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Tragikomödie ohne Ende: Musiker Dinger, Rother

14 kultur SPIEGEL 7/2001 Zwei Egos müsst ihr sein Das Düsseldorfer Avantgarde-Duo Neu! hätte die wichtigste deutsche Rockband aller Zeiten werden können. Doch daraus wurde nichts: zu viel Streit, zu viel LSD. Nun will Herbert Grönemeyer, inzwischen auch Besitzer einer Plattenfirma, die beiden Genies nach fast 30 Jahren wieder zusammenbringen.

VON CHRISTOPH DALLACH unsere drei Neu!-Platten nun wieder Städten wie musikalisch los regulär zu haben sind.“ war, kann ich nur antworten: keine Denn die Neuauflage und Wiederent- Ahnung.“ „Wir hatten nie etwas mit s ist nicht so, dass wirklich deckung der Musik des Düsseldorfer den anderen Bands zu tun“, sagt Din- Schlimmes zu erwarten gewesen Avantgarde-Rock-Duos Neu! gilt allen ger, „wir hatten ja schon als Neu! Ewäre. Keine Schlägerei beispiels- Zwistigkeiten zum Trotz als musik- nichts miteinander zu tun.“ weise und auch kein lauter Streit. historische Sensation. Ein freudiges Dinger, laut selbst verfasstem Le- Trotzdem wollten die Verantwortli- Ereignis, das von Feuilletonisten und benslauf ein „Total Artist“, hat in den chen der Kölner Plattenfirma, als sie Musikern von New York bis Berlin ge- Sechzigern in Architektur stu- Anfang Mai Journalisten eingeladen feiert wird; vor allem in England und diert, in Düsseldorf eine Werbeagen- hatten zu Interviews mit dem deut- den USA gelten Dinger und Rother tur (zumindest auf dem Papier) ge- schen Avantgarde-Duo Neu!, jedes Ri- als Helden und Pioniere und die Mu- habt und Schlagzeug in verschiedenen siko vermeiden. Also setzten sie den sik, die sie in der ersten Hälfte der Bands gespielt wie etwa bei , einen Musiker in den achten Stock, Siebziger aufnahmen, als Blaupause wo er auf der zweiten Seite ihres De- den anderen in den sechsten. Sicher für modernen Rock’n’Roll. büt-Albums trommelte. Michael Ro- ist sicher. Neu!s „enormen Einfluss auf die Ent- ther, in geboren und über Beispielsweise , 55, die wicklung der Popmusik“ („The Inde- England und in Düsseldorf eine Hälfte von Neu!: einerseits ei- pendent“) bestätigen euphorisch all angekommen, war damals, Anfang der gentlich ein netter Zeitgenosse; an- die Musiker, die heute als kreative Eli- Siebziger, gerade Zivildienstleistender dererseits fühlt er sich öfter mal un- te des Genres gelten: Der US-Musiker an einem Krankenhaus, als er einge- gerecht behandelt. Dann sieht er sich Beck lobt die „zeitlos aufregende Mu- laden wurde, auf einer Kraftwerk-Ses- von Menschen umzingelt, die ihn sik“; Thom Yorke, Sänger der briti- sion Gitarre zu spielen. übervorteilen wollen und „mit einer schen Band Radiohead, fühlt sich, Eine Freundschaft sei damals nicht Schmutzkampagne überrollen – das wenn er Neu!-Songs hört, als fahre er entstanden, sagt Dinger. Das sei kor- finde ich Scheiße“. Ganz besonders „eine brandneue Autobahn entlang“; rekt, sagt Rother. Aber als Musiker schlimm findet er, dass „der, der und hatte schon 1975, und Künstler waren sie durchaus von- immer vor Neu! und unserem Erfolg nachdem er seine erste Neu!-Platte einander beeindruckt: Dinger, der davongelaufen ist, nun so hochgeju- gekauft hatte, keinen Zweifel mehr: leicht wahnwitzige, aber sagenhaft belt wird“. „Die Musik der Zukunft kommt aus präzise und erfindungsreiche Schlag- , 50, ist die andere Deutschland.“ zeuger ( hält ihn für einen Hälfte von Neu! und sitzt derweil zwei „“ tauften Engländer durch- der drei besten Schlagzeuger der sieb- Stockwerke tiefer und gibt sich, Typ aus höhnisch die avantgardistische ziger Jahre), und Rother, der eher dis- Religionslehrer, den Anschein, als Musik, die Anfang der siebziger Jah- ziplinierte, aber phantasievolle Gitar- wüsste er noch nicht mal das Wort re eine junge Musikergeneration in rist, mit dem sogar David Bowie zu- Streit zu buchstabieren – was Dinger Deutschland produzierte – Bands wie sammenarbeiten wollte. erst recht auf die Palme bringt. So still Can, Amon Düül, Kraftwerk, Faust Die drei Alben, die Neu! in den fol- Rother auch wirkt, in einem scheint er und eben Neu!. Eine vernetzte Szene, genden Jahren mit dem legendären wild entschlossen: Er wolle sich von die sich vor 30 Jahren in Deutschland Produzenten einspielte, dem „egozentrischen“ Dinger nicht dranmachte, gemeinsam die Rock- überwiegend instrumentaler minima- mehr länger auf der Nase herumtan- musik neu zu erfinden, wie es sich listischer Avantgarde-Rock, klingen zen lassen. Zusammen mit ihm in ei- ausländische Journalisten gern mal auch 2001 immer noch so seltsam los- nem Raum Interviews zu geben, das ausmalen, hat es nie gegeben, die gelöst wie in den Siebzigern. Eine Mu- kann sich Rother genauso wenig Bands hatten kaum etwas gemeinsam sik, der man den Willen zum radika- vorstellen wie Dinger. Immerhin ringt – außer ihrer Lust auf musikalische len Neuanfang anhört, anstatt wie da- Rother um versöhnliche Worte: Abenteuer. „Wenn ich heute immer mals der Rest der Welt die Bestseller „Klaus sagt leider viele ärgerliche Din- wieder gefragt werde“, sagt Rother, und Ikonen des Rock nachzuäffen.

