Sport

Die deutsche Nationalmannschaft kämpft an diesem lieren – die Behörden ermitteln nur zögerlich in dem Montag in ihrem letzten Vorrundenspiel in Wien gegen Wettskandal. Außerdem in diesem Heft: ein Porträt des Österreich um den Einzug ins Viertelfinale. In der deutschen Verteidigers sowie ersten Liga des EM-Gastgeberlandes ist mehr- ein Bericht über den Hochgeschwindigkeitsball fach versucht worden, Begegnungen zu manipu- „Europass“ und die Frage, ob er wirklich flattert. Der Erleuchtete

Die deutsche Mannschaft besteht aus 23 kleinen Trainern: Es geht um die ständige Perfektionierung von Geist und Körper, des ganzen Lebens, selbst des Mittagsschlafs. Die Abwehr wackelt trotzdem gefährlich, beruhigen muss sie der junge Per Mertesacker. Von Klaus Brinkbäumer

ie Frage ist ja, ob das Leben planbar Aber manchmal steht dann rechts Cle- Dessen Mannschaft ist geformt und ge- ist. Oder wenigstens Sport. Oder mens Fritz dumm herum, und in der Mit- prägt durch Spieler, die ihren Körper als Dwenigstens ein Fußballspiel. te steht ganz schön Kapital und Arbeitsgerät begreifen. Stän- Die Hymne geht noch. Per Mertesacker weit rechts, und Mertesacker folgt Metzel- dig denken sie an die Verbesserung der ei- weiß vorher, wie er sich fühlen wird, „be- der nach innen und sieht den Ball über genen Verfassung, physisch, psychisch, das sonders“ wird er sich fühlen, und denken sich hinwegfliegen und hüpft und kommt Leben eines Fußballprofis der Akademie wird er: „Du spielst für Deutschland“, und nicht heran, und ist ja so- Löw besteht aus permanenter Leistungs- das ist, jedes Mal wieder, „eine absolute wieso zu spät da. Fußball kann, das war am optimierung; körperlicher Einsatz beim Gegebenheit“. Erklingt die Hymne, sucht vergangenen Donnerstag bei der Nieder- Training, ständiger Dienst am Teamgeist, Mertesacker den festen Stand, er rammt lage gegen Kroatien zu sehen, manchmal das, was die Spieler „Laufbereitschaft“ die Stollen in den Rasen, nimmt rechts Cle- noch zu rasant sein für die Entwürfe des nennen, all das ist nur noch „Grundvor- mens Fritz und links in den Bundestrainers Joachim Löw. aussetzung“, wie Per Mertesacker sagt. Arm, hebt den Kopf, beginnt zu Wer Titel will, braucht mehr. singen, und nun kommt es: das Die klügste Lektüre. Das ge- Hymnengefühl. sündeste Frühstück. Die lehr- Dann aber rollt der Ball. Ein reichste Videoanalyse. Das mut- schneller Ball, es ist ein schnelles machende Gespräch, Aufmerk- Spiel. Mertesacker ist vorberei- samkeit bei der Analyse des tet, er kennt alle Bewegungen al- Gegners, einen Witz im Dialog ler Gegenspieler und auch die der mit dem Kollegen, weil Witze den Kameraden; er hat gut gegessen, Teamgeist fördern, und die Stär- sein Körper hat am Mittag eine kung des Rumpfbereichs – die Stunde geruht und bekommen, Nutzung jeder Minute schließt was die Trainer „Energiezufuhr“ den Mittagsschlaf ein, Entspan- nennen, auch der Geist hat die nung gehört zwingend dazu. Informationen, die er braucht. „Man muss permanent Reiz- Mertesacker ist „Zentralvertei- punkte setzen“, sagt Mertesacker, diger“, er ist „die letzte Instanz hin und wieder sagt er auch vor einem gewissen Torerfolg der „Ausrufezeichen