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Das Große Bruch und der Heeseberg - Bastionen der Natur in der Agrarsteppe

Wie das Große Bruch entstand Die Niederung des „Großen und ausgebildet. Da das Sumpfpflanzen siedelten sich an. Bruchs” war während der vorletz- Gefälle im Bereich der Wasser- Die Streu dieser Pflanzen zersetz- ten Eiszeit, der -Eiszeit, ein scheide sehr gering war, wurde te sich in dem morastigen Unter- Stromtal, das die Schmelzwässer das Gebiet während der Früh- grund nur schlecht, sodass sich der bis zum Heeseberg reichenden jahrshochwässer alljährlich über- Torfschichten aufbauten und ein Gletscher aufnahm. Quer durch flutet. Tonschichten verhinderten Niederungsmoor entstand, das dieses Urstromtal hatte sich vor ein rasches Versickern des Was- Große Bruch. etwa 10.000 Jahren eine Wasser- sers, das oft monatelang im Ur- scheide zwischen den Harzflüssen stromtal stand. Schilf und andere

Vom niedersächsischen bei Matierzoll. Ein dritter Weg, der irrte! Mit Entsetzen bemerkte er bis zum anhaltinischen Oschersle- Neue Damm, im östlichen Teil des zu spät, dass er keinen festen Bo- ben erstreckt sich eine weite Bruchs, fiel immer wieder dem den mehr unter sich hatte. Seine sumpfige Niederung durch die - Sumpf anheim. Hilferufe verhallten ungehört, sonst recht trockene - Bördeland- denn weit und breit war niemand, schaft, von den Menschen der Und so erhielt sich inmitten der der ihn hätte retten können.“ (Karl Umgebung „das Große Bruch“ ge- fruchtbaren Börde bis in die Neu- Kellner, in: Traute Heimat, aus der nannt. Um die 2 km ist das Große zeit ein Stück Urnatur, vor dessen Oscherslebener Vergangenheit, Bruch breit und trennte die Dörfer Sümpfen es den Reisenden gru- 1906) und Städte des östlichen Harzvor- selte: „Im Allgemeinen herrscht landes von den Orten des Braun- lautlose Stille, nur hin und wieder schweiger Hügellandes und des unterbrochen vom Geschrei der Herzöge und Bischöfe Elms. Nur zwei Wege führten frü- Wildgänse und dem heiseren Bel- kratzen am Naturparadies her über das Bruch: der Kiviz- len des Wolfes. Wehe dem Men- damm (Kiebitzdamm) bei schen, der vom rechten Wege ab- Für Sumpf- und Wasservögel, Jerxheim und der Hessendamm gekommen war und sich hier ver- Fischotter, Frösche und Unken

243 war das Große Bruch dagegen ein Paradies. Doch die Herzöge von und die Bischöfe von , denen das Land gehörte, trachteten danach den Sumpf zu entwässern und ihn in fruchtbares Land zu verwandeln. 1540 wurden auf Anweisung von Herzog Heinrich dem Jüngeren und Bischof Albrecht V. im Bruch zwei große Gräben gezogen: der „Faule Graben“ und der „Schiffs- graben“. Letzterer kam zu seinem Rohrweihe Namen, weil der Sohn des Her- zogs, Herzog Julius, den Graben schiffbar machen wollte, um eine Art Mittelland-Kanal zu schaffen. Das war keine schlechte Idee, denn die Gräben des Großen Bruchs entwässern im westlichen Teil in die Ilse und im östlichen Teil in die Bode. Über die Ilse, die und die wäre man mit dem Schiff zur gekommen und über die Bode zur Elbe.

