Sonntag, 07.10.2018 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue Cds: Vorgestellt Von Dorothea Bossert
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Sonntag, 07.10.2018 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Dorothea Bossert Punkige Rigorosität Il Grosso Mogul Violin Concertos & Sonatas Musica Alchimica Lina Tur Bonet PanClassics PC 10391 VÖ 7.9.2018 Eine Ohrenweide Russian Piano Sonatas Balakirev, Glazunov, Kosenko Vincenco Maltempo, Klavier Piano Classics PCL 10159 VÖ: 31.8.2018 Szenisches Hörerlebnis Schubert Wanderer Andrè Schuen Daniel Heide Avi music 8553373 VÖ 15.6.2018 Klangfarbenwunder Ludwig van Beethoven The Complete String Quartets Vol I Cuarteto Casals Harmonia Mundi HMM 902400.02 VÖ 15.6.2018 Temperament vor Perfektion Joan Manuel Serrat Y El Siglo De Oro Cappella Mediterranea Leonardo Garcia Alarcon Alpha classics 412 VÖ: 5.10.2018 1 Signet „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“ … … Jetzt immer am Sonntagmittag: neu erschienene CDs, ausgewählt und vorgestellt von der Redaktion SWR2 Musik. Mein Name ist Dorothea Bossert und das ist meine CD-Auswahl, die Sie in den kommenden 90 Minuten hier erwartet: Los geht es mit Alter Musik, mit der spanischen Geigerin Lina Tur Bonet, ihrem neu gegründeten, gleichfalls spanischen Barockorchester Musica Alchimica und ihrer rasanten Einspielung von Vivaldi-Violinkonzerten. Dann kommt der italienische Pianist Vincenco Maltempo mit Trouvaillen aus der Russischen Klaviermusik von Balakiriev, Glasunov und Kosenko. Danach habe ich hier berührend gute Schubert-Lieder über das Wandern von André Schuen, dem jungen Stern am Baritonhimmel, die ich Ihnen vorstellen möchte, er stammt aus den italienischen Dolomiten. Dann kommen wieder Spanier, das Casals-Quartett hat den ersten Teil seiner Gesamteinspielung aller Beethoven-Streichquartette vorgelegt – da werden wir ganz ausführlich hineinhören. Und zum Schluss gibt es noch einmal Spanier, Franzosen und Italiener gemeinsam: das Barockorchester Cappella Mediterranea mit einem Projekt, das Songs des katalanischen Liedermachers Joan Manuel Serrat mit Musik des spanischen Barock verbindet. Eine ziemlich mediterran geprägte Auswahl ist es also geworden, Sie haben es vielleicht gemerkt: Fast alle Interpreten sind Spanier oder Italiener! Das ist alles andere als selbstverständlich, denn beiden Ländern geht es wirtschaftlich nicht gut und dennoch kommt da neue Bewegung in die Musiklandschaft. Und hier kommt jetzt die erste CD: Antonio Vivaldi: Violinkonzert D-Dur RV 208a "Il Grosso Mogul" 2’40 Lina Tur Bonet ist die Solistin dieser Aufnahme mit Violinkonzerten und Sonaten von Antonio Vivaldi. Als Konzertmeisterin leitet sie zugleich Ihr Ensemble, das Barockorchester Musica Alchimica. Diese Frau kann wirklich Geige spielen – aber, es wohnt auch ein gewisser Furor in dieser Aufnahme, Sie haben es eben gehört, in dem Kopfsatz des berühmten Violinkonzertes „Il grosso Mogul“, eine fast punkige Rigorosität, die neugierig macht. Wer ist diese Frau? Das Cover zeigt eine mädchenhaft zierliche junge Frau, in üppigem Barockkleid, ein Bein über das andere geschlagen, sodass das Kleid den Blick auf die groben Springerstiefel freigibt. Ein anderes Foto zeigt sie am Flipperautomat – flippig und jung also