FOTO: ALESSIO PIZZICANNELLAFOTO: / S.I.N. ge, aber es ist doch ein Ereignis, dass „was damals so in anderen deutschen Dabei haben die beiden „nie groß

7/2001 kultur SPIEGEL 15 Neu!-Musiker Rother und Dinger (1972) theoretisiert, aber nachdem auch ich Die drei Alben von Neu! verkauften men. Doch 1975 beendeten Dinger durch die Beatles-Schule gegangen sich in Deutschland anständig und und Rother ihre Zweckgemeinschaft: war, hatte ich nicht das Bedürfnis, wurden sogar in England wahrgenom- Dinger hatte danach mit seiner neuen diese angelsächsische Ge- Band La Düsseldorf größe- schichte fortzusetzen“, sagt ren kommerziellen Erfolg, Dinger. „Ich wollte alles Michael Rother mit Solo- Gelernte über Bord werfen, platten wie „Flammende um endlich eine eigene Herzen“ und „“. musikalische Identität zu Neu! aber war in Deutsch- schaffen“, sagt Rother. Die land schnell vergessen – und Abkehr von Blues und Beat ist bis heute weitgehend un- fand statt unter dem Ein- bekannt geblieben. Das fluss von 68. „Das hat mich musste auch David Bowie geprägt und beschäftigt“, feststellen, als er das Saal- sagt Rother. publikum einer „Wetten, Die Neu!-Musik sei jeden- dass ...?“-Sendung fragte, ob falls unter irrem Druck ent- sie je von Neu! gehört hät- standen, sagt Dinger. Zu ten, und kaum Resonanz er- viel Streit, zu viel Ego, zu hielt. Das „Hamburger viel LSD. „Bestimmte Ele- Abendblatt“ erklärte die mente unserer Musik wür- Düsseldorfer Veteranen zur den ohne LSD fehlen“, sagt „Nachwuchsband“. „Je wei- Dinger, „und Leute wie Ro- ter man von Deutschland ther, die diese Erfahrung wegkommt“, sagt Rother, nicht gemacht haben, sind „desto größer ist die Wert- eben ganz andere Men- schätzung für diese Art von schen.“ „Ich amüsiere mich Musik aus den Siebzigern.“ über die Anmaßung von Mitte der Achtziger ging das Klaus, sich über meine Dro- Duo Dinger/Rother er- generfahrungen zu äußern“, staunlicherweise doch noch sagt Rother, „das geht an mal ins Studio. Aber weil

