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Sendung vom 9.11.2012, 21.00 Uhr Prof. Dr. Jesco von Puttkamer Raumfahrt-Experte im Gespräch mit Georg Scheller Scheller: Herzlich willkommen, liebe Zuschauer, zu einem neuen alpha-Forum. Unser Gast ist heute Jesco Freiherr von Puttkamer. Herr von Puttkamer, Sie waren 50 Jahre Ihres Berufslebens bei der NASA, Sie waren beim Apollo-Mondprogramm mit dabei, Sie waren beim Space-Shuttle- Programm dabei, bei der Internationalen Raumstation (ISS) usw. Was machen Sie heute als Rentner? Spazieren gehen? Puttkamer: Nein, ich bin immer noch bei der NASA, ich bin immer noch fest angestellt in sehr verantwortungsvoller Position. Bei uns schätzt man Erfahrungen: Je länger man dabei ist, je älter man wird, desto mehr Erfahrungen hat man. Und man erwartet bei der NASA, dass ich als Mentor diese Erfahrungen auch weitergebe an junge Leute, dass ich versuche, junge Ingenieure zu begeistern. Wir sprechen ja heute von einem Mars-Programm, ich war beim Mond-Programm dabei und da kommen die jungen Ingenieure, die doch so ein bisschen einen Bammel haben vor diesem Riesenprojekt Mars, und fragen mich: "Wie habt ihr das damals nur gemacht?" Da muss ich mich dann mit denen zusammensetzen und ihnen erklären, wie das damals gewesen ist. Scheller: Wie das damals gemacht wurde, haben Sie in mittlerweile 13 Sachbüchern niedergeschrieben, hauptsächlich zum Thema "Apollo", aber auch der Mars ist ein ganz großes Thema für Sie. Angefangen hat alles freilich ganz anders, nämlich mit Sciencefiction. Ich habe hier ein Buch aus dem Jahr 1957 mitgebracht, es stammt von Ihnen und trägt den Titel "Der schlafende Gott." Es geht darin um eine Expedition der Tellus und um 1000 Menschen und einen Mutanten in einem fremden Universum. Wie kam es denn dazu? Puttkamer: Das ist eine etwas längere Geschichte, soll ich sie erzählen? Scheller: Das ist sicher interessant. Puttkamer: Ursprünglich war es in der Tat neben einigen anderen Dingen die Sciencefiction gewesen, die mich auf den Weg gebracht hat, auf dem ich heute noch bin. Ich bin 1933 geboren und war daher 12 Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. 1942 lebten wir in Murnau am Staffelsee und kamen eines frühen Morgens aus dem Schutzkeller heraus, in dem Kohle und Kartoffeln gelagert wurden. Wir waren in der Nacht dort drin gewesen, weil Fliegeralarm gewesen war. Nach der Entwarnung standen wir draußen im Freien auf einem Hügel, hinter uns ein großes Kruzifix, und am Horizont brannte München. Wie gesagt, das war 1942! Meine Oma stand neben mir und ich war als Neunjähriger unerhört erschüttert von diesem Brand, davon, dass Dinge kaputt gehen. Dass Menschen so etwas zerstören, konnte ich irgendwie nicht begreifen. Also fragte ich: "Oma, wie soll es denn weitergehen? Sieht das überall so aus?" Sie antwortete mir: "Ja, bald wird es überall so aussehen. Das müssen wir dann alles wieder aufbauen!" Da kam mir bereits zum ersten Mal der Gedanke, dass ich irgendwie bei den Machern, bei den Ingenieuren, bei den Architekten mitmachen müsste. Später habe ich dann auch Jules Verne gelesen und Hans Dominik und all die Sciencefiction-Sachen, die danach gekommen sind. Ich habe aber auch andere Sachen gelesen wie z. B. den "Lederstrumpf" von Cooper, den "Robinson Crusoe" von Defoe usw. Und ich habe vor allem die "Höhlenkinder" von Sonnleitner gerne