Herzog Julius begann mit der Umsetzung seines Plans, aber erst sein Sohn, Heinrich Julius, führte das Werk zu Ende. Heinrich Julius hatte ein größeres Interesse an der Schiffbarmachung als sein Fischotter Vater. Neben der Herzogwürde hatte er das Amt des Halberstäd- ter Bischofs inne und war damit beschäftigt, sich im Halberstädter Gebiet ein neues Lustschloss zu bauen. Nach dem Ausbau des Schiffsgrabens konnte er bequem auf dem Wasserwege von seiner - unweit von Hornburg gelegenen - Sommerresidenz in sein Bistum fahren. Auch die Entwäs- serung machte unter Heinrich Ju- lius Fortschritte. So ordnete er an, im rechten Winkel zu den Haupt- gräben Abzugsgräben auszuhe- ben. Schließlich ließ er im östli- Großer Brachvogel chen Teil des Bruchs den ver- sumpften Neuen Damm wieder Tiere zur „guten alten Zeit“ im Großen Bruch herrichten, womit die Universi- Wiederbesiedlung im Schutz des Grünen Bandes möglich tätsstadt Helmstedt von Halber- stadt aus ohne größere Umwege

244 erreicht werden konnte. Im Laufe des Dreißigjährigen Kriegs verfie- len die Gräben und das Bruch sah bald wieder so aus wie zuvor.

Naturidylle in der „guten alten Zeit“

Inzwischen war das Bistum Hal- berstadt an die Kurmark Branden- burg bzw. an das spätere Preußen gefallen und Friedrich der Große, der alles entwässern ließ, was Rotbauchunke sumpfig war, hatte sich vorge- nommen auch das Große Bruch urbar zu machen. Es wurden auch etliche Arbeiten durchgeführt, hochwasser verlaufen hatte, das Bruch, um durch die Börde in doch wegen Streitigkeiten zwi- Vieh auf die sattgrünen Sumpf- Richtung Helmstedt zu ziehen. schen Preußen und Braunschweig wiesen. Im Sommer machten sie gelang es erst in den dreißiger sogar in den nassen Bereichen, Mit dem Ausbau der Zonengrenze Jahren des 19. Jh., Teile des Gro- die mit den Fuhrwagen nicht zur Staatsgrenze der DDR wurden ßen Bruchs in dauerhaft nutzbare mehr zu befahren waren, Heu. Im im südlichen Teil des Bruchs die Wiesen und Weiden umzuwan- Winter, wenn der Boden gefroren Bemühungen um die Intensivie- deln. Solange noch nicht jede Ek- war, schnitten sie das Röhricht, rung der landwirtschaftlichen ke intensiv bewirtschaftet wurde um Brennmaterial zu gewinnen Nutzung erst einmal zurückge- und Lachen und Röhrichtbestän- und die Dächer ihrer Häuser und stellt. Der Schutzstreifen und vor de erhalten blieben, bedeutete Ställe decken zu können. Mensch dies für die Tierwelt nichts Nega- und Natur lebten im Einklang. tives. Im Gegenteil, die Artenviel- falt nahm zu. Zu alteingesessenen Arten kamen neue hinzu. Wäh- Naturerhalt im Schatten rend aus dem Röhricht in stillen der Grenze Frühjahrsnächten wie zu alten Zeiten der schauerliche Ruf der Doch der Fortschritt machte auch Rohrdommeln drang, ertönte an vor dem Großen Bruch nicht halt. heißen Sommertagen nun auch Die Gräben wurden erweitert, das das „Bup, bup“ des aus dem Süden Röhricht und die offenen Wasser- eingewanderten Wiedehopfs. Da- flächen verschwanden nach und zu waren die klangvollen Flöten- nach. Die alten Bäume wurden rufe des Großen Brachvogels und gefällt, Wiesen wurden umgebro- das Meckern der Bekassinen zu chen und mit ertragreichen Grä- hören. Kiebitze gaukelten in gro- sern neu eingesät. Mitten in die- ßen Scharen über die sumpfigen sem Wandel wurde plötzlich eine Wiesen, Kampfläufer tummelten Grenze durch das Große Bruch sich auf offenen Rasenplätzen, in gezogen, die so genannte Zonen- den mächtigen Köpfen hoher grenze, die sich zur Trennungsli- Weiden und Pappeln brüteten die nie zwischen Deutschland Ost Weißstörche und das Wasser des und Deutschland West entwickel- Großen Bruchs war voller Fische. te. Von Hornburg bis Pabstdorf verlief die Grenze entlang des Die Bauern am Rande des Bruchs Großen Grabens in der Mitte des Weißstorch trieben, sobald sich das Frühjahrs- Bruchs. Dann querte sie das

