Al-Gurg 1998 zit. nach Ramos 2010: 71). Die dafür notwendigen Einrichtungen befanden sich am Ufer eines für Start- und Landung geeigneten Gewässers. In Bahrain erfolgte die Landung zwischen dem heutigen Marina Club und dem Mina Sulman (Bahrein (sic!) Marine Airports). In Dubai landete das Flying Boat auf dem Creek in der Nähe des Hafens in Deira. Passagiere wurden vom Wasserflugzeug aus mit einem Boot zum Terminal an Land überge- setzt. (Dubai Airports 2014). In Kuwait eröffnete 1948 der Flughafen Al-Nugra, der mit der Unabhängigkeitserklärung Kuwaits im Jahr 1961 durch einen moderneren Standort mit größeren Kapazitäten knapp 20 Kilometer außerhalb des Zentrums ersetzt wurde. Der neue Mugwa- Flughafen wurde mit zeitlich uneingeschränktem Flugbetrieb geführt und war Ziel von elf arabischen und europäischen Flug- gesellschaften (Directorate General of Civil Aviation 2014). Da die Passagier- und Frachtkapazitäten mit dem Flugboot-Service begrenzt waren, der Passagierverkehr in bzw. über die Golfregion jedoch stetig stieg, wurde dem Standort auf der Insel Muharraq in Bahrain ab den 1950er Jahren mehr Bedeutung geschenkt. Durch den Ausbau der Kapazitäten entwickelte sich Bahrain neben Kuwait zu einer wichtigsten Schnittstelle des Luftverkehrs in der nördlichen arabischen Golfregion und hielt diese führende Stellung bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs Mitte der 1970er Jahre. In Abu Dhabi wurde die bereits in den 1940er Jahre eingerichtete Flugpiste mit Empfangsgebäude in Al Bateen im Süden der Insel in den 1960er Jahren zum Al Bateen Executive Airport ausgebaut (Al Bateen Airport 2014), bevor der internationale Flugha- fen 1982 an einen Standort rund 30 Kilometer vom Zentrum entfernt verlagert wurde. Im Zuge der modernen Stadtentwicklung, die etwa ab Ende der 1950er Jahre einsetzte, wurden die vormals im äußeren Bereich des Siedlungsgebiets liegenden Landepisten in den 1960er, 1970er und 1980er Jahre etwa zehn (z.B. Dubai, Doha, Sharjah) bis 30 Kilometer (z.B. Abu Dhabi) hinter die damals bestehende Siedlungsgrenze verlegt, wo ausreichend Expansionsflächen zur Verfügung standen. Durch die rasche horizontale Expansion des urbanen Raumes sind die heutigen Flughafenstandorte inzwischen in den suburbanen Raum eingebettet und integraler Bestandteil der Siedlungsstruktur (Scharfenort 2009: 207).

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sieben Kilometer entfernt des Flughafens in und die allgemeine urbane und infrastruktu- Sharjah lässt sich einerseits mit den begrenz- relle Entwicklung. ten Kapazitäten des Nachbarn begründen, an- Mit dem Aufkauf der Anteile der BOAC dererseits aber auch mit dem Bestreben, die durch die Regierungen von Bahrain, Oman, Abhängigkeit zu reduzieren, um den eigenen Katar und Abu Dhabi erfolgte im Jahr 1973 Standort zu entwickeln. eine Multinationalisierung der Gulf Aviati- Der Ankündigung des Rückzugs aus der on Company und deren Umbenennung in Protektoratsregion durch die Regierung des Gulf Air. Das Unternehmen fungierte damit Vereinigten Königreichs 1968 sollte zunächst als gemeinsame staatliche Fluggesellschaft ein Zusammenschluss der insgesamt neun mehrerer inzwischen unabhängiger Staaten, Scheichtümer zu einer Großunion »United was eine starke Expansion der Luftverkehrs- Arab Coastal Emirates« folgen. Aufgrund infrastruktur sowie des Netzwerks durch die unüberbrückbarer Differenzen, persönlicher Aufnahme neuer Destinationen zur Folge Animositäten und der Unvereinbarkeit von hatte. In den Hauptstädten der beteiligten wirtschaftlichen und politischen Interessen Gesellschafter wurden die lokalen Basen erklärten Bahrain, Katar und schließlich die der Nachfrage entsprechend ausgebaut und VAE – ein föderaler Zusammenschluss der mussten bereits einige Jahre später aufgrund sieben weitgehend autonomen Emirate Abu des gestiegenen internationalen Passagier- Dhabi, Dubai, Sharjah, Ajman, Fujeirah, und Frachtverkehrs in ihren Kapazitäten er- Umm Al Qawain und Ras Al-Khaimah – 1971 weitert (Muharraq) oder an neue Standorte ihre Unabhängigkeit (Scharfenort 2009: 39, verlagert (Doha, Abu Dhabi) werden. Diese 96f.). Hauptaufgabe der neu entstandenen Kooperation blieb bis in die erste Dekade des Staatsgebilde war der administrative Aufbau 21. Jahrhunderts bestehen, als alle Teilhaber,

Abb. 1: Physische Karte der Arabischen Halbinsel (mit politischen Grenzen, Städten und Verkehrsinfrastruktur). Quelle: verändert nach mr-Kartographie aus: Informationen zur politischen Bildung 317/2012 »Naher Osten« (online unter: www. mr-kartographie.de/uploads/ pics/II-Nordafrika-Naher_ Osten_Phys_Karte_04.jpg, 21.02.2014).

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Passagiere Cargo Flughafen (IATA-Code) (in Mio.) (in Mio. t) Fluggesellschaft Stadt, Land (Gründungsjahr) 2013 2012 2013 2012 Dubai International Airport (DXB) Emirates (1985) 66,4 57,7 2,4 2,3 Dubai, VAE FlyDubai (2009) Doha International Airport (DOH) 23,3 21,2 0,9 0,8 Qatar Airways (1993) Doha, Katar Abu Dhabi International Airport (AUH) 16,5 14,7 0,7 0,6 Etihad Airways (2003) Abu Dhabi, VAE Bahrain International Airport (BAH) Gulf Air (1950) k.A. 8,5* k.A. 0,3* Muharraq, Bahrain Bahrain Air (2007-2013) Kuwait International Airport (KWI) Kuwait Airways (1954) 9,4 8,9 k.A. 0,2* Kuwait City, Kuwait Jazeera Airways (2005) die inzwischen eigene Fluggesellschaften ge- ortvorteile Anreize geschaffen. Innenpoliti- Tab. 1: Passagier- und gründet hatten, nach und nach ihre Anteile sche Stabilität, Kontinuität und Transparenz Frachtaufkommen auf verkauften, so dass Gulf Air letztendlich 2007 sind dabei gleichfalls wichtige Komponenten. ausgewählten Flughäfen der in vollständigen bahrainischen Besitz über- Die Golfstaaten sind einerseits für ihre libe- GKR-Staaten (2012 und 2013) ging und restrukturiert wurde.4 ralisierte Wirtschaftspolitik bekannt, anderer- Quellen: Eigene seits wird den politischen Systemen aber all- Zusammenstellung nach ADIA gemein Skepsis entgegengebracht. Zwar wird 2014, DIA, 23.01.2014, Dubai Wachstumspole der Stadtentwicklung in den Monarchien die Befehlsgewalt durch Airports 29.01.2014, KUNA die Verfassung geregelt, jedoch sind die Herr- 05.02.2014, *gtai 2013 Der Nahe Osten, und insbesondere die arabi- scherfamilien und einzelne Persönlichkeiten sche Golfregion, verzeichnen seit Beginn des dominant und einflussreich (Scharfenort 21. Jahrhunderts ein beeindruckendes Wachs- 2007: 2). tum im Bereich des Luftverkehrs: Allein seit Neben den traditionellen Seehäfen fällt 2000 hat sich der Flugverkehr um gut 230 den Flughäfen in jüngerer Zeit eine besonde- Prozent erhöht. Dies ist nicht nur auf die ge- re strategische Rolle zu. Neben ihrer Funktion nerell steigenden Passagier- und Frachtzahlen als Motor der ökonomischen Aktivitäten sind zurückzuführen, sondern auch auf die Grün- sie die neuen Wachstumspole im urbanen dung einiger neuer Fluggesellschaften. In Raum (»Airport-City«, »Hafen-City«). Einer- den VAE, Katar, Bahrain, und Kuwait, deren seits erfüllen sie eine wichtige Arbeitgeber- Gesamtfläche etwa mit der Norwegens und funktion etwa durch Freihandelszonen, Bü- deren Einwohnerzahl mit der Österreichs ver- rogebäude, Lagerhallen sowie Unternehmen, gleichbar ist, befinden sich inzwischen neun5 die ihnen angeschlossenen sind. Andererseits internationale Flughäfen (vgl. Abb. 1 (vorheri- sollen die multifunktionalen Standorte den ge Seite), Tab. 1 (oben)), die zugleich Standort Ansprüchen an ein modernes urbanes Leben eigener Fluggesellschaften sind.6 Ebenso ver- gerecht werden. Durch ein erweitertes Ange- fügen alle größeren Städte über wenigstens bot an Wohnstandorten und Freizeitaktivitä- einen Seehafen für den internationalen Wa- ten in direkter Nachbarschaft werden nicht renverkehr, der durch logistische Verflechtun- nur ökonomische und logistische Effizienz gen mit dem Flughafen verbunden ist (Air- hervorgerufen, sondern auch Wege verkürzt. Sea-Link). Ein ähnlicher Trend kann für Wirtschafts- Die Städte der kleinen arabischen Golf- und Industriecluster beobachtet werden, die staaten verzeichnen seit Jahrzehnten hohe optimal an das regionale Straßennetz, die Zuwachsraten durch die Zuwanderung aus- Seehäfen und den Flughafen angeschlossen ländischer Gastarbeiter. Dynamisches Wirt- sind. Weil die arabischen Golfstaaten über schaftswachstum bei zunehmender Diversifi- kein nennenswertes Hinterland verfügen zierung der Wirtschaft und Erweiterung der und kaum landwirtschaftliche und industri- Kapazitäten, insbesondere im Bereich der elle Erzeugnisse produziert werden, sind sie Logistik und Kommunikation, bewirken hohe stark vom Import von Nahrungsmitteln und Investitionen in die Infrastruktur sowie in die Produkten der Konsumgüterindustrie abhän- Immobilien-, Dienstleistungs- und Touris- gig. Neben den Seehäfen bilden insbesondere musbranche. Um das Interesse ausländischer die Flughäfen aus Kosten- und Zeitgründen Investoren zu wecken, wurden durch Stand- einen wichtigen Zugang zu den internationa- www.planung-neu-denken.de 6| 14 Nadine Scharfenort: Flughafenstandorte als neue Wachstumspole in arabischen Golfstädten? ...

Abb. 2: Entwicklung des Passagierverkehrs am Dubai International Airport (1997- 2011) Quelle: Dubai Statistical Yearbook (mehrere Ausgaben).

Abb. 3: Entwicklung des Frachtverkehrs am Dubai International Airport (1997- 2011) Quelle: Dubai Statistical Yearbook (mehrere Ausgaben).

len Märkten – auch hinsichtlich der Herkunft Bey 1985, Riad 1985, Bourgey 1986, El-Arifi von Arbeitskräften, Touristen und Transitpas- 1986, Khalaf 2006). In einem umfassenden sagieren, die über die Drehkreuze zu ihrer Transformationsprozess entwickelten sich die Enddestination geleitet werden (vgl. Abb. 2, Standorte durch den Auf- und Ausbau von 3 am Beispiel des Passagier- und Frachtauf- logistischer und technischer Infrastruktur so- kommens am DXB zwischen 1997 und 2011). wie wirtschaftlicher, administrativer und sozi- Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es aler Einrichtungen in nur wenigen Jahrzehn- nur wenige kleinere Siedlungen entlang der ten zu bedeutenden Handelszentren (Khalaf arabischen Seite des Persischen Golfs. Ledig- 2006: 248f.). Durch die erhöhte Nachfrage lich Dubai hatte sich zu einem regionalen und das Fehlen lokaler Arbeitskräfte wurden Handelsstandort mit etwa 50.000 Einwoh- sie Ziel von Arbeitsmigranten, insbesondere nern entwickelt. Der Export von Erdöl – in aus den arabischen Nachbarländern, Asien, Bahrain 1938, Abu Dhabi 1959, Dubai 1969 Afrika, Europa und Nordamerika. Der rasche und Erdgas in Katar seit 1949 – generierte Bevölkerungsanstieg mit hohen jährlichen Einkommen, das in die Modernisierung der Wachstumsraten beschleunigte nicht nur die lokalen Gemeinschaftseinrichtungen inves- Nachfrage nach Wohnraum und infrastruk- tiert wurde (»oil-urbanization«, z.B. Bonine turellen Einrichtungen, sondern beeinflusste 1980/1986, Bonine & Cordes 1983, Heard- auch die Bevölkerungszusammensetzung.

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Diese äußert sich in einem starken Ungleich- Distanzüberwindung, Kosten- und Zeiter- verhältnis zwischen der inländischen und sparnis sowie des allgemeinen Komforts mit ausländischen Bevölkerung7 sowie zwischen dem Flugzeug. Die Errichtung einer nationa- den Geschlechtern zugunsten einer Überre- len Bahnlinie,9 und dadurch eine multimoda- präsentation von Männern (»doppelte demo- le Vernetzung zwischen Schiene und Straße, graphische Asymmetrie«, Scharfenort 2009: wurde bislang in keinem GKR-Staat umge- 48). Insbesondere unqualifizierte männliche setzt und Überlegungen zur Planung des Arbeitskräfte stellen den Großteil der Bevöl- Nahverkehrssystems und des Ausbaus der kerung. Sie werden für einfache Tätigkeiten Verkehrswege nehmen erst jüngst konkrete angelernt und kommen für körperliche Ar- Züge an (gtai 2013). Lediglich Katar forciert beiten zum Einsatz. im Zuge der FIFA Fußballweltmeisterschaft 2022 den Bau eines nationalen Schienennet- zes, das die Austragungsorte verbinden und »Airport-Cities« in Dubai und Doha bis nach Bahrain geführt werden soll. Die oben genannten Transformations- Die Erreichbarkeit ebenso wie die Verfügbar- prozesse leiten sich einerseits aus der histo- keit einer modernen logistischen Infrastruk- rischen Entwicklung des Luftfahrtverkehrs tur sind wesentliche Kriterien für die Attrak- ab, der die Standorte bereits zu einem frühen tivität international bzw. global agierender Zeitpunkt miteinander verbunden hat. Die Wirtschaftsstandorte. Die Physiognomie der Konzeption der innerstädtischen Struktur Arabischen Halbinsel, die zu über 75 Prozent und die starke Ausrichtung auf den motori- von der Vollwüste Rub Al-Khali bedeckt ist, sierten Individualverkehr seit Beginn der Mo- begründet den hohen Urbanisierungsgrad dernisierungsphase wirken sich andererseits von 80 bis über 95 Prozent und die Kon- deutlich auf die Wahl der Verkehrsträger aus. zentration der Bevölkerung in nur wenigen Das Auto wird in den arabischen Golfstaa- Großstädten. Während sich in Saudi-Arabien ten als Statussymbol assoziiert. Weil Benzin aufgrund historischer Gegebenheiten ein aus- – und Kerosin für den Flugverkehr – kosten- gewogenes Städtenetz an den Küsten und im günstig verfügbar ist, stellt die Fortbewegung Binnenland entwickelt hat, sind in den VAE, mit dem öffentlichen Personennahverkehr Katar, Bahrain und Kuwait neben wenigen keine Alternative dar, die von der Breite der Oasenstandorten fast ausschließlich die Küs- Bevölkerung akzeptiert wird. Das kommunale tengebiete urbanisiert. Innerhalb der Städte Personenbeförderungsangebot – in der Regel gibt es abgesehen von Taxi und Bus keine Busse, die im städtischen und überregionalen Alternativen zum motorisierten Individual- Verkehr eingesetzt werden – wird tendenziell verkehr. Lediglich in Dubai wurde 2009 eine nur von sozial schwachen Schichten genutzt. Metro eingerichtet, die auch den Flughafen in Das Flugzeug hat sich in den vergangenen das städtische öffentliche Verkehrsnetz inte- Jahrzehnten zur Überwindung von mittel- bis griert. Dubai ist damit die einzige Stadt des interkontinentalen Strecken bewährt. Inner- Golfkooperationsrates (GKR)8, die zur Entlas- halb der Golfkooperationsstaaten hat es sich tung des innerstädtischen Verkehrs ein urba- für den Personen- und Warentransport als nes ÖPNV-Schienensystem eingeführt hat. wichtigster Verkehrsträger durchgesetzt. Da Physiognomie, Bevölkerungs- und (Wirt- im dicht bebauten Stadtgebiet die Expansi- schafts-) Standortentwicklung seit Mitte des onsflächen fast ausgeschöpft sind, erfolgt in 20. Jahrhunderts, verbunden mit einer konti- einigen Städten eine Verlagerung des Flugha- nuierlichen Erweiterung des Siedlungsnetzes, fens an einen neuen Standort. Einer notwen- erklären im Zusammenhang mit politischen digen Erweiterung der Kapazitäten aufgrund Hintergründen (z.B. Grenzstreitigkeiten, von Steigerung der künftigen Nachfrage so- mangelnde Kooperationsbereitschaft auf- wohl im Bereich des Passagier- und Fracht- grund Unvereinbarkeit von Interessen, verkehrs als auch bei der Ansiedlung von Machtdemonstrationen der Herrscherfami- Unternehmen in Clustern in unmittelbarer lien) die nur rudimentäre Bedeutung des Umgebung des Flughafens steht somit aus- innerarabischen Verkehrs: Überlandstraßen reichend Raum zur Verfügung. verbinden zwar Städte innerhalb eines Lan- In Dubai wird in unmittelbarer Umge- des, allerdings existieren nur wenige interna- bung des Hafens Mina Jebel Ali und seiner tionale Verbindungen. Distanzen bis zu fünf Gewerbe- und Industriezone – rund 40 Ki- Stunden werden in der Regel mit dem Auto lometer südlich des Stadtzentrums und vom zurückgelegt, internationaler Verkehr erfolgt DXB entfernt – in mehreren Bauphasen ein jedoch nicht zuletzt aus Gründen der großen weiterer Flughafenstandort errichtet. Nach www.planung-neu-denken.de 8| 14 Nadine Scharfenort: Flughafenstandorte als neue Wachstumspole in arabischen Golfstädten? ...

seinem Endausbau voraussichtlich im Jahr raussichtlich Mitte 2014), andererseits als 2020 wird der Dubai World Central (DWC; »Tor« zur Stadt fungiert und land- und luftsei- vgl. Abb. 4) der größte Flughafen weltweit tige Einrichtungen verbindet. Der sich noch sein. Auf einer Fläche von 140 Quadratkilo- im Planungsstadium befindliche neue Bezirk metern bietet der DWC, der auch als Airport wird neben den bestehenden Stadtteilen West City beworben wird, Arbeits- und Wohnstätte Bay, Education City und dem ursprünglichen für rund 800.000 Menschen (DWC 2014). Siedlungskern City Centre, der gegenwärtig Obwohl der Flughafen seit Juni 2010 für den umfangreichen Modernisierungsmaßnah- Frachtverkehr und seit Oktober 2013 für Pas- men unterworfen ist (z.B. Msheireb-Projekt, sagierflüge geöffnet ist, läuft der Großteil der siehe Scharfenort 2013), zu einem der künf- Flugbewegungen über den DXB. Emirates tigen vier Kernbereiche Dohas entwickelt. Der plant die Verlegung ihres Standorts vom DXB neue Bezirk, der mit einem Planungshorizont zum DWC erst mit dessen vollständiger Inbe- von 30 Jahren auf einer Fläche von zehn Qua- triebnahme. Der DWC wird daher momentan dratkilometern phasenweise realisiert wird, hauptsächlich für Fracht-, Großraum- und ist als multifunktionales Projekt mit Wohn-, Trainingsflüge genutzt. Arbeits- und Freizeitstandorten für 200.000 In Doha entsteht nur wenige Kilome- Menschen konzipiert (OMA 2013). ter neben dem aktuellen Standort ein neuer Mit dem Neubau der internationalen Flug- Flughafen, der nach seiner Inbetriebnahme häfen als multifunktionale Großprojekte, die die Kapazitäten im Passagier- und Fracht- Wohn-, Arbeits- und Freizeitnutzung verei- verkehr verdoppeln wird. In unmittelbarer nen, nähern sich die Standorte dem Airport Nachbarschaft schließt die Airport City an, die City-Konzept John Kasardas (2000, 2001) an, einerseits als Korridor zwischen dem neuen wobei Dubai aufgrund seiner Transformation Hamad International Airport (Eröffnung vo- mit dem Stadium der »Aerotropolis«, welches

Abb. 4: Lage der Flughäfen, Seehäfen und Großprojekte in Dubai Quelle: Eigener Entwurf nach Dubai Map 2008.

1 Mohammed Bin Rashid Technology Park, 2 DM Medical & Hazardous Waste Treatment Plant, 3 Aviation Area/Dubai Industrial City, 4 Dubai Aid City, 5 Jebel Ali Industrial, 6 Jebel Ali Village/The Gardens/ Discovery Gardens/The Lost City/Al Furjan, 7 Jumeirah Park/Jumeirah Islands/Emirates Hills, 8 Emirates Golf Club/Dubai Media City Extension, 9 Jumeirah Beach Residence, 10 Dubai Marina, 11 Media City, Dubai Internet City, Knowledge Village/The Pearl, 12 Dubai Business Bay, 13 Jumeirah Garden City, 14 Dubai Financial Centre, 15 Culture Village, 16 Dubai Industrial City, 17 Dubai World Central, 18 Dubai Investment Park 1, 19 Dubai Investment Park 2, 20 Jumeirah Golf Estates, 21 International Media Production Zone, 22 Dubai Sports City, 23 Jumeirah Village, 24 Motorcity, 25 Arjan, 26 Dubiotech, 27 Dubailand, 28 Arabian Ranches, 29 Mohammed Bin Rashid Gardens, 30 Meydan City, 31 The Lagoons, 32 Dubai Festival City, 33 Khor Dubai, 34 Silicon Oasis, 35 International City, 36 Academic City.

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1 Passagierverkehr (Flug) 2 Frachtverkehr (Flug) 3 Frachtverkehr (Schiff) Rang Mio. Mio. Standort Standort Mio. t Standort PAX TEU 1 Atlanta (ATL) 95,46 Hong Kong (HKG) 3,938 Shanghai (China) 32,53 2 Peking (PEK) 81,93 Memphis (MEM) 3,916 Singapur (Singapur) 31,65 3 London (LHR) 70,03 Shanghai (PVG) 3,004 Hong Kong (China) 23,10 4 Tokyo (HND) 66,80 Anchorage (ANC) 2,543 Shenzhen (China) 22,94 5 Chicago (ORD) 66,63 Seoul (ICN) 2,484 Busan (Südkorea) 17,04 6 Los Angeles (LAX) 63,69 Dubai (DXB) 2,190 Ningbo-Zhoushan (China) 16,83 7 Paris (CDG) 61,61 Louisville (SDF) 2,188 Guangzhou Harbor (China) 14,74 8 Dallas (DFW) 58,60 Frankfurt (FRA) 2,133 Qingdao (China) 14,50 9 Jakarta (CGK) 57,77 Paris (CDG) 2,088 Jebel Ali, Dubai (VAE) 13,30 10 Dubai (DXB) 57,69 Tokyo (NRT) 1,905 Tianjin (China) 12,30 11 Frankfurt (FRA) 57,52 Singapur (SIN) 1,865 Rotterdam (NL) 11,87 12 Hong Kong (HKG) 56,06 Miami (MIA) 1,814 Port Kelang (Malaysien) 10,00 13 Denver (DEN) 53,16 Peking (PEK) 1,640 Kaohsiung, Taiwan, China 9,78 14 Bangkok (BKK) 53,00 Taipei (TPE) 1,612 Hamburg (D) 8,86 15 Singapur (SIN) 51,18 Los Angeles (LAX) 1,609 Antwerpen (B) 8,64 das Entstehen neuer »Städte« in unmittelba- Wirtschaftszentrums und baute seine bereits Tab. 2: Top 15-Flug- und rer Umgebung von Flughäfen postuliert, as- führende Position aus. Nachdem Dubai aller- Seehäfen des internationalen soziiert wird (Kasarda & Lindsay 2011: 287ff.). dings nur über einen Anteil von knapp vier Passagier- und Frachtverkehrs Prozent an den Gesamterdölvorkommen der (2012) VAE verfügt, hat das Emirat frühzeitig Maß- Quelle: 1Flightglobal Insight Das »Dubai-Modell« nahmen zur Diversifizierung seiner wirt- (2013) 2Flightglobal Insight schaftlichen Basis eingeleitet.10 Ähnlich wie (2012), Angaben für 2011, Durch die Beschleunigung des Wirtschafts- Bahrain, das nur mit geringen Erdöl- und 3World Shipping Council: Top wachstums erfährt Dubai seit etwa fünf Jahr- Erdgasressourcen ausgestattet ist und sich 50 World Container Ports. zehnten eine enorme Entwicklungsdynamik, aus diesem Grund frühzeitig in alternativen die Ende der 1990er-Jahre durch die Ausrich- ökonomischen Nischen positionierte, hat sich tung auf die New Economy und die zuneh- Dubai gegenüber seinen Nachbarn in der mende Integration in globale Prozesse noch- arabischen Golfregion emanzipiert und die mals an Dynamik und Intensität gewonnen Bewerbung der »Marke Dubai« eingeleitet: hat (Scharfenort 2008: 256). Dubais ökono- Das von der Herrscherfamilie Al Maktoum mischer Aufschwung ist auf die vorausschau- unternehmensgleich geführte Dubai hat sich ende Planung und früh eingeleiteten Diver- stets an internationalen Trends orientiert und sifizierungsmaßnahmen der 1970er Jahre sich dadurch zu einem dynamischen Dienst- zurückzuführen. Seither hat sich Dubai zum leistungszentrum und einer Schnittstelle im führenden Logistikstandort in der islamisch- internationalen Waren- und Personenverkehr arabischen Welt entwickelt und rangiert im entwickelt. Diese Entwicklung ist bemerkens- Passagier- und Frachtverkehr (Luft-, Seetrans- wert, da Dubai dies ohne eine lokale »reale« port) auf globaler Ebene unter den besten Produktionsökonomie und ohne lokale Kons- Zehn (vgl. Tab. 2). Der rasante Aufstieg, nicht umbasis gelungen ist. zuletzt aufgrund der lange fehlenden regio- Mit ihren ökonomischen Ansätzen fährt nalen Konkurrenz, hat dem Emirat zu einer Dubais Regierung eine eindeutig neolibera- wichtigen Vorrangstellung – auch gegenüber le Linie: Die wirtschaftliche Diversifizierung den regionalen Konkurrenten – verholfen. erfolgt seit Ende des 20. Jahrhunderts ver- Dubai dient dadurch anderen Standorten stärkt in Richtung zukunftsträchtiger Bran- innerhalb und außerhalb der Region inzwi- chen wie z.B. Tourismus, Immobiliensektor, schen als Vorbildfunktion (»Dubaization«, Logistik und Handel (Import, Export, Re- Elsheshtawy 2009: 250ff.). Export). Nach dem Vorbild Singapurs wurde Mit der Gründung der VAE im Dezem- seit Ende der 1990er Jahre gezielt in Schlüs- ber 1971 beanspruchte Dubai den Status des seltechnologien und -branchen investiert, um www.planung-neu-denken.de 10| 14 Nadine Scharfenort: Flughafenstandorte als neue Wachstumspole in arabischen Golfstädten? ...