setzen“, und Gegner“, so nennt er seine Rolle, wenn es jedenfalls genug Aus- er sagt: „Ich will den Spielzug des rufezeichen und Reizpunkte wa- Gegners aktiv erleben. Darum ren, dann muss man: „Mal die geht es. Jedes Mal wenn wir rea- Seele baumeln lassen“. gieren, haben wir schon was In den ersten Tagen der EM, falsch gemacht. Aktive Abwehr- bis zum Donnerstag, sah es so arbeit heißt, immer wieder zur aus, als könne eine neue deut- richtigen Zeit in Position zu kom- sche Fußball-Wirklichkeit erste- men, und das Ziel ist, den Ball so hen. Oder als gäbe es diese Wirk- weit wie möglich vom Tor weg zu lichkeit schon. Das Deutschland halten. Es gibt aber auch Situa- des Bundestrainers Joachim Löw tionen, da kommt ein langer Ball, war bis zum Donnerstag ein sys- das muss man einschätzen kön- tematisches, ein stilsicheres, ein nen, da muss man lauern, man konzentriertes und ein wagemu- muss immer sehen, was könnte tiges Deutschland, es sah deshalb als Nächstes passieren? Die hohe aus wie die bestmögliche Mi- Kunst des Verteidigens ist das, schung von Plan und Phantasie –

was man antizipieren und vorher PRESS LANGBEHN / ACTION im Training, in den Pressestun- klären kann.“ Nationalspieler Mertesacker: „Permanent Reizpunkte setzen“ den und beim 2:0 gegen Polen.

128 der spiegel 25/2008 ALBERTO PIZZOLI / DDP Verteidiger Mertesacker (im Spiel gegen Kroatien): „Ich will den Spielzug des Gegners aktiv erleben“

Es kam in den vergangenen Jahren öfter die Nähe zu groß, dann wird es kumpelig, der redet wie Franz Beckenbauer zu nicht vor, dass Darstellung und Wahrheit zwei manchmal fürchten die Fußballer das Po- besonders glorreichen Zeiten: am Anfang unterschiedliche Dinge waren bei der Aus- dium. spricht lauter dort eine kernige These, dann sieben bis zwölf wahl des Deutschen Fußball-Bundes oben, schneller, nur Nebensätze, die allesamt die These relati- (DFB). Seit sendende und schreibende Be- ist schon so erwachsen, vieren, bis ein Theschen bleibt. gleiter nur noch in ausgewählten Momen- dass er die tägliche Pressekonferenz für Es ist nicht zwingend notwendig, einen ten zum Team vorgelassen werden, gab es seine Ziele nutzt. Ballack überlegt sich vor- Fußballer über seine Sprache zu erklären, zwei Wirklichkeiten: dort die Inszenierung her ein Thema, vorgestern war es takti- aber dieser ist anders. Er erfindet Worte. fürs Volk, diesen großartigen Teamgeist, sche Disziplin, heute ist’s „das eine Pro- Er ist, und daher ist eine EM in seinem die großartige Stimmung, all das – und hier zent“ Leidenschaft, das Spiele entschei- Schatten ein rechter Spaß, ziemlich origi- die Niederlagen, die Panik auf dem Platz, det; er hält Reden an die Kollegen, weil er nell im Erschaffen neuer Begriffe. den ganzen Streit, von dem nach dem Aus- weiß, dass die drüben im Hotel Giardino „Vorschussvertrauen“ sagt er, das ist sein scheiden erzählt wurde. auf der Massagebank liegen und lauschen. Wort für die Verfassung, mit der die Mann- Es wirkte anders, diesmal, die beiden Per Mertesacker ist nicht so strategisch, schaft ins Turnier ging; diese Verfassung Wirklichkeiten schienen deckungsgleich: aber auch nicht verklemmt; er begibt sich folgt daraus, dass