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Freiheit bei Eine Betrachtung im Kontext natürlicher Glaubensinhalte

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.

vorgelegt von

Andreas Nastke aus Freiburg

SS 2006

Erstgutachter: Prof. Dr. Hans- Helmuth Gander Zweitgutachter: Prof. Dr. Günter Figal

Vorsitzender des Promotionsausschusses der Der Gemeinsamen Kommissionen der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät: Prof. Dr. Heinrich Anz

Datum der letzten Fachprüfung im Rigorosum: 01.02.2007 I

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 1

1.1 Vorbemerkungen...... 1 1.2 Übersicht über den Forschungsstand...... 2 1.3 Zum Begriff der Freiheit...... 3 1.3.1 Begriffsdefinitionen...... 3 1.3.1.1 Freiheit allgemein ...... 3 1.3.1.2 Zum Freiheitsbegiff bei Hume...... 5 1.3.2 Humes Kompatibilismus (allgemein)...... 7 1.4 Textgrundlagen...... 7 1.5 Der klassische Interpretationsgegenstand ...... 9 1.5.1 Die Doktrin der Notwendigkeit...... 10 1.5.2 Humes Pragmatismus ...... 12 1.5.3 Paradoxon der Notwendigkeitsdoktrin...... 13 1.5.4 Humes Kausaltheorie...... 15 1.5.5 Hume’scher Kompatibilismus (konkret)...... 16 2. Aktuelle Forschung ...... 17

2.1 Historische Bestimmung ...... 17 2.2 Inhaltliche Bestimmung...... 22 2.2.1 Skeptizismus ...... 23 2.2.2 Naturalismus, Psychologismus ...... 25 2.2.3 Rationalismus vs. Empirismus ...... 26 2.3 Berührungspunkte dieser Arbeit zur aktuellen Forschung.... 28 3. Aufgabenstellung...... 30

3.1 Funktionsanalyse eines Freiheitskonzepts ...... 30 3.2 Rechtfertigung der Aufgabenstellung...... 31 3.3 Vorgehensweise ...... 36 4. Grundlagen...... 39

4.1 Biografische Grundlagen ...... 39 4.2 Philosophische Grundlagen...... 43 4.2.1 Die Konzeption...... 44 4.2.2 Methode...... 45 4.2.3 Der Gegenstand des Traktats...... 48 4.2.4 Grundlagen der Erkenntnistheorie...... 49 4.2.5 Die Bewusstseinsinhalte...... 51 4.2.5.1 Impressionen und Vorstellungen ...... 51 4.2.5.2 Erinnerungsvermögen und Imagination ...... 54 4.2.5.3 Die Relationen...... 55 4.2.5.4 Der Skeptizismus...... 60

II

5. Drei Analysen...... 63

5.1 Grundlagen ...... 63 5.2 Die Objektanalyse...... 64 5.2.1 Der 1. Ansatz (textverlaufend)...... 66 5.2.1 Der 2. Ansatz: Perzeptionen im dialektisch-narrativen Kontext...... 70 5.2.3 Das philosophische System als Bedingung der Objektanalyse...... 72 5.2.4 Zusammenfassung ...... 84 5.3 Ich-Analyse – Zur Ontogenese der Identität ...... 87 5.3.1 Das Selbst und das empirische Prinzip...... 88 5.4 Die Kausalanalyse ...... 102 5.4.1 Allgemeine und historische Betrachtung ...... 102 5.4.2 Baldwins Dictionary...... 103 5.4.3 Ducasse...... 104 5.4.4 Formen der Kausalität...... 106 5.4.5 Humes Kausalauffassung ...... 108 5.4.5.1 Der Begriff der Zeit...... 110 5.4.5.2 Der Begriff der Kraft...... 111 5.4.5.3 Die Kausalrelation...... 114 5.4.5.4 Der Ursprung der Kausalvorstellung ...... 114 5.4.5.5 Regeln...... 115 5.4.5.5.1 Kontingenz...... 115 5.4.5.5.2 Zeitliche Priorität der Ursache gegenüber der Wirkung...... 115 5.4.5.5.3 Die notwendige Verknüpfung ...... 117 5.4.5.5.4 Das Moment der Empfindung ...... 119 5.5 Gegenüberstellung der Analysen ...... 125 5.6 Zusammenfassung und erste Schlussfolgerung ...... 125 6. Freiheit im Kontext der trivial principles...... 133

7. Der Glaube...... 137

7.1 Einführung...... 137 7.2 Von den Gründen des Glaubens ...... 146 7.3 Wissen und Wahrscheinlichkeit ...... 150 7.4 Glaube und Metaphysik...... 155 7.5 Glaube und Induktion ...... 159 7.6 Der natürliche Glaube...... 160 7.7 Skeptizismus und natürlicher Glaube...... 163 7.7.1 Vom Skeptizismus in Bezug auf die Vernunft...... 163 7.7.2 Vom Skeptizismus in Bezug auf die Sinne...... 168 8. Glaube als funktionales Konzept der Freiheit...... 175

III

9. Freiheit als funktionales Konzept des Lebens...... 177

10. Ethische Implikationen ...... 181

11. Das erweiterte Freiheitskonzept im Kontext der modernen Neurobiologie...... 184

12. Schluss und Ausblick...... 186

Anhang ...... 193

1. Abkürzungsverzeichnis...... 193

2. Humes Lebensstationen...... 194

3. Literaturverzeichnis...... 197

3.1 Zitierte Literatur...... 197 3.2 Weiterführende Literatur ...... 200 3.3 Hume Studies (moderner Forschungskontext) ...... 207 4. Humes Schriften ...... 209

IV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Differenz zwischen Impression und Vorstellung...... 52 Abbildung 2: Perzeptionen im Überblick ...... 55 Abbildung 3: Relationen im Überblick...... 56 Abbildung 4: Faktoren der kausalen Vorstellung...... 120 Abbildung 5: Abhängigkeits-/Unabhängigkeitsstatus von Relationen...... 151 Abbildung 6: Wissen graduell...... 154 Abbildung 7: Wahrscheinlichkeit graduell...... 164

1. Einleitung 1

1. Einleitung

1.1 Vorbemerkungen

Dass Freiheit seit über zweitausend Jahren ein Thema von hoher Brisanz ist, haben Philosophen in ihren Schriften und ‚Nicht-Philoso- phen‘ in ihren Gedanken und Gesprächen auf vielfältige Weise demonstriert. Ein wesentlicher Grund hierfür mag in dem Umstand be- gründet sein, dass die Auseinandersetzung stets begleitet ist von Emo- tionen, die aus dem Verlust, dem Gewinn oder der Abwesenheit von Freiheit resultieren. Das Erkennen von Freiheit bzw. Unfreiheit bewirkt anerkanntermaßen Emotionen. Wie ist es aber andersherum? – Können Emotionen auch Einfluss auf die Erkenntnis von Freiheit bzw. Unfreiheit haben?

David Hume hat für seine Philosophie eben einen solchen im weiteren Sinne des Wortes emotionalen, historisch kontra-kartesischen Weg der Erkenntnis entwickelt, weil ihm der Verstand in seiner Leistungsfähigkeit zu eingeschränkt und unsicher erschien, als dass er die Thronherrschaft über das menschliche Dasein beanspruchen sollte. Mit dieser skepti- schen Haltung eröffnete Hume einen neuen Betrachtungshorizont, innerhalb dessen danach zu fragen ist, welche Rolle das nicht rationa- le Vermögen für die Erkenntnis zu spielen vermag.

Herausragend an seinem Werk ist die philosophische Aufrichtigkeit, mit der der junge Autor seine Philosophie entwickelt hat: Fragen stellen, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen aus deren Beantwortung den Menschen als Teil einer Einheit begreifen im Bewusstsein um das Risiko, das Einheitsstiftende niemals entdecken zu können, und schließlich einen Weg finden, die Wunden des Philosophierens mit dem Balsam der philosophischen Erkenntnis zu lindern. 1. Einleitung 2

1.2 Übersicht über den Forschungsstand

Die aktuelle Forschung zu David Hume (177-1776) besteht im Wesentli- chen aus einer Auseinandersetzung mit den naturalistisch akzentuierten Ansätzen zu den Kernkonzepten des Traktats über die menschliche Natur (A Treatise of human Nature, 1739/40). Diese Konzepte entfalten Humes Gedanken zur Kausalität, zur Außenwelt- auffassung und zur Vorstellung des Ich sowie dem ‚natürlichen Glauben‘, stets auf der Grundlage der von ihm bevorzugten empirisch-experimentellen Methode nach dem Vorbild Isaac

Newtons.

Der natürliche Glaube nimmt eine Sonderstellung insoweit ein, als er chronologisch weit nach den drei erstgenannten Konzepten zutage tritt, zu Zeiten Humes also quasi unbeachtet bleiben musste, heute aber bzw. im Lichte der modernen Interpretationslinien ab dem 20.

Jahrhundert in der Hume-Forschung eine vorherrschende, wenn nicht zentrale Rolle einnimmt.

Mit dieser Identifikation des Glaubens als Schlüssel für das neue und – wie gehofft werden darf – erweiterte Verständnis der Hume’schen Philosophie überhaupt stellen sich entsprechend neue Herausforde- rungen an die Forschung.

Konkret bietet Humes Kapitel zur Freiheit und Notwendigkeit eine solche Herausforderung in der Form, dass Freiheit und ihre möglichen Grenzen im Kontext natürlicher Glaubensinhalte zu betrachten sind. Es ist zu untersuchen, ob und gegebenenfalls inwiefern dem Hume’schen Verständnis zufolge Glaubensinhalte unser Freiheitsemp- finden beeinflussen.

Dieser Forschungsfrage sieht sich die vorliegende Arbeit verpflichtet.

1. Einleitung 3

Da die Aufgabenstellung im Wesentlichen aus einer Vertiefung und Erweiterung des „klassischen“ Ansatzes bestehen soll, wird aus struktu- rellen Gründen die Aufgabenstellung (Kapitel 3) erst nach Erörterung dessen, was es zu vertiefen gilt (Kapitel 1 Einleitung und Kapitel 2 Aktuelle Forschung = vorhandener Ansatz) entwickelt.

1.3 Zum Begriff der Freiheit

1.3.1 Begriffsdefinitionen

Bei der Untersuchung der Freiheitsthematik – ausgehend von einer allgemeinen Betrachtung bis hin zur Hume’schen Perspektive - stellt sich zunächst die Frage, als was Freiheit im Allgemeinen gilt, was sie kennzeichnet und was mögliche Begrenzungen einer solchen Freiheit sein können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die folgenden Ausführungen keinesfalls den Anspruch erheben, auch nur annähernd eine Ortsbestimmung geben zu können, sondern lediglich um eine geeignete Hinführung bemüht sind.

1.3.1.1 Freiheit allgemein

Freiheit wird gemeinhin als die einem Wesen gegebene Möglichkeit bezeichnet, so zu handeln, wie es will [Handlungsfreiheit]. In einem weiten Sinne schließt die Freiheit auch die Willkür in sich ein und bildet so den Gegensatz sowohl zur Notwendigkeit wie zum Zwang.

In einem engeren Sinne ist die Freiheit die Möglichkeit der Selbstbestimmung eines vernünftigen Wesens im Gegensatz zur Abhängigkeit von fremder Macht. Frei handelt, wer die Handlungsursachen in sich selbst trägt.

1. Einleitung 4

In diesem Sinne ist Freiheit dem Zwang, aber nicht der Notwendigkeit entgegengesetzt. Freiheit kann sich ferner im Gegensatz zwischen einer vollständigen (absoluten, metaphysischen) oder eine beschränkten (relativen) Form definieren. Zur Annahme einer absoluten oder metaphysischen Freiheit muss konsequenterweise der streng idealistische Stand- punkt führen, der die Außenwelt als eine Setzung des Subjekts und das mit Selbsttätigkeit begabte Ich als die einzige unmittelbare Wirklichkeit begreift.

„Eine solche Freiheit hat Fichte (1762-1814), von Kants praktischer Philosophie ausgehend, gelehrt, während Spinoza (1632 bis 1677), der andere Denker, von dem Fichte beeinflusst ist, den entgegengesetzten Standpunkt einnahm, die Wirklichkeit in Gott-Natur und den notwendigen Gesetzen suchte und dem

Menschen die metaphysische Freiheit absprach. “ 1

Da David Hume Kausalität als solche(außerhalb von uns existierende Gültigkeit) leugnet, leugnet würde die Annahme einer metaphysischen Freiheit nahe liegen; aber Hume hat diese Konsequenz, wie weiter unten gezeigt wird, nicht gezogen.

Die Ansätze der verschiedenen Freiheitsbetrachtungen sind so unter- schiedlich wie deren Zielsetzungen. So kann man nach existen- zialistischer Auffassung zur Freiheit verdammt sein, während der Konservatismus die menschliche Freiheit wesentlich in ihren Beschränkungen definiert, etwa durch Moral oder höhere Mächte, und der Biologismus schließlich hat die Freiheit zugunsten der Vorbestimmtheit durch Gene oder evolutionärer Programme weitge- hend eliminiert.

1 Aus:Friedrich Kirchner: Wörterbuch der Philosophie in elektronischer Form: http://www.textlog.de/cgi-bin/search/proxy.cgi?terms=Determinismus&url=http %3A%2F%2Fwww.textlog.de%2F1622.html%40%26tx_kharticlepages_pi1%5Bpage%5 D%3D3%26cHash%3D6a45a6c147

1. Einleitung 5

Blickt man auf die mehr als zweitausend Jahre währende Auseinan- dersetzung mit der Freiheit, muss man zwangsläufig feststellen, dass es DIE Freiheit nicht zu geben scheint. Aber – und hier findet sich der entscheidende Berührungspunkt zu David Hume – man kann sich einer Sache auch annähern, indem man nicht die Sache selbst betrachtet, zu der wir aufgrund unseres begrenzten Erkenntnisvermögens mögli- cherweise gar keinen Zugang haben, sondern indem man sich auf das Wahrgenommene konzentriert und damit die Funktion betrachtet.

Nicht ob und was für eine Freiheit es gibt, ist danach entscheidend, sondern warum wir überhaupt dazu kommen, irgendeine Freiheit anzunehmen, und welche Funktion diese Annahme hat.

1.3.1.2 Zum Freiheitsbegiff bei Hume

Freiheit, auf einen Gegenstand wie etwa die Handlung oder den Willen bezogen, kann allgemein, wie oben gezeigt wurde, in ihrem Verhältnis zu einer Restriktion definiert werden.

David Hume definiert seine Restriktionen zunächst durch die Nennung zweier Dinge: Es sind dies die Handlung (liberty of spantaneity2) und der Wille (liberty of the will3), jeweils durch Gegenüberstellung der entsprechenden Restriktion in Form von Notwendigkeit bzw. Zwang.

Im Zentrum dieses – frühen4 – Verständnisses stellen sich für ihn vornehmlich Fragen nach dem Grad der Freiheit, d. h.: Wie weit kann ein Mensch frei im Sinne von ‚unabhängig‘ handeln und/oder etwas wollen? Wie sinnvoll ist die Frage nach der unverursachten Handlung oder dem unverursachten Willen? Und was bedeuten in diesem Kontext Zufall oder Zwang für das menschliche Dasein?

2 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 407.

3 T, Buch II, Teil III, Sek. I, S. 400 ff.

4 Hier ist die Periode vor der Veröffentlichung der Enquiries gemeint.

1. Einleitung 6

An späterer5 Stelle hingegen lässt sich bei Hume allgemein eine Ver- schiebung von einer ethisch-pragmatischen hin zu einer erkenntnis- theoretischen Orientierung feststellen. Diese Verschiebung – und hierin scheint der Grund für eine vergleichsweise späte Würdigung des Hume’schen Naturalismus zu liegen – vollzieht Hume nicht explizit, wie beispielsweise für den Bereich der Außenweltauffassung, sondern sehr subtil und implizit.

Die Beleuchtung dieser Subtilität enthält nun die Gefahr, Hume etwas in den Mund zu legen, was weniger seiner eigenen Zielsetzung ent- spricht, sondern vielmehr zur argumentativen Absicherung oder Widerlegung unterschiedlichster und nicht selten widersprüchlicher Ansätze dient.

So soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, auf dem Wege kritischer Distanz inhaltliche Ableitungen aus einem möglichst breiten Spektrum des genuin Hume’schen Verständnisses zu generieren.

Dabei bleibt der Vorwurf gegenüber Hume, mit seinem Naturalismus doch der Verlockung der Metaphysik erlegen zu sein, (zunächst) des- halb unberücksichtigt, weil diese Arbeit methodologisch aus Humes Werk selbst zu agieren versucht und eben nicht im Licht späterer Kritiken stehen will.

Unabhängig vom Standpunkt, den man im Hinblick auf die Beantwor- tung der Frage nach dem metaphysischen Status quo der Hume’schen Philosophie einnimmt, kann doch vorsichtig festgehalten werden, dass der Traktat noch in der Tradition der Emanzipation von scholastischen Idelogien steht, und in diesem Sinne gilt, unmittelbar auf John Locke folgend, Empirie als finales Abgrenzungskriterium zur Metaphysik.

5 Bereits mit dem Abstract gefolgt von den Enquiries.

1. Einleitung 7

1.3.2 Humes Kompatibilismus (allgemein)

Versucht man Konzepte der Koexistenz von Freiheit und Notwendig- keit zu bilden, spricht man von kompatibilistischen oder ‚weichen‘ deterministischen Ansätzen. Kennzeichnend für solche kompatibilisti- schen Konzepte ist die Vereinbarkeit von freiem Willen und Determinis- mus.

David Humes Freiheitskonzept gilt gemeinhin als ein Lehrstück kompa- tibilistischer Theorie. Sein Ziel ist ein „reconciling project with regard to the question of liberty and necessity“6. Dies entspreche der allgemei- nen Auffassung des gemeinen Menschenverstandes:

„All men have ever agreed in the doctrine both of necessity and liberty, according to any reasonable sense which can be put to these terms."7

1.4 Textgrundlagen

Sein Projekt entwickelt Hume in den folgenden Texten:

1. Das Hauptwerk

A Treatise of Human Nature (im Folgenden unter der Sigle T geführt8), hier hauptsächlich: Buch I „Of the Understanding“ und Buch II „Of the Passions“, Teil III „Of the will and direct passions“, Sektionen 1-2 „Of liberty and necessity“, Sektion 3 „Of the influencing motives of the will“, Selby-Bigges Edition (Oxford 1978), Seiten 399-427.

6 E §73, S. 95.

7 E §63, S. 81.

8 Die von mir zitierte Ausgabe A Treatise of Human Nature wurde von L. A. Selby- Bigge und P. H. Nidditch herausgegeben (Oxford 1975). Das Werk ist Humes erste philosophische Schrift und ist in drei Bücher unterteilt. Die ersten beiden Bücher (Of the Understanding und Of the Passions) erschienen 1739, das dritte Buch (Of Morals) 1740. Ich zitiere dieses Werk unter Verwendung der Sigle T. Die deutsche Übersetzung des Titels dieses Werkes lautet üblicherweise: Ein Traktat über die menschliche Natur. Dies gilt auch für den von mir verwendeten Nachdruck (1986) der von T. Lipps aus dem Englischen ins Deutsche übertragenen Ausgabe aus dem Jahre 1904 (Buch I) bzw. 1906 (Buch II und III). Die deutsche Übersetzung des T zitiere ich mit der Sigle TmN.

1. Einleitung 8

2. Die „Lehrstücke”

Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the

Principles of Morals (nachfolgend unter der Sigle E9 geführt), Sektion III,

Teil I §§ 62-74, part II §§ 75-81, Selby-Bigges Edition (Oxford 1975) Seiten 80-103.10

9 An Enquiry concerning Human Understanding (London 1748). Bis zur 5. Auflage (1758) lautete der Titel Philosophical Essays concerning Human Understanding. Die von mir zitierte Ausgabe stammt von L. A. Selby-Bigge und P. H. Nidditch: Enquiries concerning Human Understanding and concerning the Principles of Morals, Oxford 1978. Deutsch von R. Richter (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hamburg 1984; Herausgeber: J. Kulenkampff) und von H. Herring (Stuttgart 1967). Ich zitiere nach der Übersetzung von Richter.

10 Der Inhalt dieser Fußnote gibt eine Übersicht über weitere Stellen der Behandlung oder Erwähnung der Freiheitsthematik im Wesentlichen auf der Grundlage der Poli- tischen und ökonomischen Essays (vgl. Detmar Döring: Vernunft und Leidenschaft, Thun 2003). Die Fußnote dient formal eher als Beitrag zur Vollständigkeit, als dass sie einen Beitrag zur philosophischen Auseinandersetzung leisten könnte. Allenfalls steht sie für die Allgegenwärtigkeit der Freiheitsthematik im Hume’schen Gesamt- kontext: Der Zusammenhang von Autorität und Freiheit: „In allen Regierungen gibt es einen dauernden inneren Kampf, ob offen oder im Geheimen, zwischen Autorität und Freiheit, und keine von beiden kann in diesem Kampf jemals endgültig gewinnen. Große Opfer an Freiheit müssen unter jeder Regierung zwangsläufig gebracht werden, doch die Autorität, die die Freiheit begrenzt, kann und sollte wohl auch nie und in keiner Verfassung absolut und unkontrollierbar werden.“ Political and Economical Essays, ins Deutsche übersetzt von S. Fischer (Politische und ökonomische Essays, 2. Bde, Hamburg 1988; Heraus- geber: U. Bermbach) Freiheit, Gerechtigkeit und Ordnung: „Alle Menschen erkennen die Notwendigkeit von Gerechtigkeit zur Aufrechterhal- tung von Freiheit und Ordnung sowie die Notwendigkeit von Freiheit und Ordnung zur Erhaltung der Gesellschaft. Doch unsere Natur ist so schwach oder verdorben, dass es trotz dieser besonderen und deutlichen Notwendigkeit unmöglich ist, die Menschen treu und unbeirrt auf dem Weg der Gerechtigkeit zu halten.“ Politische und ökonomische Essays, ebd. Freiheit und Machtteilung: „Eine Regierung kann nach allgemeinem Urteil [frei] genannt werden, ‚wenn darin eine Teilung der Macht zwischen mehreren Mitgliedern möglich ist, deren gemein- same Autorität‘ weder kleiner noch im Allgemeinen größer ist als die jedes Monarchen.“ Politische und ökonomische Essays, ebd. Der Wert der Freiheit: „Im normalen Ablauf der Regierung müssen die Mitglieder nach allgemeinen und gleichen Gesetzen handeln, die zuvor ihnen und all ihren Untertanen bekannt sein müssen. In diesem Sinne kann behauptet werden, dass Freiheit die Vervollkomm- nung bürgerlicher Gesellschaft darstellt.“ Politische und ökonomische Essays, ebd. Eigentum und Freiheit: „Eigentum kann bestimmt werden als eine Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstande, durch welche die freie Benutzung und der Besitz desselben dieser Person gestattet und allen anderen versagt ist, ohne dass dadurch die Ge- setze des Rechts und der sittlichen Billigkeit verletzt werden. Danach darf, ‚wenn der Rechtssinn eine Tugend ist, die eine natürliche und ursprüngliche Wirkung auf den menschlichen Geist ausübt‘, das Eigentum als eine besondere von Ursäch- lichkeit angesehen werden, mögen wir nun die Freiheit ins Auge fassen, die es

1. Einleitung 9

1.5 Der klassische Interpretationsgegenstand

Eine mögliche Annäherung für die hier zu behandelnde Fragestellung ist der Versuch einer Ausdehnung des Betrachtungshorizonts der klassi- schen Betrachtungsweise in Richtung natürliche Glaubensinhalte. ‚Klassisch‘ in diesem Sinne umfasst diejenigen Interpretationsansätze, die historisch vor dem 20. Jahrhundert und sachlich vor der Identifika- tion des natürlichen Glaubens als zentraler Steuerungseinheit des Menschen liegen. Eine historische Darstellung der klassischen Interpre- ten findet sich im Rahmen der historischen Ableitung des aktuellen Forschungsstands weiter unten (Kapitel 2.1).

Im Zentrum des so genannten klassischen Ansatzes steht unbestritten die Kausalanalyse. Auf dieser basiert im Wesentlichen die Popularität, die Hume als Begründer der Subjektivierung scheinbar objektiver Gegebenheiten genoss. Gleichzeitig enthält die Kausalanalyse aber auch den Keim für jene (Glaubens-)Philosophie, die Hume aus heuti- ger Sicht so ‚modern‘ macht.

dem Eigentümer gibt, mit dem Gegenstande zu machen, was er will, oder die Vorteile, die er daraus zieht.“ Traktat über die menschliche Natur, ebd. Die Herausbildung einer Mittelschicht stärkt die Freiheit: „Wo [… ] Luxus dem Handel und Gewerbe Nahrung gibt, werden die Bauern bei richtiger Bestellung des Bodens reich und unabhängig, während Händler und Kauf- leute einen Teil des Eigentums erwerben und jener mittleren Schicht von Menschen Autorität und Beachtung verschaffen, die die beste und festeste Grundlage öf- fentlicher Freiheit bildet. Im Gegensatz zu den Baronen können sie nicht auf Tyran- nei über andere hoffen und sind daher nicht versucht, sich um dieser Befriedigung willen der Tyrannei ihres Herrschers zu unterwerfen. Sie schätzen gleiche Gesetze, die ihr Eigentum schützen und sie vor monarchischer ebenso wie vor aristokrati- scher Tyrannei bewahren sollen.“ Politische und ökonomische Essays, ebd. Freiheit führt nicht zu Aufruhr: „England hat für bürgerliche Freiheit ein [… ] Beispiel gesetzt. Es scheint zwar, dass diese Freiheit zur Zeit Anlass zu einiger Erregung gibt, doch hat sie bisher noch keine schädlichen Folgen gehabt. Außerdem ist zu hoffen, dass die Menschen in ihrer Beurteilung öffentlicher Angelegenheiten sicherer werden, je mehr sie sich Tag für Tag an die freie Diskussion darüber gewöhnen und immer schwerer durch jedes faule Gerücht und jeden öffentlichen Aufschrei zu verführen sein werden.“ Politische und ökonomische Essays, ebd. Freiheit und Kultur: „Die Menschen der Antike haben festgestellt, dass alle Künste und Wissenschaften sich in freien Nationen entwickelten.“ Politische und ökonomische Essays, ebd. Freiheit fördert den kulturellen Fortschritt: „Zu diesem Thema möchte ich zunächst feststellen, dass Künste und Wissenschaf-

1. Einleitung 10

Das Kausalkonzept selbst basiert auf einigen Grundgedanken, die geeignet sind, Auskunft über Humes Denken insgesamt zu vermitteln. Diese Grundgedanken werden aufgrund ihrer Relevanz für die Thematik dieser Arbeit nachfolgend kurz erläutert.

Für eine ausführlichere Darstellung dieser Basiskonzepte sei auf Kapitel 5.1 bis 5.4 dieser Arbeit verwiesen.

1.5.1 Die Doktrin der Notwendigkeit

„The conjunction between motives and voluntary actions is as regular and uniform as that between the cause and effect in any part of nature.“11

Der Willensakt folgt danach stets einem Motiv. Dieses Motiv gilt Hume als Ursache für den Willensakt und begründet den deterministischen Teil seines Kompatibilismus. Seine Aussage gründet Hume auf zweierlei: erstens auf eigene Beobachtungen und zweitens – in Anlehnung an sein Vorbild Newton – auf die Gewissheit, dass jede Bewegung, auch die des Geistes (Willensakt), eine Ursache bedingt. Diese Ursache identifiziert Hume als Affekte/Gefühle.12

Bemerkenswert an dieser Stelle ist der Umstand, dass er nicht die Ver- nunft oder das Denken als Grundlage von Handlungen in ein Selbst- verständnis setzt, sondern im Gegenteil dieses Vermögen völlig aus- blendet. Damit setzt er seine Position bewusst mittelbar in Opposition zur Möglichkeit der Einflussnahme unserer Vernunft. Mittelbar deshalb, weil er ‚noch‘ nicht die Vernunft direkt im Visier hat, sondern deren Gegenspieler, die Gefühle/Affekte stark macht. Um diese Vorgehens- weise Humes nachvollziehen zu können, muss man den Verlauf seiner Argumentation kurz erläutern.

ten sich in jedem Volk nur dann entfalten können, wenn es den Segen einer freien Regierung genießt.“ Politische und ökonomische Essays, ebd.

11 E §69, S. 88.

12 Im Original: passion, Obgleich Hume den Gefühslbegriff weiter definiert, verwen- det er ihn immer wieder synonym zum deutschen Affekt-Begriff. Siehe z. B. T, Buch II, Teil III, Sek. III, S. 415.

1. Einleitung 11

Wichtig ist dabei zunächst die Unterscheidung von „original existence“13 und „representative “14. Diese gelten Hume als Kontrapositionen, denn:

„When I am angry, I am actually possest with the passion, and in that emotion have no more reference to any other object, than when I am thirsty, or sick, or more than five foot high. ’Tis impossible, therefore that this passion can be oppos’d by, or be contradictory to truth and reason; since this contradiction consists in the disagreement of ideas, consider’d as copies, with those objects, which they represent.“15

Affekte sind in diesem Sinne ohne gegenständliche Korrelate und können somit niemals wahr oder falsch sein. Damit aber ein Konflikt mit der Vernunft entstehen kann, muss es nach Hume um Wahrheit oder Falschheit gehen.

Mit dieser sicherlich angreifbaren These positioniert sich Hume aber eindeutig in Opposition zur rationalistischen Perspektive. Über die Verknüpfungen zwischen Gefühl/Affekt und Handlung entzieht er den Begriff der Notwendigkeit der rationalen (formal logischen) Ebene und richtet seine Aufmerksamkeit auf die Funktionsweise unserer Gefühle/Affekte.

Dabei konstatiert er ein erstaunlich hohes Maß an Zuverlässigkeit der Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Gefühlen/Affekten und Handlungen. Lässt man die den Gefühlen wohlgesonnene Locke’sche Auffassung einmal außen vor, muss man, um die Spektakularität dieser Erkenntnis einordnen zu können, vielleicht daran erinnern, dass der europäische Kontinent zur Zeit der Traktat-Veröffentlichung 1739/40 noch sehr wohl unter kartesischem Einfluss stand und dieser sich gerade dadurch auszeichnet, dass er die Veränderlichkeit der Wahr- nehmungstatsachen als unsicher einstuft. Diesem beinahe dogmati- schen Urteil setzt nun Hume in den Endzwanzigern die ‚Unfehlbarkeit‘ von Gefühlen entgegen.

13 T, Buch II, Teil III, Sek. III, S. 415.

14 T, Buch II, Teil III, Sek. III, S. 415.

15 T, Buch II, Teil III, Sek. III, S. 415.

1. Einleitung 12

Im Wesentlichen stützt Hume sich hierbei auf die Beobachtung ständig wiederkehrender Abläufe. Da diese Abläufe nicht einmalig, sondern mit größter Regelmäßigkeit zu beobachten sind, spricht er hier von der Uniformitäts- oder Gleichförmigkeitshypothese. Mit anderen Worten folgt B auf A in einer größeren Anzahl von Beobachtungen.

In Bezug auf die weiteren Ausführungen ist relevant, dass Hume nicht von Gleichförmigkeit als etwas vom Wahrnehmenden Unabhän- gigem, Objektivem spricht, sondern und gerade jenes Gefühl dieser Wahrnehmung unterstreicht. Gleichförmigkeit scheint gefühlt und nicht erkannt zu werden.

1.5.2 Humes Pragmatismus

Wenn in der Sekundärliteratur vom Hume’schen Pragmatismus die Rede ist, wird stets ein typisch Hume’scher modus operandi eingeführt:

1. (Unreflektierte) Beobachtung eines Sachverhalts

2. Skeptischer Zweifel in Bezug auf Sinne oder Verstand

3. Verunsicherung, Desorientierung

4. Rückbesinnung auf Punkt 1 und Vertrauen in die Natur

Dies ist für Hume keinesfalls ein trivialer Vorgang, sondern Ergebnis großer philosophischer Bemühung, die die so genannte „true philoso- phy“ hervorbringt. Der Unterschied zwischen Punkt 1 und 4 liegt darin, dass Punkt 4 das Bewusstsein des Menschen um seine Fehlbarkeit enthält, diesem Menschen aber aus – ihm via Reflexionsprozess ebenso bewusst gewordenen – Gründen der Viabilität nichts bleibt, als die Gegebenheiten so, wie sie perzipiert werden, als ‚subjektive‘ Realität anzuerkennen. Diese ‚nur‘ subjektive Realität lässt sich aber empirisch erstaunlich stark untermauern:

1. Einleitung 13

„A prince, who imposes a tax upon his subjects, expects their compliance. A general, who conducts an army, makes account of a certain degree of courage. A merchant looks for fidelity and skill in his factor [… ] A man, who gives orders for his dinner, doubts not of the obedience of his servants [… ] Whoever reasons after this manner, does ipso facto believe the actions of the will to arise from necessity.“16

In den später folgenden Untersuchungen (E) analysiert Hume darüber hinaus einige Grundkonstanten menschlichen Handelns, die ebenfalls im Fokus der klassischen Kommentatoren stehen:

„The same motives always produce the same actions: The same events follow from the same causes. Ambition, avarice, self-love, vanity, friend- ship, generosity, public spirit [… ] have been from the beginning of the world, and still are, the sources of all the actions and enterprises, which have ever been observed among mankind. Would you know the sentiments [… ] and inclinations [… ] of the Greeks and Romans? Study well the temper and actions of the French and English“17.

„It seems almost impossible [… ] to engage either in science or action of any kind without acknowledging the doctrine of necessity, and this in- ference from motives to voluntary actions, from character to conduct.“18

Mit der Notwendigkeitsdoktrin und der pragmatischen Uniformitäts- hypothese steht bereits das Grundgerüst des Hume’schen Freiheits- konzepts. Zuletzt führt Hume sein Paradoxon der Notwendigkeits- doktrin ein.

1.5.3 Paradoxonder Notwendigkeitsdoktrin

„All mankind, though they have ever, without hesitation, acknowledged the doctrine of necessity in their whole practice and reasoning, have yet discovered [… ] a reluctance to acknowledge it“19.

Innerhalb des Paradoxons20 findet sich ein entscheidender Hinweis für die Entwicklung der Aufgabenstellung in Bezug auf die Rolle von Glau- bensinhalten. Alle Menschen sind sich, so Hume, einig darüber, dass die Notwendigkeitsdoktrin für alle Bereiche des Handelns und Denkens

16 T, Buch II, Teil III, Sek. I, S. 405.

17 E § 65, S. 83.

18 E § 70, S. 90.

19 E § 71, S. 92.

20 Humes Paradxon: Eine rational schlüssige Argumentation ist nicht widerlegbar, kann aber dennoch nicht überzeugen.

1. Einleitung 14

So weit die rein rationalistische Perspektive. Entscheidend ist aber die im Schluss des Zitats verborgene Andeutung auf eine weitere Perspektive. Wir fühlen nach Hume einen Widerstand (reluctance), dem rational Erkannten auch mit Leib und Seele zuzustimmen (acknowledge) bzw. dies zu glauben.

Was macht einen solchen Widerstand aus? Gibt es im übrigen

Hume’schen Kontext Vergleichbares? Und wenn ja: Was ist die zugrunde liegende Gemeinsamkeit? Vor allem aber, was sind Grund und Funktion dieses Widerstandes?

Hume diskutiert einen hypothetischen Einwand gegen seine Notwendigkeitsdoktrin:

Zunächst könnte die Uniformitätshypothese falsch sein, weil Notwen- digkeit mit sicherer Regelmäßigkeit auftritt, das menschliche Verhalten aber alles andere als regelmäßig und sicher vorhersehbar scheint.

„[… ] necessity is regular and certain. Human conduct is irregular and uncertain.“21

Dem könne man nach Hume damit entgegnen, dass unterschiedliche Menschen nur deshalb unterschiedlich handeln, weil sie auch unter- schiedliche, sie mit strenger Notwendigkeit determinierende Charak- tere besitzen.

„The characters of men are, to a certain degree, inconstant and irregular. This is, in a manner, the constant character of human nature.“22

Außerdem komme es auf die Betrachtungsweise an: Wolken zum

Beispiel23 wirkten häufig unkoordiniert, und dennoch sind wir davon überzeugt, dass sie den Gesetzen der Physik folgen, auch wenn wir diese nicht unmittelbar einsehen können, sie also wie von Geisterhand

21 T, Buch II, Teil III, Sek. I, S. 403.

22 E § 68, S. 88.

23 E § 68, S. 88.

1. Einleitung 15 getrieben scheinen („Secret operation of causes“24). Und so ist es auch mit den menschlichen Handlungen.25

Der zweite von Humes selbst ins Rennen geschickte Einwand formuliert den Eindruck der Macht über unseren Willen: So könne man doch beispielsweise seinen Arm erheben, wie es einem beliebe!

„After we have perform'd any action; tho' we confess we were influenc'd by particular views and motives; ’tis difficult to persuade our- selves we were governed by necessity, and that 'twas utterly impossible for us to have acted otherwise; the idea of necessity seeming to imply something of force, and violence, and constraint, of which [, however,] we are not sensible.“26

Was Hume hier anspricht, ist das so genannte Scheinargument. Nur weil wir den Einfluss nicht als verursachendes Moment wahrnehmen würden, bilden wir uns ein, frei im Sinne von unbeeinflusst zu handeln. Hier klingt, obgleich auf einer anderen Ebene, erneut das Moment des Widerspruchs von rational Erkanntem und Geglaubtem im weiteren Sinne Gefühlten an.

Wie oben gezeigt wurde, spielt für Hume die Notwendigkeit in ihrer Begrenzungsfunktion eine entscheidende Rolle für das menschliche Handeln, Denken und Wollen. Wie steht es aber um diese Notwendig- keit selbst, was ist ihr ontologischer Status? Wie gelangen wir überhaupt zu dem Begriff der Notwendigkeit? Die Antwort hierzu entwickelt Hume in seiner Kausaltheorie.

1.5.4 Humes Kausaltheorie

„’tis constant union alone with which we are acquainted; and ’tis from the constant union the necessity arises [… ] the necessity, which enters into that idea, is nothing but a determination of the mind to pass from one object to its usual attendant, and infer the existence of one from that of the other." 27

„The necessity of any action, whether of matter or of the mind, is not properly a quality in the agent, but in any thinking and intelligent being,

24 E § 67, S. 87.

25 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 408 f.; E § 67, S. 87 f.

26 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 407; indirekt auch E § 75, S. 97.

27 T, Buch II, Teil III, Sek. I, S. 400.

1. Einleitung 16

who may consider the action, and consists in the determination of his thought to infer its existence from some preceding objects“28.

Mit dieser vermutlich berühmtesten wie folgenreichsten Passage, in beschreibt Hume, wie die Kausalität – und in diesem Sinne auch die

Notwendigkeit – nicht nur den objektiven Dingen29, sondern auch noch dem Verstand als Vermögen der Erkenntnis entzogen wird und in die Hände der Gewohnheit (die wir mit allen Lebewesen teilen) des betrachtenden Subjekts gelegt wird. Entscheidend für diese Arbeit ist, dass gedankliche Prozesse der Hume’schen Philosophie nicht das Ergebnis einer Leistung unter der Regie des Verstandes, sondern lediglich Ergebnis eines unbewussten, mit Tieren geteilten Habitua- tionsprozesses sind. Ein ‚starkes Stück‘ im calvinistischen England des 18. Jahrhunderts.

1.5.5 Hume’scher Kompatibilismus (konkret)

Fasst man die o.a. Ausführungen zusammen, erhält man den Hume’schen Kompatibilismus als Ergebnis wie folgt:

Die zwei Elemente: Handlungsfreiheit („[… ] that [liberty] which is oppos'd to violence [liberty of spontaneity]“30) und Willensfreiheit („[… ] and that which means a negation of necessity and causes

[liberty of indifference]"31) bilden das Spannungsfeld, in das sich das menschliche Dasein geworfen sieht. Jedoch beschränkt sich eine sinnvolle Betrachtung nur auf die Freiheit des Handelns:

„The first is even the most common sense of the word; and as ’tis only that species of liberty, which it concerns us to preserve, our thoughts have been principally turn'd towards it, and have almost universally confounded it with the other.“32

Und weiter:

28 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 408; E § 94.

29 Im weiteren Sinne der gesamten Objektivität.

30 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 407.

31 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 407.

32 T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 407f.

2. Aktuelle Forschung 17

„Liberty, when opposed to necessity [… ] is the same thing with chance; which is universally allowed to have no existence.“33

„What is meant by liberty, when applied to voluntary actions? We cannot surely mean that actions have so little connexion with motives [… ] that one affords no inference [to] to the existence of the other. [… ] By liberty [when applied to voluntary actions], then, we can only mean a power of acting or not acting according to the determinations of the will; that is, if we choose to remain at rest, we may; if we choose to move, we also may. Now this hypothetical liberty is universally allowed to belong to everyone who is not a prisoner and in chains.“34

Freiheit im Sinne von Handlungsfreiheit ist demnach kompatibel zu dem Notwendigkeitskonzept, nicht aber mit der Willensfreiheit.

Das heißt: Freiheit für Hume ist die Freiheit, eine Handlung zu vollziehen oder diese zu unterlassen, je nach dem Impuls unseres Willens. Ko- existent hierzu ist die kategorische Ablehnung der Freiheit des Willens aufgrund seiner Determination durch Affekte im weitesten Sinne. Die Betrachtungsperspektive des Autors selbst sowie seiner Kommentato- ren des 18. Jahrhunderts scheint Freiheit beinahe ausschließlich im Hinblick auf ihre praktischen Konsequenzen moralischer, religiöser und juristischer Natur hin zu berücksichtigen.

Hume ist an dieser Stelle aber möglicherweise vom Vorwurf einer zu eingeschränkten Sichtweise freizusprechen, berücksichtigt man die politischen und klerikalen Rahmenbedingungen seiner Schaffenszeit.35

Im Anschluss an diese diese Skizzierung der Hume’schen Auffassung von Freiheit folgt nun die Erläuterung der aktuellen Auseinander- setzung.

2. Aktuelle Forschung

2.1 Historische Bestimmung

Humes Gedanken werden wissenschaftstheoretisch unterschiedlichen Richtungen zugeordnet. So gilt er als Naturalist ebenso wie als Psycho-

33 E § 74, S. 96.

34 E § 73, S. 95.

2. Aktuelle Forschung 18 logist, Positivist oder Skeptiker. Fragt man nach dem Wesentlichen seiner Philosophie, wodurch sie sich kennzeichnet und worin sie sich äußert, divergieren die Antworten ebenso wie die Lösungsalternativen beim Versuch wissenschaftstheoretischer Verortung.36

Daher ist es sinnvoll und notwendig, den Status quo der Forschung zunächst in einem kurzen Abriss historisch herzuleiten.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts führten Reid und Beattie die Debat- te in streng empiristischer Tradition an; im darauf folgenden Jahrhun- dert wurden sie durch die britischen Idealisten Green und Bradley, die beinahe ausschließlich den Hume’schen Skeptizismus fokussierten, abgelöst. Schlick und Carnap dominierten das 20. Jahrhundert in der Lesart des logischen Positivismus.

So vielstimmig sich der Kanon seiner Kommentatoren37 entfaltet, so weitreichend sind die Impulse, die Hume der zeitgenössischen wie der

35 Ausführlicher hierzu im Kapitel zum Leben Humes.

36 Zur aktuell in Deutschland geführten „Verortungs“-Diskussion siehe die Aufsätze von Stäudner und Campagna in den Ausgaben: 7, 8 und 9 der Zeitschrift für kritisches Denken, Herausgeber: Stefan Groß, Jena 1995.

37 Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit, dafür aber mit dem Anspruch der Ausge- wogenheit hier noch einige Stimmen über Hume aus: Detmar Döring: Vernunft und Leidenschaft, a. a. O., S. 17 ff.: Adam Smith über Hume (1776): „Im Ganzen habe ich ihn sowohl zu Lebzeiten wie auch seit seinem Tode als jemanden erachtet, der dem Ideal eines vollkommen weisen und tugendhaften Mannes so nahe kam, wie es das Wesen menschlicher Schwäche vielleicht erlauben wird.“ (3, S. LXTX/LXX) Adam Smith über Humes Tod (1776): „Aber wenngleich Mr. Hume stets sehr heiter von seiner näher rückenden Auflö- sung sprach, liebte er es doch keineswegs, von seiner Seelengröße irgendein Aufhebens zu machen.“ (3, S. LXVI) Samuel Johnson über Humes Tod (1777): „Man konnte wohl kaum erwarten, dass die Aussicht auf den Tod seine Art zu denken ändern würde, es sei denn, Gott hätte ihm einen Engel zugesandt, um ihn zurechtzuweisen.“ Aus: James BoswelI: Life of Johnson, Oxford 1980, S. 838 (Über- setzung des Hrsg.) über Humes Philosophie (1783): „Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchun- gen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab.“ Aus: Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, hrsg. v. K. Vorländer, Hamburg 1976, S. 6 f.

2. Aktuelle Forschung 19 modernen philosophischen Debatte zu geben im Stande war und ist.

In bester Gesellschaft mit Adam Smith und Francis Hutcheson bezog er Stellung gegen den „Angst-Dogmatismus“ ebenso wie gegen die damalige Christenlehre und gegen die drohenden soziologischen Konsequenzen aus der Anthropologie von Thomas Hobbes.

Wurde 1739/40 besonders die Kontraposition zum Rationalismus, rezipiert, welche die Emanzipation von klerikal-dogmatisch orientierten Theorien unterstützte, so wird sein Konzept heute dazu verwendet, die wissenschaftliche Kontraposition der Soziobiologie zum Behaviorismus in der Psychologie modelltheoretisch zu fundieren.

Friedrich August von Hayek über Humes Liberalismus (1963): „Von Hume [stammt] wahrscheinlich die einzige umfassende Darstellung der Rechts- und Sozialphilosophie [… ], die später unter dem Namen Liberalismus be- kannt wurde.“ Aus: Friedrich August von Hayek: Die Rechts- und Staatsphilosophie David Humes; in: ders: Freiburger Studien. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1969, S. 235. Friedrich August von Hayek über Humes politische Philosophie (1963): „Es ist kein Zufall, dass Hume seine Ideen über Politik und Recht in seiner philosophi- schen Arbeit entwickelt. Sie sind auf das innigste mit seiner allgemeinen philosophi- schen Auffassung verknüpft, insbesondere seiner skeptischen Anschauung über ‚die Grenzen des menschlichen Verstehens‘. Sein Anliegen war die menschliche Natur im Allgemeinen, und seine Wissenschaftstheorie sollte hauptsächlich ein Bei- trag sein, den Menschen als sittliches Wesen und als Mitglied der Gesellschaft zu verstehen. Er schuf vor allem eine Theorie vom Wachsen der menschlichen Institu- tionen, die die Basis seiner Frage nach Freiheit bildete und die Grundlage der Arbeiten der großen schottischen Moralphilosophen Adam Ferguson, Adam Smith und Dugald Steward, die heute als die wesentlichen Vorläufer der modernen evo- lutionären Anthropologie gelten. Sein Schaffen bereitete auch das Fundament, auf das die Autoren der amerikanischen Verfassung aufbauten, und in gewisser Weise für die politische Philosophie von Edmund Burke, der Hume viel näher steht und ihm unmittelbarer verpflichtet ist, als gemeinhin gesehen wird.“ Ebd., S. 237. Karl Popper über Hume (1977): „David Hume, der kein Berufsphilosoph und neben Sokrates vielleicht der aufrich- tigste und ausgeglichenste der großen Philosophen war und dabei ein bescheide- ner, rationaler und recht leidenschaftsloser Mann, wurde durch eine unglückliche und irrige psychologische Theorie [und durch seine Erkenntnistheorie, die ihn lehrte, seinen eigenen, sehr bemerkenswerten Verstandeskräften zu misstrauen] zu der folgenden erschreckenden Theorie verführt: ‚Die Vernunft ist die Sklavin der Leidenschaften; und sie soll es sein und bleiben. Sie kann nie eine andere Rolle beanspruchen, als den Leidenschaften zu dienen und ihnen zu gehorchen.‘ Ich bin durchaus bereit zuzugeben, dass ohne Leidenschaft noch nie etwas Großes erreicht wurde; aber ich glaube an das genaue Gegenteil von Humes Behauptung. Die Bändigung unserer Leidenschaften durch die sehr begrenzte Vernünftigkeit, deren wir fähig sind, ist nach meiner Ansicht die einzige Hoffnung für die Menschheit.“ Zit. nach: Gerhard Streminger: Hume, Reinbek 1986, S. 148.

2. Aktuelle Forschung 20

In der Komplexität des Hume’schen Werkes etablierte sich jedoch auch ein Kontinuum über beinahe drei Jahrhunderte hinweg: die Einschätzung des Einflusses des Hume’schen Charakters und seiner Biografie auf die Richtung seiner Philosophie.

Konkret handelt es sich um das universale Wohlwollen gegenüber der menschlichen Kreatur, der Glaube an das natürlich Gute in ihr und das Finden der inneren Ruhe durch die Anerkennung des natürlichen

Laufs der Dinge.38 All dies zusammen offenbarte Hume schließlich als den neuen Betrachtungshorizont39, der sich als roter Faden durch das gesamte Werk zieht.

Die ‚kopernikanische Wende‘ in der Geschichte der Hume-Interpreta- tion, gleichermaßen der Beginn der modernen Hume-Forschung, nimmt ihren Anfang 1941 mit dem Werk: The Philosophy of David Hume von Norman Kemp Smith, in dem der Skeptizismus zugunsten der Theorie des psychologischen Naturalismus zurückgedrängt wird. Diese perspektivische Verschiebung repräsentiert den radikalsten und für die moderne Debatte zugleich fruchtbarsten Wandel in der Ausein- andersetzung mit unserem Autor. Was aber konkret hat Kemp Smith der Debatte hinzugefügt, das der Bedeutung einer ‚kopernikanischen Wende‘ gerecht zu werden vermag?

Hume wollte die Natur des Menschen mit dem Anspruch auf Vollstän- digkeit kartographieren und wandte sich mithin auch der Bedeutung von (Mit-)Gefühlen und Affekten zu. Dass die Affekte unser Handeln und Denken beeinflussen, gilt heute als Selbstverständlichkeit. Dass selbige eine Rolle in der Sphäre etwaiger moralischer Konzepte spielen, war im schottischen Gelehrtenkreis frühestens mit Shaftesbury und Hutcheson etabliert. Hume geht aber einen entscheidenden

38 Im Original: natural course of life.

39 Im Original: New scene of thought, aus: A Letter to a Physician. Dieses wichtige Selbstzeugnis Humes wurde im März 1734 geschrieben, abgedr. In: LA, S. 12-18.

2. Aktuelle Forschung 21

Schritt weiter, indem er Gefühle und Affekte in den offenen Konflikt40 mit der bis dato unangefochten regierenden Vernunft drängt.

Die ersten beiden Bücher seines Hauptwerks41 bilden den dramaturgi- schen Rahmen dieser angeregten Auseinandersetzung, die ihren Höhepunkt in der bekanntesten Analyse – der Kausalanalyse – findet, in der sich rationale Erkenntnisgewissheit vor dem habituellen Imaginationskonzept auf der Grundlage von trivialen Wiederholungs- erfahrungen unterordnet und dessen Thronherrschaft legitimiert.

Hume selbst war entsetzt und ins Mark getroffen von dieser Erkenntnis, wollte er doch jedwedem Ansatz metaphysischen Gedankenguts endgültig den Garaus machen.42 Nachdem er elementares Wissen als Habitus anstelle von rationaler Einsicht (Erkenntnis) identifizieren musste, machte er sich auf die Suche nach den Ursachen und entdeckte die Korrelation des Vermögens der Imagination mit natürlichen Veranlagungen (Instinkten).

40 „Reason first appears in possession of the throne, prescribing laws, and imposing maxims, with an absolute sway and authority. Her enemy, therefore, is oblig’d to take shelter under her protection, and by making use of rational arguments to prove the fallaciousness and imbecility of reason, produces, in a manner, a patent under her band and seal. This patent has at first an authority, proportioned to the present and immediate authority of reason, from which it is deriv’d. But as it is suppos’d to be contradictory to reason, it gradually diminishes the force of that governing power and its own at the same time; till at last they both vanish away into nothing, by a regulax and just diminution.“ T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 186 ff.

41 A Treatise of Human Nature war Humes erstes philosophisches Werk. Es ist in drei Bücher unterteilt. Die ersten beiden Bücher (Of the Understanding und Of the Passions) erschienen 1739, das dritte Buch (Of Morals) 1740. Ich zitiere dieses Werk unter Verwendung der Sigle T. Die deutsche Übersetzung des Titels dieses Werkes lautet üblicherweise: Ein Traktat über die menschliche Natur. Dies gilt auch für den von mir verwendeten Nachdruck (1986) der von T. Lipps aus dem Englischen ins Deutsche übertragenen Ausgabe aus dem Jahre 1904 (Buch I) bzw. 1906 (Buch II und III). Die deutsche Übersetzung des T zitiere ich mit der Sigle TmN.

42 „But his obscurity in the profound and abstract philosophy, is objected to, not only as painfull and fatiguing, but as the inevitable source of uncertainty and error. Here indeed lies the justest and most plausible objection against a considerable part of metaphsics.” E, S. 11.

2. Aktuelle Forschung 22

Diese Einsicht gab im Besonderen dem späteren Hume43 den zentra- len Impuls für die Entwicklung einer weitreichenden Glaubensmeta- physik.

2.2 Inhaltliche Bestimmung

Das Hume’sche Bezugssystem kann im Wesentlichen durch drei Stichworte abgebildet werden, die den Schwerpunkt der jeweiligen Interpretationslinien repräsentieren. Anschließend werden diese Linien mit den dazugehörigen Grundfragen kurz in chronologischer Abfolge dargestellt, um in der Folge den aktuellen Forschungsstand erläutern zu können.

43 Vgl. Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals (im Folgenden unter der Sigle E geführt), Selby-Bigges Edition, Oxford 1975.