sich als internationales Tourismus- und Wirt- Verflechtung zwischen einzelnen staatlichen schaftszentrum zu etablieren. Zudem wurden und privaten Institutionen, wie z.B. Emirates, zahlreiche Einkaufszentren, Steueroasen und Dubai Ports, Nakheel, Dubai Tourism & Com- Freihandelszonen eingerichtet sowie ein Im- merce Marketing, Dubai Development & In- mobiliensektor aufgebaut, der Ausländern vestment Authority oder Dubai Holding, die aufgrund der rigiden gesetzlichen Regelun- ein symbiotisches Wirtschaftsregime formen. gen nur ein temporäres Wohnrecht auf Lea- Deren Führungspositionen sind häufig in sing-Basis gewährt. Mit der Einrichtung von Personalunion mit einflussreichen Entschei- branchenspezifischen Freihandelszonen11 dungsträgern besetzt, was die Vorteile kurzer wurde ein Konzept aufgegriffen, das insbe- Wege, rascher Umsetzung und funktionie- sondere Schwellenländern die Partizipation render Partnerschaften birgt (Schmid 2009: im globalen Markt ermöglicht. Gleichzeitig 99f.). Beschlüsse werden in Dubai maßgeb- sind sie aufgrund ihrer spezifischen gesetz- lich nach wirtschaftlichen Aspekten gefällt, lichen Rahmenbedingungen attraktiv für in- wobei staatliche Interessen häufig zurückste- und ausländische Investitionen und werden hen. als Motor der lokalen wirtschaftlichen Ent- wicklung assoziiert. Ein Großteil der Freihan- delszonen Dubais befindet sich in der Nähe Herausforderungen an die Stadtplanung von größeren Industriegebieten und insbe- sondere in der unmittelbaren Umgebung von Dubai hat sich durch das Aufgreifen und die See- und Flughäfen, um kurze Umschlagzei- rasche Umsetzung neuer Trends zu Spit- ten zu garantieren. zenpositionen verholfen und sich als ernst Die logistischen Verflechtungen durch das zu nehmender Konkurrent nicht nur im re- bestehende Hafennetzwerk mit Mina Jebel gionalen, sondern auch im internationalen Ali, Port Rashid, Creek Port und Hamriya Port Städtenetzwerk etabliert, erhält jedoch zuneh- sowie dem DXB (vgl. Abb. 4, S. 8) mit einem mend Konkurrenz von Nachbarstaaten. Doha hochgradig vernetzten Einzugsgebiet unter- hat sich in den vergangenen Jahren einen stützt dabei Dubais Erfolg einer wachsenden Namen als aufsteigender Wirtschaftsmarkt – Drehkreuzfunktion (Scharfenort 2014: 49f.). insbesondere als größter Nettoexporteur von Besonders der Passagier- und Luftfrachtver- Flüssiggas –, als wichtiger politischer Akteur kehr sind wichtige Wertschöpfer und tragen durch seine Rolle als Mediator in vielen re- zu 28 Prozent (2010) zu Dubais Bruttoinland- gionalen Konflikten sowie als Gastgeber von produkt bei bzw. stellen 19 Prozent der Ar- politischen, kulturellen und sportlichen Er- beitsplätze (Dubai Airports 2013: 9) eignissen gemacht. Im Gegensatz zu Dubai Mit einer geschickten Wirtschaftspolitik betreibt Doha eine eher vorsichtige Liberali- hat Dubais Regierung die entsprechenden sierungspolitik, wobei staatliche Investitio- steuerlichen, rechtlichen und infrastruktu- nen den Hauptmotor der Entwicklung bilden. rellen Rahmenbedingungen geschaffen, die Somit ist Doha deutlich geringer von externen das Wachstum positiv beeinflusst haben. Seit Akteuren abhängig und reagiert auf Krisen Ende der 1980er Jahre ist nach der Phase des weniger sensibel (Scharfenort 2007: 7). Aufbaus grundlegender Infrastruktur ein Die neoliberale Stadtentwicklung hat in Übergang zu einer stärker unternehmens- beiden Städten zu einer überwiegend pro- orientierten Politik zu beobachten, die dem jektorientierten Planung geführt, die zum von David Harvey (1989) beschriebenen Teil ganze Stadtteile umfasst und Wohn-, Ar- Übergang vom Managerilism zum Entrepre- beits- und Freizeitstandorte innerhalb eines neurialism entspricht (Schmid 2009: 94f.). Projektes vereint (vgl. Abb. 4, S. 8, für Dubai; Die Durchsetzungskraft der Regierung wird Scharfenort 2009: 371). Das Hinzutreten zudem als wesentlicher Standortvorteil Du- neuer Akteure einerseits, die wirtschaftli- bais angesehen: Fast alle zentralen politi- che und gesellschaftliche Diversifizierung, schen und wirtschaftlichen Entscheidungen die Vermischung von Lebensstilen sowie die gehen auf den seit 2006 amtierenden Sheikh Veränderung des Konsum-, Freizeit-, Wohn- Mohammed bin Rashid Al Maktoum und sein und Mobilitätsverhaltens der Einwohner und Netzwerk zurück, das vor allem aus lokalen Besucher andererseits, erforderten die Schaf- Familien besteht, die dem Herrscherhaus fung neuer Rahmenbedingungen, um den über Verwandtschaftsgrade und Wirtschafts- Ansprüchen aller Nutzergruppen gerecht zu beziehungen eng verbunden und in die po- werden. Diese mündeten zwischenzeitlich litischen Entscheidungsprozesse involviert in einer modernen und steuernden Stadt- sind. Charakteristisch ist ebenfalls die enge entwicklungspolitik anhand eigenständig,

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entwickelter Konzepte (Masterpläne) für die einer Phase der Überwindung von Gegen- architektonische und funktionale Planung sätzen. Sie sind eine Symbiose aus Moderne des urbanen Raumes, die in Kooperation mit und Tradition in politischer, wirtschaftlicher internationalen Stadtentwicklungsplanern und sozialer Hinsicht eingegangen. Dennoch ausgearbeitet wurde. funktioniert die arabische Golfregion anders Inzwischen wird immer häufiger auch der als klassische Industriestandorte der entwi- Vorwurf der »Seelenlosigkeit« – anstelle der ckelten Welt: Ein gesichertes finanzielles Fun- Einzigartigkeit – an die Städte herangetragen. dament erlaubt einen weitaus größeren spe- Hybride Kompositionen aus Stahl, Beton und kulativen Spielraum in einem dynamischen, Glas dominieren das Erscheinungsbild und flexiblen und risikofreudigen Umfeld. Dabei kontrastieren ältere Bezirke mit sehr einheit- gestattet die fehlende politische Partizipation licher architektonischer Gestaltung. Aus Ge- der Bevölkerung die Durch- und Umsetzung sprächen12 mit Mitarbeitern aus dem Bereich auch von wirtschaftlich fragwürdigen Bauvor- der Stadtentwicklungsplanung in Dubai und haben. Doha ging hervor, dass Berater aus den USA, Europa, Asien und Australien seit Mitte des 20. Jahrhunderts in die Stadtentwicklungspla- Fazit nung involviert sind und einen wesentlichen Beitrag zum infrastrukturellen Auf- und Aus- In allen arabischen Golfstaaten wird Wachs- bau der Städte geleistet haben. Die Gestaltung tum durch Konsum und Infrastrukturinvesti- der Städte erfolgte jedoch nach zeitgenössi- tionen generiert. Die Ökonomien orientieren schen, vornehmlich westlichen Planungsvor- sich dabei am stärksten am liberalisierten glo- stellungen und nahm kaum Rücksicht auf balen Markt des Waren- und Kapitalverkehrs lokale Gegebenheiten und Bautraditionen. und sind auf diesen ausgerichtet. Dubais Herausforderungen an die Stadtplanung Wirtschaft stützte sich jahrelang auf diese stellen zum ersten die besondere demogra- Pfeiler, die in Zeiten wirtschaftlicher Prospe- phische Konstellation (siehe oben), zum rität äußerst gewinnbringend, in Krisenzei- zweiten der nur temporäre Aufenthalt eines ten hingegen hochsensibel und daher stark Großteils der Bevölkerung aufgrund rigider risikobehaftet sind: Von der globalen Finanz- gesetzlicher Rahmenbedingungen sowie zum und Wirtschaftskrise 2008-11 war auch Dubai dritten die Drei-Klassen-Gesellschaft (Staats- schwer betroffen, jedoch konnte sich die Wirt- bürger, Nicht-Staatsbürger nach sozialer schaft aufgrund einer Rückbesinnung auf die und ethnischer Herkunft), die keinen nach- Kernbranchen Import, Export- und Re-Export- haltigen Aufbau einer urbanen Gesellschaft handel, Tourismus und den Logistikbereich gestattet, dar. Der Aufbau des Tourismus als rasch erholen. wesentliches wirtschaftliches Standbein im Die Flughäfen fungieren als wichtige Rahmen der Diversifizierungsbestrebungen Impulsgeber der Stadt- und Wirtschaftsent- stellt die Standorte vor weitere wirtschaftliche, wicklung. Die Bedeutung der landseitigen politische und soziale Herausforderungen, Infrastruktur- und Agglomerationsvorteile in die sich durch die Bereitstellung touristischer Kombination mit weichen Standortfaktoren Infrastruktur auch auf die Stadtplanung nie- wie z.B. Lebensstandard oder Standortpres- derschlagen. Vor allem aber die Rolle der Ent- tige (Braun & Schlaack 2014: 10) sowie die scheidungsträger, die überwiegend aus dem Bedeutung des Zugangs zu Märkten und die engen Umfeld der Herrscherfamilie stam- eigene Erreichbarkeit durch den Luftverkehr men und sich in wenigen einflussreichen sind in diesem Zusammenhang wichtige und Mitgliedern der Elite konzentrieren, ist im nicht zu unterschätzende Standortfaktoren. Rahmen der stadtplanerischen Prozesse nicht Das fehlende direkte Hinterland der kleinen zu unterschätzen: Auch wenn Entscheidun- arabischen Golfstaaten wird durch die geo- gen, wie am Beispiel Dubai genannt, rascher strategisch gute Lage kompensiert, da theo- gefällt werden als in anderen demokratischen retisch innerhalb eines Radius von acht Flug- Strukturen, sind Organisationsstrukturen stunden bis zu sechs Milliarden Menschen häufig intransparent und viele Entscheidun- erreicht werden können (Airbus 2013: 42). gen werden ad hoc gefällt. Zudem kollidieren Der internationale Passagier- und Fracht- wiederholt individuelle Interessen miteinan- verkehr im Bereich der Luftfahrt ist in der der, die den Fortschritt beeinträchtigen. gesamten Golfregion ein nach wie vor wachs- Das 21. Jahrhundert hat generell große tumsstarker Markt. Mit groß angelegten Veränderungen in den arabischen Golfstaa- Investitionen in den Aus- und Neubau von ten herbeigeführt, befinden sie sich doch in Flughäfen bei fortwährender Verdichtung www.planung-neu-denken.de 12| 14 Nadine Scharfenort: Flughafenstandorte als neue Wachstumspole in arabischen Golfstädten? ...

des Streckennetzes und dem Kauf von Groß- raumflugzeugen wird dieser Sektor in den kommenden Jahren weiterhin stark forciert und langfristig voraussichtlich zu beachtli- chen Verlagerungen im internationalen Flug- verkehr führen, wobei den Standorten Dubai, Doha und Abu Dhabi eine besondere Bedeu- tung zufallen wird.

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2 Die British Overseas Airways Cooperation (BOAC) ist einigen Jahren wird auch die Einrichtung eines Hoch- eine Fusion der Imperial Airways mit der früheren geschwindigkeitszugnetzwerkes, das alle GKR-Staaten British Airways (1939), die auf der Flugverbindung miteinander verbindet, diskutiert. Die Umsetzung zwischen London und Karachi (Indien) verkehrte scheiterte bislang aber an der Uneinigkeit über die (British Airways 2014). Verantwortlichkeiten, den bislang noch nicht verein- 3 Bereits während der 1930er Jahre wurden Konzessions- heitlichten Einreisebestimmungen für Nicht-GKR- abkommen zwischen den Herrschern und Firmen aus Staatsbürger, die für die Einreise in jeden GKR-Staat dem Vereinigten Königreich und den USA Erdöl- ein Visum beantragen müssen sowie an gesellschaft- firmen vereinbart. Die Bohrungen verzögerten sich lichen Herausforderungen, wie z.B. die freie Mobilität aber durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und von Frauen. wurden erst ab Ende der 1940 Jahre wieder aufgenom- 10 Bereits 1991 wurde mit 410.000 Barrel pro Tag der men. historische Höchststand der Erdölförderung erreicht 4 1981 wurde Oman Air gegründet. 1993 folgte Qatar und die Förderquoten sind auf weniger als 50.000 Airways und zehn Jahre später nahm Etihad Airways Barrel pro Tag gesunken. Um den Bedarf zu decken, als »staatliche« Fluggesellschaft von Abu Dhabi ihren hat sich Dubai inzwischen vom ehemaligen Exporteur Betrieb auf. 2002 verkauften Katar, 2005 Abu Dhabi zum Importeur gewandelt. Steuerte der Anteil des Erd- und 2007 Oman die Anteile an Gulf Air (Carvalho ölsektors Mitte der 1980er Jahre noch etwa die Hälfte 2002, The Daily Star 30.09.2005). zum Bruttoinlandprodukt Dubais bei, so ist der Anteil 5 Neben den Flughäfen in Katar (DOH), Bahrain (BAH) auf unter drei Prozent gesunken (UAE Yearbook und Kuwait (KWI), Abu Dhabi (AUH) und Dubai 2009: 123ff.). Obwohl Anfang 2010, etwa 30 Jahre (DXB, DWC) gibt es in den VAE weitere Standorte nach Erschließung des letzten Erdölfeldes, ein weiteres internationaler Flughäfen. Diese sind Sharjah (SHJ), Offshore-Feld auf Dubais Hoheitsgebiet (Al Jalila; Fujairah (FJR) und Ras-Al-Khaimah (RKT), allerdings 5. Feld seit Mitte der 1960er Jahre) entdeckt wurde, werden sie aufgrund ihrer geringen Kapazitäten in den werden die Ressourcen bei anhaltender Ausbeutung Ausführungen dieses Beitrags nicht berücksichtigt. bereits in wenigen Jahren – vermutlich zwischen 2015 6 Besonders die Gründung von Low-Cost-Carrier- und 2030 – versiegt sein. Unternehmen hat in den vergangenen Jahren zu 11 Freihandelszonen sind extraterritoriale Gebiete, die einer Steigerung der Zahlen im Passagierverkehr über eigene Gesetzgebungen verfügen und Inves- geführt und an einigen Standorten die Kapazitätsgren- titionsanreize in Form von Steuerfreiheit, freiem zen ausgereizt. Beobachter prognostizieren für die Kapital- und Gewinntransfer, niedrigen Lohn- und kommenden 20 Jahre eine Erhöhung des Anteils am Lohnnebenkosten, geringen Energiekosten sowie Weltpassagierverkehr von sieben Prozent (2010) auf elf der Garantie auf vollständigen Eigentumserwerb Prozent (2030; Airbus 2012). Auch 2012 konnte trotz bieten. Dem ausländischen Investor wird dadurch die der politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen Möglichkeit geboten, eine Handels-, Dienstleistungs- des »Arabischen Frühlings« und einer generell sich oder Produktionsniederlassung zu gründen, deren verhalten entwickelnden weltwirtschaftlichen Lage ein Gesellschaftsanteil ohne lokale Beteiligung zur Gänze Wachstum in Höhe von 8,2 Prozent erzielt werden in ausländischer Hand liegt und deren Niederlas- (Airbus 2013: 42). sungsform eine uneingeschränkte, aktive Teilnahme 7 Besonders ausgeprägt ist dieses Phänomen in den VAE am Wirtschafsleben gestattet. und Katar, wo der Anteil der einheimischen Staats- 12 Während mehrerer Forschungsaufenthalte in Dubai bürger weniger als 15 Prozent der Gesamtbevölkerung (2005, 2006, 2011) und in Doha (2012, 2013) wurde ausmacht. mit zahlreichen Personen, die in Stadtentwicklungs- 8 Mitglieder des Golfkooperationsrats (GKR) sind Saudi- prozesse involviert waren, im Rahmen von leitfadenge- Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar, die VAE und Oman. führten Experteninterviews gesprochen. Aus Gründen 9 Trotz bereits langjähriger Überlegungen über die der Anonymität werden die Gesprächspartner nament- Einrichtung einer Bahnlinie in den VAE und Saudi- lich nicht genannt. Arabien, erfolgte bislang noch keine Umsetzung. Seit

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REviewed Do Airports green cities? Von der Airport City zur nachhaltigen Region. Flughafenstrategien und Regionalentwicklung. viewedRE

Flughäfen haben schon immer – und mit steigender Größe immer mehr – Einfluss auf ihr Cordula Neiberger ist Umland. Während lange Zeit insbesondere indirekte und induzierte regionalökonomische Ef- seit 2011 Professorin für fekte im Fokus des öffentlichen Interesses standen, waren es in jüngerer Zeit die Strategien Wirtschaftsgeographie der Flughafenbetreiber zur Immobilienentwicklung. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen der Dienstleistungen am Prosperität der Flughäfen ergaben sich jedoch auch Nutzungskonflikte, die aufgrund einer feh- Geographischen Institut der lenden räumlichen Planung im Sinne eines strategisch zu entwickelnden »Flughafenumlan- RWTH Aachen des« vermehrt zu Konflikten geführt hat. Neben Flächenkonkurrenz ist dies insbesondere die Lärmbelästigung immer größerer Teile der Bevölkerung. In diesem Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichem Wachstum und gestiegenem Problembewusstsein in der Region streben Flug- hafenbetreiber heute in zunehmendem Maße an, Nachhaltigkeitsziele in ihre Unternehmens- entwicklungsstrategien einzubinden. Der Beitrag legt die Entwicklungen im Verhältnis von Flughafen und Umland ebenso dar wie den Stand der Nachhaltigkeitsstrategien von Flughäfen, um die Möglichkeiten einer nachhaltigen Regionalentwicklung im Flughafenumland auszulo- ten.

Flugpassagiere und Fracht nehmen seit vielen gegenüber den Flughäfen; sie können somit Jahren stetig zu. Davon profitieren internatio- hohe Ansprüche an Slotverfügbarkeit, Um- nale Verkehrsflughäfen, die entsprechend in steigezeiten oder Management. stellen (vgl. den letzten Jahren gewachsen sind – gleich- Neiberger 2008). zeitig stieg der Wettbewerbsdruck zwischen Die Flughäfen reagieren auf diese Anfor- diesen Flughäfen erheblich. Zurückzuführen derungen mit dem Ausbau ihrer Infrastruk- ist dieser Druck auf die immer stärkere Bün- tur, insbesondere der Start- und Landebah- delung von Passagieren und Fracht in den nen und Terminals. Gleichzeitig forcieren Hub-Systemen der Airlines sowie die Bildung Flughäfen neue Geschäftsfelder, um durch von Allianzen zwischen diesen. Beide Ent- eine Diversifikation nicht ausschließlich von wicklungen führen zu einer starken Verhand- Flugentgelten abhängig zu sein. Dies sind lungsposition der umsatzstarken Airlines insbesondere die Ausweitung von Handels-

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flächen sowie die Einrichtung von Büroflä- diese erheblich sein können (Harsche et al. chen auf den Flughäfen oder in unmittelba- 2008; Strauss-Kahn, Vives 2009). rer Umgebung (Schamp 2002). Unterdessen Dross und Thierstein (2011) gehen eben- kann der Prozess der verstärkten Ansiedlung falls von dem Gedankengang der katalytischen von flughafenaffinen Unternehmen auf und Effekte aus, wenn sie von Hub-Flughäfen als in räumlicher Nähe der Flughäfen beobachtet »Urban Generator« sprechen und wissensin- werden. Somit entstehen wirtschaftlich pros- tensive Unternehmen nach ihrem Bedarf an perierende »Flughafenregionen«, deren Ent- Luftverkehrsleistungen und Standortqualitä- wicklung durch die Regionalplanung bisher ten untersuchen. Diese geben nicht mehr nur wenig gelenkt ist. die verkehrliche Lagegunst als Grund für ihre Standortansiedlung an, sondern Immobili- enqualität, Standortimage und urbane Infra- 1. Region und Flughafen struktur (Conventz, Thierstein 2014). Mit den neu entstehenden Raumstruktu- Aus ökonomischer Sicht wurde das Verhält- ren beschäftigen sich insbesondere Raumpla- nis von Flughafen und Region lange Zeit auf ner und Architekten. Hier wurde die wissen- einen einfachen, weil messbaren, Nenner ge- schaftliche Diskussion um die Entwicklung bracht: regionalökonomische Effekte. Dabei von Flughafenregionen lange Zeit unter dem wird zwischen direkten Effekten (Arbeitsplät- Begriff »Airport City« geführt, den Conway ze in den Unternehmen am Flughafen und 1978 in seinem Werk »The Airport and the Kaufkrafteffekte durch Reisende), indirekten Future Intermodal Transportation System« Effekten (Nachfrage der Unternehmen am einführte. Dabei wird der Prozess einer zu- Flughafen nach Vorleistungs- und Investiti- nehmenden Niederlassung von Gewerbe- onsgütern und Dienstleistungen) und indu- unternehmen mit direkter Verbindung zum zierten Effekten (Ausgaben der Beschäftigten Luftverkehr auf dem Flughafengelände oder der Unternehmen am Flughafen und deren in dessen unmittelbarer Nähe beschrieben Zulieferer/Dienstleister in der Region) un- (zum Beispiel Unternehmen aus dem Logis- terschieden (Cezanne, Mayer 2003; Malina, tik-Sektor). Conway bestimmt die »Airport Wollersheim 2009). City« durch die bauliche Dichte und die hohe In zahlreichen Gutachten standen dabei Diversität der vorhandenen Nutzungen. Dies diese drei Effekte entlang der Wertschöp- umfasst unterschiedliche Arten von Gewer- fungsketten im Mittelpunkt. In der jüngsten benutzungen, Industrien, Dienstleistungen Zeit rücken die nachfrageseitigen Effekte oder auch medizinischer Versorgung. Territo- aber vermehrt in den Blickpunkt der wissen- rial wird die »Airport City« von ihm durch die schaftlichen Betrachtung. Sie werden als ka- »unmittelbare Nähe« zum Flughafen gekenn- talytische Effekte bezeichnet und umfassen zeichnet (Conway 1978). den Standortvorteil, der durch die Nähe zum Die Architekten Güller und Güller (2003) Flughafen und zu dessen Verknüpfungen mit fokussieren die »Airport-City« stärker auf den dem Straßen- und Schienennetz entsteht. Flughafen selbst und bringen die Erschei- Große Flughäfen sind Hubs, die eine effekti- nungsform der »Airport City« mit dem geo- ve Vernetzung von Standorten gewährleisten graphischen Stadtbegriff in Verbindung. »In und damit Kostenvorteile für die Unterneh- terms of territorial definition the airport city men hervorbringen, die sie nutzen. Dies sind is, in principle, the more or less dense clus- insbesondere Zeitersparnisse für den Trans- ter of operational, airport-related platform. port, die bei bestimmten Gütern, wie etwa However, this cluster is called an airport city Frischeprodukte, medizinische Produkte oder only of it shows the qualitative features of a Ersatzteile, stark ins Gewicht fallen. Auch für city (density, access quality, environment, Geschäftsreisende ist Zeit ein begrenztes Gut. services).« (Güller, Güller 2003, S. 70). Von Damit kreieren Hub-Flughäfen einen Mehr- besonderer Bedeutung sind für die beiden wert für die in der Region ansässigen Unter- Autoren neben der funktionalen Ähnlichkeit nehmen. Der Flughafen wirkt als eine Art die bauliche Kompaktheit sowie das urbane »Katalysator«, der Entwicklungsprozesse be- Umfeld. Inwieweit die Bildung eines urbanen schleunigt und anschiebt. Die Erfassung und Clusters analog gewachsener Innenstädte ge- Messung katalytischer Effekte ist allerdings lingen kann, wird durchaus kontrovers disku- noch in den Anfängen der wissenschaftlichen tiert (Bolte 2009; Conventz 2010; Harsche Diskussion (vgl. Appold, Kasarda 2010; Buser, 2006; Mc Neill 2009). Flitner 2010; Gantenbein 2008). Dennoch ha- Der aktuelle Begriff der »Airport City« ist ben erste empirische Studien ergeben, dass durch den US-amerikanischen Wirtschafts-

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wissenschaftler John D. Kasarda mitbe- punkt der Betrachtung stellt, ist das Konzept stimmt, der dieses Phänomen als eine neue der Airea (Schlaack 2010). Diese Airea um- urbane Form beschreibt und Parallelen zwi- fasst alle Gebiete mit überdurchschnittlicher schen den Funktionen des Flughafens und Entwicklungsdynamik im Verdichtungsraum den innerstädtischen Funktionen zieht. Hier Flughafen, die von diesem beeinflusst wer- seien die Funktionen einer Innenstadt als den, wodurch eher ein Muster von durch den Arbeits-, Einkaufs-, Begegnungs- oder Frei- Flughafen beeinflusster »Inseln« entsteht, die zeitstätte aufgeführt. Anders als Conway fügt untereinander in Verflechtungsbeziehungen Kasarda der »Airport City« das Merkmal der stehen. intermodalen Verkehrsvernetzung zwischen Ein entscheidender Aspekt bei der Ent- den Verkehrsträgern Schiene, Straße und wicklung von Flughafen und Region ist bis- Luft hinzu, die dem Flughafen als Standort her die fehlende räumliche Planung. Die bau- eine optimale Erreichbarkeit zukommen las- liche Umlandentwicklung ist von dezentralen sen. Gleichzeitig erweitert Kasarda die »Air- Planungsentscheidungen der Gemeinden portCity« um den Begriff der »Aerotropolis«, abhängig. Eine staatliche Steuerung auf der welche den Flughafen nebst einer Erweite- Basis eines räumlichen Entwicklungskon- rung durch eine Ansiedlung von Betrieben zeptes für das weitere Flughafenumfeld fehlt in der Nähe und entlang von Verkehrsnetzen vielfach oder ist nur schwer durchsetzbar (De einschließt, wobei er diese auf einen Radius Jong et al. 2008, Freestone, Baker 2009; Knip- von 20 Meilen begrenzt. Somit entwickelt er penberger 2009, 2010; Prins 2008). eher eine normative Idealvorstellung einer Große Flughäfen vermarkten ihre Flä- Flughafenregion als ein empirisch verifizier- che immer stärker als Immobilienstandort, bares Modell (Kasarda 2006; Haas, Wallisch was eine kompakte Gebäudestruktur auf 2008). Auch entspricht dies eher Verhältnis- den Flughafengeländen hervorruft. Dies ist sen des Flächenlandes USA als denen dicht die im Sinne von Güller und Güller (2003) besiedelter europäischer Länder. So konnten definierte und von den Flughafenbetreibern Einig und Schubert (2008) keine Aerotropo- häufig auch so vermarktete »Airport City«. lis-Entwicklung in Deutschland feststellen. In räumlicher Nähe entwickeln sich Gewer- Zurückgeführt wird dies auf die bereits beste- begebiete, die als dispers verteilte Cluster im hende städtische Einbindung vieler Flughä- Raum erscheinen und erst in ihrer Gesamt- fen, wo keine eigenständige Herausbildung heit die Flughafenregion in ihrer flächen- einer Aerotropolis erkannt werden kann. haften Ausdehnung erzeugen. Gleichzeitig Flughäfen im ländlichen Raum hätten zwar profitieren umliegende Gemeinden von den die Flächenpotenziale, doch fehle es hier an Einkommenseffekten durch ein verstärktes wirtschaftlicher Dynamik. An den Flughäfen Arbeitsplatzangebot, was hier zu verstärktem im suburbanen Raum magelt es ebenfalls Wachstum auch durch die Ausweisung neuer an ausreichend verstädtertem Umland sowie Wohngebiete führt. flughafenorientierten Gewerbegebieten. Ein Die von der Wirtschaftskraft eines Groß- gewisses Potenzial für eine Aerotropolis wird flughafens ausgehende Prosperität der Region lediglich dem Flughafen München sowie dem hat jedoch auch ihren Preis: Flughafenbetrei- im Bau befindlichen Airport Berlin-Branden- ber stehen unter einem hohen Wettbewerbs- burg zugesprochen (Einig, Schubert 2008). druck, der sie veranlasst, ständig nach Kapa- Neben den räumlichen Entwicklungskon- zitätserweiterungen zu streben. So wächst zepten von erstens der Airport-City, die sich der Flugverkehr stetig (auch wieder nach ei- auf oder in unmittelbarer Nähe zum Flugha- ner Stagnationsphase während der Weltwirt- fen befindet, und zweitens der Aerotropolis, schaftskrise). Von diesem Wachstum profitie- welche auch das Umland der Flughäfen in ren kann aber nur, wer den entsprechenden einem Umkreis von 20 Meilen einbezieht, Anforderungen an Technik und Größe auch wird drittens das Konzept des Airport-Cor- standhalten kann. Gerade europäische Ver- ridor diskutiert, welcher den Flughafen mit kehrsflughäfen stehen durch die zunehmen- dem Zentrum der Agglomeration verbindet. de Konkurrenz arabischer Flughäfen (Dubai, Dadurch würde eine Entwicklungsachse von Abu Dhabi) heute unter einem besonderen Verkehrsinfrastruktur und Gewerbe entste- Wettbewerbsdruck (Boeing 2011). Mit der Zu- hen (Schaafsma et al. 2008). Ein weiterfüh- nahme von Flächenverbrauch und Flugver- rendes Konzept, das weniger auf eine flächen- kehr steigt aber auch das Konfliktpotenzial hafte räumliche Ausbreitung abzielt, sondern mit einem immer verdichteteren Umland. stärker eine funktionale Verflechtung zwi- Besonders evident werden die Konflikte schen Flughafen und Region in den Mittel- bei Ausbauplanungen von Flughäfen. Hier www.planung-neu-denken.de 4| 11 Cordula Neiberger: Do Airports green cities? ...

