"Im Innern Der Gedichte" Bemerkungen Zum Poetischen Prozess Am Beispiel Von Nicolas Born
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10.3726/82039_37 „Im Innern der Gedichte“ Bemerkungen zum poetischen Prozess am Beispiel von Nicolas Born Von Rüdiger Görner, London Jedes ‚Nach‘ hat etwas Elegisch-Larmoyantes, wenn nicht Abgeschmacktes, verweist auf einen Zustand aus zweiter Hand, auf ein Schattendasein mit Katzenjammer als Grundton. Im Danach stundet sich die Zukunft ebenso wie sich die Idee einer Avantgarde widerruft. Für den notwendig vorgeprägten Umgang mit dem poetischen Sprach- material verpflichtet dieser Zustand zu Sprachkritik. Mit Bezug auf Celan hatte sich darüber Thomas Kling, der einer der sprachinnovativsten Lyriker nach Celan gewesen war, wie folgt geäußert: Es gibt bei Celan Ansätze auf dem mineralogischen Gebiet, aber das ist eine so kristallin verhärtete Angelegenheit, dass es zu einem Glimmen gar nicht mehr kommen kann. Er jagt die Schichten, die Materialien mit einer Hochgeschwin- digkeit aufeinander, aber nicht mit ‚Nachbildbeschleunigung‘, sodass sie nicht mehr miteinander reagieren können, sondern als totes Gestein nebeneinander stehen bleiben und durch den Dichter zur Schlacke verurteilt werden.1 Klings Ideal bestand dagegen darin, „Wortschichten untereinander zum Glim- men zu bringen“. Dieses Ineinanderfälteln von Geologie und Sprache sah er bei Novalis und vor allem bei Droste-Hülshoff in Vollendung erreicht, bei Celan versucht, aber auf kommunikativer Ebene weitgehend misslungen. Im Stadium des Danach entstehen oft seltsame Hybride, Poetologeme gleichsam, von denen einige Franz Wurm unter dem Titel „Gepresster Celan“ selbst kreiert hat. So dichtet der vielleicht engste Freund Celans heute Verse wie diese: „DIE LICHTRÄNDER haben sie / aus dem Rahmen gedrängt / von vornherein und malen / drastische Schatten.“ Oder als unmittelbare Anspie- lung und Parodie auf den Celan-Wissenschaftsbetrieb: „INSEMINARISIERT / Sie haben ihn aus der Luft getragen/in ihre Lehre. Dort / rätseln sie über seinen Atem.“2 Ähnliches versucht der in der Voivodina geborene Lyriker Bosko Tomasevic, mit Versatzstücken aus Celans Biografie arbeitend, wenn- gleich in deutlicherer Epigonalschieflage, die dann erreicht ist, wenn der Grad 1 In: Thomas Kling im Gespräch mit Hans Jürgen Balmes. Werkstattgespräch: Brandungs- gehör. Nachbildbeschleunigung. In: Neue Rundschau 115 (2004) Heft 4, S. 128. 2 Franz Wurm: Gepresster Celan. In: Literatur und Kritik. Dossier Broch / Celan. September 2001, S. 72. 37 der Verwandlung des Materials geringer ist als der Hinneigungswinkel zum Vorbild: „WÜRDEST DU um Celan / zu besuchen / vom Neckar kommen? / Warst du im Hölderlintum? / Kehrst du heim frostgeschmiedet / nach Czerno- witz / um gauklerisch das / Sprachgitter zu werfen / auf Atemkristall?3 Nachfolgend geht es um einen Fall eines eher unerwarteten Celan- Bezuges, der – auch das ein Phänomen im Danach – zu einer entschiedenen Absetzung von ihm führte. Die Rede ist von Nicolaus Born. Welches Omen geht von Namen aus? Was ist von solchen Omen zu halten? Born zum Beispiel. Auffallend, einsilbig, altdeutsch zudem: ‚Born‘ meint Quelle. ‚Born des Lebens‘ – ein Ausdruck, der sich in jedem poetischen Hauskalender seit