245 allem das vor dem Grenzzaun lie- konnte. Seitdem wird hier flä- steht, mit Ausnahme seines östli- gende Hoheitsgebiet der DDR chendeckend Mais und Weizen chen, vom Grünen Band abge- entwickelten sich zu einem Rück- angebaut. Auch in den zum Land- wandten Teils, lediglich unter zugsgebiet für die Tierwelt, die in kreis Wolfenbüttel gehörenden Landschaftsschutz, der schwäch- dem zum „Westen“ gehörenden Teilen des großen Buchs wurden sten Schutzkategorie, die es in Bereich des Bruchs immer mehr in in den sechziger Jahren umfang- Deutschland im Rahmen des Na- Bedrängnis geriet. Im Landkreis reiche Meliorationen vorgenom- turschutzes gibt. Der niedersäch- Helmstedt wurde das Bruch wäh- men, bis schließlich der nieder- sische Teil ist gar nicht gesichert. rend der Jahre 1956-1965 durch sächsische Teil des Bruchs aufge- Meliorationsarbeiten eines Was- hört hatte zu existieren. Nur auf ser- und Bodenverbands völlig der Seite der DDR, im Schatten ausgelöscht. Neue Gräben wur- der Grenze, konnten sich noch Auf dem Rad durch den ausgehoben, die so tief wa- Tiere und Pflanzen des Bruchs das Große Bruch ren, dass man im östlichen Teil des halten. zu Niedersachsen gehörenden Teils des Bruchs ein Pumpwerk Die Grenze ist wieder verschwun- Teil 1: Wo sich Fuchs und bauen musste, mit dem man bis den, an ihre Stelle ist das Grüne Hase gute Nacht sagen heute das sich sammelnde Band getreten. Doch der Druck Grundwasser auf das Niveau des auf die ehemals grenznahen Ge- Mit kreischenden Bremsen hält Großen Grabens hebt, um es in biete wird größer und es bedarf der rote Triebwagen der Strecke Richtung Bode abzuleiten. Bis großer Anstrengungen, das Grüne Schöppenstedt – Schöningen am zum Jahr 1965 waren die Bruch- Band im Bereich des Großen Bahnhof Jerxheim. Ich schultere wiesen am Bahnhof Jerxheim so Bruchs dauerhaft zu sichern. Der mein Rad, zwänge mich durch trocken, dass man sie umbrechen anhaltinische Teil des Bruchs den Ausgang und mit einem ge-