scheinen heute die gesetzlich vorgeschrie- des Flughafens für das gesamte Land genannt, benen Verfahrensschritte nicht mehr ausrei- der sich auch in der weitgehenden Akzeptanz chend. Entsprechend werden auch in diesem des bestehenden Flughafenmasterplans äu- Zusammenhang Fragen neuer Governance- ßert (Horrer 2008, Schaafsma 2014). Formen in der Regionalentwicklung disku- In einem flächenmäßig wesentlich größe- tiert, insbesondere korporatistische Modelle, ren und wirtschaftlich stärker diversifizierten deren Zielsetzung eine angemessene Betei- Land ist eine solche Ausrichtung auf rein öko- ligung aller relevanten sozialen Gruppen an nomische Kriterien nicht zu erwarten. Wohl Aushandlungsprozessen ist. Diese scheinen aber lohnt es sich für die Wissenschaft eben- gerade für Großprojekte geeignet, sind von so wie für die Unternehmen und Gemeinden ihnen doch aufgrund ihres Umfanges und darüber nachzudenken, inwieweit ein brei- der entsprechend oft einschneidenden Beein- terer gesellschaftlicher Konsens durch eine trächtigungen viele verschiedenen Akteure nachhaltigere Ausrichtung von Wirtschaft betroffen und die Projekte somit demnach und Gesellschaft erreicht werden kann. stark konfliktträchtig. Dabei sind allerdings weder die Vorgehensweise noch der Ausgang solcher Verfahren unumstritten (Hohn et al. 2. Flughafen und Nachhaltigkeit 2006; Klagge 2006). Ein aktueller Fall ist das Ausbauverfahren Zunehmend virulent sind Themen der Gover- mit vorgeschalteter Mediation am Frankfur- nance in Flughafenregionen insbesondere ter Flughafen. Hier konnten zwar gewalttä- aufgrund der konfliktären räumlichen Bezü- tige Auseinandersetzungen wie beim Bau ge der Flughäfen, welche in erster Linie durch der Startbahn West in den 1980er Jahren vom Flugverkehr generierte externe Kosten verhindert werden, als »gelungen« im Sin- entstehen. Dabei handelt es sich erstens ne der Erreichung verschiedenster Ziele un- um den direkten Output des Luftverkehrs terschiedlicher Interessengruppen kann das (Luftverschmutzung, Bodenverunreinigung, Mediationsverfahren jedoch nicht bezeichnet Lärmbelästigung, Unfallrisiken), zweitens werden. Zwar wurde eine neue Landebahn um auf den Betrieb der Infrastruktur Flugha- gebaut, die Proteste von Einwohnern benach- fen zurückzuführenden Zerstörung von Öko- barter Gemeinden haben heute jedoch ein systemen, Wasser- und Bodenverschmutzung erhebliches Maß erreicht (Horrer, Neiberger sowie Abfallentsorgung und drittens um ex- 2014). terne Effekte der Treibstoffherstellung und Auch wenn das Mediationsverfahren all- Verschrottung der Flugzeuge. gemein als erfolgreich gilt, hat eine Studie Im Zuge der Global-Change-Debatte wird

(Horrer 2008) ergeben, dass im Mediations- aktuell in erster Linie der CO2-Ausstoß von verfahren die Konflikte nicht beigelegt wur- Flugzeugen diskutiert. Hier werden Alter- den, sondern eher in einer verhärteten Form nativen wie beispielsweise Brennstoffzellen in neue Institutionen getragen worden sind. genannt (Janic 2011). Es ist allerdings nicht Zurückgeführt wird dies auf die fehlende zu erwarten, dass kurz- bis mittelfristig ein al- Rechtsverbindlichkeit der Aushandlungser- ternativer Treibstoff eingesetzt werden kann. gebnisse, aber auch auf eine vereinfachende Die Luftfahrt wird also noch über sehr lange Zuspitzung unterschiedlicher Konfliktlagen Zeit an den Rohstoff Öl gebunden sein (Gra- verschiedener Akteure auf die Dichotomie ham, Goetz 2004, Upham et al. 2009, Sausen von (erbitterter) Gegnerschaft und Befürwor- 1999, Scheelhasse 2009). tern. Besonders evident in den Flughafenregi- Dass dies nicht prinzipiell so sein muss, onen ist die Lärmbelästigung, die gerade in zeigt die Studie von Horrer am Beispiel der jüngster Zeit auch an deutschen Flughäfen Erweiterung des Flughafens Schiphol in den (Frankfurt a.M., Berlin) zu starken Konflik- Niederlanden. Auch hier sind viele verschie- ten geführt hat und deshalb im Fokus der öf- dene Interessengruppen beteiligt, die ganz fentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion ähnliche Zielstellungen bei der Erweiterung steht. Ebenso sind Lärmkonflikte für die Flug- des Frankfurter Flughafens verfolgen. Trotz- häfen selbst von hoher Bedeutung, da sie den dem verlief das Ausbauverfahren wesentlich operationellen Betrieb, die mögliche Nutzung weniger konfrontativ und wird insgesamt als von Kapazitäten und die Gesamtentwicklung erfolgreicher bewertet als das deutsche Ver- von Flughäfen maßgeblich beeinflussen kön- fahren. Als Grund hierfür wird ein Konsens nen (Armbruster 1996; Upham et al. 2003; unter allen gesellschaftlichen Gruppen über Janic 2011). Entsprechend bemühen sich ins- die herausragende wirtschaftliche Bedeutung besondere internationale Verkehrsflughäfen

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seit langem um die Reduktion der Belastung on«) schlägt hier zu Buche (Nilsson 2009). der Anwohner; sei es durch direkte Maßnah- Dieses Wachstum übersteigt die positiven men, wie nach Lärmemissionen gestaffelte Effekte der Bündelungsvorteile der Netzwerk- Start- und Landeentgelte oder durch indirekte Carrier. Andererseits umfasst der Nachhal- Maßnahmen wie Schallschutz am Flughafen tigkeitsgedanke eben nicht nur die Ökologie, sowie in den betroffenen Gebieten. sondern zielt auch auf eine soziale Gerechtig- Bemerkenswert sind in diesem Zusam- keit ab. In diesem Sinne kann argumentiert menhang Forschungsergebnisse, die darauf werden, dass gerade die LCC die Mobilität der hinweisen, dass die Stärke des Widerstands sozial Schwächeren erhöht und ihnen damit gegen Ausbaumaßnahmen und Lärmbeläs- eine Teilhabe am Reiseverkehr möglich wird tigung nicht objektiv abhängig ist von der (Graham, Shaw 2008; Barrett 1999, 2004). Stärke der Belästigung, sondern vielmehr die Ebenso wird Nachhaltigkeit im Flugver- Interpretationen der Betroffenen und breite kehr heute aber auch auf einer Mikroebene soziale Geltungskämpfe Gehalt und Verlauf diskutiert. Die Debatte um Definition und entsprechender Konflikte prägen (Flitner Umsetzung nachhaltiger Ziele wird in Po- 2008, 2007, 2003; Sobotta et al. 2007, Suau- litik und Gesellschaft schon seit Mitte der Sanches et al. 2010). 1990er Jahren geführt. Im Bewusstsein von Unternehmen ist sie mit Zeitverzögerung Ausgehend vom Brundtland-Bericht (Hauff erst durch eine verstärkte Wahrnehmung der 1987), in dem Nachhaltigkeit als eine Ent- Interessen der eigenen Stakeholder angekom- wicklung definiert wird, »die den Bedürfnis- men. So belegt eine Studie zu Nachhaltigkeit- sen der heutigen Generation entspricht, ohne spraktiken an Flughäfen, dass die Triebkräfte die Möglichkeiten künftiger Generationen zu dieser Entwicklung neben Verordnungen und gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu be- Politik insbesondere die Interessen der betei- friedigen und ihren Lebensstil zu wählen«, ligten Aktionäre sind (NRC 2008: 9f). hat sich in Wissenschaft, Politik und Wirt- Allerdings unterscheidet sich das Ver- schaft eine rege Diskussion um die Umset- ständnis von Nachhaltigkeit teilweise erheb- zung dieses Gedankens entwickelt. Dabei hat lich zwischen den verschiedenen Akteuren sich heute weitgehend die Sichtweise einer des Flugverkehrs und einzelner Flughäfen. gleichzeitigen Umsetzung von ökologischen, Zudem ist aufgrund der Vielzahl beteiligter ökonomischen und sozialen Zielen durchge- Akteure die Erfassung fraglos komplex und setzt, die im Tripple-Bottom-Line-Ansatz und überaus aufwändig. Auch besitzt die Erfas- anderen Konzepten ihren Ausdruck findet. sung von Nachhaltigkeit durchaus einen nicht Ziel ist letztlich der Ausgleich von Interessen, zu vernachlässigenden politischen Charakter, um eine nachhaltige Entwicklung im Sinne wird doch so das Nachhaltigkeitsverständnis der Brundtland-Definition zu erreichen. öffentlich und werden auf diese Weise Infor- Immer breiteren Raum nimmt diese mationen an vielfältige Interessenvertreter Diskussion heute auch im Bereich des Luft- gegeben, aus denen wiederum nicht vorher- verkehrs in Wissenschaft und Praxis auf ver- sehbare Handlungen entstehen können (Ja- schiedenen Ebenen ein. nic 2010: 217f; Upha, Mills 2005:167). Auf der Makroebene werden insbesondere Mittlerweile gibt es eine Vielzahl interna- Beziehungen von Liberalisierung, Globalisie- tionaler Standardisierungsbestrebungen bei rung und Nachhaltigkeit diskutiert (Graham, der Messung von Nachhaltigkeit in verschie- Goetz 2004; Graham, Guyer 1999; Upham denen Wirtschaftsbranchen. Auch Unterneh- et al. 2003). So wird einerseits argumentiert, men selbst entwickeln und veröffentlichen dass Globalisierungs- und Liberalisierungs- Kennzahlen, so auch in der Luftfahrtbranche, strategien von Airlines diesen Sektor rationa- wo eine große Anzahl von Flughäfen Berich- lisiert haben und damit durch eine effiziente- te unterschiedlicher Art veröffentlichen. Pro- re Organisation einen positiven Einfluss auf blematisch erscheint dabei, dass keinerlei die Nachhaltigkeit des Luftverkehrs haben. Vollständigkeit gewährleistet ist und damit Eine alternative Interpretation ist, dass das einzelne Variablen bis hin zu ganzen The- Resultat von Globalisierung und Liberalisie- menkomplexen gar nicht behandelt werden rung ein starkes Wachstum von Wettbewerb (müssen). Dies kann auf fehlende Datenver- und Verkehr ist und dies die negativen sozia- fügbarkeit zurückgeführt werden, aber durch- len und Umweltauswirkungen verstärkt. aus auch auf eine gezielte Auswahl von Daten Insbesondere das überdurchschnittliche im Sinne einer positiven Imagebildung. Eine Wachstum der Low-Cost-Carrier (LCC) infol- internationale Vergleichbarkeit ist somit je- ge von Deregulierungen (»low cost revoluti- denfalls nicht gegeben. www.planung-neu-denken.de 6| 11 Cordula Neiberger: Do Airports green cities? ...

Die Global Reporting Initiative (GRI) von Vorgaben in den Bereichen Planung, als gemeinnützige Initiative von Ceres und Operation, Instandhaltung, Design und Kons- dem Umweltprogramm der Vereinten Nati- truktion mit Punkten bewertet. Ähnlich funk- onen (UNEP) versucht, die Nachhaltigkeits- tioniert das »LEED Green Building Rating berichterstattung von Organisationen welt- System«, welches vom US Green Building weit zu unterstützen, indem sie Standards Council´s Leadership in Energy and Envi- für diese entwickelt. Hiermit ist ebenso eine ronmental Design (LEED) aufgebaut wurde Fortschrittsdokumentation möglich. Für und auf Design, Konstruktion, Operation und die Anwendung zur Nachhaltigkeitsmes- Umbauten von Gebäuden abzielt (Ashford et sung speziell auf Flughäfen wurde 2011 der al. 2011: 753). Berichtsrahmen »Sustainability Reporting Weiter gehen die Empfehlungen der »Sus- Guidlines & Airport Operators Sector Sup- tainable Aviation Guidance« (SAGA), die von plement« entwickelt (GRI 2011). Die Tabelle 1 verschiedenen US-amerikanischen Verbän- (S. 7) fasst die von der GRI empfohlenen Indi- den der Flugbranche und der »Federal Avia- katoren zusammen. tion Administration« (FAA) getragen werden Hier wurde ein überaus umfangreiches und deren Ziel es ist, amerikanische Flug- Indikatorenset zusammengetragen, welches hafenbetreiber bei der Planung, Implemen- alle drei Bereiche der Nachhaltigkeit abdeckt. tierung und Durchführung von Nachhaltig- Dabei setzen sich die einzelnen Teilbereiche keitsstrategien in ihr Unternehmenskonzept aus unterschiedlichen Arten von Indikato- zu unterstützen. Sie geben mittels einer sehr ren zusammen. Zum einen sind dies klassi- umfangreichen Aufzählung konkrete An- sche Indikatoren absoluter Messzahlen, wie regungen zur Ausgestaltung einer eigenen Energieverbrauch, Wasserentnahme oder Nachhaltigkeitskonzeption (SAGA 2014). Infrastrukturinvestitionen, mit deren Hilfe Eine Untersuchung zu Nachhaltigkeitsbe- in Form von Input-Outputrechnungen der richten von europäischen Verkehrsflughäfen Einsatz bzw. der Verbrauch von Ressourcen hat allerdings ergeben, dass europäische Flug- eindeutig zu bestimmen ist. Daneben wer- häfen noch am Anfang ihrer Entwicklung zu den spezielle Nachhaltigkeitsindikatoren einer Nachhaltigkeitsstrategie stehen. Trotz- abgefragt, wie »Auswirkungen des Wasser- dem veröffentlichen 21 von 49 Flughäfen verbrauchs« oder »Auswirkungen auf das Ge- bereits Nachhaltigkeitsberichte (mehr oder meinwesen«. Ergänzt werden diese Variablen weniger großen Umfangs). Weitere 19 Flug- durch Abfragen zu Konzepten und Initiativen häfen beschäftigen sich mit Umweltaspekten. (beispielsweise »Initiativen zur Verringerung Bei lediglich acht europäischen Flughäfen der Treibhausgasemissionen« oder »Grund- konnten keine Konzepte oder zielgerichtete sätze und Maßnahmen zur Verhinderung von Informationen erkannt werden. Hierbei han- Kinderarbeit«). delt es sich in erster Linie um osteuropäische In ihrer Gesamtheit handelt es sich bei die- Flughäfen (Trapp 2011). sem Indikatorenset um eine äußerst umfang- Allerdings leisten dabei nur wenige eine reiche Handreichung zur Bestandsaufnahme. systematische und umfassende Aufarbeitung Die Vollständigkeit der Nachhaltigkeitsmes- der Nachhaltigkeitsmessung, wie von der GRI sung wird von der GRI selbst in einem Sys- vorgeschlagen. Insbesondere Hub-Flughäfen tem unterschiedlicher Applikationsebenen sehen sich in der Pflicht und stellen um- bewertet. Die höchste Stufe bedeutet dabei fangreiches Zahlenmaterial zur Verfügung. eine vollständige Implementierung der GRI- Dabei arbeitet im europäischen Raum bisher Standards. Durch die verschiedenen Abstu- lediglich der Frankfurter Flughafenbetrei- fungen kann der Umfang der Messung von ber Fraport mit den GRI-Standards; Amster- Nachhaltigkeit an einem Flughafen bestimmt dam Schiphol, London Heathrow und Paris werden. Jedoch gibt die Zertifizierung der Charles-de Gaule veröffentlichen ebenfalls GRI nur Auskunft über den Grad der Mes- ausführliche Nachhaltigkeitsberichte. Diese sung, nicht aber, ob ein Flughafen nachhaltig sind allerdings erstens in ihrem Kennzahlen- operiert oder ob er sich um eine nachhaltige system längst nicht so umfangreich wie das Entwicklung bemüht. der GRI, zweitens liegt der Fokus eindeutig Hierzu sollen Rating Systeme dienen, die auf den ökologischen Variablen und drittens das Erreichen bestimmter Vorgaben messen. scheinen diese mitunter willkürlich ausge- Das Green Airplane Rating System (SAM) wählt. Auch das GRI-Kennzahlensystem von wurde in Zusammenhang mit dem Sustaina- Fraport ist bei weitem nicht vollständig, hier ble Airport Manual des Flughafens Chicago verweist das Unternehmen auf das Nichtvor- O´Hare entwickelt. Hier wird das Erreichen handensein spezieller Daten im Unterneh-

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Ökonomische Leistungsindikatoren Ökologische Leistungsindikatoren Sozial (gesellschaftliche) Leistungsindikatoren Ökonomische Leistung (unmittelbar Material, Energie und Wasser (eingesetzte Arbeitspraktiken und menschenwürdige erzeugter und ausgeschütteter wirtschaftli- Materialien, Anteil der Materialien, die Beschäftigung (Gesamtbelegschaft, Mitar- cher Wert, finanzielle Folgen des Klimawan- recycelt werden, direkter und indirekter beiterfluktuation, Leistungen für Vollzeitbe- dels, Umfang der betrieblichen sozialen Energieverbrauch, Energieeinsparung schäftigte, Rückkehr an den Arbeitsplatz nach Zuwendungen, finanzielle Zuwendungen aufgrund von umweltbewusstem Einsatz Elternzeit, Beschäftigte mit Tarifverträgen, der öffentlichen Hand) und Effizienzsteigerung, Initiativen zur Mitteilungsfristen für wesentliche betriebliche Gestaltung von Produkten mit höchster Änderungen, in Arbeitsschutzausschüssen Energieeffizienz, Initiativen zur Verringe- vertretene Beschäftigte, Berufskrankheiten rung des indirekten Energieverbrauches, und Abwesenheiten, Weiterbildung bezüglich Gesamtwasserentnahme, Qualität des ernsthafter Krankheiten, Arbeits- und Sicher- Niederschlagswassers, Auswirkungen des heitsvereinbarungen mit Gewerkschaften, Wasserverbrauchs, Rückgewonnenes und Aus- und Weiterbildungszeit pro Beschäftigte, wiederverwendetes Wasser) Programme für das Wissensmanagement und lebenslanges Lernen, Anteil Beschäftigte mit regelmäßiger Leistungsbeurteilung, Zusam- mensetzung Beschäftige, Verhältnis des Grundgehalts von Männer und Frauen ) Marktpräsenz (Eintrittsgehälter im Verhält- Biodiversität (Grundstücke in oder angren- Menschenrechte (Investitionsvereinbarungen nis zum lokalen Mindestlohn, Standortbe- zend von Schutzgebieten oder Gebieten mit Menschenrechtsklauseln, Lieferanten die zogene Auswahl von Zulieferern, Passa- mit hohem Biodiversitätswert, Auswirkun- unter Menschenrechtsaspekten geprüft wer- giere, Flugbewegungen, Cargo-Volumen, gen auf die Biodiversität, geschützte oder den, Schulungen zu Menschenrechtsaspekten Standortbezogene Personalauswahl) wiederhergestellte natürliche Lebensräu- und Vorfällen von Diskriminierung sowie me, Strategien zum Schutz der Biodiversi- ergriffene Maßnahmen, Vereinigungsfreiheit tät, gefährdete Arten) und Kollektivvereinbarungen, Grundsätze und Maßnahmen zur Verhinderung von Kinder- arbeit, Grundsätze und Maßnahmen zur Verhinderung von Zwangsarbeit, Schulung des Sicherheitspersonals, Verletzung der Rechte von Ureinwohnern, Geschäftstätigkeiten, die Gegenstand einer Bewertung hinsichtlich Menschenrechtsaspekten waren, Anzahl der Beschwerden in Bezug auf Menschenrechte) Indirekte ökonomische Effekte (Infrastruk- Emissionen, Abwasser, Abfall und Lärm Gesellschaft (Auswirkungen auf das Gemein-

turinvestitionen und Dienstleistungen für (Treibhausgasemissionen, NO2, SO2 und wesen, Geschäftstätigkeiten mit signifikanten das Gemeinwohl, indirekte wirtschaftliche andere Luftemissionen, Initiativen zur potenziellen oder tatsächlichen negativen Aus- Auswirkungen) Verringerung der Treibhausgasemissionen, wirkungen auf die lokalen Gemeinschaften, Emissionen Ozon abbauender Stoffe, implementierte Präventions- und Gegenmaß- Abwassereinleitung, Abfall nach Entsor- nahmen, Personen, die vom Flughafen-Betrei- gungsmethode, wesentliche Freisetzungen, ber vertrieben wurden, Entschädigungsmaß- Luftqualität, Flächen- und Flugzeugent- nahmen, Anteil/Anzahl auf Korruptionsrisiken eisungsmittel), gefährliche Abfälle nach untersuchte Abteilungen, Anteil der bezüglich der Basler Konvention, Auswirkungen von Antikorruption geschulten Beschäftigten, Wassereinleitungen auf die Biodiversität, Korruptionsfälle und ergriffene Maßnahmen, Sanktionen wegen Umweltverstößen, politische Positionen und Lobbying, Zuwen- Veränderung von Anzahl und Zusammen- dungen an Parteien und Politiker, Klagen setzung der Einwohner in von Fluglärm aufgrund von wettbewerbswidrigem Verhal- betroffenen Gebieten) ten, Wesentliche Bußgelder wegen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften) Produkte, Dienstleistungen, Transport und Produktverantwortung (Gesundheits- und Si- Gesamtbetrachtung (Initiativen zur Mini- cherheitsauswirkungen entlang des Produktle- mierung von Umweltbelastungen durch benszyklus, Verstöße gegen Gesundheits- und Produkte und Dienstleistungen, zurückzu- Sicherheitsstandards, Wildunfälle, gesetzlich nehmendes Verpackungsmaterial, wesent- vorgeschriebene Informationen über Produk- liche Umweltauswirkungen von Transport te, Verstöße gegen Standards zur Kennzeich- und Verkehr, Veränderung von Anzahl und nung von Produkten, Kundenzufriedenheit, Zusammensetzung der Einwohner in von Standards in Bezug auf Werbung, Verstöße Fluglärm betroffenen Gebieten, Anzahl der gegen Werbungsvorschriften, Verletzung des Wildunfälle pro 10.000 Flugbewegungen, Schutzes der Kundendaten, Sanktionen wegen Gesamte Umweltschutzausgaben und Produkt- und Dienstleistungsauflagen) -investitionen, Sanktionen wegen Umwelt- verstößen )

Tabelle 1: Zusammenfassung der Nachhaltigkeitsindikatoren für Flughäfen nach GRI 2011 www.planung-neu-denken.de 8| 11 Cordula Neiberger: Do Airports green cities? ...