der Romantik findet, bis, ja, bis die nazistische Einfärbung des Deutschen daraus ‚Lebensborn‘ machte. Dadurch geriet ‚Born‘ in das Wörterbuch eines Unmenschen, bis ein am letzten Tag des Jahres 1937 in Duisburg geborener Chemigraph namens Nicolas Born diesen Namen durch die Art seines Schreibens wieder rehabilitierte. In seinen Gedichten hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, Namen einfach aufzurufen: „Röhler“ oder „Piwitt“, Namen von Freunden, deren Namen nach gewissen Vogelarten klan- gen. Paradox-ausführlicher wurde er nur in einem Fall: „auf Wiedersehn Günter Grass der wie ein Tier arbeitet / aber sonst eigentlich nicht viel macht“.4 Die Kriegskindheit hinterließ tiefe Spuren in Nicolas Borns schmalem gewichtigem Werk. In seinem Todesjahr 1979 veröffentlichte er den Roman Die Fälschung, die später von Volker Schlöndorff verfilmte Geschichte des Journalisten Georg Laschen, der über den Libanon-Krieg und die Zerstörung Beiruts berichten soll.5 Dabei erweist sich ihm das bloße Berichterstatten als Qual und „Fälschung“ ebenso wie seine Beziehungen zu Menschen. Authen- tisch scheint in seinem Leben nur die Zerstörung zu sein, jene um ihn und in ihm. Die Fälschung gleicht einer bitteren Frucht von Borns Kriegskindheit, dargestellt als ein Stilleben des Grauens, in dem die ungeheuerlichsten Verbre- chen gegen die Menschlichkeit zur Monotonie des Alltags werden. Kostproben eines Erzählens, das sich eingedenk einer womöglich auch gefälschten Sprache vollzieht: „Vielleicht waren alle Fotos von der Wirklich- keit nicht in Ordnung, falsch, alle Sätze über die Wirklichkeit falsch.“ (53) „[…] die Sätze waren leer, er hatte darin nichts fühlen können, sie erfassten nicht, griffen nicht auf, was er gemeint hatte, das ging bis an die Wörter, die ihm entleert, hohl vorkamen, so als hätten sie über Nacht ihren Nutzen verloren, seien ausgeschieden worden aus dem Verständigungskreislauf.“ (128) 3 Bosko Tomasevic: Celan-Etüden. In: Ebd., S. 74. 4 In: Nicolas Born: Gedichte. Hrsg. u. mit einem Nachwort versehen von Peter Handke. Frankfurt a. M. 1990, S. 51 (aus dem Gedicht „Abschied fürs Leben und Abschied für den Tod“). 5 Nicolas Born: Die Fälschung. Roman. 8. Aufl. Reinbek b. Hamburg 2002. (Nachweise im Text beziehen sich auf diese Ausgabe). 38 „Deutschland, wie das klingt. Hörst du, wie unangenehm Deutschland klingt, wie stählern, wie trostlos und hartnäckig. Es dröhnt noch immer so.“ (130) „Wann immer sie etwas sagte, breitete sich darin das Ungesagte vielfältig aus.“ (157) „Alles zerrt und stülpt sich um in sein Gegenteil. Eine gewaltige Chemie der Absichten oder die Absichten der Chemie.“ (175) Wer so über den Klang seines Herkunftslandes schreibt, mag die Todesfuge gelesen haben. Und wer von der „Chemie der Absichten“ weiß, dürfte mit Nietzsches Formel von der „Chemie der Empfindungen“ vertraut gewesen sein. Berichten müssen, wo der Ausdruck von Empörung am Platze wäre. Schreiben müssen in einem „abführenden Mitteilungsstil“, der alles entsorgt, was ist. „Jeder Satz von brutaler Sachlichkeit, jeder Inhalt, auch der genaueste, eine völlige Anonymität.