SONDERDRUCK Zeit und Heimat 15.Dezember 1983· Nr. 3 Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur Seit 1924Beilage der "Schwäbischen Zeitung" 26. Jahrgang von Stadt und Kreis Ausgabe Biberach an der Riß

Augsburger Wirtschaftskapitäne, die aus Oberschwaben kamen

Von Dr.MaxFlad beracher wirkten dort Angehörige der Sippen Schönfeld und Gutermann sowie neben dem Gold- , die größte und bedeutendste Stadt schmied Baur der Kupferstecher J. M. Frey. Erin- Schwabens im 18. Jahrhundert, zog aus dem enge- nert sei auch daran, daß wie Liebert einige Jahr- ren und weiteren Umland nicht nur Künstler an, zehnte später Martin Wieland seine Frau ebenfalls welche die Nähe der Kunstakademie und der vie- aus der Stadt am Lech holte. len Verleger suchten, sondern auch wagemutige Unternehmer. Unter diesen waren in relativ hoher Liebert versprach sich in Augsburg, dem Zen- Zahl Schwaben und Franken aus dem Gebiet des trum der europäischen Silberschmiedekunst bes- heutigen Baden-Württemberg. An erster Stelle ist sere Geschäftsbedingungen. Er hatte sich nicht ge- hierbei der aus Künzelsau gebürtige Johann Hein- täuscht. Bald bekam er große Aufträge vom rich Schüle (1720-1811) zu nennen, der sich 1745 in Münchner wie vom Wiener Hof, so lieferte er 1740 Augsburg niederließ. Zuerst als Kaufmann tätig, an Karl VI. kaiserliche Geschenke, die für den Sul- wandte er sich später der Textilveredelung, beson- tan bestimmt waren. Im folgenden Jahr ging ein ders dem Kattundruck, zu. Er war nicht nur ein Tafelservice im Wert von über 36000 Gulden an rastloser Erfinder neuer Drucktechniken, sondern Kurfürst Karl Albrecht nach München. Beim Bay- auch .der erste Großindustrielle Augsburgs, bei rischen Münzamt war Liebert in jener Zeit der dem zeitweise 3500 Menschen, rund ein Zehntel der zweitgrößte Silberlieferant. städtischen Bevölkerung, ihr Brot verdienten. Weithin berühmt war seine palastähnliche Fabrik Ab 1753 wenden sich die Augsburger Silberhan- vor den Toren der Stadt, welche auch Kaiser Jo- delsfirmen, welche die Konkurrenz der neu ge- seph II. besichtigte. gründeten fürstlichen Porzellanmanufakturen zu spüren bekamen, einem neuen Absatzzweig, näm- Weitere Zugezogene waren, die wie Schüle in den lich dem Vertrieb der vor allem im türkischen Adelsstand erhobenen Bankiers Süsskind von Nür- Reich begehrten Maria-Theresia-Taler, zu. Von die- tin gen und Schmid aus Ebingen, ferner der Kattun- sem Zeitpunkt ab waren die Beziehungen von Lie- fabrikant und Bankier Wohnlich aus Pforzheim. bert zum Wien er Kaiserhof noch intensiver. 1763 Auch derTübinger Verleger v. Cotta muß erwähnt wurden Vater und Sohn geadelt und als Herren werden, der, ab 1810 von Augsburg aus, lange Zeit Liebert von Liebenhofen in den Augsburger Patri- "Die Allgemeine Zeitung", das berühmteste Jour- zierstand aufgenommen. nal des 19. Jahrhunderts, herausgab.Zugewander- Benedikt Adam, der 1753 Katharina Barbara Lai- te oberschwäbische Unternehmer waren u. a. Lie- re, aus einem Augsburger Handelshaus stammend, bert, Martini und Kaeß. geehelicht hatte, bemühte sich als junger Patrizier um einen seinem Stand angemessenen Wohnsitz. Er erwarb ein Haus am Weinmarkt, zwischen St. Moritz und St. Ulrich an Augsburgs Prachtstraße Die Familie Liebert - Gold- und gelegen, ließ es abbrechen und erstellte dann den schönsten Rokokobau der Stadt "das Liebertini- Silberwarenhändler und Bankiers sche Palais", das heute nach Lieberts Schwieger- sohn "Schaezlerpalais" genannt wird. Im Herbst Johann Adam Liebert (1697-1766), ein Gold-, Sil- 1765 begonnen, kurz vor J. A. Lieberts Tod, wurde berwaren- und Juwelenhändler, zog wenige Jahre es 1767 vollendet. Der Innenausbau zog sich bis nach der Geburt seines Sohnes Benedikt Adam 1770hin. (1731-1810), einem Zeitgenossen von Martin Wie- land (1733-1813),von Biberach, seiner Heimatstadt, In den 60er Jahren entwickelten sich die Ge- weg nach Augsburg. Eine verständliche Wohnsitz- schäfte von Liebert außerordentlich günstig. Es verlegung, denn Liebert hatte im Jahr 1727 die war eine Zeit allgemeiner Prosperität. Zusammen Augsburgerin Maria Elisabeth Mayr (1702-1777) ge- mit dem württembergischen Kommerzienrat Fink heiratet. Bekanntlich waren die Beziehungen zwi- begründete er 1764 in Heidenheim eine Scheide- schen den zwei Reichsstädten Augsburg und Bi- hütte, welche durch die Errichtung eines kaiserli- berach im 18. Jahrhundert eng. Als gebürtige Bi- chen Münzamtes in Günzburg Bedeutung erlangte.