men. Teilweise sind die Aussagen und An- schaftlichen sozialen Aspekt beinhalten, da kündigungen sehr allgemein gehalten. diese sich gegenseitig bedingen. An Zertifizierungsprogrammen haben Setzt sich die eingeschlagene Entwicklung nur wenige Unternehmen teilgenommen, un- der Messung von Leistungskennzahlen der ter ihnen der Flughafen Schiphol, der für sein Nachhaltigkeit sowie der Zertifizierung von Bürogebäude »TransPort« als erstes Unter- Projekten fort, so wird es in Zukunft möglich nehmen in den Niederlanden überhaupt ein sein, Flughäfen auch in diesem Feld mitein- LEED-Zertifikat für ein nachhaltiges Gebäude ander zu vergleichen. Nachhaltigkeit kann erhalten hat. In den USA können schon eine damit zu einem Wettbewerbsfaktor für diese Vielzahl von Flughäfen LEED-Zertifikate für Flughäfen werden. (Terminal-)Gebäude aufweisen. Ebenso er- hielten das neue multifunktionale Gebäude »The Squaire« am Flughafen Frankfurt sowie 3. Nachhaltigkeit und Region dessen Parkhaus ein solches Zertifikat (Schip- hol 2014, The Square 2014). Flughafenregionen sind aufgrund des zuneh- menden Flugverkehrs und entsprechenden Insgesamt kann konstatiert werden, dass die externen Effekten – bei gleichzeitig wirt- europäischen Verkehrsflughäfen die Notwen- schaftlich prosperierenden Regionen – Räu- digkeit einer Darstellung ihrer Umwelt- und me mit hohem Konfliktpotential. Eine Zu- Nachhaltigkeitsaktivitäten erkannt und um- spitzung bestehender Landnutzungskonflikte gesetzt haben. Aus diesen vielfältigen Darstel- erfährt die Region regelmäßig in Ausbausitu- lungen lässt sich jedoch nicht messbar und ationen, deren formelle Planungsverfahren vergleichend ablesen, inwieweit tatsächlich nicht mehr auszureichen scheinen, um diese zielgerichtete Bemühungen zu einer nachhal- zu lösen. Entsprechend wurden schon in der tigeren Entwicklung bestehen und welche Er- Vergangenheit Mediationsverfahren vorge- folge diese bisher erzielt haben. Die Mehrheit schaltet (z.B. Frankfurt a.M.), die aber, wie der Flughäfen befindet sich eher im Stadium schon geschildert, auch nicht zwingend zu einer (mehr oder weniger) umfassenden und einem umfassenden Erfolg führen. (mehr oder weniger) strukturierten Datener- Neue Ansätze versuchen deshalb nach fassung sowie ersten Einzelmaßnahmen. Beendigung des Planungsverfahrens eine Diese unternehmensseitigen Anstren- Art »planerische Nachsorge« zu betreiben, gungen können im Wesentlichen aber wie in deren Zielsetzung die Wiedergewinnung von anderen Wirtschaftszweigen auch als »Green Lebensqualität in betroffenen Kommunen ist. Gold-Activities« bezeichnet werden (Good- Beispiel hierfür ist die Initiative »fAIRleben«, win 1993, Upham et al. 2003). Hier werden welche von einem interdisziplinärem Projekt- bei einer neuen, nachhaltiger ausgerichteten team der TU Berlin in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsweise direkte ökonomische Vortei- Kommunen in räumlicher Nähe des neuen le realisiert. Der Großteil der aktuellen unter- Berliner Flughafens gestaltet wird. Ziel ist es, nehmerischen Maßnahmen im Bereich der eine »positive und zukunftsfähige Gemeinde- Nachhaltigkeit konzentriert sich auf derartige entwicklung voran zu bringen« (Orth-Hein, Maßnahmen. Dies sind bei so großflächigen Pape 2014: 18). Im Fokus stehen dabei diejeni- Unternehmen wie Flughäfen in erster Linie gen Gemeinden, die zukünftig in besonderem Maßnahmen, die auf die Kostenreduktion bei Maße von Fluglärm betroffen sein werden. Betrieb und Unterhaltung von Gebäuden und Mit ihnen und für sie werden verschiedene technischen Anlagen zielen. Maßnahmen ergriffen, wie bauliche Verän- Strategisch weitreichende Prozesse, wel- derungen im öffentlichen Raum, thematisch che auf eine ganzheitlich nachhaltige Ori- fokussierte Weiterbildung, Maßnahmen zur entierung der wirtschaftlichen Aktivitäten gesundheitlichen Vorsorge etc. Das Bild des zielen, ohne dabei gleichzeitig unmittelbare Flughafens ist dabei jedoch eindeutig nega- ökonomische Effizienzsteigerungen zu ge- tiv: Er ist der Verursacher der Probleme, der nerieren, werden entgegen ihrer inhaltlichen auch nach einem abgeschlossenen Verfahren Wichtigkeit in Praxis und Forschung noch »nicht aus der Verantwortung zu entlassen« lediglich unzureichend betrachtet und im- sei (Orth-Hein, Pape 2014). Ein konstruktiver plementiert. Eine ernstgemeinte nachhaltig Dialog scheint in diesem Falle nicht möglich orientierte Wirtschaft muss jedoch zwingend bzw. angestrebt zu sein. auch die beiden anderen Zielgrößen der Es ist jedoch dringend notwendig, eine Nachhaltigkeit, der Ökologie und dem gesell- konstruktive (Planungs)-Zusammenarbeit

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innerhalb der Flughafenregionen anzustre- für eine Entwicklung der Flughafenregion ben. Fruchtbar wird diese vor allem dann denkbar. sein, wenn sie nicht erst im »Stressfall« eines Solche Ansatzpunkte der Zusammenar- Ausbauvorhabens beginnt, sondern im Sinne beit könnten verkehrsplanerische Themen einer nachhaltigen Entwicklung der Gesamt- sein, wie ein Ausbau eines Verkehrsnetzes, region langfristig angelegt ist. das nicht nur auf den überregionalen Ver- Zudem stehen sich oftmals nicht nur kehrs-Hub Flughafen ausgerichtet ist, son- Flughäfen und Region konträr gegenüber, dern auch eine Teilhabe benachbarter (und auch die Kommunen verfolgen eigene Par- wegen zu geringen Aufkommens häufig tikularinteressen, die nicht im Einklang mit ausgeschlossener) Gemeinden gewährleistet. einer nachhaltigen Gesamtentwicklung der Dies betrifft beispielsweise Haltestellen des Flughafenregion stehen. Hierfür wäre eine ÖV oder im Sinne der neuen Elektromobilität die Interessen ausgleichende, langfristig wir- die Bereitstellung von Ladestationen. kende Regionalplanung notwendig. Dem ste- Letzteres ist an Einzelbeispielen schon hen bisher die oftmals kurzfristig gedachten zu sehen. So werden neben der Einführung Planungsziele der Gemeinden im Rahmen ih- von Biogas- und Elektrofahrzeugen in der ei- rer kommunalen Planungshoheit entgegen. genen Flotte (insbesondere E-Busse auf dem Nachhaltigkeit kann jedoch nicht in Gemein- Vorfeld) am Flughafen Schiphol auch Auf- degrenzen gedacht werden, sondern muss ladestationen für E-Taxis und private E-Pkw sich in einer Planungsidee für die Gesamtre- zur Verfügung gestellt. Sicherlich muss dabei gion niederschlagen. hinterfragt werden, inwieweit es sinnvoll ist, Aber auch Flughäfen sollten ihr Umland ausgerechtet den motorisierten Individual- nicht weiter als notwendiges Übel betrachten, verkehr zu unterstützen, auch wenn er auf dem man eher gezwungenermaßen in »guter Elektrobasis arbeitet. Weitreichender wäre Nachbarschaft« begegnet – Ausdruck hiervon hier der Einsatz von E-Bussen sowie Straßen/ sind die vielfältigen öffentlichen Auftritte zur Stadtbahnen. Neben der Erhöhung der Er- Imageverbesserung. Nachhaltigkeit bedeutet reichbarkeit wäre somit auch ein Beitrag zur auch, die Existenz und Entwicklungsberechti- Lärmminderung geleistet. gung dieser Gemeinden anzuerkennen. Neben dem Verkehrsbereich gibt es viel- Ein Nachhaltigkeitsdiskurs muss nicht fältige weitere Themengebiete, die sich für zwangsläufig von Kommunen angestoßen eine Zusammenarbeit zwischen Flughäfen werden, Nachhaltigkeit wird zunehmend und Regionen anbieten. So sind Flughäfen auch in Unternehmen gedacht. Dies kann große Energieverbraucher, neben Kerosin nicht an den Unternehmensgrenzen en- sind dies insbesondere Wärme und Strom. den, sondern bedeutet durchaus auch eine Gerade im »Energiewende-Land« Deutsch- Veränderung der Beziehung zwischen Un- land ergeben sich hier vielfältige Ansatzpunk- ternehmen und Stakeholdern. Für Großun- te einer grüneren Energieversorgung, sei es ternehmen wie Flughafenbetreiber sind das durch Photovoltaik oder Biomasse. Dies kann Aktionäre, Unternehmen auf dem Flughafen, auf eigenem, lärmbelasteten Gelände, aber Zulieferer, Firmenkunden, Passagiere etc. auch im vom Lärm betroffenen Umland eine Gerade bei großflächigen Infrastrukturen, die Möglichkeit der (durchaus profitablen) Flä- durch Flächenverbrauch und externe Effekte chennutzung sein. in einem schnell gewachsenen, regionalen Umfeld agieren, sind aber auch die unmittel- Wollen Kommunen und Flughäfen die Ver- bar angrenzenden Kommunen sowie Bürger, antwortung einer nachhaltigen Entwicklung Unternehmen und Verbände wichtige Stake- ernst nehmen, müssen sie sich als Partner holder, die es zu beachten gilt. verstehen und zu einer langfristigen, strate- Entsprechend sollte das regionale Umfeld gischen und konstruktiven Zusammenarbeit in eine nachhaltige Unternehmensausrich- bereit sein. Flughäfen können dabei durchaus tung einbezogen werden. So wären vielfältige eine »Innovationsführerschaft« in der Region Ansatzpunkte einer von Flughafenbetreibern übernehmen, indem sie Anstöße für eine und regionalen Entscheidungsträgern ge- nachhaltige Entwicklung geben. meinsam erarbeiteten nachhaltigen Strategie

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Partzipative Kunst – Stadtgestaltung durch temporäre Interventionen

Welche Rolle können temporäre künstlerische Aktionen bei der Gestaltung von Stadträumen Berding, Ulrich (rechts), spielen – insbesondere im Dialog mit den verschiedenen Akteuren der Stadt? Im Vergleich *1971, Dr.-Ing., Dipl.-Ing. zur üblichen Bauplanung bieten Interventionen viele Vorteile, mit denen das klassische In- Landschafts- und Freiraum­ strumentarium der Bau- und Planungskultur sinnvoll ergänzt werden kann: Sie sind leicht planung, Akademischer zu planen und mit überschaubarem Aufwand durchzuführen. Sie können spielerisch agieren Oberrat a.Z. am Lehrstuhl und haben künstlerischen Anspruch. Sie stoßen einen Prozess an und sind ergebnisoffen. Sie für Planungstheorie und setzen Impulse und eröffnen den Dialog mit den Bürgern und sind damit ein probates Mittel Stadtentwicklung der partizipativer Prozessgestaltung in der Stadtentwicklung. RWTH Aachen Kluge, Florian (links) *1971, Prof. Dr.-Ing., Dipl.-Ing. Architekten und Planer haben in der Regel und richtigen Entwurf für die Gestaltung Landschafts- und Freiraum­ den professionellen Anspruch, für soziale, stadt-räumlicher Wirklichkeiten zu erstellen planung, Fach-Ing. ökonomische, verkehrliche und viele ande- in der Lage ist? Wie kann man da sicher sein, Bauprojektmanagement, re Problemstellungen bauliche Lösungen zu dass der geplante Hochbau oder Stadtraum Professor für Projekt­ schaffen, die eine gewisse Zeit Bestand haben. wirklich die Ansprüche erfüllt, die an ihn ge- management an der Alanus Die Lebensdauer von Bauwerken wird daher stellt werden? Ist es nicht viel nahe liegender, Hochschule für Kunst und in aller Regel nicht in Stunden und Tagen kal- diesen dynamischen und kurzfristigen Stadt- Gesellschaft in Alfter bei Bonn kuliert, sondern in Jahren und Jahrzehnten. Entwicklungen auf eine ebensolche Weise zu Doch gleichzeitig zeichnet sich immer deutli- begegnen? Also nicht auf Anhieb die eine und cher ab, dass das (städtische) Leben von einer ultimative Dauerlösung zu finden, sondern wachsenden Dynamik und von einer zuneh- – erst einmal – im Dialog mit den Akteuren menden Ausdifferenzierung der Lebensstile, eine einfache und ebenso schnell errichtete der sozialen Milieus, Bedürfnisse und Tages- wie wieder entfernte Maßnahme zu ergreifen abläufe geprägt ist. Welcher Planer kann für und dann zu sehen, wie es weitergehen könn- sich in Anspruch nehmen, so weit gehende te. Solch ein experimenteller, spielerischer Kenntnisse über die komplexen Prozesse der und temporärer Ansatz eröffnet Lern- und Er- Stadtentwicklung und Handlungsmuster der kenntnischancen, ist jedoch häufig nicht im vielfältigen Akteure und Nutzer zu haben, »professionellen« oder »seriösen« Repertoire dass er Kraft seiner Qualifikation den einen des Planer-Handels zu finden. Es stellt sich

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die Frage: Warum eigentlich nicht? Es gibt definitive Verbauung in Angriff zu nehmen räumliche Situationen, in denen zunächst sei, oder nicht« (Sitte 2001/1909: 184). unklar ist, ob und wie überhaupt gehandelt Gerade in öffentlich zugänglichen Stadt- werden kann und soll. In diesem Moment räumen, in denen viele Nutzungsinteres- bieten sich künstlerische Interventionen, sen von Eigentümern, Mietern und Nutzern Aktionen und Experimente an, um heraus- aufeinandertreffen und unterschiedlichste zufinden, worum es an diesem bestimmten Anforderungen von Verkehr, Konsum und Ort gehen sollte, was fehlt, was zu viel ist, was Unterhaltung bis zur Erholung zusammen- gewünscht, was abgelehnt wird. Schon allein laufen, können künstlerische Aktionen An- das Signalisieren von Interesse, das Bündeln sprüche und Wünsche zutage fördern und von Aufmerksamkeit an einem Ort, das ge- moderieren. Dabei erschließen sich viele Di- zielte Hinschauen und Zuhören kann diesen mensionen, Bedeutungen und Funktionswei- nachhaltig beeinflussen: »An manchen Or- sen öffentlicher Räume im Kern erst durch ten ist der Versuch entscheidend, eine zeit- die Verbindung abstrakter und gedanklicher gemäße Form der nachhaltigen Flächenge- Auseinandersetzung mit dem direkten Erle- staltung und -nutzung zu finden. Manchmal ben und dem eigenen Agieren und Eingrei- ist diese Suche offensichtlich wichtiger als fen. Die Verbindungen von Nutzerverhalten, das Schaffen beständiger Orte« (Havemann/ Nutzeräußerungen, Atmosphäre des Raumes Schild 2006, 23). Klaus Selle beschreibt dies und Charakteristika baulicher Elemente wer- so: »Fachleute der räumlichen Gestaltung (…) den dann besonders gut erkennbar, wenn müssen sich einerseits mit den Bedingungen aktiv in die bestehenden Gefüge eingegrif- auseinandersetzen, die zur Entstehung und fen wird, wenn Veränderungen oder sogar Entwicklung von Räumen führen, wenn ihre bewusste Störungen vorgenommen werden. baulichen Interventionen wirksam und sinn- Temporäre Aktionen und künstlerische Inter- voll sein sollen. Sie können aber auch zur Ent- ventionen lassen sich quasi als Diagnoseins- wicklung von Räumen beitragen ohne Bauten trumente für Stadträume einsetzen, indem zu erstellen, Platzgrundrisse zu ändern oder sie »Räume auf Zeit« bilden. Dabei werden Bäume zu pflanzen: Auch neue Bilder und Stadträume mit geringem baulichen Auf- Entwürfe möglicher Räume können die Vor- wand so verändert, dass sie mit den Seh- und stellungskraft anregen, den Blick auf längst Nutzungsgewohnheiten der Passanten und bekannt erscheinende Orte verändern. Eben- Anwohner brechen und diese zur Stellungs- so wirkungsvoll sind Inszenierungen, unge- nahme – in Wort oder Tat – auffordern. Von wohnte Nutzungen, Ereignisse, Installatio- Vorteil ist hier die begrenzte Zeit: der Ein- nen, Interventionen in den Alltag des Ortes.« griff besteht nur während eines übersichtli- (Selle in Beeren et al. 2013: 7). chen Zeitraumes, danach ist alles wieder ver- Für Planerinnen und Planer öffnet diese schwunden. Verschiebung der zeitlichen Maßstäbe einer- Temporäre Aktionen sind leicht zu planen seits und der Zielsetzung andererseits neue und mit überschaubarem Aufwand durchzu- Perspektiven. Denn in aller Regel lernen führen – jedenfalls im Vergleich zu dauer- sie, Dauerlösungen im Entwurfsmaßstab zu haften Planungen und Änderungen. Künst- entwickeln. Die Umsetzung temporärer Ak- lerische Aktionen können spielerisch agieren tionen in Lebensgröße bedeutet auch neue und haben nicht den Anspruch langfristige Möglichkeiten, urbanes Leben zu verstehen, und großformatige Antworten auf räumli- städtische Akteure kennenzulernen und die che und gesellschaftliche Fragen zu haben. Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Ein- Zudem sind sie ergebnisoffen. Ein Prozess flussnahme auszuloten. Zugleich können wird angestoßen, aber was dann geschieht, ist Fachleute wie Laien die Erfahrung machen, nicht plan- oder vorhersehbar: Was passiert? wie Geplantes im Raum wirksam wird und Was ist, wenn nichts passiert? Gibt es Protes- überprüfen, inwieweit Plan und Umsetzung te? Gibt es Zustimmung? Gelingt es, die Akti- korrelieren oder voneinander abweichen. on wie vorgesehen durchzuführen? Wird die Schon Camillo Sitte (1843–1903), der die Aktion evtl. abgebrochen – durch die Polizei, Stadtplanung maßgeblich beeinflusst hat, leg- das Ordnungsamt? Werden Nutzerinnen und te Planern nahe, ihre Ideen über Provisorien Nutzer mitmachen? Was ist, wenn sie nicht zu überprüfen und anschaulich zu machen: mitmachen? »Da würde jedermann, auch der Laie, die Wir- Wichtig ist die Erkenntnis: temporäre kung beurteilen können, und die öffentliche künstlerische Aktionen können sich versteti- Meinung wäre sicherlich in die Lage gesetzt, gen, müssen es aber nicht. Sie können Ent- zu entscheiden, ob nach diesem Modell eine wicklungsimpulse setzen, müssen aber nicht

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automatisch der erste Schritt einer »klassi- Mit Hilfe der SPACEmaker! gelang es aber schen« Planung sein. Temporäre Aktionen auch, räumliche Potentiale und gestalterische dürfen enden, ohne gleich als Misserfolg zu Chancen aufzeigen. Im 1:1-Maßstab wurden gelten. Sie dürfen vorübergehen. publikumswirksame Bilder kreiert, Verkehrs- In welchem Maße temporäre künstleri- räume zu temporären Freiräumen umgestal- sche Interventionen einen Beitrag zur Ent- tet, Labyrinthe geschaffen, Fußgängerbewe- wicklung von Räumen, Quartieren und Ge- gungen umgeleitet oder mobile Stadt-Räume meinschaften leisten können und wieviel gebildet. Für Passanten und Verkehrsteilneh- Partizipation in diesem Rahmen erfolgen mer wurde damit zum einen spürbar, wie sehr kann, ist pauschal nicht zu bewerten. Inten- die Stadt vom PKW-Verkehr geprägt ist. Zum sität, Ausstrahlung und Impulswirkung einer anderen veranschaulichte die Aktion, wie vie- jeden Aktion ist abhängig von den beteiligten le Möglichkeiten die Stadt für Nutzungen jen- Akteuren, der strukturellen Organisation, der seits des motorisierten Verkehrs bietet. institutionellen Einbindung, den finanziellen Begleitet von Fernsehen und Presse, wur- Rahmenbedingungen, manchmal auch von de das Ziel der Aktion, Aufmerksamkeit für Zufällen und nicht zuletzt vom Engagement den Verkehr in der Stadt zu wecken erreicht: einzelner Personen. Dies soll im Folgenden Die Studierenden kamen mit zahlreichen in- an drei Projektbeispielen gezeigt werden. teressierten Bürgern ins Gespräch und konn- ten lebhafte Diskusionen vor Ort führen, die Abbildung 1 & 2: SPACEmaker! ohne Kunst sicher nicht möglich gewesen in Bonn, Fotos: Nola Bunke, Projektbeispiel SPACEmaker! wären. Atelier Nola, Köln

Unter dem Motto »Statt Verkehr Stadt« führ- te die Bundesstiftung Baukultur im Juni 2012 den Konvent der Baukultur durch. In Ham- burg versammelten sich rund 350 Berufene – Bauherren, Planer, Architekten, Ingenieure und politisch Verantwortliche – und diskutie- ren über die Vereinbarkeit von Baukultur und Mobilität. Die Bundesstiftung wollte damit auf diese gesellschaftliche Herausforderung auf- merksam machen und die Bedeutung guter Verkehrsbaukultur für die Lebensqualität in unseren Städten veranschaulichen. Begleitet wurde der Konvent von temporären künstle- rischen Interventionen im städtischen Raum, die das Thema des Konvents interpretierten und als dezentrale bundesweite Leuchttürme zum Konvent agierten. Im Rahmen des Wett- bewerbs der Aktion_Baukultur wurden zwölf Projekte in zwölf Städten ausgewählt und fi- nanziell unterstützt, neben Aktionen u.a. in Berlin, Dresden, Hamburg, Hannover und München auch das Projekt »SPACEmaker!« in Bonn (Abb. 1 & 2). Mit Hilfe von mobilen zweiflügeligen Wandmodulen wurden elf Studenten der Alanus Hochschule und der RWTH Aachen zu »SPACEmakern«. Mit mehreren Choreo- graphien bewegte sich die Aktion durch die Bonner Innenstadt zwischen Hauptbahn- hof und Berliner Platz. An insgesamt neun Stationen erzeugten die Studenten mit zwei Meter hohen Leichtbaukonstruktionen, die an den Armen befestigt wurden, temporäre Raumveränderungen, die auf baukulturelle Schieflagen und die Bedeutung von Verkehrs- räumen als öffentliche Räume hinwiesen. www.planung-neu-denken.de 4| 7 Ulrich Berding, Florian Kluge: Partzipative Kunst – Stadtgestaltung durch temporäre Interventionen

Projektbeispiel »studio aachen nord« intensiven Entwicklungsprozess mit vielen Akteuren im Viertel dar und umfasste zwei Das Projekt »studio aachen nord« steht in wesentliche Bestandteile: Die Arbeit vor Ort einer langen Reihe temporärer Aktionen im »studio«, zwei vormals leer stehende Woh- und Interventionen der Lehrstühle für Land- nungen der Aachener gewoge Wohnungsbau- schaftsarchitektur sowie Planungstheorie und gesellschaft sowie eine eintägige künstleri- Stadtentwicklung der RWTH Aachen. Seit sche Gestaltungsaktion auf einem der Plätze vielen Jahren führen sie Lehrveranstaltungen im Quartier. durch, die sich mit der Analyse und dem Ver- In einem ersten Schritt galt es, sich in- ständnis öffentlicher Räume auseinanderset- tensiv mit dem Bestand auseinanderzuset- zen und jeweils in eine künstlerische Gestal- zen – in der ganzen Breite aller baulichen tungsintervention mündeten. Aufbauend auf und gesellschaftlichen Aspekte. Ein wichti- umfassende Forschungsprojekte, in enger ger Bestandteil war es dabei, direkt im Vier- Kooperation mit Partnern aus Planung, Kunst tel präsent zu sein. Hierzu wurden zwei von und Verwaltung vor Ort und eingebettet in der gewoge kostenlos zur Verfügung gestellte den Kontext des Architekturstudiums, wur- Wohnungen als »studio« genutzt. Das so ge- den komplexe planerische Fragestellungen schaffene »studio aachen nord« konnte sich im architektonischen und stadtplanerischen zur Anlaufstation im Planungsgebiet entwi- Kontext behandelt. ckeln und war Treffpunkt für die Projektbetei- Im Rahmen des 2011 in Aachen-Nord an- ligten. Mitten im Quartier, eingebettet in die gelaufenen Programms »Soziale Stadt« wird soziale Nachbarschaft und konfrontiert mit das Rehmviertel – geprägt von baulichen dem architektonischen Bestand, wurde wö- Mängeln sowie sozialen und ökonomischen chentlich auf mitgebrachten Campingstüh- Benachteiligungen – mit Mitteln des Landes len diskutiert, die Küche zum Seminarraum NRW und der Stadt Aachen aufgewertet. Dies umfunktioniert, die Tapete als Skizzenrolle nahmen die Lehrenden zum Anlass, die we- genutzt, das Schlafzimmer zum Planungs- nig genutzten, verwahrlosten und vergesse- büro gewandelt und das Wohnzimmer zum nen Plätze des Viertels in den Fokus eines Se- Meetingroom der Jury erklärt. In einem in- minars zu rücken und mit den Studierenden tensiven kooperativen Verfahren wurden stu- einen Beitrag dazu zu leisten, bei den lokalen dentische Idee diskutiert und entwickelt, wie Akteuren Aufmerksamkeit zu wecken, das mit Hilfe einer urbanen Kunstaktion auf die Viertel öffentlichkeitswirksam in Szene zu Potenziale, Veränderungsnotwendigkeiten setzen und die Bevölkerung zum Mitdenken sowie die anstehenden Planungs- und Beteili- und Mitmachen zu motivieren. gungsprozesse aufmerksam gemacht werden Abbildung 3 & 4: studio Die im Frühjahr und Sommer 2011 kon- kann. Im gemeinsamen Juryverfahren wur- aachen nord, Fotos: Carina zipierte Intervention »studio aachen nord« de ein Konzept ausgewählt, das die Kriterien Engler stellte den Auftakt für einen lebendigen und in größtmöglichem Maße erfüllte. Realisiert

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wurde eine Idee der Studierenden Philipp Müller und Falk Wagner. Das Konzept »Auf- getischt!« sah vor, im Rahmen einer eintägi- gen Aktion die Bevölkerung des Rehmviertels zum Tafeln und Tratschen einzuladen, um gemeinsam die Diskussion über das Viertel zu eröffnen und weitere Verfahrensschritte einzuleiten. Finanziert durch die Stadt Aachen, wur- den im Juli 2011 auf dem ganzen Rehmplatz Tische zu sechs Themen arrangiert und ein- gedeckt: Mittagstisch, Romantisch, Tennis- tisch, Stammtisch, Werktisch und Spieltisch. Die Bewohner des Rehmviertels konnten klö- nen, spielen, essen, diskutieren und zuhören. Gemeinsam mit den Studierenden machten die Anwohner den Rehmplatz für einen Tag zum Zentrum des Geschehens (Abb. 3 & 4). Mit ihrer Aktion gelang es den Studie- renden, auf den anstehenden Planungs- und Umgestaltungsprozess hinzuweisen. Vor allem aber gelang es, einen Anlass für die Auseinandersetzung mit den Qualitäten und Potenzialen der Plätze im Rehmviertel zu schaffen. Im Gespräch mit den Anwohnern konnten viele Fragen diskutiert, Kontakte ge- knüpft und Anregungen gesammelt werden, die im weiteren Gesprächs- und Planungspro- zess aufgegriffen werden konnten.