2. Aktuelle Forschung 23

2.2.1 Skeptizismus44

Zu Lebzeiten galt Hume ausschließlich als Skeptiker und Atheist. Dieses Image verdankte er im Wesentlichen der vernichtenden Rezension seines Werkes durch seinen Landsmann James Beattie (1735-1803).45 Während der Erfolg des Traktats erst weit nach dem Tode Humes eintrat, konnte Beattie sich mit der Bezugnahme auf Humes Erstveröffentlichung größter Popularität erfreuen. Der im Traktat

44 Referenzen im Traktat (T, Buch I, Teil III, Sek. XII, S. 134): § 1. Destructive, though happily nature does not wait for that consummation, 187. § 2. With regard to the senses, 187 f.; just as the sceptic is compelled to- reason and believe, so by nature he is compelled to assent to the existence of body (q. v.): ‘it is vain to ask whether there be body or not’, 187; shows us (1) that the senses afford no justification for the belief in body, 188; (2) that this belief is the result of an illegitimate propensity of imagination, 193 f.; (3) that the philosophic System of a double existence of objects and is a monstrous offspring of two opposing Systems, 213; (4) that the distinction between primary and secondary qualities destroys external objects altogether, and results in an extravagant scepticism, 228; moderate, of the true leads to the same indifference as the stupidity of the vulgar or the illusions of the false philosopher, 224. § 3. In general, 263 f.; the only criterion of truth, the only reason for assent to any opinion, is ‘a strong propensity to consider objects in that view under which they appear to me’; this due to imagination worked on by experience and habit; memory, sense, and under-standing all founded on imagination or the vivacity of our ideas, 265; but imagination leads us to directly contrary opinions, 266, cf. 231; and yet we cannot rely solely on ‘the understanding, that is, the general and more established principles of imagination / for understanding alone entirely subverts itself, 267 (cf. 182 f.); we are saved from this total scepticism only by the weak influence of abstruse reasonings on the imagination, 268 (cf. 185); yet we cannot reject all abstract reasoning –’ we have no choice but between a false reason and none at all/ 268; nature supplies the ordinary remedy of indifference, and my scepticism shows itself most perfectly in blind Submission to senses and unde- rstanding, 269; we can only justify scepticism or philosophy by our inclination towards it; because * I feel I should be a loser in point of pleasure if I did not pursue them/ 270; since we cannot rest content with every-day conversation and action, we ought only to deliberate about our choice of a guide, and choose the safest and most agreeable, viz. Philosophy, whose errors are only ridiculous and whose extravagances do not influence our lives, 271; all we want is a satisfactory set of opinions, and we are most likely to get them by studying human nature, 272; * a true sceptic will be diffident of his philosophic doubts as well as of his philosophic convictions, and will never refuse any innocent satisfaction which offers itself upon account of either of them’; nor will he deny himself certainty in particular points, 273. 45 James Beattie: An Essay on the Nature and Immutability of Truth, in Opposition to Sophistry and Scepticism, Edinburgh 1771.

2. Aktuelle Forschung 24 transportierte Skeptizismus sei völlig zerstörerisch für Wissenschaft, Mo- ral und geoffenbarte Religion.

Positiver, aber die Hume’sche Philosophie auch nicht über ihre skepti- schen Elemente hinaus würdigend, fällt das Urteil von Thomas Reid46 aus. Diesem zufolge argumentiere Hume zirkulär, da er in der Einlei- tung angebe, die Grundlage aller Wissenschaften errichten zu wollen, später aber jede Form sicheren Wissens dem Skeptizismus opfere.

Diejenigen Beiträge, die den Hume’schen Skeptizismus hervorheben, werden seither in der Literatur als Reid-Beattie-Interpretationen bezeichnet. Der extrem skeptizistische Ansatz (Pyrrhonismus) mit der Konsequenz der Destruktion jedweder Möglichkeit sicherer Erkenntnis – zuletzt von Bertrand Russel47 und Karl Popper48 artikuliert – findet in der modernen Kommentation jedoch keine Anhängerschaft mehr. Von der Mitte des 20. Jahrhunderts an attestierte man Hume letztlich den so genannten akademischen Skeptizismus.49

46 Thomas Reid: An Inquiry into the Human Mind, On the principles of common sense. London 1769.

47 Bertrand Russell: Die geistigen Väter des Faschismus, in: Philosophische und Politi- sche Aufsätze, Stuttgart 1971.

48 Karl R. Popper: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1973.

49 Vgl. z. B.: John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M., 1979.

2. Aktuelle Forschung 25

2.2.2 Naturalismus, Psychologismus50

Bis zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts dominierte die o. a. Interpre- tationslinie mit den daraus resultierenden Konsequenzen, nämlich Hume als naiven Empiristen oder Atheisten zu etikettieren. So schreibt

Leslie Stephen51 noch 1902, dass der Traktat einem ‚pyrrhonistischen‘ Ungeheuer gleiche, das besser nicht in seinem Schlummer gestört werden solle.

Den vorgenannten Autoren ist gemein, dass sie den Traktat lediglich auf den ersten Teil reduzierten und darin eine (stark) destruktive Komponente sahen. Während die allgemeine philosophische Forschung erst ab 1905 sensibel für für die konstruktiven Ansätze des Traktats wurde, entwickelte Adam Smith schon 1759 in seiner Theorie der ethischen Gefühle den Hume’schen Sympathie-Begriff als positiv konstitutives Moment seiner Moralphilosophie. Hume unterwarf schließlich auch seine eigenen, aus der skeptischen Methode resultierenden Erkenntnisse einem strengen Skeptizismus und öffnete somit die Türen für die Erkenntnis dessen, was heute als natural belief bezeichnet wird.

50 Referenzen im Traktat (T, Index, S. 715 ff.): § 1. Operations of, ‘independent of our thought and reasoning’, viz. relations of contiguity, successions and resemblance, 168; complexity of, 175; few and simple principles in, 282, 473, 528 (cf. 578); natural world more full of contradictions than intellectual, 232. § 2. ‘By an absolute and uncontrollable necessity, has determined us to judge as well as to breathe and feel’, 183; compels the sceptic to assent to the existence of body, 187; determines the object of pride, 286-8; not opposed to habit, for ‘habit is nothing but one of the principles of nature, and derives all its force from that origin’, 179; inconstancy of human nature, 283; opposed to interest and education as origin of virtue, 295; nature – the original constitution of the mind, an arbitrary and original instinct, 368 (cf. 280-1); = that which is common to or inseparable from any species, 484. § 3. The State of Nature, a philosophic fiction, 493; like the poetic fiction of a golden age, 494; in a State of nature no property and no promises, 501; man’s very first state and condition may justly be esteemed social, 493; Laws of Nature, 484, 520, 526, 543 (v. Justice, § 1); not abolished by laws of nations, 567. Vgl z. B.: Hume Studies: The Origin of indirect passions in the Treatise: An Analogy between Books I and 2 in Ausgabe 29 Nummer 2 – November 2003 und Hume on regulating Belief and moral Sentiment.

2. Aktuelle Forschung 26

Damit einher ging eine perspektivische Verschiebung der Fragestel- lung. Es geht nicht mehr darum, ob etwas eine wissenschaftlich objektiv begründbare Erkenntnis ist, sondern darum, warum wir es so und so auffassen und warum wir dies oder jenes tun ‚müssen‘ (deskriptiv naturalistischer bzw. psychologistischer Ansatz).

2.2.3 Rationalismus vs. Empirismus52

Die Erkenntnis der Relevanz dieser ‚Öffnung‘ für den Hume’schen Ge- samtkontext bildet die Kehrtwende, die aus heutiger Sicht wesentlich mit dem Werk Norman Kemp Smiths53 zu verbinden ist, und macht es notwendig, den Traktat gänzlich neu zu beleuchten – eine Aufgabe, die fragmentarisch an der populären Kausalanalyse durchgeführt wurde.

51 Sir Leslie Stephen: The History of English Thought in the Eighteenth Century (Erstver- öffentlichung 1876), London 1902.

52 Vgl. z. B.: Hume Studies: Rationalism, Sentimentalism and Ralph Cudworth, in Aus- gabe 30 Nummer 1, April 2004. Referenzen im Traktat (T, Index, S. 715 ff.): Reasoning a comparison of two objects and discovery of their constant or inconstant relations, properly employed in the absence of at least one object from Sensation, 73; opposed to , 73, 87, 89 (cf. 103); does not require three ideas, e. g. we infer a cause immediately from its effect, and this is the strongest kind of reasoning, 97 n; resolvable into conception, 97 n; implies antecedent possession of ideas, 164; probable, nothing but a species of Sensation, 103 (cf. 73, 625); influence of reasoning from cause and effect on will, 119; and belief is some Sensation or peculiar manner of conception which ’tis impossible for mere ideas and reflexions to destroy, 184; the conviction which arises from subtle reasoning diminishes in proportion to the effort required to enter into it, 186 (cf. 455); demonstrative and probable: the province of the former is ‘the world of ideas’ as opposed to the ‘world of realities’, 413; is merely an Operation of our thoughts and ideas, and nothing can enter into our conclusions but ideas or fainter conceptions, 625 (cf. 103). Experience opposed to knowledge and scientific reasoning, 82 (cf. 157); its nature illustrated, 87; the basis of inference, 87; yields certainty in arguments from cause (q. v., § 7. B) and effect, 124 (cf. 623); imperfect and contradicted experience yields probability, 131; contrariety in, due to secret Operation of concealed causes, 132; no justification of inference to objects beyond our experience, 139; contrasted with a ‘voluntary act of imagination’, experience being united by a ‘common object producing them’, while experiments are not, 140; experience and idea of efficacy, 157 f.

53 Norman Kemp Smith: The Naturalism of Hume, in: Mind XIV (1905).

2. Aktuelle Forschung 27

Zwei Jahrhunderte zuvor nahm Kant diesen Wendepunkt zum Anlass der Entwicklung seiner transzendentalen Deduktion,54 die in ihrer Fortentwicklung eine neue Interpretationslinie schuf (wie rationalistisch bzw. empiristisch ist Humes Methode?). Diese besteht bis heute darin, Schnittmengen und Divergenzen zwischen Hume und Kant zu untersuchen. Fragestellungen der Art, inwieweit Hume Kant antizipiert, sind nach wie vor Gegenstand aktueller Untersuchungen.

Damit ist das Bezugssystem der modernen Forschung im Wesentlichen vollständig. Den Schwerpunkt bildet das Moment der Aufhebung scheinbar rational abgesicherter Begründungsstrategien durch den Skeptizismus in Bezug auf Verstand und Sinne (destruktiver Interpreta- tionsansatz) in Verbindung mit der Identifikation des Glaubens als Generator für unser Weltverständnis (psychogen funktionales Prinzip, konstruktiver Interpretationsansatz).

Die Auseinandersetzung mit dem Hume’schen Glaubensbegriff so als zentrale Steuerungseinheit implementiert, bildet in seiner positiven und konstruktiven Relevanz den Gegenstand der modernen Hume- Forschung. Diese primär angelsächsische und angloamerikanische Hume-Renaissance ist weitestgehend durch fragmentarische Analysen und Erläuterungen zum anthropologischen Naturalismus und

Psychologismus gekennzeichnet,55 nicht zuletzt in dem Bemühen um eine Verteidigung gegen Husserls Kritik am Psychologismus.56

Auf diesem Territorium – konkret in der psychologistischen Betrach- tungsweise der Freiheitsthematik mit der Gewichtung als funktionales

Überlebensprinzip57 – soll diese Ausarbeitung beheimatet sein.

54 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B1.

55 Mit dem Begriff des Psychologismus soll keinesfalls eine Tür für rationale Argumenta- tionsstrategien verschlossen werden (scheinbarer Psychologismus). Vielmehr ver- mögen diese eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung zu bilden.

56 : Logische Untersuchungen, 1. Teil Prolegomena zur reinen Logik, Halle a. S. 1900. Zeugnis hiervon gibt die HUME SOCIETY mit den angeschlossenen HUME ARCHIVES mit Sitz in Utah, USA, publiziert über das Printmedium der HUME STUDIES.

57 Vgl. v. Glasersfeld in: Heinz Gumin, Heinrich Meier (Hg.): Einführung in den Konstruk- tivismus, München 1992, S. 9 ff.

2. Aktuelle Forschung 28

Zum ausführlicheren Nachweis der aktuellen Brisanz der in meiner Arbeit untersuchten Problemstellung habe ich im Anhang einen Auszug derjenigen Aufsätze aus der aktuellen Forschung in einem gesonderten Verzeichnis (Hume Studies) angeführt, die mittelbar und unmittelbar dem thematischen Kontext angehören.

Ferner sollen nachfolgend zwei Aufsätze, die einen Berührungspunkt zu meiner Arbeit herstellen, erläutert werden.

2.3 Berührungspunkte dieser Arbeit zur aktuellen Forschung

In seinem Aufsatz The role of Reason in Hume’s Theory of Belief58 bündelt A. T. Nuyen in einer komplexen Bestandsaufnahme die we- sentlichen Positionen zur Rolle des Glaubens bei Hume insbesondere in ihrem Verhältnis zur Vernunft. Das Vermögen des natural belief wird im Hinblick auf verschiedene Perspektiven betrachtet. Eine dieser Perspektiven fokussiert dabei, ob und wie weit die Vernunft bei der Bildung von Glaubensimpulsen involviert ist. Eine weitere Perspektive besteht darin, zu untersuchen, ob wir das, was wir glauben, glauben müssen oder auch anders (Methodik des Glaubens) und anderes (Inhalte) hätten glauben können.

Nuyen kommt zu einem versöhnenden Ergebnis, indem er das Bild eines kohärenten Erkenntnis-Netzwerks59 zeichnet. Er integriert beide Vermögen. Das Ergebnis ist ein in jede Richtung offenes System.

Anders hingegen der Aufsatz von William Edward Morris mit dem Titel:

Hume’s Scepticism About Reason.60 Morris setzt sich mit einem Ansatz von Robert Fogelin61 auseinander und gründet seine Untersuchung zunächst auf das Zitat von Hume:

58 Hume Studies, Volume XIV, Number 2, S. 372-389.

59 Hume Studies, Volume XIV, Number 2, S. 384 im Original: “epistemic network”.

60 Hume Studies, Volume XV, Number 1, S. 39-60.

61 Robert Fogelin: Hume’s Scepticism in the Treatise of Human Natur, London 1985.

2. Aktuelle Forschung 29

„In all demonstrative sciences the rules are certain and infallible; but when we apply them, our fallible and uncertain faculties are very apt to depart from them, and fall into error.“62

Morris interessiert sich explizit für die Methodik der Destruktion, und zwar nicht des Vermögens des Verstandes selbst, sondern für die Methodik der Destruktion unseres blinden Vertrauens diesem unserem Verstand gegenüber. Und er hält mit Hume fest, dass Regeln selbst erkenntnissicher seien, die Probleme aber erst danach durch ihre Anwendung durch uns selbst entstünden bzw. durch die Anwendung unserer unzuverlässigen und fehlerhaften Verstandesvermögen.

Dass ein Speer nur so gut ist wie der Werfer, der ihn wirft, ist plausibel. Der Fokus gilt offensichtlich nicht dem Speer, sondern dem Werfer. Analog konzentriert sich Hume, so Morris, primär auf den Menschen in seiner denkenden Funktion, auf sein Verstandesvermögen. Wem seine eigene Unzulänglichkeit nicht gegenwärtig sein sollte, der möge sich an seine Misserfolge erinnern und wird mit ein wenig Reflexion bald seinen Anspruch auf sichere Erkenntnis aufgeben. Dieses Verfahren kann und muss schließlich bis zum vollständigen Verlust jeglichen Vertrauens in unseren Verstand führen. Die Möglichkeit von sicherem ‚demonstrativem‘ Wissen ist damit für die Subjektseite zerstört.

Morrison formuliert nun eine entscheidende Frage in der Suche nach der Art von (Nicht-)Wissen, das am Ende eines solchen Zweifelsprozes- ses steht, und findet eine Antwort in der Konvergenz. Mathematisch bildet die Reduktion von Wissen via Wahrscheinlichkeit zur Unsicherheit eine ‚Nullfolge‘ etwa der Art: f(x) = (1/x), wobei x für die Anzahl der Zweifelsvorgänge steht. Lässt man nun x gegen unendlich streben

(x → ∞) – und genau dies wird von Hume angeordnet –, so verkleinert sich zwar das Ergebnis (Wissen) in Richtung null, erreicht diese aber nie, sondern konvergiert lediglich gegen null.

Damit ist eine Sollbruchstelle geschaffen, die Hume aufgrund ihrer systematischen Anordnung im Traktat zunächst nicht geplant haben

62 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 180.

3. Aufgabenstellung 30 kann, die aber zum Ausgangspunkt jedes naturalistischen Ansatzes wird. Nach der Konvergenztheorie verbleibt mathematisch nämlich stets ein Rest, der nicht nichts sein kann. Was aber verbirgt sich hinter diesem Rest?

Methodologisch produziert diese Erkenntnis das Zweifeln am Zweifel und damit das Verfahren eines ‚zweisäuligen Metaskeptizismus‘:

Die erste Säule ergibt sich verfahrensorientiert, indem man das Verfah- ren des Zweifels mit sich selbst konfrontiert (also am Zweifel zweifelt) und somit den Weg zur Möglichkeit von Erkenntnis zurückerobert.

Die zweite Säule, in Anlehnung an die Konvergenztheorie, ergibt sich ergebnisorientiert aus dem sich zwar stets verkleinernden, aber auch sich nie gänzlich auflösenden Residuum.

Dieses Residuum enthält den Kern des naturalistischen Interpretations- ansatzes, den natürlichen Glauben. Koppelt man diesen Kern nun zurück auf die erste Säule, so gewinnt man zumindest Gewissheit über die Möglichkeit eines metaskeptischen und damit konstruktiven Ver- fahrens, das die Möglichkeit einer auf die Funktion einer Empfindung hin ausgerichteten Analyse sinnvoll erscheinen lässt.

Der Versuch eines solchen Verfahrens soll nun in den nachfolgenden Abschnitten am Modell der Freiheitskonzeption durchlaufen werden.

3. Aufgabenstellung

3.1 Funktionsanalyse eines Freiheitskonzepts

Die vorliegende Arbeit knüpft in der Weise an die o. a. Diskussion an, dass das Moment des Glaubens in seiner funktionalen Dimension zum Richtungsgeber wird. Dieser Vorgehensweise liegt die Hypothese zugrunde, dass im Hume’schen Freiheitskontext bereits traktats- immanent der natürliche Glaube grundlegend ist. Wie für das Konzept der Kausalität scheint auch für unsere Freiheitsempfindung weniger die Vernunft als mehr ein instinktives Basisvermögen konstitutiv zu sein. Freiheit würde danach nicht erkannt, sondern empfunden.

3. Aufgabenstellung 31

Konkreter gilt es zu klären, ob Humes Freiheitskonzept einer Art von Instinkt folgt, der analog zur Auffassung von Außenwelt der Fiktion eines Selbst und der Kausalität nicht rational-logisch-urteilsabhängig sondern tiefer und gefestigter in unserem Unterbewusstsein als

Gefühl/Trieb/Affekt naturgemäß verankert ist, um die Viabilität63 des Menschen in seiner – wie auch immer gearteten, konstruierten oder wahrgenommenen – Außenwelt (Umwelt) zu gewährleisten, und damit als funktionales Konzept den Menschen biologisch determiniert.

Damit verortet sich diese Arbeit in der Tradition derjenigen Versuche, die Humes Kontext für die anthropologische, evolutionstheoretische Erkenntnistheorie im naturalistischen Licht entschlüsseln.

3.2 Rechtfertigung der Aufgabenstellung

Aus den oben genannten Ausführungen zur aktuellen Forschung wie auch aus der Nomenklatur der Aufgabenstellung wird deutlich, dass die hier eingenommene Forschungsperspektive eine – bezogen auf das Hume’sche Freiheitskonzept – naturalistische Betrachtungsweise einnimmt. Die folgende Begründung hierfür setzt bei der konstruktiven Kritik an Humes Auseinandersetzung mit der Freiheit im Traktat an und erläutert daran anschließend Tangentialpunkte mit neueren Erkennt- niskonzepten.

Wenn nach Hume gelten soll:

A. Die Freiheit des Willens existiert nicht und

B. die Handlung folgt dem Impuls des Willens, so müsste daraus auch die Nicht-Existenz der Handlungsfreiheit folgen.

63 Der Begriff wurde von v. Glasersfeld in die konstruktivistische Erkenntnistheorie in Anlehnung an den englischen Ausdruck viability eingeführt. Viability bezeichnete ursprünglich die ‚Gangbarkeit‘ eines Weges und wird in der Evolutionslehre für die Ueberlebensfähigkeit von Arten, Individuen und Mutationen verwendet. Organis- men sind viable, wenn es ihnen gelingt, in ihrer Umwelt zu überleben und sich fort- zupflanzen. Auf das menschliche Erkennen angewendet heißt das, bei Erkenntnis- prozessen, z.B. bei der Modellbildung, kommt es nicht auf die absolute Überein- stimmung zwischen Erkenntnis und Realität an (Objektivismus, Repräsentationimus),

3. Aufgabenstellung 32

Hume selbst geht, was seine Theorie gegenüber dem Vorwurf einer streng deterministischen Theorie aussetzen könnte, auf diesen syllogistischen Einwand offensichtlich nicht ein. Durchgängiger Determinismus kann aber nicht in seinem Sinne sein, da er damit die

Verantwortlichkeit für Handlungen hätte opfern müssen.64 Wie aber rettet er die Zurechnungsfähigkeit von Handlungen gegenüber einem handelnden Subjekt?

Wenn Freiheit für Hume einerseits als Bedingung für selbstbestimmtes menschliches Handeln fungiert (worum es dem Aufklärer genuin gehen musste) und diese Freiheit andererseits ausschließlich in ihrem Verhältnis zum Willensimpuls betrachtet wird, bleibt die dynamische Korrelation unserer Vermögen (Vernunft, Einbildungskraft, Sinne, Gefühle, Intuition, Erinnerung und Willen) wenig bzw. gar nicht unter- sucht, mithin die Möglichkeit der Übernahme einer weiter gehenden Funktion der Freiheitsbestimmung im Sinne der Absicherung des

sondern auf ‚viable Passung‘. Vgl. v. Glasersfeld, in: Heinz Gumin, Heinrich Meier, (Hg.): Einführung in den Konstruktivismus. München 1992, S. 9 ff.

64 Hume verdeutlicht dies in der folgenden Passage: „This reasoning is equally solid, when apply’d to divine laws, so far as the deity is consider’d as a legislator, and is suppos’d to inflict punishment and bestow rewards with a design to produce obedience. But I also maintain, that even where he acts not in his magisterial capacity, but is regarded as the avenger of crimes merely on account of their odiousness and deformity, not only ’tis impossible, with- out the necessary connexion of cause and effect in human actions, that punish- ments cou’d be inflicted compatible with justice and moral equity; but also that it cou’d ever enter into the thoughts of any reasonable being to inflict them. The constant and universal object of hatred or anger is a person or creature endow’d with thought and consciousness; and when any criminal or injurious actions excite that passion, ’tis only by their relation to the person or connexion with him. But according to the doctrine of liberty or chance, this connexion is reduc’d to nothing, nor are men more accountable for those actions, which are design’d and premeditated, than for such as are the most casual and accidental. Actions are by their very nature temporary and perishing; and where they proceed not from some cause in the characters and disposition of the person, who perform’d them, they infix not themselves upon him, and can neither redound to his honour, if good, nor infamy, if evil. The action itself may be blameable; it may be contrary to all the rules of morality and religion: But the person is not responsible for it; and as it proceeded from nothing in him, that is durable or constant, and leaves nothing of that nature behind it, ’tis impossible he can, upon its account, become the object of punishment or vengeance. According to the hypothesis of liberty, therefore, a man is as pure and untainted, after having committed the most horrid crimes, as at the first moment of his birth, nor is his character any way concern’d in his actions; since they are not deriv’d from it, and the wickedness of the one can never be us’d as a proof of the depravity of the other. Tis only upon the principles of necessity, that a person acquires any merit or demerit from his actions, however the common opinion may incline to the contrary. “ (Fettdruck von mir)

3. Aufgabenstellung 33

(Über-)Lebensprogramms von vornherein ausgeschlossen.65 Welchen Grund mag es hierfür geben?

Hume musste in seinem Diskurs äußerst sensibel mit den Implikationen seiner Freiheitsauffassung für Ethik, Moral und Religion umgehen,66 was durchaus die Möglichkeit einer erweiterten Konzeption zwischen den Zeilen nahe legen könnte. Wenn auch zu Lebezeiten Humes die Kirche bereits viel von ihrer ursprünglichen Macht eingebüsst hatte, so war diese doch noch groß genug, ihm den so ersehnten Lehrstuhl für Pneumatik[ (Geistesphilosophie) unerreichbar zu machen. Die Ausfüh- rungen über die Notwendigkeit für die Religion müssen also mit großer Aufmerksamkeit für das nicht Gesagte betrachtet werden. Dies gilt selbst dann, wenn Hume schreibt:

„There is no method of reasoning more common, and yet none more blameable, than, in philosophical disputes, to endeavour the refutation of any hypothesis, by a pretence of its dangerous consequences to reli- gion and morality. When any opinion leads to absurdities, it is certainly false; but it is not certain that an opinion is false, because it is of dangerous consequence. “67

65 Die elementare Basis dieser Kritik spiegelt sich in einem Aufsatz von Norman Kemp Smith, Hume and the Parallelism between reason and Morality von Houghton Dalrymple , veröffentlicht in: HUME STUDIES Vol. XII, Number 1 (April 1986) wider und enthält die für meine Kritik entscheidende Grundlagendiskussion zum Thema Verhältnis von reason und belief. T, Buch II, Teil III, Sek. II, S. 410 ff.

66 Verantwortung für eigenes Handeln wird im Allgemeinen davon abhängig ge- macht, dass der Handelnde frei ist, das zu tun oder zu lassen, wofür er verantwort- lich sein soll. Wenn aber der Determinismus wahr wäre und wenn die Freiheit nicht real, sondern eine Illusion sein sollte, dann wäre einem wesentlichen Stück der Moral der Boden entzogen. Wir brauchen die Freiheit, solange wir Menschen Ver- antwortung für ihr Handeln zuschreiben. Aber die Frage ist, ob wir tatsächlich die nötige Freiheit haben, wenn es wahr ist, dass unser Handeln im selben Sinne verursacht ist wie etliches im natürlichen Lauf der Dinge, dem wir keine Freiheit attestieren. Es sei leicht zu erkennen, meint Jens Kulenkampff in seiner aktuellsten Rezension im 8. Band der Reihe Klassiker auslegen (Berlin 1997), welche Position Hume in dieser Frage vertritt, wenn er seine Überlegungen als „reconciling project“ bezeichnet: Er will zeigen, dass sich der seit alters unter dem Titel ‚Freiheit und Notwendigkeit‘ geführte Streit als ein bloßer Wortstreit herausstellt, wenn die Wörter ‚Freiheit‘ und Notwendigkeit‘ in dem einzig vernünftigen Sinne genommen wer- den, den man mit diesen Ausdrücken verbinden kann (vgl. E S. 97). Und dabei soll sich zeigen, dass es Freiheit im Handeln gibt, obwohl unser Handeln notwendig ist, was in Humes Sprachgebrauch bedeutet, dass es kausal determiniert ist. Und Hume will zeigen, dass die Notwendigkeit unseres Handelns weder der Moral noch der Religion widerstreitet, ja dass sie sogar – ebenso wie die Freiheit – eine wesent- liche Bedingung der Moral ist (vgl. E, S. PT 15).

67 E, S. 96.

3. Aufgabenstellung 34

Diese Gedanken lassen zusammengefasst ein Spannungsfeld zutage treten, welches durch den Widerspruch der isolierten Betrachtung einerseits und einer tiefgründigeren Implikation aus der Architektur des Gesamtwerks andererseits erzeugt wird.

Aus diesem dialektischen Spannungsfeld heraus offenbart sich eine Möglichkeit zur Erweiterung des Gehalts der Hume’schen Freiheits- konzeption, indem man deren Grundstruktur im Licht philosophischer Anthropologie betrachtet. Warum eine solche Vorgehensweise?

Hume belegt kontinuierlich seine Haltung gegenüber supranaturalisti- schen Entitäten wie etwa Gott oder Metaphysik im weitesten Sinne68 und verweist auf die Beobachtung der Geschehnisse der uns zugäng- lichen Natur. Verbunden damit ist in Anlehnung an Newton die Auffas- sung, dass die Naturwissenschaft im Prinzip alles erklären kann, alles Existierende (und somit notwendig auch den Menschen) naturwissen- schaftlich erklärbar sei. Mit diesem Konzept formuliert Hume die Grundgedanken der evolutionären Erkenntnistheorie.

Diese Theorie69 sieht, aufbauend auf der von Darwin begründeten Evolutionstheorie, unseren Körper und damit auch unsere Sinnesorga- ne, unser Nervensystem und unser Gehirn als Entwicklungsergebnis der Natur. Die Vernunft sei danach im Verlauf der Evolution aus Problem- situationen hervorgegangen, welche die Menschen zu bewältigen

68 E, S. 11: „But this obscurity in the profound and abstract philosophy, is objected to, not only as painful and fatiguing, but as the inevitable source of uncertainty and error. Here indeed lies the justest and most plausible objection against a con- siderable part of metaphysics, that they are not properly a science; but arise either from the fruitless efforts of human vanity, which would penetrate into subjects utterly inaccessible to the understanding, or from the craft of popular superstitions, which, being unable to defend themselves on fair ground, raise these intangling brambles to cover and protect their weakness.“

69 Quellen zur evolutionären Erkenntnistheorie: Konrad Lorenz: Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, München 1973. Karl Popper: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1973. Willard Van Orman Quine: „natural kinds“, in: Willard Van Orman Quine, Onto- logical Relativity and Other Essays. New York 1969, S. 115-138. Gerhard Vollmer: Evolutionäre Erkenntnistheorie. Stuttgart 1975. Rupert Riedl: Biologie der Erkenntnis. Die Stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft, Berlin/Hamburg 1980.

3. Aufgabenstellung 35 hatten. Unser Gehirn und unsere Sinnesorgane hätten sich entwickelt, um uns das Überleben zu ermöglichen, nicht um objektive Wahrheiten zu erkennen. Für ein das Überleben ermöglichendes Handeln sei aber keine 100-prozentige Übereinstimmung zwischen der objektiven Welt und unserem Bild von dieser Welt nötig. Eine gewisse Nähe zu be- stimmten Aspekten dieser objektiven Welt – die für unser Handeln, für unser Überleben von Interesse sind – reiche. 70

In die Sprache Humes übersetzt bedeutet dies:

„The intellectual world, tho' involv'd in infinite obscurities, is not perplex'd with any such contradictions, as those we have discovered in the natural. What is known concerning it, agrees with itself; and what is unknown, we must be contented to leave so.“71

Wenn nun Verteter der Sozio- und Neurobiologie, der evolutionären Erkenntnistheorie und der Anthropologie im Interesse ihrer eigenen aktuellen Forschungsbestrebungen in ihren Ansätzen oder Wurzeln auf Hume rekurrieren, erscheint ein Verfahren sinnvoll, welches von jenen naturalistischen Grundpositionen aus die Konzepte Humes gewisser- maßen rückgekoppelt neu betrachtet.

Das Konzept der Freiheit wurde nach meinem Kenntnisstand auf die- sem Verfahrenswege noch nicht untersucht. Da aber das Gebiet der Freiheit nicht nur handlungstheoretische Relevanz besitzt (z. B. für Grenzen, Räume und Bestimmungsgründe von Handlungen), sondern auch insbesondere im Rahmen evolutionär erkenntnistheoretischer Fragestellungen moderner denn je ist (etwa die Fragestellung nach der Genese von biologischen Bestimmungsgründen der Erfahrungsver- arbeitung), liegt gerade hier eine Chance zum Nachweis der Hume’schen Brisanz für die aktuelle Philosophie. Den damit konkret zu verfolgenden Weg deutet die Thematik der Verwechslung an.

Bernhard Irrgang: Lehrbuch der Evolutionären Erkenntnistheorie, 2. Aufl., München 2001.

70 Vgl.: http://www.philolex.de/evolerke.htm

71 T, Buch I, Teil IV, Sek. V, S. 232

3. Aufgabenstellung 36

Hume entfaltet eine feinsinnige Affekt-Theorie, in der die Problematik der Verwechslung von rationaler Entscheidung und dem Wirken ruhi- ger Affekte zutage tritt. Die aktuelle Forschung, unter anderem vertre- ten durch Streminger, Capaldi, Johnson und Norton,72 weist nur wenig zu dieser Thematik aus. Allenfalls John Rawls erwägt eine anscheinend beiläufige Klärung darüber, ob das Freiheitskonzept als praktisch apriorisches Prinzip dem Hume’schen Konzept anhängt. Mit anderen Worten: Ist das Bewusstwerden von Freiheit (ich unterscheide hier absichtlich nicht etwaige Unterformen) Bedingung der Möglichkeit einer Erkenntnis von Handlungsalternativen oder handelt es sich bei unserer Freiheitsauffassung – sofern wir zu dem Ergebnis kommen, es gebe eine solche individuell für uns – um die Verwechslung rationaler Erkenntnis mit ruhigen, aber deshalb nicht minder nachhaltig wirken- den Affekten i. e. S. von Scheingefühlen?

Diese Fragen sollen analog zur nachfolgend erläuterten Vorgehens- weise ausführlich behandelt werden.

3.3 Vorgehensweise

Zunächst sollen mögliche oder wahrscheinliche Implikationen ethi- scher, moralischer oder gar religiöser Natur ausgeblendet werden, um eine wertefreie Erläuterung der Funktionalität für das, was Hume das

Leben außerhalb seines Studierzimmers (closet73) nennt, zu ermögli- chen.

Die Interpretation der Freiheit im klassischen Hume’schen Verständnis birgt neben den daraus immanent resultierenden Unklarheiten primär das Problem der Defizienz sowohl a) horizontal als auch b) vertikal.

72 Siehe Literaturangaben im Anhang (S. 203 ff.)

73 T, Buch III, Teil I, Sek. I, S. 455: „There is an inconvenience which attends all abstruse reasoning. that it may silence, without convincing an antagonist, and requires the same intense study to make us sensible of its force, that was at first requisite for its invention. When we leave our closet, and engage in the common affairs of life, its conclusions seem to vanish, like the phantoms of the night on the appearance of the morning; and ’tis difficult for us to retain even that conviction, which we had attain’d with difficulty.“

3. Aufgabenstellung 37

Zu a)

Horizontal defizitär bezeichne ich dabei den Mangel, zeitliche Ent- wicklungen in der Biografie bzw. Bibliographie zu wenig oder ganz außer Acht zu lassen. Insbesondere für den Kontext des Hume’schen (Meta-)Skeptizismus ist die Integration seiner Vita bedeutsam.

Zu b)

Als vertikale Defizienz bezeichne ich den Mangel, das Kapitel der Freiheit isoliert ohne eine angemessene Ausgewogenheit zugunsten nachfolgender oder vorangehender Themenkreise innerhalb einer Quelle zu untersuchen.

Zur Vermeidung der Problematik laut a) werden zunächst für seine Philosophie relevante biografische Daten erläutert und in ihrem Bezug zum Konzept dargelegt. Gleichzeitig dient als literarische Hauptquelle nicht, wie von Hume selbst (aus strategischen Gründen) angeraten, die Enquiries, sondern darüber hinaus der komplexere und sachlich wie literarisch und philosophisch tiefere Traktat sowie das die beiden Werke inhaltlich und chronologisch verbindende Abstract.

Vor diesem Hintergrund sollen im Anschluss an eine allgemeine Dar- stellung von Konzept, Gegenstand und Methode die philosophischen Grundlagen der Hume’schen Philosophie erörtert werden.

Daran anschließend und ausdrücklich im Sinne der Vermeidung der horizontalen Defizienz74 werden neben der Kausalanalyse ebenfalls die Genetik der Außenwelt-Auffassung und die Genetik des Ich- Begriffs erörtert.

Die Auswahl dieser Analysen begründet sich durch die Tatsache, dass Hume selbst, wenigstens im Traktat, allen dreien zentrale Beachtung schenkt, diese nach einem noch herauszustellenden einheitlichen

74 Zur Hume’schen Dialektik: Hume geht an wichtigen Stellen – so werfen es ihm viele Kommentatoren vor – anscheinbarend widersprüchlich vor. Die Auflösung dieser Widersprüche, deren Schlüssel die Dialektik ist, stellt eine weitere Bedingung zur Vermeidung der horizontalen Defizienz dar.

3. Aufgabenstellung 38

Schema durchgeführt werden und im Vergleich zueinander den von Hume implizit vorgegebenen ‚Rechenweg‘ offenbaren.

Mit dem Wissen um diesen aus der Schnittmenge der drei Analysen abgeleiten Rechenweg soll zunächst die Prävalenz des Glaubens für das Konzept der Freiheitsauffassung dargelegt und dann als konstante Rechengröße für ein erweitertes Freiheitskonzept verwendet werden.

Zuvor muss eine Absicherung des bis dahin Erarbeiteten in der Form eines Nachweises der Konformität einer möglichen erweiterten Frei- heitsauffassung zu dem, was Hume die „wahre Philosophie“75 nennt, erfolgen. Dies wird insbesondere durch die Implementierung der

„trivial principles“76, der subrationalen Überlebensmechanismen, gewährleistet.

Die Elaboration dieser trivial principles insbesondere im Hinblick auf ihre Emanzipation vom Attribut der Abergläubigkeit zugunsten eines positiv besetzten ‚natürlichen Glaubens‘ bildet den ersten der drei Hauptschritte meiner Argumentation zugunsten der These, dem Hume’schen Gesamtkonzept eine weiter gehende funktionale Betrachtungsweise nachweisen zu können.

Der zweite Schritt liegt im konkreten Nachweis der möglichen Funktio- nalität des Glaubens für eine Freiheitskonzeption.

Schließlich und letztlich wird die somit dargelegte Freiheitskonzeption selbst zum funktionalen Prinzip des Überlebens im Sinne einer erfolgrei-

75 T, Buch I, Teil IV, Sek. III, S. 222: „In considering this subject we may observe a gradation of three opinions, that rise above each other, according as the persons, who form them, acquire new degrees of reason and knowledge. These opinions are that of the vulgar, that of a false philosophy, and that of the true; where we shall find upon enquiry, that the true philosophy approaches nearer to the sentiments of the vulgar, than to those of a mistaken knowledge.“

76 Begriffsquelle: A treatise of human nature / David Hume“, reprinted from the original ed. in three volumes and ed., with an analytical index, by L. A. Selby-Bigge. 709 p. 20 cm. Clarendon Press, Oxford, 1881. Source copy consulted: Alderman Library Call No. B1485 1888. Prepared for the University of Virginia Library Electronic Text Center. Anmerkung Nr. 46: „If the reader is desirous to see how a great genius may be influencd by these seemingly trivial principles of the imagination, as well as the mere vulgar, let him read my Lord

4. Grundlagen 39 chen Orientierung/Anpassung innerhalb unserer Umwelt und damit zum zentralen Ansatz einer erweiterten Freiheitsauffassung erhoben.

Eine letzte Bemerkung zur Vorgehensweise gilt der Lesart. Ich schließe mich – wie aus einer Vielzahl weiter unten anzubringender Argumente ersichtlich werden wird – einer grundsätzlich naturalistischen Lesart im Sinne Kemp Smiths insoweit an, als sie nicht mittlerweile durch neuro- und soziobiologische Erkenntnisse eingeholt wurde. Insbesondere der Transfer der drei Analysen zugunsten einer weiteren Freiheitsauffas- sung sowie die Funktion des Glaubens dürfen nur naturalistisch (i. e. S. neurobiologisch bzw. soziobiologisch), nicht aber metaphysisch verstanden werden. Die Nähe zu konstruktivistischen Thesen ergibt sich allenfalls aus einer psychologistischen Nuancierung meinerseits, wird aber nicht weiter erörtert, da Hume sein empiristisches Prinzip als letzte Instanz ein Leben lang in den Vordergrund zu stellen forderte und ich dieser Forderung nachkommen möchte.

4. Grundlagen

4.1 Biografische Grundlagen77

Humes Lebensweg korreliert mit auffälliger Präzision mit seiner philoso- phischen Entwicklung. So folgte auf eine Phase tiefer Depression die Entwicklung eines neuen, erkenntnisreichen Betrachtungshorizonts. Um diese Eigentümlichkeit zur Fundierung dieser Arbeit nutzbar zu machen, werden die entscheidenden Stationen kurz erörtert:

Hume, 1711 in Chirnside geboren, verließ im Alter von zwölf Jahren sein nordenglisches Zuhause, um sich am 27.2.1723 an der Universität in Edinburgh mit dem von seiner Familie gewünschten Ziel, Jurist zu werden, einzuschreiben. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde er, was entscheidend für seinen späteren Werdegang gewesen sein dürfte,

Shaftsburys reasonings concerning the uniting principle of the universe, and the identity of plants and animals. See his Moralists: or, Philosophical rhapsody.“

77 Zur Vita David Humes und seinem Werk siehe Anhang.

4. Grundlagen 40 sowohl mit Newton als auch mit Francis Bacons Novum Organon in der Weise konfrontiert, dass einige seiner Lehrer zu den Subskribenten von Pempertons View of Sir Isaac Newton's Philosophy78 gehörten. Damit hatten zwei maßgebende Größen geistigen Schaffens sowohl im Bereich der Philosophie als auch im Bereich der Naturwissenschaft auf die Studienzeit Humes Einfluss: der eine für die Begründung des Empirismus stehend, der andere für die Methode experimentellen Vorgehens.

Da Hume von Beginn an wenig Interesse für seinen eigentlichen Studienschwerpunkt, die Rechtswissenschaften, entwickelte, beschäf- tigte er sich zunehmend mit Dichtern und Philosophen.

„Dabei sind es Dichter-Philosophen, die den jungen David besonders begeistern: Longinus, der Neuplatoniker, von dem er ‚mächtig hingeris- sen‘ ist und der seiner Ansicht nach jenes Ideal der Erhabenheit, von der das Werk handelt, selbst verkörperte; des Weiteren Cicero und Vergil“79.

Das Prinzip der Seelenruhe und die stoische Unabhängigkeit vom

Schicksal beeindruckten ihn so nachhaltig, dass Hume diese Prinzipien zu seiner eigenen Lebensmaxime machte, die endgültig seine Emanzipation von der calvinistischen Erziehung und der Totalschuld (Verderbtheit) des Menschen bewirkte. Das war deshalb entschei- dend, weil Hume schon als junger Mensch einen ‚Charakter-Katalog‘ – angelehnt an calvinistische Inhalte – erstellte, mit dessen Einhaltung er sich über Jahre quälte und worüber er schließlich krank wurde.

Wahre Tugenden wollte er von nun an in den stoischen Prinzipien finden.

Beide ethischen Systeme erwiesen sich für Hume jedoch als untaug- lich, ja sogar lebensbedrohend – bestand das eine doch aus reiner Schuldzuweisung, das andere aus der Ablehnung menschlicher

78 G. Streminger: David Hume – Sein Leben und Werk, 2. Aufl., Paderborn u. a. 1994, S. 93 f.

79 Ebd., S. 103.

4. Grundlagen 41

Gefühle und Bedürfnisse, die durch ein rational fundiertes Verhalten zurückzudrängen seien.80

Nach stoischem Vorbild wollte Hume erhaben sein über die mensch- liche Natur, vor allem über Triebe und Bedürfnisse. In dieser Zeit machte Hume eine lange Phase der Depression durch. Am Tiefpunkt seiner emotionalen Situation angelangt, kam er zu der entscheidenden Erkenntnis für seine Lebensführung: Hiernach wollte er sich von nun an nicht mehr an Theoriegerüsten sowohl kirchlichen oder philosophischen Ursprungs orientieren, die ihrerseits nicht das Wesen des Menschen als Grundlage hatten bzw. wider die menschliche Natur angelegt waren.

Die Ausgangsbasis seiner Philosophie konnte damit auch in der Tradi- tion seiner unmittelbaren Vorgänger nicht mehr ein rationalistisches System sein, sondern musste im Menschen selbst gefunden werden. Damit war klar, dass – wenn auch zum Zwecke der Errichtung einer neuen Moraltheorie – zunächst einmal der menschliche Geist selbst in Augenschein zu nehmen war, und zwar auf empirisch-experimentel- lem Wege. Und exakt diese Erkenntnis, die sich so deutlich aus der biografischen Notlage des jungen Hume ableitete, sollte zum philoso- phischen Programm nicht nur der im Rahmen dieser Arbeit zu besprechenden Quellen werden, sondern als Grundlage sowohl seines Lebens als auch seines gesamten Werks dienen.

Weil diese Ausgangsbasis so entscheidend für die weiteren Ausführun- gen ist, werde ich nachfolgend die Textquelle erläutern, die diesbezüglich den konkretesten Hinweis bzw. Nachweis zu geben vermag.

80 Vgl. ebd., S. 110 ff.

4. Grundlagen 42

„Letter to a physician:“81

„From my earliest Infancy, I found alwise a strong Inclination to Books & Letters. As our College Education in Scotland, extending little further than the Languages, ends commonly when we arc about 14 or 15 Years of Age, I was after that left to my own Choice in my Reading, & found it encline me almost equally to Books of Reasoning & Philosophy, & to & the polite Authors. Every one, who is acquainted either with the or Critics, knows that there is nothing yet establisht in either of these two Sciences, & that they contain little more than endless Disputes, even in the most fundamental Articles. Upon Examination of these, I found a certain Boldness of Temper, growing in me, which was not enclin’d to submit to any Authority in these Subjects, but led me to seek out some new Medium, by which Truth might be establisht. After much Study, & Reflection on this, at last, when I was about 18 Years of Age, seem’d to be open’d up to me a new Scene of Thought[82] there, which transported me beyond Measure & made me, with an Ardor natural to young men, throw up every other Pleasure or Business to apply entirely to it.“83

Was Hume mit diesem „neuen Betrachtungshorizont“ meint, ist meines Erachtens evident. Da er aber innerhalb des Traktats hierzu explizit nichts sagt, bildeten sich unterschiedlichste Interpretationsansätze bei seinen Kommentatoren wie Laird, C. W. Hendel, Norman K. Smith, D.

G. C. Macnabb und auch John Passmore.84 Interessant ist: Alle halten

81 Zitiert aus: E. C. Mossner, in: Journal of the History of Ideas IX (1948). Wahrscheinlich hat Hume diesen Brief, der – so Mossner – Dr. Arbuthnot gegolten haben soll, nie abgeschickt.

82 A Letter to a Physician. Dieses wichtige Selbstzeugnis Humes wurde im März 1734 geschrieben, abgedr. in: LA, S. 12-18. Eigene Hervorhebung.

83 Quelle: E. Johnson: Predecessors of Adam Smith, London 1937.

84 Johnson, a. a. O., S. 8, nennt hier einige Interpretationen: „The initial discovery, too, that filled Hume with such transports of joy and opened a whole new prospect to him, we can readily identify. lt was surely the fact that man is vastly presuming whenever he uses the maxim of cause and effect.“ (C. VV. Hendel) „The ‚Letter to a physician‘ clearly shows that the ‚new scene of thought‘ which so ‚transported‘ Hume was his discovery of the resources of the inductive, experimen- tal or Newtonian method in the entire domain of human nature.“ (J. Laird) „The thesis for which I shall argue is [… ] that [Hume] was led to recognise that judgments of moral approval and disapproval, and indeed judgments of value of whatever type, are based not on rational insight or on evidence, but solely on feeling; and that what then ‚open’d up to [him] a new Scene of Thought, which transported [him] beyond Measure‘ [giving birth in due course to the Treatise], was the discovery that the point of view could be carried over into the theoretical domain.“ (N. K. Snüth) „What was ‚the new Scene of Thought‘ that seemed to be opened up to Hume at eighteen? [… ] It is I think fairly safe to assume that some notion of how the study of Human Nature could be used to settle the age-Iong disputes of philosophy formed at least the setting of Hume’s new scene of thought.“ (D. G. C. Macnabb)

4. Grundlagen 43 diesen Satz für den Schlüssel zum Verständnis des ersten Buchs, wenn nicht des gesamten Traktats. Ihre sehr unterschiedlichen Standpunkte lassen sich zu einem großen Teil auf die Unterteilung in prä- und post- textuale Interpretationsverfahren zurückführen.

Ich möchte dennoch den Versuch unternehmen, mich einem Verfah- ren argumentativ anzuschließen.

Norman Kemp Smith postuliert – mit dem genannten Zitat – als zentrales Element der Hume’schen Philosophie deren Fähigkeit, Gefühle (später wird zu zeigen sein, dass die Empfindung, um die es hier im Besonderen geht, der natural belief ist) als Grundlage nicht nur unseres Handelns (acting), sondern auch unseres Denkens (reasoning) zu sehen. Er überwindet mit dieser Transformation sowohl Hutchesons als auch Shaftesburys Auseinandersetzung mit dem moral sense in eben der Weise, die ihm einen völlig neuen Betrachtungshorizont („Scene of Thought“) liefert, der Hume und die gesamte Wissenschaft „beyond Measure“ zu bringen vermag. Wie entscheidend die Kenntnis und Umsetzung dieses modus operandi für das Verständnis des ersten Buchs des Traktats (Trilogie) allgemein und für das Verständnis der Freiheit konkret ist, werden die nachfolgenden Kapitel dieser Arbeit zu beweisen haben.

4.2 Philosophische Grundlagen

Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit Konzeption, Methode und Gegenstand des Treatise of Human Nature. Eine solche Darstellung erscheint sinnvoll, um den Traktat in seiner ganzen

„Perhaps one can make one more contribution to the problem of ‚Hume’s intentions‘ by suggesting that the two main currents of advanced speculation in Scotland at that time: natural law teaching and Newtonian or Baconian experimental science came together, and allied to Hume’s religious scepticism, produced his famous ‚new scene of thought‘.“ (D. Forbes) Hume „tells us that ‚about tile age of 18 years of age‘ there seemed to be opened up to him ‚a new scene of thought‘. It is not possible quite definitely to determine in what this ‚new scene of thought‘ consisted. [… ] We may more than suspect that associationism was the ‚new scene of thought‘.“ (J. Passmore)

4. Grundlagen 44

Dimension verstehen und dessen Relevanz für die Interpretation des Freiheitsbegriffs bei Hume nachvollziehen zu können.

4.2.1 Die Konzeption

An früher Stelle in der Einführung zum Treatise of Human Nature offenbart Hume das Konzept seines Anliegens:

„’Tis evident, that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature: and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even. Mathe- matics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of MAN; since the lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties. ’Tis impossible to tell what changes and improvements we might make in these sciences were we thoroughly acquainted with the extent and force of human understanding, and cou'd explain the nature of the ideas we employ, and of the operations we perform in our reasonings. And these improvements are the more to be hoped for in natural religion, as it is not content with instructing us in the nature of superior powers, but carries its views farther, to their disposition towards us, and our duties towards them; and consequently we ourselves are not only the beings, that reason, but also one of the objects, concerning which we reason.“85

Hume geht davon aus, dass der Ausgangspunkt zum Erkennen irgend- einer Wahrheit wesentlich vom Verstehenden abhängt und aus diesem Grunde das Wesen des Verstehenden zweifelsfrei zu definieren ist. Eine durchaus frühkonstruktivistische These, wenn man sich vor Augen hält, dass Hume differenziert zwischen Erkennendem, Erkann- tem und – wie weiter unten zu sehen sein wird – der Relation, die beide miteinander verbindet. Um nicht der Gefahr metaphysischer Hypothesenbildung zu erliegen, etabliert er zugleich die Erfahrung als Probierstein allen Forschens. Er formuliert zwar nicht explizit, aber doch zwischen den Zeilen zwei gangbare Wege der Präsentation wis- senschaftlicher Erkenntnis. Der eine Weg zeigt zunächst die zu erklärenden Phänomene auf und führt erst danach mehrere Prinzipien ein, die darzulegen versuchen, wie ein Phänomen mit dem anderen in

85 T, Contents, Introduction, S. XV.

4. Grundlagen 45

Beziehung steht. Diesen ersten Weg bezeichnet sein Freund Adam

Smith als den aristotelischen Weg.86

Der Wegbereiter für den zweiten Weg ist Isaac Newton. Seine Art der Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis beginnt mit dem Darlegen eines Prinzips bzw. einiger weniger Grundkräfte, von denen ausge- hend die zur Diskussion stehenden Phänomene erklärt werden. Hume lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er den von Newton eingeschlagenen Weg favorisiert, denn auch er bemüht sich ohne Umweg in den ersten Kapiteln seines Traktats um Offenlegung der omnipräsenten Basisprinzipien, konkret der Vorstellungen und ihrer Zusammenhänge. So wie die Gravitation für Newton das monokausale Erklärungsmodell der Bewegung von Körpern darstellt, so glaubt Hume mit der Ideenrelation diejenige verbindende Grundkraft gefunden zu haben, die das menschliche Erkennen, Schließen und (im 3. Buch des Traktats) Handeln steuert. Doch wie zu zeigen sein wird, hat sich Hume mit seinem Vorhaben, auf dem Gebiet der Untersuchung der menschlichen Natur das zu schaffen, was Newton auf dem Gebiet der Physik gelungen ist, eine Last aufgebürdet, die sich schlussendlich als untragbar erwies. Zu viele Phänomene waren es, die Hume mit Hilfe dieser Prinzipien zu erklären suchte.

4.2.2 Methode

„And as the science of man is the-only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can live to this science itself must be laid on experience and observation.“87

Für Hume war Newton also nicht nur ein Vorbild hinsichtlich der Art der Darstellung wissenschaftlicher Arbeiten, sondern auch ganz besonders hinsichtlich der von ihm so konsequent angewandten empirischen Methode zur Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnis. Als Lehrbuch zu

86 Vgl. Georg Johannes Andree: Sympathie und Unparteilichkeit, Paderborn 2003, S. 17 ff.

4. Grundlagen 46 dieser Methode galten ihm Sir Isaac Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica.

So gilt es als unbestritten, dass Newtons Principia Generationen von Wissenschaftlern nachhaltig beeinflussten. Unter Verwendung der empirischen Methode und der Zurückweisung von spekulativen Gedankengängen trug Newton auch wesentlich zur Etablierung der- jenigen philosophischen Strömungen bei, die den Rationalismus Descartes und Spinozas ablehnten und eine Wirklichkeitserkenntnis aus reiner Vernunft für unmöglich hielten.

Aus der Vielzahl von Philosophen, die wie Hume von Newtons Metho- de und Lehre beeinflusst waren, seien hier exemplarisch Immanuel Kant, Adam Smith und Voltaire erwähnt. Wie sehr Hume von Newtons Methode beeinflusst und beeindruckt war zeigt sich allein schon daran, dass er sein erstes großes Werk (Traktat, 1739/40) mit dem Untertitel „Being an Attempt to introduce the experimental Method of

Reasoning into Moral Subjects“ versah.88

Die Anwendung der empirischen Methode auf dem Gebiet der moral subjects birgt allerdings ein gewichtiges Manko in sich. Mit Hilfe empiri- scher Beobachtungen kann es gelingen, Auskunft darüber zu geben, wie die beobachtete Menge von Menschen urteilt und welche menschlichen Fähigkeiten dabei im Spiel sind. Auf die Frage, ob es richtig oder gut ist, dass diese Menge von Menschen so urteilt, wie sie urteilt, gibt die Empirie jedoch keine Antwort. Im besten Fall kann sie davon berichten, was alle Menschen als tadelnswert bzw. lobenswert, verwerflich oder gut ansehen. Was aber tatsächlich lobenswert, ta- delnswert, gut oder verwerflich ist, darauf kann auch die größtmögli- che empirische Informationsmenge keine Antwort geben.