53 In jenen Jahren war nicht München, sondern not in weiten Teilen von Deutschland, Seuchen Augsburg als Stadt mit mehreren Großbanken, der dezimierten die Bevölkerung.In Augsburg starb wichtigste Geldmarkt im Süden von Deutschland. ein Sechstel der Einwohner. Um die Brotversor- Hier begründeten die Firmen Liebert, Köpf und gung Augsburgs zu verbessern, begaben sich im Carli 1769 die "K. K. privilegierte ausländische Sil- November 1770 die einflußreichen Bankiers v. Lie- berhandlung", die ihren Sitz im Libertinischen Pa- bert und Carli, zusammen mit dem Ratskonsulen- lais hatte. V. Liebert wurde von der Kaiserin Maria ten der Stadt, v. Tröltsch, nach Wien, wo sie sich Theresia zum "Silberhandelsdirektor" ernannt. mit Erfolg bemühten bei der Kaiserin die freie Zu- Den neu ernannten "Direktor" empfing sie 1769 in fuhr von in Italien gekauftem Getreide durch Tirol Mailand. zu erreichen.

Lieberts Ansehen erreichte seinen Höhepunkt, Die konjunkturschwachen Jahre nach 1770/71 als Maria Antoinette auf ihrer Hochzeitsreise nach blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Firma Paris, auf Einladung des Hofbankiers den soeben Liebert. Konkurse erschütterten die Wirtschaft. fertiggestellten Festsaal eröffnete. Hierzu der Augs- Das in Augsburg alt eingesessene Bankhaus Köpf, burger Chronist von Seida: "Die Prinzessin ver- dessen Inhaber 1768noch ein neues Palais errichtet herrlichte den festlichen Ball, den die Stadt ihr zu hatte, machte bankrott. Der Talerabsatz in die Tür- Ehren in dem neu erbauten, mit 365 Wachslichtern kei, von dem Liebert sich so viel erhofft hatte, und 24 Christallüstern, Wand- und Kronleuchtern erfüllte nicht die Erwartungen. glänzend erhellten, und reich und prächtig weiß mit Gold verzierten großen und hohen Saal des Bankiers von Liebert'schen Hauses veranstaltet Die veränderten Verhältnisse zwangen die betei- hatte, durch ihre Gegenwart, ließ sich hier die ligten Bankiers 1776 die K. K. privilegierte Silber- Augsburgische Nationaltracht in dem Anzuge meh- handlung aufzulösen. Ein Jahr später stellte Lie- rerer Frauen und Töchter aus ansehnlichen Bürger- bert den Betrieb der Heidenheimer Scheidehütte familien vorstellen, tanzte sehr graziös drei Menu- ein.Nicht genug des Gesundschrumpfens, nach etts und begab sich nach drei Viertel auf 11 Uhr hohen Geldverlusten war er sogar genötigt, seine höchst vergnügt in die Residenz zurück." Und von Zahlungsunfähigkeit zu erklären. Als einer der Liebert 'vermerkt in seinem Tagebuch: "Wie huld- maßgebenden Männer Augsburgs erlangte er je- reich und gnädig diese an sich selbst sehr schöne, doch ein Moratorium. Seiner Tüchtigkeit gelang es an Haut und Fleisch ungemein zarte 14%jährige das Bankhaus zu retten. Dieses erholte sich wieder, Prinzessin sich gegen mich als Jedermann erwie- nachdem sich der Münzhandel erneut belebt hatte. sen, vermag ich nicht zu beschreiben." Wie weit in den 80er Jahren des Bankiers v. Lie- Die Jahre nach diesem rauschenden Fest standen berts Beziehungen reichten, weist eine Aufstellung unter keinem guten Stern. 1770171 herrschte, be- von 1785 nach. Danach hatte er Guthaben in Vene- dingt durch Mißernten, eine schreckliche Hungers- dig, Triest, Genua, Mailand, Marseille und Frank-