Projektbeispiel kistenweise

Im Rahmen des Forschungsprogramms Ex- perimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) suchte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) 2011 Mo- dellvorhaben für das Forschungsfeld »Bau- kultur in der Praxis«. Im Rahmen des For- schungsfeldes sollten praktikable Methoden und Werkzeuge der Qualitätssicherung in Stadtentwicklungsprozessen und Planungs- eine begehbare Skulptur entstehen. Ziel der Abbildung 5 & 6: Projekt projekten erarbeitet und vermittelt werden. Installation war es, gewohnte Sichtweisen auf- kistenweise in Paderborn, Ziel des nach wie vor laufenden Projektes ist zubrechen, neue Bilder in der (altbekannten) Foto: Claudius Bäuml, Alfter es, im Sinne einer »guten Praxis« die baukul- Stadt entstehen zu lassen, den Bürgern neue turellen Potenziale alltäglichen Handelns auf Blickwinkel zu eröffnen, zu Diskussionen an- kommunaler Ebene zu verdeutlichen. Einer zuregen und die Paderborner zum Gespräch der ausgewählten Bewerber war die Stadt Pa- über Baukultur einzuladen (Abb. 5 & 6). derborn, die eine Vielzahl von Veranstaltun- Die Studierenden waren drei Tage vor Ort, gen und Projekten zum Thema »Baukultur um das Konzept ihrer Kommilitonin Christi- in der Praxis« durchführte und zahlreiche ne Lang umzusetzen, das im studentischen Impulse setzte. Wettbewerbsverfahren ausgewählt worden Eines der realisierten Projekte war eine war. Zu beobachten war ein dynamischer künstlerische Intervention von Studierenden Bauprozess, in dessen Verlauf die Bierkisten der Alanus Hochschule für Kunst und Ge- über mehrere Etappen zu einem 4,50 Meter sellschaft. 16 Studierende des Fachbereichs hohen schwarzen Kubus geformt wurden, Architektur ließen im Mai 2013 mit Hilfe von der nachts illuminiert war. Die künstlerische 1.500 Bierkisten auf dem Franz-Stock-Platz Intervention entstand in drei Phasen und the- www.planung-neu-denken.de 6| 7 Ulrich Berding, Florian Kluge: Partzipative Kunst – Stadtgestaltung durch temporäre Interventionen

matisierte geschickt den Kontrast zwischen 2) Als vorteilhaft kann sich die Einbettung historischer Bausubstanz der Innenstadt und in etablierte und strukturierte Programme dem ungewohnten Baumaterial. Zunächst erweisen: Durch die Integration in bewährte ergriffen die Kisten teppichartig Besitz vom Programme wie »Soziale Stadt« oder »Ex- Platz und veränderten dadurch Wege, weck- WoSt« oder die Kooperation mit der Bun- ten Aufmerksamkeit und ließen ein neues desstiftung Baukultur kann nicht nur die Fi- Raumgefüge entstehen. In der Folge kumu- nanzierung gesichert, ein organisatorischer lierten die Kisten in der Platzmitte und die Rahmen gewährleistet und die Aufmerksam- Skulptur wuchs langsam in die Höhe. Zum keit der Öffentlichkeit gewonnen werden. Ende verdichtete sich die Skulptur zu einem Vielmehr bietet sich hierdurch ein fachliches begehbaren, schwarzen Kubus, dessen Archi- Feedback für die Künstler, ein kritischer Reso- tektur dazu einlud, sich mit ihm und seiner nanzboden für die künstlerischen Konzepte, gebauten Umgebung auseinanderzusetzen. ein kooperativer Partner für die Organisato- Die Aktion – ausführlich dokumentiert in ren und eine interdisziplinäre Vernetzung der Presse und begleitet vom Lokalfernsehen verschiedenster Akteure. Zudem können der- – wurde als großer Erfolg gewertet. Obwohl artige Programme eine Verstetigung des par- die Aktion abseits der stark frequentierten tizipativen Prozesses gewährleisten – sofern Bereiche der Fußgängerzone realisiert wur- dieses gewünscht ist. de, fanden zahlreiche Paderborner den Weg zum Franz-Stock-Platz, ließen sich das Werk 3) Die aktive und mitgestaltende Einbindung und seinen Bezug zum Thema Baukultur der Bevölkerung schafft neue Möglichkeiten, erläutern und beteiligten sich an den Dis- bereits in der Aufbau-Phase eine breite Öf- kussionen. Das große Presseecho und die fentlichkeit zu erreichen und auch sonst eher zahlreichen Gespräche vor Ort konnten das »unsichtbare« Akteure, die sich üblicherwei- gesteigerte Interesse am Thema Baukultur se nicht in der Stadtentwicklung engagieren, belegen. Eingebettet in andere Veranstaltun- zu aktivieren. Auch und gerade heikle gesell- gen der Stadt leistete das Projekt einen wert- schaftliche Themen können im Rahmen ei- vollen Beitrag zur Diskussion, warf neue Fra- ner öffentlichen Kunst-Aktion in ein neues gen auf und bleibt mit prägnanten Bildern in Licht gerückt werden. gutem Gedächtnis. 4) Die Entwicklung und Umsetzung von »Kunst-Aktionen« im öffentlichen Raum be- Schlussbetrachtung nötigt nicht immer »professionelle« Künstler. Hier erweist sich die Hochschule als Kreativ- Die ausgewählten Beispiele zeigen sicher, faktor. Mit etwas Glück und dem richtigen dass es keine pauschale Einschätzung zum Netzwerk sind hier der gedankliche Spiel- Wert, zur Bedeutung und zur Wirkungsweise Raum, die erforderliche Manpower, die kre- von temporären künstlerischen Interventio- ative Atmosphäre und die interdisziplinäre nen im öffentlichen Raum geben kann. Und Kooperation zu finden, um gelungene künst- doch lassen sich Gemeinsamkeiten feststel- lerische Interventionen möglich zu machen. len und bewährte Strukturen benennen: 5) Zu guter Letzt: Temporäre Interventionen 1) Die betrachteten temporären Interventio- ersetzen keine Beteiligungsverfahren im klas- nen fokussieren nicht auf Bauobjekte, son- sischen Verständnis. Im Sinne partizipativer dern auf gemeinschaftliche oder öffentliche Kunst können sie aber zum Gespräch einla- Freiräume und die Menschen, die diese nut- den, Bürger und andere Akteure aktivieren zen, gestalten und prägen (oder eben auch und Kommunikationskanäle eröffnen, die nicht). Wichtig ist also, dass es Teil der Aktion sonst geschlossen blieben. Sie können zu- ist, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sätzliche Impulse geben und neue Prozesse sie teilhaben zu lassen, sie für eine – wie auch initiieren. immer geartete Weiterentwicklung – zu ge- winnen. Je bürgerorientierter künstlerische Aktionen sind, desto geeigneter sind sie, niedrigschwellige Partizipation zu befördern und nachhaltige Impulse im Quartier oder darüber hinaus zu entfalten.

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Literatur

Beeren, Willem-Jan; Berding, Ulrich; Kluge, Florian (2013): RAUMaufZEIT. Temporäre Interventionen im öffentlichen Raum, Band 1, Aachen, Euskirchen Havemann, Antje; Schild Margit (2006): Flüchtige Mode oder erhellende Experimente? Gedanken zur Nachhal- tigkeit temporärer Projekte, in: Stadt und Grün, Heft 9, September, S. 20-23 Sitte, Camillo (2001/1909): Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Vermehrt um »Gross- stadtgrün«, Reprint der 4. Auflage von 1909, Basel, Boston, Berlin

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ein Magazin mit Texten und Diskussionen zur www.planung-neu-denken.de Entwicklung von Stadt und Region

»Milieubedingte Unruhe«? Planung und wirtschaftliche Kenngrößen von Prostitutionsimmobilien und Vergnügungsstätten in Frankfurt am Main

Abstract/Zusammenfassung Dr. Fabian Thiel – Jahrgang 1968 – Studium der In Frankfurt am Main ist die wirtschaftliche Bedeutung der Eigentümer von Vergnügungs- und Rechtswissenschaften an Prostitutionsimmobilien erheblich. Dies gilt besonders für das Quartier rund um den Haupt- der Universität Regensburg bahnhof. Eine strategische Stadtplanung und -entwicklung zur standortgerechten Steuerung (Dipl.-Jur.) und Geographie dieser Immobilien ist auf die Kooperation dieser Liegenschaftseigentümer angewiesen. Der an der Universität Hamburg Versuch, Informationen über die wirtschaftlichen Kenngrößen von Bordellen und Vergnü- (Dipl.-Geogr.), Promotion zum gungsstätten zu erhalten, um deren Gebietsverträglichkeit und das (milieubedingte) Störpoten- Dr. rer. nat. Seit September zial zu ermitteln, scheitert oft an mangelnder Kooperationsbereitschaft der Eigentümer, Päch- 2011 Vertretungsprofessor ter und Betreiber dieser »gefährlichen Liegenschaften«. Immobilienbewerter und Planer sehen für Immobilienwirtschaft und sich im Frankfurter Bahnhofsviertel als Mini-Toleranzzone für die Prostitution einem Schleier Immobilienbewertung an der des Nichtwissens gegenüber gestellt. Fachhochschule Frankfurt am Main.

1. Einführung: BauGB-Novelle 2013 Wohn- und Gewerbeumfeld. Die Reglementie- rung – in der Regel: räumliche Verbannung – Spielhallen mit Gewinnmöglichkeit, Sex- von Spielhallen ist dem Gesetzgeber ein drin- shops, Stripteaselokale, Varietés, Nachtbars gendes Anliegen. Das Gesetz zur Stärkung und Prostitutionsimmobilien, die in einem der Innenentwicklung in den Städten und Atemzug mit 1-Euro-Shops, Restposten- Gemeinden und weiteren Fortentwicklungen märkten und Schnellimbissen genannt wer- des Städtebaurechts vom 11.6.2013 verfolgt den, genießen ein schlechtes Image. Diese neben einer besseren Innenentwicklung (§ 1 Vergnügungsstätten verursachen nach Auf- Abs. 5 Satz 3 BauGB) unter anderem das Ziel fassung des Gesetzgebers so genannte »Tra- der standortgerechten Steuerung von Vergnü- ding-Down-Effekte«. Gemeint sind negative gungsstätten. Diese Steuerung können die Ausstrahlungswirkungen in Gestalt von Leer- Planungsträger nunmehr durch Festsetzun- stand, Verwahrlosung und Störpotenzial für gen in Innenbereichs-Bebauungsplänen nach das betroffene Gebäude und das umliegende § 9 Abs. 2b BauGB (Vergnügungsstättenbe-

www.planung-neu-denken.de ISSN 1868 - 5196 2| 11 Fabian Thiel: »Milieubedingte Unruhe«?

bauungspläne) realisieren. Es wird darüber 2. Frankfurt und die »Milieubedingte hinaus die Aufstellung von Vergnügungs- Unruhe« durch Prostitutionsimmobilien stättenkonzeptionen nach § 1 Abs. 6 Ziffer 11 BauGB angeregt, um Trading-Down-Effekten Für die Klassifizierung von Bordellen wirksam(er) begegnen zu können.1 Insbeson- verwendet(e) die Rechtsprechung nicht den dere Spielhallen haben in den letzten Jahren Begriff des Trading-Down, sondern sprach in Innenbereichen, in denen sie städtebaulich von »milieubedingter Unruhe«. Die Bezeich- und gesellschaftspolitisch unerwünscht sind, nung »Milieu« ist umstritten, insbesondere enorm zugenommen.2 seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Rege- lung der Rechtsverhältnisse der Prostituier- ten (ProstG) aus dem Jahr 2002. Baurechtlich können Bordelle in allen Baugebieten der §§ 4 bis 9 BauNVO genehmigungsfähig sein, vor allem in MK-, GE- und GI-Gebieten, ohne auf pauschale Bewertungen wie die überkom- mene milieubedingte Unruhe zurückgrei- fen zu müssen. Der Begriff »Milieu« gehöre im Übrigen in die Rechtsgeschichte.3 Milieu stand lange Zeit synonym für die »Dirnen- welt«. Milieubedingte Unruhe waren bei- spielsweise gewalttätige Begleiterscheinun- gen des Kundenverkehrs, Belästigungen im Treppenhaus durch nicht befriedigte und/ oder alkoholisierte Freier, Klingeln an fal- schen Wohnungstüren bei Wohnungspros- titution oder jugendgefährdendes Verhalten von Kunden gegenüber unbeteiligten Bewoh- nern eines Hauses, in dem sich die Termin- und Modelwohnungen (vgl. Abb. 1) befinden. Abb. 1: Frankfurt am Das Raumbeispiel Frankfurt am Main Main – Störpotenzial und »Großbordell« oder »Groß-Bordell«? milieubedingte Gefährdung Die Stadt Frankfurt am Main ist seit jeher ein durch Wohnungsprostitution gutes Beispiel für planerische Steuerungsleis- »(...) welche Schreibvariante die richtige sei, oder Bordellbetrieb? (Eigene tungen sowohl von Vergnügungsstätten, als »Großbordell« oder »Groß-Bordell« konnte Aufnahme) auch von Bordellen. Im Folgenden sollen am trotz Intervention am OVG Berlin nicht ge- Beispiel des Frankfurter Bahnhofsviertels und klärt werden (...)«, schreibt Clemens Meyer in angrenzender Gebiete die planerischen und seinem wuchtigen Roman »Im Stein« (2013).4 immobilienökonomischen Aspekte von Pros- Milieubedingte Unruhe bedeutete bis zum titutionsimmobilien und Vergnügungsstätten Inkrafttreten des ProstG, dass Großbordelle dargestellt werden. Der Beitrag stützt sich auf oder auch die Wohnungsprostitution als stö- empirisch erhobene Daten, Recherchen und rend und als eine Gefahr für die öffentliche Befragungen, die im Rahmen eines Projekts Sicherheit und Ordnung, vor allem in Bezug »Immobilienbewertung von Exoten« an der auf Kinder und Jugendliche, einzustufen wa- FH Frankfurt am Main von Oktober 2012 ren. Bauplanungs- und bauordnungsrechtlich bis April 2013 durchgeführt wurden. Hierbei schwieriger als bei Bordellen sieht es bei der wurden Eigentümer, Besitzer und Pächter Wohnungsprostitution aus, bei der bekannt- von Bordellen, Diskotheken und Nachtbars lich nicht die Wohnnutzung im Vordergrund zu Verträgen, Einnahmen, Personal- und steht, sondern die gewerblich betriebene Energiekosten, Kundenfrequenz, Umsätzen, Prostitution in einer Terminwohnung. Auf Grundrissplänen und zu ihrer Kooperation das Wohnen kommt es hier aber nicht an. mit den kommunalen Planungsträgern be- Bereits die Identifizierung – erst recht die fragt. Validierung der wirtschaftlichen Kenngrößen einer solchen Immobilie – bereitet erhebliche Schwierigkeiten.

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Trading-Down als städtebauliches oder moralisches Problem?

Folgende Frage drängt sich überdies auf: Soll ein moralisches oder ein städtebauliches Pro- blem in Frankfurt und anderswo gelöst wer- den? Der Sachverhalt erinnert an den miss- glückten Umgang mit Schrottimmobilien, denen durch das Städtebaurecht kaum bei- zukommen ist. Im Übrigen existiert bereits § 4a BauNVO, mit dem die Spielhallenflut eingedämmt werden kann und sollte. Micha- el Uechtritz hat völlig Recht mit seiner Auf- fassung, dass das Bauplanungsrecht nicht der Sicherung der Moral durch die Beschränkung von Sex-Shops, Bordellen, Nachtbars oder Spielhallen nach dem Motto »maximal zwei Spielhallen im Gebiet X« dient.5

baurechtlichen Sinne sein sollen, lässt kei- Abb. 2: »Trading-Down«? 3. Sind Bordelle Vergnügungsstätten? neswegs darauf schließen, dass sich die nicht Vorzeigebordell im Frankfurter notwendigerweise nur männlichen Kunden Bahnhofsviertel inmitten der Sexuelle Handlungen gegen Entgelt, dort nicht vergnügen; natürlich tun sie es. engmaschigen Mini- aber keine Vergnügungsstätten? Für Michael Uechtritz sind Bordelle daher Toleranzzone von Mosel-, »insbesondere« Vergnügungsstätten.7 Eine Taunus- und Elbestraße In jüngster Zeit ist im Zusammenhang mit interessante Erklärung für dieses Rechtsku- (Eigene Aufnahme) der Diskussion um das Prostitutionsgesetz riosum findet sich bei Margarete Gräfin von die Forderung nach besserer Kontrolle und Galen: »Vergnügen« sei eine Veranstaltung auch (planerischer) Steuerung von Bordellen zur Unterhaltung eines größeren Publikums und bordellähnlichen Betrieben erhoben wor- in der gleichen Art des Angebots für alle Gäs- den. Prostitutionsimmobilien sind von der te. Hier nehme der Konsument eine passive BauGB-Novelle 2013 nicht erfasst. Denn nach Rolle ein. Dies sei bei Bordellen oder bordell- herrschender Meinung sind sie keine Ver- ähnlichen Liegenschaften gerade nicht der gnügungsstätten im Sinne von BauNVO und Fall. Dort übernehme der Besucher eine ak- BauGB. Das Bundesverwaltungsgericht hat tive Rolle; er/sie könne das Geschehen bis zu eine eindeutige Antwort zu diesem Problem einem gewissen Grad steuern.8 Offen bleibt bisher vermieden. Im Einzelnen ist Vieles die Antwort auf die Frage, warum diese pro- streitig; es stellen sich Abgrenzungsfragen. aktive Haltung des Konsumenten sexueller Auch der Gesetzgeber liefert keine Legalde- Dienstleistungen ein Vergnügen im Sinne finition dafür, was eine Vergnügungsstätte einer Vergnügungsstätte ausschließen soll. sein soll. Besonders für Bordellbetriebe wäre Die baurechtliche Einstufung von Bordellen eine Klarstellung unbedingt erforderlich. und bordellähnlichen Betrieben ist jedenfalls, Sind Bordelle, Laufhäuser, Eros-Center oder auch sexuell betrachtet, einigermaßen er- bordellähnliche Betriebe wie etwa Massagesa- staunlich. Meines Erachtens nach ergibt diese lons (d. h. Massagen mit »happy-end«) keine Differenzierung keinen Sinn. Vergnügungsstätten im Sinne der BauNVO- Gebietstypik, gelten für sie gewerbe- und ordnungsrechtliche Zulässigkeitsregelungen 4. Frankfurt und sein Bahnhofsviertel – und Überwachungsvorschriften.6 Synonym für das großstädtische Übel Wenn jedoch eine Vergnügungsstätte der Ansprache des Sexualtriebs, der Zerstreu- Das Störpotenzial des urbanen ung und Entspannung durch eine bestimm- Vergnügungsdschungels te gewinnbringende Freizeitunterhaltung dienen soll, stellt sich die Frage nach der Das lediglich 0,53 km2 große Bahnhofsviertel Sinnhaftigkeit der Einstufung einer Prostitu- besaß noch bis Mitte der 1990er Jahre das tionsimmobilie als Nicht-Vergnügungsstätte. zweifelhafte Etikett eines »großstädtischen Baurecht contra Sexualtrieb: Der Umstand, Übels« und »Sündenbabels par excellence«. dass Bordelle keine Vergnügungsstätten im Neuere stadtsoziologische Publikationen be- www.planung-neu-denken.de 4| 11 Fabian Thiel: »Milieubedingte Unruhe«?

Abb. 3: Übersichtskarte des leuchten das Areal differenzierter und lassen 5. Frankfurt und das räumliche Management Bahnhofsviertels in Frankfurt Zweifel an der These aufkommen, dass Ver- der Prostitution: Planung im Bahnhofsviertel am Main mit den Nutzungen gnügungsstätten automatisch einen Trading- in den Obergeschossen Down-Effekt im Umfeld auslösen. Es kommt Thorsten Benkel spricht über das Bahnhofs- (Quelle: Stadtplanungsamt stets auf die städtebauliche Relevanz einer viertel griffig von einem devianz-affinen Frankfurt am Main/ Vergnügungsstätte sowie die Kooperation Stadtteil, der seine überregionale Reputation Beratungsgesellschaft des Eigentümers an. Im Frankfurter Bahn- bewahren müsse, um den Nachfragern den für Stadterneuerung und hofsviertel geht das Prostitutionsgeschehen Raum dafür zu bieten, dem vermeintlich Modernisierung mbH; Stand: einher mit Randerscheinungen wie dem offe- Verbotenen nachzujagen.9 Devianz ist hier 2012) nen und versteckten Drogenmissbrauch, der fühlbar, erlebbar und riechbar, wenn auch Klein- bzw. Beschaffungskriminalität, aber nicht stets unmittelbar (ein-)sehbar. Das auch mit Unreinheit und Unsauberkeit durch Bahnhofsviertel als Event und sozialer Raum (Sperr-)Müll oder Utensilien für die Drogen- wird seit mehr als drei Jahrzehnten von der benutzung. In unmittelbarer Nachbarschaft Stadtplanung isoliert, wenn nicht sogar ver- befinden sich hier Rotlicht, Dönerbude, Call- achtet, zumindest aber misstrauisch beäugt. shop, Bordellfassade (vgl. Abb. 2, S.3), Peep- Es ist als Schmelztiegel ein gebauter Mikro- Show, Sexshops und vielfältiger, zum Teil alt- kosmos und zugleich ein Instrument der Pro- eingesessener und umsatzstarker ethnischer paganda, die sich im Prostitutionsgeschehen Einzelhandel. Die Liegenschaften und deren widerspiegelt.10 Im Viertel hat sich eine Sa- Nutzungen (vgl. Abb. 3) machen diesen Ort genwelt etabliert, die mit der Realität wenig zum Event und einem urbanen Gesamtmo- zu tun hat. Seit 2002 gibt es einen Runden saik. Tisch zur stadtplanerischen Aufwertung der

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Bordellzeile in der Elbestraße (vgl. Abb. 2, München implementiert hat, ist Frankfurt S. 3). Einen Rahmenplan Bahnhofsviertel gibt ebenso wie andere Städte in Deutschland weit es im Gegensatz zum Bankenquartier nicht. entfernt. Dies gilt vor allem für das Amüsier- Im Jahr 2005 wurde zusätzlich ein städte- quartier Bahnhofsviertel als Exklusionsquar- bauliches Entwicklungskonzept »Wohnen tier, in dem erlaubt und zumindest auch im und Leben im Bahnhofsviertel« initiiert. Es öffentlichen Raum geduldet und sichtbar bildet die Grundlage für das übergeordnete wird, was an anderen Orten rechtlich unzu- Stadtumbaukonzept zur Modernisierung der lässig, unsichtbar oder gar undenkbar ist. An Wohnimmobilien und Revitalisierung der diesem »unmöglichen Ort, der eben doch mög- leerstehenden Bürogebäude vor allem in der lich ist«13, bestünde durchaus Raum für eine Mainzer Landstraße. kreative Bodenpolitik und verbindliche Rege- lungen zum Ausgleich von Planungsgewin- Ökonomisierung der Stadtplanung: Rent- nen, speziell bei Prostitutionsimmobilien. seeking der Grundstückseigentümer und Es gehört zur Eigenlogik Frankfurts, dass Investoren im Bahnhofsviertel und Westend sich die Planung weitgehend unverbindlich in der Beurteilung – und vor allem Durch- Die Taunusstraße teilt zwei Kunstwelten des setzung – von Projekten zeigt. Gleiches gilt Stadtraums rund um den Hauptbahnhof: für die defizitäre Bürgerbeteiligung bei Pla- das artifizielle Bankenviertel und das direkt nungsprozessen.14 Die wechselseitigen Ab- angrenzende, nicht minder artifizielle Bahn- hängigkeiten, Einflussnahmen auf die Pla- hofsviertel. Zwischen 1990 und 2000 fand nungs- und Ordnungsbehörden der Stadt eine Ökonomisierung der Stadtplanung in Frankfurt durch private Grundstückseigen- Frankfurt statt. Expansionen, Umnutzungen tümer, die ausgestattet sind mit »internstem und Spekulationsbrachen durch den Hoch- vertraulichem Wissen«15, Steuerhinterziehun- hausbau für Banken, Finanzdienstleister, gen, Betrug, Korruption und Urkundenfäl- Rechtsanwälte und Ärzte blieben nicht ohne schung, könnten einem Wirtschaftskrimi ent- Einfluss auf das Bahnhofsviertel. Das Gebiet sprungen sein. Dazu passt anschaulich die ist ökonomisch von dem Bankenareal abhän- Begebenheit, die Hubert Beste über den ver- gig. Die (männlichen) im Bankenviertel Tä- storbenen Bordell-König Willi Schütz schil- tigen sind zum Teil täglich Kunden der Ver- dert. Schütz sei in den 1980er Jahren mit gnügungsstätten im Bahnhofsviertel. Das an juristischem Erfolg gegen die von der Stadt das Bahnhofsviertel angrenzende und durch Frankfurt verfügten Betriebsschließungen die Taunusstraße von diesem abgetrennte vorgegangen und konnte auf diese Weise sei- Finanzdienstleistungszentrum besteht inte- ne Etablissements in der Elbestraße retten. ressanterweise aus in Hochhäusern domizi- Diese Rettungstat habe bis heute erhebliche lierten Zentralen der privaten Geschäfts- und Konsequenzen für das defensive, oftmals un- Investmentbanken. Klassische Bankfilialen verbindlich bleibende Planungshandeln der finden sich hier kaum. Die damit verknüpf- Stadt Frankfurt in Bezug auf die nicht koope- te Kapitalakkumulation dürfte auf die Infra- rationsbereiten Grundstückseigentümer und strukturrente als Teil der Bodenrente zurück- »Milieuherrscher«.16 zuführen sein: Die Infrastrukturrente und der Gewinn sind umso höher, je attraktiver der Standort ist. 6. Frankfurt und das Bahnhofsviertel Diese maßnahmen- und planungsbeding- als Mini-Toleranzzone ten Immobilienwertsteigerungen wurden im Bankenviertel auch durch die Wirtschaftsför- Das Bahnhofsviertel erlebt derzeit einen re- derung mit verursacht. Stadtplanung ist in gelrechten städtebaulichen Boom. Er mani- Frankfurt am Main auch immer Wirtschafts- festiert sich in einer urbanen Renaissance, planung. Dieter von Lüpke thematisiert die mit steigenden Investments in Apartment- »Maßstabssprünge der Planung« und die von und Etagenwohnungen, hochwertigen Ein- der Stadtplanung begünstigten Grundstücks- zelhandelsimmobilien und – für Frankfurts eigentümer.11 Diese hätten Gegenleistungen Beschäftigtenstruktur typisch – in Boarding für die planungsbedingten Wertsteigerungen Houses mit möblierten Apartments und ho- (windfall profits) zu erbringen.12 Die Immo- telähnlichem Service. Investoren drängen in bilieneigentümer tun dies aber nicht und den Markt. Ethnischer Einzelhandel, der das werden von der Stadtverwaltung nicht hin- Gebiet lange Zeit bestimmte und heute noch reichend dazu verpflichtet. Von einer sozial Straßenbild prägend wirkt17, verliert derzeit gerechten Bodennutzung, wie sie die Stadt an Terrain. Auch ehemalige Rotlichtimmobi- www.planung-neu-denken.de 6| 11 Fabian Thiel: »Milieubedingte Unruhe«?

lien erfahren eine Rendite steigernde Revitali- ist die Herausbildung einer monopolartigen sierung. Von einem vollständigen Austausch Struktur der Bordellbetriebe und Zulassung der Bevölkerung durch bauliche Aufwertung, (Positiv-Planung) in der Mini-Toleranzzone Gentrification und Trading-Down-Effekte von Mosel-, Elbe- und Weserstraße und damit kann indes bislang noch keine Rede sein. Ein eine Verhinderung des Prostitutionsmark- planerischer »Dauerbrenner« ist die Steu- tes an anderen Stellen, beispielsweise in der erung der Bordellimmobilien im Frankfur- Straßenprostitution (Negativ-Planung) sowie ter Bahnhofsviertel durch die so genannte in andere Stadtteile hinein, »um diese sauber »Sperrgebietsverordnung«.18 Wie Nachrich- zu halten«.21 Seit jeher standen die Sperrge- ten in der lokalen Presse (Frankfurter Rund- bietsverordnungen als Synonyme für – je schau und Frankfurter Neue Presse) aus den nach Sichtweise und Interessensvertretung 1960er Jahren verdeutlichen, wird das Prosti- – Diskriminierung oder erfolgreich steuern- tutionsgeschehen durch »mondäne und leich- des Ordnungsrecht. Denn jede planerische te Mädchen«19 frühzeitig als ein Problem vor Maßnahme, vor allem die Sperrgebietsver- allem für den öffentlichen Straßenraum im ordnung, hat Auswirkungen auf den Grund- Bahnhofsviertel und später auch im angren- stücksmarkt und die Zusammensetzung zenden bürgerlichen Stadtteil Westend aufge- der Wohnbevölkerung, auch und gerade im fasst. Dies veranlasste Stadtverwaltung und Bahnhofsviertel als Paradebeispiel für städti- Polizei, alsbald Gegenmaßnahmen zu ergrei- sche Zentralität. fen. Das Bahnhofsviertel als sozialer Raum Nutznießer und Gewinner der Sperrge- mit seiner typischen, ihm eigenen »spatial or- bietsverordnung, deren aktuelle Fassung aus der« wird somit seit mehr als drei Jahrzehn- dem Jahr 1993 stammt, sind kurioserweise ten von der Frankfurter Stadtplanung durch die Eigentümer der Bordellimmobilien. Sie Verordnungen sowie bau- gewerberechtliche haben im Stadtgefüge deutlich an Einfluss, Reglementierungen regelrecht »abgeschot- Sichtbarkeit und immobilienökonomischer tet«. Von der Straßenprostitution abgesehen, Bedeutung hinzu gewonnen.22 Zudem deutet die das eigentliche Überwachungs- und Kont- sich ein Wandel in der Rechtsprechung an. rollproblem nicht nur im Bahnhofsviertel dar- Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat stellt, finden heutzutage sämtliche Formen die Sperrgebietsverordnung als keine ausrei- der Prostitution in geschlossenen Räumen chende Ermächtigungsgrundlage dafür ange- statt. Löw/Ruhne sprechen daher auch von sehen, die Prostitutionsausübung in einem Abb. 4: Objekt der »Verhäuslichung«.20 Massagesalon zu verbieten, der außerhalb des (Bewertungs-)Begierde: Der 28. Dezember 1960 bedeutet insofern Sperrgebiets, also außerhalb der Toleranzzo- Bordell »Komm« im ein wichtiges Datum für die Grundstücksei- ne, liegt. Die Kriterien der Gebietsverträglich- Frankfurter Bahnhofsviertel gentümer im Bahnhofsviertel. Die revidierte keit der Wohnungsprostitution sind in Frank- mit artifizieller Sperrgebietsverordnung von 1987 weist Teile furt am Main erheblich liberalisiert worden, wilhelminischer, unter des Bahnhofsviertels als explizite und auch wenn insbesondere dem Jugendschutz hin- Denkmalschutz stehender exklusive Toleranzzonen für Bordellprostitu- reichend Rechnung getragen wird. Die Sperr- Fassade (Eigene Aufnahme) tion aus. Zweck dieser Verordnung war und gebietsverordnung ist nicht mit dem ProstG vereinbar. Es sei nicht zulässig, die Prostitu- tionsausübung ohne erkennbare schädliche Auswirkungen auf die Nachbarschaft pau- schal als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu klassifizieren, urteilte der VGH Kassel im Jahr 2013.23 Das ProstG hat an den baurechtlichen und im Übrigen auch sozialversicherungsrechtli- chen24 Problematiken nichts geändert, ganz im Gegenteil. Die wirtschaftlichen Basis- Kenngrößen des Bordells »Komm« im Frank- furter Bahnhofsviertel belegen die These von Löw/Ruhne (2011). Im Übrigen ist trotz der Verhäuslichungstendenzen des Prostitutions- geschehens und trotz stadtplanerischer Ver- besserungen in den vergangenen fünf Jahren bei Besuchern wie Anwohnern des Bahnhofs- viertels das subjektive Empfinden der Unsi- cherheit geblieben.

