Reprint Stille Wut Und Zerstörungszorn
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v Für keinen und um jeden Preis Reprint Stille Wut und Zerstörungszorn. In einer Gesellschaft der Außenseiter wäre er der Repräsentant: Vadim Glowna 1990Von Gundolf S. Freyermuth vol. 2013.01 info glowna 1/24 freyermuth.com Daten Vadim Glowna geboren 26. September 1941 in Eutin, gestorben 24. Januar 2012 in Berlin Alle nachstehenden Angaben nach dem 1993 erschienenen Buch Gundolf S. Freyermuth, „Spion unter Sternen. Lauschangriffe auf Hauptdarsteller“, Ch.Links: Berlin. Top-3-Filmrollen Vater Seemann und Pilot bei der Lufthansa, Mutter Hausfrau. Ausbildung Hamburgisches Schauspielstudio Top-3-Filmrollen Schwarz in Zbynek Brynchychs “Die Nacht von Lissabon” nach Erich Maria Remarques gleichnamigem Roman (TV, 1971) • Regisseur in Reinhard Hauffs “Der Hauptdarsteller” (TV, 1977) • Paul in Hans W. Geissendörfers “Ediths Tagebuch” nach dem gleichnamigen Roman von Patricia Highsmith Top-3-Nebenrollen Gefreiter Kern in Sam Peckinpahs “Cross of Iron” (“Steiner - das eiserne Kreuz”, 1976) • Dr. Jaeckli in Terence Youngs “Bloodline” (1979) • Sebastian in Claude Chabrols “Quiet Days in Clichy” (1989) Top-3-Regiearbeiten “Desperado City” (1981) • “Dies rigorose Leben” (1982) • “Des Teufels Paradies” (1987) vol. 2013.01 info glowna 2/24 ` freyermuth.com Ehrungen Interview Daten: 1975 - Erste Preis für Regie beim 16. Thessaloniki Film Festival (für “Eurydice BA 2037”) 14. und 15. Juli 1990 in Berlin; veröffentlicht 30. August 1990 • 1981 - Camera d’Or beim Festival International du Film Cannes (für “Desperado City”) • 1981 - Gilde Filmpreis für besten deutschen Spielfilm (“Desperado City”) • 1983: Lobende Erwähnung für die Suche nach neuen filmischen Formen bei den Internationalen Filmfest- spielen in Berlin (für “Dies rigorose Leben”) Ausgeübte Berufe Seemann, Hotelboy, Schlagzeuger, Taxifahrer, Schauspieler, Drehbuchautor, Buchautor, Theater- und Filmregisseur, Filmproduzent Kritische Stimmen “Das Gesicht stoppelumrahmt, ein bißchen bullig, knirschiges Leder am Leib und einen Blick, in dem sich Härte und Sanftmut merkwürdig mischen.” (Mathes Rehder, Hamburger Abendblatt) • “Bösewicht vom Dienst, Selbstmordkandidat und harter Bursche” (Thomas Veszilitis, Münchner Abendzeitung) • “Glowna ist ein Kinofundamentalist. Er will alles oder nichts, auf jeden Fall aber großes Kino.” (Claudius Seidl, Süddeutsche Zeitung) • “Glownas eigene Ansprüche an das Kino sind total und kompromißlos im besten Sinne. Daran wird er selbst als Filmemacher gemessen, und darum setzt er sich als Filmemacher auch der Gefahr des Scheiterns aus.” (Alfred Holighaus, tip) Photo: www.wikipedia.de vol. 2013.01 info glowna 3/24 ` freyermuth.com 1 Fische in der Nacht, deren neonhelle Aquarien aneinander vorbeigleiten - denken die: Wie viel besser ist das Wasser der anderen? Die Frage ist nach Vadim Glownas Geschmack. Ihn faszinieren seltsame Geschichten. Gerade erzählt er von einem Stuntman, einem Experten für Unfälle, dessen größter Wunsch ein Zusammenstoß mit Liz Taylor ist. Ein perfekter Aufprall, bei dem beide in genau dem Augenblick sterben, da ihr Blut sich mischt. Die großen Schaufenster der Paris Bar geben den Blick frei auf die