Nicht einmal Wut FDP Die Liberalen haben Bundespräsidenten gestellt und Kanzler gestürzt. Doch nun löst sich die Partei in nichts auf. Die Deutschen mögen liberale Ideen, aber sie ignorieren die FDP.

Parteichef Lindner

aben Sie auch Chips für Einkaufs - stellte, Kanzler stürzte und die deutsche Jetzt geht es um die Marke FDP. „Ge - wagen?“, fragt die Frau mit den Außenpolitik über Jahrzehnte geprägt hat? nerell verschissen“ habe die, hatte Partei - H roten Haaren. Hans-Peter Goetz Eine Partei, die zum Inventar der Republik vize Wolfgang Kubicki schon vor drei lächelt tapfer. „Ja, natürlich“, sagt er zählte. Jahren konstatiert. Jetzt soll die Marke freundlich. Der Landtagskandidat der FDP Noch nie seit dem Entstehen des Partei - FDP einen Relaunch bekommen. Partei - steht mit seinem kleinen Stand an der ensystems in der jungen Bundesrepublik chef Lindner hat die Unternehmensbera - S-Bahn-Station Teltow südlich von Berlin. ist eine Regierungspartei so heftig abge - tung Boston Consulting Group (BCG) da - Es ist ein harter Kampf um Aufmerksam - stürzt wie die FDP nach 2009. Seither hat mit beauftragt. Die hatte das kostenlos keit, Goetz ist froh über jeden, der sich in sie zweimal die Führung ausgewechselt. angeboten, ein BCG-Partner ist Partei- ein Gespräch verwickeln lässt, denn die Genutzt hat es nichts. Inzwischen ist wie - mitglied. Eine Studie wurde erstellt, Wäh - FDP ist im Moment eine schwer verkäufli - der die Große Koalition an der Macht, jene ler, Parteimitglieder und Funktionäre wur - che Ware. Wenigstens kann Goetz ein paar Konstellation, die vor 2009 die FDP so stark den befragt. gelbe Windrädchen an Kinder verteilen. machte wie nie. Eigentlich müssten staat - Auf Flipcharts präsentieren die Sanie - Die Liberalen müssen sich an den klei - liche Eingriffe wie der Mindestlohn und rungsexperten ihre Erkenntnisse. Sie sind nen Dingen erfreuen. Wahlkampf für die Wohltaten wie die Rente mit 63 ein Wachs - gleich doppelt überraschend. Die Inhalte, FDP, das ist vor allem ein Kampf gegen tumsprogramm für die FDP sein. Doch so fanden die Beratungsprofis heraus, sind das Vergessenwerden. Mit ihrer Plakat- stattdessen geht es immer weiter bergab. gar nicht das zentrale Problem der FDP. aktion „Keine Sau braucht die FDP“ Warum? Die finden hinreichend viele Leute in Ord - schafften es die brandenburgische Libera - nung. len zwar in die Bundespresse. Aber sie Die Identitätskrise Was die Partei nach Ansicht der Berater wirkten dabei wie eine Satirepartei. Bei An einem warmen Frühsommertag kommt in den Abgrund trieb, war ihre negative der letzten Bundestagswahl waren die Leu - die Führung der FDP im Innenhof eines Ausstrahlung. Gegen Vorratsdatenspeiche - te wenigstens noch wütend auf die FDP. Hostels im Berliner Szenebezirk Fried - rung, gegen Staatsgeld für Opel, gegen Jetzt wird sie ignoriert. richshain zusammen. Bisher hat die FDP Steuererhöhungen – die FDP war für die Rund 150 Jahre nach der Gründung der eher das gutbürgerliche Ambiente bevor - Leute die Dagegen-Partei. ersten liberalen Partei scheint die FDP zu zugt. Jetzt finden sich ältere Herren wie Das macht die Führung ratlos. Die Wäh - verschwinden. Seit die Liberalen im Herbst und Wolfgang Ger - ler hatten den Liberalen doch jahrelang aus dem ausgeschieden sind, hardt inmitten von Rucksacktouristen und ihre Stimme gegeben, weil sie das Korrek - verlieren sie eine Wahl nach der anderen. Partygängern wieder, die der Ruf des wil - tiv des jeweiligen Koalitionspartners von In manchen Umfragen werden sie schon den Nachtlebens nach Friedrichshain und Konrad Adenauer über bis unter „Sonstige“ geführt, wie die Yogi - Kreuzberg gelockt hat. zu waren. Eine Partei, die schen Flieger oder die Partei Bibeltreuer Es ist Pfingstmontag, die Bundestags - gewählt wurde, weil sie gegensteuerte. Christen. „Die Hauptaufgabe ist, die Ner - wahl liegt acht Monate zurück. Doch Par - Und nun soll ausgerechnet das der Grund ven zu behalten“, sagt Parteichef Christian teichef Lindner will noch einmal ganz tief für den Niedergang sein? Lindner. in die Analyse einsteigen: Was läuft schief Bis spät in die Nacht debattieren die Aber wie soll das gehen? An der Basis bei der FDP? FDP-Spitzenleute darüber, wie man die macht sich Resignation breit. Und Ratlo - Vordergründig wissen alle, welche Feh - Bürger dazu bringen kann, mit der FDP A