sich alle kennen, das die In Tenero im Tessin wohnt die erste in Konflikte, und darum spricht er öffent- meisten die Erfahrung des Sommermär- deutsche Auswahl von Spielern, die zum lich so, wie er vermutlich auch mit seinen chens von 2006 teilen und nun dasselbe großen Teil in Fußball-Internaten groß Freunden spricht, mal launig, mal mür- Ziel, dafür auch, dass Trainer Löw so üben geworden sind; Löws „kickendes Klassen- risch, er greift im Leben gern mal an. lässt wie einst Trainer Klinsmann. zimmer“ („SZ“) ist die strebsamste Natio- Neulich sagte er einem Journalisten, der „Selbststärke“, sagt er dann. Selbststär- nalmannschaft aller Zeiten. ihm taktisch kam: „Da müssen Sie die Fra- ke folgt aus Vorschussvertrauen, und wer Natürlich streiten diese Spieler nicht. ge vernünftig formulieren, nein, Sie brau- selbststark ist, „hat einen Stolz inne“ und Natürlich holen sie sich nicht heimlich chen nicht mehr zu fragen.“ Und einem, kann sich am Ende „in grünem Licht“ prä- Prostituierte ins Hotel. Sie wollen ja lernen der nach persönlichem Streben fragte: sentieren, „landestechnisch“ gesehen. und morgens wach sein und immer stärker, „Weiß nicht, kann ich nicht nachvollzie- Gern lässt Mertesacker sich auf Diskus- sie sind das, was sie Mittag für Mittag für hen, die Frage.“ Manche Sportreporter sionen ein und auf lange Gespräche, er die Medien inszenieren. Aber spielen sie sind ein bisschen eifersüchtig auf die jun- fragt viel, das tun Fußballer nicht so oft. Er auch, wie sie sind? gen Millionäre, sie wünschen sich deshalb lässt Journalisten noch an sich heran, auch Per Mertesacker ist ein lakonischer, ein einen Hauch Demut von Fußballprofis. das ist eher selten geworden in dieser ziem- selten nervöser Verteidiger, er hat etwas Von Mertesacker kriegt man die nicht, aber lich artifiziellen Welt. Frisches, und er hat keine Angst. Der Um- die Alternative wäre , der Das erste Treffen war in Bremen, An- gang zwischen Spielern und Sportjournalis- nicht so gern originell ist. Oder Mertes- fang Mai im Café Max, nicht weit vom We- ten ist ja eher kompliziert: Manchmal ist ackers Nebenmann Christoph Metzelder, serstadion. Mertesacker kam vom Training,

der spiegel 25/2008 129 SCHIRNER SPORTFOTO / PICTURE-ALLIANCE/ DPA / PICTURE-ALLIANCE/ SCHIRNER SPORTFOTO WEREK / IMAGO BAADER LORENZ Ehemalige deutsche Verteidiger-Idole Schwarzenbeck (1974), Eckel (1956), Kohler (1988): Wenig laufen, richtig stehen er trug ein grünes „McQueen“-T-Shirt und da, er isst Tomaten und Mozzarella, dann Tor, und 30 Millionen sehen zu, wenn er ei- Jeans mit Rissen und am Handgelenk eine ein Putensteak; auf dem Tisch liegt sein nen Ball tritt, und das ganze Land ist dicke Uhr; er ging breitbeinig wie Ballack, Mobiltelefon und zuckt vor sich hin. schwarzrotgold. Mertesacker wohnte noch doch der Oberkörper schlackerte, die Mertesacker hatte 2006 etwas seltsam bei Mama und Papa und wusste doch, er Arme auch, er ist 1,98 Meter groß. Per Verklärtes. Er blickte in die Ferne, sprach erlebte gerade „das Highlight des Lebens“. Mertesacker hat blasse Haut und trägt die mit jedem Spiel schneller, am Ende wipp- Er ringt dann mit den Worten, er sagt es blonden Haare