Ben edikt Adam Liebert Foto: Städt. Kunstsammlungen Augsburg, Nr. F I 11623

54 furt, Schulden dagegen in , Amsterdam Sammlungen, vor allem die Deutsche Barockgale- und Wien. rie untergebracht. Wer dieses Haus betritt und die Bilder in den eleganten Räumen bewundert, sollte V. Liebert, dessen eine Tochter 1780 J. H. von den Erbauer nicht vergessen, der zum schönsten Schüle geheiratet hatte, gab 1793 seine Tochter Ma- Stadtpalais Süddeutschlands damals die besten rianne Barbara (1768-1838) dem aus Ansbach stam- Künstler heranzog. Aus München kam Lespilliez menden Bankier J ohann Lorenz Schaezler (1762- als Architekt, die Fresken im hohen Festsaal schuf 1826) einem tatkräftigen, weitsichtigen Kaufmann der Italiener Guglielmi, die Stukkaturen F. X. von vornehmem Charakter. Dieser hatte es mit sei- Feichtmayr d. J., und von Placidus Verhelst stam- Dem eigenwilligen Schwiegervater, in dessen Bank men die Schnitzarbeiten. An der Ausmalung waren er tätig war, nicht leicht. Nach jahrelanger, gemein- auch die Oberschwaben J. Christ und F. J. Maueher samer Arbeit zwang v. Liebert ihn sogar aus der beteiligt. V. Liebert hat sich mit seinem Palais ein Firma auszutreten. Denkmal gesetzt, das glücklicherweise die Bom- bardierung Augsburgs überstanden hat. Obwohl sich das Liebert'sche Bankhaus, nicht zuletzt dank des unermüdlichen Einsatzes von Schaezler erholt hatte, geriet es in den Napoleoni- schen Kriegen von neuem in Schwierigkeiten. 1802 Die Familie Martini verlor es hohe Summen im Münzhandel. Schaezler sprang mit seinen in der Zwischenzeit erworbenen Bleicher und Färber seit 150 Jahren Kapitalien ein und konnte das Schlimmste abwen- den. In seinem Tagebuch hierzu: "Daß ich, ob- 22 Jahre nach dem Tod von B. A. von Liebert ließ schon früher so oft von meinem Schwiegervater sich der Biberacher Karl Clemens Martini (1799- verkannt, ihm mit großer eigener Aufopferung ei- 1862) unweit von Augsburg in Haunstetten nieder. nen so hoch wichtigen Dienst leisten konnte, ist Für die relativ geringe Summe von 7000 Gulden eine der angenehmsten Erinnerungen meines Le- erwarb er 1832 das dortige Bleichgut, das vorher in bens." kurzer Zeit zweimal bankrott gegangen war. Marti- ni war Kaufmann, ausgebildet in Meßkirch und in Nach v. Lieberts Tod erwarb Schaezler 1821, im der Schweiz sowie in einem Leinwandwarenhaus Jahre seiner Erhebung in den Freiherrenstand, des-. in . Weitere Erfahrungen konnte er in sen Palais, das seither seinen Namen trägt. Dr. Augsburg bei Bankier Georg Heinzelmann sam- Wolfgang Freiherr von Schaezler (1880-1967) meln. schenkte zur Erinnerung an seine beiden im Krieg 33jährig übernahm er die Bleicherei. Viel Geld gefallenen Söhne, als letzter des Geschlechts das von seinen Eltern konnte Martini nicht erwarten, Palais der Stadt unter der Bedingung, daß es für denn die Familie des Biberacher Wundarztes und alle Zeit ausschließlich kulturellen Zwecken diene. Geburtshelfers war mit 10Kindern, darunter 9 Söh- Heute sind im Schaezlerpalais die Städtischen nen, zahlreich.