der Wirklichkeit vorbei!“ Labelchef Grönemeyer (M.) mit Rother und Dinger das Interesse der Musik- EMI; KAZUYUKIFOTOS: ONOUCHI / KLAUS DINGER

16 kultur SPIEGEL 7/2001 Eine Freundschaft sei damals in den siebziger Jahren nicht entstanden, sagt Klaus Dinger. Das sei korrekt, sagt Michael Rother. industrie an einer vierten Neu!-Platte Seit 1990 wurde so auch mit den bei- gen können, dann ist es ihr Respekt bei null lag – es gab laut Rother nur den immer wieder über Neuauflagen für Grönemeyer. „Herbert“, sagt Din- „ein armseliges Angebot, das man der Klassiker verhandelt. Das Ergeb- ger, „ist selbst Musiker, versteht un- nicht ernst nehmen konnte“ –, wurde nis: ein wahnwitziger Streit zwischen sere Sicht der Dinge und hat damit das Projekt begraben. Dinger und Rother um Geld und bessere Voraussetzungen als jeder Wahrscheinlich waren die beiden nur Eitelkeiten, eine Tragikomödie, die Plattenmanager.“ „Herbert“, sagt Ro- ein paar Jahre zu früh dran, denn mit bis heute kein Ende gefunden hat. ther, „kann zwischen uns vermitteln, Beginn der neunziger Jahre hatte sich Währenddessen überschwemmten il- weil er für Klaus und mich gleicher- die Lage im Musikuniversum radikal legale Raubkopien den Markt oder maßen glaubwürdig ist und weil er verändert. Eine junge Szene von Tech- wurden die Originale für horrende nicht im Verdacht steht, der einen Sei- no- und Elektromusikern schuf nicht Summen auf Flohmärkten und Plat- te näher zu sein als der anderen.“ nur ein neues europäisches Selbstbe- tenbörsen gehandelt. Inzwischen hat Grönemeyer den bei- wusstsein, sondern sorgt bis heute von Bis dann im vergangenen Jahr der Sän- den sogar ein sehr anständiges Ange- Barcelona bis Helsinki für überra- ger Herbert Grönemeyer einen kaum bot für ein neues Neu!-Album ge- schend hohe Umsätze. In Deutschland für möglich gehaltenen Waffenstill- macht. Rother, sechster Stock, still, sind es Bands und Musiker wie To Ro- stand erreichte. Grönemeyer, der die vorsichtig, ist interessiert, will aber coco Rot, Mouse On Mars oder Oval, Musik von Neu! vor einigen Jahren in erst mal abwarten, wie sich der Zwist die gut gelaunt das weiterführen, was dem Studio eines Londoner Fotogra- weiterentwickelt. Dinger, achter die so genannten Krautrocker vor 30 fen erstmals hörte, überzeugte Din- Stock, temperamentvoll, unberechen- Jahren begonnen haben. „Die perso- ger und Rother in langen Verhand- bar, sagt: „So ein Album machen wir nellen Möglichkeiten für aufregende lungen, ihre legendären Platten auf in vier Tagen und dann: Feierabend.“ Musik“, sagt Dinger, der auch schon seinem Label Grönland ein zweites ...... mit Musikern der jungen Düsseldorfer Mal zu veröffentlichen. Die Alben „Neu!“, „Neu! 2“ und Band Kreidler zusammengearbeitet Und wenn es überhaupt etwas gibt, „Neu! ’75“ sind bei Grönland/EMI hat, „sind heute besser denn je!“ auf das sich Dinger und Rother eini- erschienen.