„Der Alte Nazi Von Nebenan“
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Kultur SPIEGEL-GESPräch „Der alte Nazi von nebenan“ Die Weimarer Festivalchefin Nike Wagner über ihre Vorfahren Franz Liszt und richard Wagner, die Freundschaft ihrer Familie mit hitler und über Angela Merkels einseitigen Operngeschmack SPIEGEL: Frau Wagner, Sie sind die Nach - Wagner zur Seite. Aus Bayreuther Sicht SPIEGEL: Wie wurde bei Ihnen in der Villa fahrin zweier bedeutender Komponisten. war er aber immer nur der Steigbügel - Wahnfried über Liszt gesprochen? Wer steht Ihnen näher, Ihr Ururgroßvater halter Wagners, so wurde sein Bild tra - Wagner: Er hat bei den Wagners nie etwas Franz Liszt, dessen Geburtstag sich im diert und kommuniziert. Daran ist seine gegolten. Liszt wurde immer mal bespöt - Oktober zum 200. Mal jährt, oder dessen Tochter cosima Wagner nicht unschuldig. telt als der Abbé oder abgetan als Salon - Schwiegersohn richard Wagner? SPIEGEL: Den Vater reduzieren zugunsten virtuose. Das war eine schon von richard Wagner: Eindeutig Liszt. Ich habe ihn al - des Ehemanns? Wagner verachtete Kategorie, nah am Ef - lerdings spät im Leben entdeckt. Und nur Wagner: Wahrscheinlich musste sie bewei - fektmusiker. Und dann schrieb er so Sym - durch die lobenden Bemerkungen des sen, dass sie den größeren Komponisten phonien und geistliche Werke – wo die Komponisten und Dirigenten Pierre Bou - geheiratet hat. große Geschichte doch nur auf Wagners lez. Was für ein vielseitiges, Musikdramen hinsteuerte und phantastisches und auch ex - mit dem „Parsifal“ – aus Sicht perimentelles Œuvre! Seit der Wagners – die heiligen Sujets Jahren stelle ich Liszt nun schon richtig in Szene gesetzt in den Mittelpunkt meines waren. Den späten Liszt hielt Kunstfestes in Weimar. Er hat Wagner für wahnsinnig. Dabei den Geist, der mir gefällt: no - reichte Liszt mit den späten Wer - bel, exzentrisch, europäisch. ken und ihrer beginnenden Ato - SPIEGEL: Viele halten seine nalität weiter in die Moderne als Werke für zweitrangig. Wagner. Wahr ist aber, dass ri - Wagner: Vielleicht sind nicht chard seinen Franz immer ge - alle von gleicher Qualität, liebt und geachtet hat. Erst nach aber Liszt ist unterschätzt seinem Tod wurde Liszt in die und im Konzertbetrieb unter - Versenkung befördert. repräsentiert. Die Zeitgenos - SPIEGEL: cosima hat im Juli 1886, sen liebten den Virtuosen, als ihr Vater in Bayreuth im der ihnen eine Ekstase be - Sterben lag, die Festspiele wei - scherte wie sonst nur Pagani - tergehen lassen. Er starb heim - ni. Die von ihm geförderten lich. Kollegen – Wagner, Schu - Wagner: Im Nebenhaus, schlecht mann, Berlioz – rührten kei - betreut und unter großen nen Finger für ihn, und das Schmerzen. Plötzlich wurde die revolutionäre Spätwerk wur - Einsamkeit, die der ruhelose L E de als altersschwach abgetan. G Liszt wohl immer in sich trug, E I P S Über zwei Weltkriege hinweg sichtbar. Die gewisse Etikette, R E D änderte sich dann auch der die er im Umgang mit Menschen / G N Zeitgeschmack: Liszt schien I pflegte und die ihm als Kälte R E zu emphatisch, zu laut, zu U ausgelegt wurde, diente ihm H C S fromm. Der Koloss Wagner vielleicht auch als Versteck. Liszt R E N schob sich wohl auch vor ihn. R erscheint