87 T, Contents, Introduction, S. XVI.

88 In seiner History of England, From the Invasion of Julius Caesar to the Revolution in 1688 (1754-1761) schreibt Hume: „In Newton this Island may boast of having produced the greatest and rarest genius that ever arose for the ornament and instruction of the species.“ Zum weiteren Einfluss Newtons auf Hume vgl. J. E. Force Hume's Interest in Newton and Science , Hume Studies (1987), S. 166-216

4. Grundlagen 47

Und selbst wenn Beobachtungen ergeben sollten, dass alle Menschen dieser Erde das Verhalten eines Diktators gegenüber seinen Opfern als verwerflich klassifizieren, folgt daraus nicht, dass dieses Verhalten verwerflich ist. Ebenso wenig folgt daraus, dass es gut ist, dass alle Menschen Hussein als verwerflich beurteilen. Die Empirie klärt uns darüber auf, was der Fall ist bzw. was vorgefallen ist. Über das, was gut ist, und über das, was zu tun oder zu lassen ist, darüber schweigt sie.

Damit aber ergibt sich für Hume – wie für alle Moralphilosophen, die sich zur Anwendung der empirischen Methode entschließen – folgen- des Problem: Wie sind die faktischen (beobachtbaren) Beurteilungen menschlichen Verhaltens mit dem tatsächlichen Wert menschlichen Verhaltens zu verbinden?

Es sind dies die Fragen nach dem Wesen des Sittlichen und die Frage nach den menschlichen Fähigkeiten, aufgrund deren wir ein Verhal- ten billigen und ein anderes missbilligen. Eben diesen beiden Haupt- fragen der Moralphilosophie wandte sich Hume ganz in der Tradition der so genannten schottischen Schule89 zu:

Welche Beweggründe führen den Menschen dazu, Gesetze zu erlas- sen und sich an sie zu halten? Was motiviert uns, institutionalisierte Gesetzeshüter einzusetzen, die Handlungen und Absichten von Men- schen nach normativen Gesichtspunkten beurteilen? Warum gehor- chen wir dem Richterspruch? Was ist es, das uns Hilfe und Orientierung in Entscheidungssituationen gibt? Worauf basiert unser moralisches Wissen und unser moralisches Bewusstsein? Ist es der Verstand oder das Gefühl?

Als Basis für eine befriedigende Beantwortung dieser Fragen kam für Hume nur eine fundierte, durch Erfahrung gewonnene Lehre von der menschlichen Natur in Betracht, da er – wie schon sein Lehrer Hutcheson und sein Freund Adam Smith – den Ursprung der Moral in

89 Shaftesbury, Hutcheson, Hume, Smith.

4. Grundlagen 48 der Natur des Menschen sah. Mit dieser Auffassung stellten sich alle drei denjenigen moralphilosophischen Theorien entgegen, die das Sittliche als Produkt eines übernatürlichen Wesens betrachteten und die ewige Wahrheit sittlicher Gebote mit Hilfe der Übernatürlichkeit und übermenschlicher Fähigkeiten dieses Wesens zu erklären versuchten.

4.2.3 Der Gegenstand des Traktats

Bei dem Versuch, den Traktat zu beschreiben, wird deutlich, dass Hume zu den letzten Universalisten der Philosophiegeschichte gehört. Er hebt an mit der Erklärung, den menschlichen Verstand als Basis allen Erkennens kartographieren zu wollen, was man als Gegenstand der ersten beiden Bücher des Traktas bezeichnen könnte. Im Verlauf des letzten, also des 3. Buchs des Traktats, wird die Moral generell, das moralische Beurteilen oder Wahrnehmen, konkreter zum Gegenstand. Da sich alle weiteren Werke (siehe Bibliographie im Anhang) nach der Hume’schen Logik in der ein oder anderen Form auf die ersten beiden Bücher beziehen müssen, kann man deren Inhalt als das Herz seiner Philosophie bezeichnen.

Bevor unten konkret auf den Inhalt eingegangen wird, ist es sinnvoll, kurz die zentralen Begriffe und deren Interdependenz kurz anzuführen:

Es sind die Perzeptionen oder Bewusstseinsinhalte, die wir wahrneh- men, die unsere Realität konstituieren. Hume formuliert meines Erach- tens keine Korrespondenztheorie! Diese Perzeptionen/Bewusstseins- inhalte untergliedern sich primär in Impressionen oder Wahrnehmun- gen und Ideen bzw. Vorstellungen. Wie nun diese weiter untergliedert werden und vor allem in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist die Basis des Hume’schen Konzepts.

Das Zentrum dieser Untersuchung der theoretischen Philosophie Humes bildet die Kausalanalyse mit den daraus resultierenden Folgen der Destruktion von gesichertem Wissen als Bedingung rein rationaler

4. Grundlagen 49

Erkenntnisfähigkeit, im weiteren Sinne die Implementierung der Habituation in Gemeinschaft mit der Wiederholungswahrnehmung.

Das Zentrum der praktischen Philosophie ist das so genannte Hume’sche Gesetz:

„I cannot forbear adding to these reasonings an observation which may, perhaps, be found of some importance. In every system of morality, which I have hitherto met with, I have always remark'd, that the author proceeds for some time in the ordinary way of reasoning, and establishes the being of a God, or makes observations concerning human affairs; when of a sudden I am surpriz'd to find, that instead of the usual copulations of propositions is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or an ought not. This change is imper- ceptible; but is, however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, ’tis necessary that it shou'd be observ'd and explain'd; and at the same time that a reason should be given, for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it. But as authors do not commonly use this precaution, I shall presume to recommend it to the readers; and am persuaded, that this small attention wou'd subvert all the vulgar systems of morality, and let us see, that the distinction of vice and virtue is not founded merely on the relations of objects, nor is perceiv'd by reason.“90

Die Aussage, nicht vom Sein auf das Sollen schließen zu dürfen, ist im deutschen Sprachgebrauch unter dem Begriff des naturalistischen Fehlschlusses bekannt und bezeichnet allgemeiner, eine normative Forderung (Unlust soll vermieden werden) nicht aus einer deskriptiven Prämisse (der Mensch versucht Unlust zu vermeiden) ableiten zu dürfen.

4.2.4 Grundlagen der Erkenntnistheorie

Da der Traktat als Humes Hauptwerk unbestritten ist und auch im Hinblick auf Vollständigkeit und Komplexität erheblich mehr bietet als die Enquiries, konzentriere ich mich zunächst auf das Hauptwerk.

Der Traktat besteht aus drei Büchern. Buch I (Of the understanding) beschäftigt sich mit der rationalen Seite unserer Natur gegenüber der emotionalen Seite, die Hume in Buch II (Of the passions) behandelt. Diese Reihenfolge ist weit davon entfernt, zufällig zu sein.

90 T, Buch III: Of Morals, Teil I, Sek. I, S. 469 ff.

4. Grundlagen 50

Hume definiert den Begriff des Denkens als „nothing but a comparison and a discovery of those relations, either constant or inconstant, which two or more objects bear each other“91. Konsequenterweise muss Hume, bevor er auf der Grundlage seines eigenen Denkens (reasoning) fortschreiten kann, eben jenen Denkprozess sowie die ihm zugrunde liegenden Elemente (Perzeptionen) analysieren. Demzufolge ergibt sich nun für Buch I der folgende Aufbau:

Teil I Of ideas Teil II Of the ideas of space and time Teil III Of knowledge and probability Teil IV Of the sceptical and other systems of philosophy

Nach rationalistischer Lesart – und diese dürfte 1739/40 wohl allen Lesern vertraut gewesen sein – wird angesichts der allgegenwärtigen Präsenz des Newton’schen Gedankenguts in den Überschriften bereits hier zum Nachdenken, wenn nicht zum Zweifeln angeregt. Der berühmteste Teil der Hume’schen Philosophie – die Kausalanalyse – wird nicht im Buch I behandelt, sondern in Buch II (Of the passions). Damit vollzieht er bereits in der Struktur des Traktats eine Weichenstel- lung besonderer Art.

Kausalität wird dem Reich der Ratio erkenntnistheoretisch entrissen und auf die emotionale Subjektebene transferiert. Ebenso wird das Thema der Freiheit und Notwendigkeit den Gefühlen zugeordnet. Schon hier wird also offenkundig, dass Hume diese Begriffe nicht unter den bis dato gängigen Gesichtspunkten zu untersuchen gedenkt.

Lassen wir Teil II als Vertiefung von Teil I außen vor, wird die Logik des Aufbaus von Buch I noch deutlicher. Zunächst betrachtet Hume die Bewusstseinsinhalte allgemein. Auf der Grundlage von Teil III zeigt er die Konstitution von Erkenntnis, um diese selbst im Anschluss wieder argumentativ anzuzweifeln.

91 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 73.

4. Grundlagen 51

Um nun zu Aussagen über die Freiheitsthematik zu gelangen, werden im Folgenden zunächst die Grundlagen aus Teil I kurz dargestellt. Um anschließend den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen noch einmal verifizieren zu können, behandle ich im Anschluss die skeptischen Einwände auf der Grundlage von Teil IV des ersten Buchs.

Buch III des Traktats (Of Morals) behandelt den Einfluss der Gefühle auf den Prozess moralischen Urteilens und dessen natürlicher Verankerung im Menschen. Im Zusammenhang mit der Freiheitsbetrachtung wurde diesem Abschnitt seines Werkes im 18 Jahrhundert wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

4.2.5 Die Bewusstseinsinhalte

4.2.5.1 Impressionen und Vorstellungen

„All the perceptions of the human mind resolve themselves into two distinct kinds, which I shall call Impressions and Ideas.“92

Hume beginnt Teil I des ersten Buchs seines Traktats mit seiner bedeutenden Dichotomie der Perzeptionen in impressions und ideas.

Der Unterschied zwischen beiden ergibt sich ausschließlich93 aus dem

Grad der force und liveliness,94 mit dem sie sich dem Bewusstsein präsentieren. Auf dieser Grundlage allein kann es aber aufgrund von Schlaf, Fieber oder Wahnsinn zu Verwässerungen kommen, weshalb wir gut daran tun, statt einer klar abgegrenzten Definition einen eher graduell dynamischen Ansatz wie in der nachfolgenden Abbildung vorzuziehen:

Impression Idea

Grad der force und liveliness

92 T, Buch I, Teil I, Sek. I, S. 1.

93 Im Verlauf erhalten wir noch weitere Trennungskriterien.

94 T, Buch I, Teil I, Sek. I, S. 1.

4. Grundlagen 52

Abbildung 1: Differenz zwischen Impression und Vorstellung

Um die Unterscheidung weiter zu spezifieren, führt Hume noch zwei weitere Erkennungsmerkmale hinzu:

I. Resemblance-Theorie

Danach besteht „a great resemblance between our ideas and impressions in every other particular, except their degree of force and vivacity.“95

Hume betont hiermit die absolute Identität der Perzeptionen mit dem alleinigen Unterschied in der Kraft und Lebendigkeit ihres Auftretens.

II. Kausalverbindung

„[… ] that all our simple ideas in their first appearance are derived from simple impressions.“96

„The constant conjunction of our resembling perceptions, is a convincing proof, that the one are the causes of the other; and this priority of impressions is an equal proof, that our impressions are the causes of our ideas.“97

I und II zusammengefasst ergeben das grundlegende Programm für

Humes Philosophie.98 Wenn der Gegenstand all unseres Denkens ideas sind, die wir vergleichen oder beliebig zusammenfügen können, wenn diese ideas aber in jedem Falle auf Impressionen beruhen, die wir mittels unserer Sinneswahrnehmung bekommen, erhalten wir ein Postulat für den Empirismus, weshalb die ersten vier Teile des ersten Buchs als Fundierung des ‚empiristischen Prinzips‘ bezeichnet werden können.

95 T, Buch I, Teil I, Sek I, S. 2.

96 T, Buch I, Teil I, Sek I, S. 4.

97 T, Buch I, Teil I, Sek I, S. 5.

98 „This then is the first principle I establish in the science of human nature.“ T, Buch I, Teil I, Sek. II, S. 7.

4. Grundlagen 53

Simple and complex perceptions

„I must make use of the distinction of perceptions into simple and complex.“99

Hume war sich der Tatsache durchaus bewusst, dass die bis hierher entwickelte Perzeptionen-Theorie der Gefahr einer Übersimplifizierung ausgesetzt war. Dabei hatte er vermutlich zwei Gedanken:

1. Aufgrund seiner introspektiven Methode dürfte er schon früh festge- stellt haben, dass wir nur selten einfache und nur einfache Impressio- nen perzipieren. So nehmen wir konkret nicht nur die Impression Rot wahr, sondern sehen diese vielmehr in Verbindung mit einer Form, zum Beispiel einem Apfel.

2. Auch wenn 1. allein noch kein hinreichender Grund für eine Elabo- ration seiner Theorie ist, birgt der Aspekt dennoch ein weiteres Problem in sich, das die Aufteilung in einfach und zusammengesetzt notwendig macht. Wir können uns beispielsweise problemlos ein fliegendes Haus vorstellen, wobei es unwahrscheinlich ist, dass jemand – außer im Wahn – eine entsprechende Impression hat. Daraus folgt nun, dass es eine Instanz zu geben scheint, die auf vorhandene einfache ideas zugreift, und diese beliebig zusammensetzt.

In unserem Beispiel wird also aus den Vorstellungen Haus und Fliegen ein fliegendes Haus gebildet. In weiten Teilen unserer geistigen Aktivi- täten sieht Hume jedoch eine Übereinstimmung auch zwischen kom- plexen Impressionen und komplexen Ideen, die ja Kopien Ersterer sind:

„Impressions [… ] of Sensation and those of Reflexion.“100

Mit dieser Elaborationsformel unterscheidet Hume originäre und deri- vative Impressionen, man könnte sie auch direkt und indirekt bezeich- nen, wobei die Ersteren „from unknown causes“101 entstehen und aus

99 T, Buch I, Teil I, Sek. I, S. 3.

100 T, Buch I, Teil I, Sek. II, S. 7.

101 T, Buch I, Teil I, Sek. II, S. 7.

4. Grundlagen 54 den Sinneswahrnehmungen bestehen, welche wir um uns herum sehen, hören, riechen oder fühlen können.

Mit den „Impressions of Reflexion“ verhält es sich etwas anders. Sie resultieren zu einem hohen Maß aus der Reflexion von bereits Wahrge- nommenem nach folgendem Muster:

Wir nehmen etwas, zum Beispiel Schmerz, mit unseren Sinnen (zum Beispiel mit dem Tastsinn) wahr. Unser Erinnerungsvermögen speichert diesen Eindruck in Form einer Kopie, die wir Vorstellung (idea) nennen. Wenn wir uns nun zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe des Erinne- rungsvermögens die Vorstellung des Schmerzerlebnisses vergegenwär- tigen, den Eindruck des Schmerzes also reflektieren, so nehmen wir erneut, diesmal jedoch reflexiv, den Schmerz als Impression wahr.

4.2.5.2 Erinnerungsvermögen und Imagination

„The faculty by which we repeat our impressions in the first manner [mit einem beträchtlichen Grad an Lebendigkeit], is called Memory, and the other [ohne jede Lebendigkeit] the Imagination.“102

Neben dem oben genannten primären Unterscheidungskriterium nennt Hume noch zwei weitere Kriterien. Erstens sind ideas der Erinne- rung (memory) stärker und lebendiger als die der Imagination, und zweitens ist die Erinnerung ein eingeschränkter fungierendes Vermögen, weil ihre Produkte eine direkte Entsprechung der Impressionen voraussetzt, wobei die Imagination beliebig viele Variationen („the liberty of the imagination to transpose and change its ideas“103) produzieren kann.

Das Vermögen der Imagination und deren zentralen Einfluss auf die Freiheit des Menschen wird in einem der anschließenden Kapitel ausführlich diskutiert. Zum Abschluss dieses Kapitels diene die nachfolgende Grafik einer zusammenfassenden Übersicht:

102 T, Buch I, Teil I, Sek. III, S. 8 f.

4. Grundlagen 55

Perzeptionen T, Buch I, Teil I, Sek. I, S. 2

Impressionen Vorstellungen ebd., S.2 ebd., S. 2 einfach sensorisch reflexiv Erinnerung Imagination ebd., S. 3 ebd., S. 7 ebd., S. 7 ebd., S. 8-9 ebd., S. 8-9

zus.ges. sensorisch reflexiv Erinnerung Imagination ebd., S. 3 ebd., S. 7 ebd., S. 7 ebd., S. 8-9 ebd., S. 8-9

Abbildung 2: Perzeptionen im Überblick

4.2.5.3 Die Relationen

„Es ist offenbar, dass ein Prinzip für die Verknüpfung zwischen den ver- schiedenen Gedanken oder Vorstellungen des Geistes besteht, und dass sie bei ihrem Erscheinen im Gedächtnis (Memory) oder in der Einbil- dungskraft (Imagination) einander in gewissem Grade methodisch und regelmäßig einführen.“104

Hume legt seine Ansicht zu den die ideas verknüpfenden Relationen im 1. Buch seines Traktats in den Abschnitten „Of relations“105 und „Of knowledge“106 dar. Den Auftakt bildet die zugleich kritische Definition des Begriffs der Relation.

Danach unterscheidet man zwei Kategorien:

„Either for that quality, by which two ideas are connected together in the imagination, and the one naturally introduces the other [… ] [… ] or for that particular circumstance, in which, even upon the arbitrary union of two ideas in the fancy, we may think proper to compare them.“107

103 T, Buch I, Teil I, Sek. II, S. 10.

104 E, Abschnitt 3, S. 24.

105 T, Buch I, Teil I, Sek. V, S. 13.

106 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 69.

107 T, Buch I, Teil I, Sek. V, S. 13.

4. Grundlagen 56

Im zweiten Teil des Zitats wird jene Kategorie beschrieben, die wir nur mittels verstandesmäßiger Betrachtung (Denken) erkennen können. Darüber hinaus scheint es aber auch noch (entsprechend der ersten Zitathälfte) Relationen zu geben, deren Erkenntnis sich automatisch einstellt.

Hume prägte für diese „natural Relations“108 den Ausdruck „Assozia- tion109“ oder „Assoziationsgesetze“ und subsumiert drei Relationen:110

1. „Resemblance“ (Ähnlichkeit), 2. „Contiguity in time and space“ (zeit-räumliche Kontingenz), 3. „Cause and effect“ (Ursache und Wirkung).

Weitere philosophische Relationen sind:

4. „Identity“ 5. „Proportion in quantity and number“ 6. „Degrees in any quality“ 7. „Contrariety“

Die nachfolgende Grafik verdeutlicht die Tatsache, dass die natürli- chen Relationen eine Teilmenge der philosophischen sind, nicht aber umgekehrt.

Natürliche Relationen Philosophische Relationen Relationen

Ähnlichkeit Widerspruch Kausalität Identität Kontingenz Quantität oder Zahl Qualitätsunterschiede

Abbildung 3: Relationen im Überblick

108 Traktat, S. 94, 170.

109 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 170.

110 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70; Umkehrschluss aus: „It appears therefore, that of these seven philosophical relations, there remain only four, which depending solely upon ideas.“

4. Grundlagen 57

Zur Verdeutlichung folgt eine weitere Qualifizierung:

„[… ] into such as depend entirely on the ideas, which we compare together, and such as may be chang’d without any change in the ideas.“111

Das hier angedeutete Problem wird anhand eines Dreiecks erörtert. Bei der Vorstellung eines gleichseitigen Dreiecks entdecken wir die Relation der Gleichheit. Diese Relation ist in Verbindung mit der betreffenden Vorstellung unveränderlich. Wir können uns ein gleichseitiges Dreieck nicht widerspruchsfrei als einen Kreis vorstellen. Mit Veränderung der Vorstellung verändert sich auch die Relation. Im

Gegensatz hierzu nennt Hume die Relation der Kausalität.112 Wir kön- nen somit im Umkehrschluss folgern, dass eine externe Relation unab- hängig von der ihr zugrunde liegenden Vorstellung bestehen kann. Für die Kausalität ergibt sich folgendes mögliches Beispiel:

Wir denken an (stellen uns vor) das Zusammenprallen zweier Billard- kugeln. A trifft auf B und verleiht Letzterer entsprechend den physikali- schen Gesetzen Geschwindigkeit und Richtung. Da es sich hierbei um Kausalität und somit um eine externe Relation handelt, ist uns jedoch die Vorstellung möglich, dass B sich genau entgegengesetzt zur vorher beschriebenen Verhaltensweise verhält. Dennoch bleibt die Relation der Kausalität bestehen.

Da im Traktat für diese Unterscheidung keine Terminologie angege- ben wird, übernehme ich die von Topitsch/Streminger113 im deutsch- sprachigen Raum eingeführte Intern-Extern114-Regelung. Intern sind also Relationen, bei denen eine Änderung der Relation eine Ände- rung der Vorstellungen nach sich zieht. Konkret sind dies Ähnlichkeit, Widerspruch, Qualitätsunterschiede und Verhältnisse von Quantität und Zahl. Externe Relationen können für sich allein bestehen, sind also

111 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 69.

112 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 69.

113 Topitsch, Streminger: Hume, aus: Erträge der Forschung, Darmstadt 1981, S. 72.

114 Die Intern-Extern-Dichotomie wird in der angelsächsischen Literatur „Hume’s fork“ genannt.

4. Grundlagen 58 unabhängig von den zugrunde liegenden Vorstellungen. Es sind Kon- tingenz, Identität und Kausalität. In der Abhängigkeitsbeziehung von Relation und Vorstellung sieht Hume die Manifestation „of knowledge and certainty“115. Nur interne Relationen führen also zur gesicherten Erkenntnis.

Abschließend vollzieht er eine weitere, letzte Unterteilung: „Three of these (internal) relations are discoverable at first sight, and fall more properly under the province of intuition than demonstration.“116 Diese

Relationen sind Ähnlichkeit, Widerspruch und Qualitätsunterschiede. Nur einer genaueren Untersuchung zugänglich ist dagegen das Erken- nen von (kleinen) Unterschieden in der Quantität oder Zahl. Hume unterscheidet danach drei Möglichkeiten der Erkenntnis:

I. „[… ] both objects are present to the senses“ II. „[… ] neither of them [objects] is present“ III. „[… ] when only one [object] is present“

Dann gibt er den verschiedenen Arten der Erkenntnisformen eigene Namen:

Dem ersten Tatbestand ordnen wir das Perzipieren zu, das Hume zuvor als „Intuition“117 eingeführt hat. Dieser Form des Erkennens liegt kein aktiver Denkprozess zugrunde, sondern sie ist das schlussfreie Perzipie- ren einer internen Relation. Ebenfalls dem ersten Tatbestand zuzuord- nen ist die einfache Perzeption einer externen Beziehung, bei der dem Perzipierenden also die Vorstellungen und die Relationen gegenwär- tig sind. Demonstration als zweite Form schließlich ist das Erkennen einer internen Beziehung mittels logischen Schlussfolgerns. Die experi- mentelle Gedankenführung als dritte Form (experimental reasoning) ist endlich jene Erkenntnisform, die ausschließlich vermittelst logischen Schließens externe Beziehungen offenbart, wenn also bei einer Veränderung der Relationen die Vorstellungen nicht beeinflusst wird.

115 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

116 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

4. Grundlagen 59

Zusammenfassung

In den besprochenen Teilen des ersten Buchs seines Traktats legt Hume das Fundament für seine Philosophie. Nachdem er die Bewusst- seinsinhalte (perceptions) in Eindrücke (impressions) und (ideas) einge- teilt und diese als Gegenstände jeglicher Denkprozesse qualifiziert hat, fährt er mit der Beschreibung der Beziehungen (relations) zwischen den Vorstellungen fort. Dabei ist wichtig, dass das zentrale Vermögen unseres Geistes diejenige zu sein scheint, die eben jene Beziehungen kreiert bzw. erkennt. Und dies ist das Einbildungsvermögen (Imagination). Die Assoziation der Vorstellungen geht jedoch keinesfalls zufällig vonstatten, sondern folgt streng festgelegten Regeln.

Es steht außer Zweifel, dass Hume in diesen ersten Kapiteln das zentra- le Element des gesamten ersten Buchs (Of the Understanding) erörtert. Dieses findet sich in der Tatsache, dass der Mensch, bevor er über- haupt nur einen einzigen Gedanken fassen kann, Impressionen wahrnehmen muss. Daraus resultiert nun das klare Bekenntnis zum

Empirismus, welches er selbst als „first principle“118 einführt. Mit diesem Bekenntnis emanzipiert er sich vom klassischen Rationalismus zugunsten einer auf Erfahrung begründeten Wissenschaft.

Das „second principle“119 ist ein Postulat für die Freiheit der Einbil- dungskraft, „to transpose and change its ideas“120 nach Belieben. Diese Aussage birgt nun unter dem Aspekt der Freiheit eine erste Schwierigkeit in Form eines Paradoxons. Einerseits betont Hume hier und an anderer Stelle die unbegrenzt scheinende Freiheit des Einbil- dungsvermögens, Vorstellungen miteinander zu vergleichen und zu verbinden. Das Vergleichen von Vorstellungen aber ist genau jener Vorgang, den Hume in Sektion II des ersten Buchs als „All kinds of

117 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

118 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

119 T, Buch I, Teil I, Sek. IV, S. 10.

120 T, Buch I, Teil I, Sek. IV, S. 10.

4. Grundlagen 60 reasoning“121 bezeichnet. Wenn also das Einbildungsvermögen die eigentlich denkende Vermögen unseres Geistes ist, dieses völlig frei vonstatten geht, müsste doch der Geist des Menschen ein freier sein. Dass er dies nicht notwendigerweise ist, werden wir später zeigen. Warum aber dieser offenkundige Widerspruch in diesem kritischen Stadium der Fundamentierung seiner Philosophie?

Die Antwort liegt meines Erachtens im Status der Beschreibungsform des Einbildungsvermögens. Dieses wird nicht absolut beschrieben, also unabhängig vom Kontext, sondern kennzeichnet sich primär in der Gegenüberstellung Vermögen der Erinnerung, dessen primäre Aufgabe in der korrekten Angabe der Reihenfolgen und Positionen

(„order and position“122) der Vorstellungen besteht.

4.2.5.4 Der Skeptizismus

In neuerer Zeit haben sich mehrere Autoren – unter anderem Robert J.

Fogelin123 – bemüht, den Hume’schen Skeptizismus mit dem Naturalis- mus, der sich wesentlich in der Theorie des natürlichen Glaubens manifestiert, zusammenzubringen. Das Ergebnis wurde von John

Rawls124 als der Hume’sche Natur-Fideismus bezeichnet.

Zunächst sind folgenden Arten des Skeptizismus125 zu unterscheiden:

(a) der theoretische im Gegensatz zum normativen Skeptizismus

(b) der erkenntnistheoretische im Gegensatz zum begrifflichen

Skeptizismus

121 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

122 T, Buch I, Teil I, Sek. III, S. 9.

123 Vgl. Robert J. Fogelin: Hume’s Scepticism in the Treatise of Human Nature, London 1985.

124 Vgl. John Rawls: Lectures on the History of Moral Philosophy, Cambridge (Mass.) und London 2000.

125 Vgl. ebd.

4. Grundlagen 61 zu a)

Der theoretische Skeptizismus stellt aus verschiedenen Gründen die Triftigkeit oder Grundlage eines Überzeugungsrahmens oder eines Denksystems in Frage. Nach Auffassung des radikalen Skeptizismus haben die betreffenden Überzeugungen keine gedanklich tragfähige Stütze; sie sind völlig unbegründet. Der gemäßigte Skeptizismus hält sie für weniger gut begründet, als gemeinhin angenommen wird. Im Ge- gensatz dazu verlangt der (vielleicht auf der Basis des theoretischen Skeptizismus ruhende normative Skeptizismus, wir sollten unsere Über- zeugungen überhaupt in der Schwebe lassen; in seinen gemäßigten Formen fordert er, wir sollten ihnen weniger Glauben schenken als üblich. Wer sich an eine Form des normativen Skeptizismus hält, ist ein praktizierender Skeptiker. zu b)

Der erkenntnistheoretische Skeptizismus lässt ein gegebenes System von Überzeugungen zwar als sinnvoll und verständlich gelten, stellt aber die dafür genannten Belege und Gründe in Frage. Der begriffli- che Skeptizismus bestreitet, dass die betreffenden Überzeugungen Sinn haben und verständlich sind. (Zum Teil lag es an dem von Hume gelegentlich geäußerten begrifflichen Skeptizismus bezüglich be- stimmter Vorstellungen, dass der Wiener Kreis in ihm einen Vorläufer erblickte. Hier ist zu beachten, was Hume über Substanz und Eigen- schaften sowie über primäre und sekundäre Eigenschaften sagt.) Um einige Beispiele zu nennen: Humes Skeptizismus in puncto Induktion ist erkenntnistheoretischer Art. Er hat keinen Zweifel daran, dass induktive Schlüsse sinnvoll seien.

In Anbetracht dieser Unterscheidung stellt Rawls Folgendes fest: Hume vertritt offenbar einen theoretischen und erkenntnistheoretischen Skeptizismus, der radikal ist und in keiner Hinsicht abgeschwächt wird. Das ist sein Pyrrhonismus. Nur unsere unmittelbaren Eindrücke und Ideen sind gegen Zweifel gefeit.

4. Grundlagen 62

Humes normativer Skeptizismus hingegen, so Rawls weiter, ist gemäßigt: Es ist eine Teilthese seines psychologischen Naturalismus, dass es nicht in unserer Macht liegt, unsere Überzeugungen durch Akte des Geistes und des Willens zu steuern, denn unsere Überzeugun- gen werden weitgehend durch andere Kräfte, die in unserer Natur liegen, kausal determiniert. Hume macht geltend, wir sollten unsere Überzeugungen nur dann außer Kraft zu setzen versuchen, wenn sie über diejenigen hinausgehen, die von den natürlichen Neigungen (bei ihm Gewohnheit und Vorstellungskraft genannt) erzeugt werden.

Die vorstehende Skizze auf der Basis der Rawls’schen zusammenfas- senden Erörterung dient nicht ausschließlich der Vermittlung einführen- der Bemerkungen zum Hume’schen Skeptizismus, sondern – deshalb gilt ihr besondere Aufmerksamkeit – es deutet sich hier an, was Hume später konkret umsetzt, nämlich die Extrapolation des radikalen Skepti- zismus.

Mit anderen Worten: Was sind die Konsequenzen, wenn man den Skeptizismus nicht nur gegen alle möglichen Urteilsarten richtet, sondern in der letzten Konsequenz gegen sich selbst durchführt, was mit dem Begriff des Metaskeptizismus ausgedrückt wird?

Diese Konsequenz des radikalen Skeptizismus äußert sich in der Ver- zweiflung unseres Autors am Ende des ersten Buchs des Traktats seine Pläne in die Tat umsetzenzu könne. Die Konsequenzen eines Meta- skeptizismus werden weiter unten explizit erörtert, sollen sich methodo- logisch aber als Destillat der nachfolgenden Kapitel über die zentralen

Analysen ausgewählter Abschnitte des Traktats selbstständig heraus- bilden.

5. Drei Analysen 63

5. Drei Analysen

5.1 Grundlagen

Hume wurde in den vergangenen zweihundert Jahren unter vielen verschiedenen Perspektiven gelesen und interpretiert. Dabei spielte der textuale Kontext stets eine entscheidende Rolle für das Ergebnis, was nicht zuletzt in der dialektischen Vorgehensweise Humes begrün- det ist. Der wohl bekannteste Abschnitt des Traktats dürfte die darin vorgenommene Kausalanalyse sein. Gründe hierfür sind unter anderem:

I. Das Element der Gewohnheit wird formuliert und im Verlauf auch elaboriert.

II. Die Rolle der Imagination rückt an eine zentrale Stelle.

III. In der Kausalanalyse werden bereits wichtige Elemente und Bedin- gungen seines Werks überhaupt verarbeitet.

Um der vertikalen Defizienz zu entgehen und dem Anspruch weiter gehende Fundierung des Hume’schen Freiheitskonzepts gerecht zu werden, sollen zur Destillation möglicher Analogien zwei weitere Abschnitte von Hume herangezogen werden, die in dieser Arbeit, mit der Kausalanalyse verbunden, als die erkenntnistheoretische Analyse- Trilogie bezeichnet werden. Die beiden Abschnitte lauten:

I. Die Betrachtung der Außenwelt/Erkenntnistheorie126

II. Die Betrachtung des Selbst/Ich

Warum diese Abschnitte?

Wie nachfolgend zu sehen sein wird, beinhalten diese Quellen sehr ähnliche Argumentationsstrukturen. Eben diese Parallelität soll im Anschluss an die Betrachtung dieser Quellen tabellarisch transparent

126 Bereits hier sei darauf hingewiesen, dass die Außenweltanalyse unter starkem Ein- fluss der skeptischen Betrachtungen in Bezug auf die Sinne erfolgt und aus diesem Grund in meiner Arbeit an späterer Stelle noch einmal in zusammenfassender Form, konkret im Zusammenhang mit dem Glauben erwähnt werden soll.

5. Drei Analysen 64 herausgearbeitet werden, um als Grundlage für weitere Betrachtun- gen dienen zu können. Die Grundbegriffe und Relationen, die schließlich abzuleiten sind, lauten:

I. Glaube II. Verhältnis Glauben – Denken III. Instinkthandlungen IV. Lebenstüchtigkeit von theoretischen Konzeptionen der Realität

5.2 Die Objektanalyse

Die Frage nach dem Status des Objekts ist eines der schwierigsten und komplexesten Kapitel des gesamten Werks. Die Schwierigkeit resultiert aus zwei Aspekten. Erstens entwickelt Hume den Begriff des Objekts nicht am Anfang seiner Philosophie durch axiomatische Definitionen, sondern berührt das Thema an verschiedenen Stellen, ohne jedoch eindeutig Stellung zu nehmen. Darüber hinaus macht er zweitens zunächst scheinbar127 widersprüchliche Aussagen über das Objekt im Hinblick auf seinen ontologischen Status. Genau die Einordnung dieses ontologischen Status ist aber von zentraler Bedeutung für die Einord- nung der Hume’schen Philosophie.

Warum aber ist sie konkret wichtig für die Erörterung des Hume’schen Freiheitsbegriffs? Beim Studium des Gesamtwerks wird dem Leser eine Besonderheit augenfällig. Sie liegt verborgen in der Tatsache, dass Hume nur selten einen Begriff konkret und verbindlich einführt. Er unterlässt es dagegen niemals, bestimmte Begriffe in verschiedene Kontexte eingebettet weiterzuentwickeln. Besonders auffällig scheint

[mir] dies beim Freiheitsbegriff zu sein. Diesem widmet er im Traktat im III. Teil des zweiten Buchs (Of the passions) das Kapitel „Of liberty and necessity“. Der Tenor der klassischen Hume-Kommentatoren resultiert mit einiger Gewissheit jedoch nicht aus der Struktur des Traktats,

127 Diese Widersprüche sind schon allein in der Chronologie begründet, da Hume ja selbst auf dem Wege des Traktats nach eigener Einsicht zunächst am empirischen

5. Drei Analysen 65 sondern eher aus der des Enquiries Concerning Human Understanding, wo Freiheit direkt im Anschluss an die Kausalanalyse diskutiert wird. Diesem Umstand dürfte es zu verdanken sein, dass Humes Terminus der Freiheit ausschließlich vor dem Hintergrund der Kausalität diskutiert wurde. Dieser Modus operandi hatte wiederum zur Folge, dass die im Traktat erheblich aussagekräftigere Position weitgehend unberücksichtigt blieb. Dieses Defizit soll durch die nachfolgenden Kapitel zum ausgeglichen werden.

Wir wissen bisher noch nicht, wo Hume den Platz seiner Perzeptionen innerhalb seiner Philosophie128 sieht. Konkret bedeutet dies, nicht zu wissen, ob Perzeptionen in Berkeley’scher Tradition autonom gegen- über einer ohnehin nicht existenten Außenwelt stehen, ob sie selbst Abbilder von Objekten außerhalb von uns sind bzw. in welcher Verbindung Perzeptionen zu extramentalen Objekten stehen. Die Beantwortung dieser Fragen ist elementar für mein Anliegen:

Zunächst scheint es angebracht, den eigentlichen Gegenstand einer philosophischen Konzeption zu beleuchten. Humes Intention ist die Kartographierung des menschlichen Geistes auf der Grundlage einer experimentellen Methode. Da der Geist in seinem Konzept per defini- tionem auch nur eine Anhäufung vor Perzeptionen ist, besteht – wie ich meine – ohne Zweifel die Forderung nach entsprechender Ausleuchtung des Perzeptionen-Begriffs. Dabei treten zwei unterschiedliche Aspekte hervor:

1. Die Kausalanalyse als bekanntestes Element des Hume’schen Werks lebt im Wesentlichen von der Unterscheidung Perzeption und Objekt bzw. von der Charakterisierung der Kausalität als subjektive Entität, was implizit auch eine entsprechende Charakterisierung der Perzeption als solche enthält. In keinem Fall reicht die Einführung im ersten Buch aus, um ein entsprechendes Verständnis zu gewährleisten.

Prinzip als alleinige Grundlage menschlichen Erkennens scheitert. Lösung dieser Spannung bieten erst die Nachfolgewerke (Abstract, Enquiry).

128 Mögliche Verortungen sind der Phänomenalismus vs. Positivismus vs. Realismus.

5. Drei Analysen 66

2. Für die Beurteilung der menschlichen Freiheit, wie Hume sie vor- nimmt, ist es nicht unerheblich zu wissen, welcher Natur die Garanten geistiger Freiheit sind bzw. welcher Natur mögliche Einschränkungen sind. Anders formuliert gilt es zu klären, ob jene Determinanten der

Freiheit129 extra- oder intramental zu verstehen sind. So resultieren für unser Freiheitsverständnis erhebliche Differenzen eben aus der spezifi- schen Beziehung zwischen Perzeptionen und Objekten.

Schließlich und endlich widmen wir uns dem vierten Teil des ersten Buchs und erhalten Informationen, die Schlüsse über die Konzeption von Humes Philosophie insgesamt, deren Charakterisierung im Hinblick auf epistemologische bzw. ontologische Gewichtungen und deren Verhältnis zu anderen Systemen zulassen; diese auf der Basis der zuvor analytisch explizierten Disputation zur Relation der Perzeptionen gegenüber einer möglichen Außenwelt.

Um nun die Perzeption ausreichend erörtern zu können, kann man sich zweier Ansätze bedienen. Während der erste direkt den entsprechen- den Stellen im Traktat folgt, beinhaltet der zweite eine weiter reichen- de Ergänzung im Rahmen einer dialektischen Betrachtung der Philosophie.

5.2.1 Der 1. Ansatz (textverlaufend)

Nachdem Hume seine Grundsätze entwickelt hat, kommt er zur An- wendung seiner Prinzipien auf bekannte Fragen der Philosophie. Er be- ginnt mit der Kritik an dem Substanzbegriff als eine außerhalb von uns bestehende Entität, die gewissermaßen als Trägermedium (Substrat) verschiedener Eigenschaften besteht. Dieser Begriff wird konform zum empirischen Prinzip als inhaltslos bezeichnet, da der Vorstellung einer Substanz keine Impression zugrunde liegt. Vielmehr seien Ideen von

129 Wenn das nicht selbst schon ein Widerspruch ist.

5. Drei Analysen 67

Substanzen „nothing but a collection of simple ideas“130. Mit dieser Aussage im Hintergrund kommen wir zur folgenden Textstelle:

„The only defect of our senses is, that they give us disproportion’d images of things, and represent as minute and uncompounded what is really great and compos’d of a vast number of parts.“131

Hume scheint mit dieser Aussage zu meinen, dass unsere Sinne uns falsche Perzeptionen von Dingen als außerhalb von uns existierender „things“ liefern können. Denn wenn ein Erkenntnisfehler in der Miss- interpretation zum Beispiel von Größenverhältnissen liegen kann, so setzt dies konsequenterweise „things“ voraus im Gegensatz zu Images. Damit wäre eine krasse Wendung zur bisher proklamierten Ausschließ- lichkeit der Perzeption hinsichtlich dessen vollzogen, was außerhalb von uns besteht. „Things“ können nun einen perzeptionenunabhängi- gen Charakter besitzen (womit Hume seine Metaphysik um eine wei- tere Entität ergänzen würde, deren Möglichkeit er zunächst in Zweifel gezogen hat; konkret: „causes [im Sinne von extramentalen Grundla- gen] of impressions are unknown“).

Das Problem, das sich aus diesen Annahmen ergibt, liegt nun aber nicht in der Tatsache, dass Hume hier eine Ergänzung vornimmt, sondern – und dies scheint einer Vielzahl von Kommentatoren eine zentrale Schwierigkeit zu sein – er würde das mit so viel Leidenschaft eingeführte empirische Prinzip schon hier aufgeben. Dies ist umso fraglicher erstaunlicher, da er in den weiteren Kapiteln immer wieder auf dieses Prinzip zurückgreift. Da Hume in dieser Passage keine weiteren Aussagen macht, bleibt dem Leser nur die Möglichkeit, mit diesem Problem im Gedächtnis und der Hoffnung auf die Aufklärung des Problems mit dem Traktat fortzufahren.

In Sektion V des 2. Teils wird Hume wieder deutlicher:

„[… ] my intention never was to penetrate into the nature of bodies, or explain the secret causes of their operations [… ] Such an enterprize is beyond the reach of human understanding, and that we can never

130 T, Buch I, Teil I, Sek. VI, S. 16.

131 T, Buch I, Teil II, Sek. I, S. 28.

5. Drei Analysen 68

pretend to know body otherwise than by those external properties, which discover themselves to the senses.“132

Obwohl er die Kenntnis der eigentlichen Natur von Objekten für nicht möglich hält, scheint er aber dennoch ein bestimmtes Wissen für plausibel zu halten:

„But at present I content myself with knowing perfectly the manner in which objects affect my senses, and their connections with each other, as far as experience informs me of them.“133

Wir können also zweierlei Kenntnisse über Objekte erlangen: erstens die Art und Weise, in der sie unsere Sinne reizen, und zweitens deren wechselseitige Beziehung.

Diese Aussagen bringen uns der Annahme einer „external world“ einen großen Schritt näher, wobei es stets den Widerspruch zum empirischen Prinzip zu beachten gilt.

Bis hierher können wir zwar kein eigentliches, wahres Wissen über Objekte erlangen, aber die genannten Zitate lassen zweierlei Schlüsse zu: Erstens können wir Wissen haben; entscheidender ist zweitens die Tatsache, dass dieses Wissen überhaupt Objekte bedingt, deren Existenz bis hier im Zweifel steht. Eine konkrete Antwort auf die Frage, ob es nun tatsächlich Objekte unabhängig von uns gibt, ist jedoch nach wie vor nicht gegeben.

Um die nun folgende Auseinandersetzung verständlicher zu gestalten, sei hier eine kurze Zusammenfassung des bisher Gewonnenen voran- gestellt:

Für das Verständnis der Philosophie Humes ist die Einordnung des Objekt-Begriffs von großer Bedeutung. Entsprechend seinem „First Principle“ können wir kein Wissen von Objekten außerhalb von uns erlangen. Dennoch verwendet Hume diesen Terminus immer wieder in einer Weise, die genau diesen Schluss nach sich zieht. Die Ambivalenz dieser Aussagen soll nun gelöst werden.

132 T, Buch I, Teil II, Sek. V, S. 64.

5. Drei Analysen 69

In Sektion VI des 2. Teils des ersten Buchs wird Hume konkret:

„Now since nothing is ever present to the mind but perceptions, and since all ideas are deriv’d from something antecedently present to the mind, it follows that ’tis impossible for us so much as to conceive or form any idea of any thing specifically different from ideas and impressions.“134

Am Ende des 2. Teils des ersten Buchs scheint es Hume ein Bedürfnis zu sein, die wohl auch ihm aufgefallenen Schwierigkeiten seines empiri- schen Prinzips mit einem schließenden Statement zu lösen. Alles, wovon wir Kenntnis erlangen können, sind Perzeptionen und sonst nichts. Man könnte sich an dieser Stelle fragen, was Hume mit der adverbialen Ergänzung „specifically“ meint. Da er diesen Terminus meines Wissens an keiner Stelle näher spezifiziert, dürfte er von untergeordneter Bedeutung zu sein. Was ist nun das entscheidende Ergebnis?

Hume verwirft die Kenntnis einer Außenwelt. Wir müssen hier dem Begriff der Kenntnis schon deshalb besondere Aufmerksamkeit schen- ken, weil dessen Ignorierung zur Parallelisierung Humes mit George Berkeley führt. Dieser negiert nicht die Kenntnis (der Außenwelt), sondern die Außenwelt als Substrat sensorischer Erkenntnis selbst. Hume negiert lediglich die Kenntnis. Der vorangehende Exkurs zeigt, dass Hume in einigen Fällen selbst nicht ganz sicher zu sein scheint, er aber anscheinend zum Wohle seines First Principle einer Konkretisie- rung extern bestehender Entitäten aus gutem Grunde aus dem Weg geht. Für den Menschen besteht dann wiederum parallel zum esse est percipii die Realität in der Perzeption.

Dass diese Unterscheidung in Humes Interesse ist, belegt meines Erachtens die Tatsache, dass er im Traktat mit der Analyse des Kennt- nis- bzw. Wahrscheinlichkeitsbegriffs selbst fortfährt. Kenntnis, so heißt es dort, könne nur von wenigen Bereichen erlangt werden. Um die Be- reiche zu definieren, greift er auf die zuvor im Bereich der Relationen-

133 T, Buch I, Teil II, Sek. V, S. 64.

134 T, Buch I, Teil II, Sek. VI, S. 66

5. Drei Analysen 70 theorie eingeführte, in der Sekundärliteratur öfter als „Humes fork“ bezeichnete Dichotomie zurück. Allein diejenigen Relationen, die abhängig von ihren Ideen sind (Resemblance, Contrariety, Quantity und Quality), enthielten echte gesicherte Kenntnis.

Kausalität, Identität und raum-zeitliche Kontingenz stützen sich auf Glauben. Wie sich dieser Zusammenhang konkret darstellen kann, zeigt er im Rahmen des Ansatzes zur Manifestation der Unmöglichkeit gesicherter Erkenntnis über eine unabhängig von uns bestehende Außenwelt.

5.2.1 Der 2. Ansatz: Perzeptionen im dialektisch-narrativen Kontext

Der Schlüsselbegriff der Perzeptionen wird – entgegen allgemeiner Erwartung – nicht im ersten Buch, Teil I, Sektion I behandelt, sondern dort nur vage eingeführt; die vervollkommnende dialektische Explikation folgt im ersten Buch, Teil IV, Sektionen II-IV und Sektion VII. Um den Gehalt der Hume’schen Perzeption erfassen zu können, müssen wir uns durch einen dialectic struggle mühen, der im vierten Teil des ersten Buchs beschrieben wird. Hume schickt diesem aus ‚drei

Akten bestehenden Stück’ jedoch noch eine zentrale Vorbemerkung voraus, die sich entscheidend auf die Perspektive der Betrachtung auswirkt:

„We may well ask, What causes induce us to believe in the existence of body? but it is in vain to ask, Wether there be body or not? That is a point which we must take for granted in all or reasoning’s.“135

Es spricht einiges dafür, dass es Hume hier um dieselbe psychologische

Notwendigkeit (natural belief)136 geht, die er bereits bei der Auseinan- dersetzung mit den Assoziationsgesetzen als Einschränkung unserer geistigen Freiheit vornimmt. So beschreibt er axiomatisch, dass wir an

135 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 187.

136 In einer Übersetzung von Theodor Lipps (Hamburg 1973) findet sich ergänzend die Anmerkung in einer Fußnote auf Seite 250: Es hat keinen Sinn zu fragen, ob es

5. Drei Analysen 71 eine Außenwelt glauben müssen. Diese Außenwelt selbst zwingt uns aber in keiner physischen Dimension, an dieselbe zu glauben, womit Zwang oder Notwendigkeit intramentaler Natur zu sein scheinen.

Diese Einschränkung – wenn auch intramental oder psychisch – wird jedoch eigenartigerweise von Hume nicht als solche behandelt. Vielmehr scheint er dieses (den Menschen) eigene Denkmuster als Garant für die natürliche, widerspruchsfreie Wahrnehmung zu werten. Diese Art der Interpretation von psychischen Notwendigkeiten kehrt an verschiedenen Stellen seines Werks wieder. Besonders auffallend tritt sie in Kapitel VIII in den Enquiries zutage, wo er unsere Beeinfluss- barkeit durch Lob und Strafe nicht als Freiheitsreduktion, sondern wiederum als Garant für soziales und moralisches Zusammenleben, welches ja gerade effizient scheint, wertet. Es spricht einiges dafür, dass Hume diese Vorgehensweise aus politisch-taktischen Gründen wählt.

Die Verfolgung Andersdenkender entfachte wohl zu Lebzeiten Humes nicht mehr die lebensbedrohende Gefahr, wie sie zur Blüte der spani- schen Inquisition oder in England unter John Knox bestand, vermochte aber immerhin Humes späterer Bewerbung um einen Lehrstuhl in den Weg zu treten.

Zwei Indizien für Humes Bewusstsein hinsichtlich dieser Tatsache finden sich in dem Umstand, dass er erstens seinen diesbezüglichen Überle- gungen in den Enquiries die Aufforderung vorausschickt, Gedanken nicht alleine wegen der Gefahr unbequemer Konsequenzen nicht zu denken und zweitens in der Betonung, dass seine Ausführungen zur Freiheit – hier insbesondere der Determination des Willens – nicht (wie eventuell angenommen kann) atheistische Tendenzen aufweisen, sondern vielmehr und gerade die Grundlage oder Voraussetzung für das klerikale System darstellen, da dieses nur zu bestehen vermag, wenn Menschen beeinflussbar sind, sowohl im Hinblick auf die

Körper oder eine Außenwelt gibt, ob wir daran glauben sollen oder dürfen, da wir in jedem Falle tatsächlich daran glauben und glauben müssen.

5. Drei Analysen 72

Förderung des Guten als auch in der Verhinderung des Bösen. Diese Annahme wird meines Erachtens durch den Umstand bestärkt, dass Hume in einer Zeit lebte, in welcher der breite Teil der Bevölkerung in vehementer Form der Beeinflussung von calvinistischem Gedankengut beeinflusst war. Dies galt auch für den jungen David Hume; daher ist es mehr als wahrscheinlich, dass ihm der Umgang mit wohlbedach- ten, bisweilen zwischen den Zeilen formulierten Aussagen vertraut gewesen sein dürfte.

5.2.3 Das philosophische System als Bedingung der Objekt- analyse

Ich komme nun zur ‚ersten‘ Erläuterung der philosophischen Systeme unter dem Aspekt der Perzeptionen:

„[… ] we may observe a gradation of three opinions, that rise above each other, according as the persons, who form them, acquire new degrees of reason and knowledge. These opinions are that of the vulgar, that of false philosophy, and that of the true.“137

Hume entwickelt diese in Sektion II des IV. Teils des ersten Buchs be- handelten Theorien nicht als eigene Theorien, sondern formuliert und kritisiert diese, um deren Interdependenz zu zeigen. Diese Interdepen- denz ist – wie wir sofort sehen werden – dialektischer Natur.

Bei den drei Systemen handelt es sich um folgende:

I. Common view

II. False philosophy

III. True philosophy

„Whoever wou’d explain the origin of the common opinion concerning the continu'd and distinct existence of body[138], must take the mind in its common situation, and must proceed upon the supposition, that our perceptions are our only objects, and continue to exist even when they are not perceiv’d.“139

137 T, Buch I, Teil IV, Sek. III, S. 222.

138 Ich übersetze body als Körper respektive extramentale Objekte.

139 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 213.

5. Drei Analysen 73

Diese Strategie ist mit Sicherheit kein neu für diesen Zweck entwickelter modus operandi, sondern ein Analogieschluss aus Buch I, Teil I, Sektion I–III, woraus hervorgeht, dass der Ursprung jeglicher geistiger Aktivität zunächst auf der Perzeption von impressions of sensations beruht. Diese Wahrnehmung erfordert nicht die Aktivität des Verstandes und ist somit allen ‚nicht denkenden Menschen‘ immanent.

Mit common, vulgar oder popular nimmt Hume jedoch keinesfalls eine normative Charakterisierung des gemeinen Volkes vor (er bezeichnet auch die Philosophen außerhalb ihres „closets“140 als common), sondern erläutert deskriptiv den Ursprung geistiger Verrichtung. Zur Anreicherung des o. a. Zitats seien zur Vervollständigung zunächst einige weitere den common view beschreibende Zitate genannt:

Zitat 1

„’Tis certain, that almost all mankind, and even philosophers themselves, for the greatest part of their lives, take their perceptions to be their only objects, and suppose that the very being, which is intimately present to the mind, is the real body or material existence.“141

In der vorsichtigen Formulierung Humes wird deutlich, dass der Mensch, der nicht darüber nachdenkt, ob eine Außenwelt existiert, seine Perzeptionen als wahre körperliche Existenz annimmt. Hume stellt dies nicht als eine Tatsache dar, sondern als eine Annahme. Er sieht hier vorsichtig die Identifikation von Perzeptionen mit den realen Kör- pern nicht als gegeben, sondern lediglich die Annahme, dass dies so sei.142

140 „Accordingly we find, that philosophers neglect not this advantage; but imme- diately upon leaving their closets, mingle with the rest of mankind in those exploded opinions, that our perceptions are our only objects, and continue identically and uninterruptedly the same in all their interrupted appearances.“

141 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 206. Hervorhebung von mir

142 Ein Verfahren, welches in der angelsächsischen Sekundärliteratur als „doxastic pathology“ bezeichnet wird.

5. Drei Analysen 74

Zitat 2

„’Tis also certain, that this very perception is suppos’d to have a continu’d uninterrupted being, and neither to be annihilated by our absence, not to be brought into existence by our presence.“143

Das unabhängig von uns existente Dasein der Objekte wird entspre- chend dem common view zu einem solchen gemacht, dass die Außenwelt besteht, bevor wir sie wahrnehmen, und auch über die Wahrnehmung hinaus zu bestehen vermag.