Das Große Bruch am Kiebitzdamm

246 wagten Schritt erreiche ich den sehen. Nur vor dem anhaltini- Bahnsteig. Neben mir ist nur noch schen Ort Dedeleben, am südli- eine ältere Frau ausgestiegen, die chen „Ufer“ des Bruchs, hat man den Häusern vor der aufgelasse- ein Stück des Grenzzauns stehen nen Fabrik zustrebt. Und so stehe lassen. Ich halte direkt hinter dem ich bald alleine vor dem großen Großen Graben an, um nach Spu- Bahnhofsgebäude, das schon ein- ren vom „Gasthof zum Zoll“ zu mal bessere Tage gesehen hat. suchen. Doch es existiert nur Wer sollte sich hier auch aufhal- noch eine Tafel, auf der die letzte ten? Das eigentliche Jerxheim be- Besitzerin des Gasthauses weh- findet sich hinter der nächsten mütig der Zeiten gedenkt, als an Anhöhe. diesem idyllischen Ort noch „das frohe Lachen von Gästen“ zu hö- Als der Bahnhof im Jahr 1843 ren war. 1960 wurde das traditi- gebaut wurde, existierte hier le- onsreiche Gasthaus, in dem die diglich ein preußisch-braun- Landes- bzw. Provinzgrenze ku- schweigisches Zoll- und Gast- rioserweise mitten durch den haus, das am nördlichen Ende Ofen verlief, von den Grenztrup- des Kiebitzdamms lag, an der pen der DDR dem Erdboden gleich Straße über den Großen Bruch. gemacht. Im Laufe der Jahre gesellten sich Braunkehlchen - entlang der Gleise - einige Ca. 500 m hinter der wüst gefalle- Häuser und eine Fabrik hinzu. nen Gaststätte dann doch ein Re- lonnenweg, um wieder in der Der Bahnhof Jerxheim hatte sich likt aus der Zeit der Teilung: Der Ferne zu verschwinden. Mein zu einem Knotenpunkt entwik- Kolonnenweg quert den Kiebitz- Blick streift hinüber in den ehe- kelt. Von der Strecke Braun- damm. Ich folge dem mit Lochbe- maligen „Westen“, wo sich über schweig - Magdeburg zweigten tonplatten befestigten Patrouil- dem Bahnhof Jerxheim der Hee- Nebenstrecken nach , lenweg in östlicher Richtung, wo- seberg erhebt. Mit dem Fernglas Helmstedt und Halberstadt ab. mit ich ziemlich sicher sein kann, sind ein Haus und ein Aussichts- 1945, als die Alliierten die Zo- die Stelle zu erreichen, an der die turm auszumachen. Ein Blick auf nengrenze durch das Bruch zo- ehemalige Grenze sich nach Nor- die Landkarte zeigt, dass es sich gen, lag der Bahnhof Jerxheim den wendet. Dort, so hoffe ich, bei dem Haus um ein Ausflugslo- plötzlich am Ende der Welt. Die wird eine Brücke existieren, die kal handelt. Ein guter Grund dem Gleise nach Magdeburg und Hal- mich wieder auf die andere Seite Heeseberg einen Besuch abzu- berstadt waren gekappt und der des Großen Grabens bringt. statten. Doch jetzt geht es erst Kiebitzdamm wurde für jeglichen mal tiefer in das Große Buch hin- Verkehr gesperrt. Nach der Wie- ein. dervereinigung wurden die de- Über den Kolonnenweg zu montierten Bahnlinien nicht entlegenen Winkeln „Daadup, daadup“, macht mein mehr in Betrieb genommen. Le- Rad bei der Fahrt über den Loch- diglich die über den Kiebitz- Nach ein paarhundert Metern betonplattenweg. Wenn die damm führende Straßenverbin- Fahrt auf dem Plattenweg halte Lochreihen längs zur Fahrtrich- dung wurde wieder passierbar ich an. Vor mir erstrecken sich tung stehen, muss ich mich voll gemacht. Wiesen, die im Osten bis an den auf den Weg konzentrieren. Trotz Horizont reichen. Ungewohnte aller Vorsicht, die Fahrt wird zur Stille umgibt mich. Nur das Mi- Rüttelpartie. Rechts des Kolon- Erinnerungen an einen auen eines Bussards, der über mir nenweges erstreckt sich das Ak- geschleiften Grenzgasthof seine Kreise zieht, ist ab und an kerland der Börde. Weizen, Raps zu hören. Ich blicke nach oben. und Zuckerrüben, so weit das Au- Ich radle über den Kiebitzdamm Der Himmel über dieser Ebene ist ge reicht. Vor meinem Rad fliegen zum Großen Graben. Hier verlief überwältigend groß. Dann plötz- immer wieder Goldammern auf früher die Grenze. Doch von den lich Motorgeräusche. Ein Traktor und flüchten in die Hecken am Sperranlagen ist nichts mehr zu mit Hänger poltert über den Ko- Wegesrand. Lerchen steigen auf

247 und singen aus Leibeskräften. Ein Kuckuck ruft; er sitzt auf den ho- hen Pappeln, die entlang von Wiesengräben stehen. Ich lege ei- ne Rast ein und mache es mir im Schatten einer Pappel bequem. Ein angenehmer Wind ist aufge- kommen, der das Laub der Pappel rascheln lässt.