gelesen: Diese klassischen drei Bände kann ich heute noch jedem empfehlen, denn mir haben sie die Freude an mechanischer Arbeit, an Ingenieurtechnik und vor allem an der Natur eröffnet. Aber zwei Dinge habe ich vor allem durch Sciencefiction gelernt – zumindest habe ich geglaubt, sie daraus zu lernen. Das war erstens, dass es keine vorbestimmte Zukunft gibt, der man sich dann hingeben muss, sondern dass man selbst die Aufgabe hat, an der Zukunft mitzuarbeiten und sich selbst eine Zukunft aufzubauen, wie man sie gerne hat. Das ist wie auf einem Rangierbahnhof, wo man auch die Weichen stellen muss, damit die Dinge in die richtige Richtung laufen. Ich wusste also: Es liegt an mir, ich selbst muss etwas machen und darf nicht darauf warten, dass es jemand für mich macht. Scheller: Aber zunächst einmal haben Sie geschrieben, und zwar Sciencefiction- Romane. Puttkamer: Ja, das stimmt. Das zweite, was ich aus der Sciencefiction gelernt habe, war, dass die Raumfahrt in der Zukunft eines Tages eine Schlüsselrolle in unserer Welt spielen wird, weil sie das geschlossene System aus Land, Wasser und Luft aufschließen wird, sodass als vierte Domäne der Weltraum hinzukommen wird. Wir wussten alle damals schon, dass ein geschlossenes System auf die Dauer nicht existieren kann: Entweder hört das Wachstum auf oder man zerstört die Umwelt unwiederbringlich. Wenn die Menschheit die Umwelt komplett zerstört, dann zerstört sie sich selbst. So war die Raumfahrt bereits für mich als Junge eine große Sache der Zukunft. Also wurde ich Raumfahrtingenieur. Als Student habe ich mir durch Übersetzungen aus dem Englischen und dann durch eigene Sciencefiction-Bücher ein Zubrot verdient, um mein Studium und dann auch ein kleines Auto zu finanzieren. Aus dieser Zeit stammt also das Buch "Die Reise des schlafenden Gottes". Scheller: Und dann kam das für Sie ganz wichtige Jahr 1961, denn Sie bekamen von Wernher von Braun, der damals ja schon lange in den USA lebte, ein Telegramm. In diesem Telegramm stand, so habe ich es zumindest gelesen: "Geh nicht in die Industrie, komm nach Amerika, wir fliegen zum Mond!" Puttkamer: "Komm nach Huntsville, wir fliegen zum Mond! Wernher von Braun!" Scheller: Für jemand, der Raumfahrtingenieur ist und Sciencefiction-Romane geschrieben hat, muss das doch wie Ostern und Weihnachten an einem Tag gewesen sein, oder? Puttkamer: Ja, da habe ich wirklich den Erzengel Gabriel oben im Himmel mit seiner Posaune blasen hören. Ich habe alles stehen und liegen lassen und zwei Koffer gepackt. Ich wurde natürlich noch durch den CIC gecleared, also durch das Center des Counter Intelligence Corps in Frankfurt. Und als sie u. a. mithilfe des Lügendetektors gemerkt haben, dass ich eine reine Weste habe, bin ich ausgewandert und genau vor 50 Jahren in Huntsville angekommen. Damit war ich also von vornherein mit drin! Die NASA ist ja selbst erst 53 Jahre alt, d. h. ich war von Anfang an bei den Raketenbauern mit dabei. Scheller: Sie stießen also zum Team von Wernher von Braun dazu, bei dem eben auch noch andere Raumfahrtingenieure mit dabei waren, die bereits bei den Nazis Raketen gebaut hatten. Was hatten denn die Amerikaner mit diesen deutschen Raumfahrttechnikern und -wissenschaftlern vor? Puttkamer: Ursprünglich waren die Militärs an ihnen interessiert – so wie ja auch die deutschen Militärs an von Braun interessiert gewesen