nächtliche Kantstraße. Ein endloser Verkehrsstrom rollt in Richtung Bahnhof Zoo. Das Berliner Lokal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Vadim Glowna spricht mit leiser, eindringlicher Stimme und begleitet seine Worte mit sparsamen Bewegungen. „Ein Geschäftsmann auf dem Heimweg“, beginnt er die nächste Geschichte: „Sein Wagen, ein Jaguar, kommt von der Straße ab, stürzt auf den Rasenstreifen zwischen einem Autobahnkreuz. Der Mann ist verletzt. Niemand bemerkt den Unfall. Die Nacht bricht herein, der Morgen graut. Tage vergehen. Der Mann befreit sich aus dem Wrack. Das Stück Rasen ist an allen Seiten von hohen Böschungen gefangen. Verzweifelt info glowa 4/24 ` freyermuth.com winkt der Verunglückte nach oben, wo Tausende von Fahrzeugen vorbeirauschen. Alle Hilferufe verhallen ungehört, allmählich versiegen seine Kräfte. Nur die Fahrgäste eines Busses winken freundlich zurück.“ Vadim Glownas Augen schauen durchdringend auf einen Punkt in meinem Rücken. Direkt vor dem Eingang zur Paris Bar hält ein Doppeldecker. Für lange Sekunden beargwöhnen sich fremde Lebewesen durch die zweifache Glasschicht: Müde schweigende Blicke hinter den Scheiben des hellerleuchteten Nachtbusses und müde schwatzende Gesichter hinter den Schaufenstern der Paris Bar. Zwei Fischschwärme, gefangen in gleich hellen und doch so verschiedenen Aquarien. Niemand winkt. Alle zehn Minuten fahren neue Busse an und ab. Ihr Rhythmus schlägt den Takt zu Vadim Glownas Erzählungen, die den heimlichen Dschungel in der Großstadt beschwören, den jeder Normalität drohenden Bürgerkrieg, die Wildnis in den Nischen der Zivilisation. „Ich verstehe mich nicht als Schauspieler oder Regisseur“, sagt Glowna. „Ich bin Erzähler. Ob ich Regie führe oder ein Drehbuch schreibe oder ob ich eine Rolle spiele, jeder Film, an dem ich irgendwie Anteil habe, ist für mich ein Kapitel der großen Geschichte, meiner Geschichte.“ info glowa 5/24 ` freyermuth.com Von welchen Erfahrungen sie erzählt? Glowna lacht still und unmerklich, dass man es übersehen könnte. „Manches ist natürlich autobiographisch, manches habe ich bei anderen beobachtet oder angelesen. Es sind Rollen, von denen ich denke, dass sie zu mir passen.” Die Geschichte vom Opfer am Autobahndreieck zum Beispiel stammt aus einem Roman, den Glowna vor Jahren David Puttnam, dem damaligen Chef von Columbia Pictures, zur Verfilmung vorgeschlagen hat, als sie zusammen mit Robert De Niro in Moskau eine Nacht lang um die Häuser zogen. Doch dann wurde Puttnam mit fünfzig Millionen Dollar Abfindung gefeuert, und das Projekt war erledigt. info glowa 6/24 ` freyermuth.com Worin der große Reiz des Geschichtenerzählens bestehe? Glowna sieht mich entgeistert an: Die Frage könne keiner ernsthaft stellen, der seinen Lebensunterhalt mit Schreiben verdient. „Wenn wir gut sind, machen wir unsere Zuhörer atemlos“, sagt er schließlich, „man übt Einfluß aus, man kann verführen, Freude bereiten.“ „Und was bringt das Erzählen dem Erzähler?“ „Es gibt Menschen, die laufen Amok, nur weil ihnen niemand zuhört. Je besser aber einer erzählt, desto bereitwilliger hört man ihm zu. Und ich will, dass man mir zuhört.