zerstrubbelt, er sieht aus, ten seine Beine, wackelten die Arme, und so: „Das WM-Turnier hatte so eine Bri- als könnte er auch für „Neon“ schreiben Mertesacker predigte. Die WM war für alle sanz. Das hat man im Halbfinale gegen Ita- oder trommeln in einer Garagenband. aus dem Team wie ein guter Trip, aber der- lien gemerkt: Da lastet etwas auf dir, du Wenn Jürgen Klinsmann vor der WM art erleuchtet, ein bisschen verrückt sogar willst ins Finale, unbedingt, du bist 120 Mi- 2006 einen Spieler erfunden hat, dann die- wie Per Mertesacker wirkte kein Zweiter nuten voll da, du gibst alles, und nach dem sen; 19 -Spiele hatte Mertes- aus Klinsmanns Kader. Spiel war da eine totale Enttäuschung, aber acker gemacht, für Hannover auch noch, Und nach dem Vorrundensieg gegen die es ist auch eine Zentnerlast vom Rücken er war viel zu grün und zu dünn, als Klins- Polen lief er vor die Pressetribüne und gefallen. Du kannst das gar nicht richtig mann anrief. Es war der 29. September schüttelte die rechte Faust und schlug mit beschreiben, es ist die Gewissheit: Du hast 2004, Mertesackers 20. Geburtstag, er saß der linken Hand auf den rechten Oberarm: es geschafft. Es ist vorbei. Dass man etwas auf der Couch im Elternhaus, „ich ahnte Kommt her, ich hau euch aufs Maul, das erreicht hat, was einem keiner mehr neh- nichts Böses und versuchte, den Tag zu ge- hieße diese Geste in der Großstadt. men kann. Wenn die Zentnerlast abfällt, nießen“, aber es gibt Anrufe, die verän- Aber in Pattensen? Oder Bremen? befreit das auch. Es war ja extrem. Es war dern ein Leben. Heute schämt er sich deshalb, er senkt ein bitterer Abgang, aber insgesamt war „Hier Klinsmann.“ den Blick, dann sagt er: „Es war aus der man schon auch froh, dass es vorbei war.“ „Ja, äh.“ Emotionslage heraus. Es war so sehr über Beim zweiten Gespräch, im Trainingsla- „Per, ich möchte junge Leute dabeiha- Abwehrformationen diskutiert worden, da ger auf Mallorca, zuckte er dann schon ben bei der Nationalmannschaft und fri- wurde einem ja alles abgeschrieben, was wieder ein bisschen. Das Turnier war nun schen Wind reinbringen, ich lade dich das einen als Fußballer groß gemacht hat. Das nahe, „es hat eine neue Epoche angefan- nächste Mal ein. Wir brauchen junge, ehr- würde ich Kurzschlussreaktion nennen.“ gen“, sagte Mertesacker. Er trug das rote geizige Leute, die wir aufbauen können Es lässt sich erahnen, wie das sein muss Hemd des DFB, seine Beine wippten auf für das Turnier.“ für einen Jungen vom Land, der selten auf und ab, er saß an einem Gartentisch, „Ja, äh.“ Partys war, nicht cool war als Kind, der in spannte die Oberschenkel an und lockerte „Du hörst von uns.“ der Schule immer der Lange war, nicht sie und spannte sie wieder an und sagte: „Ja, danke, tschüss.“ Per Mertesacker rauchte und keine Mädchen kriegte – und „Wir setzen auf den Faktor Spaß.“ sagt, er habe nicht so viel beigetragen zu ein paar Jahre später steht er vor einer hal- Er sagt, so sei er übrigens groß gewor- jenem Gespräch. Er kichert. Ruhig sitzt er ben Million Menschen am Brandenburger den: mit Spaß. Ohne Druck. Nicht so grad-