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7. Frankfurt und die Monetarisierung des und Bodenwertsteigerungen (Bodenrente) Abb. 5 und 6: Zwielicht und Vergnügungspotenzials im Bahnhofsviertel verbunden. Andererseits sind heute im mi- Monitorlicht – Typisches grantengeführten ethnischen Einzelhandel Arbeitszimmer und Ursprünglich waren die Grundstückspreise entlang der Münchener Straße zahlreiche Überwachungsraum in einem rund um den 1888 eröffneten Frankfurter selbst initiierte und finanzierte Aufwertungs- Laufhaus (Eigene Aufnahmen) Centralbahnhof niedrig. In dessen Umfeld maßnahmen zu beobachten.30 Die Verdrän- vor allem entlang der Kaiserstraße siedelten gung ist in diesem Teil des Bahnhofsviertels sich zunächst billige Hotels, Glücksspiel- und weit weniger sicht- und spürbar. Varieté-Einrichtungen an. Die Herausbildung späterer Geschäfts-, Wohn- und Amüsier- Kritische Bewertung der Bordell-Kenngrößen viertel25 ist mit der Etablierung des zentralen Bahnhofs untrennbar verknüpft. Noch heute Bei der Immobilienbewertung von Exoten sind in der Kaiserstraße und am Kaiserplatz wie Bordellen und Diskotheken sieht sich Teile der aus der Gründerzeit stammenden, der Gutachter einer Ungewissheit gegen- massiven Blockrandbebauung sichtbar. We- über. Fritz Pohnert et al. raten folgerichtig sentlicher Hintergrund der Errichtung eines zu hohen Abschlägen und zu einer geringen ersten Großbordells im Bahnhofsviertel war Restnutzungsdauer bei trendabhängigen Ver- vor allem die Straßenprostitution, die sich in gnügungsstätten wie etwa Diskotheken.31 Ist den 1960er Jahren etabliert hatte. Bereits im ohne Auftrag des Eigentümers ein Bordell Jahr 1969 hatte die Stadt Frankfurt die Geneh- zu bewerten, besteht die Schwierigkeit in der migung für das Großbordell des Eigentümers Erlangung der wirtschaftlichen Kenngrößen Willi Schütz erteilt (vgl. Abb. 4, S. 6). »Sie wird des Objekts. Private Eigentümerdaten sind sehr schön, unsere neue Fassade«, sagte Schütz durch Grundbucheinsicht nicht ohne weite- im Jahr 1986.26 res zu erlangen. Eigentümer liefern für wis- Investoren sahen ihre Chance auf Errich- senschaftliche Zwecke zumeist von sich aus tung weiterer Laufhäuser mit der Folge, dass keine immobilienrelevanten Daten. Für ganz der Wert baufälliger Häuser in astronomische Deutschland liegen halbwegs belastbare (Um- Höhen stieg. Die Sozialstruktur änderte sich. satz-) Zahlen für Vergleichsobjekte vor, aller- Spekulation in bedeutendem Maßstab setzte dings nur für kleine Franchiseunternehmen ein.27 Die Entmietung von Liegenschaften zu und nicht für Großbordelle, schon gar nicht Gunsten renditestarker, ertragsorientierter für Wohnungsprostitutionsimmobilien. Nutzungen begann im Bahnhofsviertel spä- Grundstücksbewertung – ebenso die testens in den 1980er Jahren. Im Westend Stadtplanung – ist auf die Kooperation mit und in anderen citynahen Bereichen startete den Grundstückseigentümern angewiesen.32 die Aufwertung – heutzutage je nach Sicht- Der Immobilienbewerter muss, um modell- weise als Gentrification28 bezeichnet – bereits konform, nachvollziehbar und objektiv arbei- in den Aufbaujahren nach 1949.29 Die Moder- ten zu können, die Kenngrößen des Objekts nisierung dieser Stadtteile war einerseits mit kennen. Neben gebäude- und grundstücks- Verdrängungseffekten, Eigentumswechseln bezogenen Merkmalen sind auch externe Ef- www.planung-neu-denken.de 8| 11 Fabian Thiel: »Milieubedingte Unruhe«?

fekte bedeutsam. In Frage kommen objektun- dorfer Modell« in Höhe von täglich 25-30 €, abhängig durchgeführte Stadtteilplanungen, die mit der Zimmermiete verrechnet wird. Stadterneuerungen, Stadtumbau oder – im Bei diesem Modell handelt es sich um eine Falle von Bordellen im Frankfurter Bahnhofs- einkommensunabhängige Steuervorauszah- viertel – typische Steuerungsinstrumente wie lung durch die Prostituierte, die durch Einbe- Sperrgebietsverordnungen. Es gilt, in jedem halten und Abführen des Betrages durch den Einzelfall zu entscheiden, wie wahrscheinlich Betreiber des Bordells (und nicht etwa durch die Änderung dieser planerischen Rahmen- die Prostituierte selbst!) nach in der Regel bedingungen ist. vierteljährlicher Ansammlung erfolgt. 80% der Bordellbetreiber im Bahnhofs- Von Galen kritisierte bereits im Jahr viertel sind Pächter, nicht Eigentümer. Sie 2004, dass das Verfahren der Pauschalbe- leisten Pachtzahlungen in Höhe von ge- steuerung darauf angelegt sei, dass einerseits schätzt 20.000 bis 40.000 € monatlich an keine Steuererklärungen abzugeben seien die Grundstückseigentümer. Die Bordelle mit (also etwa auch keine zuviel gezahlten Steu- insgesamt ca. 678 Zimmern für (geschätzte) ern durch die Prostituierte zurückgefordert 920 Sexarbeiterinnen, davon sind 95% Mig- werden könnten) und andererseits die Ver- rantinnen aus Nicht-EU und EU-Staaten, ste- fügungsgewalt der Prostituierten über den hen vor allem in Mosel-, Taunus- und Elbe- Steuerbetrag vorenthalten wird. Eine (Los-) straße. Hier liegen auch die Großbordelle mit Lösung aus dem Betrieb wird dadurch zwei- jeweils bis zu 180 Zimmern, etwa das »Rote fellos erschwert. Die Abhängigkeit der Sexar- Haus« in der Taunusstraße. 12-15 Eigentümer beiterin von und Verstrickung in den Betrei- haben die Prostitutionsimmobilien – in der ber der Prostitutionsimmobilie verstärkt sich, Regel fünf- bis siebenstöckige Liegenschaften statt die Prostituierte unabhängig(er) zu ma- – unter sich aufgeteilt.33 chen.37 Natürlich bleibt im Übrigen auch der Bei einer Immobilienbewertung dieser Betreiber einer Prostitutionsimmobilie nicht Liegenschaft stellt sich freilich das Problem unbesteuert, etwa durch eine monatliche der Nutzungsdauer. Erhöhte Wachsamkeit ist Vergnügungssteuer von 10 € pro m2 Prosti- bei lediglich einem Vermieter pro Apartmen- tutionsnutzfläche oder durch eine »Kopfsteu- tanlage geboten.36 Im Ergebnis bedeutet die er«. Am Beispiel dieses Laufhauses »Komm« Bewertung des Objekts »Komm« für eine Pro- konnte jedenfalls festgestellt werden, dass der stituierte einen Verdienst von 240-300 € am Ertrag für die Prostituierte bei gewöhnlichem Tag abzüglich Zimmermiete und vereinfach- Geschäftsbetrieb weitaus geringer ausfällt als ter Pauschalbesteuerung nach dem »Düssel- der Profit des Eigentümers und Pächters.

Für das Bordell »Komm« (vgl. Abb. 3-6) liegen empirisch erhobene wirtschaftliche Kenngrößen vor. Das Etablissement (Baujahr ca. 1949-1955, Elbestraße 49-53) beherbergt 172 Zimmer mit einer Größe von 15-20 m2, wovon mangels Nachfrage und Konkurrenz durch Internetpornografie und legale, flo- rierende Wohnungsprostitution zurzeit nur 60 Zimmer belegt sind; die obersten Stockwerke sind still- gelegt. Die Prostituierten erhalten Formular-Tagesmietverträge. Die Öffnungszeit spannt von 10:00 bis 4:00 Uhr. Die Nebenkosten betragen 60.000 € pro Jahr für Heizung und 12.000 € für Werbung. Das Bordell beschäftigt derzeit acht Mitarbeiter, u. a. Wirtschafter, Küchenpersonal, Buchhaltung, Hausmeister und Serviererinnen. Externe Fachkräfte bestehen aus dem Security Personal (vgl. Abb. 6, S. 7) und einer Putzfirma. Die Zimmermiete beläuft sich auf ca. 120€ pro Tag plus Verpflegung, Klei- dung, Arbeitsmaterial bzw. Schlafplatz. Im oberen Stockwerk dürfte die Miete etwas günstiger sein. Fahrstühle für Kunden sind nicht verfügbar – daher stammen auch die Bezeichnungen Laufhaus oder Marathonläufer. Es wird zudem davon ausgegangen, dass ein Kunde aufgrund des austauschbaren Angebots bereits in den unteren Stockwerken fündig wird.34 Das Geschäftsmodell ist mithin eine Zimmervermietung mit hotelähnlichem Charakter. Die Belegung unterliegt einem ständigen Wandel, der bei einer Marktwertermittlung zu berücksichtigen wäre. Die Arbeitszeit einer Prostituierten beträgt pro Schicht sechs bis zehn Stunden für acht bis zehn Kunden bei einem durchschnittlichen Verdienst von 25-30 € pro Dienstleistung. Jene dauert (lediglich) 15 bis 20 Minuten.35 Somit ergibt sich ein fiktiver Ertrag für den Betreiber abzüglich Bewirtschaftungskosten für Sozialräume, Kantine, Videoüberwachung und Wirtschafter. Im Ergebnis bedeutet dies für eine Prostituierte einen Verdienst von 240-300 € am Tag abzüglich Zimmermiete. Die Wohnungsprostitu- tion (Terminwohnungen) dürfte höhere und gesicherte Erträge ergeben.

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8. Frankfurt und das Sterben seiner Clubszene

Keine »milieubedingte Unruhe« bei Diskotheken

Diskotheken sind neben Spielhallen baurecht- lich der Idealtypus einer Vergnügungsstätte.38 Zulässig sind sie ausnahmsweise in Gebieten zur Erhaltung und Entwicklung der Wohn- nutzung (§ 4a BauNVO) und idealerweise in Kerngebieten (§ 7 BauNVO), wenn sie dort keinen Trading-Down-Effekt verursachen.39 Von »milieubedingter Unruhe« ist beim Dis- kothekenbetrieb folgerichtig keine Rede. Die wirtschaftliche Unsicherheit ist allerdings bei Diskotheken erheblich. Immer mehr Tanzlo- kale in Frankfurt schließen aufgrund von In- solvenz. Dabei handelt es sich um viele große und vor allem ehedem traditionsreiche Disko- theken (z.B. Living-XXL (vgl. Abb. 7), Cocoon, meisten Fällen recht erfolglos. Private Eigen- Abb. 7: Mittlerweile Pulse, Monza oder die Zwangsräumung des tümerdaten sind durch Grundbucheinsicht geschlossene, weil insolvente legendären U60311). In kurzen Abständen er- außerdem nicht ohne weiteres zu erlangen. »Living XXL«-Diskothek in öffnen neue Lokale und verschwinden nach Ein besseres Vorgehen war es, die Betriebe der Frankfurter Kaiserstraße einigen Jahren wieder. Dieses Risiko muss mit einer kleinen Gruppe von Projektmitglie- (Eigene Aufnahme) durch Zuschläge sowie eine kürzere Rest- dern zu besuchen, um vor Ort den Betriebs- nutzungsdauer modellkonform und nach- leiter oder den Eigentümer anzusprechen. vollziehbar verarbeitet werden. Von Interes- Leider waren viele Betriebe und Institutionen se bei einer Bewertung sind Informationen nicht sehr kooperativ, obwohl wissenschaftli- aus dem Mietvertrag wie Flächenangaben, ches Interesse nachgewiesen wurde und eine Grundrisspläne, vereinbarter Mietzins sowie vertrauliche Behandlung der Informationen Nebenkosten. Relevant sind außerdem Ein- und Daten garantiert werden konnte. Eini- nahmen aus Eintrittsgeldern, Getränke- und ge Betreiber sagten aus Gründen der »Ver- Speisenverkauf, Garderoben und besonderen schwiegenheitspflicht« eine Teilnahme an Events, beispielsweise Modenschauen. Be- dem Studienprojekt ab; andere wiederum hat- wirtschaftungskosten schmälern den Ertrag. ten überhaupt kein Interesse an Kooperation. Da die meisten Betriebe in Frankfurt sehr empfindlich mit den Umsatzzahlen umge- hen und nur ein Bruchteil der Unternehmen 9. Resümee: Frankfurt und seine aussagekräftige Daten zur Verfügung stellte, Immobilienexoten zwischen können wirtschaftliche Kenngrößen zu die- Kooperation und Wirtschaftsfaktor sen Liegenschaften in der Frankfurter Innen- stadt nur schätzweise erfasst werden. Nach jüngsten Prognosen dürfte der Sied- lungsdruck auf die Stadt Frankfurt mittel- Schwierige Informationsbeschaffung: fristig weiter zunehmen. Diese Entwicklung Kaum Kooperation mit den Eigentümern wird auch das Bahnhofsviertel nicht unbe- rührt lassen. Die Steuerungswirkung von Üblicherweise kommt der Eigentümer, der Vergnügungsstättenkonzepten oder -Bebau- Auftraggeber eines Marktwertgutachtens ist, ungsplänen steht und fällt mit ihrer boden- zum Sachverständigen mit allen Unterlagen politischen Einbettung. Das Quartier rund und Daten des Objektes, um es bewerten zu um den Hauptbahnhof spiegelt eine gewis- lassen. Im Rahmen des Studierendenprojekts se Konzeptlosigkeit der Planung wider. Eine zur »Immobilienbewertung von Exoten« wur- städtebauliche Entwicklungsplanung, zumal den Unternehmen und Eigentümer von Ver- in einem Rund-um-die-Uhr-Entertainment- gnügungsstätten angesprochen und gefragt, Gebiet wie dem Frankfurter Bahnhofsviertel, ob sie Interesse an einer Zusammenarbeit ha- kann schlechterdings nicht das Ziel verfolgen, ben. Die Kontaktaufnahme erfolgte zumeist Nutzungen aus dem gesamten Stadt- oder Ge- telefonisch oder per Email. Diese Methode meindegebiet zu verbannen, schon gar nicht der Unternehmensansprache verlief in den aus Gründen der Förderung von bestimm- www.planung-neu-denken.de 10| 11 Fabian Thiel: »Milieubedingte Unruhe«?

ten Moralvorstellungen, die ohnehin einem Dieser Tatbestand dürfte vor allem für permanenten Wandel unterliegen. Maßnah- das Frankfurter Bahnhofsviertel zutreffen.43 men der Innenentwicklung (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Vergnügungsstätten aufgrund ihrer Rendite- BauGB) müssen zukünftig Vergnügungsstät- trächtigkeit und behaupteten Gebietsunver- ten integrieren, auch neu gestatten, anstatt sie träglichkeit einen Trading-Down-Effekt zu planerisch verbannen zu wollen. Das Bahn- unterstellen, geht an der Realität im devianz- hofsviertel wird freilich umweht von einem affinen Frankfurter Bahnhofsviertel jedenfalls Schleier des Nichtwissens über das (Rotlicht-) vorbei. Es bleibt das Informationsdefizit und Geschehen. Es dominieren alteingesesse- die mangelnde Kooperationsbereitschaft der ne Milieugrößen, die sich meist ähnlich wie Eigentümer. Die Problematik, an verwertbare Immobilienfonds unbeweglich gegenüber Informationen zu gelangen, kennen ande- wirtschaftlichen und städtebaulichen Verän- re Wissenschaftsdisziplinen auch, die über derungsprozessen zeigen. Laufhäuser und Bordelle forschen. Diese In- Polizei und Bordellbetreiber haben eine transparenz steht in gewissem Widerspruch Art »Nichtangriffspakt«40 geschlossen, der zu dem Laufhaus als einem zumindest für allerdings jederzeit aufgehoben werden kann. männliche Kunden nahezu rund um die Uhr Prostitutionsimmobilien sind in der Grenze offen stehenden Ort, der aus (stadt-) soziologi- ziehenden Toleranzzone Bahnhofsviertel le- scher Perspektive ausdrücklich dazu einlädt, diglich toleriert, unabhängig von der Frage, ob Blickbegierden und Erfahrungshunger zu sie als kerngebietstypische Vergnügungsstät- aktivieren.44 Viel entscheidender als eine Bau- ten einzustufen sind oder nicht. Das ProstG leitplanung zur Förderung der Moral dürften hat den Schutz der Bordellbetreiber vor Raz- Strategien zur Offenlegung der verstrickten zien offensichtlich noch verstärkt und weni- Eigentumsverhältnisse sowie der Zwischen- ger den Prostituierten geholfen, für die es ur- betriebe bei Prostitutionsimmobilien sein. Es sprünglich konzipiert war.41 Clemens Meyer ist (und bleibt wohl auch durch das ProstG) berichtet in seinem Roman »Im Stein« (2013) schwierig, überhaupt den richtigen Ansprech- anschaulich, wie durch das ProstG aus dem partner und vor allem diejenigen zu ermitteln Jahr 2002, »jenem fast schon mythisch geworde- – vom Eigentümer über den Pächter bis hin nen Jahr (...), alles komplizierter wurde als vor- zu den Rotlichtkonsortien, den Betreiberge- her«.42 sellschaften, Managern und Wirtschaftern – die von diesen Geschäften profitieren.

Anmerkungen

1 Vgl. Stephan Mitschang (2013): Bebauungspläne zur 4 Vgl. Clemens Meyer: »Im Stein«. Roman. Frankfurt planerischen Steuerung von Vergnügungsstätten. am Main 2013, S. 457. In: (ders.) (Hrsg.): Stärkung der Innenentwicklung 5 Vgl. Michael Uechtritz: Trading-Down-Effekte – Steu- – BauGB-Novelle 2012/13. Berliner Schriften zur Stadt- erungsmöglichkeiten des Bebauungsplans. In: Willy und Regionalplanung, Band 20, Frankfurt am Main Spannowsky/Andreas Hofmeister (Hrsg.): Die Bewäl- 2013, S. 42-45; vgl. Hans-Jörg Birk: Die Möglichkeiten tigung städtebaulicher Missstände als Themengegen- zur standortgerechten Steuerung der Errichtung von stand der Innenentwicklung. Berlin 2012, S. 88 ff. Vergnügungsstätten nach § 9 Abs. 2b BauGB. In: Willy 6 Vgl. VG Freiburg, NVwZ 2001, S. 1442 f.; VGH Mann- Spannowsky/Andreas Hofmeister (Hrsg.): Novellie- heim, BauR 2012, S. 989. rungen des BauGB 2011 und 2013 mit den Schwer- 7 Vgl. Michael Uechtritz (Endnote 5, S. 88); mit Verweis punkten Klimaschutz und Innenentwicklung. Berlin auf VGH Kassel, NVwZ-RR 2005, S. 312 ff.; OVG 2013, S. 86. Münster, BauR 1983, S. 147. 2 Vgl. Hilmar Ferner/Holger Kröninger/Manfred Asch- 8 Vgl. Margarete Gräfin von Galen (Endnote 3, S. 169 f.). ke (Hrsg.): Baugesetzbuch mit Baunutzungsverord- 9 Vgl. Thorsten Benkel: Die Sichtbarkeiten des Frankfur- nung. Handkommentar, 3. Auflage, Baden-Baden 2013, ter Bahnhofsviertels. Ein soziologischer Rundgang. In: S. 107; BR-Drucks. 474/12, S. 17 ff. ders. (Hrsg.): Das Frankfurter Bahnhofsviertel. Devi- 3 Vgl. Margarete Gräfin von Galen: Rechtsfragen der anz im öffentlichen Raum. Wiesbaden 2010, S. 47. Prostitution. Das ProstG und seine Auswirkungen. 10 Vgl. Benjamin Davy: Die Stadt als Propaganda. In: München 2004, S. 170. Marissa Hey/Kornelia Engert (Hrsg.): Komplexe

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Regionen – Regionenkomplexe. Multiperspektivische 28 Vgl. Jens S. Dangschat: Stadt(teil)entwicklung zwi- Ansätze zur Beschreibung regionaler und urbaner schen Gentrification und ‚Renaissance‘. In: Planung Dynamiken. Wiesbaden 2009, S. 263. neu denken, pnd|online, Ausgabe IV|2013. 11 Vgl. Dieter von Lüpke: Maßstabssprünge der Planung 29 Vgl. Gunnar Kade/Karl Vorlaufer: Grundstücksmobi- – Städtische Planungshoheit und Investoreninteressen lität und Bauaktivität im Prozeß des Strukturwandels zwischen 1990 und 2000. In: Marianne Rodenstein citynaher Wohngebiete. Beispiel: Frankfurt/M.-West- (Hrsg.): Hochhäuser in Deutschland. Zukunft oder end. Frankfurter Wirtschafts- und Sozialgeographische Ruin der Städte? Stuttgart 2000, S. 84 ff. Schriften, Heft 16. Frankfurt am Main 1974, S. 13. 12 Vgl. Dieter von Lüpke (Endnote 11, S. 102). 30 Vgl. Janine Bittner/Peter Lippert/Sebastian Rolfsmei- 13 Vgl. Thorsten Benkel (Endnote 9, S. 77). er (Endnote 17, S. 4). 14 Vgl. Julian Wékel: Lokale Planungskulturen – Zur Ei- 31 Vgl. Fritz Pohnert/Birger Ehrenberg/Wolf-Dieter genlogik Münchens und Frankfurts. In: Martina Löw/ Haase/Dagmar Joeris: Kreditwirtschaftliche Wert- Georgios Terizakis (Hrsg.): Städte und ihre Eigenlogik. ermittlungen. Typische und atypische Beispiele der Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwick- Immobilienbewertung. 7. Auflage, Köln 2010, S. 573 lung. Frankfurt/New York 2011, S. 220. (zur Bewertung von Eroscentern). 15 Vgl. Hubert Beste: Morphologie der Macht. Urbane 32 Vgl. Thomas Krüger/Sven Richter/Patrick Stotz: »Sicherheit« und die Profitorientierung sozialer Kont- Immobilieneigentümer in der Stadtentwicklung. Ein rolle. Studien zur Inneren Sicherheit. Band 3, Opladen Blick auf zentrale, aber weithin unbekannte Akteure. 2000, S. 288. In: Raumplanung, Heft 152 (2010), S. 11-15. 16 Vgl. Hubert Beste (Endnote 15, S. 265). 33 Vgl. Christiane Howe: Innen(an)sichten im Rotlicht- 17 Vgl. Janine Bittner/Peter Lippert/Sebastian Rolfsmei- milieu. Eine ethnografische Annäherung an Bordell- er: Ethnischer Einzelhandel im Frankfurter Bahnhofs- betriebe im Frankfurter Bahnhofsviertel. In: Thorsten viertel. In: GeoLoge, Heft 2/2011, S. 3-21. Benkel (Hrsg.): Das Frankfurter Bahnhofsviertel. De- 18 Vgl. Hessisches Gesetz über Sicherheit und Ordnung vianz im öffentlichen Raum. Wiesbaden 2010, S. 259 f. und der Verordnung des Regierungspräsidiums Darm- 34 Vgl. Thorsten Benkel (Endnote 9, S. 87). stadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen 35 Vgl. Christiane Howe (Endnote 33, S. 255); geschätzte Anstandes in Frankfurt am Main – sog. Sperrgebiets- Daten und empirisch überprüft durch den Verfasser verordnung, Erstfassung vom 28.12.1960. dieses Beitrags. 19 Vgl. Hubert Beste (Endnote 15, S. 250). 36 Vgl. Fritz Pohnert/Birger Ehrenberg/Wolf-Dieter 20 Vgl. Martina Löw/Renate Ruhne: Prostitution. Her- Haase/Dagmar Joeris (Endnote 31, S. 573). stellungsweisen einer anderen Welt. Berlin 2011. 37 Vgl. Margarete Gräfin von Galen (Endnote 3, S. 179 21 Vgl. Marcel Feige: Das Lexikon der Prostitution. f.). Berlin 2003, S. 242. 38 Vgl. Manfred Aschke, in: Hilmar Ferner/Holger Krö- 22 Vgl. Martina Löw/Renate Ruhne (Endnote 20, S. 103). ninger/Manfred Aschke (Endnote 2, S. 1001). 23 Vgl. VGH Kassel, Urteil vom 31. Januar 2013, Akten- 39 Vgl. Manfred Aschke, in: Hilmar Ferner/Holger Krö- zeichen 8 A 1245/12. ninger/Manfred Aschke (Endnote 2, S. 1034). 24 Vgl. Der Spiegel: »Ungeschützt«, Ausgabe Nr. 40 Vgl. Thorsten Benkel (Endnote 9, S. 81, dort Fußnote 22/2013, S. 56-65. 30). 25 Vgl. Hubert Beste (Endnote 15, S. 250). 41 Vgl. Der Spiegel (Endnote 24, S. 58 f.). 26 Vgl. Martina Löw/Renate Ruhne (Endnote 20, S. 42 Vgl. Clemens Meyer (Endnote 4, S. 456). 100). 43 »Ist Hamburg für sein Rotlicht berühmt, ist Frankfurt 27 Vgl. Hubert Beste (Endnote 15, S. 255). für sein Milieu berüchtigt«. Vgl. Marcel Feige (Endnote 21, S. 241). 44 Vgl. Thorsten Benkel (Endnote 9, S. 78).