wirkt sie auf diesen Fotos. Ihre Biografie allerdings zeigt: Sie ist eine versierte, mit allen Wassern der alten Musik gewaschene Geigerin. Die Liste ihrer Lehrer und die der Dirigenten und Orchester, mit denen sie zusammengearbeitet hat, liest sich wie ein Who is Who der Alten Musik. Also wird sie schon eine gewisse Reife besitzen, um das Instrument so zu beherrschen und mit ihm Musik zu deuten, wie sie es tut. Ihre Fans nennen sie „unseren spanischen Drachen“ – und wirklich, Sie haben es gehört, ihr Spiel ist nicht nur von den Engeln geküsst, auch einige Teufel wirken da mit, denn manchmal klingt ihr Spiel auch hart, schrill und knapp an den vorgeschriebenen Tonhöhen vorbei. Doch gerade das macht Ihr Spiel interessant. Ein mit viel Bogen erzeugter gerader Ton, dem auf seiner Fahrt entlang der Saite nur selten ein Vibrato hinzugesellt wird. Überhaupt: Frau Bonet arbeitet sehr stark mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ihres Bogens und macht damit aus Vivaldi beinahe Rockmusik: laut, grell, ein bisschen schmutzig und sehr perkussiv- motorisch geht es da zu. Mir macht das großen Spaß, weil es Drive hat und weil das Hässliche, das Querständige mit Konsequenz und Sorgfalt herausgearbeitet wird. Musik muss Musik sein, ja, aber sie muss ja nicht unbedingt immer schön sein. Eine 2 temperamentvolle und sehr eigene Deutung des genialen Barockmeisters ist das, der in seiner Fähigkeit, gute Musik am Fließband zu produzieren, ja wirklich auch etwas von einer Pop-Ikone hat. Hören wir noch in eine der Violinsonaten hinein, die zweite Grazer Sonate in h-Moll: Antonio Vivaldi: Violinsonate Nr. 2 h-Moll RV 37 ”Grazer Sonate” 5’25 Der Seelenjubel ist geradezu vorprogrammiert, sobald Vivaldi mit seiner Musik Gas gibt. Das tut er genüsslich in seiner sogenannten Grazer Sonate Nummer 2 in h-Moll. In den schnellen Sätzen wird das Ensemble Musica Alchemica zum Percussionsapparat. Barockcello, Kontrabass und Cembalo lassen den Beat ordentlich krachen und Lina Tur Bonet reisst die Saiten mit einem extrem kurzen Strich und jagt mit den Synkopen des zweiten Allegro-Satzes mit Vollgas durch die harmonischen Felder, als wäre es eine Verfolgungsjagd in einem Actionfilm. Im anschließenden Largo zieht die Geigerin dann das einfachste und zugleich schwierigste Mittel hervor: Sie spielt ohne Vibrato, nur gegen Ende des Satzes durch ein zartes Sul ponticello gestützt, Linien von Melodiefragmenten, denen sie keinerlei agogische Hervorhebung zur Stärkung der harmonischen Verrücktheiten beimischt. Ein Spiel, eiskalt klar und pur, ohne willkürlichen Eingriff in Vivaldis Diktion. Ein sehr frecher, um nicht zu sagen auf Krawall gebürsteter Vivaldi ist das, der voll unter Strom steht. Antonio Vivaldi, Il Grosso Mogul heißt die CD und erscheint dieser Tage bei Note 1. Treffpunkt Klassik, heute mit neuen CDs. Jetzt geht es weiter mit Klaviermusik: Der dreiunddreißigjährige italienische Pianist Vincenzo Maltempo hat sich in einer neuen Edition einigen russischen Komponisten zugewandt, die zwar für die Musikgeschichte dieses Landes bedeutend sind, aber bisher so gut wie nicht ins pianistische Repertoire eingegangen sind. Klaviersonaten von Mili Alexejewitsch Balakirev, Alexander Glazunov und Viktor Kosenko, hat er ins Visier genommen, drei