Zitat 3

„The supposition of the continu’d existence of sensible objects or per- ceptions involves no contradiction.“144

Hume konkretisiert also das Problem, indem er zwei Aussagen unter- scheidet:

1. Der Glaube an die „continu'd existence“ (dauerhafte Existenz)

2. Der Glaube an die „distinct existence“ (von uns verschiedene Existenz)

Auf der Basis der beiden oben genannten Thesen und der Offen- legung der Tatsache, dass weder Sinnesvermögen noch Verstand als Ursache für die beiden Aussagen in Betracht kommen, geht Hume nun an die psychologische Fundierung.145

1. Konstanz und Kohärenz bewirken Folgendes: Wir glauben an die dauernde Existenz der Körper.

2. Dieser Glaube erweckt (verursacht) den Glauben an die geson- derte Existenz.

Dafür seien vier zusammenwirkende Prinzipien146 verantwortlich:

I. Das principium inividuationis.

143 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 206 f.

144 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 208.

145 Hume erläutert zuvor Konstanz und Kohärenz. Ich werde darauf im Rahmen der Kausalanalyse zu sprechen kommen.

5. Drei Analysen 75

II. Die Ähnlichkeit unserer unterbrochenen Perzeptionen begründet die Zuordnung von Identität (Gleichheit).

III. Die Neigung147, unterbrochenen Perzeptionen eine ununterbroche- ne Existenz zuzuordnen.

IV. Die Kraft und Lebendigkeit148 dieser Neigung.

Bereits an der Formulierung der Thesen I–III wird die epistemologische Wertung (als Beginn) des Problems absehbar. Hume konkretisiert dies nun wie folgt unter Verwendung eines Sonnenbeispiels:

Wenn wir einen Gegenstand (Sonne) betrachten (es müsste präziser lauten: wenn wir einen Gegenstand einmal perzipieren), begründet dies noch nicht die Identität (Gleichheit), sondern lediglich die Idee der Einheit.149 Wenn wir nun diesen perzipierten Gegenstand ein weite- res Mal perzipieren, entsteht in uns allenfalls die Idee von der Mehrheit, keinesfalls aber von der Identität. Da Einheit und Mehrheit aber nicht kompatibel miteinander sind, schließt Hume aus dem Gesagten auf ein ‚Mittelding‘, die Zeit, denn dann hätten wir zwei Möglichkeiten oder Perspektiven zur Betrachtung eines Gegenstandes. Erstens kön- nen wir einen Gegenstand ohne Unterbrechung über einen bestimm- ten Zeitraum betrachten. Dabei verspüren wir die Identität des Gegenstandes. Wenn wir nun die Betrachtung zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten vornehmen, gibt es zwei Möglichkeiten der Betrachtung:

Einmal hätten wir zwei Perzeptionen von zwei Gegenständen150 zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, also den Tatbestand der Mehrheit erfüllt. Andererseits können wir aber auch an einem Gegenstand bzw,

146 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 198

147 propensity, auch disposition.

148 force and vivacity: Bereits die Verwendung dieser Begriffe deutet auf eine Analo- gie der Relation impression – idea hin.

149 Für eine Identitätsidentifikation müssen drei Grundsätze erfüllt sein: 1. Unveränderlichkeit, 2. Ununterbrochenheit, 3. Wechsel in der Zeit.

150 Zwei Gegenstände, weil wir nicht der Neigung der Identitätsattribution nach- geben.

5. Drei Analysen 76 einer Perzeption die Zeitpunkte ‚entlanggleiten‘ lassen. Dabei ergibt sich hinsichtlich der Vorstellung des Gegenstandes der Tatbestand der Einheit.

Fügen wir nun beide Betrachtungsweisen zusammen, haben wir das gesuchte ‚Mittelding‘ aus Einheit und Mehrheit151 und damit den

Begriff des principium individuationis erläutert.152 Anders formuliert wird die Vorstellung des principium individuationis repräsentiert von der Kombination der Vorstellung eines Objekts mit mindestens zwei Vorstel- lungen von Zeitpunkten.

Mit diesem Schritt fasst Hume Einheit und Mehrheit auf einer epistemo- logischen Ebene, deren Perspektive individuell und subjektiv variabel ist, zusammen. Individuation wird damit analog zur Kausalität aus dem objektiven Unabhängigkeitsstatus heraus und hinein in den Status der Abhängigkeit vom Erleben des betrachtenden Subjekts begriffen, während eine ontologische Ebene in keiner Weise tangiert wird.

Warum täuschen uns unsere ähnlichen Wahrnehmungen dergestalt, dass wir ihnen trotz Unterbrechung Identität zuschreiben?153 Der Gedankengang verläuft wie folgt:

Zunächst reflektieren wir die Beobachtung eines Gegenstandes (bzw. den Prozess einer Perzeption), den wir über einen bestimmten Zeit- raum (t1 – t2) nicht aus den Augen lassen, also ununterbrochen wahr- nehmen. Aus These 1 wissen wir, dass der Geist lediglich eine Verände- rung der Zeit wahrzunehmen braucht und vergleichsweise wenig ‚Mühe‘ investiert.

Allgemein gilt:

P = Perzeption, t = Zeit

151 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 201: unity and number.

152 Problematisch an dieser Lösung bleibt allerdings der diese Passage einleitende Hin- weis darauf, zunächst vom popular view auszugehen, also die Perzeption als iden- tisch zum perzipierten Objekt zu verstehen. Dort existiert meines Erachtens lediglich der Eindruck von der Einheit, wo hingegen der Eindruck von der Mehrheit eher das Resultat unserer Reflexion zu sein scheint.

153 Vgl. T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 202.

5. Drei Analysen 77

Subjekt P(t)

P(t+1)

Hervorzuheben ist hier der Tatbestand der Identität von P, da keine Wahrnehmungsunterbrechung zwischen den Wahrnehmungszeit- räumen besteht, also (t+1)-t = 0 gelten muss.

Diesem Vorgang stellen wir nun die unterbrochene Wahrnehmung gegenüber, also (t+1)-t = 0, und kommen zu:

P1(t)

P2(t+1)

Hier wird deutlich, dass es sich um zwei Wahrnehmungen handelt, da die Wahrnehmung zwischenzeitlich unterbrochen wurde. Der Grund nun, weshalb wir P1 = P2 setzen, resultiert aus einer Verwechslung der Vorstellungen, wobei die Verwechslung auf zwei Ebenen basiert.

Die erste Ebene besteht in der Ähnlichkeit (Resemblance) der Perzep- tionen. Die zweite Ebene ist subtiler und basiert auf der „disposition[154] of the mind“155. Diese Disposition resultiert aus der Erfahrung, dass Ge- genstände sich bei ununterbrochener Betrachtung nicht verändern. Da dies sehr oft der Fall ist, entwickelt sich eine psychogene Geneigt- heit. Betrachten wir unterbrochen einen Gegenstand, so resultiert die Attribution der Identität einmal aus der Ähnlichkeit der Perzeptionen und andererseits aus der beschriebenen Disposition. Genauer wird die zeitliche Unterbrechung ignoriert und im Geist die Zeit zwischen den Perzeptionen so aufgefüllt, dass eine Identität ‚erdichtet‘ wird.

Die so beschriebene These enthält wiederum These und Antithese. Wir sehen einerseits aufgrund der „smooth passage of the imagination“156 in Verbindung mit der daraus resultierenden Identitätsattribution die

154 Die Disposition des Geistes muss und kann nur auf der Grundlage der Begriffe Kon- stanz und Kohärenz vollständig begriffen werden. Da diese Begriffe eine größere Bedeutung für die anschließende Kausalanalyse haben, sollen sie dort eingehend untersucht werden.

155 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 203.

156 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 205.

5. Drei Analysen 78

Existenz eines Objekts äquivalent zur Perzeption. Wir sehen – eher müsste es heißen: erkennen im Sinne von schließen – andererseits auf- grund der unterbrochenen Wahrnehmung mehrere Objekte/Perzep- tionen und schließen somit auf die Pluralität der Objekte.

Identitätsattribution auf der Basis des Gesehenen und damit sinnlich Erfahrenem auf der einen Seite und Pluralität als Resultat einer Ver- standeshandlung auf der anderen sind aber inkompatibel. Philoso- phisch bzw. hier rational handelt es sich um einen Widerspruch157, der für sich selbst keine Konsequenzen auszulösen vermag. Doch genau hier geht Hume ausgesprochen dialektisch vor.

Ausgehend vom popular view – der Perspektive des gemeinen Volkes, die es Hume zufolge stets zu Beginn philosophischer Untersuchungen einzunehmen gelte– haben wir zunächst ein auf Intuition gegründetes Wahrnehmungsvermögen, welches in sich widerspruchsfrei ist. Dem popular view wohnt aber darüber hinaus die Fähigkeit zur Transzen- denz in der Weise inne, dass auch der gemeine Verstand als solcher über ein Reflexionsvermögen verfügt, das in seinem Wirken nicht nur auf die Objekte seiner Perzeption abzielt, sondern auch in der Lage ist, sein Wirken selbst in Frage zu stellen. Und genau dieser Vorgang bringt uns zu einer Antithese (Widerspruch), der eben nicht rationaler Natur ist, sondern als Widerspruch gefühlt zur kognitiven Dissonanz führt. Wie wir dieser Dissonanz158 zu entgehen versuchen, beschreibt die dritte These.

Ohne dem Ergebnis vorzugreifen, sei hier die entscheidende Relevanz dieser Passage für mein gesamtes Anliegen in den Vordergrund geho- ben. Hume erhebt sich nicht in der Weise über den popular view, indem er es negiert oder ablehnt, sondern indem er mit Hilfe unseres Verstandes eine Weiterentwicklung vornimmt. Ich schreibe bewusst ‚Weiterentwicklung‘, da dieser Begriff geeignet ist zur Beschreibung des Umstandes, dass die Grundlage allen Philosophierens die Perspek-

157 contradiction.

158 Hume: perplexity, T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 205

5. Drei Analysen 79

tive des popular view ist und sein muss159 bzw. diese (popular view) enthält. Für denjenigen Betrachter, der zumindest skeptisch einer möglichen Freiheit – gleich welcher Art – gegenübersteht, findet sich im hier von Hume eingeführten psychologischen Zwang ein breites Feld der Zustimmung zur nicht existenten Freiheit, denn was Hume hier beschreibt, nennen wir heute kognitive Dissonanz160 im Sinne einer inneren Zerrissenheit, der wir auf zweierlei Art und Weise zu entkommen versuchen.

Die erste (Hume würde sie wohl die unphilosophische Weise nennen) besteht in der Ignoranz des die Dissonanz verursachenden Sachver- halts. Konkret würde dies beispielsweise für These II eine Minderge- wichtung des rationalen Einflusses bedeuten.161 Diese Ignoranz aber käme der Vorgehensweise gleich, Gedanken nur deshalb nicht zu denken, weil ihre Konsequenz in irgendeiner Form gefährlich (hier dissonanzauslösend) sein könnte, und ist – wie Hume an anderer Stelle expliziert – kein philosophischer Habitus.

Der zweite Weg aus der Dissonanz führt über eine Änderung unserer Haltung; und eben jene Änderung führt er in der dritten These aus. Markant aber ist, dass der zweite Weg (wie auch der erste) kein bewusst gesteuerter Prozess ist, sondern außerhalb des Steuerungsver- mögens unseres Willens162 liegt und damit als exogene Determinante zu begreifen ist.

Um diese Aussage richtig zu verstehen, bedarf es der Erläuterung der Exogenität im Gegensatz zur Endogenität. Als Determinanten setzte ich jene Elemente, die uns –sowohl bewusst als auch unbewusst – in irgendeiner Form mittelbar oder unmittelbar beeinflussen. Dazu gehören u. a. Eindrücke, Motive, Emotionen und Affekte. Die endogenen Determinanten unterliegen unserer bewussten

159 Analogie zur Impression-Idea-Relation und Passionsverstand.

160 Die Dissonanz wird an späterer Stelle eingehend diskutiert.

161 Biografischer Hinweis: Emanzipation vom stoischen System.

162 Ob es so etwas überhaupt geben kann, wird zu prüfen sein.

5. Drei Analysen 80

Beeinflussung und werden somit (zumindest noch jetzt) durch den Willen repräsentiert. Dieser ist beispielsweise der Urheber einer Hand- bewegung.

Der Wunsch, den dissonanten Zustand zu überwinden, kann jedoch nicht parallel zum Ablauf ‚Wille – Handbewegung‘ betrachtet wer- den, da ja der Wille als endogene Determinante ebenso eine gegen- sätzliche Handlung hervorzurufen vermag. Vielmehr ist der Reduktions- drang ein unbewusst und damit exogen determinierter Vorgang.

Dieses Ergebnis wird wiederum gestützt von Humes einleitender An- merkung im Hinblick darauf, dass wir an eine unabhängige Außenwelt glauben müssen. Aus dem Gesagten folgt somit eine epistemologi- sche Gewichtung des Außenweltverständnisses, die jedoch keinesfalls die mögliche Existenz einer Außenwelt verneint.

Überträgt man dieses Ergebnis nun auf die Wahrnehmung, so ergibt sich Folgendes:

Außenwelt im Hinblick auf deren ontologische Qualität ist nicht ergründbar. Die Erkenntnis dieses Unvermögens gilt als Hinweis zur ausschließlichen Untersuchung der Wahrnehmungen, wie Hume sie zu Beginn des Traktats beschreibt. Versucht man dieses Verständnis zu hinterfragen, würde man von einem natürlichen Reflex gehindert, ‚absurden‘ Erkenntnissen, welche aus dem reinen Verstandes- gebrauch resultierten, auch tatsächlich Glauben zu schenken bzw. diese als kontingent zu erleben.

Dieser Reflex nun ist nichts anderes als ein instinktiv verankerter Schutz- mechanismus, vermöge dessen die Natur unsere Überlebensfähigkeit garantiert.

Wir kommen zur Beantwortung der Frage, wie wir nach Hume der kognitiven Dissonanz163 bzw. dem Gefühl der „perplexity“164 oder

163 Vgl. zur humanethologischen Verstärkung sowie zum Nachweis der Aktualität des Hume’schen Psychologismus am Beispiel des Schutzmechanismus F. Festinger: Theorie der kognitiven Dissonanz, Frankfurt 1956: „Die Theorie der kognitiven Disso- nanz läßt sich in eine Reihe von Theorien der so genannten kognitiven Konsistenz

5. Drei Analysen 81

einordnen, denen allen die Annahme gemeinsam ist, daß dem Menschen eine Tendenz zur Reduktion interner Widersprüche bezüglich Kognitionen, Überzeugun- gen und Handeln innewohnt. Im Zentrum der Dissonanztheorie stehen die motiva- tionalen Auswirkungen der Beziehungen zwischen den kognitiven Elementen. Unter kognitiven Elementen werden dabei z. B. Wissensressourcen, Bewertungen oder Überzeugungen im Humeschen Sinne allgemein: Perzeptionen subsumiert. Diese kognitiven Elemente können sich sowohl konsonant wie auch dissonant (oder auch gar nicht) zueinander verhalten. Wie der Name der Theorie schon aussagt, fokussiert sie auf kognitive Elemente, die einander widersprechen. Dies kann man am Beispiel eines Rauchers verdeutlichen: Zum einen weiß der Raucher um die gesundheitlichen Gefahren durch die inhalier- ten Schadstoffe. Auf der anderen Seite weiß er, daß er raucht, bzw. handelt er der Erkenntnis der Gefahr zum Widerspruch. Dieser Widerspruch erzeugt eine kognitive Spannung, auf die der Raucher entweder dadurch reagieren kann, daß er das Rauchen einstellt oder er die Erkenntnis der Gefahr modifiziert, ignoriert oder anders kognitiv verarbeitet. Z. B. wurden bei einer Umfrage Testpersonen danach befragt, ob ihrer Meinung nach der kausale Zusammenhang zwischen Lungen- krebs und Rauchen ausreichend bewiesen sei. Dabei wurde auf verschiedene Rauchergruppen (schwache bis starke Raucher) und eine Nichtrauchergruppe zurückgegriffen. Je mehr die Testpersonen rauchten, desto weniger waren sie von der Evidenz des o. g. Zusammenhanges überzeugt. Offensichtlich gibt es Prozesse, die einsetzen, um kognitive Strukturen, die in Widerspruch geraten, wieder in die Konsonanz zu zwingen, indem z.B. Überzeugungen verändert bzw. Informationen gar vermieden werden. Es gilt also: Wahrgenommene kognitive Dissonanz motiviert dazu, Verhaltenweisen hervorzu- bringen, die Dissonanz vermindern. Die meisten empirischen Befunde zur Theorie stammen weniger aus Feldstudien, sondern eher aus Experimenten, bei denen die Testpersonen angewiesen wurden, ein Verhalten zu zeigen, das sie normalerweise nicht zeigen bzw. als negativ anse- hen würden. Die (so bewertete) Negativität des Verhaltens stand also im Gegen- satz dazu, daß es trotzdem ausgeführt werden musßte bzw. war dissonant zu dem Wissen, daß man das Verhalten gezeigt hatte. Die Prognose war nun, daß Testpersonen die Dissonanz zwischen dem Wissen, daß sie persönlich die Handlung negativ bewerteten, und dem Wissen, daß sie die Handlung ausgeführt hatten, dadurch reduzieren würden, daß sie die Handlung irgendwie rechtfertigten. Diese Typen von Studien werden ‚Erzwungene Einwilligung‘ oder ‚Unzureichende Recht- fertigung‘ genannt. Das klassische Experiment dazu wurde von Festinger und Carlssmith 1959 durchgeführt. Für die traditionelle Motivationsforschung liegt die Relevanz der Dissonanz in An- nahmen, die die Dissonanz als einen Quasitrieb wie etwa Hunger versteht. So kann Dissonanz Verhalten beeinflussen und steuern und ihr Abbau sogar im verhaltens- theoretischen Sinn als Verstärker wirken. Zu der motivationalen Funktion der Disso- nanz gab es Experimente in Verbindung mit den Trieben Hunger und Durst: Vor einem Scheinexperiment wurden Testpersonen gebeten, das Ausmaß ihres Hungers zu beurteilen. Zuvor hatte man sie gebeten, auf Essen zu verzichten. Nach dem Experiment wurden sie gebeten, weiterhin nichts zu sich zu nehmen und spä- ter an einem zweiten Experiment teilzunehmen. Einer Gruppe wurde dafür eine Be- lohnung angeboten, um die Dissonanz zu verringern, der anderen nicht. Danach wurden die Testpersonen erneut gebeten, ihren Hunger einzuschätzen. Die Grup- pe mit der verringerten Dissonanz war im Vergleich zur ersten Evaluation hungriger, die zweite Gruppe, der keine Belohnung zuteil wurde, war weniger hungrig als zuvor. Sicherlich hatte sich nicht der physiologische Mangelzustand geändert, wohl aber die kognitive Repräsentation des Appetits.“

164 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 205.

5. Drei Analysen 82

„uneasiness165 entkommen können. Dafür bedarf es zunächst der Beantwortung zweier Fragen: 1. Warum ist es nicht widersprüchlich für uns anzunehmen, dass Perzeptionen außerhalb ihres Wahrgenom- menwerdens bestehen? 2. Warum verbinden wir nicht das Bewusst- werden einer Perzeption mit dem Erschaffenwerden einer Perzeption?

1.

Der Geist, so Hume, ist eine „heap or collection of perceptions“166. Perzeptionen sind separate und voneinander verschiedene Einheiten. Daraus folgt, dass Perzeptionen, da unabhängig und separat existent, auch ohne wahrgenommen zu werden bestehen können.

2.

Perzeption und Objekt sind identisch; wenn also eine Perzeption unab- hängig vom Geist zu existieren vermag, muss diese Möglichkeit auch den Objekten eingeräumt werden.

Auf der Grundlage dieser Aussagen ist das „Erfinden“167 einer zweiten, durchgängigen Existenz nicht nur ein natürlicher Habitus des Men- schen, sondern auch systemisch kohärent. Für diese Form des Erken- nens unserer Umwelt (double existence) spielt es keine Rolle, ob es tatsächlich Objekte gibt, diese mit den Perzeptionen in Verbindung stehen oder nicht, oder ob die Objekte den Perzeptionen der Zahl nach gleich sind. Vielmehr konzentriert sich Hume hier eindeutig auf den Horizont des Wahrgenommenen, ohne Aussagen über darüber Hinausgehendes zu formulieren.

Hume geht aber noch einen Schritt weiter, indem er zeigt, warum wir nicht nur das Modell der doppelten Existenz imaginär konzipieren, sondern auch daran glauben.

165 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 206.

166 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 207.

167 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 208, Hume: feigning.

5. Drei Analysen 83

Der Glaube besteht aus nichts anderem als der Lebhaftigkeit einer

Vorstellung.168 Eine Vorstellung kann somit durch ihre assoziative Beziehung zu einem Eindruck lebhaft werden. Wenn wir nun die Sonne im Zeitpunkt t0 betrachten, die Augen schließen und im Zeitpunkt t1 erneut die Sonne ‚als Vorstellung‘ betrachten, so geschieht das Folgende: Die Betrachtung t0 ist eine Impression, an die nachfolgend die Vorstellung als Abbild geknüpft wird.

Wenn wir nun später (t2) an die Sonne denken, gleitet die Lebhaftig- keit aus der ursprünglichen (t1) Vorstellung aufgrund der elementaren Ähnlichkeit hinüber zur Vorstellung (t2) und entfaltet demzufolge wiederum Lebendigkeit.

Das so beschriebene Modell enthält nun nicht nur den Schlüssel zum Außenweltverständnis, sondern auch wichtige Hinweise für das Philosophiekonzept Humes.

Ohne diese Berücksichtigung repräsentiert es zum einen eine Abfolge von Widersprüchen, deren Ergebnis zum anderen für die Ursache für eine phänomenalistische Interpretation Humes steht. Mit der entschei- denden Rücksicht offenbart sich ein Konzept, das zweifelsfrei phäno- menalistische Züge aufweist, nicht aber rein phänomenalistisch zu interpretieren ist. Für Hume beginnt Philosophie nicht innerhalb des Geistes autark von einer Außenwelt (womit jeder Anknüpfungspunkt radikaler Konstruktivisten über das Moment der Selbstreferentialität per se ausgeschlossen wird).

Vielmehr entwickelt sie sich auf dem beschriebenen Wege; jedoch – und dies ist entscheidend – ausgehend vom common view (Identitäts- attribution von Perzeption gegenüber dem Objekt der Außenwelt).

168 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 209.

5. Drei Analysen 84

5.2.4 Zusammenfassung

Mit dem ersten Ansatz belegt Hume innerhalb seines empirischen Prin- zips die logische oder formale Nicht-Beweisbarkeit der Außenwelt- existenz. Die Realität, über die der Mensch verfügt, besteht in seinem Perzipieren. Am Ende des II. Teils von Buch I des Traktats scheint ihm die formallogische Argumentation noch nicht auszureichen, was nicht zuletzt den Anlass für eine tiefe Analyse des Grundes unseres Außenwelt-Glaubens bietet.

Hume hat mit der Darstellung seiner Begründung zur Annahme der dauernden Existenz eine Antwort gegeben auf die am Eingang des Kapitels gestellte Frage nach dem zuständigen Vermögen für unseren Glauben an eine Außenwelt bzw. der damit verbundenen Annahmen über dauernde und von uns verschiedene Existenz in der Weise, dass weder allein die Sinneswahrnehmung noch der Verstand für diese ele- mentar metaphysischen Annahmen verantwortlich sind. Vielmehr ist es das Einbildungsvermögen, das in Kombination mit der kognitiven Dissonanz eine Welt fingiert, deren Zustand und Eigenheit eben aus unserer psychischen Struktur resultieren muss. Der Verstandesprozess – hier das Erkennen der Pluralität der Objekte – ist eben nur theoretische Erkenntnis, wenn nicht gestützt von Affekten. Es sind nicht die allein rationalen Widersprüche, die handlungsmotivierend sind, sondern die emotionalen bzw. ratio-emotionalen Widersprüche, welche uns auf dem beschriebenen Weg der kognitiven Dissonanz zur Handlung unterbewusst zwingen.

Aus dem vorstehenden Kapitel gilt es somit zwei zentrale Elemente der Hume’schen Philosophie hervorzuheben:

1.

Einmal wird deutlich, dass Hume sich nur insofern mit einer Außenwelt auseinander setzt, als dies die epistemologische Gewichtung fordert. Anders formuliert ist unsere Vorstellung von der realen Außenwelt eine Extrapolation oder Induktion auf der Grundlage der Perzeptionen, die

5. Drei Analysen 85

– wie wir sahen – widerspruchsfrei oder konsistent ist. Damit manifes- tiert Hume keinesfalls die Nicht-Existenz einer Außenwelt, sondern lediglich unsere Unfähigkeit, dieser über Spekulation hinaus näher zu kommen. Die Welt, mit der wir uns zu beschäftigen haben, ist eben die Welt, die uns einen Zugang erlaubt. Und dies ist die Welt der Perzeptio- nen. Diese Perzeptionen unterliegen bestimmten psychologischen Gesetzen. Dabei wird deutlich, dass Hume analog zum seinerzeit dominierenden Naturwissenschaftler Newton ein eigenes System entwickelte, das aber in vielerlei Weise Parallelen zu Newtons System aufweist. Gravitation ist Assoziation genau so, wie Körper (im Sinne von externen Körpern) Perzeptionen gleichen. Für unser Anliegen sei somit unter dem Hinweis des dialektischen Charakters festgehalten, dass Perzeption und real body identische Zustände sind und sein müssen.

2.

Alle Menschen (auch die Philosophen) haben im natürlichen oder in- tuitiven Zustand gemeinsam, dass sie sich des popular view bedienen. Diese Perspektive ist aber keinesfalls so weit von der wahren Philoso- phie entfernt, wie es zunächst den Anschein haben mag, da sie für Hume zumindest konsistent und vor allem kompatibel zu unserer psychischen Struktur (oder Disposition) ist. Außerdem beinhaltet dieser view offensichtlich die Fähigkeit, sich unter Einsatz des Verstandes selbst skeptisch zu betrachten. In der dialektischen Struktur identifiziert Hume den common view mit der Sinneswahrnehmung. Um den Kreis zu schließen, komme ich nun zu den zwei verbleibenden der drei Formen möglichen Philosophierens nach Hume.

Dem common view gegenüber steht – gewissermaßen als Antithese – die false philosophy, welche durch einen unserer intuitiven Anlage zuwiderlaufenden Phänomenalismus repräsentiert wird. Dieser könne wohl in kühnen Überlegungen (weshalb dieser view dialektisch für den Verstand steht) für begrenzte Zeit gedacht, nicht aber als konkludent gelebt werden, weshalb wir zur true philosophy als Synthese gelangen.

5. Drei Analysen 86

Was aber ist true philosophy oder richtiges Philosophieren im Sinne Humes? Die Beantwortung dieser Frage ist deswegen so schwierig, weil hier eine Parallele zu Humes Biografie gezogen werden. Im Schlusskapitel des Traktats kommt er zu dem Ergebnis, dass aufgrund seiner skeptischen Ausführungen bezüglich der Sinne und des Verstandes keinem der beiden Vermögen zu trauen sei. Allein der Kraft unseres Einbildungsvermögens verdanken wir unsere Auffassung der Außenwelt.169 Mit diesem Ergebnis scheint Hume, dessen zentrales Anliegen es zu jenem Zeitpunkt noch war, die Wissenschaft auf Beobachtung zu begründen, überhaupt nicht zufrieden zu sein:

„I feel myself at present of a quite contrary sentiment, and am more inclin’d to repose no faith at all in my senses or rather imagination“170.

Enttäuscht von der Erkenntnis, dass allein das Einbildungsvermögen für die Triade verantwortlich ist, vertraut er sich bereits hier – zumindest ansatzweise – dem Lauf der Natur an und postuliert, um die Lebens- fähigkeit zu erhalten, Rücksichtslosigkeit und Unachtsamkeit.171 Um zu verstehen, was Hume mit dieser scheinbar äußerst unphilosophischen Attitüde meint, bedarf es der Bildung eines Konstrukts, das ich nachfol- gend als Brücke bezeichnen werde. Diese Brücke verbindet die vagen Ausführungen zur ‚wahren Philosophie‘ im Traktat über den Pfeiler des Abstracts mit den selbstbewussten Ausführungen der Enquiries, die den Glauben – insbesondere den natürlichen, nicht-religiösen Glau- ben – als Fundament der Philosophie manifestieren.

169 Man könnte von einer Triade der Imagination sprechen, da diese maßgeblich unsere Auffassung von der Außenwelt, Kausalität und vom Selbst erzeugt.

170 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 217. Hervorhebung im Original.

171 Hume: Carelessness and in-attention, vgl. T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 217.

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5.3 Ich-Analyse – Zur Ontogenese der Identität

Sektion VI des vierten Buchs ist von herausragender Wichtigkeit für das Verständnis des Traktats überhaupt. Hier konzentriert sich Hume unmit- telbar auf den menschlichen Verstand, der das Hauptsubjekt des gesamten Traktats bildet und im ersten Buch thematisiert wird.

In seiner Struktur findet man Parallelen zur Sektion II. Hume beginnt mit einer kurzen epistemologischen Diskussion, mit der Intention, folgende Frage zu beantworten: „Können wir wissen, dass wir ein Selbst bzw. Identität haben?“ Sein Diskurs führt ihn nicht allein zu einer epistemolo- gischen Konklusion bezüglich unserer Kenntnis eines Selbst, sondern zu einer ontologischen Konklusion bezüglich des Status seiner Existenz selbst. Nachdem diese Probleme diskutiert wurden, kommt er zur psychologischen Frage: „Was führt uns dazu, an ein Selbst zu glau- ben?“ Das Argument verläuft komplex und die Folgerungen sind so neu wie radikal. Davon abgesehen wirken sich die Folgerungen zerstö- rerisch auf seine eigene Theorie aus. Hume fügte eine substantielle Anmerkung zu dieser Sektion hinzu, beginnend mit der Aussage:

„But upon a more strict review of the section concerning personal identity, I find myself involv'd in such a labyrinth, that, I must confess, I neither know how to correct my former opinions, nor how to render them consistent. If this be not a good general reason for scepticism, `tis at least a sufficient one (if I were not already abundantly supplied) for me to entertain a diffidence and modesty in all my decisions. I shall propose the arguments on both sides, beginning with those that induc'd me to deny the strict and proper identity and simplicity of a self or thinking being.“ 172

Was die Gründe für diese Unsicherheit sind und welche Rolle sie für den weiteren Verlauf des Arguments spielen, sollen die nachfolgen- den Ausführungen offen legen.

172 T, Appendix, S. 633.

5. Drei Analysen 88

5.3.1 Das Selbst und das empirische Prinzip

Hume beginnt Sektion VI mit der Bemerkung:

„There are some philosophers. who imagine we are every moment intimately conscious of what we call our SELF; that we feel its existence and its continuance in existence; and are certain, beyond the evidence of a demonstration, both o its perfect identity and simplicity. “173

Entsprechend diesen Philosophen sind wir sicher sowohl der Identität als auch der Simplizität unseres Selbst. Die wichtigste Charaktereigen- schaft dieses Konzepts ist die Identität. Damit meint Hume unsere Annahme, im Verlauf der Zeit ständig ein und dieselbe Persönlichkeit zu besitzen.

Konform zum empirischen Prinzip setzt diese Vorstellung eines Selbst zunächst den Eindruck eines Selbst voraus.

„It must be some one impression, that gives rise to every real idea. But self or person is not any one impression, but that to which our several impressions and ideas are suppos'd to have a reference“174.

Haben wir also keinen Eindruck von einem Selbst, können wir notwendigerweise auch keine Vorstellung von einem Selbst haben. Da sich das Selbst aber nicht durch einen Eindruck repräsentiert, könne konsequenterweise auch keine solche Vorstellung vorhanden sein. Damit beantwortet Hume die epistemologische Frage „Können wir überhaupt Wissen über unser Selbst haben?“ negativ. Diese skeptizistische Aussage ist eine Folge der Anwendung des 1. empirischen Prinzips.

173 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 251, Hervorhebung im Original.

174 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 251.

5. Drei Analysen 89

Hume und seine Perzeptionen

Hume beginnt seine positive Theorie des Selbst und seiner Relation zu Perzeptionen mit einer Reihe von Aussagen über die Perzeptionen selbst.

„All (our particular perceptions) are different, and distinguishable, and separable from each other, and may be separately considered, and may exist separately, and have no need of any thing to support their existence.“ 175

Der zentrale Punkt dieser Aussage ist die Unabhängigkeit der Perzep- tionen. Sie sind unabhängig auf zwei Arten:

1. Sie sind verschieden, unterscheidbar und separat.

2. Sie benötigen nichts, was ihrer Existenz zugrunde liegt.

Beide Charakteristika sind wichtig für unser Verständnis des Hume’schen Selbst. Er fährt fort mit der positiven Analyse des Selbst via Introspektion:

„For my part, when I enter most intimately into what I call myself, I always stumble on some particular perception or other, of heat or cold, light or shade, love or hatred, pain or pleasure. I never can catch myself at any time without a perception, and never can observe any thing but the perception. When my perceptions are removed for any time, as by sound steep; so Iong am I insensible of myself, and may truly be said not to exist. And were alt my perceptions removed by death [… ] I should be entirely annihilated, nor do I conceive what is farther requisite to make me a perfect non-entity.“176

Diese interessante Passage verlangt einige Aufmerksamkeit. Hume be- schreibt ein Gedankenexperiment, das wir alle durchführen können. Während er es ausführt, stellt er fest, dass alle Bewusstseinszustände aus Perzeptionen bestehen. Die Betrachtung seines eigenen Bewusst- seins enthält dieselben Kenntnisse und Erfahrungen wie bei der Betrachtung der restlichen Welt. Ich überprüfe dieses Verfahren nicht auf seine Korrektheit, da, wenn ich zu einem anderen Ergebnis käme,

175 T, Buch I, Teil IV, Sek. III, S. 221.

176 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 252

5. Drei Analysen 90

Hume antworten könnte, dass dies aufgrund der Tatsache erfolgte, dass ich eine andere Person sei.

„If any one upon serious and unprejudiced reflexion, thinks he has a different notion of himself. I must confess I can reason no longer with him. All I can allow him is, that he may be in the right as well as I, and that we are essentially different in this particular.“177

Humes Experiment der Introspektion wirft eine weitere Frage auf: Wenn er den Prozess der Introspektion beschreibt, geht er davon aus, dass analog zur Betrachtung eines außerhalb von uns liegenden Gegenstandes eine Subjekt-Objekt-Beziehung konstituiert wird. Das Objekt sind die Perzeptionen, das Subjekt ist er selbst. Ohne eine solche Beziehung könnten Perzeptionen überhaupt nicht existieren. Kann das Selbst nun als perzipierender Betrachter mit dem Bewusst- seinszustand, den es betrachtet, identifiziert werden, oder ist dieser Bewusstseinszustand eine externe Entität? Hume beantwortet diese Fragen in den folgenden Absätzen. Hume zieht aus seinem Experiment zwei Schlüsse: zum einen dass er nach seinem Tode aufhört zu existieren, und zum anderen gilt dies analog, wenn er schläft. Wir hätten sicherlich weniger Probleme mit der Zustimmung zur ersten als zur zweiten Folgerung.

Wenn Hume sagt, wir hören beim Schlafen auf zu existieren, kann dies auf zweierlei Weise interpretiert werden: Entweder ist die Existenz der Perzeptionen eine notwendige Bedingung der Existenz oder die Perzeption ist identisch mit der Existenz.

Obwohl bei beiden Interpretationen unsere Existenz mit dem Schlaf endet, setzt die erste eine Trennung zwischen Perzeption und Selbst voraus, die zweite nicht. Diese Einstellung legt die Annahme nahe, dass der Zustand des Schlafens vergleichbar ist mit dem des Todes. Wenn dieser ‚kleine Tod‘ tatsächlich eine Lücke in der Existenz unseres Selbst darstellt, so können wir uns doch fragen, warum wir nach dem Wiedererwachen annehmen, dass das erwachte Selbst dem Selbst

177 T, Buch I, Teil IV, Sektion VI, S. 252.

5. Drei Analysen 91 vor dem Schlaf verbunden ist. Konkret handelt es sich bei dem Selbst um ein und dasselbe Selbst oder um verschiedene Selbst[e].

„There is properly no simplicity in (the self or mind) at one time, nor identity in different (times).“178

Der entscheidende Punkt ist hier Humes Verleugnung seiner eigenen Identität. Was hat diese Verleugnung zu bedeuten? Zunächst – und dies dürfte für die Mehrzahl der Leser seiner Zeit gegolten haben – drängt sich Befremden auf. Wenn Hume nach dem Schlaf ein anderer ist als zuvor, könnten wir auch behaupten, dass der Traktat – geschrie- ben über einen Zeitraum von drei Jahren – quasi von einer Vielzahl von Autoren (Humes) verfasst wurde. Dennoch ist es an dieser Stelle nicht zweckdienlich dieser Frage genauer nachzugehen, sondern sich eher auf seine Theorie selbst zu konzentrieren. Es stellt sich die Frage, ob Hume hier eine Unterscheidung beabsichtigt, die er wenige Seiten später (S. 257 f.) zwischen numerischer (numerical) und spezifischer (specific) Identität vornimmt. Ist er nach dem Schlaf also zwar nume- risch nicht identisch, nach wie vor aber spezifisch? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es der Erklärung seiner Unterschei- dung. Er schreibt:

„Tho we commonly be able to distinguish pretty exactly between numerical and specific identity, yet it sometimes happens, that we con- found them [… ] Thus a man, who hears a noise, that is frequently inter- rupted and renewed, says, it is still the same noise; tho ’tis evident the sounds have only a specific identity or resemblance.“179

Dass Hume nicht einmal seine spezifische Identität über die Lücken des Bewusstseins retten kann, ist aus mindestens zwei Gründen ersicht- lich. Um sagen zu können, dass sein Bewusstsein vor dem Schlaf dem danach gleicht, müsste er in der Lage sein, sich des Bewusstseins vor dem Schlaf bewusst zu werden. Dies aber ist unmöglich. Wie er in Sektion V von Teil III schreibt, ist es nicht möglich, vergangene Eindrü-

178 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 253.

179 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 257 ff.

5. Drei Analysen 92 cke ins Bewusstsein zu rufen, um diese mit unseren aktuellen Vorstellun- gen zu vergleichen.

“For tho' it be a peculiar property of the memory to preserve the original order and position of its ideas, while the imagination transposes and changes them, as it pleases; yet this difference is not sufficient to distinguish them in their operation, or make us know the one from the other; it being impossible to recal the past impressions, in order to compare them with our present ideas, and see whether their arrangement be exactly similar. “180

Darüber hinaus hält er es generell für unmöglich, grundsätzlich ver- gangene Perzeptionen jedweder Art mit aktuellen Perzeptionen zu vergleichen. Dieser Punkt ist deshalb besonders wichtig, da Hume, wie zu sehen ist, ja gerade sein Selbst mit seinen Perzeptionen identifiziert.

Weiterhin muss betont werden, dass – mit wenigen Ausnahmen – die Natur einer Perzeption im Schlaf nicht der einer Perzeption im Wachzu- stand vergleichbar ist. Demzufolge ist die Bedingung der spezifischen Identität, die Hume beispielsweise an der Darstellung wiederholter Geräusche zeigt, nicht erfüllt. Da er seine Perzeption ist, folgt aus dem Umstand, dass diese sich unterscheiden, dass er sich ebenso unterscheidet. Er ist nicht der gleiche Hume nach dem Schlaf, der er vor dem Schlaf war.

Kommen wir zu dem Satz zurück, mit dem Humes eigentliches Gedan- kenexperiment begann.

“When I turn my reflection on myself, I never can perceive this self without some one or more perceptions; nor can I ever perceive any thing but the perceptions.”181

Aus der Form des Satzes (wenn ich mich… ) geht klar hervor, dass er eine Betrachter-Betrachteter-Beziehung beschreibt. Der Betrachter ist das Ich und das Objekt der Betrachtung das Selbst. In dieser Situation

180 T, Buch I, Teil III, Sek. V, S. 85, eigene Übersetzung. Grund: Rufe ich eine vergange- ne Impression in mein Bewusstsein, ist diese dort eben nicht mehr als Impression vorhanden, sondern als Abbildung im Sinne einer Vorstellung gegenwärtig.

181 T, Appendix, S. 634

5. Drei Analysen 93 sind also Subjekt und Objekt der Betrachtung ein und dasselbe (Selbst). Beim Akt der Introspektion betrachtet Hume sich selbst.

Schließlich folgert er, dass das betrachtete Selbst – verstanden als etwas, das zeitliche Kontinuität enthält – nicht existiert. Aus diesem Grunde kann das Ich oder Hume selbst als Betrachter ebenso nicht zeitlich kontinuierlich bestehen.

Diese Folgerung wirft ein Problem auf. Wenn es keine Entität außerhalb der Bewusstseinsinhalte gibt, die dem Ich zugeordnet ist, scheint es nichts (und niemanden) zu geben, das (bzw. der) das introspektive Experiment durchführen könnte. Wie kann dann das Experiment stattfinden?

Oder aber es zeigt sich lediglich, dass jemand, der dieses Gedanken- experiment denkt und dabei glaubt, das Experiment enthalte einen Betrachter im Sinne einer außerhalb unseres Bewusstseins liegenden Entität, einen Fehler begeht, da eine solche Entität nicht existent ist. Damit ist das Problem noch immer offen. Was (bzw. wer) perzipiert das Bewusstsein?

Zwei Metaphern

Hume beschreibt den Zustand des Selbst im Rahmen der Bündel- Metapher (bundle-theory) und mit der Metapher der Akteure (actors). Er sagt nicht, warum er zwei Metaphern verwendet. Aber bei näherer Betrachtung ist offensichtlich, dass deren Unterscheidung einen essen- tiellen Aspekt repräsentiert.

Erste Metapher

Hume beginnt seine Ausführungen zur Bündel-Theorie:

„Butt setting aside some meta-physicians (who claim to perceive them- selves), I may venture to affirm of the rest of mankind, that they are nothing but a bundle or collection of different perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and are in a perpetual flux and movement.“182

182 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 253.

5. Drei Analysen 94

Hume benutzt die Wörter „collection“ und „bundle“ hier offensichtlich] synonym. Individuelle Persönlichkeiten sind deshalb verschieden voneinander, weil die Bündel voneinander verschieden sind. Es ist ein Grundprinzip seiner Philosophie, dass individuelle Perzeptionen unterscheidbare und voneinander unabhängige Existenzen haben. Da diese Existenzen in Bündeln erscheinen, muss es etwas geben, was sie bündelt. Ich komme später darauf zurück.

Zweite Metapher

„The mind is a kind of theatre, where several perceptions successively make their appearance; pass, re-pass, glide away, and mingle in an infinite variety of postures and situations. There is properly no simplicity in it at one time, nor identity in different; whatever natural propension we may have to imagine that simplicity and identity. The comparison of the theatre must not mislead us. They are the successive perceptions only, that constitute the mind; nor have we the most distant notion of the place, where these scenes are represented, or of the materials, of which it is composed.“183

Die Metapher wäre einfach zu interpretieren, würde Hume nicht direkt im Anschluss an ihre Einführung nicht eine elementare Korrektur vornehmen. Das Selbst sei ein Theater, in dem Perzeptionen die Akteure darstellen. Damit sind die Akteure synonym zu den Bündeln der ersten Metapher zu verstehen. Das Selbst oder Theater wird als eine Entität, unterschiedlich von den Perzeptionen oder Akteuren, dargestellt. Das Selbst oder Theater hält die Perzeptionen-Bündel oder Akteure zusammen. Innerhalb der Metapher entfernt Hume jedoch das Theater. Von einem Theater (Selbst), das Schauspieler (Perzeptionen) beinhaltet, zu sprechen ist falsch, da es ja nach Hume eine solche Entität nicht gibt. Allein existieren Schauspieler oder Perzeptionen selbst. Nichts hält diese zusammen; sie folgen einfach aufeinander im Laufe der Zeit. Wie Hume sagt: „They are the successive perceptions only that constitute the mind.“184 Außerdem haben wir, so Hume, keine Vorstellung von dem Ort, wo die Szenen spielen.

183 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 253.

184 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 253.

5. Drei Analysen 95

Es ist offensichtlich, dass die beiden Metaphern entscheidend vonein- ander abweichen. Es gibt keine Bündel, da es nichts gibt, was die Bündel bündeln könnte. Sie sind vollständig separat zu betrachten. Die Wichtigkeit seiner Korrektur kann an einer seiner daraus folgenden Konsequenzen deutlich gemacht werden. Es geht um das Prinzip der Individuation. Wenn wir an ein Selbst (A) als ein Bündel von Perzeptio- nen denken, können wir es differenzieren von einem anderen Selbst (B) mit einem anderen Bündel von Perzeptionen. Solange die Bündel separat existieren, können wir von einer Pluralität des Selbst individuell verschieden voneinander sprechen. Mit der Metapher der Schauspie- ler jedoch verlieren wir jedes Prinzip der Individuation. Da Perzeptionen nicht Inhalte irgendeines Selbst sind und nichts haben, das sie bündelt, gibt es kein Theater, in dem Schauspieler auftreten können – wir haben keine Möglichkeit, das Auftreten der Perzeptionen im Ablauf zu unterscheiden. Stattdessen sind alle Perzeptionen gewissermaßen gleichberechtigt heimatlos. Damit kann Hume nicht unterscheiden zwischen sich selbst und irgendjemandem sonst. Auch niemand ande- res kann dies. Wir alle sind ununterscheidbare Inhalte eines Ablaufs von Perzeptionen, sonst nichts.

Nachdem beide Metaphern dargelegt sind, kann man sich fragen, welche Metapher die Vorstellung Humes vom Selbst besser repräsen- tiert. Egal wofür man sich entscheidet, in beiden Fällen ist das Selbst lediglich als ein terminus technicus seiner Philosophie zu verstehen.

Glaube an das Selbst

Den beiden Metaphern folgend, wandte Hume seine Aufmerksamkeit von der Natur des Selbst den Gründen zu, warum wir überhaupt an ein Selbst glauben. Sein Ziel ist die Erklärung, wie die Imagination uns determiniert, eine reale Entität, die wir Selbst nennen, annehmen zu müssen. Wie bei seiner Auffassung bezüglich der Körper geht er davon aus, dass alle Menschen diesen Glauben teilen.

„What then gives us so great a propension to ascribe an identity to these successive perceptions, and to suppose ourselves possest of an

5. Drei Analysen 96

invariable and uninterrupted existence through the whole course of our lives?“185

Seine Argumentation beginnt Hume mit der Identität, die wir Pflanzen und Tieren zuschreiben, da es eine große Analogie zu unserer

Selbstidentität gebe186 (253). Meines Erachtens wäre diese Erklärung sinnvoller in den Sektionen II oder III eingeführt worden, wo er sich unmittelbar mit dem Glauben an die dauerhafte Existenz von Körpern beschäftigt. Ich werde die Parallelen zusammenfassend an anderer Stelle ausführlich darlegen. Gleich zu Beginn der Außenwelt-Diskussion weist er auf einen Fehler hin, wenn wir den Objekten eine eigenständige Identität zuweisen. Der Fehler resultiere aus dem Vorgehen der Imagination.

„Thus we feign the continued existence of the perceptions of our senses, to remove the interruption (in them); and run into the notion of a soul, and self, and substance, to disguise the variation.“187

Wenig später kommt er in der Zusammenfassung der Sektion noch einmal zu folgender Beschreibung:

„Our chief business, then, must be to prove, that all objects, to which we ascribe identity, without observing their invariableness and uninter- ruptedness, are such as consist of a succession of related object.“188

In der Anwendung dieser Aussage auf das Selbst bestätigt Hume, dass unser Glaube an das Selbst ebenso unbegründet sei. Wir sind tatsäch- lich nur eine Abfolge von miteinander in Beziehung stehenden Perzep- tionen. Dies führt aber zu der Frage, was die miteinander in Beziehung stehenden Perzeptionen in Beziehung setzt.

Bevor er diese Frage beantwortet, entwickelt er sein Argument bezüg- lich der körperlichen Identität, das er schließlich als Analogieschluss auf das Reich des Selbst überträgt. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen numerischer und spezifischer Identität. Man betrachte ein

185 T, Buch I, Teil IV, Sek.VII, S. 253.

186 Vgl. T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 253.

187 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 254.

188 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 255

5. Drei Analysen 97

Geräusch, das unverändert über einen Zeitraum besteht, und erhält numerische Identität. Anschließend betrachte man ein ähnliches Geräusch, das unterbrochen und dann wiederholt wird. Dieses bezie- hungsweise diese haben spezifische, nicht aber numerische Identität. Jedoch verwechseln wir – und dies ist Humes Anliegen – aufgrund der Ähnlichkeit der Perzeptionen diese und schreiben ihnen numerische Identität zu, obwohl lediglich spezifische Identität vorliegt. Ein Fehler, den Hume eindeutig de Vermögen der Imagination zuschreibt. Der nächste Schritt des Arguments liegt in der Übertragung dieser Schlüsse auf das Selbst, wo wir ebenfalls zwischen numerischer und spezifischer Identität sowie unserer Geneigtheit, diese miteinander zu verwechseln, unterscheiden.

Dann wird Hume konkret: „We now proceed to explain the nature of personal identity.“189 Diese Aussage ist missverständlich, da Hume sich nicht wirklich mit der Natur der Identität beschäftigt, weil eine solche nachgewiesenermaßen nicht besteht.

Später schreibt er: „The identity, which we ascribe to the mind of man, is only a fictitious one.“190

Es geht vielmehr um die Frage: Was veranlasst uns, an die besagte Identität zu glauben?

Humes Analyse ist, wie zu erwarten, psychologischer Natur. Noch einmal sei daran erinnert, dass wir nach Hume bereits erwiesener- maßen kein Selbst haben. Um an eine Existenz glauben zu können, müssen wir eine Vorstellung haben. Haben wir eine solche nicht, können wir notwendigerweise auch nicht daran glauben.

Hume macht zwei Aussagen: Entweder sind die verschiedenen Perzeptionen, aufgrund deren sich das Selbst bildet, miteinander verbunden, um eine reale Identität zu bilden, oder diese Perzeptionen werden lediglich von der Imagination miteinander verknüpft.

189 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 259

190 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 259.

5. Drei Analysen 98

„As, notwithstanding this distinction and separability (of perceptions), we suppose the whole train of perceptions to be united by identity, a question naturally arises concerning this relation of identity; whether it be something that really binds our several perceptions together, or only associates their ideas in the imagination.“191

Hume verwirft die Möglichkeit der ersten Alternative unmittelbar mit der Aussage:

„This question we might easily decide, if we would recollect what has been already, proved at large, that the understanding never observes any real connexion among objects [… ] For from thence it evidently follows, that identity is nothing really belonging to these different perceptions, and uniting them together; but is merely a quality, which we attribute to them, because of the union of their ideas in the imagination.“192

Nachdem Hume gezeigt hat, wie die Imagination mit Hilfe der Assoziation von Vorstellungen die Identität des Selbst konstituiert, verweist Hume darauf, auf welchem Wege dies geschieht. Er verwendet dafür die zwei Relationen Ähnlichkeit und Kausalität. Diese seien die vereinigenden Prinzipien der vorgestellten Welt.193 Maßgebend für diese Relationen ist ihre Fähigkeit, einfache Übergänge von Vorstellungen zu ermöglichen. Von entscheidender Bedeutung ist hier die Tatsache, dass die Relationen selbst Perzeptionen nicht verknüpfen, sondern lediglich dem Verstand eine solche Verknüpfung vereinfachen. Die zentralen Vermögen, die hier angesprochen werden, sind somit lmaginationen und Erinnerung.

Im Fortgang des Arguments erklärt er, wie diese beiden Relationen den einfachen Übergang der Vorstellung ermöglichen.

Ähnlichkeit

„Suppose we could see clearly into the breast of another, and observe that succession of perceptions, which constitutes his mind or thinking principle, and suppose that he always preserves the memory of a considerable part of past perceptions; it is evident that nothing could

191 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 259.

192 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 259 ff.

193 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 260.

5. Drei Analysen 99

more contribute to the bestowing a relation on this succession amidst all its variations.“194

Psychologisch passiert Folgendes: Wir perzipieren eine Abfolge von Perzeptionen und erinnern uns daran, dass viele einander gleichen. Sammeln wir diese Perzeptionen, wird es für die Imagination einfach, von der einen zur anderen überzugehen und somit ein kontinuierlich bestehendes Objekt bzw. Perzeption anzunehmen. Tatsächlich han- delt es sich aber nur um eine Abfolge von unterschiedlichen Perzep- tionen, die wir aufgrund des soeben geschilderten Prozesses als Selbst bezeichnen.

„Must not the frequent placing of these resembling perceptions in the chain of thought, convey the imagination more easily from one link to another, and make the whole seem like the continuance of one object?“195

Hume beendet seine Diskussion bezüglich der Ähnlichkeit mit dem Unterstreichen der zentralen Rolle des Erinnerungsvermögens.

„The memory not only discovers the identity, but also contributes to its production, by producing the relation of resemblance among the perceptions.“196

Kausalität

„As to causation; we may observe that the true idea of the human mind, is to consider it as a system of different perceptions or different existences, which are linked together by the relation of cause and effect, and mutually produce, destroy, influence, and modify each other. Our impressions give rise to their correspondent ideas; and these ideas in their turn produce other impressions. One thought chases another, and draws after it a third, by which it is expelled in its turn.“197

Diese Aussage halte ich für sehr wichtig, weil sie eine Entscheidung für die an früherer Stelle erwähnte Bündel-Theorie enthält. Das Selbst ist ein ‚System‘, das mittels der Relation der Kausalität, durch die eine Vorstellung der anderen folgt, konstituiert wird.

194 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 260.

195 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 260.

196 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 260.

197 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 261.

5. Drei Analysen 100

„As memory alone acquaints us with the continuance and extent of this succession of perceptions (our mind), it is to be considered [… ] as the source of personal identity. Had we no memory, we never should have any notion of causation, nor consequently of that chain of causes and effects, which constitute our self or person.“198

In seiner Aussage, dass das Erinnerungsvermögen allein die Quelle der persönlichen Identität sei, geht es Hume um zwei Aspekte:

1. Hätten wir keine Erinnerung an die Vergangenheit, könnten wir kein Bewusstsein unserer selbst haben, das im Zeitkontinuum besteht.