“ (193) Berichten mit vom Geschehenen bereits infizierten Worten, das ist die Qual des Georg Laschen, der seine Berufskrise mit der „Krise der Berichterstattung“ im Zeitalter der „zynischen Vernunft“ (Peter Sloterdijk) gleichsetzt. (241) Vor dem Hintergrund schreibt er wieder und wieder aus Beirut seiner ihm längst entfremdeten Frau ins norddeutsche Flachland. Er möchte das „Fal- sche“ in deren Leben, die Scheinheiligkeit des Normalzustands, das Trägheits- gesetz von „Gewohnheit und Agonie“ durchbrechen, ihrer Kinder willen, damit nicht auch sie dieses „Falsche“ weiterschleppen müssen, sondern mit wirklichen Entscheidungen konfrontiert werden, die immer auch Entschei- dungen für bestimmte Wörter sind, eine genaue Sprache, die in einem nach- vollziehbaren Verhältnis zum Gefühl stehen soll. Überraschend für ihn selbst schreibt Georg Laschen: „Vielleicht sind die pathetischen Wörter hier die genauesten.“ (261) Weil sie Leiden und Leidenschaft beinhalten. Und der Autor Nicolas Born, der vom Chemigraph zum Psychographen, ja Logographen wurde, und das als Prosaschriftsteller und – mehr noch – als Lyriker, wie lässt sich sein Verhältnis zur Sprache fassen, wie jenes „Nach“ beschreiben, in dessen Schatten er dichtete? Borns poetisches Verfahren hat etwas vom Vermögen des Sumpfrohrsän- gers, der ‚Lieder‘ singt, die nur aus Imitationen anderer Arten bestehen, die sie einmalig zusammensetzen. Diese Vogelart kombiniert ihre Imitationen des Gesangs anderer Vögel auf eine so eigene Weise, dass die imitierten Vogelar- ten darauf gar nicht mehr reagieren.6 Mir will scheinen, dass dies als ein Paradigma für das poetische Verfahren in der Nachmoderne gelten kann. Erkennbares Nachahmen bis zur Unkenntlichkeit des Nachgeahmten: dieses Verfahren scheint gerade für jene Lyriker unabdingbar, die im Schatten stilprägender Vorbilder aufgewachsen sind und sich der Frage stellen, wie man nach ihnen überhaupt weiter schreiben kann. Im Falle Nicolas Borns hieß 6 Cord Riechelmann: Dem Vogel die Töne beibringen. In: Frankfurter Allgemeine Sonntags- zeitung v. 15. April 2007, S. 65. 39 ein solches Vorbild überraschenderweise Paul Celan. Zwar ist bei Born keine konsistente Auseinandersetzung mit Celan nachweisbar, wie sie etwa bei Ernst Meister vorlag, mit dem Born zeitweise in enger Verbindung stand. Wohl aber steht diese Bewunderung Celans am Anfang von Borns schriftstel- lerischer Arbeit, wie aus einem aus Essen im Februar 1960 geschriebenen Brief an Celan hervorgeht: Essen, den 20.2.1960 Sehr geehrter Herr Celan, bin 22 Jahre alt, Verehrer Ihrer Lyrik und Ihrer Übersetzungen. Der Grund dieses Briefes ist der, daß ich Ostern mit zu der Meute gehöre, die dann wie alljährlich Paris überfällt. Nun komme ich zu der mir selbst unverschämt klingenden Bitte, deren Erfüllung von Ihnen abhängt und mir ein großer Gewinn wäre. Können Sie, wenn Sie Ostern in Paris sind, zu meinen Gunsten eine Stunde für ein nutzloses Gespräch opfern? Für eine Nachricht, auch im Falle der Unmöglichkeit dieses Treffens, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich treffe Karfreitag mittags in Paris ein und werde Karsamstag und den ersten Feiertag dort sein. Mit den besten Wünschen für Ihr weiteres Schaffen Ihr sehr ergebener Klaus Born7 An diesem Brief fällt auf, dass Born auch den Übersetzer Celan verehrte, gleichzeitig aber mit jugendlicher Lust am Paradoxon kokettiert: Bittet er Celan doch um