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Ein systemisches Kommunikationsmodell für die räumliche Planung

»Ein systemisches Kommunikationsmodell für die räumliche Planung«!? Kann man nach der Ursula Stein, 1957, studierte Ausgabe II_III|2013 von pnd|online und der darin behandelten Frage nach der Wirkung von Raumplanung an der Mitwirkung und den berechtigterweise skeptischen Anmerkungen von Klaus Selle (Selle 2013) Universität Dortmund und weitermachen, ohne sich als hoch verdrängungsfähig zu erweisen? Ja – aber eben nicht einfach promovierte dort auch so. Es ist nötig, sich klar zu machen, dass Kommunikation keine technisch kontrollierbare An- 2006 über das Thema gelegenheit ist. Darauf machen besonders systemtheoretisch fundierte Ansätze aufmerksam1. »Lernende Stadtregion. Wenn es darum geht, Lern- und Verständigungsmöglichkeiten zu organisieren (ein zentrales Verständigungsprozesse Element im »governance-style planning«, vgl. Stein 2005), dann steht der räumlichen Planung über Zwischenstadt«. ein besonderes Element zur Verfügung: Stadt und Region sind sowohl der Ort als auch der Sie ist ausgebildet in Gegenstand solcher Prozesse. In dem vorliegenden Beitrag entwickele ich ein Kommunika- Systemischer Beratung und tionsmodell, das den Raum integriert und als besondere Chance nutzen hilft, ohne in triviale Organisationsentwicklung Vorstellungen von der Wirkung kommunikativer Planung zu verfallen. am Institut für Systemische Beratung in Wiesloch. Gemeinsam mit dem Kommunikation war immer ein wichtiges Ele- Kommunikation in der Raumplanung zu ver- Landschaftsarchitekten Henrik ment in der Stadt- und Regionalplanung. Eine stehen und entsprechende Aktivitäten vorzu- Schultz führt sie das Büro besondere Betonung erfuhr die kommunika- bereiten. In einer systemischen Perspektive Stein+Schultz in Frankfurt tive Praxis seit den 1970er Jahren, als sich das sind Stadt- und Regionalplanung untrenn- am Main (www.steinschultz. Augenmerk auf Beteiligung und Stärkung der bar mit Kommunikation verknüpft. Diese de) und ist an der Universität Rechte strukturell Benachteiligter richtete. In Kommunikation muss mit gleicher Sorgfalt Kassel als Honorarprofessorin der Planungstheorie wurde dies in den 90er geplant und durchgeführt werden wie ein für »Kommunikation in der Jahren als »communicative turn« im Kontext räumlicher Entwurf. Die systemtheoretische Planung« tätig von Konzepten der »Governance« diskutiert. Fundierung allerdings weist darauf hin, dass Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, ein Modell keine »korrekte Umsetzung« wie bei einem der Kommunikation mit systemischen und technischen Entwurf zu erwarten ist, sondern konstruktivistischen Wurzeln (Schmid 2008)2 ein Auswahl- und im besten Fall Lern- oder für die Praxis der kommunikativen Planung Veränderungsprozess der beteiligten Akteu- aufzubereiten. Ich gehe dabei von der Er- re, der dann möglicherweise zu Handlungen fahrung aus, dass ein solches Modell hilft, führt (Sposito/Faggian 2013, Schmid 2008).

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Das in diesem Beitrag vorgestellte Modell der tung demokratisch beschlossener Planungen Kommunikation platziert Stadt und Region verlangt. so, dass ihre doppelte Rolle als Ort und An- In modernen westlichen Gesellschaften lass für die Kommunikation deutlich wird. gehört die Nutzung des öffentlichen Raums Ich möchte vorweg betonen, dass dieses Mo- zum täglichen Leben: ohne viel Nachdenken dell nicht den Anspruch erhebt, Theorie oder für Wege zur Arbeit, zur Schule oder zum Teil davon zu sein, sondern ein Konzept, das Einkaufen oder bewusst gesucht z.B. für die dazu dient, Denken und Handeln von Profes- Freizeit in Cafés und Parks. Dass sich Au- sionellen in praktischen Kontexten zu struk- ßengastronomie, Sportarten wie Skateboar- turieren. den auf zentralen Plätzen oder die Mischung Das Potenzial dieses Verständnisses von von Arbeiten und Freizeit mit Notebook und kommunikativer Planung wird dann anhand WLAN im Park oder Schwimmbad wachsen- von praktischen Beispielen verdeutlicht. Es der Beliebtheit erfreuen, kann heutzutage geht um bessere planerische Lösungen und nicht mehr der häuslichen Raumknappheit zugleich um eine Kommunikation, die für die geschuldet sein. Es kann auch darauf hindeu- beteiligten Akteure eine soziale Bedeutung ten, dass mit der Nutzung des öffentlichen entfaltet und damit die Ergebnisse kommu- Raums auch das Gefühl des gesellschaftli- nikativer Planung möglich macht und stabi- chen Dabeiseins verbunden ist. lisiert. Zu den Elementen solcher Planungs- Sich mit dem gemeinsamen Raum zu be- prozesse gehört es, gemeinsam den Raum zu fassen, bietet besondere Möglichkeiten für erfahren, gemeinsame Bilder und Worte zu Begegnung und Austausch zwischen Men- finden, Konflikte aus verschiedenen Perspek- schen unterschiedlicher Lebenssituationen, tiven zu beleuchten und professionelle mit die normalerweise nichts direkt miteinander lokaler Expertise zu verbinden. zu tun haben. Besitz und Nutzung des Raums schafft aber auch Konflikte. Sowohl Begeg- nung als auch Konflikt können kommunika- Stadt und Region: Ort und tiv gestaltet werden. Anlass für Kommunikation Planung ist nicht mehr ohne Kommunikation In diesem Kapitel werden einige Grundgedan- und Partizipation denkbar ken zu Kommunikation in der räumlichen Planung vorgestellt. In den letzten Jahrzehn- Mit der anfänglichen Feststellung, Kommuni- ten ist die politische und soziale Bedeutung kation sei immer ein wichtiges Element in der von Partizipation gewachsen. Am Leben im Stadt- und Regionalplanung gewesen, weise öffentlichen Raum teilzuhaben ist zu einem ich darauf hin, dass Kommunikation bei dem symbolischen Akt der gesellschaftlichen Teil- von den Wissenschaften in den neunziger habe geworden. Deshalb braucht kommuni- Jahren identifizierten »communicative turn« kative Planung ein Modell von Kommunika- nichts gänzlich Neues war. Sie war bereits tion, das hilft, in diesem Kontext angemessen wichtig, als Planung im wesentlichen Exper- vorzugehen. tensache war und leitende Politiker sowie Vertreter von Wirtschaft und Handel mitei- Räumliche Planung ist Teil sozialer Praxis nander die zukünftige Stadtentwicklung be- sprachen (Selle 2000, 69f). Bis in die Nach- Wie wir mit Raum umgehen, ist eine öffent- kriegszeit hinein war diese Kommunikation liche und gemeinschaftliche Angelegenheit. aber ausschließlich eine Sache der leitenden Der wichtigste Grund hierfür liegt in der Tat- Planungsbeamten. Der Plan als Ergebnis sache, dass Boden eine begrenzte Ressource fachlicher Arbeit stand im Fokus. In den sieb- ist, die jedermann in der einen oder anderen ziger Jahren wirkte sich die allgemeine For- Weise braucht. Bei der Nutzung von Raum derung nach mehr Demokratie auch auf die müssen deshalb Nachhaltigkeit und soziale Planung aus. Methoden wie Advokatenpla- Kriterien berücksichtigt werden. In Deutsch- nung und frühzeitige Beteiligung in der Bau- land kennt das Grundgesetz daher neben leitplanung wurden erprobt, implementiert, dem hohen Wert individuellen Eigentums an verfeinert und theoretisch unterlegt (Healey Grund und Boden, das u.a. Beteiligungsrech- 1997, Selle 2000). Nicht nur Betroffenheit te in Planungsprozessen begründet, auch die von Bürgern, sondern auch Ressourcen un- Sozialpflichtigkeit des privaten Eigentums, terschiedlicher Akteure wurden in den Blick die u.a. die Nutzung des Bodens unter Beach- genommen. Die kommunikative Wendung,

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in den Wissenschaften als »communicative men. Dies erwartet man als Normalfall. Tritt turn« bezeichnet, unterstrich das Recht und dieser nicht ein, geht man von zu beseitigen- die Notwendigkeit, Planungsfragen öffentlich den Kommunikationsstörungen aus. Implizit zu erörtern, die diese Diskussionen allgemein erwartet A meist auch, durch richtige Inst- zugänglich machen sollten. Danach wandte ruktion B zu dem beabsichtigten Verständnis sich ein Teil der Aufmerksamkeit auch wie- und oft auch zum gewünschten Verhalten der dem institutionellen Wandel zu, der not- veranlassen zu können.« (Schmid 2008, 71) wendig war und ist, um ein neues Selbstver- ständnis der Planung zu unterstützen. Diese Das Sender-Empfänger-Modell ist erkennbar sollte sich von einer autoritären Fachdisziplin zu einem Teil eines interaktiven Modells von Planung zwischen Staat, Markt und Gesell- schaft mit unterschiedlichen Rollen und Res- sourcen entwickeln (z.B. Stein 1995). Somit war die kommunikative Wende Teil einer Ent- technisch geprägt, wie es seinem historischen Sender-Empfänger: Das wicklung im Wandel des Staatsverständnisses Verwendungszweck in der Informationstech- klassische Modell der vom »modernen Fürsorgestaat« zum »post- nologie entsprach. Elemente wie Störfaktoren Kommunikation (eigene modernen« Staat, der seinen Bürgern Teilha- (»Lärm«) und Rückkopplungsschleifen wur- Darstellung nach Schmid be ermöglicht und den Rahmen für Aushand- den später hinzugefügt. Dennoch wurde es 2006) lungsprozesse setzt. von Sozialwissenschaftlern so nicht weiter be- Partizipation in der räumlichen Planung nutzt, weil es ihm kaum gelingt, den sozialen ist seither aus einer Reihe von Gründen zu Kontext von Kommunikation zu integrieren. einem »Muss« geworden, dem sich zuneh- Es kann, wie das Zitat von Schmid nahelegt, mend auch die Immobilienwirtschaft positiv im Rahmen von Steuerungsmodellen funkti- zuwendet. Das allgemeine Bildungsniveau onal erscheinen, die hierarchisch aufgebaut ist gestiegen. Die Mitglieder der Stadtgesell- sind und nach dem Prinzip von »command schaft erheben deshalb immer mehr den An- and control«, also Anweisung und Kontrolle, spruch, selbst für ihre Belange einzutreten konzipiert sind. Das Sender-Empfänger-Mo- und die Diskussion über Zukunftsfragen und dell kann aber viele Aspekte der chaotischen den gemeinsamen Raum nicht der politi- und unvorhersagbaren menschlichen Natur schen Sphäre zu überlassen. Expertenwissen kaum integrieren. Dass aus Information erst wird nicht mehr als neutrale Information an- in einem ko-kreativen Prozess Bedeutung gesehen3. Menschen wollen deshalb wissen, wird, erfasst es ebenso wenig wie die Bedeu- vor welchem Hintergrund Expertenaussagen tung von Intuition, Hass, Liebe, Hoffnung formuliert und Pläne entwickelt werden. Gut oder Angst in diesem Prozess. Solche Fakto- gestaltete Partizipationsprozesse werden von ren sind aber wesentliche Bestandteile von aufgeklärten Planungsfachleuten und Pro- Lernen im Rahmen von Verständigungspro- jektentwicklern geschätzt: Sie machen lokale zessen über Raum (Stein 2006, 148f). Sachkenntnis für präzise passende Lösun- Systemisch-konstruktivistisches Den- gen verfügbar, lassen Stolpersteine sichtbar ken benutzt ein ergänzendes Modell der werden und tragen dazu bei, Verzögerungen Kommunikation. Es geht davon aus, dass aufgrund von Klagen bei der Umsetzung zu jeder Kommunikationspartner eine eigene verringern. Wirklichkeit lebt und die Begegnungen mit anderen – wenn sie ihm bedeutungsvoll er- scheinen – dazu nutzt, seine eigene Wirk- Räumliche Planung braucht ein lichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls angemessenes Kommunikationsmodell weiterzuentwickeln. Dabei ist im Normalfall von unterschiedlichen Wirklichkeiten auszu- Das wahrscheinlich bekannteste Modell der gehen, die sich begegnen müssen, wenn eine Kommunikation ist das Sender-Empfänger- gemeinsame Wirklichkeit als Basis von Kom- Modell nach Shannon und Weaver (Shan- munikation entstehen soll. Das systemische non/Weaver 1949). Zu diesem Modell sagt Kommunikationsmodell gibt die Vorstellung Schmid: »Das klassische Sender-Kanal-Emp- von Kontrolle der Kommunikation auf, weil fänger-Modell der Kommunikation geht von die Wirklichkeiten lebender Systeme äußerst einem prinzipiell berechenbaren Austausch komplex sind. »Nicht-instruktive Interaktion« von Botschaften aus. Wenn die Botschaft rich- ist deshalb gefragt: »Das heißt, man erwartet, tig gesendet und der Kanal in Ordnung ist, dass B aus den Äußerungen von A auswählt muss sie identisch beim Empfänger ankom- und mit einer der eigenen Wirklichkeitslogik www.planung-neu-denken.de 4| 9 Ursula Stein: Ein systemisches Kommunikationsmodell für die räumliche Planung

angepassten Verhaltensanpassung reagiert.« regionalen Plan oder einen städtischen Ent- (Schmid 2008, 72) Einen gemeinsamen Aus- wicklungsprozess gehen. schnitt aus den jeweiligen Realitäten herzu- Die Begriffe »Akteur« und »Akteurssys- stellen ist eine notwendige Anstrengung bei tem« werden hier wie »stakeholder« und »sta- jeder Kommunikation. Sie braucht Kreativität keholder system« verwendet. Darunter wer- und Kompetenz. den Individuen, Gruppen oder Institutionen verstanden, die ein Projekt mit Geld, anderen Ressourcen, Macht und Meinungen beein- flussen können oder davon in ihren Interes- sen berührt sind. Schmid, auf den ich mich beziehe, benutzt in seinem Konzept (u.a. Schmid 2008) die Begriffe »Person« oder »Kundensystem« oder »Beratersystem« für die Elemente, die kommunizieren sollen. Bei der Weiterentwicklung von Schmids Modell für die räumliche Planung habe ich das Wort »Akteur« bzw. »Stakeholder« eingeführt, weil es bei der kommunikativen Planung darum geht, den Dialog zwischen Akteuren in Pla- nungsprozessen zu fördern und zu moderie- ren. Dieses Modell der Kommunikation als Begeg- Systemisches nung von Kulturen und Akteurssystemen för- Raum im systemischen Kommunikationsmodell für dert eine realistischere und inspirierendere Kommunikationsmodell die räumliche Planung (Eigene Haltung für kommunikative Planung als das Darstellung in Anlehnung an Sender-Empfänger-Modell. Ausgangspunkt Menschen – und auch Akteurssysteme – das «Kulturbegegnungsmodell ist die Annahme, dass keine oder wenig kommen nicht umhin, Raum zu teilen bzw. der Kommunikation« von Übereinstimmung in den wahrgenommenen gemeinsam zu nutzen, wenn sie in einem Ter- Schmid 2008, 71) Realitäten besteht – dass es diesbezüglich ritorium leben oder arbeiten. Deshalb ist die aber auch Überraschungen geben darf. Kom- Entwicklung von Quartieren, Städten und Re- munikative Planung schafft dann zunächst gionen ein guter Anlass für Begegnung und Gelegenheiten der Begegnung, in denen ge- Kommunikation. Geteilter oder umkämpfter meinsame Wahrnehmungen oder die Wahr- Raum ist ein Grund für Kommunikation, die nehmung der Unterschiede entstehen kön- dann die unterschiedliche Wahrnehmung nen. Daraus können sich gemeinsame Ideen und Nutzung des Raums thematisieren muss oder sogar Wahrnehmungen entwickeln. Es und möglicherweise zu Begegnung von Ak- ist nicht unbedingt ein Problem, wenn dies teuren führt. Gleichzeitig kann die Begeg- dann nur einen Bruchteil der Realitätswahr- nung als Basis von Kommunikation in dem nehmungen eines Akteurssystems darstellt. Raum stattfinden, der Grund dafür ist. Es genügt, ausreichend gemeinsame Wahr- Kommunikative Planungsprozesse, die Stadt und Region nehmungen und Interessen zu formulieren, dem systemischen Modell folgen, eröffnen im systemischen um bezogen auf bestimmte Ziele gemeinsam eine Vielzahl von Chancen. Im nächsten Ka- Kommunikationsmodell für handlungsfähig zu werden. Da kann es dann pitel werden einige davon anhand von Bei- die räumliche Planung (Eigene zum Beispiel um Unterstützung für einen spielen aus der Praxis erläutert. Darstellung)

Kommunikative Planung und die Potenziale des systemischen Kommunikationsmodells

Am einfachsten kommt man über ein Quar- tier, eine Konversionsfläche, eine Stadt oder eine Region ins Gespräch, wenn man dort ist. Erlebnisse mit dem Raum, um den es geht, verstärken die Bedeutung von Planungspro- zessen für das Individuum. Sie ermöglichen ungezwungene Begegnungen mit anderen Akteuren und machen daraus entstehende Netzwerke stabiler. Als »erfahrensbasierte

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Planung« wurde ein Planungsansatz be- und »Wandel« drei übergreifende Aspekten schrieben, der systematisch den Raum als der Stadtentwicklung beleuchteten. Für die Schlüsselakteur in Planungsprozesse einbe- Exkursion zum Thema »Wohnen« öffneten zieht (Stein/Schultz 2008). zehn Familien ihre Wohnungen und Häuser Erkundung des Raums zu Fuß oder mit aus allen Bauzeiten in Voerde für rund fünf- dem Fahrrad ermöglicht eine langsame, kör- zig unbekannte Mitbürger. Vor Ort ergaben perlich erfahrene Begegnung mit dem Raum sich lebhafte Diskussionen über Wohnbe- und seinen physischen und sensorischen Ei- dürfnisse, Baukosten, Lebensstile und Wohn- genschaften. Genauso wichtig ist die bewusste präferenzen. Für die Vision entstand hieraus Reflexion des zum Teil unbewusst Erlebten4. Material für den Punkt »Vielfalt der Wohnan- Dabei kann man sich mit anderen Beteiligten gebote«. Einige Wochen später führte das The- über das Wahrgenommene austauschen und ma »Wandel« die Teilnehmer zu einer Schule, es später auch im Nachgespräch vertiefen. Die einem Bauernhof, einem Pferdesportbetrieb Gesprächspartner können Gemeinsamkeiten und einer Konstruktionsfirma. Die jeweiligen und Unterschiede ihrer Wahrnehmungen Führungskräfte berichteten, wie sie mit dem feststellen. Daraus entstehen Referenzpunkte Wandel in der Bildungsarbeit, der Landwirt- für die folgenden Diskussionen über die zu- schaft, der Freizeit und der Industrie umge- künftige Nutzung und Gestaltung. Es ist gar hen. Das gab Anlass zu Reflexionen über den nicht notwendig, in allen Punkten Einigkeit Umgang mit Bewahren und Entwickeln, der über Wahrnehmungen und Einschätzungen häufig Thema in der Diskussion über Stadt- zu erzielen. Im Gegenteil: Klarheit über Un- planung ist. Die Vision Voerde 2030 wurde terschiede und Gemeinsamkeiten ist notwen- dann in einer Reihe öffentlicher Veranstaltun- dig, um in weiteren Schritten beispielsweise gen mit Beiträgen aus Stadtplanung, Politik herausfinden zu können, welche Entwicklung und Bürgerschaft formuliert. Hinzu kam die die meiste Unterstützung erfahren würde. Festlegung von ersten Maßnahmen, die im Arbeitsprogramm der Stadtverwaltung veran- In den folgenden Abschnitten zeigen vier Bei- kert wurden. Politik und Bürger traten ener- spiele einige der Chancen auf, die kommu- gisch dafür ein, dass die Fortführung des Di- nikative Planung auf der Basis des systemi- alogs ein wichtiger Teil der Vision sein sollte. schen Kommunikationsmodells bietet: ππ Der Arbeitsprozess für eine Entwicklungs- vision einer kleinen Mittelstadt bewirkt, dass die Akteure den Dialog als Triebkraft für die Stadtentwicklung neu entdecken. ππ Der Entwurfsprozess für einen Park hilft, Konflikte zwischen unterschiedlichen Betei- ligten zu mindern. ππ Lokaler Sachverstand qualifiziert ein in- ternationales Wettbewerbsverfahren, wenn er angemessen eingespeist wird. ππ Eine Metapher mit Bildern und Texten unterstützt interaktive Diskussionen über die Entwicklung einer Region. Die Beispiele illustrieren unterschiedliche Zusammenhänge zwischen den Elementen des systemischen Kommunikationsmodells.

Akteure zusammenbringen, Ressourcen mobilisieren und Stadtentwicklung zum gemeinsamen Anliegen machen Das Beispiel illustriert das Kommunikations- Hausbesitzer empfangen dreieck im systemischen Kommunikations- die Besucher während der Voerde 2030 ist eine Vision für die Stadt Vo- modell für die räumliche Planung: Die Ak- Exkursion «Wohnen« im erde am Niederrhein mit ihren rund 40.000 teure begegnen sich an den Orten ihrer Stadt, Sommerprogramm Voerde Einwohnern. Sie zielt darauf ab, Potenziale zu mit denen sie sich befassen. Sie nehmen an 2030 (Foto: U. Dickmann, identifizieren, Strategien zu entwerfen und öffentlichen Diskussionen teil und tauschen Voerde) Projekte zu starten. Ein Sommerprogramm sich über ihre Wahrnehmungen und Meinun- lud die Bürgerschaft zu Exkursionen ein, gen aus. Die Entwürfe der Planenden können die mit den Themen »Wasser«, »Wohnen« darauf aufbauen und die Erfahrungen und www.planung-neu-denken.de 6| 9 Ursula Stein: Ein systemisches Kommunikationsmodell für die räumliche Planung

Äußerungen als Bezugspunkte verwenden. besetzt. In der Folgezeit hatten sie ein Veran- Die Beziehungen zwischen den Akteursgrup- staltungszentrum aufgebaut, das mit seinem pen können sich auf diese Weise verändern. Musikprogramm bundesweite Aufmerksam- »Die Atmosphäre in der Stadt ist anders ge- keit fand. In manchen Jahren wurden über worden. Die Bürger zeigen mehr Interesse 140.000 Besucher gezählt. Rund 50 Personen für Stadtentwicklung als zuvor, und sie er- fanden Arbeit. Trotzdem waren die Beziehun- warten ganz offensichtlich, dass auch etwas gen mit der Stadtverwaltung und der Politik geschieht«, berichtete ein Politiker im Aus- weiterhin von Vorurteilen und gegenseitigem schuss für Stadtplanung. Misstrauen geprägt. Das Stadtplanungsamt ergriff die Initiative und gab eine Mischung Konflikte erhellen und Lösungen vorbereiten aus Planungs- und Mediationsverfahren in Auftrag: Das umliegende Brachgelände sollte Kommunikative Raumplanung kann auf in einen Park für Freizeit und Kulturveranstal- eine Reihe von Standardmethoden für Groß- tungen verwandelt werden. Ein solches Ange- gruppenarbeit zurückgreifen, zum Beispiel bot, das junge Leute ansprechen sollte, fehlte Zukunftskonferenze[n] (Weisbord/Janoff in der Kur- und Kongressstadt bis dahin. In 2000), Open Space (Owen 1997) oder World einem ersten Schritt führte das Planungsteam Café (Brown/Isaacs 2005). Meistens müssen zahlreiche Interviews durch, um die Bedürf- diese Standardformate an die speziellen Be- nisse, Ängste und Ideen der verschiedenen dürfnisse der Gruppe und der Aufgabe sowie Akteure mit ihren Untergruppen zu erfassen. an die lokale Planungskultur angepasst und Der erste Entwurf für den Plan bot dann die damit in maßgeschneiderte Prozessdesigns Möglichkeit, dass zum ersten Mal alle Ak- integriert werden. Wenn die Sachlage von teure zusammenkamen. Im Gespräch über Konflikten geprägt ist, können Elemente der den Entwurf wurden ihre gemeinsamen und Mediation integriert werden. unterschiedlichen Ansprüche deutlich. Krea- Freizeit- und Kulturpark Dies war zum Beispiel bei der Planung tiv ging es an Verbesserungsvorschläge. Der Wiesbaden – Nutzung des Freizeit- und Kulturparks auf dem Gelän- überarbeitete Entwurf wurde dann in einem unmittelbar nach de des ehemaligen Schlachthofs in Wiesba- zweiten Workshop präsentiert. Nach dem Re- Fertigstellung 2008 (Foto: H. den der Fall. Hier hatten rund 15 Jahre zuvor alisierungsbeschluss des Rats übernahm das Schultz/Stein+Schultz) junge Leute die letzte Halle vor ihrem Abriss Grünflächenamt die Umsetzung.

Auch dieses Beispiel zeigt, dass Räume und Orte die Chance bieten, zum gemeinsamen Fokus von unterschiedlichen gesellschaftli- chen Gruppen zu werden. Um das Potenzi- al zu realisieren, sind sowohl ein sorgfältig gestalteter Planungsprozess und ein auf die Interessenkonstellation eingehender räumli- cher Entwurf als auch verlässliches Handeln der Akteure nötig.