2. Das Erinnerungsvermögen ist die notwendige Bedingung für unsere Erkenntnis kausaler Relationen. Hier finden wir ein zentrales Element seiner Vorstellung von der notwendigen Verknüpfung, konkret so, dass diese im Rahmen eines regularitätstheoretischen Ansatzes die Erinne- rung vergangener, wiederholter Erfahrungen bedingt. Um nun aber genauer zu zeigen, wie das Erinnerungsvermögen die Aufgabe der Identitätsbildung erfüllt, müssen wir dessen Natur präziser betrachten. Diese Betrachtung haben wir in diesem Kapitel bereits vollzogen und können mit einem ausführlichen Zitat Humes zusammenfassend schließen:

„It is, that the identity, which we attribute to the human mind [… ] is not able to run the several perceptions into one, and make them lose their characters of distinction and difference, which are essential to them. It is still true, that every distinct perception, which enters into the composition of the mind, is a distinct existence, and is different, and distinguishable, and separable from every other perception, either contemporary or successive. But, as [… ] we suppose the whole train of perceptions to be unites by identity, a question naturally arises concerning this relation of identity; wether it be something that really binds our several perceptions together, or only associates their ideas in the imagination“199.

„This question we might easily decide, if we would recollect what has already been proved at large, that the understanding never observe any real connexion among objects, an that even the union of cause and effect [… ] resolves itself into a customary association of ideas. For from thence it evidently follows, that identity is nothing really belonging to these different perceptions, and uniting them together“200.

198 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 261 ff.

199 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 259 ff.

200 T, Buch I, Teil IV, Sek. VI, S. 259.

5. Drei Analysen 101

Aus dem so Beschriebenen kann man mit einiger Gewissheit folgern, dass Hume zur Einordnung seines Selbst kaum die Bündel-Theorie aufrechterhalten kann – ist diese doch mit zu vielen Attributen eines Selbst im klassischen Sinne verbunden.

Primär handelt es sich um die Aussichtslosigkeit, auf der Grundlage seiner empirischen Prinzipien mehr als Perzeptionen in Abfolge zu erkennen. Die Metapher der Schauspieler, die auf einer Bühne auf- und abtreten, wird damit für ihn und konsequenterweise für mich die Grundlage unserer Selbst-Auffassung bzw. Selbst-Erkenntnis. Beim dem Begriff des Selbst ist somit stets der Begriff der Perzeption. [als Synonym] mitzudenken, um Missverständnissen vorzubeugen.

Betrachtet man nun die Ausführungen über das Ich, so mag man nun die Verzweiflung eines 28-Jährigen auf der Suche nach seiner Identität nachvollziehen können. Es fällt in diesem Kontext allerdings schwer, die Frage zu beantworten: Warum fortfahren mit dem Thema der Hume’schen Freiheitsauffassung, wenn doch schon das angebliche Subjekt der Freiheit Humes empirischer Vorgehensweise zum Opfer fällt?. Den beiden Analysen (Selbst und Objekt) ist gemeinsam, dass deren Gegenstand dem Hume’schen Skeptizismus zum Opfer fällt. Weiterhin kann der Leser die Verzweiflung Humes, der sich über die Konsequenzen seiner skeptischen Gedanken zu Beginn des Traktats selbst nicht bewusst war, beinahe spüren. Und doch gibt es einen Hinweis im Text, der eine Lösung verspricht

Dieser Hinweis nun liegt in der Kombination innerhalb der Verwendung der ihm eigenen Terminologie. Dort findet sich stets das Element der Gewohnheit verknüpft mit dem Element der Wiederholung und einer sich daraus ergebenden eigentümlichen synthetischen Beziehung.

Besonders hervorzuheben ist noch einmal, dass die Mechanismen der Imagination für Hume offensichtlich stets nach einem Muster ablau- fen, das einerseits nicht durch uns beeinflusst werden kann und zum anderen massiv auf die Relationen Ähnlichkeit und Kausalität zurück- greift. Stets handelt es sich um eine Geneigtheit unseres Verstandes, gewisse Annahmen zu treffen. Hume verfügte nicht über die entschei-

5. Drei Analysen 102 denden Kenntnisse der modernen Psychologie, die – insbesondere motiviert von Festingers Theorie der kognitiven Resonanz – in die Fuß- stapfen seiner Überlegungen zu treten scheint. Danach sind, wie bereits bemerkt, Perzeptionen ein Synonym für Kognitionen, die – aufgrund bis heute noch nicht abschließend geklärter Umstände – Handlungen und Denkprozesse auslösen.

Stets ist der Glaube auf der Grundlage von Ähnlichkeit, Wiederholung und dem Prinzip der Kausalität der eigentliche Motor unserer jeweili- gen Auffassung. Es gibt für Hume kein ‚Ich‘, und doch glaubt jeder Mensch daran; es gibt ferner keine Außenwelt im Sinne von außerhalb von uns bestehenden Entitäten, und doch glauben wir daran; und schließlich ist zu zeigen, dass unsere Auffassung des Ursache-Wirkungs- Prinzips (Kausalität) ebenfalls auf Glaubensmechanismen beruht.

Es scheint somit, als vermag sich der Geist von rationalen Erkenntnis- sen, deren konsequente Umsetzung aus einem zu diesem Zeitpunkt noch nicht erklärbaren Grunde auf unsere Psyche gewissermaßen feindlich, ja sogar zerstörerisch auswirkt, zu emanzipieren.

5.4 Die Kausalanalyse

5.4.1 Allgemeine und historische Betrachtung

Prinzipiell kann das populärste Element der Hume’schen Philosophie auf zweifache Weise veranschaulicht werden: einmal auf dem Wege einer isolierten Betrachtung der hierzu explizierten Kapitelin dem

Traktat201, zum anderen aber – und dem werde ich mich zur Vermeidung vertikaler Defizienz anschließen – auf dem Wege der Deduktion aus (seinen) allgemeinen Sätzen, konkret dem Destillat der beiden vorangegangenen Kapitel. Aus dieser Vorgehensweise resul- tiert aber auch die Entthronung nicht alleine des Verstandes als eminenter Steuerungseinheit des Erkenntnisprozesses auf der inhaltli-

201 Wie in der neueren Forschung etwa von Stäudner und Campagna in den Ausga- ben 7, 8 und 9 der Zeitschrift für kritisches Denken (hg. v. Stefan Groß), Jena 1995.

5. Drei Analysen 103 chen Ebene, sondern mit dieser auch auf der methodologischen Ebe- ne die Entthronung der Kausalanalyse mit dem Anspruch der Exklusivi- tät von Gedanken zugunsten einer konstruktivistischen Theoriebildung.

Wie kam es zu dieser Theoriebildung?

Spätestens seit Aristoteles wurde Kausalität thematisiert und in den folgenden 2000 Jahren immer wieder unter Anpassung an die jeweili- ge philosophische Stoßrichtung kontrovers diskutiert. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass das Kausalproblem heute aus einer Vielzahl von Perspektiven beleuchtet werden kann. Mit der Kausalanalyse, einschließlich aller damit verbundenen Themenkomplexe wie zum Beispiel dem Induktionsproblem, sandte Hume Impulse, die ihre Wirkung bis in die Theoriebildung der aktuellen neurobiologischen Forschung hinein entfalten.

5.4.2 Baldwins Dictionary

Eine Möglichkeit der Herangehensweise an die Komplexität des Kausalnexus besteht im Zugriff auf Russells Überlegungen zu diesem Thema:

„All philosophers of every school, imagine that causation is one of the fundamental axioms or postulates of science, yet, oddly enough, in advanced sciences such as gravitational astronomy, the word ‚cause‘ never occurs. Dr. James Ward, in his Naturalism and Agnosticism, makes this ground of complaint against physics: the business of science, he apparently thinks, should be the discovery of causes, yet physics never even seeks them. To me it seems that philosophy ought not to assume such legislative functions, and that the reason why physics has ceased to look for causes is that, in fact there are no such things. The law of causality I believe, like much that passes muster among philosophers, is a relic of a bygone age surviving, like the monarchy, only because it is erroneously supposed to do no harm.“202

Das konkrete Ziel beschreiben zwei Definitionen:

1. Cause and Effect

„Cause and Effect [… ] are correlative terms denoting any two distinguishable things, phases or aspects of reality, which are so related

202 Bertrand Russell: On the notion of cause, Proceedings of the Aristotelian Society, New Series Vol. 13, 1913, S. 1.

5. Drei Analysen 104

to each other, that whenever the first ceases to exist, the second comes into existence immediately after, and whenever the second comes into existence, the first has ceased to exist immediately before.“203

Ursache und Wirkung werden also erst zu „Ursache und Wirkung“ indem sie vom Betrachter aufeinander bezogen werden.

2. Causality

Ferner bezeichnet Russell die causality als zeitliche Abfolge. Russells Kritik an den Aufsätzen aus Baldwins’s Dictionary verläuft wie folgt:

Der entscheidende Terminus ist hier die Unmittelbarkeit, mit der sich eine Wirkung per definitionem an die Ursache anschließt. Wenn die Definition stimmt, müsste oder dürfte es keinen Zeitraum zwischen Ursache und Wirkung geben. Hier muss unterschieden werden zwischen menschlicher Wahrnehmung und der zu jener Zeit, als Russell seine Kritik formulierte, also im frühen 20. Jahrhundert, vorhandenen instrumentellen Messtechnik. Für Ersteres mag die Definition mit dem Terminus immediate zutreffen – keinesfalls aber für die Messtechnik. Diese wird stets in der Lage sein, einen Zeitpunkt oder Zeitraum zwischen Ursache und Wirkung festzuhalten.

5.4.3 Ducasse

Ein bekannter Opponent dieser Auffassung ist .204 Sein Versuch, Russells Kritik zu entkräften, lässt sich am leichtesten anhand einer Grafik veranschaulichen:

Baldwins Dictionary:

Zeit Ursache (t0) Wirkung (t1) Wobei gilt t1 – t0 = 0

Russell:

203 Ebd., S. 3.

5. Drei Analysen 105

Zeit Ursache (t0) Wirkung (t1)

Wobei gilt t1 – t0 ≠ 0

Ducasse: Zeit Ursache (t0) Wirkung (t1)

Wobei gilt: t1 – t0 = 0, und ‚Ursache‘ umfasst alle Zustände oder Ereig- nisse, die t0 sind, und ‚Wirkung‘ umfasst alle Zustände oder Ereignisse, die t1 sind. Ducasse rechnet also alles zur Ursache, was vor der Wir- kung kommt, und analog zur Wirkung alles, was nach der Ursache kommt.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass laut Ducasse unter einer Ursache der Anfangspunkt einer Kausalkette zu verstehen ist. Dabei ist es also unerheblich, ob die Wirkung der Ursache unmittelbar folgt.

Kausale Notwendigkeit bedeutet – zumindest ergab sich dies aus der obem erwähnten Definition von Baldwins Dictionary – dass beim Auftreten einer bestimmten Ursache dieser auch und vor allem immer die entsprechende Wirkung folgen muss. Ducassei sieht hier einen wei- teren Kritikpunkt, den ich an einem Beispiel erläutern möchte. Wir lernen von Kindesbeinen an, dass, sobald wir auf einen Klingelknopf drücken, ein Klingelton ertönt. Der Wirkung des Klingelns geht demnach die Ursache der Knopfbetätigung voran. Ducasse wirft nun ein, dass es sich zutragen könnte, dass der Klingelton einmal nicht folgt – anders formuliert, dass die Wirkung der Ursache einmal nicht folgt. Diese Ausnahme und damit die Existenz von Ausnahmen überhaupt sei ein Beweis für die Nichtexistenz von kausaler Notwendigkeit und damit der zweite Pfeiler der Kritik.

Dieser etwas naiven Kritik entgegnet die moderne Wissenschaft mit der Einführung von Randbedingungen und unterteilt dieselben sofort

204 Curt John Ducasse: Truth, Knowledge and Causation, New York 1968, S. 3-5.

5. Drei Analysen 106 in günstige und ungünstige. Danach erfolgt für die kausale Notwen- digkeit eine Bestätigung bei günstigen Randbedingungen. Auf das Beispiel angewendet, würde man behaupten dürfen, dass der Klingel- ton dem Betätigen des Knopfes unter der Bedingung eines intakten Klingelsystems mit Notwendigkeit folgt.

Festzuhalten an dieser Stelle ist die Einführung von Randbedingungen und deren Unterteilung in günstig und ungünstig.

Im Anschluss an eine Skizzierung des Kausalnexus soll auf die Frage nach den Objekten der kausalen Verknüpfung eingegangen werden. Sind dies Dinge? Wenn ja, dann materialer oder nicht materialer Natur? Oder Vorgänge oder Ereignisse? Oder sind dies – wie Hume sie später bezeichnen wird – Gegenstände?

5.4.4 Formen der Kausalität205

Im Folgenden werden drei Ansätze unterschieden: erstens die kontra- faktische Kausalanalyse, zweitens die probabilistische Kausalanalyse und schließlich der regularitätstheoretische Ansatz zur Kausalität.

1. Die kontrafaktische Analyse

Mill206 formuliert eine kontrafaktische Konditionalaussage als den aner- kannten Beleg für die kausale Verknüpftheit zweier Ereignisse. Dabei bestehen Aussagen der Form: Wenn die Ursache A nicht gewesen wäre, dann existierte auch die Wirkung B nicht. Dies impliziert das Konzept einer hinreichenden kausalen Bedingung. Eine qualifiziertere Form dieses Ansatzes formuliert Mill in seiner Differenzmethode, die ich jedoch erst im Anschluss an das Hume’sche Kausalkonzept als direkte Kritik formulieren möchte.

205 Ich beschränke mich hier auf diejenigen Explikationsversuche, die auch Günter Koch im Rahmen seiner Dissertation zum Thema Kausalität Determinismus und Zu- fall in der wissenschaftlichen Naturbeschreibung bespricht.

206 John Stuart Mill, A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, hg. v. J.M. Robson, Toronto 1973

5. Drei Analysen 107

2. Die probabilistische Kausalanalyse

Ein Kausalmodell neueren Datums ist die Theorie von Patrick Suppes.207 Er geht davon aus, dass eine Bedingung (Ursache) zwar noch nicht hinreichend ist, wohl aber die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten der Wirkung erhöht. Wenn ein Ereignis a, das der Klasse A angehört, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Ereignisses b aus der Klasse B erhöht, dann besteht zwischen a und b möglicherweise eine kausale

Beziehung.208

Wenn also das Auftreten von b durch das Vorangehen von a wahr- scheinlicher wird, könnte es sich bei a um eine Ursache von b handeln.

3. Der regularitätstheoretische Ansatz

Hume gilt als Begründer der traditionellen Kausaltheorie. Traditionell oder klassisch in diesem Sinne ist die Regularität oder Gesetzmäßigkeit, mit der Ursache und Wirkungen gemeinsam auftreten. Aufgrund die- ses Umstandes werde ich den besagten Ansatz hier nicht weiter verfol- gen, sondern unmittelbar mit der Analyse der Hume’schen Kausalvor- stellung beginnen, um ihn dann ausführlich zu entwickeln.

Da es vor allem die Newton’sche Weltanschauung war, welche die Naturwissenschaft zur Zeit Humes dominierte, und diese wiederum eine deutliche Überwindung des aristotelischen Systems repräsentie- ren sollte, sei hier mit Newton begonnen. Bei der Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten beschränkte sich Newton – wie vor ihm auch Galilei – auf Untersuchungen der Gesetze der Erscheinungen, ohne bis zu deren wahren Ursachen dringen zu wollen.209 Vergleicht man diese Intention mit den einleitenden Äußerungen Humes, so wird die Faszination Humes für Newtons Schriften transparent:

207 Patrick Suppes: A probabilistic Theory of Causality, Amsterdam 1970.

208 Vgl. Günter Koch: Kausalität Determinismus und Zufall in der wissenschaftlichen Naturbeschreibung, Berlin, 1994.

5. Drei Analysen 108

„When we see that we have arrived at the utmost extend of human reason, we sit down contended; tho' we be perfectly satisfied in the main of our ignorance, and perceive that we can give no reason for our most general and most refined principles, beside our experience of their reality.“210

Ein zentrales Element der principia mathematica211 ist die Auseinan- dersetzung mit dem Terminus ‚Kraft‘, der – entgegen der klassischen Vorstellung – nicht als erfahrbare physische Ursache betrachtet wird, sondern als quantitativ bestimmbares Prinzip. Die eigentliche physi- sche Ursache einer Kraft hat Newton nicht in Betracht gezogen.

In der Rangfolge der Hume beeinflussenden Philosophen tritt vor allen Berkeley (1685–1753) in den Vordergrund. Mit seiner Ablehnung nicht nur jeglicher möglichen Kenntnis einer Außenwelt, sondern auch der direkten Verleugnung einer Außenwelt selbst setzt er die Tradition Lockes (1632–1704), dessen Aufmerksamkeit im Wesentlichen der Prüfung des Zusammenhangs eines Objekts und dessen Idee galt, mit letzter Konsequenz fort. Kausalität vermag in diesem System ohnehin nicht ontologischer Natur zu sein. Für Berkeley sind Ursache und Wir- kung durchaus zusammengehörend wahrnehmbar. Doch ist Kausali- tät für ihn kein Naturgesetz, sondern die – letzten Endes auf Gott zurückführende – Anordnung von Perzeptionen. Gleichwohl sei bemerkt, dass ein Moment von Regelmäßigkeit bereits hier eine Rolle zu spielen scheint.

5.4.5 Humes Kausalauffassung

Hume diskutiert das Kausalproblem im Traktat, im Abstract sowie in den zehn Jahre später folgenden Enquiries, wobei die Letzteren aufgrund des versierteren Umgangs des Autors mit philosophischen Texten didaktisch versierter aufbereitet sind.

209 Vgl. B. G. Kuznecov: Von Galilei bis Einstein. Entwicklung der physikalischen Ideen, aus dem Russischen übersetzt und herausgegeben von Gisela Buchheim, Siegfried Wollgast, Basel, Braunschweig 1970.

210 T, Introduction, S. XVII.

211 Vgl. Koch, a. a. O.

5. Drei Analysen 109

Das erste (oder empiristische )Prinzip induziert Humes empirisches Grundmodell, wonach jeder Vorstellung ein Eindruck zugrunde liegen muss. Dieser Eindruck ist kein Objekt. Die Ursache des Eindrucks ist nicht erkennbar – weder durch Beobachtung noch durch Schluss- folgerung. Vielmehr spielt in unserem popular view die Imagination eine entscheidende Rolle.

In der skeptischen Auseinandersetzung, basierend auf der weiter oben

(Kapitel 4.2.4.3 Relationen) durch die ‚Gabelung‘212 eingeleitete Einteilung des Wissens, wird jegliches Wissen sukzessive zugunsten eines von Erfahrungen und Glauben gebildeten Wissensbegriffs demontiert.

Es gibt Hume zufolge sieben verschiedene philosophische Relationen, welche sich in zwei Gruppen einteilen lassen. Zur ersten Gruppe gehören diejenigen Relationen,213 die wir mit Hilfe von abstrakten Regeln der Logik, Arithmetik und (bedingt) der Geometrie erfassen können (resemblance, contrariety, quality und quantity). Zu der zwei- ten Gruppe gehören identity, contiguity und causality. Betrachtet man die zweite Gruppe, wird eine weitere Unterscheidung transpa- rent. So bedürfen nämlich Identität und Kontingenz der empirischen Beobachtung, während Kausalität zwar ebenfalls Erfahrung bedingt, aber gleichzeitig darüber hinauszugehen vermag. Kausalität erhält damit bereits eine Sonderstellung, da sie in gewisser Weise logischer Natur zu sein scheint, gleichfalls aber auch der Erfahrung bedarf.

Dieses Paradoxon gibt Hume Anlass, der Kausalanalyse oder der Suche nach dem ‚Band‘, welches Ursache und Wirkung verbindet, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Tatsache, dass sich viele Philosophen in seinen Augen ergebnislos oder unzureichend mit dem Thema auseinander gesetzt haben, bestärkt ihn in seinem Vorhaben:

„There is no question, which on account of its importance, as well as difficulty, has caus’d more disputes both among antient and modern

212 Unabhängige vs. abhängige Relationen.

213 Interne bzw. abhängige Relationen.

5. Drei Analysen 110

philosophers, than this concerning the efficacy of causes, or that quality which makes them be follow'd by their effects.“214

Fasst man Humes Auffassung zusammen, ergibt sich eine klare Kontraposition zu gängigen Auffassungen seiner Vorgänger und Zeitgenossen. Diese betrachteten kausale Zusammenhänge (z. B. Gravitation) als von uns unabhängige, äußere Vorgänge mit ontologi- schem Status. In der Hume’schen Terminologie würde man Kausalität als interne Relation bezeichnen, welche auf intuitivem oder sogar partiell demonstrativem Wege erkennbar ist.

5.4.5.1 Der Begriff der Zeit

Hume behandelt die Frage nach der zugrunde liegenden Impression des Zeitbegriffs entsprechend seinem ersten Prinzip analog zur Frage nach dem Raumbegriff in Sektion III, Teil II des ersten Buchs des Traktats. Die Frage muss zunächst negativ beantwortet werden, da Hume keine solche Impression finden kann. Vielmehr müssen wir uns einmal mehr ins Gedächtnis rufen, dass die Objekte unseres Bewusstseins ausschließlich aus Perzeptionen bestehen. Ferner bilden die Beziehungen zwischen den Perzeptionen den Gegenstand unseres Denkens.

„The idea of time, being deriv’d from the succession of our perceptions of every kind, idea as well as impression, and impressions of reflection as well of sensation, will afford us an instance of an abstract idea, which comprehends a still greater variety than that of space, and yet is represented in the fancy by some particular individual idea of a determinate quantity and quality.“215

Und weiter:

„[… ] from the succession of ideas and impressions we receive the idea of time“216.

214 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 156.

215 T, Buch l, Teil II, Sek. III, S. 35.

216 T, Buch l, Teil II, Sek. III, S. 35.

5. Drei Analysen 111

Für die Vorstellung des Zeitbegriffs sind also zwei Elemente notwendig: erstens die Existenz von mindestens zwei Perzeptionen, die zweitens nicht gleichzeitig wahrgenommen werden:

P in t1

P in t2

T1 ungleich T2

Man kann sich nun noch fragen, ob unsere Zeitvorstellung permanent oder zeitlich begrenzt ist. Die Frage ist aufgrund der permanenten Präsenz von Vorstellungen in unserem Erinnerungsvermögen und aufgrund unserer Fähigkeit, diese mit Hilfe unserer Imagination in beliebiger Reihenfolge abrufen zu können, klar zu bejahen.

5.4.5.2 Der Begriff der Kraft

Vom erkenntnistheoretischen Standpunkt Humes (first principle) aus ist es schwierig, korrekte Aussagen über Kraft zu bilden. Da wir jeden Begriff (idea) als das Folge einer Impression verstehen müssen, sind wir gezwungen, auf unsere Erfahrung zu rekurrieren, um die Bedeutung des Kraftbegriffs zu verstehen. Wenn der Begriff der Kraft kein leerer, bedeutungsloser sein soll, muss ihm eine entsprechende Impression zugrunde liegen, die als partikulärer Fall von Kraft oder Wirksamkeit angegeben werden kann. Können wir nicht einen Fall benennen, haben wir entweder keine Vorstellung oder sie ist das Ergebnis unserer Imagination. Wir müssen ferner beachten, dass wir beim Versuch einer Definition von Kraft nicht den Fehler der Zirkularität begehen, da „efficacy, agency, power, force, energy, necessity, connexion, and productive quality, are all synonymous“217.

Unsere unphilosophische Haltung ist das Ergebnis eines Trugschlusses aufgrund der Perzeption von Bewegungen und Veränderungen.218 Wir nehmen eine Veränderung wahr (z. B. das Rollen einer Billardkugel)

217 T, Buch l, Teil III, Sek. XIV, S. 157.

218 T, Buch l, Teil III, Sek. XIV, S. 157, motions and variations.

5. Drei Analysen 112 und schließen aus der Veränderung auf eine die Veränderung bewir- kende Kraft. Um den Trugschluss als solchen zu entlarven, bedarf es nach Hume der Beachtung zweier Prinzipien:

„First, that reason alone can never give rise to any original idea and [… ] secondly, that reason, as distinguish’d from experience, can never make us conclude, that a cause or productive quality is absolutely requisite to every beginning of existence.“219

Beide Prinzipien sind Ableitungen aus Humes Empirismus. Ohne Impression keine korrekte Vorstellung und ebenso keine daraus resultierenden Verstandesprozesse.

Von keiner der uns bekannten Qualitäten der Materie kann jedoch aufgezeigt werden, dass sie eine Kraft in sich enthält. Keine Perzeption birgt für sich betrachtet einen apriorischen Hinweis auf eine Kraft. Das Gleiche gilt für die Bewegung. Wenn diese keinen Hinweis auf die Existenz einer Kraft gibt, so kann auch nicht aus den Sukzessionen von Perzeptionen eine Kraft abgeleitet werden.

„Upon the whole, we may conclude, that ’tis impossible in any one Instance to shew the principle, in which the force and agency of a cause is plac’d“220.

Um die Neuheit seiner Gedanken hervorzuheben, sei hier ergänzend auf John Lockes Auffassung von power eingegangen, den Hume selbst als Beispiel für seine ‚fehlgeleiteten‘ Vorgänger in einer Fußnote erwähnt.221 Locke schreibt:

„Denn wo immer sich eine Veränderung beobachten läßt, muß der Geist ebenso wohl auf eine irgendwo bestehende Kraft schließen, die diese Veränderung bewirken kann, als auf eine im Gegenstand selbst vorhandene Möglichkeit, dieselbe zu erleiden.“222

Hume lehnt diesen Kraftbegriff aufgrund seines ersten (empiristischen)Prinzips ab, da die Kraft – wie Locke sie definiert – sensitiv nicht erfahrbar bzw. perzipierbar ist. Während Locke die Hitze

219 T, Buch l, Teil III, Sek. XIV, S. 157.

220 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 158.

221 Vgl. Fußnote 1 T, Buch l, Teil III, Sek. XIV, S. 157.

5. Drei Analysen 113 im Feuer auf eine im Feuer liegende Kraft zurückführt, weist Hume auf die Kontingenz und Priorität hin:

„We know that, in fact, heat is a constant attendant of flame; but what is the connexion between them we have no room so much as to con- jecture or imagine. It is impossible, therefore, that the idea of power can be derived from the contemplation of bodies, in single instances of their operation; because no bodies ever discover any power, which can be the original of this idea.“223

Ebenso wendet Hume sein erstes Prinzip auf seine Vorgänger, insbe- sondere die Klassiker an, die Kraft als Prinzip von ‚substantieller Form‘, ‚Materie‘, ‚Akzidenzien‘ zur Erklärung der Körpertätigkeiten anführen. Ferner Ferner dürfe man eine Kraft nicht deshalb, weil man zwar an sie glaubt, sie aber nicht finden kann, auf auf eine göttliche224 Kraft (Descartes) zurückführen.

Abschließend nimmt Hume Bezug auf einen vorherrschenden Kraft- Begriff seiner Zeit, der von keinem Geringeren als Newton geprägt wurde: den Begriff der Trägheitskraft oder Schwerkraft. Diese Begriffe stellen für Hume deshalb kein Problem dar, weil Newton sie bewusst nur als Sachverhalte bezeichnet, ohne jemals wirklich eine Vorstellung von Kraft haben zu können. Hume fasst schließlich in einem Syllogismus zusammen:

„All ideas are deriv’d from, and represent impressions. We never have any impression, that contains any power or efficacy. We never therefore have any idea of power“225.

Nachdem er die bestehenden Auffassungen des Kraftbegriffs für unzu- reichend erklärt hat, wendet er sich nun der Konzeption einer eigenen Erklärung zu, die einerseits konform zu seinem ersten Prinzip und andererseits in der Lage ist, eine Theorie der Kausalität zu begründen, welche die genannten Schwächen vermeidet.

222 Vgl. John Locke: Über den menschlichen Verstand, Band 1, in einer Übersetzung von Carl Winkler aus dem Jahre 1913, Hamburg 1968.

223 David Hume: Enquiries concerning Human Understanding, Nachdruck der Ausga- be von 1777, Oxford 1975, S. 64.

224 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 159: „The deity, or that divine being” und T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 158 „supreme spirit“.

225 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 160.

5. Drei Analysen 114

5.4.5.3 Die Kausalrelation

In der systematischen Tradition seiner Auseinandersetzung mit dem Kraftbegriff ist Hume bestrebt auszuschließen, dass die kausale Relation bzw. die Verknüpfung zweier Gegenstände eine Eigenschaft der Gegenstände selbst sein kann. Zunächst fragt er konkret:

„What is our Idea of necessity, when we say that two objects are necessarily connected together?“226

Die Lösung des Problems vollzieht Hume in drei Schritten, die hier nacheinander dargestellt werden sollen.

5.4.5.4 Der Ursprung der Kausalvorstellung

„Suppose two objects to be presented to us, of which the one is the cause and the other the effect, ’tis plain, that from the simple con- sideration of one, or both these objects we never shall perceive the tie, by which they are united, or be able certainly to pronounce, that there is a connexion between them.“227

Eine Untermauerung dieser These, dass wir das verbindende Element nicht unmittlbar wahrnehmen können findet sich viel früher im Traktat:

„Let us therefore cast our eye on any two objects, which we call cause and effect, and turn them on all sides, in order to find that impression, which produces an idea of such prodigious consequence. At first sight I perceive, that I must not search for it in any of the particular qualities of the objects; since, which-ever of these qualities I pitch on, I find some object, that is not possest of it, and yet fall under the denomination of cause or an effect.“228

Nachdem Hume offensichtlich im Anschluss an eine Vielzahl von Ver- suchen noch immer nicht einen einzigen Fall einer Eigenschaft gefun- den hat, die auch nur im Geringsten der Ursächlichkeit gleichkommen könnte, folgert er:

„The idea, then, of causation must be deriv’d from some relation among objects.“229

226 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 155.

227 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 162.

228 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 75.

229 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 75.

5. Drei Analysen 115

5.4.5.5 Regeln

Nachdem Hume den möglichen Ort der Kausalität entdeckt hat, verfährt er weiterhin in experimenteller Weise mit der Identifikation der Eigentümlichkeiten dieser Relation und findet zwei Regeln.

5.4.5.5.1 Kontingenz

„I find in the first place, that whatever objects are consider'd as causes or effects, are contiguous.“230

Ferner könne nichts an einem Ort wirken, der vom Gegenstand entfernt ist. Als Philosoph, der den popular view als Ausgangsbasis für seine philosophischen Überlegungen anerkennt, baut er zugleich einem aus jenem Bereich der Philosophie auftretenden Einwand vor:

„[… ] tho’ distant objects may sometimes seem productive of each other, they are commonly found upon examination to be link’d by a chain of causes, which are contiguous among themselves, and to the distant objects; and when in any particular instance we cannot discover this connexion, we still presume it to exist.“231

Vor dem Hintergrund dieser Aussagen wird die Kritik Russells am Kau- salbegriff umso weniger verständlich, hat doch Hume mit der These der Verkettung von Ursachen und Wirkungen bereits 100 Jahre zuvor auf diese eher epistemologische Problemstellung hingewiesen. Festzu- halten bleibt:

„We may therefore consider the relation of contiguity as essential to that of causation.“232

5.4.5.5.2 Zeitliche Priorität der Ursache gegenüber der Wirkung

Neben den in der Einführung zu diesem Kapitel genannten Fragestel- lungen (insbesondere von Ducasse und Russell) sei an dieser Stelle nun Hume konkretisiert.

230 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 75.

231 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 75.

232 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 75.

5. Drei Analysen 116

„The second relation I shall observe as essential to causes and effect, is not so universally acknowledg’d, but is liable to some controversy. ’Tis that of Priority of time in the cause before the effect.“233

Hume verwendet kein eigenes Argument, sondern zieht es vor, vor- handene Argumentationslinien zu demontieren. Dabei weist er zu- nächst darauf hin, dass schon ein Blick in die Welt unserer Erfahrungen genügt, um zu sehen, dass die Annahme einer Gleichzeitigkeit von

Ursache und Wirkung praktisch immer („in most instances“234) widerlegt wird.

Kontraposition (Zeitgleichheit von Ursache und Wirkung)

„Some pretend that ’tis not absolutely necessary a cause should precede its effect; but that any object or action, in the very first moment of its existence, may exert its productive quality, and give rise to another object or action, perfectly co-temporary with itself.“235

Hume entkräftet die Position mit einer reductio ad absurdum, die wie folgt verläuft:

Es gilt als generelle Maxime die Auffassung, dass ein Objekt nicht seine eigene Ursache sein kann. Wenn es nun eine Ursache gibt, die völlig zeitgleich zu ihrer Wirkung in Beziehung steht, muss dies für alle Ursa- chen bzw. Wirkungen Gültigkeit haben, da im Falle einer Ausnahme, also der zeitlichen Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung, nicht auf die Wirkung geschlossen werden kann und Ersteres (Ursache) demzufolge nicht mehr den Charakter einer Ursache (als Hervorbrin- gendes) haben kann. Wenn nun aber alle Ursache-Wirkungs-Beziehun- gen zeitgleich stattfinden, führt dies zu einer Vernichtung des Zeit- begriffs.

Diese Position wird klarer, betrachtet man den Zeitbegriff in Humes System, wonach Zeit an sich ein leerer Begriff ist, solange uns nicht mindestens zwei Perzeptionen, die aufeinander folgen, zugrunde liegen.

233 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 75 f.

234 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 76.

235 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 76.

5. Drei Analysen 117

Nachdem nun die zwei notwendigen Bedingungen für die Erklärung von Kausalität entdeckt sind (Kontingenz und Priorität), können wir uns dem letzen und wohl wichtigsten Merkmal der Kausalität zuwenden.

5.4.5.5.3 Die notwendige Verknüpfung

Um den Terminus der notwendigen Verknüpfung („NECESSARY CON-

NEXION“)236, der das wesentliche Moment der Kausalität ausmacht

(„[… ] ’tis chiefly this quality that constitutes the relation“237), zu erklären, empfiehlt Hume, konsistent zu seinem ersten Prinzip, den Blick auf die Welt des Alltags zu richten. Konkret muss er auf der Suche nach der Impression sein, die unserer Vorstellung der Verknüpfung zugrunde liegt.238 Doch wir sehen bzw. erkennen allein die Relationen Kontingenz und Priorität, sonst nichts.

Doch nun zum popular view. Danach sehen wir zunächst nichts anderes als das Auftreten zweier Ereignisse. Dies kann man sich am Beispiel der Flamme deutlich machen. Ein Mensch, der noch nie mit Feuer konfrontiert war, wird aus seinen visuellen Fähigkeiten heraus nicht auf den Schmerz schließen können, der ihm durch Berührung des Feuers zugefügt werden könnte. Dies ist nach Hume nicht nur nachvollziehbar, sondern auch gefordert, da Hume aufgrund seiner empiristischen Grundlagen Angeborenes im Sinne von nicht Erlerntem, Erfahrenem oder apriorischem Wissen verleugnen muss. Wie kommt es aber dennoch zu der Vorstellung von Kausalität?

Humes Vorschlag ist die Untersuchung eines Relationenpaares, das als kausal miteinander verbunden gilt. Wir erkennen alsbald die bekann- ten Eigenschaften Kontingenz und Priorität. Eine dritte Relation könne nicht gefunden werden. Was Hume nun als „To enlarge the view“239

236 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 77.

237 T, Buch I, Teil III, Sek. XV, S. 173.

238 „What is our idea of necessity when we say that two objects are necessarily connected together.“ T, Buch l, Teil III, Sek. XIV, S. 155.

239 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 155.

5. Drei Analysen 118 bezeichnet, meint die Betrachtung nicht nur eines Relationenpaares, sondern mehrerer dergleichen.

Es gilt also:

N Ereignis (1) Ereignis (2) Conclusion 1 Flamme Schmerz K und P

2240 Flamme Schmerz K und P z.B. 3 Flamme Schmerz K, P, V wobei gelte: K = Kontingenz P = Priorität V = Veränderung in unserem Denken bzw. Schließen

„But upon farther enquiry I find that the repetition is not in every particular the same, but produces a new impression, and by that means the idea (notwendige Verknüpfung), which I at present examine.“241

Ich komme zur Erläuterung der Variablen V, deren Präsenz eine Verän- derung in der geistigen Tätigkeit andeuten soll:

„For after a frequent repetition, I find, that upon the appearance of one of the objects , the mind is determin’d by custom to consider its usual attendant, and to consider it in a stronger light upon account of its to the first object. ’Tis this impression, then, or determination, which affords me the idea of necessity.“242

Damit gibt Hume die Antwort auf die berühmteste und folgenreichste Frage seines philosophischen Konzepts. Regelmäßiges Miteinander- auftreten determiniere unseren Verstand zur Annahme, dass, wenn für N = 1 und 2 vorausgegangen sind, auch gelten muss, dass im Falle N = 3 ebenso auf eine gleiche Wirkung geschlossen werden muss.

Im Gegensatz zur bis dahin traditionellen Sichtweise kann also nicht aus einer gegebenen Prämissen-Menge (N-malige Beobachtung einer Ereignisfolge) auf eine kausale Beziehung geschlossen werden. Dies

240 Für N = 1 und 2 gelte Wiederholung gleicher Ereignisse, die keine Veränderung bzw. keine neue Impression konstituiere.

241 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 155.

242 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 156.

5. Drei Analysen 119 wird von Hume umso mehr unterstrichen, als er im Traktat seiner Hypo- these zur Genese unserer Kausalvorstellung eine Auseinandersetzung mit der aus seiner Sicht falschen Auffassung von Kraft (oder:

„necessity, connexion, and productive quality“243) anfügt, um dann eine Synthese zugunsten seiner eigenen Definition der Kausalität anzuschließen, die einerseits die Elemente der Kausalität vereinigt und andererseits fest auf den beiden empirischen Prinzipien beruht:

„lf we define a cause to be, An object precedent and contiguous to another, and so united with it in the imagination, that the idea of the one determines the mind to form the idea of the other, and the impression of the one to form a more lively idea of the other.“244

5.4.5.5.4 Das Moment der Empfindung

Bei der Genese unserer Kausalvorstellung spielt der Verstand eine untergeordnete, wenn nicht unbedeutende Rolle. Analog zu einem popular view-Prozedere ist unser Alltagsverhalten gerade dadurch geprägt, Entscheidungen ohne übergreifende Überlegungen zu tref- fen, und zwar auf der Grundlage von Erfahrung und vor allem Ge- wohnheit. Die ‚Paradeanwendung’ dieser These findet nach Hume ihre Platz in der Genese der Kausalvorstellung. Dazu benötigen wir allenfalls unser Erinnerungsvermögen und die Fähigkeit zur Wahrneh- mung einer Determination (Imagination der Determination). Die nachfolgende Abbildung dient der Verdeutlichung aller Faktoren der kausalen Vorstellung:

243 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 156.

244 T, Buch I, Teil III, Sek. XIV, S. 156.

5. Drei Analysen 120

Außenwelt / Objektwelt Innenwelt / Subjektwelt

Kontingenz Erinnerungsvermögen Determi- Priorität Gewohnheit nation

Abbildung 4: Faktoren der kausalen Vorstellung

Zentrale Bedeutung scheint dem in der Schnittmenge befindlichen Begriff der Determination zuzukommen, dessen Erörterung Antwort auf die Frage gibt, auf welchem Wege kausale Beziehungen erkannt werden können. Kausale Beziehungen sind definitiv weder unmittelbar (direkt) wahrnehmbar, noch können sie ausschließlich auf logisch- demonstrativem Wege abgeleitet werden. Vielmehr gehören sie wie alle externen Relationen zu den Produkten der Einbildungskraft/Imagi- nation.

Dem Prozedere – etwa der Genese einer Kausalvorstellung – liegen ganz bestimmte Arbeitsmechanismen zugrunde. Eine der Randbedin- gungen – und damit wird der Begriff custom oder Gewohnheit invol- viert – ist eben die Gewöhnung an konstant verlaufende Ereignisabfol- gen. Von den anderen Relationen grenzt Hume die kausale Relation mit einem explizierten Regelwerk245 ab, das nachfolgend kurz darge- stellt wird:

1. Ursache und Wirkung müssen räumlich und zeitlich unmittelbar zusammenhängen.

2. Die Ursache muss früher sein als die Wirkung.

3. Es muss eine beständige Verbindung zwischen Ursache und Wir- kung gegeben sein.

5. Drei Analysen 121

4. Dieselbe Ursache ruft stets dieselbe Wirkung hervor.

5. Wenn mehrere, voneinander verschiedene Gegenstände dieselbe Wirkung hervorrufen, dann vermittelt ein Moment, das allen gemeinsam ist, dieselbe Wirkung.

6. Der Unterschied in der Wirkung ähnlicher Gegenstände muss in der Unterschiedlichkeit der Gegenstände begründet sein.

7. Wenn ein beliebiges Objekt zugleich mit seiner Ursache wächst oder abnimmt, so muss es als eine zusammengesetzte Wirkung an- gesehen werden, die aus der Verbindung aller dieser verschiede- nen einzelnen Wirkungen entsteht, die aus den verschiedenen Teilen der Ursache hervorgehen.

8. Die letzte Regel besagt schließlich, dass ein Gegenstand, der eine Weile existiert hat, ohne eine Wirkung auszuüben, nicht die einzige Ursache dieser Wirkung sein kann, sondern irgendein anderes unterstützendes Moment erfordert, das seine Wirksamkeit oder Tätigkeit auszulösen vermag.

Das Regelwerk und die o. a. Definition der Ursache-Wirkungs-Relation erfährt von Hume die höchste Priorität, so schreibt er auch im Abstract:

„Im ganzen Buch gibt es viele Ansprüche auf Neuentdeckungen in der Philosophie; aber wenn überhaupt irgendetwas berechtigt, dem Autor einen so ruhmreichen Namen wie den eines Erfinders zu geben, dann ist es der Gebrauch, den er von dem Prinzip der Vorstellungsverknüpfung macht, welches in den größten Teil seiner Philosophie Eingang findet. Un- sere Einbildungskraft besitzt eine große Autorität über unsere Ideen; und es gibt keine Vorstellungen, welche voneinander verschieden sind, die sie nicht trennen, vereinigen und in allen möglichen Buntheiten der Fiktion zusammensetzen kann.“246

Es bestätigt sich auch hier, dass stets, wenn Hume auf elementare

Dinge wie Kausalität oder Ich zu sprechen kommt,247 die Rolle der Imagination wieder in den Vordergrund rückt. Wie schon mehrfach

245 T, Buch I, Teil III, Sek. XV, S. 173 f., sinngemäße eigene Übersetzung.

246 Abstract, S. 661 f.

247 Zum Beispiel bei der Genese des Außenwelt-Verständnisses.

5. Drei Analysen 122 angedeutet, beruhen auch kausale Verknüpfungen auf dem Erkenntnisvermögen der Imagination.

Unsere Urteile über Ursachen und Wirkungen entstammen der Gewohnheit und Erfahrung: Wenn wir uns daran gewöhnt haben, einen Gegenstand mit einem anderen verbunden zu sehen,

„so geht unsere Einbildungskraft (Imagination) vom ersten auf den zwei- ten über, vermöge einer natürlichen Übergangstendenz, welche der Überlegung vorauseilt und durch sie nicht aufgehoben werden kann.“248

Die Imagination ergänzt in diesem Fall die nur über fragmentarischen Charakter verfügenden Sinnesinformationen/Perzeptionen und stellt somit ein wesentliches Bindeglied zwischen Beobachtetem und nicht Beobachtetem dar. Diese Verbindung nennt Hume im Abstract „in der

Tat den Mörtel des Universums“249.

Dieses Vermögen der Imagination, sich weder über die empirische Welt hinwegzusetzen (metaphysisches Vermögen) noch Sinneseindrü- cke in einer neuen Weise anzuordnen (künstlerisches Vermögen), sondern den Erlebnisstrom nach ganz bestimmten Gesichtspunkten zu strukturieren, nennen Streminger und Topitsch250 das „wissenschaftli- che Vermögen“ der Imagination. Mit seiner Hilfe legen wir Ordnungs- strukturen in die zunächst chaotische Informationsflut, aus welchen wir dann zukünftige Ergebnisse ableiten.

Die Unterscheidung zwischen dem metaphysischen Vermögen und dem wissenschaftlichen Vermögen der Einbildungskraft findet sich an mehreren Stellen des Traktats. Hume weist selbst darauf hin, dass er den Begriff ‚Imagination‘ in mehreren Bedeutungen gebraucht (z. B. T, Buch 1, S. 160, T, Buch 2, S. 106).

248 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 201. eigene Übersetzung.

249 Abstract, S. 662.

250 E. Topitsch, G. Streminger, David Hume in: Erträge der Forschung: Hume, Darmstadt 1981, S. 86.

5. Drei Analysen 123

Eine Abgrenzung der Produkte dieser Vermögen ist überhaupt das Generalthema seiner Erkenntnistheorie. Im Schlusskapitel seines Traktats schreibt er:

„Die Einbildungskraft lässt uns das eine Mal Schlüsse aus Ursachen und Wirkungen ziehen (Wissenschaft). Dieselbe Einbildungskraft überzeugt uns ein anderes Mal von der dauernden Existenz äußerer Gegenstände, auch wenn diese den Sinnen nicht gegenwärtig sind.“251

Hume konzentriert sich in der Bearbeitung dieser Thematik auf den fol- genden Gedankengang. Haben wir empirisch konstatierbare Zusam- menhänge kausal miteinander verknüpft, dann erwarten wir bei Eintreffen des einen Ereignisses das andere bzw. prognostizieren, dass dem Ereignis p das Ereignis q folgen werde. Haben wir zum Beispiel erkannt, dass Feuer die Höhle erwärmt, dann erwarten wir auch in Zukunft dieselbe Wirkung des Feuers. Von Interesse ist nun der Moment des Übergangs von Vergangenem auf Zukünftiges, also der Schluss von Besonderem (N-malige Beobachtung der Ereignisfolge p, q ) zum Allgemeinen (immer dann, wenn p gegeben ist, wird q eintreffen).

Ein Induktionsschluss wäre dann gerechtfertigt, wenn erstens gezeigt werden könnte, dass q in der Vergangenheit immer mit p aufgetreten ist, und zweitens begründet werden könnte, dass die Zukunft der Ver- gangenheit ähnlich ist (Gleichförmigkeitshypothese). Die Erfüllung dieser beiden Voraussetzungen ist aus zwei Gründen problematisch:

Die erste Annahme basiert auf der Prämisse, dass dem Erinnerungsver- mögen zu 100 Prozent getraut werden kann. Spätestens seit Humes skeptischen Ausführungen dürfte klar sein, dass die menschliche Natur mit den ihr zur Verfügung stehenden Vermögen Verstand und Sinne zu fehlerhaft ist, um das Postulat der vollkommenen Erinnerung zu erfüllen.

Die zweite Prämisse einer möglichen Induktion scheitert an der Bedin- gung der Gleichförmigkeitsthese (auch bekannt als Kontinuitätsregel). Erfahrung kann dieser zufolge nicht der Grund für den Induktions-

251 T, Buch II, Teil 2, Sektion III, S. 343. eigene Übersetzung

5. Drei Analysen 124 schluss sein, da man aufgrund gegenwärtiger Beobachtungen nicht auf zukünftige schließen kann. Auch der Verstand kommt nicht in Fra- ge, vermag dieser doch nicht von der günstigsten Voraussetzung (in der Vergangenheit war es immer so) auf künftige Ereignisse schließen, da der Gehalt der Conclusio reicher ist als jener der Prämissen. Darüber hinaus ist es uns möglich, uns das Gegenteil von Kontinuität vorzustellen, was bei einem analytischen Urteil nicht möglich ist.

Ein weiteres Problem dieser Form des Schlusses ist die Zirkularität. Um nämlich Gleichförmigkeit zu beweisen, müssen wir von Gleichförmig- keit ausgehen. Formal heißt dies: Wenn p und q, dann q. Nur mit Hilfe der zweiten Prämisse (q) wäre die gewünschte Conclusio zu gewin- nen. Wir würden die Induktionsregel quasi rechtfertigen, indem wir sie rechtfertigen. Das ergibt keinen Sinn. Mit diesen Gedanken im Hinter- kopf muss Hume den Schlussteil des ersten Buchs des Traktats geschrieben haben. Obwohl er zuvor betont hatte, nicht zu jener „fantastischen Sekte der Pyrrhoniker“ zu gehören, so ist er doch bereit,

„all seine Bücher ins Feuer zu werfen“252. Er schreibt, dass er im Begriff sei,

„[… ] allen Glauben (belief) und alles Vertrauen in unsere Schlüsse (reasoning) wegzuwerfen und keine Meinung für möglicher und wahr- scheinlicher anzusehen als jede beliebige andere.“253

Mit diesem Bewusstsein der Unzulänglichkeit (fast) aller menschlichen Vermögen konnte sich Hume, wohl aufgrund seiner eigenen Disposition, nicht zufrieden geben, und so dauert der Zustand dieser für ihn durchaus existentiellen Situation nicht allzu lange. Er wendet sich an die Natur wie weiter unten zu sehen sein wird.

„[… ] da die Vernunft unfähig ist, diese Wolken zu zerstreuen, so ist es ein glücklicher Umstand, dass die Natur selbst dafür Sorge trägt und mich von meiner philosophischen Melancholie und meiner Verwirrung heilt.“254

252 T, Buch II, Teil IV, Sek. VII, S. 269.

253 T, Buch II, Teil IV, Sek. VII, S. 268 ff.

254 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 269.

5. Drei Analysen 125

5.5 Gegenüberstellung der Analysen

Zur Herausarbeitung der kontextualen Schnittmenge der vorgestellten Analysen sind selbige nachfolgend tabellarisch noch einmal zusammengefasst:

Drei Analysen Analyse: Objektanalyse Kausalanalyse Ich Analyse

Gegenstand Perzeption Notwendige Das Selbst Verknüpfung Medium Perzeption Perzeption Perzeption Allgemeine Objekte sind Wirkung in der Ich als Identität Auffassung extern existent Ursache Schwierigkeit lt. Objekte extern Wirkung oder Ich als Einheit erstem Prinzip sind nicht Kraft im Objekt nicht intelligibel intelligibel nicht intelligibel Fakultät der Imagination Imagination Imagination Einordnung Dissonanz Imagination vs. Imagination vs. Imagination vs. zwischen: Reasoning Reasoning Reasoning Lösung: Verstandes- Verstandes- Verstandesprozes prozess prozess ausschal- s ausschalten ausschalten ten Reflex oder In- Natural Belief Natural Belief Natural Belief stinkt zur Siche- rung der pragma- tischen Über- lebensfähigkeit

5.6 Zusammenfassung und erste Schlussfolgerung

Ausgangspunkt für eine Zusammenfassung der Ausführungen soll noch einmal der Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der Schlusssätze des Enquiry mit dem Schlusskapitel des ersten Buchs des Traktats sein:

Am Ende des Enquiry empfiehlt Hume:

5. Drei Analysen 126

„Nehmen wir irgendeinen Band zur Hand, etwa über Gotteslehre oder Schulmetaphysik, so lasst uns fragen: Enthält er irgendeine abstrakte Erör- terung über Größe oder Zahl (wie in der Mathematik)? Nein. Enthält es irgendeine auf Erfahrung beruhende Erörterung über Tatsachen und Exis- tenz (wie in den empirischen Wissenschaften)? Nein. Nun, so werft ihn ins Feuer, denn er kann nichts als Sophisterei und Blendwerk enthalten.“255

Ganz anders das Schlusskapitel des ersten Buchs des Traktats. Hume gibt hier seinem Scheitern als Philosoph, seiner Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit Ausdruck. Er sieht sich als jemanden, der „suf viele

Sandbänke aufgelaufen“256 sei: Zunächst „sehe ich mich durch die menschenleere Einsamkeit, in die mich meine Philosophie geführt hat, in Schrecken und Verwirrung gesetzt“257.

„Wende ich den Blick nach außen, so sehe ich überall Streit, Wider- spruch, Zorn, Verleumdung [… ] Richte ich mein Auge nach innen, so entdecke ich nichts als Zweifel und Unwissenheit.“258

Hume schreibt, dass er bereit sei, „allen Glauben und alles Vertrauen zurückzuweisen“ und dass er „keine Meinung für wahrscheinlicher“ halte „als jede beliebige andere [… ] Ich fange an, mir einzubilden, dass ich [… ] des Gebrauchs jedes [… ] Vermögens vollständig beraubt bin“259.

255 E, S. 165 – im Original: „If we take in our hand any volume; of divinity or school metaphysics, for instance; let us ask, Does it contain any abstract reasoning concerning quantity or number? No. Does it contain any experimental reasoning concerning matter of fact and existence? No. Commit it then to the flames: for it can contain nothing but sophistry and illusion.“

256 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 263 f. – im Original: „Methinks I am like a man, who having struck on many shoals, and having narrowly escap’d ship-wreck in passing a small frith, has yet the temerity to put out to sea in the same leaky weather- beaten vessel, and even carries his ambition so far as to think of compassing the globe under these disadvantageous circumstances.“

257 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 263 f. – im Original: „This sudden view of my danger strikes me with melancholy; and as ’tis usual for that passion, above all others, to indulge itself; I cannot forbear feeding my despair, with all those desponding reflections, which the present subject furnishes me with in such abundance.“ Und weiter: „I am first affrighted and confounded with that forelorn solitude, in which I am plac’d in my philosophy, and fancy myself some strange uncouth monster, who not being able to mingle and unite in society, has been expell’d all human commerce, and left utterly abandon’d and disconsolate.“

258 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 268 f.

259 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 268 f.

5. Drei Analysen 127

Die entscheidende Frage müsste hier wohl lauten: Worin liegt der

Erkenntniszuwachs zwischen Traktat260 und Enquiries261? Was ist das Fundament, von dem Hume meint, dass es ihm den eingangs als zentral postulierten neuen Betrachtungshorizont262 verschafft?

Um dies zu klären, müssen zunächst die Ursachen für das Gefühl des Gescheitertseins am Ende seines Jugendwerks betrachtet werden:

Im Traktat haben wir drei philosophische Systeme263 kennen gelernt:

1. vulgar view, 2. false philosophy und 3. true philosophy.

Unter vulgar view wollte Hume im späteren Verlauf den gemeinen Menschenverstand im positivsten Sinne verstanden wissen. Zunächst dient dieser aber primär als Ausgangsbasis zur Emanzipation von den intellektuellen ‚Peinigern‘ seiner frühen Jugend, dem Calvinismus und dem Stoizismus. Die Thematik des Kampfs gegen die Indoktrination wurde von ihm unmittelbar unter dem Begriff des Aberglaubens weiterverarbeitet.