uns heute viel rätsel - E SPIEGEL: Wie kam Liszt zu W hafter als der ewig exuberante Wagner? Wagner, der alles nach außen Wagner: Er hatte dessen Oper Nike Wagner kehrte. Liszt ist diskret, sein Ich „rienzi“ gehört, Wagner da - leitet seit 2004 das Weimarer Kunstfest „Pèlerinages“. Die Literatur - ist zart, das schiebt sich nie in nach als Genie eingestuft, und wissenschaftlerin und Publizistin ist die Tochter Wieland Wagners, den Vordergrund – ein interes - dazu stand er dann, egal, wie der nach dem Krieg gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Wolf - santer Kontrast zu seinen ge - Wagner sich aufführte. Liszt gang die Bayreuther Festspiele führte. Wieland, der Mitglied der konnten Selbstinszenierungen in hielt den Freund finanziell NSDAP gewesen war, versuchte seit 1951, durch seine radikal ab - der Öffentlichkeit. und lebenstechnisch über strakten Inszenierungen auch ästhetisch einen Bruch mit der Nazi- SPIEGEL: Er hat seinen Schwieger - Wasser – vor allem in den Verstrickung Bayreuths sichtbar zu machen. Nach Wielands Tod sohn nibelungentreu unterstützt. zehn Jahren von Wagners 1966 übernahm Wolfgang die Alleinverantwortung für die Festspiele. Wagner: Wagner hatte lebenslang politischem Exil. Da führte er 2008 bewarb sich Nike Wagner, 66, gemeinsam mit dem ehemali - Schuldgefühle Liszt gegenüber, die Werke des Freundes in gen Intendanten der Salzburger Festspiele Gerard Mortier um die er wusste, was er ihm verdankte. Deutschland auf, kämpfte für Leitung in Bayreuth. Der Stiftungsrat berief jedoch Wolfgangs Töch - Durch öffentliche Bekundungen ihn. Bis in die Gründung der ter Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier. Die diesjährigen hat er dies immer auch zum Aus - Bayreuther Festspiele hinein Festspiele beginnen am kommenden Montag mit „Tannhäuser“. druck gebracht, vor allem, als er stand er, der Berühmtere, es geschafft hatte in Bayreuth. 122 der spiegel 29/2011 SPIEGEL: Im Oktober jährt sich Liszts 200. weise geführt wurden. Er zeigte die Lei - flikte meines Vaters mit seiner Mutter Geburtstag. Die Festspiele lassen das Ju - chenberge aus den Lagern. Das führte zu miterlebt. Also schien von der Grund - biläum verstreichen. Fragen an die hitler-Freundin. struktur her alles in Ordnung. Außerdem Wagner: Das ist unverständlich, beschä - SPIEGEL: Sie haben sie zur rede gestellt? hatten wir begriffen, dass er seinen eige - mend und skandalös. Die Stadt Bayreuth Wagner: Wir haben gefragt, ob sie den nen Erkenntnisprozess ja öffentlich de - tut dieses und jenes, aber es ist nicht die Film gesehen habe, ob wir sie ansonsten monstrierte, durch seine Engagements Stadt, die Franz Liszt etwas schuldig ist, mal mitnehmen dürften, sie könne da was von ehemals verfemten Linken, Juden es ist ausschließlich die Familie Wagner. lernen. „Alles amerikanische Propagan - und Modernen und im Medium des äs - Die Bringschuld der Wagners Liszt ge - da“, wehrte sie ab. Sie machte dicht. thetischen. genüber ist gewaltig. Nur historische Ge - Sonst hätte sie auch wohl ihr Leben und SPIEGEL: Sie meinen, Ihr Vater hat sein wissenlosigkeit kann das leugnen. Ich bin ihren Glauben in Frage stellen müssen. hochgelobtes Neu-Bayreuth, die Entrüm - tief getroffen, dass meine cousinen