Nach weiteren 2 km Fahrt zwi- schen Wiesen und Feldflur treffe ich auf einen Fahrweg, der aus der Weite der angrenzenden Bör- de kommt. Dies muss der Weg sein, der von Pabstdorf aus in die Bruchwiesen führt, ein Hinweis, dass ich der Stelle, an der sich die ehemalige Grenze nach Norden gewendet hat, inzwischen recht nahe gekommen bin. Ich folge dem Pabstdorfer Weg in die Bruchwiesen hinein. Ein Abzweig verunsichert mich, soll ich mich rechts halten oder geradeaus fahren? Ich entscheide mich für rechts, immer dem Lochbeton nach. Nicht weit von mir ist ein Traktor mit Mäharbeiten beschäf- tigt. Dahinter erhebt sich ein Damm. Das muss die Begrenzung des Großen Grabens sein. In Kür- ze werde ich wissen, ob ich auf die andere Seite gelange oder ob ich umkehren muss. Rechter Hand, parallel zum Weg, verläuft ein mehrere Meter breiter, bis an den Rand gefüllter Graben. Ist das der Große Graben? Nein, denn plötzlich endet das Gewäs- ser blind. Also weiter. Ich scheu- che ein paar Schafe auf, die aus Angst vor dem Fremden kopflos durch die Koppel rennen. Ein paar Ziegen, die auf einen Heuballen geklettert sind, schauen mir neu- Im Grenzwinkel gierig nach. Meine Aufmerksam- keit gilt vorerst dem vor mir lie- genden Weg, der mich über den Von Schafen, Ziegen und Großen Graben führen soll. Der am Graben. Die Brücke, über die Kaltblütern Weg führt einen Damm hinauf. die DDR-Grenzer bei ihren Pa- Das muss es sein. Doch welch ei- trouillen gefahren sind, ist abge- Langsam finde ich mich mit den ne Enttäuschung, der Weg endet rissen worden. Tatsachen ab und ich mache mich

248 schiebend auf den Rückweg. An der Koppel werde ich wieder vom Meckern der Ziegen begrüßt, die von dem Heuballen auf den ein- samen Radler herabschauen. Ein Pärchen mit klassischem Ziegen- bart klettert herunter und kommt an den Zaun heran. Auch die üb- rigen Ziegen werden zutraulich, während die Schafe in sicherer Entfernung bleiben. Zwischen dem Damm des Großen Grabens und der Kleintierkoppel weiden ein aschgrauer und ein brauner Kaltblüter mit je einem Fohlen. Ich krieche unter dem Elektrozaun hindurch und locke die Pferde. Und tatsächlich, sie kommen schweifschwingend und gemes- Auf der ehemaligen Demarkationslinie, Gleis der Bahnstrecke Braunschweig - senen Schrittes auf mich zu und Magdeburg lassen sich streicheln. Ich fotogra- fiere die Pferde und Ziegen und Über den Großen Graben achte jedes Mal darauf, dass das richtung führt. Kaum zu glauben, Wehr, das so fotogen im Hinter- Plötzlich habe ich eine Idee: Viel- neben den großen Wehrschützen grund über den Damm ragt, mit leicht lässt sich der Große Graben führt ein Steg ans andere Ufer, aufs Bild kommt. über das Wehr queren. Ich gehe breit genug, um mit dem Rad hin- zurück zum Damm und finde ei- über zu kommen. Dass ich auf der nen Pfad, der direkt zu der in hel- anderen Seite nicht im Sumpf lem Blau gestrichenen Sperrvor- stecken bleiben werde, entnehme

Das Große Bruch, niedersächsischer Teil

249 und ist viel zu breit und tief, als geblieben. Als ob es in der Börde dass man ihn überschreiten nicht genug Ackerland gibt. könnte. Ich richte mich schon auf Heute wäre so etwas in dieser einen längeren Umweg ein, da krassen Form sicherlich (oder entdecke ich eine Brücke und ei- hoffentlich) nicht mehr möglich. nen Weg, der geradlinig nach Doch damals tickten die Uhren Westen führt. noch anders. Der Verband und die mit ihm kooperierenden Kreis- und Landesbehörden haben sich Der Vormarsch der Mais- für diese Tätigkeit sogar ein äcker oder – „Rettet das Denkmal setzen lassen. Als ich Grüne Band“ über die Maisackerwege weiter Richtung Bahnhof Jerxheim rad- Der Weg entpuppt sich als Damm le, wird mir klar, wie wichtig das der ehemaligen Hauptstrecke Grüne Band in dieser Region ist. Braunschweig-Magdeburg. Ne- Das Braunkehlchen, der Kiebitz ich dem Umstand, dass - nicht ben der Wegebrücke liegen noch und der Steinschmätzer, noch weit vom Graben - Bauern bei der Gleise über dem Graben. Nach brüten einige Paare dieser selte- Heuernte sind. Unterhalb des der Karte verlief hier die inner- nen Vögel im großen Bruch. Es ist Damms treffe ich dann auch auf deutsche Grenze und so kann ich zwar bereits „fünf vor zwölf“, einen Lochplattenweg, der mich sicher sein, dass ich in Nieder- doch mit dem Ausbau des Grü- nordwärts führt. Noch immer be- sachsen angekommen bin. Das nen Bandes ließen sich viele Ar- finde ich mich im ehemaligen beweisen auch die Maisfelder, die ten halten. Vielleicht kann man „Osten“, die Grenze kann aber von nun an meinen Weg beglei- so auch die drollige Sumpfohreu- nicht weit sein. Ich vermute, dass ten. Der Wasser- und Bodenver- le, die bis in die 50er Jahre im hinter dem Graben, der links von band hat mit seiner Melioration Bruch gebrütet hat, wieder über- meinem Lochplattenweg ver- (Bodenverbesserung) tatsächlich zeugen sich ganzjährig im Gro- läuft, Niedersachsen beginnt. ganze Arbeit geleistet. Nicht ein ßen Bruch aufzuhalten. Noch hat Doch der Graben führt Wasser Fleckchen ist für die Natur übrig die tagaktive Eule dem Großen