Professionelle und lokale Sachkenntnis verbinden

Das systemische Kommunikationsmodell kann dazu beitragen, dass unterschiedliche Interessen und Rollen in Planungsprozessen erkannt und zu Ressourcen für Planungspro- zesse gemacht werden können. Wettbewerbe waren in Architektur und Städtebau lange Zeit die Verfahren, in denen sich entwerferisches Genie ungestört entfalten sollte, um die fach- lich besten Lösungen hervorzubringen. Seit einigen Jahren mehren sich aber die Fälle, in denen Wettbewerbsergebnisse von Bürgern und/oder Politik heftig kritisiert und später in der Umsetzung verzögert oder verhindert wurden. Wettbewerbe mussten also den Weg

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aus der Isolation und in eine fruchtbare Dis- kative Zusammenarbeit und konventionelle kussion mit der Öffentlichkeit finden. Informationsarbeit ergänzen einander. Die Im Jahr 2006 schrieb die Stadt Köln einen Grundstücksanlieger und die Bürger wirken Wettbewerb für die Gestaltung des rechten an der Aufgabenstellung mit und bringen Rheinufers im Stadtteil Deutz europaweit aus. hier ihre Anliegen ein. Eine Jury wählt – un- Das Deutzer Rheinufer ist ein populärer Frei- ter Berücksichtigung der auch im Zwischen- raum für die Einwohner des dicht bebauten forum gegebenen Hinweise – den fachlich Stadtteils und für Touristen, die den Blick auf überzeugendsten Siegerentwurf aus. Der die gegenüberliegende Altstadt und den be- Planungsprozess fungierte als Rahmen für rühmten Dom genießen. In der Nähe liegen die Kommunikation zwischen Menschen aus auch das Messegelände und andere wichtige Stadtteil, Stadt und Region, Grundeigentü- Potenzialflächen für die Stadtentwicklung. mern, Nachbarn, Politik und Planungsteams. Durch intensive Nutzung hatte der Zustand Der gemeinsame öffentliche Raum stand für des Freiraums gelitten. Das Amt für Land- alle im Fokus. schaftspflege und Grünflächen befürworte- te, dass das Wettbewerbsverfahren um zwei Rheinboulevard Köln: wichtige Elemente der Bürgerbeteiligung Besucher des Zwischenforums von Akteuren und Bürgern erweitert wurde. und Planteams diskutieren Noch während der Ankündigung des Wettbe- Entwürfe (Foto: Th. Kemme/ werbs wurden die Eigentümer angrenzender Regionale 2010) Grundstücke zu einem Workshop eingeladen, in dem die Aufgabenstellung vorbereitet wer- den sollte. Wenige Tage später kamen rund 140 interessierte Bürger aus Stadtteil, Stadt und Region zum gleichen Thema zusammen. Ein zweistufiger Wettbewerb ermöglichte es, dass die Jury aus den Designs der 26 Wett- werbsteilnehmer zunächst sechs Gewinner auswählte. Diese wurden eingeladen, in der zweiten Phase ihre Konzepte vertiefend aus- zuarbeiten. Davor stellten sie in einem »Zwi- schenforum« ihre Zwischenergebnisse der interessierten Öffentlichkeit vor. Über 300 Bürger nutzten die sechsstündige Veranstal- tung, um sich von den Teams individuell und in kleinen Gruppen ihre Pläne erläutern zu lassen und ihnen nützliche Hinweise mit auf den Weg zu geben. Übergreifende Aspekte wurden in zwei Plenumsphasen erörtert. We- nige Wochen später bestimmte die Jury den Wettbewerbssieger, der in einer öffentlichen Eine gemeinsame Sprache in Veranstaltung seinen Entwurf vorstellte. Dort Worten und Bildern finden wurde auch mit allen Verantwortlichen über den Fortgang des Projekts gesprochen. Ob- Im Großherzogtum Luxemburg hat im Jahr wohl die Realisierung aufgrund technischer 2003 das für Planung zuständige Innenmi- Schwierigkeiten (wie z.B. Funden von archäo- nisterium eine Diskussion über die Raum- logischen Relikten und Kampfmitteln aus struktur im Süden des Landes initiiert. Im dem letzten Weltkrieg im Untergrund) erheb- Rahmen eines EU-finanzierten InterReg- lich teurer wurde als geplant, hat es bis heute Projekts (The SAUL Partnership 2006) legte den Rückhalt bei Politik und Öffentlichkeit das Ministerium besonderen Wert auf die Zu- nicht verloren. Die Verantwortlichen führen sammenarbeit mit professionellen Planern, dies darauf zurück, dass alle Akteure intensiv Bürgermeistern und Bürgern, die sich in am Entstehungsprozess mitwirken konnten. der Region in Initiativen zu raumbezogenen Themen im Bereich Naturschutz, Kultur und In diesem Beispiel wird deutlich, wie den un- Sport engagieren. Ziel war es, eine fachliche terschiedlichen Rollen der Beteiligten in ei- Diskussion über die Bedeutung von Freiräu- nem sorgfältig gestuften Verfahren Rechnung men und die besonderen stadtlandschaftli- getragen werden kann und muss. Kommuni- chen Strukturen der Südregion zu lancie- www.planung-neu-denken.de 8| 9 Ursula Stein: Ein systemisches Kommunikationsmodell für die räumliche Planung

ren. Diese Region befindet sich derzeit im benutzt werden (vgl. Stein/Schultz 2008). Umbruch von einer Montanregion zu einem Eines der Ergebnisse war eine »Raumvision«. Standort für Unternehmen im Finanz-und Sie benutzte die Metapher der »Roten Küste« Dienstleistungssektor sowie die Universität mit ihren »Stränden«, »Hängen«, »Häfen«, von Luxemburg. Zugleich sollte das Projekt »Riffs«, »Buchten« und dem »offenen Meer« ein Modell für eine neue Art von kleinmaß- als einen von vielen Wegen, die räumliche stäblicher Regionalplanung entwickeln, in Ausgangslage und die Entwicklungsoptionen der die ästhetischen Aspekte des Raums eine zu visualisieren. Die Metapher – so gewagt sie größere Bedeutung bekommen sollten als in für Luxemburg auf den ersten Blick erscheint der funktionalen Regionalplanung beispiels- – fußt auf der Geologie der Region und dem weise in Deutschland. im Volksmund gebräuchlichen Namen »Côte Ganz zu Anfang standen unterschiedliche Rouge«, d.h. Rote Küste. Sie wurde u.a. mit Arten von »Reisen«. Die Radsportclubs der klassischen Schemazeichnungen, Erläuterun- Region organisierten eine Rundfahrt, bei der gen in der vertrauten Planersprache und Foto- jeweils örtliche Experten den Teilnehmenden montagen ergänzt. Auf diese Weise konnten ihre speziellen lokalen Perspektiven vermit- viele unterschiedliche Akteure ihren Zugang telten. Ein Besuch bei InterReg-Partnern im zur Diskussion über die räumliche Entwick- Saarland (vgl. Stein 2005, 66ff) ließ deren lung der Region finden. »Das ist das erste Vorgehensweise in einer ähnlich strukturier- Mal, dass ich in einem Planungsdokument ten Region deutlich werden. Später bot der meine Heimat spüren kann!« meinte der In- Künstler Boris Sieverts Reisen zu Fuß an, nenminister in einem der Workshops.

Es ist vorteilhaft, wie das Luxemburger Bei- spiel zeigt, viele unterschiedliche Wege zu nutzen, um Verständigung in Planungspro- zessen zu fördern. Physische Erfahrung mit dem Raum ist einer davon. Worte, Bilder, Gra- fiken und Metaphern unterstützen Akteure mit unterschiedlichen Kommunikationsprä- ferenzen dabei, Gemeinsamkeiten zu finden.

Zum Schluss

Kommunikative Planung braucht ein ange- messenes Kommunikationsmodell für ihre konkrete Praxis. Ein nicht-hierarchisches, systemisches Kommunikationsmodell bietet hier viele Vorteile. Es hilft dabei, kommuni- kative Planungsarbeit so zu gestalten, dass Reise durch die Südregion in die durch dicht bebaute Bereiche ebenso wie gute Lösungen entwickelt werden und eine Luxemburg mit Boris Sieverts durch Naturreservate und Industriebrachen möglichst breite Unterstützung für Pläne (Foto: U. Stein, Stein+Schultz) führten und – nicht zuletzt durch das eigene, und Projekte entstehen kann. Die Begegnung körperliche Erfahren – den Teilnehmenden zwischen den Akteuren und die gemeinsame ein intensives Erleben ihres eigenen Raums Begegnung mit der Stadt oder der Region, um aus ungewohnten Blickwinkeln ermöglich- die es geht, unterstützt örtliche und regionale te. Es waren besonders die Reisen mit Boris Kommunikation. Sieverts, die die Auseinandersetzung mit In diesem Zusammenhang sind Stadt den Nachbarschaften und Brüchen zwischen und Region sowohl Ort als auch Anlass für Raumelementen der urbanen Landschaft im Kommunikation. Kooperative Planung liefert Umbruch und mit ihrer eigenartigen Schön- dafür den Rahmen. Für eine Praktikerin liegt heit förderten. Sowohl die alten als auch die der Gedanke nahe, dass eine von diesem Kon- neuen Wahrnehmungen des Raums konnten zept geleitete Planungsarbeit auch zu räumli- dann in den anschließenden Diskussions- cher Identität und auf den Raum bezogener und Entwurfsprozessen als Bezugspunkte Kooperation beiträgt.

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Literatur Stein, Ursula/Schultz, Henrik (2008): Experiencing Urban Regions — Visualizing through Experiments. Brown, Juanita/Isaacs, David (2005): World Café. Sha- In: Thierstein, Alain/Förster, Agnes: The Image and ping our Futures through Conversations that Matter. the Region. Making Mega-City-Regions visible! Baden: San Francisco: Berrett-Koehler Publishers Lars Müller Publishers: 141-152 Healey, Patsy (1997): Collaborative Planning. Shaping The SAUL Partnership (2006): Vital Urban Landscapes. Places in Fragmented Societies. Basingstoke: Macmil- The Vital Role of Sustainable and Accessible Urban lans Press Landscapes in Europe’s City Regions. The Final Report Maturana, Humberto/Varela, Francisco (1987): Der of the SAUL Partnership. London Baum der Erkenntnis : die biologischen Wurzeln des von Foerster, Heinz (1985): Sicht und Einsicht. Versu- menschlichen Erkennens. Bern, München, Wien: che zu einer operativen Erkenntnistheorie. - Braun- Scherz schweig, Wiesbaden: Vieweg Nowotny, Helga/Testa, Guiseppe (2009): Die gläsernen Weisbord, Marvin/Janoff, Sandra (2000): Future Search: Gene. Die Erfindung des Individuums im molekularen An Action Guide to Finding Common Ground in Zeitalter. Frankfurt am Main: Suhrkamp Organizations and Communities. 2nd edition. San Owen, Harrison (1997): Open Space Technology: A Francisco: Berrett-Koehler Publishers User‘s Guide. San Francisco: Berrett-Koehler Publis- hers Schmid, Bernd (2006): »Tuning into background levels Anmerkungen of communication - Communication Models at ISB«, Papers of the Institute of Systemic Consultancy (ISB), 1 Heft 1.2013 der »Informationen zur Raumentwicklung« Wiesloch: Institut für Systemische Beratung bietet eine Sammlung aktueller Übersichtsbeiträge Schmid, Bernd (2008): Systemische Professionalität und und Ausarbeitungen zu systemischen Theorien und Transaktionsanalyse, Bergisch Gladbach: EHP – Editi- Ansätzen für die Regionalentwicklung. on Humanistische Psychologie 2 Schmid bezieht sich seinerseits auf Maturana/Varela Schultz, Henrik (2014): Landschaften auf den Grund und von Foerster, z.B. Maturana/Varela 1987 und von gehen. Wandern als Erkenntnismethode beim groß- Foerster 1999. räumigen Landschaftsentwerfen. Berlin: Jovis-Verlag 3 Seit vielen Jahren argumentiert H. Nowotny aus Sicht (im Druck) der Wissenschaftsforschung, dass Wissen von einer Selle, Klaus (2000): Was? Wer? Wie? Warum? Voraus- objektiv ableitbaren Instanz zu einer intersubjektiv setzungen und Möglichkeiten einer nachhaltigen geprüften Verhandlungsmasse wird (z.B. Nowotny/ Kommunikation. Dortmund; Dortmunder Vertrieb für Testa 2009: 150). Bau- und Planungsliteratur 4 Physisches Erfahren und Wissens- und Ideenent- Selle, Klaus (2013): Mitwirkung mit Wirkung? Anmer- wicklung sind ohnehin kaum zu trennen, wie Henrik kungen zum Stand der Forschung über planungsbezo- Schultz in seiner Dissertation »Landschaften auf den gene Kommunikation und das, was von ihr bleibt. In: Grund gehen. Wandern als Erkenntnismethode beim pnd|online 2_3/2013 großräumigen Landschaftsentwerfen« zeigt (Schultz Shannon, Claude E./Weaver, Warren (1949): The mathe- 2014). matical theory of communication. Urbana: University of Illinois Press Sposito, Victor A./Faggian, Robert (2013): Systemic Re- gional Development – A Systems Thinking Approach. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 1/2013: 1-12 Stein, Ursula (1995): Raumplanung zwischen Staat, Markt und Gesellschaft. Die wachsende Politik- und Umsetzungsorientierung der Praxis erfordert neue Akzente in der Ausbildung. In: Raumforschung und Raumordnung, 5/1995, 393-396 Stein, Ursula (2005): Planning with all your Senses – Learning to Cooperate on a Regional Scale. In: Doku- mente und Informationen zur Schweizerischen Orts-, Regional- und Landesplanung (DISP). No. 162: 62-69 Stein, Ursula (2006): Lernende Stadtregion. Verständi- gungsprozesse über Zwischenstadt. Wuppertal: Verlag Müller + Busmann

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Lesetipps

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Lesetipps und Rezensionen I|2014

Airport Cities.

Roost, Frank und Volgmann, Kati (Hg.): Airport Cities. Gateways der metropolitanen Ökonomie. 163 S., 36 Abb. und 5 Tab. Metropolis und Region 11. Verlag Dorothea Rohn, Detmold 2013, € 29,-

Flughäfen haben in den vergangenen Jah- Stadtforschung ergeben: 1. ihre Schlüsselrolle ren weltweit für Stadtentwicklungsprozesse als Knotenpunkte in globalen Städtenetzen, 2. erheblich an Bedeutung gewonnen. Sie ha- ihre Rolle als Standorträume für wirtschaftli- ben sich von reinen Transiträumen zu mul- che Aktivitäten und 3. ihre Rolle als zu gestal- tifunktionalen Standorträumen entwickelt, tende neue Stadträume. in denen heute neben dem bloßen Reisen Anregend ist der rund 160-seitige Sam- zahlreiche andere Funktionen in ihrem Um- melband, weil sich die elf Autoren in ihren feld zu finden sind. »Airport City« ist deshalb neun Beiträgen aus recht unterschiedlichen ein treffender Begriff für diese neuen urba- Perspektiven dem Thema der Flughäfen mit nen Knotenpunkte um die Flughäfen, die das ihren neuen städtischen Funktionen nähern. stadtregionale Gefüge verändern und gleich- Wolfgang Knapp geht es in seinem grundle- zeitig auch das internationale Zentrensystem genden, stellenweise nicht ganz leicht les- beeinflussen. Diese jüngeren Entwicklungen baren Beitrag mit dem Titel »Metropolitane Diese Rezension erschien haben Frank Rosst und Kati Volgmann – die flow-places« erst am Ende um die Flughäfen in der Zeischrift Erdkunde, beiden Herausgeber des Sammelbandes »Air- als konkrete Orte der Stadtentwicklung. Im Ausgabe 3/2013.. port Cities« und zugleich Mitarbeiter des In- Kern seines Beitrages geht es ihm vielmehr stitutes für Landes- und Stadtentwicklungs- darum, Städte als relationale Einheiten zu forschung – zum Anlass genommen, neun begreifen und dazu die Ströme im globalen Beiträge zusammenzuführen, die sich mit Städtesystem über die Daten des weltweiten den jüngeren Stadtentwicklungsprozessen an Flugverkehrs zu erfassen. So ist dieser stär- Flughafenstandorten auseinandersetzen. Die ker konzeptionell-theoretische Beitrag eher Herausgeber selbst sehen in ihrer kurzen Ein- an den Leser gerichtet, der sich für die Dis- führung drei Perspektiven, die sich für eine kussion der relationalen städtischen Theorien Beschäftigung mit den Airport Cities in der interessiert.

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Auch der zweite, schon wesentlich leich- baren Umfeld der Flughäfen in den Blick zu ter lesbare Beitrag von Sven Conventz und nehmen und damit dem Titel des Sammel- Alain Thierstein führt zwei aktuelle Themen bandes voll gerecht zu werden. Er systema- der Raumentwicklungsdebatten zusammen, tisiert die raumpolitischen Herausforderun- nämlich die zunächst generelle eher wirt- gen, die mit den jüngeren Entwicklungen der schaftsgeographische Debatte um die Rolle Airport Cities verbunden sind und richtet da- der Wissensökonomien und dann die jünge- mit sein Augenmerk auf die räumlichen Kon- re Diskussion und Entwicklung von Flugha- zepte, diese neuen Zentren in stadtregionale fenstandorten. Die beiden Autoren weisen Zusammenhänge einzubinden. Eher beiläu- so auf den neuen Stellenwert von Flughäfen fig wird deutlich, wie unterschiedlich sich die als »Netzwerkinfrastrukturen« hin, bei denen Ausgangsbedingungen für die Einbindung Airport Cities keine »einfachen Punktgrö- von Flughäfen an einzelnen Standorten in ßen«, sondern »multi-funktionale und multi- Deutschland, in Europa oder auch anderen modale Immobilienstandorte« sind. Dieser Teilen der Welt darstellen. ebenfalls eher konzeptionell ausgerichtete Vertieft werden diese Überlegungen in Beitrag kommt ohne eine eigene Empirie aus. zwei weiteren, eher als Fallstudien angeleg- Dies gilt dann nicht mehr für den dritten ten Beiträgen. Zum einen beschäftigt sich Jo- Beitrag. Hier stützen Ben Derudder, Eilien hanna Schlaack umfassend mit den jüngeren van de Vijver und Frank Witlox ihre Erkennt- Entwicklungen in Berlin, die sich durch die nisse zur Hierarchie der weltweiten Städte- Verlagerung des Flughafens nach Schönefeld netzwerke auf Daten zu Flugbewegungen von ergeben. Sie hat dabei nicht nur die Verände- Geschäftsreisenden der wissensintensiven rungen im Umfeld dieses neuen Flughafens Dienstleistungsunternehmen. Im Ergebnis in Brandenburg im Blick, sondern setzt sich geht es weniger um die Airport Cities selbst auch mit den Debatten zur neuen Nutzung als vielmehr um einen möglichst treffenden der alten Standorte in Tegel und Schöneberg Indikator zur Bestimmung von Global Cities, auseinander. Planerische Aspekte stehen be- der dann auf die besondere Bedeutung von sonders im Fokus ihrer Überlegungen. Dies Flughäfen hinweist. gilt ebenso für den Beitrag von Frank Roost, Auch im vierten Beitrag geht es zunächst der in interessanter Weise die Flughafenland- noch um die Rolle von Städten im Prozess der schaft im Großraum Los Angeles vorstellt. Globalisierung. Kati Volgmann stellt mit ih- Die Begrenzung der zunehmenden Flugbe- rem Beitrag eine Brücke zwischen den ersten wegungen auf die verschiedenen Flughäfen drei Beiträgen und den folgenden Beiträgen in diesem polyzentrischen Gefüge ist ebenso des Sammelbandes her, in dem sie anfangs spannend wie die Darstellung der Umfeldent- die Gatewayfunktion von Flughäfen für das wicklung um den Großflughafen LAX und deutsche Städtesystem analysiert und an- den John Wayne Airport im Orange County. schließend in einem Vergleich die Standort- Den Abschluss des Sammelbandes bildet entwicklung von Unternehmen im Umfeld ein Beitrag von Michael Voigt, der sich mit der beiden Flughäfen in Köln und Düsseldorf den Einkaufszentren am Frankfurter Flugha- untersucht. Sie hat also im ersten Teil ihres fen beschäftigt. Er hat auf der Basis eigener Beitrages eine eher nationale Brille auf, um empirischer Untersuchungen das Einkaufs- die Metropolfunktion der deutschen Stadtre- verhalten in den neuen Zentren des Land- gionen über den Indikator der Flugzeugbe- side-Bereiches untersucht und identifiziert wegungen und des Passagieraufkommens zu in seinem Beitrag verschiedene Konsumen- messen und Aussagen zur Polyzentralität des tentypen und –muster. Interessant ist diese deutschen Städtesystems zu treffen, während Untersuchung vor dem Hintergrund des neu- sie im zweiten Teil ihres Beitrages mit einer en Wettbewerbs um die Kunden in einem ver- stadtregionalen Brille die ökonomischen änderten stadtregionalen Zentrengefüge, das Funktionen im Flughafenumfeld betrachtet ein Resultat der Airport Cities ist. und sich empirisch mit Prozessen der Regio- Zusammenfassend ist anzumerken, dass nalisierung beschäftigt. der Sammelband allen Humangeographen Wie die Autoren der ersten Beiträge geht und Stadt- und Regionalwissenschaftlern zu auch Hans Joachim Kujath in seinem sehr empfehlen ist, die sich für die jüngeren Ver- lesenswerten Beitrag von den Prozessen der änderungen im Umfeld der internationalen Globalisierung und der damit verbundenen Flughäfen interessieren. Der Sammelband Organisation des internationalen Flugver- weist auf die Dynamik der neuen Airport Ci- kehrs im Hub-and-Spoke-System aus, um ties hin und behandelt sie sowohl in stadtre- dann aber die Entwicklungen im unmittel- gionalen Zusammenhängen der großen Flug-

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hafenstandorte als auch in ihrer Bedeutung für die globalen weltweiten Städtenetzwerke. Die Verbindung zwischen diesen beiden Per- spektiven ist ein besonderer Verdienst dieses Sammelbandes.

Claus-C. Wiegandt

Geographische Rundschau: Vom Flughafen zur Aerotropolis

Ausgabe Januar Heft 1|2014: Flughäfen und Stadtentwicklung. Online unter: http://www.geographi- scherundschau.de/heft/51140100/Ausgabe-Januar-Heft-1-2014-Flughaefen-und-Stadtentwick- lung

Flughäfen, einst von Luftschiffen »angelau- ist eine der vielen räumlichen Ausformungen fen«, wandeln sich von flächenverschlingen- von Globalisierung und der spezifischen Rol- den Monsterprojekten zu Kernpunkten neuer le des Luftverkehrs gedankt. Für neue Projek- Stadtentwicklung. Am Beispiel von Schiphol te wie Berlin Brandenburg International lässt oder Dubai lässt sich zeigen, dass städtische sich also erhoffen, dass das wirtschaftlich Funktionen zum Flughafen »wandern« und schwache Berlin dort einen Wachstumspol dass Flughäfen sogar Brennpunkte wirtschaft- findet – würde nur erst einmal ein Flugzeug licher Entwicklung im Umfeld werden. Dies von BER abheben.

Miles Away. Deutsche Flughäfen auf dem Weg in die Zukunft polis – Magazin für Urban Development. Ausgabe 1|2012

Das Heft 01/2012 der Zeitschrift „polis – Ma- lungen der Flughäfen in Abu Dhabi und Lon- gazin für Urban Development“ greift das The- don, aber auch in Frankfurt und Düsseldorf ma der Flughafenentwicklung als einen The- vorgestellt. Das Heft hat eher den Charakter menschwerpunkt auf. In kurzen Beiträgen eines guten Journals als einer wissenschaftli- von Entscheidungsträgern zumeist aus dem chen Fachzeitschrift und bietet Anregungen Immobilienwesen werden aktuelle Entwick- zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema.

Flughafenalltag in London

Alain de Botton (2011): Airport. Eine Woche in Heathrow. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. ISBN 9783100463234. Gebunden, 122 Seiten, 16,95 EUR

Wer das bunte Treiben auf Flughäfen liebt, Woche im Terminal 5 eines der größten Flug- dem sei dieses kleine Büchlein aus dem Fi- häfen der Welt zu verbringen und all seine Er- scher Taschenbuch Verlag wärmstens emp- lebnisse aufzuschreiben, die er hier rund um fohlen. Der britisch-schweizerische Philo- die Uhr an sieben Tagen in der Woche ma- soph Alain de Botton – Autor so anregender chen konnte. Im Ergebnis ist eine leicht lesba- Bücher wie etwa »Glück und Architektur« re und sehr erfrischende Schrift entstanden, oder »Kunst des Reisens« – hat im Sommer in dem die zahlreichen Alltagserscheinungen 2009 die Einladung der Londoner Flugha- in einem Flughafengebäude außerordentlich fengesellschaft Heathrow angenommen, eine treffend und pointiert geschildert werden www.planung-neu-denken.de 4| 4 Lesetipps und Rezensionen I|2014

– seien es die flüchtigen Begegnungen von sonderen Orte aufsucht, vor allem durch die Geschäftsreisenden aus aller Welt, für die das genaue Beobachtungsgabe des Autors viele Fliegen eine reine Routine darstellt, seien es Aha-Effekte vermittelt. Ergänzt wird der flott aber auch die große Freude beim Wiederse- geschriebene Text durch eindrucksvolle Pho- hen von Familienangehörigen, die sich seit tos, die der Fotograph Richard Baker während Jahren nicht gesehen haben und sich in der des einwöchigen Aufenthalts in dem Termi- großen Ankunftshalle nach langen Jahren der nalgebäude des Londoner Flughafens aufge- Trennung wiedertreffen. Das Buch ist eine nommen hat. ethnographisch anmutende Studie, die dem Leser, der immer wieder als Fluggast diese be- Claus-C. Wiegandt

Großbaustelle BER: Aufklärung und/oder Abrechung

Meinhard von Gerkan (2013): Black Box BER. Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut. Köln. Quadria Verlag Berlin. 14,99 Euro.

Die Geschichte beginnt mit dem Ende, mit und Perspektiven in der Realität wohl noch der »Kündigung«: So überschreibt Meinhard deutlich komplexer gewesen sein dürften. von Gerkan das erste Kapitel seiner, wie der Von Gerkan reicht es dann auch nicht, Spiegel kommentierte, »Abrechnung mit der nur diese eine Großbaustelle zu durchleuch- Politik und einem ignoranten Flughafenma- ten. Er reflektiert seine Erfahrungen in einem nagement« (siehe Einband). größeren Zusammenhang, für den er weit Am 23. Mai 2012, so berichtet es der Ar- ausholt: Er stellt sein Verständnis von Archi- chitekt, erreichte das Büro die Kündigung tektur dar, schimpft über die Anforderungen, des Auftrags zum Bau des Flughafens Berlin die heute an zeitgenössische Architektur und Brandenburg – »per Fax [...] und gleichzeitig deren Entstehungsprozesse gestellt werden über die Nachrichtenagenturen« (S.12). Dies und bedauert die scheiternden Versuche nimmt von Gerkan schließlich zum Anlass »Nicht-Orte« wie Einkaufs- und Konferenz- auf gut 150 gebundenen Seiten in einem zentren, Designer Outlets und eben auch schreiend roten Umschlag seinen Standpunkt Flughäfen »in Orte zu verwandeln« (S. 36f.). zu dem Berliner Bauprozess zu erläutern und Dabei beklagt er deutlich, dass der Architekt diesen in einen größeren Zusammenhang sich »damit zufriedengeben [muss], dass sei- anderer Planungsprozesse in Deutschland ne Rolle auf die eines Rädchens im Getriebe und der Welt zu stellen. des Baubetriebs reduziert wird« (S. 58), er als Von Gerkan sieht es als das Recht des »Galionsfigur des Gebäudes« dann aber doch Bürger an, über »vom Staat (mit-)finanzier- herhalten muss, wenn »aus politischen Grün- te Bauvorhaben« und darüber »warum, wie, den Köpfe rollen sollen«. (S. 58). durch wen etwas schief gelaufen ist« (S. 48) Die Verbitterung von Gerkans darüber informiert zu sein. Insofern versteht sich kann man als Leser an vielen Stellen gut die Veröffentlichung – wenn auch nicht nur nachvollziehen und regelrecht mitfühlen. – ein Stück weit als »Aufklärung«. Von Ger- Manchmal fragt man sich jedoch, was die Al- kan versucht mit manch einem Gerücht auf- ternative angesichts der komplexen Lebens- zuräumen. Als Leser, der die Diskussion um wirklichkeiten sein soll. Dass die von dem die deutsche Großbaustelle nur am Rande Architekten angeführten Beispiele aus auto- verfolgte, erwischt man sich durchaus dabei, kratisch geführten Staaten uns nicht als Vor- den Berichten der Medien (etwa über grobe bild dienen können, räumt der Autor dann Planungsfehler) Glauben geschenkt und sich zum Schluss auch ein. Er empfiehlt jedoch über die ausführenden Architekten gewun- aus den »autokratische[n] Strukturen bei Ent- dert zu haben. Wenn von Gerkan den Prozess scheidungsprozessen« für »demokratische aus seiner Sicht nachzeichnet, so klingt dies [...] Bauprojekte« zu lernen. schlüssig. Doch der Leser kann erahnen, dass die Zusammenhänge, die Abhängigkeiten Sarah Ginski

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