sigkeit. „Begreift ihr das? Ich nicht“, sagte ler gemacht wurden: dass man Wahlver - wieder etwas Positives zu verbinden. Am P D

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der sächsische Landesvorsitzende Holger sprechen nicht einlöste, Steuern nicht senk - Ende steht ein Dreieck. „Lösungsorientiert, N E S N

Zastrow am Wahlabend fassungslos. te, dass Westerwelle Außenminister wurde, optimistisch, mutig, emphatisch“, steht im E T S

Tatsächlich ist es ein Rätsel. Wie kann obwohl er keiner war. Und dass Spitzen - breiten Balken unten. Darüber die FDP- R A C

es sein, dass eine Traditionspartei nach kandidat Rainer Brüderle am Ende um die Versprechen: „Die beste Bildung der Welt“ G R Ö J

fast 70 Jahren im Bundestag einfach zer - Leihstimmen von der Union bettelte. oder „Aufstieg durch eigene Leistung“. : O T O

fällt, eine Partei, die Bundespräsidenten Aber darum geht es jetzt nicht mehr. Und in der Spitze, unter dem Stichwort F

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Vision: FDP, Chancen ermöglichen. So Lindner wirkte immer ein wenig über - In der Partei regt sich bereits Kritik am klingt Parteipolitik im Jargon der Consul - fordert. Jetzt muss er die schwerste Krise Vorsitzenden, wenn auch noch intern. Er ting-Industrie. meistern, in die die FDP jemals geraten sei zu ängstlich, traue sich nicht, eine Linie ist. Die Liberalen haben niemand anderen vorzugeben. „Die neue Führung muss kon - Die Führung mehr. Der Parteivorsitz umgibt Lindner sequenter klarmachen, was sie will. Wir Parteichef Lindner empfängt zum Gespräch wie ein zu groß geratener Anzug. brauchen eine klare Botschaft“, sagt der in der Berliner Parteizentrale. Er hat das Gegen die Überforderung ging Lindner ehemalige Generalsekretär Döring. Zimmer des ehemaligen Generalsekretärs mit intellektueller Überlegenheit vor. Er Am Tag nach der Wahlniederlage in Patrick Döring bezogen, ist aber in den neun versuchte es mit seinem scharfen Verstand, Sachsen sandte Lindner einen Hilferuf an Monaten seit seiner Wahl noch nicht dazu seiner rhetorischen Brillanz. Lindner kann seine Parteifreunde. Im Präsidium sagte gekommen, sich einzurichten. Nur Dörings jeden an die Wand reden. Aber damit ge - er: „Einer alleine schafft es nicht.“ Das Bilder hat er abhängen lassen, jetzt sind die winnt man nicht das Vertrauen der Wähler richtete sich gegen den sächsischen FDP- Wände kahl. Irgendwann wird er das Leder - zurück. Chef Zastrow, der einen Wahlkampf gegen sofa und den Schreibtisch durch eigene Mö - Lindners Unsicherheit zeigt sich in ei - die Bundespartei geführt hatte. Aber auch bel ersetzen lassen. Wenn er dazu kommt. nem inhaltlichen Zickzackkurs. Als er Kubicki sollte sich angesprochen fühlen. Gemeinsam mit dem schleswig-hol- nach der Bundestagswahl den Parteivorsitz Von dem hatte man lange nichts gehört. steinischen Landesvorsitzenden Wolfgang übernahm, kündigte er eine weiche Linie An einem Nachmittag im August sitzt Kubicki soll Lindner die FDP retten. Doch an. Er wollte die Partei sanft nach links Kubicki im Café eines Berliner Hotels. Er es läuft nicht gut. „Der Alte und der Ama - rücken. Lindner wollte die FDP sympathi - scrollt auf seinem Handy durch das Bos - teur“, so nennen interne Kritiker das Füh - scher machen, die Wähler emotional an - ton-Consulting-Papier. Jetzt hat er das rungsduo. sprechen. Dreieck