Schaezler-Palais: Rokoko-Festsaal Foto: Städt. Kunstsammlungen Augsburg, Nr. F15309

55 Die Martini waren ein altes Biberacher Ge- schlecht, das sich von dem aus Fraxern, Vorarl- berg, gebürtigen Michael Martini, einem Bierbrau- er herleitet, der ab 1677 als Weißochsenwirt nachzu- weisen ist. Martini und seine Frau gehörten zu den vielen Vorarlbergern, welche nach dem 30jährigen Krieg in dem von Menschen entleerten Oberschwa- ben eine neue Existenz suchten und auch fanden. Die zwei folgenden Generationen betätigten sich in Biberach als Buchbinder. Es zeugt von dem inzwi- schen erworbenen Ansehen, daß Michaels Sohn Mitglied des Großen Rates und sein Enkel Ge- richtsassessor wurde. Das Biberacher Stadtgericht bestand aus 12 Personen, darunter 8 Assessoren, welche meist Handelsleute oder Professionisten waren. Aus der 4. Generation ragt der Chirurg J. X. Alexius Martini (1750-1819) hervor, der Vater von Clemens, dem Gründer der Augsburger Firma. Aus der 2. Ehe des Arztes Martini - die erste Ehe blieb kinderlos - mit Maria Karolina Zink, der Tochter des Spitalhofmeisters ging eine hochbegabte Nach- kommenschaft hervor, die Kuhn in seinem Buch "Bedeutende Biberacher" gewürdigt hat. Es sind dies vor allem die Ärzte Ludwig und Ferdinand Martini, die in Biberach und Saulgau als Oberamts- ärzte einen ausgezeichneten Ruf besaßen, ferner Eberhard Martini, der meist in K. K. Diensten tätig war und sich während einer Choleraepidemie her- vorragend bewährte. In gutem Gedächtnis blieb in Biberach der Pflugschüler Karl Martini, zu dessen 100. Todestag das Braith- und Mall-Museum im Jahre 1969 eine Ausstellung veranstaltete. Viele Clemens Martini. Ein junger Mann, der etwas Jahre wohnte er in Biberach bei seinem Bruder wagte. Josef, einem Seifensieder und Güterhändler, in der Kronengasse.

Es muß hier vermerkt werden, daß sich in der Zeit zwischen 1770 und 1790 der Name Martini veränderte. In den Protokollen ist z. T. der Fami- lienname Martine, später Martini zu finden. Die früher geäußerte Meinung, daß die Martini ur- sprünglich Italiener waren, entbehrt jeder Grund- lage.

Zurück zu Clemens Martini. Die Anfänge in Haunstetten waren handwerklich und sehr be- scheiden. Die Ware wurde auf einer großen Wiese gebleicht, wobei die Arbeiter mit hölzernen Schap- fen die Leinwandgewebe mit Wasser übergossen. Die Konjunktur war jedoch für eine weitere indu- strielle Entwicklung günstig, denn wenige Jahre später wurde in Augsburg die "Mechanische Bau- mwollspinnerei und -weberei" mit 380 mechani- schen Webstühlen in Betrieb genommen, die sich der Martinisehen Bleiche bediente. Ihr Aktienkapi- tal in Höhe von 1120000 Gulden zeigt, welchen bescheidenen Start die Firma Martini mit ewas über 7000 Gulden hatte.

Zu dem Entschluß des Kaufmanns Clemens Mar- tini das Bleichgut Haunstetten zu kaufen, dürfte beigetragen haben, daß sein Bruder Fritz, den er sofort ins Geschäft holte, Färber war. Dieser ver- stand seinen Beruf, den er in langen Wanderjahren quer durch Europa gelernt hatte, excellent. Die zwei Brüder, welche Junggesellen bis zu ihrem Lebensende blieben, ergänzten sich menschlich wie geschäftlich sehr gut. Clemens war eine elegan- Fritz Martini. Er gab nicht viel auf Äußerlichkeiten, te Erscheinung, wie das von Karl Martini gemalte aber vom Bleichen und Färben verstand er eine Porträt zeigt. Ihm fiel die Aufgabe zu das Werk zu Menge. führen und nach außen zu vertreten. Uber Fritz