130 der spiegel 25/2008 Sport linig wie die Kollegen, nicht weitergereicht Hannover 96, dann in der Bundesliga, keinen Mut, das System verrutschte mit von der Kreisauswahl bis zur Jugend- dann für Deutschland. jeder Auswechslung mehr, die Abwehr be- nationalelf. Er sagt, er hatte „null Talent“, Unwirklich? „Mit dem Wort kann ich stand aus einem tragischen Dreieck links es war Zufall, eine Kette von Zufällen. nichts anfangen. So dicht. Das trifft es eher. und einem in der Mitte. Der Trainer Löw Pattensen, kurz vor Hannover, 15 000 Ich hatte nicht mal die Ruhe, darüber nach- fuchtelte und fauchte an der Seite, Reiz- Einwohner, hat ein paar Billigmärkte, eine zudenken, dass mir die Ruhe fehlte.“ punkte überall, anders nur als gewünscht. Eisdiele, auf den Straßen kicken Kinder in Er sagt, er hatte Glück, weil ihn Trainer Vielleicht ist Löw ja doch ein bisschen Mertesacker-Hemdchen. Man hört Rasen- förderten, die sahen, was anderen entgan- konservativ, ein bisschen lieb, ein bisschen mäher und Vögel, Deutschland im Früh- gen war. Vermutlich sahen sie, dass dieser sentimental. Wer vor zwei Jahren gut war, sommer, im Garten vor dem letzten Haus Verteidiger das Spiel liest wie muss doch auch 2008 gut sein, in der Kreuzberger Straße stehen zwei ein Trainer. Dass er wenig läuft, nicht wahr? Sind doch alle die Tore, darüber weht die Deutschlandfahne. weil er richtig steht. Dass er sehr Er sagt, er Jungs aus dem Sommermär- Stefan Mertesacker trägt Shorts und ein viel versierter spielt als einsti- hatte Glück, chen! Löw steht zu Leuten wie Adidas-Shirt, er hat Schnauzer und weiße ge Verteidigerhelden wie Horst weil ihn Trainer und Christoph Haare, ein freundlicher Mann, Ausbilder Eckel, Hans-Georg Schwarzen- förderten, die Metzelder oder David Odonkor, bei der Sparkasse, einstiger Fußballer. Er beck oder Jürgen Kohler. sahen, was obwohl sie alle weit weg sind kommt aus dem Harz, das erste Spiel, das Das dritte Gespräch gab es in anderen von Fitness und Form; er steht er im Radio hörte, war Deutschland gegen Tenero, im Raum „Ticino“ des deshalb zu ihnen, weil es zum Argentinien, 1958, 3:1, „zweimal Rahn, ein- DFB-Medienzentrums, wo zwölf entgangen war. Glauben dieser Gemeinschaft mal Seeler“, sagt er. Er spielte bei Tuspo grässliche Werbefotos an weißen gehört, dass sie Kranke heilen Petershütte für 15 Mark pro Punkt. Als Per Stellwänden pappen. Das Turnier lief, Per kann. Kann der Verteidiger Mertesacker vier Jahre alt war, brachte Vater Mertes- Mertesacker konnte jetzt nicht mehr still diese Abwehr heilen? acker den Jungen zum ersten Training, sitzen. Die Finger fummelten an der Was- Es arbeitet keiner in der deutschen De- heute legt er dessen Geld an; Spielerbera- serflasche herum, die Beine wippten, der legation, der nicht sagen würde, in Wahr- ter, sagt er, „kommen da nicht dran“. ganze Nationalspieler bebte vor sich hin. heit sei alles noch viel besser als vor zwei Bärbel Mertesacker trägt ein ärmelloses „Es sind mehrere Dinge, die da aufeinan- Jahren unter Klinsmann: Training und Tak- Hemd, kurze, blonde Haare, sie wuchs mit derprasseln“ bei so einer EM, sagte er. tik, die ganzen „Abläufe“, wie Tagespläne zehn Geschwistern auf, alle mussten da- Man bekam eine Ahnung, am Donners- im DFB-Deutsch heißen, alles