Sumpfohreule

250 Bruch nicht ganz den Rücken ge- folgen Schloss- und Burgbesich- sich durch die Bundesstraße kehrt; in der Umgebung des tigung. Strecke über den Kolon- Braunschweig - Halberstadt zu Bahnhofs Jerxheim ist sie regel- nenweg nicht markiert. erkennen, die - auf historischem mäßiger Wintergast. Weg - das Große Bruch quert. Länge: 24 km Nach dem - ehemals braun- Wer die oben beschriebene, et- Anstiege: vernachlässigbar schweigischen - Ort sind es gut 2 was abenteuerliche Runde nach- Dauer: 3-4 Stunden km. Die Braunschweiger Herzöge radeln möchte, sei darauf hinge- Wegecharakter: Lochbetonplat- erwarben das Dorf Hessen im Jah- wiesen, dass die Strecke in keiner tenweg und asphaltierte Straße re 1343 von den Grafen von Re- Weise markiert oder ausgeschil- Gastronomie: Einkehrmöglichkeit genstein. Noch im selben Jahr lie- dert ist. Zudem muss auf die Ge- im Ort Hessen und im Wasser- ßen die Herzöge den „Hessen- fahren hingewiesen werden, die schloss Westerburg damm“ aufschütten, womit sie sich bei der Benutzung des Wehr- sich einen direkten Zugang zu ih- stegs ergeben. Außerdem müssen Eine alternative Radrunde mit rem vom Halberstädter Territori- auf der Tour einige km Lochbe- deutlich geringerem Abenteuer- um umgebenen Besitz verschaff- ton-Plattenweg in Kauf genom- charakter führt über den Kolon- ten. Der Hessendamm entwickelte men werden. nenweg vom Kiebitzdamm zum sich rasch zu einer Abkürzung der Hessendamm und zurück auf der früher über Hornburg verlaufen- Straße, über die Orte Hessen, den Fernstraße Braunschweig - Rohrsheim und Dedeleben. Start Halberstadt - , was die Er- Teil 2: Zwischen Kiebitz- ist wieder der Bahnhof Jerxheim. richtung von Zollstationen, an und Hessendamm Man radelt bis zur Stelle, an der denen auch Wegegeld erhoben der Kolonnenweg den Kiebitz- wurde, nach sich zog: Am nördli- Radrundtour durch zwei kontra- damm quert. Dieses Mal biegt chen „Ufer“ des Bruchs entstand stierende Landschaftsteile: Auf man rechts ab und fährt über den das braunschweigische Matier- dem Kolonnenweg durch die Wie- Kolonnenweg in westlicher Rich- zoll. Das Zollhaus des Bistums sen des Großen Bruchs und über tung über das Grüne Band, das Halberstadt wurde mitten auf Landstraßen durch die Feldfluren sich als weite Wiesenlandschaft dem Hessendamm errichtet, wor- der Börde. Auf Naturerkundung präsentiert. Der Hessendamm gibt über man sich zuvor mit Braun-