gefunden. „Schauen Sie“, sagt er Lindner ist jetzt 35, er ist ganz oben Aber sympathisch funktionierte nicht. stolz. Anfangs war Kubicki strikt gegen angekommen, der jüngste FDP-Vorsitzende Deshalb ist Lindner wieder umge - das Consulting. Er war überzeugt, dass sich aller Zeiten. Lindner galt immer als das schwenkt. Die FDP lehnt jetzt den Min - die Methoden der Unternehmensberatung große Talent der FDP. Sein Problem ist, destlohn entschieden ab, nachdem sie ihn nicht auf die Politik anwenden lassen. Aber dass er nie Zeit hatte, sein Talent zu entwi - zwischenzeitlich gar nicht so schlecht fand. dann sah er sich eines Besseren belehrt. ckeln. In seinem politischen Leben kam al - Neuerdings ist sie sogar zur Vorkämpferin Was er persönlich gelernt hat? Kubicki les sehr früh. Mit 21 war er der jüngste Ab - für innere Sicherheit geworden. „Der Staat überlegt. „Wir brauchen drei bis vier geordnete in der Geschichte des nordrhein- sorgt dafür, dass die Polizei in der Lage Kernbotschaften, die wir mit bestimmten westfälischen Landtags. Mit 30 wurde er ist, Verbrechern auf die Schliche zu kom - Personen verbinden“, sagt er. „Wir müssen Generalsekretär, mit 33 Landes- und Frak - men“, sagt Lindner. Das klingt, als wolle uns bei jedem Auftritt fragen, wie das rein - tionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. er die Vorratsdatenspeicherung einführen. passt, ob wir damit die Farbe der Zukunft festigen.“ Kernbotschaften. Die Farbe der Zu - Absturz der Liberalen Die FDP in den Bundesländern kunft. Kubicki trägt an diesem Nachmittag Grau. Graue Jacke, graue Hose. Das wirkt Ende Herbst Schleswig- irgendwie symbolisch. Früher war Kubicki 2009 2014 Holstein Mecklenburg- für die Farbigkeit in der FDP zuständig. Hamburg Vorpommern Doch seit er gemeinsam mit Lindner die Bremen Partei führt, ist er grau geworden. Früher Niedersachsen hat Kubicki Schlagzeilen gemacht, indem Berlin er die Parteiführung angriff. Er war der Brandenburg Hofnarr, der nicht dafür geköpft wurde, Sachsen- Nordrhein- Anhalt dass er die Wahrheit aussprach. Jetzt ist Westfalen er selbst die Parteiführung. Das ist schlecht Sachsen Thüringen für die Marke Kubicki. Und wenig nützlich Hessen in der Rhein- für die FDP. „Wenn der Hofnarr König Regierung land- wird, ist es schwierig“, sagt ein ehemaliges im Landtag Pfalz Präsidiumsmitglied. nicht im Saarland Baden- Bayern Der Hass Mandatsträger Landtag Württem- Es ist kein Wunder, dass der Parteivorsit - berg zende sich alleingelassen fühlt. Schließlich wird schon wieder gegen ihn gestichelt. Das ist typisch FDP. Die Lage kann noch so Wahlen am 14. September. ernst sein, zur Eigendemontage reichen die Nach aktuellen Umfragen wird die Kräfte immer aus. Dabei wissen die Libera - FDP an der 5%-Hürde scheitern. len, dass gerade ihre innere Zerstrittenheit Keine Bundes- einer der Gründe für ihren Niedergang war: und Landesminister Die Querelen und Eifersüchteleien haben 23 258 64 die Liberalen in den Jahren der schwarz- Keine Sitze im gelben Koalition in den Abgrund getrieben. Bundestag „Das ist ein Grundproblem“, heißt es in der Partei. „Wir haben das immer aus- geprägt betrieben.“ Kein Jahr nach der Bundes- und Bundes- und Landtagsmandate* Bundestagswahl 2009 war der strahlende Landesminister Landtagsmandate *Anzahl 2014, wenn die 5%-Hürde nicht erreicht wird Wahlsieger Westerwelle weitgehend de -