260 T, Buch I, Teil IV, Sek. II, S. 217: „I feel myself at present of a quite contrary sentiment, and am more inclin’d to repose no faith at all in my senses, or rather imagination, than to place in it such an implicit confidence. I cannot conceive how such trivial qualities of the fancy, conducted by such false suppositions, can ever lead to any solid and rational system.“

261 E, S. 57: „But finding a greater number of sides concur in the one event than in the other, the mind is carried more frequently to that event, and meets it oftener, in revolving the various possibilities or chances, on which the ultimate result depends. This concurrence of several views in one particular event begets immediately, by an inexplicable contrivance of nature, the sentiment of belief, and gives that event the advantage over its antagonist, which is supported by a smaller number of views, and recurs less frequently to the mind. If we allow, that belief is nothing but a firmer and stronger conception of an object than what attends the mere fictions of the imagination, this operation may, perhaps, in some measure, be accounted for. The concurrence of these several views or glimpses imprints the idea more strongly on the imagination; gives it superior force and vigour; renders its influence on the passions and affections more sensible; and in a word, begets that reliance or security, which constitutes the nature of belief and opinion.“

262 Letter to a physician.

263 T, Buch I, Teil IV, Sek. III, S. 222 ff.: „In considering this subject we may observe a gradation of three opinions, that rise above each other, according as the persons, who form them, acquire new degrees of reason and knowledge. These opinions are that of the vulgar, that of a false philosophy, and that of the true.“

5. Drei Analysen 128

Die ganze Hoffnung in diesem Kampf gegen den Aberglauben264 setzte Hume in die wahre Philosophie als Kontraposition zur false philosophy. Unter der ‚falschen Philosophie‘ versteht Hume den dog- matischen Rationalismus der Kartesianer. Diese erhoben den An- spruch, Dinge mit absoluter Sicherheit zu wissen (deshalb dogmatisch) und das Wesen von Gott, Mensch und Universum mit Hilfe des Ver- standes erkennen zu können (deshalb rationalistisch). Hume hoffte,

„die Hinfälligkeit“265 einer derartigen Philosophie zu zeigen, und zwar mit Hilfe des Hinweises darauf, dass Menschen Dinge nicht mit absolu- ter Sicherheit wissen können und dass wir uns zufrieden geben müssen, die Phänomene der Dinge zu verstehen, deren „geheime Ursachen“ uns nicht zugänglich seien.266

Im Gegensatz zu den Vertretern des gemeinen Aberglaubens und der falschen Philosophie reflektiert der wahre Philosoph (true philosophy) auf der Basis einer – wie Hume sie nennt – science of man267. Heute wäre das, was Hume darunter versteht, als Erkenntnistheorie und empirische Psychologie zusammengefasst.

Diesen drei philosophischen Grundanschauungen ordnet Hume wiederum drei Formen des Urteilens268 zu:

264 Im Original: „Superstition“ – siehe nachfolgende Definition laut T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 271 ff.: „For as superstition arises naturally and easily from the popular opinions of mankind, it seizes more strongly on the mind, and is often able to disturb us in the conduct of our lives and actions. Philosophy on the contrary, if just, can present us only with mild and moderate sentiments; and if false and extra- vagant, its opinions are merely the objects of a cold and general speculation, and seldom go so far as to interrupt the course of our natural propensities.“

265 T, Buch II, Teil III, Sek. III, S. 413.

266 T, Buch I, Teil II, Sek. V, S. 64 – im Original: „I answer this objection, by pleading guilty, and by confessing that my intention never was to penetrate into the nature of bodies, or explain the secret causes of their operations. For besides that this belongs not to my present purpose, I am afraid, that such an enterprize is beyond the reach of human understanding, and that we can never pretend to know body otherwise than by those external properties, which discover themselves to the senses.“

267 T, Introduction S. XV: „And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience and observation.“

268 E, S. 56, Fußnote [1]: „Mr. Locke divides all arguments into demonstrative and probable. In this view, we must say, that it is only probable all men must die, or that the sun will rise to-morrow. But to conform our language more to common use, we

5. Drei Analysen 129

1. demonstrative reasoning 2. imagination 3. trivial operations of the imagination

Mit Hilfe des demonstrative reasoning fällen wir analytische und not- wendig wahre Urteile wie: Die Winkelsumme des Dreiecks beträgt 180 Grad. Dieser Satz ist wahr, und zwar unabhängig von unserer Wahr- nehmung. Er ist das Ergebnis des logischen Schließens. Der Nachteil an diesem Verfahren ist ähnlich der kartesischen Kritik am Syllogismus269 das Defizit an Erkenntniserweiterung, da die Winkelsumme bereits im Wesen oder der Idee des Dreiecks enthalten ist. Ob allerdings ein solches Dreieck irgendwo außerhalb unserer Vorstellungswelt existiert, bleibt uns auf diesem logischen Wege verborgen.

Die Hauptfunktion der general operations der Einbildungskraft ist die Strukturierung unserer Erfahrungen hinsichtlich ihres Kausalzusammen- hangs. Wie wir in der Betrachtung der Kausalanalyse sehen konnten, konstituierte sich das Konzept der Kausalität im Betrachter via Imagi- nation in Verbindung mit Wiederholungseindrücken. General bezieht sich damit auf den Anwenderkreis, der neben Philosophen und Kindern auch Tiere (man denke die Speichel-Experimente von Ivan Pawlow ) beinhaltet.

Die „trivial operations (faculties, properties, principles270) of the imagination“ sind ebenfalls imaginativer Herkunft, schließen aber die Kausalschlüsse aus. Wir unterschieden die dauernden, unwidersteh- lichen und allgemeinen Antriebe von den veränderlichen, schwachen und unregelmäßigen. Die Ersteren sind die Grundlage all unserer (zentralen) Gedanken und Handlungen, so dass ohne sie die mensch-

ought to divide arguments into demonstrations, proofs, and probabilities. By proofs meaning such arguments from experience as leave no room for doubt or opposition.“

269 Vgl. D. Perler: Rene Descartes, München 1998, S. 89 ff.

270 „If the reader is desirous to see how a great genius may be influenc’d by these seemingly trivial principles of the imagination, as well as the mere vulgar, let him read my Lord Shaftsbury’s reasonings concerning the uniting principle of the uni- verse, and the identity of plants and animals. See his Moralists: or, Philosophical

5. Drei Analysen 130 liche Natur sofort verschwinden und zugrunde gehen müsse. Die Letzteren (also die trivial operations) sind für die Menschheit weder unvermeidlich noch nötig noch auch nur für ihre Lebensführung von Nutzen.

Humes Absicht war es nun, die drei Urteilsvermögen bestimmten Dingen zuzuordnen. Auf diese Weise soll der dogmatische Rationalismus (false philosophy) in der Weise überwunden werden, dass wenn auch nicht absolut gültige, so dennoch aber wahrscheinliche und vor allem gehaltserweiternde Urteile zu gewinnen sind.

Im Verlauf seiner Analysen entdeckt Hume unter Anwendung der skeptischen Methode jedoch ein Problem, das sein Empirie-Projekt zum Scheitern bringen könnte.

Die Grundlage

Wie zu sehen war, ist der Verstand – mithin das demonstrative reasoning – mit dem Attribut der menschlichen potentiellen Fehlerhaf- tigkeit versehen. Fehler können wir zwar korrigieren, ebenso die Korrek- tur der Korrektur – und so weiter –, bis wir jedes Vertrauen in unsere Fähigkeiten verloren haben. Demgegenüber sind Urteile der Kausalität lediglich durch (sinnliche) Erfahrung und Gewohnheit konstituiert. Eine ebenfalls defizitäre Einrichtung unserer Natur!

Die Folge

Sobald wir uns ausschließlich auf diese beiden Vermögen verlassen, geraten wir unweigerlich zum Katalog der Konsequenzen eines Skepti- zismus, und zwar nicht zu jenem maßvollen Skeptizismus271, der das Newton’sche Programm einer science of man erst ermöglicht und den wahren Philosophen auszeichnet. Wo aber und in welcher Form

rhapsody“. Hume, A Treatise of Human Nature (1739): The Online Library of Liberty: Fußnote [1], S. 183.

271 T, Buch I, Teil IV, Sek. III, S. 224, im Original: „By this means these philosophers set themselves at ease, and arrive at last, by an illusion, at the same indifference,

5. Drei Analysen 131 ist der maßvolle Skeptizismus anzutreffen? Die Antwort scheint sich in der Schnittmenge der oben (vgl. Kapitel 5.5) erörterten Analyse- Trilogie zu offenbaren, wobei wir jetzt die Kausalanalyse aufgrund ihrer Inhärenz der general operations um Gewohnheit und Wiederholung kürzen können, damit schließlich die Gleichförmigkeitshypothese verbleibt. Es ergeben sich somit die folgenden Analysen:

· des Glaubens an die Existenz der Außenwelt (Außenweltproblem),

· des Glaubens an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs (Induk- tionsanalyse) und

· des Glaubens an die Existenz des Ichs (Ich-Analyse).

In jedem dieser Fälle entdeckt Hume, dass lebensnotwendige Glau- bensinhalte über die Welt auf trivial operations und nicht, wie ursprünglich angenommen, auf demonstrative reasoning und general operations basieren. Mit anderen Worten: Elementare Annahmen basieren nicht auf logischen oder kausalen Schlüssen, sondern auf ‚irgendwelchen‘ anderen Verfahren der Einbildungskraft, der Fantasie. Die Einsicht in die Unvermeidbarkeit dieser ‚trivialen Verfahren des Geistes‘ bedeutet für Hume das völlige Scheitern des ursprünglichen empiristischen Projekts oder zumindest die Gefangenschaft im folgen- den Dilemma:

Unkritisches Vertrauen in die trivial principles führt in den gemeinen Aberglauben, und Vertrauen in demonstrative reasoning und general operations führt in den Pyrrhonismus. Wie kann Hume diesem Dilemma entgehen? Wie kann er einen gemäßigten Skeptizismus etablieren, ohne sich den Vorwurf der Abergläubigkeit zuzuziehen. Sollten wir uns am Ende des Traktats mangels Alternative notgedrungen eben doch noch auf die trivial principles verlassen, elaboriert er zehn Jahre später in in den Enquiries ein neues positives Vermögen, den natural belief272.

which the people attain by their stupidity, and true philosophers by their moderate scepticism.“ (eigene Hervorhebung)

272 Der Terminus des natural belief taucht bei Hume selbst nie in dieser Form auf, ist jedoch seit Kemp Smith als Bezeichnung der „natürlichen Glaubensinhalte“ durch- gängig anerkannt. Er repräsentiert aber von Beginn an auch unter dem Begriff des

5. Drei Analysen 132

Dieser scheint einen Prozess zu steuern, welcher bei allen Analysen bzw. Einschätzungen unserer Realität gewissermaßen subrational und im ‚abgesicherten Modus‘ ausgeführt wird. Er vermittelt ferner den Widerspruch zwischen der Disziplinen des reflexiven Diskurses (philoso- phical reasoning) und dem Einbildungsvermögen (imagination). In je- dem Falle empfindet das reflektierende Subjekt Zustandsveränderun- gen, die Hume mit dem Aufkommen einer uneasiness273 beschreibt. Diesen Zustand seien wir eben aufgrund seiner Unangenehmheit zu überwinden bestrebt. Dabei benötigen wir (zum Glück) noch nicht

Glaubens allgemein (ohne den Appendix des „natural“) den Glauben an Kausali- tät etc. Zum Nachweis der Erscheinungsformen des Terminus siehe unten (aus THN, S. 678- 679, leicht gekürzte Version): § 1. The vivacity of a perception, 86; a strong and steady conception of any idea, 97 n, 101, 103, 116, 119; ‘vivacity’ distinguished from ‘clearness’, since there is as clear an idea of the object in disbelief as in belief, but in belief the idea is con- ceived in a different manner, 96; the force or strength of an idea distinguished from the agitation it produces in the mind; hence the difference between poetry and history, 631 (cf. 419); vivacity not the only difference between ideas: ideas really feel different, 636 (cf. 629); vivacity of impression not the test of truth nor the only source of belief, 143, 144; thus philosophical differs from unphilosophical probability, because it corrects vivacity by reflexion and general rules, 146 f., 631. § 2. Is a lively idea produced by a relation to a present impression, 93, 97, 98, 209, 626, which relation is produced by custom, 102; belief arises only from causation, not from resemblance and contiguity, 107, though assisted by their presence and weakened by their absence, 113. § 3. Belief weakened by a long argument, 144; this a remedy of scepticism, 186 (cf. 218), 268; exception in case of history, 146, and morals, owing to their peculiar interest, 455; imperfect belief the direct result of an imperfect habit or the indirect result of a divided perfect habit, 133 f.; belief which attends probability a com- pounded effect, 137; unphilosophical probability, 146 f. § 4. Belief in existence of an object which arises from relation of cause and effect is no new idea attached to the simple conception of the object, 623 (cf. 66 f.); (a) it is not the idea of existence attached to the idea of the object, for we have no abstract idea of existence, 623; (3) it is not an idea at all r[?] if it were, a man could believe what he pleased, since the mind has the command over all its ideas, 624 (cf. 184); belief is ‚merely a certain feeling or sentiment’ which depends not on the will, and which alone distinguishes fact from fancy, 624, 153; it is more properly an act of the sensitive than of the cogitative part of our natures, 183 (cf. 103), and is not a simple act of thought, 184. But it is not a feeling or impression distinguishable the conception, for (a) there is no distinct impression which attends every distinct conception of matter of fact, 625.

273 Beispiel für den Zustand der uneasiness: Wir reflektieren das Selbst und erkennen, dass die Entität eines Selbst dem Skeptizismus zum Opfer fällt. Dieser Verlust löst jenes besagte Beklommenheitsgefühl aus, das zu überwinden wir subrational determiniert seien.

6. Freiheit im Kontext der trivial principles 133 einmal unseren Verstand, sondern können und sollen diesen sogar ignorieren.

Tut man dies, wird deutlich, dass unser Bewusstsein gewissermaßen im ‚Autopiloten‘ einen eigenen Lösungsmechanismus aktiviert, welcher ein Weltbild bzw. eine Realität konstruiert, deren Effizienzkriterium nicht der Grad der Vernünftigkeit eines Urteils ist, sondern die Praktikabilität oder Funktionalität. Mit anderen Worten: Entscheidend für die Qualität eines Urteils ist die Lebbarkeit seiner Konsequenz.

6. Freiheit im Kontext der trivial principles

Nachdem die vorangehenden Ausführungen den Blick dafür geschärft haben, inwiefern die Imagination für Prozesse der Konstruktion zuständig ist, i. e. S. der trivial principles, soll mit dem Versuch begonnen werden, das Hume’sche Freiheitskonzept einmal von einer anderen Perspektive aus zu betrachten.

Entsprechend dem von Hume vorgegebenen empiristischen modus operand274i für die Sicherung wissenschaftlicher muss zunächst auf der Suche nach einem solchen Eindruck der Freiheit im Erfahrungsraum (Erinnerungsvermögen) nach entsprechenden Perzeptionen gesucht werden. Da wir uns häufig nicht der Ursachen unseres Wollens bewusst werden, sondern lediglich des Impulses unseres Wollens, kommt es zu einer verhängnisvollen Verwechslung. Diese Verwechslung der beiden Zustände führt in der Alltagswelt der Menschen zu dem Eindruck der Willensfreiheit, so Hume in den Enquiries. Dieser Eindruck resultiert allerdings auch aus einer Vielzahl von Erfahrungen des ‚Nicht- beeinflusst-Seins‘ und generiert somit über das Medium der Gewohn-

274 T, Buch I, Teil I, Sek. I, S. 6 ff., im Original: „This is not, properly speaking, an exception to the rule so much as an explanation of it. Ideas produce the images of themselves in new ideas; but as the first ideas are supposed to be derived from impressions, it still remains true, that all our simple ideas proceed either mediately or immediately from their correspondent impressions.“

6. Freiheit im Kontext der trivial principles 134 heit zunächst skeptischen Glauben, dann die Gewissheit:275 Ich bin frei!

Im Folgenden soll nun der Versuch einer Wertung dieser Aussage dergestalt untergenommen werden, dass zunächst ein mir allgemein in der Betrachtung subjektiver Freiheitsauffassungen notwendig schei- nender Aspekt Berücksichtigung findet.

Woraus resultiert die scheinbare Fähigkeit, z. B. einem Mitmenschen die Willensfreiheit abzusprechen, wenn dieser eine solche für sich selbst in Anspruch nimmt (oder glaubt nehmen zu können)? Dies wird umso fragwürdiger, wenn man bedenkt, dass beiden Positionen entsprechende Perzeptionen zugrunde liegen, die unsere gesamte Realität ausmachen.

Ein Beispiel

Man weiß von einem Freund, dass dieser lieber wandert als Rad fährt. Wenn er nun vor die Wahl zwischen einer Wanderung und einer Radtour gestellt wird, wird er sich mit einiger Gewissheit für die Wande- rung entscheiden. Da eben dieses Ergebnis vorhersagbar war, könnte man annehmen, es gebe in diesem Fall keine Willensfreiheit. Der Wille wurde hier von seiner Präferenz beeinflusst. Er selbst hingegen wird darauf bestehen, auch anders gewollt haben zu können.

Welcher Schluss muss nun aus diesem Beispiel gezogen werden? Offensichtlich scheint ein möglicher Lösungsansatz in der Perspektive zu liegen.276 Dabei ergeben sich zwei Ansätze. Der erste Ansatz ergibt sich durch eine Veränderung der Distanz der Betrachtungsweise. Betrachtet man die Situation aus der Nähe (was Max Planck als den mikroskopischen Standpunkt bezeichnet), erkennt man verschiedene Einzelhandlungen, deren übergreifenden Kontext man aber aufgrund der großen Nähe nicht zu erkennen in der Lage ist. Da nun jede Hand-

275 In einem viel weiter gehenden Sinne, als es für das Etablieren von Handlungs- freiheit notwendig ist.

6. Freiheit im Kontext der trivial principles 135 lung für sich alleine, gewissermaßen isoliert wahrgenommen wird, scheint diese zunächst willkürlich oder gar zufällig. Diese Sichtweise würde – auf das Beispiel übertragen – etwa bedeuten: Wenn man, ohne die jeweiligen Personen zu kennen, zweien den besagten Vor- schlag macht und der eine die Wanderung bevorzugt, der andere die Radtour, könnte man die Ergebnisse als zufällig einordnen, da das Ergebnis, wenn man zwei beliebige andere Personen befragt hätte, möglicherweise auch zweimal zugunsten der Radtour hätte ausfallen können. Wie auch immer: Das Ergebnis scheint zufällig.

Verändern wir nun die Perspektive, indem wir die Distanz zum unter- suchten Objekt vergrößern (was gegenüber der vorigen Perspektive jetzt der makroskopischen Betrachtung gleichkommt). Für das Beispiel nimmt man damit nicht nur eine isolierte Frage bzw. deren Beantwor- tung zum Gegenstand der Untersuchung, sondern dehnt denselben zugunsten einer möglichst vollständigen Betrachtung aller relevanten zur Verfügung stehenden Informationen aus. Es ergibt sich sodann ein neues Bild, indem die einzelnen, zunächst voneinander unabhängig stattfindenden Aktionen einem übergeordneten Kontext untergeord- net werden. Innerhalb dieses Kontexts (oder Systems) bedingen sich einzelne Ursachen und Wirkungen und es entsteht eine kausale Abfolge, die sich einer strengen Ordnung unterwirft.

Fazit

Ein und derselbe Vorgang führt also je nach Perspektive277 zu unter- schiedlichen, sogar zu gegensätzlichen Schlussfolgerungen.

Überträgt man dies auf die oben postulierte Proposition (Ich bin frei) und verknüpft das Ergebnis mit dem empirischen Prinzip sowie mit den

276 Vgl. Max Planck: Vom Wesen der Willensfreiheit und andere Vorträge, Frankfurt a. M. 1990, S. 109.

277 Danach ist für unsere Beurteilung der Freiheit entscheidend, ob wir entsprechende (mikro- oder makroskopische) Eindrücke abgespeichert haben. Überwiegen die mikroskopischen Eindrücke, kommen wir zum Schluss der Bejahung der Willensfrei- heit. Überwiegen die makroskopischen Eindrücke, wird Willensfreiheit verneint. Je nach Intensität und Quantität dieser Eindrücke vermögen diese beim wahrneh- menden Subjekt sogar Gewissheit bzw. Wissen bilden.

6. Freiheit im Kontext der trivial principles 136

Schlussätzen des Traktats in Verbindung mit der ‚Schnittmenge‘ der Zusammenfassung aus Kapitel 5.5 dieser Arbeit, gelangt man zu drei fundamentalen Aussagen, die methodisch geeignet sind, als Zwi- schenergebnisse das weitere Vorgehen abzusichern:

I. Urteile über Freiheit sind erfahrungsabhängig.278 II. Freiheit kann (bzw. muss auch!) subjektiv interpretiert werden. III. Urteile über Freiheit können auf trivial principles basieren.

Repräsentierten die trivial principles aber im Traktat noch die verab- scheuungswürdigen Ursachen des Aberglaubens, so erkennt Hume in den Enquiries deren zentrale Rolle für das menschliche Erkennen und Überleben. Die Elaboration dieser principles, nun präsent im Kleide einer bisher vagen Vorstellung eines natural belief279, ist mit erhebli- chen Konsequenzen für das philosophische Konzept Humes über- haupt verbunden und repräsentiert die Affirmation der naturalistisch- psychologistischen Lesart im Sinne Kemp Smiths.

Im hier zu bearbeitenden Kontext ist der Betrachtungshorizont jedoch begrenzt auf das Konzept der Freiheit. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden das Vermögen des natural belief ausführlich, insbesondere auf seine Funktionalität für die Konstruktion unseres Freiheitsgefühls untersucht werden. Da Hume den Begriff des belief schon im Traktat mehrdimensional verwendet, sind nachfolgend die Textstellen im jeweiligen Kontext in Stichworten aufgeführt.

278 Damit ist dem ersten Prinzip (First principle: Postulat des Empirismus) Rechnung ge- tragen.

279 E, S. 151 – im Original: ,,It seems evident, that men are carried, by a natural instinct or prepossession, to repose faith in their senses; and that, without any reasoning, or even almost before the use of reason“.

7. Der Glaube 137

7. Der Glaube

7.1 Einführung

Hume hatte – wie bereits dargelegt – den Glauben an die Existenz der von uns unabhängigen Außenwelt (sowie an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs und an das Ich) im Traktat als ein Produkt der blinden Einbildungskraft identifiziert. Weil dieser Glaube jedoch zugleich lebensnotwendig ist, vermochte er die blinde Einbildungskraft, die zugleich Ursprung so großen Übels ist (Vorurteile, Aberglaube, Schwär- merei), nicht mehr als irreführendes Geistesvermögen abzutun. Im Traktat misslang der Versuch, die wahre (empirische) Philosophie vom Aberglauben oder anderen Fantasien abzugrenzen. Doch schon wenige Monate später, im Abstract, beginnt er mit der Entwicklung eines Arguments, das seine Vervollkommnung erst in den zehn Jahre später erscheinenden Enquiries erfährt. Die Entdeckung der Wichtig- keit und zentralen Bedeutung desselben für Humes gesamtes Werk erkannte erst Kemp Smith 1905, womit in der Sekundärliteratur der Beginn der modernen Hume-Forschung fixiert ist.

Der Glaube an die Gleichförmigkeit der Natur, so heißt es jetzt bei Hume, sei kein Produkt der blinden Einbildungskraft, sondern ein „natürlicher Glaubensinhalt“, der angeboren sei und von allen

Lebewesen geteilt werde.280

Glauben wir zum Beispiel, dass ein bestimmtes Ereignis eintreffen wird (weil ein anderes bestimmtes Ereignis, z. B. dessen Ursache eingetrof- fen ist), so spielt hier eine Art natürliche Instinkte eine zentrale Rolle – Instinkte, „die keine Vernunfttätigkeit, d. h. kein Denk- oder Verstan- desprozess jemals hervorzubringen oder zu verhindern mag“281. Der Unterschied zwischen einer beliebigen Fiktion und dem Glauben, dass ein bestimmtes Ereignis – nämlich die Wirkung (eines anderen

280 Spätestens mit diesem Zugeständnis überwindet Hume sein 1. Prinzip und muss sein Bestreben der ausschließlich empiristischen Fundierung seiner Philosophie zunächst aufgeben bzw. expandieren.

7. Der Glaube 138

Ereignisses) – eintreffen werde, besteht darin, dass im zweiten, nicht jedoch im ersten Fall ein instinktiver Glaube hinzutritt, der sich auf der Empfindungsebene folgendermaßen äußert:

Die mit dem kausalen Glauben einhergehende „Festigkeit“, „Leben- digkeit“ und „Geordnetheit“ ist kein Produkt des Willens und der Einbil- dungskraft, kann also nicht beliebig bzw. willentlich hervorgerufen oder ignoriert werden, sondern nur durch die Natur (extramental via Erfahrungen bzw. Instinkte) geweckt werden.

Während dieses Verfahren den jungen Hume noch in Selbstzweifel gestürzt hat, erkennt der um zehn Jahre gereifte Autor durchaus die beträchtlichen Vorteile eines solchen Systems, denn der Glaube an die Außenwelt sei so wesentlich für die Erhaltung aller menschlichen Geschöpfe, dass es gut sei, wenn er nicht den trügerischen Deduktionen unseres langsam arbeitenden Verstandes anvertraut werde.

Der menschliche Verstand

„macht sich in früher Kindheit gar nicht bemerkbar und ist im Grunde während jedes Alters und jeder Periode des menschlichen Lebens Irrtum und Fehlerhaftigkeit in hohem Maße ausgesetzt. Es entspricht dagegen mehr der gewöhnlichen Weisheit der Natur, einen so notwendigen Geis- tesakt oder eine menschliche Tendenz sicherzustellen. Wie uns die Natur den Gebrauch unserer Glieder gelehrt hat, ohne uns von den Muskeln und Nerven, wodurch sie bewegt werden, Kenntnis zu geben, so hat sie uns einen Instinkt eingepflanzt, der unser Denken in eine Richtung führt, die dem Ablauf der zwischen den Außendingen waltenden Verhältnisse entspricht“.282

Dem Glauben sowohl an die unabhängig von uns existierende Außen- welt als auch an die Gleichförmigkeit der Natur und an das Ich kommt lebensnotwendige Bedeutung zu, wäre doch alle Handlungsfähigkeit des Menschen außer Kraft gesetzt, könnten wir uns nicht mehr darauf verlassen, dass beispielsweise eine frühere durchgängige Erfahrung (z. B. Hitze des Feuers) auch in der Zukunft Bestand haben wird.

281 E, S. 59.

282 E, S. 68 ff.

7. Der Glaube 139

Die Gewissheit sowohl kausaler Schlüsse als auch einer außerhalb von uns gesondert existierenden Außenwelt wird demnach in den Enquiries nicht mehr auf logische, sondern auf biologische, natürliche Voraussetzungen gegründet, der Verstand damit außen vor gelassen. Der Glaube an die Außenwelt ist zwar nicht rational, aber auch nicht irrational, wären wir doch ohne denselben nicht überlebensfähig. Wir können zwar mit guten Argumenten gegen die gesonderte Existenz der Objekte vorgehen, das Ergebnis aber nicht glauben.

Die Natur hat uns mit der Fähigkeit versehen, bestimmte Auffassungen zu reflektieren und uns gegensätzliche Auffassungen vorzustellen (etwa die Vorstellung, dass die Sonne morgen nicht aufgehen werde); sie hat uns jedoch nicht freigestellt, an jede beliebige Vorstellung (Fantasie) zu glauben oder nicht zu glauben. Vielmehr sind wir gezwungen, ein Leben im Einklang mit den durch den Verstand mögli- chen Zweifeln zu leben, ohne sie gänzlich ausräumen zu können. Diesen instinktiven Glauben teilen nicht nur alle Menschen, sondern auch die Tiere, obwohl Letztere

„einen großen Teil ihres Wissens durch Beobachtung lernen, so gibt es doch einen anderen großen Teil, den sie aus der Hand der Natur ursprünglich empfangen, der bei weitem ihre gewöhnlichen Fähigkeiten übersteigt [… ] Wir bezeichnen das als Instinkt und bewundern es gerne als etwas ganz Außergewöhnliches und durch keine Untersuchung des menschlichen Verstandes Erklärbares. Aber unser Staunen wird vielleicht aufhören und nachlassen, wenn wir bedenken, dass unser Folgern aus der Erfahrung, das wir mit den Tieren gemein haben und von dem die ganze Lebensführung abhängt, selbst nichts anderes ist als eine Art In- stinkt oder mechanische Kraft, die – uns selbst bekannt – in uns wirkt und in ihren Hauptfunktionen den eigentlichen Gegenstand unserer geistigen Tätigkeit ausmacht. Mögen auch Instinkte verschieden sein, so ist es dennoch ein Instinkt, der einen Menschen lehrt, Feuer zu meiden, ebenso wie der, welcher einen Vogel mit solcher Genauigkeit die Fertigkeit des Brütens lehrt und die ganze Einrichtung und Ordnung der Brutpflege.“283

Die Natur hat also ihre Lebewesen mit einem Vermögen versorgt, das leichter und allgemeiner als der Verstand zu handhaben und anzu- wenden ist. Der natürliche Glaube ist weder vom Willen noch von der Erziehung abhängig und kann ebenso wenig übergangen werden. Zwar kann man sich das Gegenteil des Geglaubten vorstellen, aber

283 E, S. 126 ff.

7. Der Glaube 140 man kann nicht ernsthaft glauben, dass es wahr sei. Man könnte an- nehmen, dass die Beantwortung so elementarer Fragen wie nach unserer Einschätzung von Ursache und Wirkung oder nach der geson- derten Außenwelt dem Verstand überlassen bliebe – aber dieser Ver- stand hätte aufgrund seiner Fehlerhaftigkeit ein Überleben der Spezies wohl kaum ermöglicht.

Der Glaube an die gesonderte Existenz, an die Gleichförmigkeit der Natur und an das Ich basiert somit auf einer Art Instinkt und ist eben kein Produkt der blinden Einbildungskraft, wie Hume noch im Traktat annehmen musste.

Glaubensinhalte, die sich auf empirische Erfahrungen stützen, sind die von Hume im Traktat noch nicht klar definierten, begründeten Über- zeugungen, während nicht auf Erfahrung beruhende Glaubensinhalte purer Fantasie oder einem Aberglauben entspringen. Schließlich und drittens gebe es noch unbegründete (also nicht auf Erfahrung beruhende) Glaubensinhalte, die dennoch natürlich sind:

1. Der Glaube an die Gleichförmigkeit der Natur 2. Der Glaube an die gesonderte Existenz der Außenwelt 3. Der Glaube an ein Ich oder Selbst

Wichtig ist dabei, dass diese natürlichen, aber nicht begründeten Glaubensinhalte lebensnotwendig sind. Damit meint Hume die Tatsa- che, dass – würden wir uns beispielsweise nicht auf die Gleichförmig- keit der Natur verlassen können – wir an jedem neuen Tag die Welt von Neuem zu erlernen hätten. Dasselbe gilt für unsere Auffassung von der Außenwelt. Wie zermürbend ist die Vorstellung, sich der Zweifach- heit eines jeden Gegenstandes unseres Gesichtsfelds ständig bewusst werden zu müssen – eine Aufgabe, der unser Verstand wohl für kurze Zeit gewachsen ist, die aber langfristig aufgrund der daraus resultie- renden Komplexität nicht zu bewältigen wäre.

Weit stärker als im Traktat betont Hume in den Enquiries den positiven Einfluss von Instinkten. Besonders unter dem Aspekt des geschichtli- chen Moments wird der konstruktivistische Charakter dieser Auffassung

7. Der Glaube 141 deutlich. Darin sieht Hume das Fundament und schließt mit dem, was wir mit den Tieren gemeinsam haben, nun den Kreis vom dialectic struggle, der uns, ausgehend vom common view, über das unbegrün- dete Fantasiekonstrukt der false philosophy zur wahren oder richtigen Philosophie gelangen lässt.

Als Folge der Sektionen II284 und III unterstreicht Hume noch einmal zu Beginn der IV. Sektion die Bedeutung der Imagination. So ist diese für ihn der „ultimate judge of all systems of philosophy“285.

Die Imagination selbst müsse noch einmal wie folgt unterteilt werden:

Prinzipien der Imagination:286

A) B) permanent changeable irresistable weak universal irregular

Während die ‚alte Philosophie‘ auf den unter B) genannten Grund- lagen fuße, gelte A) für die ‚moderne Philosophie‘. Diese für Letztere geltenden Grundlagen untersucht Hume nun mit Hilfe einer reductio ad absurdum:

Farben, Töne, Geschmack, Gerüche, Wärme und Kälte sind nach der modernen Philosophie bare Impressionen des Geistes (und sekundäre Qualitäten) ohne Entsprechung in einer von uns unabhängigen Welt. Hume kann dieser Aussage insoweit zustimmen, als daraus folgt, dass diese Impressionen veränderlich sein können, ohne eine Veränderung in der Außenwelt vorauszusetzen. Gleichzeitig erkenne die moderne

Philosophie ihre „primary qualities“287 in Ausdehnung und Festheit.288 Dazu gehöre unter anderem auch die Bewegung. Nur diese Bewe-

284 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 225.

285 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 225.

286 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 225, im Original: „In order to justify myself, I must distinguish in the imagination between the principles which are permanent, irresistable, and the principles, which are changeable, weak, and irregular“.

287 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 227.

288 Hume: Extension und Solidity.

7. Der Glaube 142 gung wird genauer analysiert. Dabei stellt sich heraus, dass wir uns Bewegung nur vorstellen können, wenn wir sie uns als Bewegung von etwas über sekundäre Qualitäten Verfügendes denken. Absurd wird dies insofern, als wir – gesetzt, die Aussage über die primären Qualitä- ten stimmt – keine anderen Aussagen über die primären Qualitäten machen können, da diese ohne sekundäre Qualitäten keinen Beweis ihrer Existenz in sich tragen und darüber hinaus unmögliche Vorstellun- gen sein müssen.

Hume beendet das mit einer Schlussfolgerung, die für ihn vermutlich nur wenig zufrieden stellend war. Zunächst weist er auf den aus der vorstehenden Untersuchung liegenden Gegensatz von Verstand und Emotion hin. Dies signalisiert er explizit mit dem Beginn des letzten

Absatzes: „Thus … “289 Aufgrund des zu den Sektionen II und III Gesagten liegt die Annahme jedoch nahe, dass sich dieses „Thus“ eher auf die Gesamtheit der Sektionen II, III und IV bezieht und diese Sektionen damit zu einer Einheit im Traktat werden. Dabei ist es meines Erachtens unerheblich, dass diese Einheit über keinen konstruktiven Schluss verfügt. Im Vordergrund steht vielmehr die Erkenntnis, dass Hume hier – auf der Kritik der Systeme aufbauend – seinen eigenen epistemologisch gewichteten, psycho-logistischen Determinismus manifestiert.

Man kann nun in der Betrachtung der Auseinandersetzung der modernen mit der alten Philosophie eine These-Antithese-Struktur erkennen, und zwar einmal innerhalb der jeweiligen Diskurse und zum anderen zwischen den beiden Diskursen. Die Synthesis folgt in Sektion VII, dem Schluss des Buches:

Zu Sektion VII – Schluss dieses Buches

Zunächst sei auf eine meines Erachtens bestehende Übersetzungs- unklarheit hingewiesen. Theodor Lipps bezeichnet nämlich die VII.

289 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 231.

7. Der Glaube 143

Sektion als „Schluss dieses Buchs“290. Hume nennt die Sektion „Con- clusion of this book“291. Die Übersetzung mit „Schlussfolgerung“ wäre daher treffender gewesen. Hume nennt im Anschluss an die Schilderung seiner Verzweiflung noch einmal zusammenfassend Erfahrung und Gewohnheit als die beiden wesentlichen Elemente, wenn es um die Erklärung unseres Schlussfolgerns geht. Beide Elemente wirken auf die Einbildungskraft, die uns wiederum veranlasst,

„certain ideas in a more intense and lively manner“292 vorzustellen. Ferner gelte:

„The memory, senses, and understanding are, therefore all of them founded on the imagination, or the vivacity of our ideas.“293

Für Hume ist klar, dass diesem Vermögen nicht getraut werden kann. Hier erfolgt aber eine bewusste Ergänzung in Klammern: „(as it must be)“294. Lipps übersetzt hier: „wie wir müssen“, was als Hinweis auf einen epistemologischen Charakter verstanden werden könnte. Da- bei stellt sich die Frage nach der Hume’schen Intention. Lipps’ Über- setzung lässt auf eine psychologisch manifestierte Notwendigkeit schließen, wobei man aber ebenso übersetzen könnte: „wie man (i. e. S. wie es sein) muss“ unter Annahme einer ontologischen Inten- tion.

Da ich mich bereits oben, im Rahmen der Erklärung der Vorgehens- weise zur dieser Arbeit, für eine explizit psychologistisch-naturalistische Auffassung im Kemp Smith’schen Sinne entschieden habe, soll die Stelle als Hinweis dafür stehen, dass Hume hier die Unterstreichung seiner These intendiert, dass dieses Schließen sich in der Sphäre der Tatsachenurteile befindet und somit weniger durch den Verstand als mit Hilfe einer instinktiven Veranlagung zu begründen ist.

290 Vgl. deutsche Übersetzung des Traktats von Theodor Lipps S. 341

291 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 263.

292 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 265.

293 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 265.

294 T, Buch I, Teil IV, Sek. IV, S. 265.

7. Der Glaube 144

Sektion VII des dritten Teils genauso wie Sektion V scheinen zunächst vom Hauptargument des dritten Teils abzuweichen, da sie genau wie die drei folgenden, vertiefenden Sektionen bemüht sind, das Hume’sche Konzept des Glaubens zu elaborieren. Hume zeigt mit seiner Theorie, dass es eine fundamentale Korrelation zwischen den mentalen Verknüpfungen – wenn wir von Ursachen auf Wirkung schließen – und dem, was wir glauben, gibt. Er schreibt: „Belief arises only from causation.“295

Bevor man nun Humes Auffassung von der eigentümlichen Beziehung zwischen Kausalität und Glaube begreifen kann, muss zunächst geklärt werden, wie Hume den Glauben einzuordnen bemüht ist. Er ist sich selbst der Neuheit seiner Analyse zur eigentlichen Natur des Glaubens bewusst und schreibt: „This act of the mind (belief) has never yet been explain'd by any philosopher.“296

Er scheint unzufrieden mit seiner eigenen Erklärung zu sein, da ihm keine Begriffe zur Verfügung stehen, mit denen er die Operation des Glaubens auch nur annähernd definieren kann. Im Appendix der Selby-Bigge-Ausgabe wird auf den folgenden nachträglichen Einschub Humes hingewiesen:

„This operation of the mind, which forms the belief of any matter of fact, seems hitherto to have been one of the greatest mysteries of philosophy; tho' no one has so much as suspected, that there was any difficulty in explaining it. For my part I must own , that I find a considerable difficulty in explaining it: For my part I must own, that I find a considerable difficulty in the case; and that even when I think I understand the subject perfectly, I am at a loss for terms to express my meaning.“ 297

Erst im Anschluss an seine Erklärung des Glaubens in Sektion VII und den drei Anmerkungen wendet sich Hume den nachfolgenden Sektionen zu, die Ursachen des Glaubens betreffend und dessen Einfluss auf unsere „passions and actions“.

295 T, Buch I, Teil III, Sek. IX, S. 107.

296 T, Hume, A Treatise of Human Nature (1739): The Online Library of Liberty, S. 181.

297 T, Appendix, S. 628.

7. Der Glaube 145

Humes Definition des Glaubens298

Hume beginnt in Sektion VII mit der These, dass wir, um an etwas glauben zu können, von diesem Etwas eine Vorstellung haben müssen. Der Grund hierfür sei offensichtlich: Wenn wir keine Vorstellung von etwas haben, können wir uns dieses Etwas nicht bewusst werden und damit auch nicht daran glauben. Nichtsdestoweniger (obwohl der Besitz einer Vorstellung eine notwendige Bedingung darstellt) sei diese noch nicht hinreichend für unseren Glauben; wir hätten viele Vorstellungen von Dingen, an deren Existenz wir nicht glaubten. Aber was ist es, was Vorstellungen, an die wir glauben, unterscheidet von Vorstellungen, an die wir nicht glauben. Eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre: Wenn wir an die Existenz von etwas glauben, haben wir im Grunde zwei Vorstellungen. Hume fragt weiter: „Wherein consists the difference betwixt incredulity and belief.“299

Diese Frage hat er bereits im voranstehenden Absatz beantwortet. Danach liegt die Antwort dafür, ob wir an etwas glauben oder nicht, nicht in den Vorstellungen selbst, sondern in der Art und Weise, wie wir die Vorstellungen wahrnehmen. Das Ziel in der Zusammenfassung der Sektion VII besteht in der Erklärung eben dieser Art und Weise.

Die Analyse ist vorhersehbar. Da Perzeptionen bekanntermaßen nur in einer Weise voneinander abweichen können – nämlich durch ihre force und vivacity –, muss auch eine Vorstellung, an die wir glauben, in irgendeiner Form mit Kraft und Lebendigkeit behaftet sein. Würde man die Vorstellung eines bestimmten Objekts verändern wollen, könnte dies nur im Verändern des Grades seiner force und vivacity sein. Der Glaube operiert in diesem Sinne dergestalt, dass er einer beliebigen Vorstellung zusätzliche force und vivacity verleiht. Aus alledem formuliert Hume seine Definition des Glaubens. Glaube sei

298 T, Buch I, Teil III, Sektin VII, S. 94.

299 T, Buch I, Teil III, Sektin VII, S. 95.

7. Der Glaube 146 danach „a lively idea related to or assosiated with a present impression“300.

7.2 Von den Gründen des Glaubens

Nachdem Hume die Natur des Glaubens mit Hilfe der vorstehenden Definition formuliert hat, scheint es ihm ein Anliegen, herauszufinden, von welchen Prinzipien insbesondere seiner eigenen Systematik der Glaube abgeleitet werden kann.

Er beginnt in Sektion VIII mit einer erweiterten Definition des Glaubens.

„I wou'd willingly establish it as a general maxim in the science of human nature, that when any impression becomes present to us, it not only transports the mind to such ideas as are related to it, but likewise communicates to them a share of its force and vivacity.“301

Bei dieser Definition handelt es sich um eine psychologistische Elabo- ration der Theorie der Assoziation von Perzeptionen. In diesem Sinne scheinen Relationen, die den Gegenstand unseres Denkens konstituie- ren, auch in der Lage zu sein, mindestens eine weitere Entität, nämlich Kraft und Lebendigkeit zu vermitteln.

Sehen wir beispielsweise ein Statue von Jesus am Kreuz,302 wird unser Geist auf dem Wege der Gesetze der Relationen mit früheren, sich be- reits in unserem Vorstellungsvermögen befindlichen ideas konfrontiert. Die Heftigkeit unserer Reaktion auf dieses Abbild resultiert im Sinne Humes aus dem Zusammentreffen dreier Faktoren:

1. Die Klarheit bzw. Größe des Abbildes. 2. Die vorhandenen, das Abbild betreffenden Vorstellungen. 3. Eine aus 2. resultierende Disposition unseres Geistes.

Treffen nun diese drei Faktoren mit einer an Kraft und Lebendigkeit reichen Impression zusammen, empfinden wir die damit verknüpften

300 T, Buch I, Teil III, Sek. VII, S. 96.

301 T, Buch I, Teil III, Sek. VIII, S. 98.

302 T, Buch I, Teil III, Sek. VIII, S. 99, Hume spricht von „strange superstition“ im allgemei- nen Sinne, was ihm heftige Kritik der Kirche einbringen musste.

7. Der Glaube 147

Vorstellungen aufgrund der Übertragungsfähigkeit innerhalb der Asso- ziationsgesetze als stark und lebendig. Hume geht einen Schritt weiter, indem er eben jene Relationen nennt, die besonders geeignet sind,

Kraft und Lebendigkeit zu vermitteln.303

1. Resemblance (Ähnlichkeit)

Je genauer die aktuelle Impression ‚Kreuz Jesu‘ den in unserem Erinne- rungsvermögen vorhandenen Vorstellungen von der Passion (etwa durch biblische Filme, Texte oder Erzählungen) entspricht, umso geneigter sind wir, daran zu glauben. Die römisch-katholische Kirche ist nach Hume voll von Götzenbildern,304 die eigens zum Zwecke der Indoktrination für den o. a. Effekt entwickelt wurden.

2. Contiguity305 (Kontingenz)

Kontingenz, sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht, dient ebenfalls gewissermaßen als Verstärker. Je weiter, so Hume, wir uns beispielsweise dem oben erwähnten Abbild annähern, desto lebendi- ger und stärker wird die Vorstellung.

3. Causation (Kausalität)

Diese Relation steht nicht zufällig an letzter, sondern gewissermaßen in (erkenntnis-)konzeptioneller Hinsicht an erster Stelle für Hume, da mit ihr die systematische Einführung zu Humes Kausaltheorie beginnt. Se- hen wir ein Zeugnis (Ursache), z. B. ein Kruzifix, fällt uns nichts leichter, als in Folge dessen eine lebendige und starke Vorstellung von Jesus selbst zu entwickeln (Wirkung). Hume fasst die Schritte selbst noch einmal zusammen, um deren zentrale Bedeutung zu untermauern:

„’Tis certain we must have an idea of every matter of fact, which we believe. ’Tis certain, that this idea arises only from a elation to a present impression. ’Tis certain, that the belief super-adds nothing to the idea, but only changes our manner of conceiving it, and renders it more strong and lively. The present conclusion concerning the influence of

303 T, Buch I, Teil III, Sek. VIII, S. 99.

304 T, Buch I, Teil III, Sek. VIII, S. 99, „devotees“.

305 T, Buch I, Teil III, Sek. VIII, S. 100 ff.

7. Der Glaube 148

relation is the immediate consequence of all these steps; and every step appears to me sure and infallible. There enters nothing into this operation of the mind but a present impression, a lively idea, and a relation or association in the fancy betwixt the impression and idea; so that there can be no suspicion of mistake.“306

Nachdem Hume noch einmal einen Hinweis auf den Charakter seiner Untersuchungen gibt, indem er ausdrücklich von der Methode der Beobachtung und des Experiments spricht, vollzieht er selbst diese Experimente:

1. Experiment

Betrachtet man eine beliebige Impression zum ersten Mal und vor allem für sich isoliert (also ohne die zuvor erwähnten assoziativen Ver- knüpfungen), so vermag diese Impression nicht mehr zu sein als irgendeine beliebige andere Impression. Könnten keine Schlüsse auf jedwede Glaubensinhalte bezogen werden, hätten wir in unserem Erfahrungsschatz nicht zusammengehörende Perzeptionen. Erst die Erfahrung mehrerer diesbezüglicher Perzeptionen versetzt uns in die Lage, an damit verknüpfte Vorstellungen glauben zu können.

Bedingung ist also jenes Element, das von Hume-Kommentatoren als regularitätstheoretischer Ansatz307 bezeichnet wurde308. Abgesehen davon, dass Hume mit diesem Verfahren erneut Grundlagen für seine darauf folgende Kausalanalyse schafft, kann nicht nur für unser Kausalverständnis, sondern – hier viel entscheidender – auch für unser Glaubensverständnis die Synthese zweier Elemente als Bedingung gesetzt werden:

306 T, Buch I, Teil III, Sek. VIII, S. 101.

307 Vgl. hierzu: Beauchamp, Tom L. and Alexander Rosenberg: Hume and the Problem of Causation, New York/Oxford 1981.

308 wissenschaftliche Gesetze sind danach nicht notwendig aber eine Sammlung von Korrelationen sind. Es gibt keinen metaphysischen Unterschied zwischen zufälligen und notwendigen Regularitäten. Regularitären in der Wissenschaftnehmen die Form von Gewohnheits- und pragmatischen Gründen.

7. Der Glaube 149

1. Das Vorhandensein mehrerer Vorstellungen in unserem Erinne- rungsvermögen.

2. Die konstante Verknüpfung bestimmter Vorstellungen aus 1.

Hier geht Hume insbesondere auf die Auswirkung der häufigen Wie- derholung so ein, dass die Operationen, die wir durchführen, gewisser- maßen habituiert in Form einer nicht rationalen Gewohnheitskette durchgeführt werden. Der Geist vollführt auf diese Weise Operationen, die sich einer rationalen Vorgehensweise entziehen.

Insbesondere in einer Welt des frühen 18. Jahrhunderts muss eine solche Erkenntnis nicht zuletzt Hume selbst radikal erschienen sein. Finden wir jedoch – geprägt von der antiken klassischen Denkweise – das Herausragende im Menschen gerade in seiner Fähigkeit, Entschei- dungen oder Auffassungen vom bloßen Trieb abzukoppeln, so erle- ben wir hier eine Kehrtwende in der Auffassung menschlicher Opera- tionen, vielleicht sogar der Wertigkeit des Menschen selbst.

Es scheint, als konstituiere sich der Glaube, wie Hume ihn hier beschreibt, allein aus der Abfolge wiederholter, ständiger Verknüpfun- gen bestimmter Perzeptionen, angeregt bzw. erneuert durch aktuellere Impressionen. Er schreibt:

„From a second observation I conclude, that the belief, which attends the present impression, and is produc'd by a number of past impressions and conjunctions; that this belief, I say, arises immediately, with-out any new operation of the reason or imagination. Of this I can be certain, because I never am conscious of any such operation, and find nothing in the subject, on which it can be founded. Now as we call every thing CUSTOM, which proceeds from a past repetition, without any new reasoning or conclusion, we may establish it as a certain truth, that all the belief, which follows upon any present impression, is deriv'd solely from that origin.“309

Um nun in der Hume’schen Systematik die tatsächliche Bedeutung der vorangegangenen Abschnitte für mein Anliegen zu verdeutlichen, soll die Fähigkeit des Glaubens in den folgenden Kapiteln durch eine Nebeneinander- bzw. Gegenüberstellung zu relevanten Konzepten

309 T Buch I, Teil III, Sek. VII, S. 102.

7. Der Glaube 150 oder Termini erörtert werden. Konkret sind dies die Begriffe: Wissen,

Gewissheit, Wahrscheinlichkeit und Skeptizismus.

7.3 Wissen und Wahrscheinlichkeit

Man könnte ohne Bedenken die Auseinandersetzung mit dem Wissen als Entwicklung der in den vorangehenden Teilen enthaltenen Implika- tionen bezeichnen. Dem Wissen kommt dabei im Verhältnis zur Proba- bilität310 ein quantitativ eher zu vernachlässigender Anteil zu. Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, dass Hume den (unbe- deutenden) Terminus des Wissens allein als Grundlage zur Entwicklung seiner Probabilitätstheorie benutzt.

Probabilität wird in unserem Zeitalter stark assoziativ zur statistischen Wahrscheinlichkeit verstanden. Humes Auffassung des Begriffs ist erheblich weiter angelegt. Für die Betonung des erkenntnis- theoretischen Charakters scheint eine Auffassung von Probabilität im Sinne von Meinung oder Glaube. besser geeignet. Ebenfalls von Bedeutung ist der Hinweis, dass Hume den Begriff schon unter dem starken Einfluss der Kausalanalyse formuliert und hier und da der Eindruck entstehen kann, dass er sich den Terminus gewissermaßen zurechtformuliert hat.

Diesem hin und wieder in der Sekundärliteratur formulierten Vorwurf steht aber – wie eingangs erwähnt – die Tatsache entgegen, dass er den Wissens- bzw. Probabilitätsbegriff auch in der retrospektiven Betrachtung ableiten könnte. Der Wissensbegriff wird kontextual zunächst noch einmal auf der Grundlage der Relationentheorie aufgebaut.

Es sei daran erinnert, dass die Objekte unserer Erkenntnis (eigentlich all unserer geistigen Tätigkeit) Relationen sind, die wir durch das Verglei-

310 Hume spricht von „probability“, was Lipps als „Wahrscheinlichkeit“ übersetzt. Ich verwende jedoch weiterhin den Begriff der Probabilität, da er dem englischen am nächsten kommt und im Verlauf der Disputation einem Bedeutungswandel unter- liegt.

7. Der Glaube 151 chen der ihnen zugrunde liegenden ideas erkennen.311 Wenn wir sagen, wir erkennen etwas, bedeutet dies, dass wir nicht etwas an sich erkennen, sondern etwas in Beziehung zu etwas anderem stellen. Diese Beziehungen lassen sich nun auch anhand ihres Abhängigkeits- /Unabhängigkeitsstatus in Bezug auf ihre ideas unterscheiden.

Resemblance

Contrariety Intuition 312 Quality Wissen (Abhängigkeit)

Quantity Demonstration

Causality

Identity Experience Meinung (Unabhängigkeit)

Contiguity

Abbildung 5: Abhängigkeits-/Unabhängigkeitsstatus von Relationen

Während Hume die (analytische) Auseinandersetzung mit Zahlen der Demonstration zuweist, unterliegen die drei verbleibenden Relationen der Intuition. Was aber heißt genau Intuition? Im betreffenden Zitat spricht Hume von „discoverabale at first sight“313.

Man wende das empirische Prinzip auf ein beliebiges Beispiel an und betrachte aus einiger Entfernung eine Orange und eine Mandarine. Der Idee der Orange liegt eine Impression ebenso wie der Idee der Mandarine zugrund. Die Ähnlichkeit, von der wir nun sprechen, „will at first strike the eye, or rather the mind“314.

311 T, Buch I, Teil III, Sek. II, S. 73: „All kind of reasoning consists in nothing but a com- parison and a discovery of those relations, [… ] which two or more objects bear to each other.“

312 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

313 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

314 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 70.

7. Der Glaube 152

Mit dem oben genannten Zitat gerät Hume zu einem Problem, welches sich wie folgt entfaltet: Wenn wir die Früchte betrachten, sehen wir zwei Früchte. Wir sehen (perzipieren) aber nicht die Ähnlich- keit in einem der Objekte. Woraus resultiert aber dann der Eindruck (Impression) der Idee der Ähnlichkeit? Denn nach einem solchen zu fragen sind wir nach dem empirischen Prinzip nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Die Frage bleibt von Hume explizit unbe- antwortet. Und tatsächlich können wir innerhalb der Relationentheorie einen solchen Eindruck nicht finden. Damit wird deutlich, dass wir die Ähnlichkeit nicht nur „auf den ersten Blick“ nicht erkennen können, sondern auch nicht mit Hilfe beliebig vieler Blicke.

Verunsichert von diesem Experiment scheint Hume den Begriff der Intuition ausdehnen zu wollen, und zwar zugunsten einer gewissen geistigen, hier noch nicht weiter erläuterten Aktivität. Tatsächlich können wir mit dieser intuitiven Kapazität im Sinne von nicht visuellem Entdecken nicht nur Ähnlichkeitsbeziehungen erkennen. Es ist ebenso möglich, andere, bisher noch nicht bekannte Relationen zu entde- cken. Die Aussagen über Demonstrationen enthalten eine Einschrän- kung im Hinblick auf die Geometrie. Diese kann aufgrund der fehler- haften (ungenauen) Natur unserer Sinnesorgane nicht mit demselben Maße an Genauigkeit Wissen konstatieren, wie dies die Arithmetik tut.