taub SPIEGEL: Und haben Sie mit dem Vater ge - pelung der Bühne von allem Völkischen, waren für meine Bitte, das Festspielhaus sprochen, der hitler ebenfalls nahestand? als ureigene Entnazifizierung betrieben? zu öffnen für ein großes Fest- und Ge - Wagner: Mein Vater war sehr introvertiert, Wagner: Die Dinge sind kompliziert, weil burtstagskonzert am 22. Oktober. Es wäre er hat so explizit nicht gesprochen. So das ästhetische auch seine eigene Dyna - ein grandioses Ereignis gewesen. Und ein direkt wie die Großmutter haben wir ihn mik entwickelt. Aber sicherlich konnte Beginn der Schuldentilgung. auch nie gefragt. Wahrscheinlich, weil wir Wieland erst im Widerstand gegen das SPIEGEL: Liszt war katholisch, er erhielt das Gefühl hatten, als Wieland-Kinder Vorangegangene ein eigenes künstleri - in rom die niederen Weihen. Wagner war ohnehin auf der guten Seite zu sein. Der sches Profil gewinnen, er wurde frei. Ich protestantisch. Wie war es denn in Ihrer „alte Nazi“, wie der Sohn die Mutter weiß, dass er die Adenauer-republik Kindheit mit der religiosität bestellt? nannte, saß nebenan, im anderen haus. nicht mochte, weil überall wieder alte Wagner: Traditionell protestantisch. Aber Und wir haben die schrecklichen Kon - Nazis die Posten besetzten. wohl nur wegen Johann Sebastian Bach. SPIEGEL: Glauben aus dem Geiste der Mu - sik? Wagner: Meine Geschwister und ich wur - den, als wir zwischen fünf und zehn Jahre waren, einer Art Massentaufe unterzo - gen, mit hauskonzert in der Villa Wahn - fried. Von der Konfirmation befreite uns der Vater dann. Wir waren ein völlig li - beralisierter haushalt, religion wurde als Teil der Kultur betrachtet, nur zum Ver - ständnis von Meisterwerken nötig. SPIEGEL: Daheim gab es schon einen Gott. Wagner: Eher den aufreibenden Gottes- Dienst. Der Weihe-Wagner war längst ver - schwunden, es lagen die Noten von Bach und Beethoven herum. Die Erziehung war bildungsbürgerlich, an Weihnachten mussten wir Klavier vorspielen – die Ge - D L I B schenke blieben so lange zugedeckt. N I E SPIEGEL: Und Oma Winifred, die treue T S L L Freundin hitlers, saß mit in der runde? U Wagner: Notgedrungen, sie wohnte ja ne - Musiker-Freunde Wagner, Liszt*: „Die Bringschuld ist gewaltig“ benan, und eine Großmutter gehört an Weihnachten dazu. Für den rest des Jah - Marie d’Agoult Franz Liszt res hatte mein Vater eine Mauer durch 1805–1876 1811–1886 den gemeinsamen Garten ziehen lassen. Väter der Festspiele SPIEGEL: War sie warmherzig? Franz Liszt und die Familie Wagner Wagner: Nein, pragmatisch. Ich habe kei - Cosima Richard Wagner nen Zugang zu ihr gefunden. 1837–1930 1813–1883 SPIEGEL: Wann war Ihnen klar, dass Wini - fred eine glühende Nazi-Freundin war? Wagner: In einer Familie wird ja nicht sys - tematisch Aufklärung betrieben. Aber Isolde Franz Beidler Eva Houston Stewart Siegfried Winifred Williams 1865 – 1872–1930 1867– Chamberlain 1869 – Klindworth aus den Bemerkungen meines Vaters teil - 1919 1942 1855–1927 1930 1897–1980 te sich doch einiges mit. „Die glaubt ja noch an den Endsieg“, spottete er über seine Mutter in den sechziger Jahren. Ellen Wieland Gertrud Friede- Wolfgang Ellen Drexel Verena Bodo Deswegen ging er nie in ihr haus neben - Annemarie 1917 – Reissinger