251 Der Große Graben am Kiebitzdamm schweig natürlich ordentlich ge- stritten hatte.

Das Hessenschloss der Braunschweiger Herzöge

Aus Sicht der Braunschweiger Herzöge bildete Hessen einen strategischen Brückenkopf an der südlichen Seite des Großen Bru- ches und so ließen sie um 1560 in Hessen ein Schloss errichten, das sich - nach mehrfachen Umbau- ten - zu einer prachtvollen Resi- denz im Stil der Renaissance ent- wickelte. Heute sind nur noch Überreste der Schlossanlage vor- handen, deren kunstvoller Garten einst eine Pflanzensammlung be- herbergte, die mit 1700 Arten zu den größten Europas gehörte. Zwei hohe Türme, die baulich nicht mehr miteinander verbun- den sind, markieren die Eckpunk- te der Anlage. Während der west- liche Teil des Schlosses erhalten ist, stellt der östliche Teil ein Rui- nenensemble dar. Nur in der Ge- samtbetrachtung entsteht eine Ahnung von der ehemaligen Grö- Schloss der Herzöge von Braunschweig in Hessen

252 ße und Bedeutung des Schlosses. schen dem Ort Rohrsheim und einer Unterbrechung in der Bo- Trotz oder gerade wegen des et- Dedeleben, führt eine Stichstra- naparte-Zeit (1807-1813). Nach was kuriosen Anblicks sind die ße zu der in Gänze erhaltenen dem Ende des zweiten Weltkriegs Überreste des Hessenschlosses ei- Westerburg, ein von einem Was- diente sie zunächst als Vertriebe- nen Besuch wert. Ein Förderverein sergraben umgebenes Kleinod. nenunterkunft, dann, in der DDR, bemüht sich um die Wiederher- Die aus dem Mittelalter stam- als Sitz der örtlichen Landwirt- stellung der Baulichkeiten, inklu- mende Anlage wurde nie zer- schaftlichen Produktionsgenos- sive des Schlossgartens. Eine Be- stört. Selbst die Erstürmung im senschaft „LPG“. Nach der Wende sichtigung ist von den vorhande- Dreißigjährigen Krieg hat die wurde die Burg als Restaurant nen Wegen aus möglich. Burg schadlos überstanden. Die verpachtet, bis sich schließlich Burg geht auf eine Gebiets- zur Jahrtausendwende in der Auskünfte: Verwaltungsgemein- schenkung des deutschen Kaisers Burg das „Romanik-Hotel Was- schaft Aue-Fallstein, „Heinrich III.“ - im Jahr 1052 - an serschloss Westerburg“ etablier- Am Waldrand 13, das Bistum Halberstadt zurück, te, das mit gehobener Gastrono- 38835 Deersheim, das die Burg als Lehen an die mie, Übernachtungsmöglichkei- Tel. 039421 / 788-0 Grafen von Regenstein weiter- ten, Wellness und Tagungsräu- gab. Nach deren Aussterben kam men aufwartet. Ein Besuch ist es zu den üblichen Verpfändun- schon allein wegen des baulichen Die Westerburg, romani- gen, Verkäufen und Eigentümer- Ensembles empfehlenswert. Hier sches Kleinod in der wechseln, bis die Burg schließ- findet man auch wieder ein Tau- Bördelandschaft lich, mit der Auflösung des Bis- benhaus, das dem in Osterwiek tums Halberstadt, an die Kur- ähnlich ist. Über Dedeleben und Von Hessen aus geht es auf der mark bzw. an das den Kiebitzdamm geht es zurück Landstraße Richtung Dedeleben, spätere Preußen fiel. Lange Zeit zum Ausgangspunkt der Tour, durch die hügelige Bördeland- war die Westerburg preußisches dem in Niedersachsen gelegenen schaft. Auf halber Strecke, zwi- Domänengut (1802-1945), mit Bahnhof Jerxheim.

Eingang zur Westerburg

253 Nach den Touren durch das Flach- und Hügelland geht es - zum Ab- schluss unserer Erkundungen am Grünen Band in der Region - noch einmal auf einen echten Berg, und zwar auf den am Nord- rand des Großen Bruchs gelege- nen Heeseberg, der mit geologi- schen Besonderheiten, Steppen- hängen und einer Berggaststätte aufwartet.

Westerburg Nordseite

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