Nachdem Hume den Begriff der Probabilität (1. Buch, Part III, Sektion II) zunächst ausschließlich im Sinne einer Abgrenzung von Wissen behan- delt, kommt er in den Kapiteln XI–XIII desselben Parts noch einmal mit einer elementaren Erneuerung zum Thema zurück. Bei den Philoso- phen sei es „allgemein anerkannt“, dass es allein die Probabilität sei, die wir aus kausalen Schlüssen315 ziehen könnten.

Nachdem die Wahrscheinlichkeit eingeführt wurde, geht Hume unmit- telbar an die Absicherung der Wahrscheinlichkeitsurteile:

315 Implizit bezieht sich Hume hier auf alle drei unabhängigen Relationen

7. Der Glaube 153

„[… ] many arguments from causation exceed probability, and may be receiv’d as a superior kind of evidence.“316

Was meint Hume damit?

Bisher wissen wir, dass kausale Schlüsse – als den unabhängigen Rela- tionen zugehörend – allenfalls eine Meinung erzeugen, nicht aber etwas etwas mit höherer Gewissheit. Als Beispiel wird unser sicheres Gefühl im Hinblick darauf, dass die Sonne morgen und an jedem beliebigen anderen Morgen aufgehen wird, benannt. Systematisch bedeutet dieses Gefühl aber nicht mehr als eine Meinung, die sich nicht sichern lässt. Wenn Hume diesem Gefühl nun ein Moment höherer Gewissheit zukommen lassen will, muss er den Begriff der Probabilität modifizieren oder ergänzen. Dieser Forderung kommt er umgehend nach:

„[… ] to distinguish human reason into three kinds, viz. That from knowledge, from proofs, and from probabilities.“317

Der Inhalt des Wissensbegriffs wird nicht modifiziert. Spannender hingegen verfährt er weiter mit proofs (Beweisen):

„[… ] those arguments, which are deriv’d from the relation of cause and effect, which are entirely free from doubt and uncertainty.“318

„[… ] by probability, that evidence which is still attended with uncertainty.“319

Zunächst sei betont, dass „proof“ nicht im herkömmlichen Sinne synonym für Demonstration verstanden werden kann, da der Begriff der Demonstration schon für die Bereiche gesicherten Wissens vergeben ist. Was Hume hier unter Beweis verstanden wissen will, scheint eher als eine Domäne der Psychologie und dort vielleicht konkreter als ‚Gewissheit‘ bezeichnet werden zu können. ‚Wissen‘ heißt dann absolute Sicherheit. Gewissheit wird mit einer Zweifelsfrei- heit verbunden und resultiert nicht aus logischen Schlüssen. ‚Probabili-

316 T, Buch I, Teil III, Sek. XI, S. 124.

317 T, Buch I, Teil III, Sek. XI, S. 124.

318 T, Buch I, Teil III, Sek. XI, S. 124.

7. Der Glaube 154 tät‘ könnte wahrscheinlich am besten als ‚Meinung‘ übersetzt werden, die nicht frei von möglichen Einwänden und Zweifeln bestehen kann.

Wenn wir nun erstens das empirische Prinzip – konkret den graduellen Übergang von Impression zur idea – (gemessen am Grad der Lebendigkeit und Stärke ihres (Impression bzw. idea) Auftretens) und zweitens die hier vollzogene Wende zugunsten eines naturalistischen, psychologistischen Wissenskonzepts zusammenführen, erscheint erneut ein Modell, dessen Aussage vom graduellen Charakter einer Perzeption abhängt.

Stärke der Zweifel [Doubts]

Glaube Wissen Gewissheit [Belief] Meinung

Abhängige Relationen Unabhängige Relationen

Abbildung 6: Wissen graduell

Mit der gewonnenen Erkenntnis des Voranstehenden stellen sich die Sektionen XII und XIII als logische Folge dar. Unser Glaube als zentrale Leitinstanz für unser Handeln ist gradueller Natur. Je mehr bestätigen- de Erfahrungen wir haben, desto stärker wird der Glaube, bis hin zum Wissen via Gewissheit. Umgekehrt führt eine geringe Anzahl von bestätigenden Erfahrungen, insbesondere in Verbindung mit Kontra- Erfahrungen, zum Zustand des Zweifels, der – je stärker er ausgeprägt ist – umgekehrt proportional zu einer Verminderung des Wissens führt.

Wir müssen nun die erste Determinante dieses Prozesses markieren. Der Glaube trägt entscheidend zum Gewissheitsgrad bei, er selbst aber ist determiniert durch Erfahrungen, z. B. im Bereich Erziehung. Somit ist die erste Determinante innerhalb des menschlichen Systems

319 T, Buch I, Teil III, Sek. XI, S. 124.

7. Der Glaube 155 die Perzeption, die eben diese Erfahrungen transportiert. Inwieweit wir aber Erfahrungen verarbeiten, hängt ganz von unserer psychisch- intellektuellen Disposition ab.

Zusammenfassung

Die Sektionen XI–XIII, insbesondere Sektion XI, stehen mit Sicherheit unter dem starken Einfluss der darauf folgenden Kausalanalyse. Der Begriff des Wissens (bzw. Probabilität) kann leicht fehlinterpretiert werden. Er ist nicht nur eine Verfeinerung des vorher entwickelten allgemeinen Wissensbegriffs, der weitgehend von der Differenzierung zur Probabilität lebt, sondern das Symbol für eine psychologistisch- naturalistische Wende in der Hume’schen Philosophie.

7.4 Glaube und Metaphysik

Er stellt sich nun die Frage, ob die Lösung der den drei Analysen folgenden Konsequenz hinsichtlich der Eminenz des Glaubens nicht die Gefahr birgt, selbst metaphysisch zu sein.320 Zu behaupten, wir glauben, was wir glauben, weil wir dies zu tun determiniert sind, aus welchem Grunde auch immer, ist zumindest unter dem Aspekt der Falsifizierbarkeit problematisch. Ferner spielt, so der Ansatz in der neueren Hume-Forschung, der natürliche Glaube beim Übergang vom Fühlen zum induktiven Schließen dieselbe Rolle wie Kants reine Verstandesbegriffe, die beim Übertragen von Wahrnehmungsurteilen in Erfahrungsurteile metaphysischer Natur seien.321 Das Kernstück322 der

320 Die nachfolgenden Kapitel (VII.4–VII.7) basieren wesentlich auf der zwischen Frank Stäudner und Diego Campagna geführten Auseinandersetzung im Rahmen der Ausgaben 7, 8, und 9 der Zeitschrift für kritisches Denken (hg. v. Stefan Groß) , Jena 1995. Da diese Auseinandersetzung nicht nur die konzeptionelle Konsequenz mei- ner methodischen Vorarbeit abbildet, sondern auch optimal geeignet ist, den Tenor der aktuellen Forschung im Hinblick auf die Konzepte des Psychologismus, des Konstruktivismus, der Neurobiologie sowie der Abgrenzung zur kantischen Kon- zeption des erfahrungsunabhängigen Wissens zu verdeutlichen, soll sie weitgehend unverfälscht wiedergegeben werden, um an entsprechender Stelle kritisch kom- mentiert zu werden.

321 Vgl. Frank Stäudner: Ausgabe 7 der Zeitschrift für kritisches Denken (hg. v. Stefan Groß), Jena 1995.

7. Der Glaube 156

Erkenntnistheorie der Hume’schen Philosophie ist die Kausalanalyse, d. h. die Untersuchung über die Art und Weise, wie kausale Verknüp- fungen zwischen Ursachen und Wirkungen hergestellt werden. Dass diese hergestellt werden und somit Produkte der menschlichen Einbil- dungskraft sind, ist bereits eine zentrale Aussage Humes und eine Absage an die klassische Metaphysik, die beansprucht, nach dem Wesen der Dinge zu forschen. Wagt man die These, dass eine positivis- tische Lesart, die Hume als Feind und Verächter jeglicher Metaphysik sieht und ihm vor allem Erfolg bei der Durchführung eines alternativen Programms attestiert, nicht zutreffend ist, könnte sich folgender Ansatz ergeben:

Humes Konzept des natural belief erweist sich bei näherem Hinsehen als durchaus metaphysisch. Allerdings ist die Vielfalt der Interpretatio- nen von Humes Philosophie in gewisser Weise verständlich. Denn wäh- rend seine Argumente zur Kausalanalyse und zum Induktionsproblem über einen Zeitraum von neun Jahren vom Treatise (1739) bis zur Enquiry (1748) nahezu unverändert bleiben, hat er selbst verschiedene Schlussfolgerungen gezogen, die wiederum unterschiedlichen Inter- pretationen breiten Raum geben. Als Maßstab der Betrachtung in dieser Kapitel-Analyse werden ausschließlich die Enquiries herange- zogen. Humes letztes Wort in erkenntnistheoretischer Sache ist mit dem Wunsch verbunden, dass in Zukunft die Texte der Enquiries allein als Darstellung seiner philosophischen Ansichten und Prinzipien betrachtet werden mögen.323 Dass die Analyse(n) den Kern der Erkenntnistheorie

322 Wie weiter unten angemerkt wird, bilden die Grundlage ausschließlich die Enquiries. Dass dort nur noch die Kausalanalyse, nicht aber die Objekt- oder Ich- Analytik Anwendung findet, vermag zwar das Vorgehen in Stäudners Arbeit hinsichtlich der Enquiries rechtfertigen, genügt aber dem Anspruch einer ausgewo- genen Betrachtung nicht. Auch Kemp Smith weist darauf hin, dass der naturalis- tische Ansatz eben nicht isoliert aus den Enquiries, geschweige denn dort nur aus dem Kapitel zur Kausalität abzuleiten ist (vertikale und horizontale Defizienz). Die Untersuchung wird damit tatsächlich ‚kopflastig‘ in dem Sinne, dass die Enquiries im Bereich der Kausalanalyse auf den dialectic struggle zugunsten einer didaktisch wohl formulierten Aufbereitung der Thematik verzichtet.

323 Wenn Hume in den Enquiries diese als alleinige Quelle seines philosophischen Schaffens betrachtet wissen will, geschieht dies meines Erachtens weniger aus Gründen, die auf inhaltliche Schwächen zurückzuführen sind, sondern eher aus an- deren Gründen. Die beiden wichtigsten dürften sein: erstens die Tatsache, dass der

7. Der Glaube 157 ausmachen, welche wiederum auf das Ergründen der menschlichen Natur abzielt, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung:

„’Tis evident, that all reasoning concerning matter of fact are founded on the relation of cause and effect, and that we can never infer the existence of one object from another, unless they be connected together, either mediately or immediately.“324

„Auf die Frage: Was ist das Wesen all unserer Denkakte in Bezug auf Tatsachen scheint die richtige Antwort zu sein, dass sie sich auf die Beziehung von Ursache und Wirkung gründen. Auf die weitere Frage: Was ist die Grundlage all unserer Denkakte und Schlüsse bezüglich dieser Beziehung? kann man mit einem Wort erwidern: Erfahrung.

Weil aber die Grundlage aller Schlüsse aus Erfahrung das Kausalprinzip selber ist, kann es aus Erfahrung auch nicht begründet werden, und auch nicht aus einem anderen Denkakt oder irgendeinem Verstandesvorgang. Woraus aber dann?

Der Schlüsselbegriff an dieser Stelle ist die Einbildungskraft (Imagina- tion). Sie ist als ein menschliches Vermögen unser Organ zur Ordnung und Strukturierung äußerer Erfahrungen. Die Existenz kausaler Bezie- hungen bilden wir uns ein. Nachdem wir häufig das Auftreten eines Ereignispaares erfahren haben, ohne mehr als ihren Zusammenhang konstatieren zu können, empfinden wir sie irgendwann in unserer Einbildung als verknüpft. Die mit dem Empfinden einer Verknüpfung verbundene kausale Beziehung zwischen den Ereignissen ist eine konstruktive Leistung des beobachtenden Subjekts und nichts als eine „Wirkung der Gewohnheit, nicht der Vernunfttätigkeit“. Weil die Einbil- dungskraft aber außerdem die „unbeschränkte Macht“ hat, die „Vorstellungen zu all den mannigfaltigen Gebilden, die sie dichtet und schaut, zu mischen, zusammenzusetzen, zu trennen und zu teilen“,

Traktat (aufgrund seiner inhaltlichen Komplexität) sowohl qualitativ als auch quantitativ schwerer als die Enquiries zugänglich ist, und zweitens die für Hume offenbar traumatische Erinnerung an die Erfahrung des Misserfolgs seines philosophischen Jugendwerks. Nichts spricht also philosophisch kontextual für eine Ignoranz des Traktats, sondern im Gegenteil birgt die Nichtbeachtung eine große Gefahr für Missverständnisse.

324 T, Buch I, Teil III, Sek. VII, S. 94.

7. Der Glaube 158 musste Hume bestrebt sein, ihre erwünschten Produkte (kausale Ver- knüpfungen) von den unerwünschten (Glaube an Gespenster, „dun- kelste und ungewisseste Vorstellungen der Metaphysik“ wie Macht, Kraft, Energie) zu trennen. Weil das im Treatise nicht gelingt, handelt sich Hume eine pyrrhonische Krise ein (die ihm allerdings nicht zur Seelenruhe verhilft). Hier formuliert er verzweifelt, dass er im Begriff sei, „allen Glauben und alles Vertrauen in unsere Schlüsse wegzuwerfen und keine Meinung für möglicher und wahrscheinlicher anzusehen als jede beliebige andere“325.

Ich sehe in diesen Ausführungen nur wenig Substanz zur Manifestation einer Metaphysik, der sich Hume nicht bewusst gewesen sein könnte und die es in seinem Interesse nicht abzulehnen galt. Das Zirkelargu- ment (Erfahrung bedingt Kausalität und Kausalität bedingt Erfahrung) ist so alt wie der Traktat selbst und ebenso die Erwiderungen auf diesen Vorwurf. Klar ist, dass Hume hier ungenau formuliert, aber klar ist auch, dass Hume an so vielen Stellen darauf hinweist, Erfahrungen als Grundlage seiner Philosophie vorauszusetzen.

Zu kritisieren am Vorwurf der Zirkularität ist ausdrücklich nicht dessen Inhalt, wohl aber das Maß an zugeordneter Bedeutung im Gesamt- kontext. – So ist es nicht verwunderlich, dass dem Argument aufgrund einer naturalistischen Perspektivenverschiebung seit Mitte des 20. Jahr- hundert nur noch wenig Beachtung geschenkt wird und in den vergangenen Jahrzehnten vor dem Hintergrund neuerer Erfahrungs- konzepte etwa mit konstruktivistischer oder soziobiologischer Akzen- tuierung Erfahrungen auf einen phylogenetischen Erfahrungsbegriff zurückgreifen können.

Danach konstituieren Wissens- bzw. Verhaltensbestandteile, die sich in der Evolution als sinnvoll oder vorteilhaft erwiesen haben, eine Verer- bungskonstante, mit welcher jede Folgegeneration von Beginn an

325 Stäudner, a. a. O., Ausgabe 8.

7. Der Glaube 159 sowohl genetisch als auch auf dem Wege der Sozialisation ausgestat- tet wird.326

7.5 Glaube und Induktion

Ich möchte auf das Induktionsproblem nur insofern eingehen, als es der Ansatz einer naturalistischen Auffassung zur Entwicklung eines konsistenten Glaubenskonzepts erfordert.

Aus der Erfahrung von Einzeltatsachen bilden wir allgemeine Urteile. Diese sind logisch demonstrativ nicht zu rechtfertigen, da die Annah- me der so genannten Gleichförmigkeitsthese erfahrungsbedingt ist und theoretisch schon morgen außer Kraft gesetzt sein könnte, oder da zumindest die Möglichkeit einer solchen Außer-Kraft-Setzung prob- lemlos vorstellbar ist.

Hume identifiziert den Urheber dieser Urteile als die Imagination. Denn alle Ableitung aus Erfahrung setze als ihre Grundlage voraus, dass die Zukunft der Vergangenheit ähnlich sein werde. Schöpfe man irgend- wie Verdacht, dass der Naturverlauf sich ändern könne und dass in der Vergangenheit nicht die Regel für die Zukunft enthalten sei, so werde jede Erfahrung nutzlos und könne zu keinem Ableiten oder Schließen Veranlassung geben. Daher sei es unmöglich, dass irgend- welche Erfahrungsbegründungen diese Ähnlichkeit der Vergangen- heit mit der Zukunft belegen könnten, denn all diese Begründungen beruhten ja auf der Voraussetzung dieser Ähnlichkeit.327

326 Vgl. zu diesem Kontext im weiteren Sinne: – Irenäus Eibl-Eibesfeld: Die Biologie des menschlichen Verhaltens, 3. erw. Aufl., Weyarn 1997. – E. O. Wilson: Sociobiology: The new synthesis, Cambridge (Mass.) 1975. – S. J. Schmidt: Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, hrsg. von Siegfried J. Schmidt, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1988; hierin insbesondere die Aufsätze von Ma- turana (S. 89 ff.), Varela (S. 119 ff.) und Roth (S. 229 ff.).

327 Vgl. E, S. 107 im Original: „When we have lived any time, and have been accustomed to the uniformity of nature, we acquire a general habit, by which we always transfer the known to the unknown, and conceive the latter to resemble the former. By means of this general habitual principle, we regard even one experiment as the foundation of reasoning“.

7. Der Glaube 160

Bezeichnend und noch in größerem Maße wegweisend ist die Ver- schiebung des Hume’schen Interesses von der empirisch-deskriptiven Analyse hin zur Fokussierung des Telos, des Warum und Wozu der Induktion. Bleibt man innerhalb des Vorhabens einer naturalistischen Lesart konsequent, besteht hier aus den weiter oben erwähnten neue- ren Erfahrungskonzepten keine Gefahr der Notwendigkeit, dem Glau- benskonzept den Prozess wegen metaphysischer Inhalte machen zu müssen.

7.6 Der natürliche Glaube

Dramatisch zeichnet Hume die Situation des Philosophen in skepti- scher (Ver-)Zweiflung, isoliert in seiner Studierstube, völlig abgesondert vom Altagsleben inmitten einer pyrrhonistischen Krise. Philosophisch gekennzeichnet ist diese Situation durch die vordergründig unüber- windbar wirkende Aporie, die sich aus dem Verlangen nach einer sicheren Basis für das Alltagswissen ergibt.

Hume vollzieht hier die entscheidende Wendung zugunsten einer

Orientierung am praktischen Leben.328 Es geht um nichts weniger als um die Gewährleistung unserer Überlebensfähigkeit mit Hilfe eines subrationalen, keinesfalls aber irrationalen Prinzips. Dies soll geeignet sein, auf natürlichem Wege die Gefahren des Skeptizismus zu bannen.

„Die Natur wird immer ihre Rechte wahren und zuletzt über jedwede abstrakte Vernunfttätigkeit obsiegen.“329

328 T, Buch III, Teil I, Sek. I, S. 455, im Original: „When we leave our closet, and engage in the common affairs of life, its conclusions seem to vanish, like the phantoms of the night on the appearance of the morning; and ’tis difficult for us to retain even that conviction, which we had attain’d with difficulty. This is still more conspicuous in a long chain of reasoning, where we must preserve to the end the evidence of the first propositions, and where we often lose sight of all the most receiv’d maxims, either of philosophy or common life.“

329 T, Buch I, Teil III, Sek. XI, S. 127, im Original: „There is a great difference between such opinions as we form after a calm and profound reflection, and such as we embrace by a kind of instinct or natural impulse, on account of their suitableness and conformity to the mind. If these opinions become contrary, ’tis not difficult to foresee which of them will have the advantage. As long as our attention is bent upon the subject, the philosophical and study’d principle may prevail; but the

7. Der Glaube 161

Weiter heißt es übersetzt:

„Sollten wir [… ] zu dem Schlusse gelangen, dass in allen Denkakten auf- grund von Erfahrung der Geist einen Schritt tut, der nicht durch eine Begründung oder ein Verstandesverfahren gestützt wird, so besteht doch keine Gefahr, dass diese Denkakte, von denen fast unser gesamtes Wissen abhängt, je durch solche Entdeckung getroffen werden könnten. Wird der Geist nicht durch eine Begründung zu diesem Schritte veran- lasst, so muss er durch ein anderes Prinzip von gleichem Gewicht und Wert dazu geführt werden, und dieses Prinzip wird seinen Einfluss so lange erhalten, wie die menschliche Natur sich gleich bleibt!“330

Hume destilliert aus dem ehemals nutzlosen, ja bedrohlichen Aber- glauben einen Mechanismus, der dem Verstand als Erkenntnisinstru- mentarium vorgeschaltet ist: den natural belief. Dieser natürliche Glaube erweist sich gegenüber unserem Willen als autonom. Dieser Glaube ist es, der als Urheber für die Genese der Kausalität die gleiche Funktion übernimmt, wie er für die Außenwelt-Konzeption und den ‚Ich-Reflex‘ nach den Kriterien der Lebenstauglichkeit konstruiert.

Die Autonomie gegenüber unserem Verstand manifestiert sich in der Unmöglichkeit (zumindest) andauernder und nachhaltiger Einfluss- nahme.

Da nämlich diese Tätigkeit des Geistes, durch welche wir gleiche Wir- kungen aus gleichen Ursachen ableiten und umgekehrt, durchaus wesentlich ist zur Erhaltung aller menschlichen Geschöpfe, so ist es nicht wahrscheinlich, dass sie den trügerischen Deduktionen unserer Vernunft anvertraut werden kann.

Stäudner fragt, ob hier möglicherweise ein Rückgriff auf ein metaphy- sisches Konzept nachgewiesen werden kann. Hume eine metaphysi- sche Konstruktion nachzuweisen ist meines Erachtens, wie bereits weiter oben angeführt, schon vor dem Hintergrund seiner eigenen diesbezüglichen Aussage nicht konform zum Gesamtkontext, drängt sich aber kurzfristig auf. Hume aber hierzu:

moment we relax our thoughts, nature will display herself, and draw us back to our former opinion.“

330 T, Buch I, Teil III, Sek. XI, S. 127.

7. Der Glaube 162

„Greifen wir irgendeinen Band heraus, etwa über Gotteslehre oder Schulmetaphysik, so sollten wir fragen: Enthält er irgendeinen abstrakten Gedankengang über Größe und Zahl? Nein. Enthält er irgendeinen auf Erfahrung gestützten Gedankengang über Tatsachen und Dasein? Nein. Nun so werft ihn ins Feuer, denn er kann nichts als Blendwerk und Täuschung (sophistry and illusion) enthalten.“331

Genauer betrachtet lässt sich der naturalistische Glaubensansatz als Erfahrungskonstrukt vor dem Vorwurf, metaphysisch zu sein, aber retten, wenn man die Funktionalität des Glaubens unter einem phylo- genetischen Aspekt betrachtet. Dort kann der Anspruch geltend ge- macht werden, dass mit Hilfe des allgemein anerkannten Prinzips der Vererbung von Erfahrungswissen den Erben der Folgegeneration Wis- sen aufgrund der Erfahrungen der Vorgängergenerationen zur Verfü- gung steht, ohne dass die Folgegeneration explizit dieser Erfahrung bedarf – metaphysisches Wissen in diesem apriorischen Sinne also nicht bemüht werden muss.

„Im ‚Kritischen Rationalismus‘ sei Falsifizierbarkeit das Kriterium für Wissen- schaftlichkeit. Wissenschaftliche Hypothesen müssten sich so formulieren lassen, dass sie widerlegt werden können – durch Erfahrung, in Experi- menten, durch die Aufdeckung logischer Widersprüche. Wie auch immer – jeder nicht prinzipiell widerlegbare Satz stehe unter dem Verdacht der Metaphysik.“332

Bei Humes Annahme des natürlichen Glaubens als eines Prinzips der Natur, welches das Überleben in ihr ermöglicht, handelt es sich nicht nur um einen Satz, sondern implizit um einen erfahrungsabhängigen Aussagenkanon – gerade mit dem Attribut der jederzeitigen Zugäng- lichkeit durch Korrekturen im evolutiven Interesse.

Hume hat ‚Überleben‘ und den ‚natürlichen Glauben‘ unlösbar mit- einander verklammert. Stäudner wirft diesem Konzept und im weiteren Sinne der kausalnexusorientierten Erkenntnistheorie insgesamt Zirkulari- tät in der Weise vor, dass man Erfahrung brauche, um Erfahrung machen bzw. Erfahrungsurteile ableiten zu können.

Diese Lesart ist möglich, aber nicht zwingend und hängt entscheidend vom Begriff der Erfahrung selber ab. Berücksicht man nämlich den

331 Siehe Zitation weiter oben, Fussnote 255 dieser Arbeit.

7. Der Glaube 163 vorher von mir in diesem Rahmen eingeführten Aspekt der Interpreta- tion der Erfahrung unter Berücksichtigung mindestens zweier, implizit aber vieler Generationen, so lässt sich subjektiv eine erfahrungsunab- hängige Interpretation – in diesem Sinne Apriorizität – nicht attestieren.333

7.7 Skeptizismus und natürlicher Glaube

Die vorangehenden Kapitel haben verdeutlicht, dass der Mensch im Prozess seiner Meinungs- und Wissensgenese wenig Gewicht auf die rationale Komponente seines Lebens legt. In seinen Ausführungen zum Wissen bzw. Glauben des Menschen gesteht Hume dem Menschen sogar nur zwei Refugien echten und gesicherten, frei von jedem Zweifel bestehenden Wissens zu: Diese only sciences sind Arithmetik und Algebra. Die skeptische Betrachtung genau dieser Wissens- gebiete bilden den Auftakt zu Humes Skeptizismus „with regard to reason“, den er im IV. und letzten Teil des ersten Buchs gewissermaßen als dramatischen Höhepunkt erörtert. Einleitend macht er erneut die ihm eigene Unterscheidung zwischen Sein und Wahrnehmung:

„In all demonstrative sciences the rules are certain and infallible; but when we apply them, our fallible and uncertain faculties are very apt to depart from them and fall into error.“334

7.7.1 Vom Skeptizismus in Bezug auf die Vernunft

Wissenschaftliche Regeln mögen sicher sein – unser geistiges Vermö- gen, sie anzuwenden, ist es nicht; daher prüfen wir unsere Urteile und lassen sie prüfen, von Freunden, von Kollegen, letztlich von der wissen- schaftlichen Welt als Ganzer, wodurch ein Vertrauenszuwachs in gute

332 Stäudner, a. a. O., Ausgabe 8.

333 Zum Vergleich des Hume’schen Kausalnexus mit dem kantischen Kausalitätsbegriff siehe auch den Aufsatz von Bernhard Rang: Kants Antwort auf Hume, abgedruckt in: David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, hrsg. von Jens Kuhlenkampff in der Reihe: Klassiker auslegen, Bd. 8, Berlin 1997.

334 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 181.

7. Der Glaube 164

Gründe zu entstehen scheint; in Wirklichkeit bedeutet diese allmähli- che Zunahme von Gewissheit aber lediglich einen Zuwachs an immer neuen Wahrscheinlichkeitsmomenten.

Nun sind aber die Natur des Wissens und die Natur der Wahrscheinlich- keit konträr, gleichzeitig nicht teilbar; sowohl Wissen als auch Wahr- scheinlichkeit sind jeweils ganz oder gar nicht vorhanden. Es gibt offenbar keine unbedingte Gewissheit, somit sind aber auch Humes hier gemachte Aussagen nicht gewiss, sondern nur wahrscheinlich. Die Geltung unserer Urteile ist niemals eine absolute. Diese neue Art des Wahrscheinlichkeitsbewusstseins kann aber als Maßstab gelten für die Beurteilung des Grades von Gewissheit:

In jeder Wahrscheinlichkeitserkenntnis steckt

– Ungewissheit durch den Gegenstand und

– Ungewissheit aus der Schwäche des Vermögens zum Urteil; darüber hinaus kann die Vernunft irren im Urteil über die Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit des eigenen geistigen Vermögens.

Dies schwächt aufgrund des Charakters der Wahrscheinlichkeit die ursprüngliche Gewissheit; durch neue Zweifel gerät ein ursprünglich höchstes Maß an Gewissheit menschlicher Vernunft ins Aus.

Grad der Wahrscheinlichkeit

Menge der Korrekturen

Abbildung 7: Wahrscheinlichkeit graduell

7. Der Glaube 165

Diesen Prozess der ‚Degeneration des Wissens‘ vollzieht Hume in zwei

Schritten: „By this means all knowledge degenerates to probability“335.

Hume hebt also die Möglichkeit sicherer Erkenntnis (zunächst) nicht vollständig auf, sondern verringert den Grad an Sicherheit. Dieser Schritt ist aber schon deshalb ein entscheidender, weil der Begriff der absolut zweifelsfreien Erkenntnis336 hiermit zerstört wird und die Wissen- schaften der Algebra und Arithmetik von ihrem Thron der Zweifelsfrei- heit herunter auf den Boden der zwar gesicherten, nicht aber vollstän- dig zweifelsfreien Erkenntnis geholt werden. Sie stehen nun Seite an Seite mit den Tatsachen, also den von ihren Vorstellungen/ideas abhängigen Relationen.

Um den Prozess der Degeneration von Sicherheit zu Wahrscheinlich- keit zu illustrieren, sei das Beispiel Humes kurz genannt:

Schritt 1 Vom Wissen zur Wahrscheinlichkeit

Stellen wir uns zunächst vor, eine lange Reihe von Zahlen zu addieren. Je länger die Reihe, desto größer die Chance, einen Fehler gemacht zu haben. Das Ergebnis ist nicht zu 100 Prozent sicher, sondern mit einer gewissen Fehlerwahrscheinlichkeit – z. B. 10 Prozent – behaftet. Das bedeutet ein Ergebnis mit 90-prozentiger Sicherheit. Der Grund für unser mangelndes Vertrauen in unser fehlerhaftes Rechenvermögen liegt in entsprechenden Perzeptionen, wie z. B. der Erinnerung an weniger ruhmreich gelöste Mathematikaufgaben.

335 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 180.

336 T, Buch I, Teil III, Sek. I, S. 71, im Original: „There remain, therefore, algebra and arith- metic as the only sciences, in which we can carry on a chain of reasoning to any degree of intricacy, and yet preserve a perfect exactness and certainty. We are possest of a precise standard, by which we can judge of the equality and proportion of numbers; and according as they correspond or not to that standard, we determine their relations, without any possibility of error.“

7. Der Glaube 166

Schritt 2 – von der Wahrscheinlichkeit zum Nichts

Wenn wir das oben angewandte Rechenverfahren337 konsequent fort- setzen, müssen wir folgenden Gedanken verfolgen: Das Urteil, dass aufgrund unserer Erfahrung eine Aufgabe nur zu 90 Prozent sicher gelöst ist, müsste sich aber selbst einer Korrektur unterziehen und ebenso die Korrektur in infinitum.

Zu beachten ist aber auch hier das empirische Prinzip. Während die Wahrscheinlichkeit mathematisch eine Nullfolge darstellt – also eine Folge beispielsweise der Form ex, die zwar gegen null konvergiert, diese Zahl aber nie erreicht –, wird für Hume die Folge tatsächlich (epistemisch) null, weil eine Differenz zur Abszisse nicht mehr wahrnehmbar wird.

Mit diesem Schritt hebt Hume die ehemalig manifestierte Bastion sicheren, unzweifelhaften Wissens auf und reduziert Sicherheit auf praktisch (perzipiert) nichts.338 Dieser Schritt bezieht sich natürlich nicht allein auf den Prozess des Rechnens, sondern umfasst alle Tätigkeiten des Verstandes überhaupt. Daraus folgt, dass sich durch Zweifel die Kraft des Glaubens vermindert, unsere natürlichen Sinne können trügerisch sein – dies bedeutet einen Vertrauensverlust in die eigenen Meinungen; dazu die Ungewissheit der Objekte und die Unzuverlässigkeit des geistigen Vermögens: Glauben und Gewissheit erlöschen gänzlich. Hume formuliert seine Verzweiflung:

„Should it here be ask’d me, whether I sincerely assent to this argument, which I seem to take such pains to inculcate“?339

337 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 182, im Original: „Having thus found in every probability, beside the original uncertainty inherent in the subject, a new uncertainty deriv’d from the weakness of that faculty, which judges, and having adjusted these two together, we are oblig’d by our reason to add a new doubt deriv’d from the pos- sibility of error in the estimation we make of the truth and fidelity of our faculties.“

338 Die so beschriebene Reduktion könnte meines Erachtens problemlos – da sie Wis- sen graduell reduziert – als rational fundierter Umkehrprozess zur Bildung des Glaubens interpretiert werden.

339 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 183.

7. Der Glaube 167

Er erkennt den Widerspruch seiner Argumentation zur Realität des gewöhnlichen Lebens: Unsere Natur nötigt uns laufend Urteile ab – zwingend wie das Atmen; wir nehmen Gegenstände wahr, wir denken, solange wir wach sind. Wer also den Skeptizismus widerlegt, kämpft ohne Gegner, denn er wird durch Argumente auf das stoßen, was ohnehin im Menschen angelegt ist.

Warum legt Hume dann überhaupt seine skeptischen Argumente dar? Es geht ihm um folgende These:

Alle Schlussfolgerungen, die Ursachen und Wirkungen betreffen, beruhen auf Gewohnheit. Der Glauben ist eher ein Akt des fühlenden als des denkenden Teils unserer Natur. Da die Erfahrung aber lehrt, dass Glauben, Denken und Urteilen fortbestehen, wird der Skeptiker trotz schlüssiger Argumente nichts ausrichten.

Hume fragt, in welcher Weise seine Hypothese irgendeinem Gegen- stande gegenüber irgendein Grad von Gewissheit zugesprochen werden kann. Nachdem er den Gang des Prüfverfahrens von der kraftvollen Vorstellung über das Urteil zu den skeptischen Zweifeln und der letztlichen Zerstörung aller Gewissheit dargestellt hat, fragt er sich, wie es kommt, dass wir zu unseren Urteilen so viel Vertrauen haben.

Er kommt zu dem Schluss,

· dass es schwierig ist, dem Skeptiker zu folgen,

· dass angestrengtes Denken die Wirksamkeit der Gefühle stört, auf denen der Glaube beruht,

· dass die Überzeugung gegenüber skeptischen Argumenten in jenem Verhältnis zur Anstrengung abnimmt, die es kostet, die Gedankenfolge nachzuvollziehen.

Seine Konklusion zum Skeptizismus in Bezug auf die Vernunft lautet:

Die Vernunft stellt mit Macht Gesetze und Grundsätze auf; der Feind der Vernunft sucht nach gültigen Argumenten gegen die Vernunft und vermindert dadurch ihre Stärke. Skeptische und dogmatische Vernunftgründe sind einander ebenbürtige Feinde, die auf

7. Der Glaube 168

Vernichtung der Vernunft aus sind. Die Natur des Menschen wird stets bemüht sein, dies zu verhindern.

„Nature, by an absolute and uncontroulable necessity has determin’d us to judge as well as to breathe and feel“340.

Ferner:

„[… ] a faculty, which nature has antecedently implanted in the mind, and render’d unavoidable.“341

Die Fähigkeit, von der Hume hier spricht, würden wir heute als

Instinkt342 bezeichnen. Er ist von Geburt343 an in uns verankert und führt uns sicher durch die Situationen des Lebens, in denen uns der Verstand im Stich zu lassen droht.

7.7.2 Vom Skeptizismus in Bezug auf die Sinne

Hume stellt zunächst fest, dass es keinen Sinn hat zu fragen, ob es Körper oder eine Außenwelt gibt, ob wir also daran glauben sollen, da wir in jedem Falle tatsächlich daran glauben und glauben müssen.

Seine Fragen sind:

· Welche Ursachen veranlassen uns, an die Existenz von Körpern zu glauben?

· Warum gestehen wir Gegenständen dauernde Existenz zu, auch wenn sie den Sinnen nicht gegenwärtig sind?

· Warum nehmen wir sowohl ihr Dasein außerhalb uns selbst an als auch die Unabhängigkeit ihrer Existenz vom Bewusstsein?

· Sind es die Sinne, ist es die Vernunft oder die Einbildungskraft (Fan- tasie), die den Glauben an dauernde bzw. gesonderte Existenz erzeugen?

340 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 183.

341 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 183.

342 Beziehungsweise Natural Belief.

343 Ob damit eine genetische Veranlagung impliziert ist, muss dahingestellt bleiben.

7. Der Glaube 169

Die Sinne führen uns einzelne Wahrnehmungen zu; diese rechtfertigen nicht die Vorstellung einer zweifachen Existenz, ohne dass ein Schluss seitens der Vernunft bzw. Einbildungskraft gezogen wurde. Schlüsse sind nicht Leistungen der Sinne. Wie weit sind wir selbst Objekt unserer Sinne? Diese Frage drängt sich auf, weil Sinne nicht zwischen mir und den äußeren Dingen nicht unterscheiden können.

Alles, was ins Bewusstsein tritt, ist tatsächlich eine Perzeption; es kann deshalb nicht als etwas anderes von uns unmittelbar erlebt werden. Kann sich die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung ‚irren‘? Wir neh- men nicht unseren Körper wahr, sondern durch die Sinne vermittelte Eindrücke.

Beispiele: Töne, Geschmackserlebnisse, Gerüche können den Sinnen nicht als außerhalb des Körpers erscheinen, wir weisen ihnen aber einen Ort im Außen zu.

Der Gesichtssinn zeigt uns nicht unmittelbar Entfernung oder Existenz außerhalb unserer selbst, ohne dass wir Erfahrungen und Überlegun- gen ins Spiel bringen. Die Unabhängigkeit der Wahrnehmungen muss durch Erfahrung und Beobachtung erworben werden. Wenn wir also von realen für sich existierenden Dingen reden, geht es mehr um diese Unabhängigkeit, als um ihren tatsächlichen Ort im Raum außerhalb von uns selbst.

Durch die Sinne werden drei Arten von Eindrücken vermittelt:

· Eindrücke der körperlichen Gestalt, Masse, Bewegung und Festig- keit,

· Eindrücke von Farbe, Geschmack, Geruch, Tönen, Wärme und Kälte

· Lust- und Unlustempfindungen

7. Der Glaube 170

Der Unterschied zwischen diesen Eindrücken ergibt sich nicht aus der bloßen Wahrnehmung, sondern aufgrund unserer Einbildungskraft. Bezogen auf die Sinne wären alle Wahrnehmungen hinsichtlich der Art ihrer Existenz gleich. Der Glaube an die dauernde Existenz der Körper hängt ab von der Kohärenz und der Beständigkeit gewisser Eindrücke.

Beispiel: Was um mich herum in unmittelbarer Nähe ist, nehme ich mit den Sinnen wahr, dazu kommen aus der Erinnerung Objekte, deren frühere Existenz evident ist; aber weder meine Sinne noch mein Gedächtnis können ihr jetziges Dasein sicherstellen.

Ich muss die dauernde Existenz von Gegenständen voraussetzen, um meiner Erfahrung gemäß Vergangenes und Gegenwärtiges zu ver- knüpfen, ich muss die Welt als etwas Reales und Dauerndes betrach- ten, das im Dasein bleibt, auch wenn es für meine Wahrnehmung nicht mehr besteht. Dieser Schluss ist nur mittelbar und indirekt durch den Verstand und die Gewohnheit bedingt.

Alles Schließen, das Tatsachen betrifft, beruht auf Gewohnheit; Ge- wohnheit ist die Wirkung wiederholter Wahrnehmung. Die Folgerun- gen, die wir aus der Konstanz unserer Perzeptionen ziehen, und die Folgerungen, die wir aus ihrer Kohärenz ziehen, lassen zunächst den Glauben an die dauernde Existenz der Körper entstehen. Dieser Glaube zieht den Glauben an die von uns gesonderte Existenz nach sich. Hume untersucht die allgemein anerkannte Behauptung: Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch, und formuliert folgende Gegenthese:

1. Ein einzelner Gegenstand verschafft uns die Vorstellung der Ein- heit, nicht der Identität.

2. Mehrere Gegenstände bleiben für sich und unabhängig vonein- ander existent.

7. Der Glaube 171

Weder Einheit noch Mehrheit ist mit der Beziehung der Identität verein- bar, Identität ist keins von beiden. Auf der Suche nach dem Wesen von Identität kommt Hume zu folgendem Schluss:

Identität beschreibt die Unveränderlichkeit und Ununterbrochenheit eines Gegenstandes während des von uns angenommenen Wechsels in der Zeit.

Die Philosophen unterscheiden Gegenstände und Sinneswahrneh- mungen als koexistent und ähnlich; für gewöhnlich ist Gegenstand gleich Wahrnehmung, wenn von Hut, Schuh, Stein oder anderen Ein- drücken die Rede ist, die durch die Sinne zugeführt werden. Vorstellun- gen können verwechselt werden, wenn die Einbildungskraft Assoziatio- nen bildet, so dass eine Disposition des Geistes entsteht, identische Gegenstände mit aufeinander folgenden Gegenständen zu verwech- seln. Die Einbildungskraft kann Vorstellungen von verschiedenen unter- brochenen Wahrnehmungen so erscheinen lassen, als hätten wir tat- sächlich eine gleichmäßige, ununterbrochene Wahrnehmung gehabt. Das Bild, das den Sinnen gegenwärtig ist, ist für uns der wirkli- che Körper; unterbrochenen Bildern schreiben wir Identität zu.

Die Einbildungskraft erzeugt die Fiktion dauernder Existenz, unsere Wahrnehmung erfolgt aber in Intervallen. Dieser Widerspruch erzeugt Unbehagen über zwei miteinander unverträgliche Vorstellungsweisen: Der Geist rettet sich, indem er eine von beiden opfert.

Die Mehrzahl der Menschen nimmt an, dass das Ding, das dem Geist so unmittelbar gegenwärtig ist, der wirkliche Körper sei, das materielle Dasein. Diesem wird dauernde, ununterbrochene Existenz zugeschrie- ben. Hume stellt zwei Fragen:

1. Wie kann eine Wahrnehmung nicht mehr im Geist, aber doch nicht vernichtet sein?

2. Wie kann ein Gegenstand in den Geist gelangen ohne eine neue Wahrnehmung oder ein Bild?

7. Der Glaube 172

Zu 1: Der Geist ist ein Haufen bzw. Zusammentreffen von verschiede- nen Perzeptionen; von diesem Zusammantreffen nimmt man an, es sei einfach und identisch.

Zu 2: Die Unterbrechung des Daseins für die Sinne zieht nicht notwen- dig eine Unterbrechung der Existenz nach sich; wir können die dauern- de Existenz erdichten – wir erdichten sie aber nicht nur, wir glauben sie.

Woher dieser Glaube?

Aus lebhaften Eindrücken entstehen lebhafte Vorstellungen. Unsere Erinnerung vergegenwärtigt uns, so Hume, in großer Anzahl Beispiele solcher Wahrnehmungen, die in verschiedenen Zeitabständen und nach bedeutender Unterbrechung wiederkehren und einander voll- kommen ähnlich sind. Diese Ähnlichkeit erweckt in uns die Tendenz, die unterbrochenen Wahrnehmungen als dieselbe Sache zu betrach- ten. Diese Tendenz lässt uns eine dauernde Existenz sinnenfälliger Ge- genstände fingieren – bei Ähnlichkeiten ziehen wir Analogieschlüsse. Aber Identität und dauernde Existenz sind Irrtümer, dem Streben zuzu- schreiben, dass wir der Unterbrechung unserer Wahrnehmungen entgehen wollen. Diese Tendenz erweckt Glauben aufgrund von Eindrücken in der Erinnerung. Offenbar würden wir ohne Erinnerung an frühere Sinneswahrnehmungen an keine dauernde Existenz der Körper glauben können.

Hume wendet sich in der Folge gegen die von Philosophen postulierte zweifache Existenz mit der Behauptung: Unsere Wahrnehmungen besitzen keine von uns unabhängige Existenz.

Als Beispiel lassen sich Doppelbilder anführen; Wahrnehmungen sind von unseren Sinnesorganen und dem Zustand unserer Nerven abhängig.

7. Der Glaube 173

Zur These der zweifachen Existenz stellt Hume fest:

„Weder in unserem Verstande noch in unserer Einbildungskraft gibt es einen Faktor, der uns unmittelbar zum Glauben an eine zweifache Exis- tenz, eine Existenz der Wahrnehmungen und eine Existenz der Gegen- stände, Anlass gäbe.“344

Hume begründet das durch das Argument:

Gewissheit besteht durch Perzeptionen, sie bilden die erste Grundlage für alle unsere Schlüsse. Wie schließen wir von der Existenz eines Dings auf die eines anderen?

Wir haben Bewusstsein von der Verknüpfung, dass die Existenz des Dings A von der Existenz des Dings B abhängig sei. Die Vorstellung dieser Beziehung stammt aus Erfahrungen. Es ist folgerichtig, dass zwischen verschiedenen Perzeptionen ursächliche Beziehungen bestehen, nicht aber zwischen Perzeptionen und Gegenständen!

Schluss: Die zweifache Existenz ist eine philosophische Hilfskonstruktion, um dem Widerstreit zwischen Einbildungskraft und Vernunft (Überlegung) mit einer Fiktion einer Erdichtung zu begegnen. Die Einbildungskraft sagt: Einander ähnliche Wahrnehmungen besitzen dauernde und un- unterbrochene Existenz, daraus folgt die Existenz der Gegenstände mit der Eigenschaft der Dauer. Die Vernunft bzw. Überlegung sagt: Auch die einander ähnlichen Wahrnehmungen erfahren in ihrer Existenz Unterbrechungen und sind voneinander verschieden – daraus folgt: Existenz der Wahrnehmung mit der Eigenschaft der Unterbrechung.

Diese Konstruktion leugnet und bestätigt gleichzeitig die Voraussetzun- gen des gewöhnlichen Lebens. Skeptischer Zweifel ist demnach angebracht.

Fazit:

344 Hume, Traktat über die menschliche Natur in der deutschen Übersetzung von T. Lipps (Hamburg 1989), S. 279.

7. Der Glaube 174

· Keine der Anschauungen kann die Aussagen des Verstandes bzw. der Sinne vor Zweifel schützen.

· Der skeptische Zweifel ist das natürliche Ergebnis jedes gründlichen und intensiven Nachdenkens, und je weiter wir unser Nachdenken treiben, desto stärker wird der Zweifel, gleichgültig ob wir ihn haben bekämpfen oder rechtfertigen wollen.

Hume empfiehlt Sorglosigkeit, wenn wir uns von den Zweifeln heilen wollen, und geht davon aus, dass seine Leser bereits eine Stunde nach der Lektüre dieser Ausführungen wieder überzeugt sein werden, es gebe eine äußere und innere Welt!

Um das Gesagte zu unterstreichen, seien noch zwei bestätigende Aussagen Humes zitiert:

„[… ] belief is more properly an act of the sensitive, than of the cogitative part of our natures.“345

Und weiter:

„[… ] it happens, that even after all we retain a degree of belief, which is sufficient for our purpose, either in philosophy or common life.“346

Der Höhepunkt dieser Gedanken erscheint abschließend in einer Metapher:

„Reason first appears in possession of the throne, prescribing Iaws, and imposing maxims, with an absolute sway and authority. Here enemy therefore is oblig'd to take shelter under her protection, and by making use of rational arguments to prove the fallaciousness and imbecility of reason, produces, in a manner a patent under her hand and seal. This patent has at first authority, proposition’d to the present and immediate authority of reason, from which it is deriv’d. But as it is suppos’d to be contradictory to reason, it gradually diminishes the force of that governing power, and it's own at the same time; till at last they both vanish away into nothing.“347

345 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 183.

346 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 185.

347 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 186 f.

8. Glaube als funktionales Konzept der Freiheit 175

8. Glaube als funktionales Konzept der Freiheit

Nachdem der Begriff des (natural) belief unter verschiedenen Aspek- ten dargelegt wurde, komme ich zur Erläuterung seiner Relevanz für ein erweitertes Konzept der Freiheit:

Die Grundlagen zur Identifikation der ‚Glaubensfunktion‘ finden sich in den skeptischen Auseinandersetzungen (siehe weiter oben in den Kapiteln 7.6 ff), die unser Vertrauen in Verstand und Sinne erst reduzie- ren, um es schließlich ganz aufzuheben. Als Krönung seiner skepti- schen Gedanken richtet Hume diese skeptischen Gedanken schließ- lich gegen sich selbst – d. h. stellvertretend für den Skeptizismus – und formuliert gewissermaßen einen Metaskeptizismus. Erst diese völlige Entfaltung des Skeptizismus bzw. Aufhebung jeder Gewissheit ermöglicht Hume die Fähigkeit, sensibel zu werden für eine Empfindung, welche uns daran hindert, dieser vollständigen Destruk- tion aller Urteile zu erliegen. Es ist eine Empfindung, die über den Weg der Synchronisation unserer geistigen Struktur mit den Bedingungen der Umwelt das Überleben zu garantieren scheint. Diese Empfindung wird als Bindeglied zwischen Traktat, Abstract und Enquiries als natural belief identifiziert. Dieser natural belief ist es, der, Sinnen und Verstand vorgeschaltet, als natürliche, aber im Hume’schen Kontext dennoch unbegründete Empfindung operiert, die einem Instinkt gleich die erwähnte Synchronisation des menschlichen Geistes mit der Umwelt gewährleistet.

Um nun den Transfer des Gesagten auf die Freiheitsproblematik vollziehen zu können, bedarf es nur einer einfachen Überlegung:

Jeder Mensch erlebt sich – zumindest im Alltagsbewusstsein – als Per- sönlichkeit, die eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen hat. Wir erkennen Alternativen und glauben, unter denselben wählen zu können.

Wir spüren daher nur selten die Determination unseres Willens und verwechseln üblicherweise die diesbezüglich mangelnde Sensibilität mit der Nicht-Existenz von Determination und postulieren deshalb

8. Glaube als funktionales Konzept der Freiheit 176

Freiheit. Diese Fantasie (des Einflusshabens) hält uns davon ab, in bestimmten Lebenslagen zu verzweifeln, und motiviert uns gleichzeitig, aktiv zu werden, garantiert also unsere Funktionalität.

Auf der anderen Seite scheint unser Verstand in Kenntnis der Einzelum- stände auf dem Weg der retrospektiven Reflexion ein Gerüst vollstän- diger Determination nachweisen zu können, die jedwedem Freiheits- konzept wenig Raum zu überlassen scheint.

Somit ergibt sich analog zu den in Kapitel 52.3 dargestellten Mechanis- men (der kognitiven Dissonanz) ein weiterer Aspekt dergestalt, dass der Glaube die Funktion der Vermittlung übernimmt zwischen der Ver- zweiflung einerseits, die aus der Erkenntnis der vollständigen Determi- nation unseres Selbst als Teil eines komplex naturwissenschaftlichen Systems resultieren könnte, und andererseits dem gegenläufigen, die Freiheit bejahenden Gefühl, im Sinne einer vorgeschalteten Instanz bzw. eines Vermögens (natural belief – subjektive Freiheit).

Mit anderen Worten scheint hier das Vermögen der Imagination durch den natürlichen Glauben eine konstruktive Leistung zu erbringen, wel- che in der Sprache der Neurobiologie die Orientierung des Menschen in seiner Umwelt unter dem Aspekt der Überlebenssicherung auf phylogenetischer Basis absichert.

Der Glaube vermag somit eine fundamentale, vor allem aber funktio- nale Position im Hume’schen Freiheitskonzept dahingehend zu über- nehmen, dass in Ergänzung zu den weiter oben angenommenen Aussagen die folgende Aussage formuliert werden kann:

Positive Urteile über Freiheit basieren auf trivial principles.

9. Freiheit als funktionales Konzept des Lebens 177

9. Freiheit als funktionales Konzept des Lebens

Dem Versuch einer erweiterten Betrachtung des Hume’schen Frei- heitskonzepts stehen nun folgende Ausgangspunkte zur Verfügung:

I. Urteile über Freiheit sind erfahrungsabhängig.

II. Freiheit kann subjektiv interpretiert werden.

III. Allgemeine Urteile über Freiheit können auf trivial operations basieren.

IV. Positive Urteile über Freiheit basieren auf trivial principles.

Die Kohärenz dieser Aussagen konstituiert einen erweiterten Betrach- tungshorizont zugunsten eines deskriptiv-funktionalen Ansatzes. Ent- scheidend ist hier also, dass sich der Begriff der Funktionalität nicht an Inhalten ethischer Implikationen orientiert, sondern hiervon losgelöst allein und wertneutral die soziobiologische bzw. naturalistische Komponente fokussiert.

Dass dies eine Sichtweise ist, die durchaus in Humes Werk angelegt ist, zeigen folgende Umstände:

Eine durch den modus operandi des gesamthumeschen Habitus zu bewerkstelligende Voraussetzung für eine ergänzende Betrachtungs- weise muss auf einem empirischen Fundament stehen. Dies impliziert im System der Perzeptionen die Rückführbarkeit auf einen Eindruck (Impression = Ich empfinde Freiheit), zunächst unabhängig von dessen Grad der Stärke und Lebendigkeit (force and liveliness). Des Weiteren gilt es, jenen Eindruck in ein Urteil (Ich bin frei) zu transformieren. Dabei ist zu beachten, dass dieses Urteil nicht auf der Grundlage tatsachen- unabhängiger Relationen basiert, sondern in den Bereich der Tatsa- chen-Wahrheiten (matters of fact) einzuordnen ist. Man könnte hier- auch den Einwand erheben, damit den Fehler zu begehen, eine onto- logische Wahrheit (frei sein) aus einer epistemologischen Wahrheit (sich frei fühlen) ableiten zu wollen.

9. Freiheit als funktionales Konzept des Lebens 178

Im unreflektierten Sinne wäre ein solcher Schluss auch für Hume nicht zulässig. Aber Hume entwickelt ja gerade seine Erkenntnistheorie darauf hin, dass ontologische Urteile äußert schwierig, wenn nicht (im Bereich von Tatsachenwahrheiten) unmöglich sind. Urteile über Kausalität, Ich und Außenwelt stehen bereits unisono für die Erkenntnis, dass sichere Kenntnis über besagte Eigenschaften nicht möglich ist. Um dem Vorwurf des unangemessenen Transfers von der Epistemolo- gie zur Ontologie entgehen zu können, bedarf es lediglich einer in Humes Sinne differenzierteren Formulierung des Urteils in der Form:

‚Ich bin frei‘ ist ein Tatsachenurteil, dessen Gewissheit aus der habituel- len Wiederholungserfahrung resultiert.