ist gleich ge- mals mitarbeiten im Hotel ihrer Eltern. tag, dass da manchmal derart viel aufein- blieben, alles wie beim Meister. Aber die Es ist die Geschichte einer deutschen anderprasselt, dass es am Ende doch nicht Angst ist weg, die Angst vor Klinsmann, Sportlerfamilie: Der Vater spielt mit den zwangsläufig so kommt, wie es die fleißi- der mitriss und doch scharf schnitt. Kindern, die Mutter bügelt und wäscht und gen Deutschen entworfen haben. Im Spiel Sind nette Menschen gute Sportler? liest heute selbst den „Kicker“, und wenn gegen Kroatien hatte Joachim Löws Wieso nicht, aber können sie die Besten sie mit Per reden will, ihm Glück wün- Deutschland keinen Plan mehr und auch sein? Gewänne dieses Team am 29. Juni schen will, sagt Per nur: „Och, läuft das Finale, wäre es das erste, das schon.“ Und jetzt sitzen die beiden sich bis zum Titel durchkompensiert Eltern am Esstisch, es gibt hier viel hätte. „Durchgeschlingelt“. Das helles Holz und im Regal den wäre Mertesackers Wort. „Diercke-Weltatlas“. Stefan erzählt, Es gibt seit Donnerstag wieder Bärbel bietet Getränke an, Stefan zwei Wirklichkeiten im deutschen kickte mit den drei Jungs im Gar- Fußball. Es gibt die Autosuggestion ten, Bärbel nahm die Verlierer in dieser Mannschaft, die sich für aus- den Arm. „Es geht alles so schnell erwählt hält, und es gab ein 1:2 ge- vorbei“, sagt er. gen Kroatien und Konfusion über- Per fing beim TSV Pattensen an; all, und darum gibt es nun ein heute spielt sein Bruder Timo beim Schicksalsspiel gegen Österreich, an TSV, und als er kurz vor Pers EM in diesem Montag in Wien. die Bezirksoberliga aufstieg, kam Mertesacker war am Donnerstag Per vorbei und ließ ein paar Schei- nicht sehr geknickt. Er saugte an der ne für Bier da. Wasserflasche, unten in der Mixed Als er elf war, ging Per zu Han- Zone von Klagenfurt, wo Rohre an nover 96, aber er spielte immer nur der Decke hingen und blaue Ban- Libero in den zweiten Mannschaf- den Spieler und Medien trennten. ten. Oben, im Kinderzimmer, hin- Er hatte die Tasche über die Schul- gen die DFB-Pokalsieger von Han- ter geworfen, in Blinddarmhöhe trug nover 96, daneben Anna Kurniko- er seine Initialen auf dem roten wa, daneben Bob Marley. Dann war Hemd. Er lächelte und sagte: „Also, er 15, und wegen einer Knieverlet- das wirft mich jetzt nicht um, sonst zung musste er ein Jahr lang aus- stünde ich nicht hier. Wir müssen setzen. Als er in der B-Jugend war, nur Lehren daraus ziehen.“ wurde seine Position abgeschafft Es fühlte sich wohl immer noch und die Viererkette eingeführt, „wie frisch an. Leichter als 2006. Fußball für mich erfunden“, sagt er. Er ist wieder ein Spiel für Per Mertes- machte sein Abitur und dann Zivil- acker, vielleicht fühlt sich diese EM dienst bei geistig Behinderten, die so an, wie sich das Leben anfühlen sich beim Kartenspielen Socken muss, wenn man 23 ist. über die Ohren zogen, und während Die Frage ist, letztlich, in welcher

derselben zwei Jahre spielte er / STRENESSE BRIAN ADAMS Verfassung man eher Fußballspiele erst in der Amateurmannschaft von Fotomodell Mertesacker: Mal launig, mal mürrisch gewinnt. ™

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