waren, für die er eine deutsche Mittelstreckenrakete namens "V2" entwickelt hatte. Eigentlich hieß diese Rakete "A4". Eine zivile Raumfahrt hat es damals im Dritten Reich nicht gegeben und wäre auch strikt verboten gewesen. Das, was in der Raketentechnik entwickelt wurde, war alles streng geheim. Also musste Wernher von Braun als junger Mann – als er in Peenemünde Direktor wurde, war er erst 24 Jahre alt – für das Militär arbeiten, weil sonst niemand da war, der sich dafür interessiert hätte. Sein Trieb, zum Mars zu fliegen und den Weltraum zu erschließen, war so stark, dass er da halt Ja gesagt hat. Er hätte ab einem bestimmten Zeitpunkt auch nicht mehr gut Nein sagen können, denn er wäre dafür bestimmt bestraft worden. Die politische Seite, also die SS, wollte diese ganze Raketensache den Militärs immer wegnehmen. Aber die Militärs haben das verhindern können während der Entwicklung der V2. Nur die Produktion, also die Herstellung im Harz, lag dann in den Händen der Leute von Himmler. Das Ganze lief dort unter unmöglichen Zuständen ab: mit Zwangsarbeitern, die dort unter der Erde in tiefen Tunnels arbeiten mussten. Viele, viele Jahre später, als Wernher von Braun längst schon in den USA gewesen ist, wurde ihm das immer angekreidet. Es gibt immer noch Leute, die glauben, er habe dieses Arbeitslager Dora verursacht. Das stimmt eben nicht, denn das war eine Teilung. Ich wäre sonst nie zu ihm gegangen damals. Die Amerikaner später wollten dann genau das Gleiche von ihm: Sie brachten ihn mit seiner Truppe in die USA und dort baute er dann amerikanische Mittelstreckenraketen für das Militär. Die zivile NASA wurde gegründet, als Sergei Koroljow 1957 in der Sowjetunion den ersten Satelliten, den ersten Sputnik gestartet hatte: Damals hat Amerika die Ohren gespitzt, denn das war ein Schock. Scheller: Wie konnte es überhaupt passieren, dass die Amerikaner von den Russen so überrumpelt worden sind durch den Sputnik und später durch Gagarin? Puttkamer: Das ist einfach so: Der Riese hat geschlafen. Das ist auch heute noch so, auch heute kommt es noch vor, dass ein Riese schläft. Aber wenn so ein Riese dann mal aufwacht, dann wacht er auch wirklich auf. Bis dahin waren die USA absolut mit sich selbst beschäftigt und hatten von der Sowjetunion nur schlechte Sachen gehört. Man glaubte, die Sowjetunion wäre ein Land von Bauern, Traktoren, Kolchosen usw. Dass sie plötzlich einen Satelliten starteten, war ein riesiger Schock für die USA. Vor allem konnte man sich ja ausrechnen, dass anstatt des Satelliten auch eine Atombombe auf der Rakete hätte sitzen können, die die USA erreichen kann. Das war der Schock. Präsident Eisenhower hat im Gegenzug dann sofort gesagt: "Wir müssen mithalten, aber wir machen das nicht militärisch, wir machen das zivil, wissenschaftlich." Aus dem Grund hat er im Oktober 1958 die NASA ins Leben gerufen, die "National Aeronautics and Space Administration". Die NASA hat dann auch recht bald nach dem Sputnik den ersten Satelliten gestartet: Da war die Armee noch beteiligt, denn es war eine von Wernher von Braun konstruierte Rakete, die den Satelliten "Explorer 1" ins All getragen hat. Der NASA wurde dann recht schnell bewusst, dass sie gar keine eigenen Raketenbauer besaß. Also hat man in Washington beschlossen, Wernher von Braun und sein ganzes Team vom Militär weg und in den zivilen Dienst zu stecken.