DER SPIEGEL ') / &$%( 31 montiert. Kaum war er gestürzt, begann die Demontage des Nachfolgers Philipp Rösler und seiner „Boygroup“. Natürlich wissen auch die Liberalen, dass den Wähler Zerstrittenheit abschreckt. Aber ihnen fehlt jenes Quäntchen Solida - rität, das andere Parteien in der Stunde der Not zusammenschweißt. „Wir sind halt Individualisten und Egoisten“, heißt es. Zu - dem wird in der Männerpartei FDP gern mal ausgetestet, was einer so aushält. Ob er hart genug ist. „Warum pinkeln Männer im Stehen? – Weil sie es können.“ Die FDP ist die Partei des Konkurrenz - kampfs, und das heißt dann auch, dass jede Schwäche und jeder Fehler des Chefs gna - denlos seziert wird. „In der FDP gilt in - nerparteiliche Kritik am Führungspersonal als freigeistig und sexy“, sagt Döring. Die Selbstzerfleischung ist der Kollateralscha - den des Liberalismus. Die Wähler Die großen Umfrageinstitute geben die FDP noch nicht ganz verloren. Viele Deut - sche, so fanden sie heraus, wünschen sich durchaus eine liberale Partei im politischen Spektrum. Nur eben nicht diese. „Alle vermissen liberale Positionen, aber keiner vermisst die FDP“, sagt ein Mitglied des Parteivorstands. „Alles hängt davon ab, ob die FDP wirk - lich klarmachen kann, dass ihre Kernklien - tel, der deutsche Mittelstand, sie braucht“, sagt Manfred Güllner von Forsa. Allens - bach hat in einer Umfrage vor zwei Wo - chen ermittelt, dass immerhin noch 11 Pro - zent der Befragten sich vorstellen können, die FDP zu wählen. Bei der Sachsen-Wahl taten es dann aber nur 3,8 Prozent. Der Mittelstand, sagt auch der Politik - wissenschaftler Oskar Niedermayer, sei am Fortbestehen einer liberalen Partei interes - siert. Das müsse aber nicht unbedingt die FDP sein. „Die AfD ist für die Kernklientel der FDP eine Alternative – für den Mittel - stand, der wirtschaftspolitisch liberal und gesellschaftspolitisch konservativ ist.“ Krisen hat eine Partei, deren Kernwäh - lerschaft unter fünf Prozent liegt, immer wieder erlebt. Aber dieses Mal ist einiges anders: Noch nie gab es so viele Parteien in den Parlamenten. Noch nie war die Bin - dung der Wähler an eine bestimmte Partei so schwach. Jahrzehntelang schien es unvorstellbar: dass eine Partei einfach so verschwindet. Auch der ehemalige Gesundheitsminister kann sich das eigentlich nicht vorstellen. Aber dann muss er manchmal an die Zentrumspartei denken, die Mitte der Fünfzigerjahre aus dem Bundestag gewählt wurde. Heute bekommt sie bei Landtagswahlen manchmal noch 0,1 Pro - zent. „Ich habe Angst, dass wir nicht durchhalten“, sagt Bahr. Christiane Hoffmann, Ralf Neukirch

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