Nachdem hypothetisch im Hume’schen Sinne geklärt werden konnte, dass der Annahme von Freiheit möglicherweise schlicht die Abwesen- heit eines gegenteiligen Bewusstseinsinhalts zugrunde liegt, folgt die Flankierung dieser Auffassung in Gestalt einer teleologischen Begrün- dung in Form einer hypothetischen reductio ad absurdum:

Was wäre, wenn … (… es kein Ich zu empfinden gäbe, die Kausalität ihre vereinfachende Wirkung auf unseren Alltag aufgeben müsste und das, was wir alltäglich in unseren Händen halten, als reine Fiktion zu akzeptieren wäre)?

Hume zufolge müsste dasselbe angenommen werden, wenn wir uns einer durchgängigen Fremdsteuerung – dabei unterscheide ich nicht zwischen internen Ursachen (Affekte, Triebe, Wünsche usw.) und exter- nen Ursachen (Befehle, physische Gewalt, Willkür usw.) – bewusst zu werden hätten:

Lethargie, Demotivation, Handlungsunfähigkeit und schließlich (Über-) Lebensunfähigkeit, um nur einige hypothetische Konsequenzen anzu- führen.

Man könnte hierauf entgegnen, dass, selbst wenn man bereit ist, die- sen Gedankengängen zu folgen, nicht mit Gewissheit darüber geur-

9. Freiheit als funktionales Konzept des Lebens 179 teilt werden kann, was im Falle des Bewusstwerdens der Unfreiheit die Folge wäre, da dieser Hypothese keine Perzeption zugrunde liegt, sie also reine Fantasterei ohne das handlungsentscheidende Moment des Gefühls sein könnte (Vorwurf der Spekulativität).

Hume könnte hierauf entgegnen, dass ein unangenehmes Gefühl (uneasiness) nicht in einem unmittelbaren Affekt begründet sein muss, sondern via Imagination in Verbindung mit einer reflexiven Vorstellung durchaus Stärke und Lebendigkeit erlangen könnte, um zu einem Handlungsimpuls zu werden.

Im Anschluss an die Darstellung der Möglichkeit einer erweiterten Freiheitsbetrachtung soll im Folgenden deren Sensibilität gegenüber den Kritikpunkten, die zu Beginn dieser Arbeit erläutert wurden, betrachtet werden.

Zum ersten Kritikpunkt (logische Inkonsistenz)

Konsistent zum klassischen Ansatz wäre Freiheit – wie bisher und von Hume expressis verbis formuliert – nicht im Sinne einer Abwesenheit von Ursachen zu verstehen. Die Gefahr der sinnlosen Konstruktion eines unverursachten Willens (in Verbindung mit einer bejahten Hand- lungsfreiheit) wird damit gebannt.

Freiheit übernimmt demgegenüber auf der Grundlage der Analogien (Kausalität etc.) eine Funktion, die sich in der Sicherung der Über- lebensfähigkeit innerhalb unserer Umwelt entfaltet.

Wenn also Freiheit als ein unsere Funktionalität bedingendes Gefühl zu verstehen ist, liefe der Vorwurf des ersten Kritikpunkts am Hume’schen Konzept, nämlich die Unmöglichkeit der Koexistenz von Handlungsfrei- heit und Willensunfreiheit (im Sinne einer Unverursachtheit), deshalb ins Leere, weil das Kriterium für die Annahme von Freiheit nicht weiter unmittelbar an der Doktrin der Notwendigkeit haften muss.

9. Freiheit als funktionales Konzept des Lebens 180

Zum zweiten Kritikpunkt (Freiheit wird nicht im Gesamtkontext interpre- tiert)

Über weite Strecken dieser Arbeit wurde anhand von ausführlichen Beispielen gezeigt, wie das Zusammenspiel von trivial operations, Habituation, Erinnerungs- und Imaginationsvermögen im Kontext der Verstand-Imaginations-Spannung eine feinsinnige Glaubensanalytik begründet. Der natural belief spiegelt in seiner Zusammenfassung all diese Aspekte wieder und bildet gleichzeitig auch die Grundlage des um den Funktionalitätsgedanken erweiterten Freiheitskonzepts. In diesem Sinne synthetisiert dieses Konzept jene Mechanismen, die ursprünglich unberücksichtigt bleiben.

Zum dritten Kritikpunkt

Der dritte Kritikpunkt fordert eine Ursachenanalyse bzw. ein teleologi- sches Fundament für den Affekt der Freiheit. Dies wurde meines Erachtens mit der Identifikation als funktionales Überlebensprinzip sichergestellt.

Ich glaube annehmen zu können, dass die Freiheitsempfindung, wie sie oben erläutert wurde, durchaus apriorischen Status348 im Sinne eines praktischen, nicht aber kantischen Prinzips besitzt. Dafür spricht die Erfahrungsunabhängigkeit für das Individuum.

Soziobiologisch allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der Evolution, scheint ein funktionales Konzept eher das Ergebnis der Erfahrung und des Lernens von Generation zu Generation zu repräsen- tieren, womit die ganz zentrale Forderung des Hume’schen first

348 Nicht zuletzt wegen seiner historischen Nähe zu Kant wurde das Hume’sche Ge- dankengut von diesem (Kant) selbst und einer Vielzahl nachfolgender Kommenta- toren immer wieder als Impuls aufgegriffen, Kant’sches mit Hume’schem Gedan- kengut zu vergleichen. Den Impuls für einen neueren Vergleichsansatz bildet die von John Rawls gestellte Frage hinsichtlich der Beurteilung darüber, ob es sich bei einigen unserer elementarsten Urteile – er spricht primär über moralische Urteile – um praktische im kantischen Sinne apriorische Prinzipien handelt oder ob es eher die ruhigen, aber stetig wirkenden Affekte sind, die Regie führen. Konkret lässt sich also im Rahmen dieser Arbeit fragen, ob unser funktionales Freiheitskonzept kate- gorisch implementiert erfahrungsunabhängig besteht oder ob es sich eher um eine Art ruhiges, aber nichtsdestoweniger wirksames Gefühl handelt.

10. Ethische Implikationen 181 principle, nämlich die Rückführbarkeit jeglichen Wissens auf empiri- sche Erfahrung, erfüllt werden könnte.

Dem vierten und letzten Kritikpunkt, nämlich der Forderung nach einer Berücksichtigung kirchen- und sozialpolitischer Umstände bei der Interpretation der Notwendigkeitsdoktrin, sei denn auch das letzte Kapitel dieser Arbeit gewidmet.

10. Ethische Implikationen

Freiheit bedeutet für viele Menschen die Möglichkeit aus sich selbst heraus handeln zu können. An diese Auffassung knüpft sich häufig die Zuordnung von Verantwortung, da der Mensch in diesem Sinne der letzte Urheber seiner Handlungen ist. Die Philosophiegeschichte (bzw. im weiteren Sinne alle Geisteswissenschaften) wies über viele Epochen hinweg die Tendenz auf, einen autonomen und verantwortlichen Geist zu manifestieren.

Moderne Beobachtungen durch Neuro- und Soziobiologie an unserem Gehirn und unserem Veralten lassen Zweifel an der Selbstbestimmtheit entstehen.

Diesem möglichen Angriff auf unser Selbstverständnis als freie Individuen ist derzeit die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit zu verdanken, obgleich die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus eines der ältesten Themen der Philosophie ist.

Kontext dieser Arbeit

Einerseits glaubt der Mensch, dass er zumindest bei manchen seiner Handlungen in dem Sinne frei ist, dass es an ihm liegt, ob er etwas Bestimmtes tun oder lassen kann, ob er es hätte lassen können, was er getan hat, oder ob er hätte tun können, was er gelassen hat. Andererseits will es scheinen, dass diese Überzeugung unhaltbar ist, wenn Handlungen zu den Dingen in der Welt gehören, die verursacht werden, und wenn Verursachung in dem Sinne Notwendigkeit

10. Ethische Implikationen 182 einschließt, dass die Wirkung nicht ausbleiben kann, wenn die Ursache vollständig eingetreten ist.

Hume löst dieses Problem im Traktat, indem er kompatibilistisch argu- mentiert und mit dem Zugeständnis der Handlungsfreiheit, bei gleich- zeitiger Ablehnung der Willensfreiheit, die Verantwortung des Men- schen für seine Handlungen erhält.

Wie sieht es aber mit der Verantwortung aus, wenn man Freiheit aus- schließlich in ihrer funktionalen Dimension betrachtet, wenn also Frei- heit oder besser unsere Annahme einer individuellen Freiheit lediglich das Ergebnis eines Evolutionsprozesses ist und somit der Anpassung des Menschen an seine Umwelt untergeordnet?

Aus dem Betrachtungshorizont dieser Arbeit wird zunächst wenig zur Erhaltung der Verantwortlichkeit beigetragen. Aber David Hume hat innerhalb seines philosophischen Gesamtkonzepts der Verantwor- tungslosigkeit durchaus noch etwas entgegenzusetzen – nämlich die Sympathie:

„So far from thinking, that men have no affection for any thing beyond themselves, I am of opinion, that tho’ it be rare to meet with one, who loves any single person better than himself; yet ’tis as rare to meet with one, in whom all the kind affections, taken together, do not overbalance all the selfish. Consult common experience: Do you not see, that tho’ the whole expence of the family be generally under the direction of the master of it, yet there are few that do not bestow the largest part of their fortunes on the pleasures of their wives, and the education of their children, reserving the smallest portion for their own proper use and . This is what we may observe concerning such as have those endearing ties; and may presume, that the case would be the same with others, were they plac'd in a like situation.“349

Damit bereichert Hume sein Menschenbild um eine weitere Eigen- schaft. Diese Eigenschaft, die zur Selbstliebe hinzutritt, fasst Hume unter dem Begriff der sympathy, einem Schlüsselkonzept der schottischen Moralphilosophie. Bereits bei Hutcheson und Shaftesbury diente der Rekurs auf sympathy, die die Fähigkeit bedeutet, sich in den anderen hineinzuversetzen und für ihn Empathie oder Mitleid zu empfinden, dem Nachweis der Moralität des Menschen. Sie richteten sich damit

349 T, Buch III, Teil II, Sek. II, S. 487.

10. Ethische Implikationen 183 gegen die negativen Anthropologien von Thomas Hobbes und Bernard Mandeville, die beide den Menschen als durch und durch egoistisch und rücksichtslos charakterisiert haben. Hume, der mit den Schriften von Hutcheson und Shaftesbury vertraut gewesen ist, begreift sympathy ebenso als eine Art Affekt wie unser kausales Verständnis. Entsprechend findet sich am Ende des Traktats die entschiedene Zusammenfassung:

„’Thus upon the whole I am hopeful, that nothing is wanting to an accurate proof of this system of ethics. We are certain, that sympathy is a very powerful principle in human nature. We are also certain, that it has a great influence on our sense of , when we regard external objects, as well as when we judge of morals. We find, that it has force sufficient to give us the strongest sentiments of approbation, when it operates alone, without the concurrence of any other principle; as in the cases of justice, allegiance, chastity, and good-manners. We may observe, that all the circumstances requisite for its operation are found in most of the virtues; which have, for the most part, a tendency to the good of society, or to that of the person possess’d of them. If we compare all these circumstances, we shall not doubt, that sympathy is the chief source of moral distinctions; especially when we reflect, that no objection can be rais’d against this hypothesis in one case, which will not extend to all cases.“350

Auch wenn Hume den Verstand nicht völlig ausblendet, ist seine Rolle bei der moralischen Urteilsfindung sekundär: Moralität ist für Hume wesentlich affektuell.

Das Hume’sche Sympathiekonzept geht in seiner Wirkung zwar weit über den engen Kontext der Freiheitsbetrachtung hinaus - vor dem Hintergrund der im Laufe dieser Arbeit erörterten Imaginationskon- zepte erscheint ein solches Verfahren aber durchaus angeraten, da es die logische Fortsetzung einer naturalistischen Lesart bildet.

Mit diesen kurzen Ausführungen zur ethischen Implikation einer funktio- nalen Freiheitsbetrachtung sollte keinesfalls der Versuch unternommen werden, quasi en passant den ‚guten Menschen‘ zu retten. Vielmehr sollen sie verdeutlichen, dass sich die Untersuchung der Frage, inwiefern sich bei einer funktionalen Betrachtung der Freiheit im Hume’schen Werk moralische Konsequenzen ergeben, auf ein breites Fundament stützen kann.

11. Das erweiterte Freiheitskonzept im Kontext der modernen Neurobiologie 184

11. Das erweiterte Freiheitskonzept im Kontext der modernen Neurobiologie

Im Verlauf der Arbeit wurde mehrfach herausgearbeitet, dass unser Freiheitskonzept im Sinne des An-Freiheit-glauben-Müssens analog zur Kausalitätsannahme lebensnotwendig und damit apriorisch in einem bestimmten naturalistischen Sinne ist. In welchem Sinne notwendig und in welchem spezifischen Sinne apriorisch, soll an dieser Stelle etwas deutlicher herausgestellt werden:

A priori sind Urteile gemeinhin dann, wenn sie nicht erfahrungsab- hängig (a posteriori) sind. Der Begriff der Erfahrungsabhängigkeit kann in einem bestimmten Sinne synonym zur Lernabhängigkeit gedeutet werden. Bekanntermaßen stehen uns spätestens seit Lorenz351 aber Erfahrungskonzepte zur Verfügung, die für das betrachtete Individuum keiner unmittelbar empirischen Erfahrung gleichkommen. (Siehe z. B. das Verhalten der neugeborenen Ente, die selbst mit einer wasserscheuen Henne als Pflegemutter intuitiv zum Wasser läuft und schwimmt.) Klassischerweise betrachten wir dieses Verhalten als angeboren. Was aber bedeutet angeboren in diesem Sinne konkret? Dass es sich um ein erfahrungsunabhängiges Prinzip handelt?

Die Antwortet lautet zugleich Ja und Nein. Ja im Sinne von erfahrungs- unabhängig, da nämlich das Individuum diese Erfahrung selbst nicht gemacht haben muss, um davon zu profitieren. Nein im Sinne einer die Evolution berücksichtigenden Perspektive, die mit dem Begriff des Angeborenseins operiert. Der soziobiologischen Auffassung zufolge haben Menschen Zugang zu Informationen, die ihr Handeln und Den- ken steuern, nicht nur unmittelbar über selbst erlebte – in diesem Sinne auch von Dritten gehörte – Erfahrung, sondern auch mittelbar über den genetischen Code. Angeboren in diesem Sinne wird als „stam- mesgeschichtliche Anpassung“352 deklariert. Stammesgeschichtlich

350 T, Buch III, Teil III, Sek. VI, S. 618.

351 Vgl. hierzu Konrad Lorenz: Evolution and Modification of Behaviour, Chicago 1965.

352 Eibl-Eibesfeld, a. a. O., S. 43.

11. Das erweiterte Freiheitskonzept im Kontext der modernen Neurobiologie 185 angepasst seien danach – soziobiologisch definiert – Verhaltensweisen und Wahrnehmungsleistungen, deren Nervenzellen in einem Prozess der Selbstdifferenzierung einem genetischen Code folgend heranrei- fen.353

Auf dieser Grundlage kann also Nein bedeuten, dass, um ein Verhal- tens- oder Denkmuster zu realisieren, nicht die Erfahrung des indivi- duellen Menschen benötigt wird, sondern die evolutionäre Erfahrung die Handlungs- bzw. Denkstrukturen einer Gattung steuert.

Freiheit im neurobiologischen Sinne354 ist kurz gesagt unsere Fähigkeit, einem Reiz-Impuls aufgrund zielorientierter Überlegungen, beispiels- weise im Rahmen eines Nutzen-Aufwand-Kalküls, zu entsagen. Der Antrieb solcher Überlegungen scheint seinerseits auf einen Rück- koppelungsprozess wie folgt zurückzugehen:

Der Mensch ist phylogenetisch programmiert, permanent Kosten- Nutzen-Entscheidungen zugunsten einer verbesserten (Über-)Lebens- tauglichkeit zu treffen. Unsere ‚Software‘ muss also in irgendeiner Weise darauf ausgelegt sein, den unmittelbar ins Sichtfeld getretenen Reiz (zumindest zeitlich befristet) zu unterdrücken, um dann eine Entscheidung auf der Grundlage der aktuellen Nebenbedingungen zu treffen. Wir suchen geradezu nach Situationen, in denen Reize uns zu einer solchen Entscheidung provozieren.355 Um aber mindestens zwischen zwei Entscheidungsalternativen wählen zu können, braucht es neurobiologisch gesehen die Möglichkeit, die Reiz-Reaktions-Kette unterbrechen zu können. Die Fähigkeit zu dieser Unterbrechung bezeichnen die Neurobiologen als Kortikalisation356, die Grundlage für die dann folgende Abwägung als Lateralisation357.

353 Vgl. Eibl-Eibesfeld, a. a. O., S. 43 ff.

354 Vgl. Eibl-Eibesfeld, a. a. O., S.130 ff.

355 Dieses Suchen wird in der Humanethologie als Appetenzverhalten beschrieben.

356 Vgl. Eibl-Eibesfeld, a. a. O., S. 131.

357 Vgl. Eibl-Eibesfeld, a. a. O., S. 131.

12. Schluss und Ausblick 186

Zusammengefasst lässt sich der (neurobiologische) Sinn von Freiheit oder, mit anderen Worten, die Grundlage für das funktionale Freiheits- prinzip also an der Stelle festmachen, wo eine Entscheidung getroffen werden muss und dieses Entscheiden uns dazu verhilft, im Sinne der Kosten-Nutzen-Effizienz bessere Entscheidungen zu treffen. Damit etabliert die so genannte moderne Naturwissenschaft ein Modell, das ganz allgemein in Humes Philosophie als Ansatz vorhanden ist und im Konzept der erweiterten Freiheitsbetrachtung sogar ein wenig konkre- ter in Erscheinung tritt.

Nun soll hier keinesfalls die These vertreten werden, Hume wäre der Vater der modernen Neurobiologie oder auch nur der Initiator moder- ner Verhaltenskonzepte. Dies würde bedeuten, dass man den Stein mit dem Haus verwechselte. Dennoch ist der Umstand äußerst befrie- digend, im Rahmen einer solchen Arbeit ein Konzept aus einem nahezu dreihundert Jahre alten Text ableiten zu können, dessen Ideen an einigen Stellen durchaus von der aktuellen Forschung bestätigt werden.

12. Schluss und Ausblick

Wie viele Philosophen vor und nach ihm hat sich auch David Hume darum bemüht, ein sicheres Wissensfundament als Ausgangsbasis seines Philosophierens zu errichten. Sicherheit galt es zu gewinnen sowohl in Bezug auf Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen dessen, was wir theoretisch wissen können, ebenso wie für praktische Fragestellungen im Hinblick auf das, was wir tun sollen. Dabei war es sein erklärtes Ziel, die Philosophie frei von metaphysischen Untiefen zu entfalten.

Ob er diesem Anspruch gerecht werden konnte, wird bis heute kontrovers diskutiert. Denn Hume – in kritischer Haltung gegenüber Verstand und Sinnen – löst zunächst auf der Grundlage eines vollum- fänglichen Skeptizismus jede Sicherheit und jede Gewissheit in Zweifel auf. Ähnlich der kartesischen Methode führt ihn sein Zweifel zunächst

12. Schluss und Ausblick 187 in eine Ausweglosigkeit, die er mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten unmöglich überwinden kann. Da Hume jedoch programmatisch die Möglichkeit transzendenter Wahrheitsgaranten wie den kartesischen Gott nicht zur Verfügung hat, verbleibt ihm in der von ihm eingeführten Metapher des Schiffbruchs358 keine Aussicht auf Rettung von außen. Damit scheinen sowohl Außenwelt als auch Kausalität und das Ich verloren.

Aus dieser Verzweiflung heraus – und genau hier offenbart sich die konstruktive Leistungsfähigkeit des genuin Hume’schen Skeptizismus – reduziert er seine Begründungssphäre auf das, was ihm unbezweifel- bar erscheint, nämlich auf seine Bewusstseinsinhalte. Diese Epoché bereitet den Weg für die Unterscheidung zwischen Erkanntem und Gefühltem. Hume exponiert dieses Spannungsfeld und löst es in einer seiner populärsten Passagen zugunsten der Vorherrschaft des Gefühls auf:

„Reason first appears in possession of the throne, prescribing laws, and imposing maxims, with an absolute sway and authority. Her enemy, therefore, is oblig’d to take shelter under her protection, and by making use of rational arguments to prove the fallaciousness and imbecility of reason, produces, in a manner, a patent under her band and seal. This patent has at first an authority, proportioned to the present and immediate authority of reason, from which it is deriv’d. But as it is suppos’d to be contradictory to reason, it gradually diminishes the force of that governing power and its own at the same time; till at last they both vanish away into nothing, by a regulax and just diminution. The sceptical and dogmatical reasons are of the same kind, tho’ contrary in their operation and tendency; so that where the latter is strong, it has an enemy of equal force in the former to encounter; and as their forces were at first equal, they still continue so, as long as either of them subsists; nor does one of them lose any force in the contest, without taking as much from its antagonist. ’Tis happy, therefore, that nature breaks the force of all sceptical arguments in time, and keeps them from having any considerable influence on the understanding. Were we to trust entirely to their self-destruction, that can never take place, ’till they have first subverted all conviction, and have totally destroy’d human reason.“359

358 T, Buch I, Teil IV, Sek. VII, S. 263 ff.: „Methinks I am like a man, who having struck on many shoals, and having narrowly escap’d shipwreck in passing a small frith, has yet the temerity to put out to sea in the same leaky weather-beaten vessel, and even carries his ambition so far as to think of compassing the globe under these disadvantageous circumstances.“

359 T, Buch I, Teil IV, Sek. I, S. 186 ff.

12. Schluss und Ausblick 188

Im Betrachtungshorizont der vorstehenden Arbeit stand, in der Tradi- tion der der Vorherrschaft des Gefühls, zunächst der praktische Aspekt des Hume’schen Philosophierens im Vordergrund. Philosophie wird dabei nicht primär verstanden als Suche nach den Bedingungen der Möglichkeit von absoluter Wahrheit oder Erkenntnis, sondern als funktionales Konzept zur Bewältigung alltagspraktischer Lebensaufga- ben, als Orientierungshilfe im praktischen Sinne (Ansatz der Viabilität).

Die sich daraus ergebende programmatische Konsequenz ist allge- mein die Anerkennung von Tatsachen in ihrer funktional konstitutiven Perspektive des Überlebens bar jeder metaphysischen Konnotation. Aus dieser naturalistischen Bestimmung heraus scheint das Bewusst- werden bestimmter Vorstellungen nicht mehr kontingent, sondern notwendig zu sein.

Welcher Art aber ist diese Notwendigkeit? Die Natur, so hat sich gezeigt und so hat es auch Hume expliziert, entzieht dem rationalen Urteilsvermögen die Fähigkeit der Analyse, des Vergleichens und Defi- nierens und agiert als Instinkt, gewissermaßen apriorisch unerschütter- lich vorausgesetzt durch das Instrument des natürlichen Glaubens. Dieser Glaube ist damit die Hume’sche Ausdrucksform des Notwendi- gen.

Um diese existentielle Funktion des natürlichen Glaubens für den Freiheitskontext absichern zu können, wurde in der vorangehenden Ausarbeitung die Methode der Gegenüberstellung anderer Konzepte im Traktat gewählt, um jene Gemeinsamkeit herauszufiltern, die als natürlicher Glaubensinhalt zu bezeichnen ist.

Als Folge der so angestellten Betrachtungen konnte auf die Möglich- keit hingewiesen werden, die Freiheitsanalytik programmatisch- methodologisch auf eine Stufe mit den Analysen von Ich, Kausalität und Außenwelt zu stellen.

Ein möglicher Anknüpfungspunkt an ein solches Ergebnis besteht in Form der Durchführung einer Evaluation in der Weise, dass das Urteil (Ich bin frei) auf seinen philosophischen Gehalt hin zu überprüfen ist.

12. Schluss und Ausblick 189

Im Vordergrund eines solchen Evaluationsprozesses steht konkret die Frage nach der philosophischen Qualität des getroffenen oder besser gefühlten Urteils. Welcher Natur ist Apriorizität des Glaubensurteils? Welcher ontologischen Herkunft ist die Genese unserer Freiheitskon- zeption? Handelt es sich um ein apriorisch-kantisches Vernunftkonzept oder ist die Freiheit ein evolutionär entwickeltes Optimierungspro- gramm, das genetisch fortgeführt wird, oder ergibt sie sich apodiktisch evident aus der Struktur von Ich und Handlung?

Zur Beantwortung dieser Fragen gibt es meines Erachtens drei mög- liche Vorgehensweisen, wobei eine in die Richtung der evolutionären Erkenntnistheorie deutet, eine weitere die kantische Apriorizität als Ausgangspunkt bildet und eine dritte Spur den Grad der Antizipation der Hume’schen Notwendigkeitskonzeption im phänomenologischen Begründungskontext des 20. Jahrhunderts erörtert.

Der phänomenologische Kontext scheint sich als vielversprechend anzubieten, da die Hume’sche Argumentation einerseits explizit die Reduktion der Welt auf die Bewusstseinsinhalte in Form von Perzeptio- nen fordert und andererseits Husserls Phänomenologie, wie im Zitat weiter unten zu sehen, auf Hume rekurriert.

Konkret erwarb Hume den Ruf eines naturalistischen Psychologisten durch die Akzentuierung nicht rationaler und damit im weiteren Sinne psychologischer Bewusstseinsvorgänge.360 Diese Klassifizierung bildet den Ausgangspunkt für Husserls Stellungnahme zu Hume:

360 Siehe als Belegquelle für Humes Einordnung als Psychologist: Rudolf Eisler: Wörter- buch der philosophischen Begriffe in: http://www.textlog.de/4925.html: „Einen Psychologismus im weiteren oder doch gemäßigten Sinne vertreten (s. Philoso- phie): FRIES, CHR. WEISS, BENEKE, V. COUSIN (Du vrai p. 3), JOUFFROY, FOUILLÉE, LACHELIER, HÖFFDING (Psychologie als Grundlage der Geisteswissenschaften: Psychol. 2, S. 35), WUNDT (s. Psychologie), JODL u.a., mit noch stärkerer Betonung LIPPS (vgl. Psycholog. Wissensch. u. Leb. 1901), F. BRENTANO und seine Schule (HÖFLER, MARTY, MEINONG u. a.). Besonders aber (auch im ontologischen Sinne) BERKELEY, HUME, J. ST. MILL (s. Objekt), H. CORNELIUS, nach welchem die Psycholo- gie ‚das einzig mögliche Fundament aller Philosophie‘ ist (Psychol., S. 71), E. MACH (s. Empfindung) u. a. In der Logik (s. d.) sind psychologistisch J. ST. MILL, FOWLER (Logic, 1895, I, 1), SCHUPPE (Arch. f. system. Philos. VII, 1901, S. 1 ff.), ELSENHANS (Zeitschr. f. Philos. 109. Bd., 1896, S. 195 ff.). Dagegen REHMKE (l. c. 1894, S. 118 ff.), UPHUES, PALÁGYI u. a. (s. Logik).“

12. Schluss und Ausblick 190

„Gegen diejenigen Theorien, die sich in dem oben genannten Sinne als Konzeptionen einer deskriptiven Bewusstseinsphilosophie verstehen bzw. die sich als phänomenalistische Theorien rekonstruieren lassen, indem sie sich in ihren Systembildungen ausschließlich auf evidente Bewusstseins- vorkommnisse zu beziehen beanspruchen, ist des Öfteren und in recht unterschiedlichen Weisen der Vorwurf erhoben worden, es handele sich bei ihnen weniger um Konzeptionen einer spezifisch philosophischen Erkenntnistheorie, sondern vielmehr um spezielle psychologistische Theo- riebildungen, deren Urteilen im Grunde jeder im prägnanten Sinne philo- sophische Rang fehle, den die betreffenden Theorien gleichwohl, jedoch aufgrund eines fundamentalen methodologischen Selbstmissverständ- nisses und folglich zu Unrecht für sich in Anspruch nähmen.“361

Ferner berge, so Husserl, eine phänomenolgische Theorie die Gefahr, dass sie sich lediglich auf die Beschreibung von Evidentem beziehe und folglich keine philosophischen Notwendigkeitsaussagen enthielte. Philosophische Propositionen, d. h. allgemeine Sätze mit Notwendig- keitscharakter, seien dagegen dadurch ausgezeichnet, dass sie völlig frei von jeder sachlichen Bezugnahme einen ausschließlich formalen, analytischen Charakter aufwiesen, der seinerseits auf bloßen Definitionen beruhe, wobei die Letzteren lediglich auf die Anwendung von (konventionsabhängigen) Verwendungsregeln zurückzuführen seien, sodass sich letztlich die spezifisch philosophische Sphäre auf solche Definitionen und die von denselben aus vorzunehmenden logischen Ableitungen einschränke.

Eine wesentlich konkretere Stellungnahme bietet Husserl in einer Passage, die unmittelbar an das vorige Zitat anschließt:

„Und doch, wenn man das denkwürdige Werk [Humes Treatise, Anm. d. V.] selbst näher studiert und teils hinblickt auf die Methode, in der nichts weiter als Vorkommnisse in der Sphäre der Perzeptionen vorausgesetzt bzw. theoretisch festgestellt werden, und andererseits auf die Ergebnisse durch die nicht nur die transzendente physische Natur, sondern alle objektive Welt, mit allen ihr zugehörigen kategorialen Formen, als fiktives Gebilde in der perzeptionalen Sphäre erwiesen werden soll; dann ist es doch klar, daß das alles ist, nur nicht eine gewöhnliche Psychologie; also nichts weniger als eine Erfahrungswissenschaft auf dem Boden der als seiend gegebenen und als seiend gelten gelassenen raum-zeitlichen realen Welt. Eine Wissenschaft, die beweist, daß die ganze Welt, einge- schlossen die Menschen, die menschlichen Seelen, die Personen, perso- nalen Verbände usw. nichts als Fiktionen seien, kann keine Wissenschaft vom Menschen und der menschlichen Seele usw. im gewöhnlichen Sinne sein, keine Wissenschaft, welche die Erfahrungswirklichkeit von Menschen voraussetzt. Ein solcher Unsinn kann einem Hume nicht

361 Zitat aus: Klaus Wüstenberg: Die Konsequenz des Phänomenalismus, Würzburg 2004, S. 55.

12. Schluss und Ausblick 191

zugemutet werden, und er liegt auch nicht in seinem Werke selbst. In Wahrheit ist diese Humesche Psychologie der erste systematische Ver- such einer Wissenschaft von den reinen Bewußtseinsgegebenheiten, ich würde sagen, es ist der Versuch einer reinen Egologie, wenn nicht Hume auch das Ich als bloße Fiktion hingestellt hätte. Es ist eine Tabula-- Psychologie, die, in radikaler Enthaltsamkeit, nichts verwerten will als die immanenten Vorfindlichkeiten der tabula rasa, also nur die unmittelbar evidenten Bewußtseinsbestände, und nun in diesem Bereich (also im sensualistisch gedeuteten Bereich des ego cogito) psychologische Gesetze sucht, nach denen psychologische Erklärung zu gewinnen sei. Wir können auch sagen, es ist der erste systematische und universale Entwurf der konkreten konstitutiven Problematik, die erste konkrete und rein immanente Erkenntnistheorie. Allenfalls könnten wir auch sagen, Humes Treatise ist der erste Entwurf einer reinen Phänomenologie, aber in Gestalt einer rein sensualistischen und empirischen Phänomenologie.“362

Den Hauptkritikpunkt Husserls bildet nach der oben zitierten Passage die Hume’sche Subjektivitätstheorie.

Interessant scheint dabei die Frage der definitiven Klassifikation des Ichs. Aus Husserls Philosophie heraus ist die Kritik an einem fehlenden

Ich durchaus nachvollziehbar. Wichtig scheint aber die Frage, ob es sich bei dem von Hume im Skeptizismus aufgelösten Ich auch um jenes Ich handelt, dessen Aufhebung Husserl kritisiert. Hume machte deutlich, dass unser Ich-Konzept deshalb ein Ergebnis der Imagination ist, weil wir zu einem realen Ich keinen perzeptionellen Zugang haben. Das Ich sei allenfalls ein Bündel von Perzeptionen und damit nicht als eigene Entität existent. Hingegen bestreitet der Empirist aber an keiner Stelle die Möglichkeit eines logischen Ichs im Sinne eines notwendigen Subjekts, das überhaupt erst in der Lage ist, Perzeptionen zu haben. Wer ist skeptisch, wer löst jedes Wissen auf und schließlich: Wer oder was bündelt denn dieses Bündel?

Im o. a. Husserl’schen kritischen Kontext muss schließlich gefragt wer- den, ob Humes Philosophie nicht über die Fähigkeit verfügen könnte, ein Ich im Husserl’schen Sinne bereitzustellen oder es gar bereitstellen muss.

362 Edmund Husserl: Erste Philosophie (1923/24). Erster Teil. Kritische Ideengeschichte, hg. v. Rudolf Boehm), Husserliana Band VII). Den Haag 1956, S. 156 f. Fettdruck von mir.

12. Schluss und Ausblick 192

Husserl fordert für seine philosophischen Urteile apodiktische Evidenz. Er kennt apodiktisch evidente Urteile in Form demonstrativer Gewiss- heit, insoweit sich diese auf logische und denknotwendige Relationen beziehen. Demonstrative Gewissheit kennt Hume also nicht unmittel- bar auf die den Relationen zugrunde liegenden Vorstellungen, son- dern nur in Bezug auf die Relationen selbst. Damit reduziert er Urteile auf formale Denkstrukturen in einer Form, wie Husserl sie prinzipiell fordert.

Im Ergebnis kann Hume zumindest grundsätzlich bewusstseinstranszen- dente Entitäten wie das Ich anerkennen, allerdings nur solche, die zwingend und damit apodiktisch evident sind.

Zusammenfassend und ausblickend ergibt sich m. E. aus den oben skizzierten Ausführungen die Möglichkeit einer diese Arbeit fortsetzen- den Untersuchung in der Weise, dass (mit Hilfe der phänomenologi- schen Methode) zu überprüfen wäre, ob Hume nicht doch mit dem Konzept des natürlichen Glaubens allgemein und dessen Relevanz für die Freiheit konkret entgegen seinen Ausführungen metaphysisch argumentiert bzw. ob Hume in Anerkennung einer logisch-formal bedingten Subjektivität rein programmatisch Urteile zu Freiheit oder Kausalität nicht doch über den empiristischen Tatsachenhorizont hinaus in eine apodiktische Wahrheit überführen kann.

Die Klärung dieser Fragen muss anschließenden Untersuchungen vorbehalten bleiben.

Anhang 193

Anhang

1. Abkürzungsverzeichnis363

E = An Enquiry concerning Human under-standing

LA, LB, = Letter to a physician

NHR = The Natural History of Religion

T = A Treatise of Human Nature

363 Gerhard Streminger: Hume, Reinbek 1986, Seite 647 ff.

2. Humes Lebensstationen 194

2. Humes Lebensstationen364

1711 7. Mai: David Hume wird in Edinburgh geboren.

1711-1723 Hume lebt mit seiner Familie in Ninewells und Edinburgh. 1713: Tod des Vaters. Ab Herbst 1723 besucht Hume Vorlesungen an der Universität Edinburgh.

1725 Frühjahr: Rückkehr nach Ninewells.

1726 Ab Herbst Studium der Rechte an der Universität Edinburgh. Freund- schaft mit Henry Home.

1729 Frühjahr: Abbruch des Studiums. Rückkehr nach Ninewells. Enthu- siastische Beschäftigung mit stoischen und der Stoa nahe stehenden Autoren. Ab September: schwere Depressionen.

1730 Herbst: Edinburgh, wo Hume sich erholt.

1731 Frühjahr: Rückkehr nach Ninewells. Mai: Beginn einer zweiten langen Depressionsphase. Frühsommer: Beginn des empiristischen Philoso- phierens.

1734 Februar: Hume verlässt Schottland. In London schreibt er seinen Letter to a Physician. Hume gesundet. Mitte März: Reise nach Bristol, wo er als Schreibgehilfe bei einem Kaufmann arbeitet. Sommer: Reise nach Frankreich. Aufenthalt in Paris und Reims.

1735 Sommer: Reise nach La Fleche, wo er zwei Jahre lang lebt und an seiner Philosophie arbeitet.

1737/38 Sommer: Reise nach London, wo Hume siebzehn Monate bleibt. März 1738: Reise nach Rochester, um Joseph Butler zu treffen.

1739 ca. 30. Januar: Ein Traktat über den menschlichen Verstand (erster und zweiter Band). Ende Februar: Reise nach Ninewells. November/ Dezember: Vernichtende Rezension des Traktats in The History of the Works of the Learned. Hume trifft Francis Hutcheson.

1740 11. März: Abriss. Hume reist im Frühling nach London, um die Fahnen des dritten Bandes des Traktats zu korrigieren. Dieser erscheint am 30. Oktober. Rückkehr nach Schottland.

1741 Spätherbst: Erster Teil der Essays.

1742 Januar: Zweiter Teil der Essays. Hume lebt vor allem in Edinburgh.

1743 Beginn vieler Freundschaften mit den übrigen Vertretern der schotti- schen Aufklärung.

1744 Sommer: Bewerbung um den Lehrstuhl für Ethics and Pneumatical Philosophy an der Universität Edinburgh.

1745 Mitte Februar: Reise nach St. Albans nahe London. Tutor und Pfleger des Marquis von Annandale. Tod der Mutter. 8. Mai: Brief eines

364 Zitiert nach Streminger, Hume, Reinbek 1986, S. 142 ff.

2. Humes Lebensstationen 195

Edelmannes. Humes Bewerbung wird abgelehnt.

1746 16. April: Ende des Aufenthalts in St. Albans. London. Privatsekretär General Sinclairs. Militärexpedition an die Küste Frankreichs. Irland. London.

1747 Frühjahr: Rückkehr nach Schottland.

1748 Hume begleitet Sinclair auf eine Gesandtschaftsreise an die Höfe in Wien und Turin. 22. April: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. 19. November: Drei Essays. London.

1749 Frühsommer: Rückkehr nach Ninewells. Arbeit an verschiedenen philosophischen und historischen Projekten. Wahrscheinlich lernte Hume in diesem Jahr Adam Smith persönlich kennen.

1750 30. November: Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Sekretär der Philosophischen Gesellschaft in Edinburgh.

1751 14. Januar: Politische Diskurse. Vergebliche Bewerbung um den Lehrstuhl für Logik an der Universität Glasgow. Ab Februar: Bibliothe- kar am Juristenkollegium in Edinburgh. Arbeit an der Geschichte Englands.

1753 Umzug von Riddle's Land, Lawnmarket, nach Jack's Land, Cannon- gate, wo Hume neun Jahre lang lebt.

1754 November: Geschichte Englands (erster Teil). Kassierer der Select Society. Januar: Hume legt sein Amt als Bibliothekar nieder. 7. Februar: Vier Abhandlungen. 3. März: Geschichte Englands (zwei- ter Teil). Sommer: London, wo Hume den dritten Teil seiner Geschich- te Englands abschließt und unter anderen Edmund Burke, Benjamin Franklin und Edward Gibbon kennen lernt.

1755 Februar: Geschichte Englands (dritter Teil).

1761 Juni: Reise nach London. 17. November: Geschichte Englands (vier- ter Teil). Schottland.

1762 Frühjahr: Wohnung in James' Court, Lawnmarket. Herbst: Reise nach Frankreich als Privatsekretär des britischen Botschafters, Graf Hertford. Beginn der Freundschaft mit Mme. Bouffiers und den französischen Aufklärern.

1765 Frühsommer: Hume übernimmt für mehrere Monate das Amt des britischen Botschafters in Paris.

1766 Januar: Rückreise nach London mit Rousseau. Streit mit Rousseau. Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Hume und Rousseau (Oktober: französisch, November: englisch). Schottland.

1767 Ab Februar: Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt in London.

1768 Januar: Ende der Tätigkeit als Unterstaatssekretär.

1769 August: Rückkehr nach Schottland.

1769-1776 Hume lässt sich ein Haus in St. Andrews’ Square bauen, das er im Sommer 1771 bezieht. Freundschaft mit Nancy Orde. Verschlechte-

2. Humes Lebensstationen 196

rung des Gesundheitszustands. Überarbeitung des gesamten Werks (mit Ausnahme des Traktats).

1776 April – 3. Juli: England-Reise. 4. Juli: Abschiedsmahl. 25. August: Tod.

1777 11. März: Smith veröffentlicht Humes Autobiografie und seinen Brief an William Strahan. Die Essays Über Selbstmord und Über die Unsterblichkeit der Seele erscheinen.

1779 Humes Neffe publiziert im Frühjahr die Dialoge über natürliche Religion.

3. Literaturverzeichnis 197

3. Literaturverzeichnis

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3. Literaturverzeichnis 207

3.3 Hume Studies (moderner Forschungskontext)

Volume I Number 1 (April 1975)

David C. Stove: Hume, The Causal Principle, and Kemp Smith.

Clifford A. Hooker: Probability and Hume's Inductive Scepticism, by D. C. Stove.

Volume XIX, Number 2 (November 1993)

Jane L. McIntyre: Norms for a Reflective Naturalist: A Review of Annete C. Baier's A Progress of Sentiments.

Volume XX, Number 1 (April 1994)

Elizabeth S. Radcliffe: Hume on Motivation Sentiments, the General Point of View, and the Inoculation of ,,Morality"

Ken O’Day: Hume’s Distinction Between the Natural and Artificial Virtues

Volume XXI, Number 1 (April 1995)

M. Jamie Ferreira: Beryl Logan. A Religion Without Talking: Religious Belief and Natural Belief in Hume’s Philosophy of Religion

Jean Hampton: Does Hume Have an Instrumental Conception of Practical Reason?

Volume XXII, Number 1 (April 1996)

Michael P. Lynch: Hume and the Limits of Reason

Volume XXII, Number 2 (November 1996)

Craig Beam: Hume and Nietzsche: Naturalists, Ethicists, Anti-Christians

Volume XXIII, Number 1 (April 1997)

Lorne Falkenstein: Naturalism, Normativity, and Scepticism in Hume's Account of Belief

Volume XXIV, Number 1 (April 1998)

Keven Meeker: Hume: Radical Skeptic or Naturalized Epistemologist

Volume XXV, Number 1 and 2 (April/November 1999)

Elizabeth S. Radcliffe: Hume on the Generation of Motives: Why Beliefs Alone Never Motivate

3. Literaturverzeichnis 208

Volume XXVI, Number 2 (November 2000)

Ira Singer: Nature Breaks Down: Hume's Problematic Naturalism in Treatise I iv

Volume XXVII, Number 1 (April 2001)

Nicholas Sturgeon: Moral Skepticism and Moral Naturalism in Hume's Treatise

Peter Loptson: Hellenism, Freedom, and Morality in Hume and Johnson

Volume XXVII, Number 2 (November 2001)

Jack C. Lyons: General Rules and the Justification of Probable Belief in Hume's Treatise

Volume XXVIII, Number 1 (April 2002)

Kathleen Wallace: Hume on Regulating Belief and Moral Sentiment

Book Reviews

Andrew Pavelich: H. O. Mounce. Hume's Naturalism

Volume XXIX, Number 1 (April 2003)

Book Reviews

Kenneths Merrill: Colin Howson. Hume's Problem: Induction and the Justification of Belief

4. Humes Schriften 209

4. Humes Schriften

Schriften Humes in chronologischer Reihenfolge aus: Streminger, Gerhard: David Hume: Sein Leben und Werk. 2., unveränd. Aufl. Paderborn – München – Wien – Zürich 1994, S. 648 ff.

1. LA, LB, NHL. Die ältesten erhalten gebliebenen Schriften Humes sind einige Briefe. Diese wurden von herausgegeben J. Y. T. Greig (The Letters of David Hume. 2 Vols. Oxford 1931) und R. Klibansky / E. C. Mossner (New Letters of David Hume. Oxford 1954).

2. EM. Bei den Early Memoranda handelt es sich um undatierte Notizen zu naturphilosophischen, allgemein-philosophischen und politisch- ökonomischen Themen, die Hume bei der Lektüre bestimmter Werke niederschrieb. Neu herausgegeben wurden die Early Memoranda von E. C. Mossner in: Journal of the History of Ideas IX (1948), S. 492-518. Einige dieser Early Memoranda wurden vor der Veröffentlichung des Treatise geschrieben.

3. HEC. Das undatierte Essay-Fragment An Historical Essay on Chivalry and Modern Honour wurde mit großer Wahrscheinlichkeit nach 1731 geschrieben und von E. C. Mossner neu herausgegeben, in: Modern Philology XLV (1947 f.), S. 54-60. Eine Fehlerliste zu dieser Ausgabe findet sich in: Hume Studies VII/1 (1981), S. 98, 100 f.

4. A Letter to a Physician. Dieses wichtige Selbstzeugnis Humes wurde im März 1734 geschrieben, abgedr. in: LA, S. 12-18.

5. THN. A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects. Book I (Of the Understanding) und Book II (Of the Passions), erschienen 1739, Book III (Of Morals) 1740 in London. Die bislang beste Ausgabe von Humes philosophischem Hauptwerk stammt von L. A. Selby-Bigge/P. H. Nidditch (Oxford 1978). Deutsch von Th. Lipps (Ein Traktat über die menschliche Natur. Neuausgabe von R. Brandt in zwei Bänden: Ham- burg 1989. Band I enthält Buch I; Band II enthält Buch II und Buch III).

6. A. An Abstract of Book lately Published; intituled (sic), a Treatise of Human Nature, Wherein the Chief Argument of that Book is farther Illustrated and Explained. London 1740. Der Abstract ist neu abge- druckt in der unter Punkt 5 zitierten englischen Ausgabe des Treatise (S. 641-62). Deutsch von J. Kulenkampff (Abriss eines neuen Buchs: Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. Hamburg 1980).

4. Humes Schriften 210

7. E, E/M, E/B, E/K. Essays, Moral and Political. Teil I erschien 1741, Teil II 1742. Bis zu seinem Tod hat Hume immer wieder Korrekturen sowie Um- stellungen an diesem Werk vorgenommen und einige ältere Essays durch neue ersetzt. Hume gab seiner Aufsatzsammlung schließlich den Namen: Essays, Moral, Political and Literary. Die beste englische Aus- gabe ist diejenige von E. F. Miller (Indianapolis 1987). Ein beträchtlicher Teil der Essays, Moral, Political and Literary wurde von S. Fischer ins Deutsche übersetzt (Politische und ökonomische Essays, 2 Bde., Ham- burg 1988; Hrsg.: U. Bermbach). Ein kleinerer Teil, nämlich Of Essay Writing, The Epicurean, The Stoic, The Platonist, The Sceptic wurde ge- meinsam mit der Abhandlung Of the Standard of von J. Kulen- kampff neu ediert (Der kleine Trost der Philosophie, Göttingen 1990).

8. LG. A Letter from a Gentleman to his Friend in Edinburgh: Containing some Observations on a Specimen of the Principles concerning Religion and Morality, said to be maintain'd in a Book lately Publish'd, intituled (sic), A Treatise of Human Nature, ** Edinburgh 1745. Diese Schrift wurde von E. C. Mossner und J. V. Price neu herausgegeben (Edinburgh 1967). Deutsch von J. Kulenkampff (in der unter Punkt 6 zitierten Ausgabe).

9. TA. A True Account of the Behaviour and Conduct of Archibald Stewart, Esq; Late Lord Provost of Edinburgh. In a Letter to a Friend. London 1748. Neu abgedruckt in: Price 1965, S. 153-72. Ich zitiere nach der englischen Ausgabe.

10. E. An Enquiry concerning Human Understanding. London 1748. Bis zur 5. Auflage (1758) lautete der Titel: Philosophical Essays concerning Human Understanding. Ich zitiere nach der Ausgabe von L. A. Selby- Bigge / P. H. Nidditch (Enquiries concerning Human Understanding an concerning the Principles of Morals. Oxford 1975). Deutsch von R. Rich- ter (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hamburg 1984; Herausgeber: J. Kulenkampff) und von H. Herring (Stuttgart 1967). Ich zitiere nach der Übersetzung von Richter.

11. Three Essays, Moral and Political. London & Edinburgh 1748. Diese drei Essays (Of the Original Contract, Of Passive Obedience, Of Natio-nal Characters) wurden von Hume bereits im Jahr der Erstveröffentlichung in die Essays, Moral, Political and Literary aufgenommen. Deutsch in der unter Punkt 7 angeführten Ausgabe: E/B.

12. Petition of the Grave and Venerable Bellmen, or Sextons, of the Church of Scotland to the Honourable House of Commons. Edinburgh 1751. Neu abgedruckt in Price 1965, S. 173-175.

13. EPM. An Enquiry concerning the Principles of Morals. London 1751. Ich zitiere nach der Aussage von L. A. Selby-Bigge /P. H. Nidditch (in der unter Punkt 10 angeführten Ausgabe der beiden Enquiries). Deutsch von C. Winkler (Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Hamburg 1972) und von G. Streminger (Stuttgart 1984). Ich zitiere nach der neueren Übersetzung.

4. Humes Schriften 211

14. Political Discourses. Edinburgh 1752. Manchen Exemplaren der Erstaus- gabe ist eine von Hume verfasste Liste von Schottizismen bei-gefügt, neu abgedruckt in: WORKS, IV, S. 461-464. Die Political Discourses wur- den später in die Essays, Moral, Political, and Literary aufgenommen. Ein Großteil der Political Discourses wurde von P. Kopf (1987, S. 239- 334) bzw. S. Fischer (siehe die unter Punkt 7 zitierte Ausgabe) ins Deutsche übertragen. Ich zitiere nach der Ausgabe von U. Bermbach.

15. HE. The History of England, From the Invasion of Julius Caesar to the Revolution in 1688. Edinburgh/London 1754-61.

16. The Descent on the Coast of Brittany, in 1746 and the Causes of its Failure. Dieser Erfahrungsbericht wurde 1755/56 geschrieben, neu abgedruckt in: WORKS, IV, S. 443-460.

17. NHR, Four Dissertations (The Natural History of Religion, Of the Passions, Of , Of the Standard of Taste). London 1757. Nur die erste bzw. die vierte Abhandlung wurde in jüngerer Zeit ins Deutsche übertragen, und zwar von L. Kreimendahl (Die Naturgeschichte der Religion, Hamburg 1984) bzw. von J. Kulenkampff (siehe die unter Punkt 7 zitierte Ausgabe).

18. Letters to the Authors of the Critical Review concerning the Epigoniad of Wilkie. Dieser offene Brief an die Autoren des Critical Review (April 1759) ist neu abgedruckt in: WORKS, IV, S. 425-37.

19. CA. Concise and Genuine Account of the Dispute between M. Hume and Mr. Rousseau; with the Letters that passed between them during their Controversy. As also, The letters of the Hon. Mr. Walpole, and Mr. D. Alembert, relative to this extraordinary Affair. Translated from the French. London 1766. Dieser Concise and Genuine Account ist neu abgedruckt in: The Philosophical Works of David Hume, Edinburgh 1826, Band 1, S. xxix-cxxi. Einige Briefe Rousseaus an Hume wurden auch in die Ausgabe der Briefe Humes (LB, S. 382-401) aufgenommen, und einige Briefe Rousseaus, die er während seines Exils in England schrieb, wurden jüngst neu ins Deutsche übertragen: Jean-Jacques Rousseau, Korrespondenzen. Leipzig 1992, S. 296-331. Ich zitiere nach der Originalausgabe von 1766.

20. Vorwort zu: General von Manstein, Memoirs of Russia, Historical, P- litical, and Military, from the Year MDCCXXVII to MDCCXLIV. London 1770.

21. Of the Authenticity of Ossian’s Poems; 1775 geschrieben und 1846 erst- mals veröffentlicht. Neu abgedruckt in: WORKS, IV, S. 415-424.

22. Review of Robert Henry's History of Great Britain (1773). Hrsg. von E. C. Mossner, in: Modem Philology XXXIX (1942), S. 361-382.

23. Two Essays. Hume hatte diese beiden Essays Of Suicide und Of the Immortality of the Soul ursprünglich als Teil der Five Dissertations (gemeinsam mit The Natural History of Religion, the Passions, Of Tragedy) veröffentlicht, sie aber dann zurückgezogen. Sie erschienen postum 1777. Deutsch von F. Paulsen in seiner Ausgabe der Dialoge über natürliche Religion (Leipzig 1905, S. 145-65) und von L. Kreimen- dahl (siehe oben Punkt 17). Ich zitiere nach der neueren Ausgabe.

4. Humes Schriften 212

24. Last Will. Hume schrieb sein Testament im Januar 1776 und machte später noch einige Zusätze. Unvollständig neuabgedr. in: WORKS (siehe oben Punkt 19), 1826, Vol. 1, S. xxvi-xxix. Weitere Zusätze Humes zum Testament neu abgedruckt in: Mossner (1980, S. 591 f., 599 f.).

25. MOL. My own Life. Hume schrieb seine Autobiografie im April 1776. Sie wurde 1777 von Adarn Smith herausgegeben, neu abgedruckt in: LA, S. 1-8. Deutsch von J. Kulenkampff (siehe oben Punkt 10).

26. DNR. Dialogues concerning Natural Religion. Von Hume in mehreren Phasen (1750-52, 1761-62, 1776) geschrieben bzw. überarbeitet und 1779 von seinem Neffen, David Hume d. J., herausgegeben. Die „klassisch“ gewordene Ausgabe stammt von N. Kemp Smith (Indiana- polis 1947). Deutsch von F. Paulsen (Hamburg 1980; Hrsg.: G. Gawlick) und von N. Hoerster (Stuttgart 1981). Ich zitiere nach der neueren Ausgabe.

4. Humes Schriften 213

Hume behandelt das Freiheitsthema konkret in 3 Ausarbeitungen.

A A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to introduce the experimental method of Reasoning into Moral Subjects. Book I Of the Understanding (1739) Book II Of the passions (1739) Book III Of Morals (1740)

Die am häufigsten verwendete und deshalb auch zugrunde gelegte Ausgabe in englischer Sprache stammt von: L. A. Selby-Bigge / P. H. Nidditch (Oxford 1978)

Die am häufigsten verwendete deutsche Ausgabe stammt von: Theodor Lipps: Ein Traktat über die menschliche Natur (Hamburg 1989)

B An Abstract of a Book lately Published; entituled a Treatise of Human Nature, Wherein the Chief Argument of that Book is farther lllustrated and Explained (London 1740)

In der deutschen Ausgabe Jens Kulenkampff: Abriss eines neuen Buchs : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. (Hamburg 1980)

C An Enquiry concerning Human Understanding (London 1748). Bis zur 5. Auflage (1758) lautete der Titel: Philosophical Essays concerning Human Understanding

Die von mir zitierte Ausgabe stammt von: L. A. Selby-Bigge / P. H. Nidditch: Enquiries concerning Human Under- standing and concerning the Principles of Morals (Oxford 1978)

In der deutschen Ausgabe: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand in der Ausgabe des Meiner Verlages (Hamburg 1993)