Komponisten, die im Zeitraum der späten Romantik bis hinein ins 20. Jahrhundert komponiert haben und hier und da auch bereits schon die ausgereizte Enharmonik mit dem Stachel der atonalen Möglichkeiten betäubt haben. Am wenigsten vielleicht Balakirev. Seine 2. Klaviersonate op. 102, viersätzig, irgendwie konventionell. Aber sie hat aber dennoch etwas unkonventionelles: mit einer subtilen Leichtigkeit und Kammermusikalität schafft sie die sonst in russischer Klaviermusik obligate Vielfingerigkeit, also Klangdichte aus der Welt. Schon der Beginn des ersten Satzes verweist auf solche Art des bescheidenen zweihändigen Musizierens, das der italienische Pianist mit berührend unvirtuoser Perfektion und Klangschönheit zelebriert, als ströme aus Balakirevs Musik auch der Duft des impressionistischen Parfüms heraus. Zwar ist das beginnende Fugato alles andere als impressionistisch, aber die Art des Anschlagens verweist bereits auf das Danach. Denn da flirrt und rauscht, brilliert und zirpt das Instrument in allen Farben. Mily Balakirev: Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 102 6‘47 Vincento Maltempo beherrscht die Wechsel zwischen streng formaler Struktur und Farbenspiel auf wundersam schlichte, niemals pompöse Weise. Famos, wie er Balakirevs 3 Entrücktheit pianistisch fasst. Die hochsensibel ausgehorchte, ganz natürliche Agogik, die singende, wie aus dem Mund geformten Melodien der rechten Hand und der perlende Anschlag sind sensationell perfekt und eine Ohrenweide. Der 1898 in Peterburg geborene Komponist und Pianist Viktor Kosenko ist in Vincenzo Maltempos Edition der unbekannteste Russe. Er studierte bei Nicolai Sokolov, wurde schließlich Professor in Kiew und starb früh, mit 42 Jahren. Seine zweite Klaviersonate op. 14 erinnert insbesondere im dritten und letzten Satz Allegro vivo an die Musik Skriabins. Verdichtete harmonische Steigerungen heben hier momenthaft die Tonalität auf. In den Zwischenspielen gibt die Technik des Pedalisierens bitonale Momente frei. Wobei der Begriff „Zwischenspiel“ die komponierte Sache eigentlich eher verschleiert denn erhellt. Denn im Grunde ist der ganze Satz ein Zwischenspiel: ein improvisierendes Spiel mit harmonischen Radikalitäten und stoischen Blöcken, die wie Säulen dazwischen gestellt sind, um dem aufschäumenden Klangfluss Kontur zu verleihen. Viktor Stepanowitsch Kosenko: Sonate für Klavier Nr. 2 cis-moll op. 14 6‘00 Treffpunkt Klassik, heute mit Dorothea Bossert und neuen CDs – was Sie gerade gehört haben war der Pianist Vincenzo Maltempo mit Viktor Kosenko, Klaviersonate Nr. 2, und daraus der Finalsatz „Allegro vivo“. Vincenzo Maltempos Spiel wirkt kinderleicht. Alle technischen Schwierigkeiten werden durch seine Interpretation eliminiert. Trotz immenser Dichtegrade in den arpeggierenden Strukturen verklebt das Klangliche niemals die dramaturgischen Linien und musikalischen Entwicklungen. Alles bleibt durchscheinend und permäabel. „Russian Piano Sonatas“ heißt diese CD von dem jungen italienischen Pianisten Vincenzo Maltempo mit Klaviersonaten von Mily Balakirev, Alexander Glazunov und Victor Kosenko. „Piano Classics“ heißt das Label, in dem diese CD erschienen ist, eine Linie des besser bekannten Labels Brilliant Classics. Auch die nächste CD stammt von einem italienischen