“ Vadim Glowna strahlt Kraft und Aggressivität aus, einen in Kreativität gewandelten Zerstörungszorn, eine sprachlose Wut, die sich in Geschichten das Wort erkämpft. „Nach der Uraufführung von Desperado City, meinem ersten Film als Regisseur“, sagt er, „hat mir hier, vor der Tür der Paris Bar, ein Rocker mit einer Fahrradkette aufgelauert. ‚Das ist mein Leben!’ hat er geschrien. ‚Du hast kein Recht, daraus einen Film zu machen!’“ Und am frühen Morgen, als die Premierenfeier beendet war, flogen Steine durch die Scheibe. info glowa 7/24 ` freyermuth.com „Ich bin raus, da stand eine Frau, die im Kino gewesen war und nun ihren Zorn abließ.“ Glowna schaut fragend: „Zwei Leute hat der Film immerhin so aufgemischt, dass sie handeln mussten. Ist das nichts?“ Ein junger Mann in kurzen Hosen tritt durch die Tür. Die Blicke richten sich auf ihn. Sein Sportdress, der draußen in der Sommernacht durchschnittlich war, verrät hier im Szeneschick: Du gehörst nicht dazu. Der Mann bleibt stehen, zwischen Scham und Ärger schwankend, schließlich errötet er und dreht sich auf dem Absatz um. Vadim Glowna sieht ihm gedankenverloren nach. „Irgendwann will man keine Versöhnung mehr“, sagt er. „Dann zählt nur noch das laute wilde Leben, mit Wut und Gewalt und um jeden Preis. Und gute Geschichten geben einem den Mut, die eigenen Träume zu leben.“ info glowa 8/24 ` freyermuth.com 2 Mitternacht ist vorbei, und die Paris Bar beginnt sich zu leeren. „Ab in die Letzte Instanz!“ schlägt Glowna vor. Wie im Zeitraffer gleiten wir im Taxi aus der hellen lauten City in das weite leere Ostberlin der ersten Nachwendemonate. „Ich spiele immer gebrochene Charaktere, Rebellen, Außenseiter“, sagt Glowna, und für einen Augenblick lächelt er träumerisch-traurig. Mit jedem Jahr, das seinen Ruhm mehrte, nahm die Filmindustrie ein Stück Abschied von den traditionellen Idolen. In der weltumspannenden Popkultur wurden Freaks und Märtyrer zu Repräsentanten. Gestörte Heroen - von James Dean bis Jack Nicholson und Robert De Niro - siegten über die Normalos. „In autoritären Gesellschaften“, sagt Glowna, „identifiziert sich das Publikum mit Bannerträgern. Wenn das Kino soweit ist, dass es als Helden gebrochene Menschen und Rebellen hat, dann ist das ein gutes Zeichen für Demokratie.“ info glowa 9/24 ` freyermuth.com In einer Gesellschaft der Außenseiter wäre Glowna der Repräsentant. Einsame Opfer und kaputte Täter, Hoffnungslose und um ihre Freiheit Kämpfende hat er in bald einhundert Fernseh- und Kinofilmen gespielt. Seit einem Vierteljahrhundert seine Spezialität: tragende Rollen in anspruchsvollen Literaturverfilmungen wie Peter Zadeks Frühlingserwachen nach Frank Wedekind (1966), Zbynek Brynychs Die Nacht von Lissabon nach Erich Maria Remarque (1971), Aleksandr Petrovics Gruppenbild mit Dame nach Heinrich Böll (1976), Egon Günthers Exil nach Lion Feuchtwanger (1981), Hans W. Geissendörfers Ediths Tagebuch nach Patricia Highsmith (1983), Krzystof Zanussis Blaubart nach Max Frisch (1984), Peter Beauvais’ Fliehendes Pferd nach Martin Walser (1985), Carlo Rolas Das zweite Leben (1990) nach George Simenons Roman Die Hand. „Als Schauspieler bist du ein fotografierbarer Körper, eine Ikone“, sagt er. „Deine Bekanntheit kannst du benutzen, damit die Leute dir weiter zusehen, wenn du etwas tust, das abweicht, ungewöhnlich ist.