56 dagegen heißt es in der Firmenchronik: "Er gab te. Damit war der Sprung vom handwerklichen nicht viel auf Außerlichkeiten, trug selten einen zum industriellen Betrieb vollzogen. Martini be- Schlips und seine Weste war stets offen. Seine ein- schäftigte damals 70 Arbeiter. Den hohen Stand, zigen Leidenschaften waren die Jägerei und sein welche die Martinisehen Betriebe in qualitativer Beruf,,die Färberei'." Hinsicht damals schon erreicht hatten, beweist ein Bericht von der Deutschen Industrieausstellung Clemens Martini erreichte bereits 1833, daß er München im Jahre 1854, in dem u. a. vermerkt neben dem Bleichen von Leinwand die Konzession wird, daß die Anstalten von Martini u. Comp. in zur Färberei und Appretur von rohen Leinen- und Augsburg und Haunstetten und die Appreturan- Baumwollstoffen erhielt. Sie wurde von der Regie- stalt in Weissenau in bezug auf Umfang, Manigfal- rung .Jruldvollst" gewährt. Ein Jahr später errang tigkeit und Vorzüglichkeit der Leistung allen vor- er bei der Industrieausstellung eine Silbermedaille. anstehen. Bis 1860 konnte die Firma ihre Geldum- Wie gut die Gebrüder Martini im ersten Jahrzehnt sätze auf das Dreifache steigern. Leider gelang es gewirtschaftet haben, zeigt eine Bilanz, die aus- jedoch nicht, ein harmonisches Verhältnis zwi- weist, daß bis 1845 100000 Gulden in dem Haun- schen den Martini und Kaeß herzustellen. Die stetter Werk investiert wurden. Spannungen zwischen den alters- und artmäßig sehr ungleichen Partnern wurden immer größer. In diesem Jahr nahm Martini seinen Verwandten 1860 trennten sich beide.Martini übernahm den Georg Kaeß aus Schussenried als Teilhaber in sei- Betrieb in Augsburg, Kaeß das etwas größere nen Betrieb auf. Kaufmann Kaeß, der aus einer Haunstetter Werk. wohlhabenden Familie stammte, hatte in Augsburg selbständig die vormals Froehlich'sche Bleiche er- Zwei Jahre später starb Clemens Martini. Er war worben, welche Martini im Folgejahr mit Kaeß als längere Zeit leidend, wußte um sein nahes Ende stillem Teilhaber nutzte. Mit dem Kapital von Kaeß und betrieb auch aus diesem Grund die Lösung war es auch möglich die Tabakmühle Ödenhausen von Kaeß, um das mit viel Mühe Erreichte der östlich von Augsburg zu erstehen. Nun bewarb sich Familie zu erhalten. Vor seinem Tod bestimmte er Clemens Martini "in tiefster Ehrfurcht" bei der Kö- noch ein Kapital von 20000 Gulden zur Gründung niglichen Regierung vom Schwaben und Neuburg. einer Familienstiftung "zur Ehre und zum Ge- um die Erlaubnis eine Fabrik in Augsburg zu be- dächtnis unserer selgen Eltern". Die "Clemens gründen. Martinisehe Familienstiftung" wurde von den Ver- wandten später noch um weitere 20000 Gulden Die Konzession wurde erteilt, der ebenfalls bean- aufgestockt. Sie sollte primär der Ausbildung und tragte Kattundruck aber nicht, nachdem sich das auch der Lebenssicherung von Abkömmlingen der Kaufmannsgremium dagegen ausgesprochen hat- Familie Martini dienen.

Ländlich und idyllisch sah dasBleichgut Haunstetten aus, das Cl. Martini 1832 für 7000Gulden kaufte.

57 Rechtzeitig sorgte auch C.Martini für den Füh- die Familie Kaeß führen die Heiraten zu dem uner- rungswechsel im Betrieb. Zwei Neffen, Viktor und müdlichen oberschwäbischen Landeskundler Wilhelm Martini, waren ausersehen, der Firma in Amtsrichter a. D. Paul Beck und zu dem vor kur- Zukunft vorzustehen. zem verstorbenen Regierungspräsidenten Walser. Direkt mit den Augsburgern verwandt ist Alfons Viktor, 28 Jahre alt, war der Sohn des Biberacher Martini, seinerzeit Amtsphysikus in Ochsenhau- Oberamtsarztes. Seine Mutter entstammte der sen, einer der bekanntesten Chirurgen des Oberlan- Warthauser Brauerei Neher. Er übernahm später in des. Als letzter sei Dr. Ferdinand Martini genannt, der Firma die Rolle, die vor ihm sein Onkel Cle- der hochbegabte Mathematikprofessor am Gymna- mens hatte. Die Zeitgenossen schildern ihn als be- sium in , der oft und oft gesagt haben soll: gabten Techniker und weitblickenden Wirtschaf- "Es gibt nur eine schöne Stadt in Württemberg, ter. Sein Vetter Wilhelm, etwas älter als Viktor, und das ist Biberach." Sohn des Seifensieders und seiner Frau Anna Ma- ria, geb. Schaich aus der Angermühle, blieb durch die Heirat mit einer Biberacherin eng mit seiner Heimatstadt verbunden. Kommerzienrat Georg Kaeß (1823-1903) Die 2.Generation führte die Firma bis 1882, in einer Zeitspanne, die viele gefährliche Risiken in Wie die Martini und Liebert stammten auch die sich barg. Vor allem die elsässische Konkurrenz, Kaeß von Biberach. Martin Kaeß, der Großvater die nach dem Deutsch-Französischen Krieg in das von Georg, heiratete von Biberach kommend die Wirtschaftsleben Deutschlands eingegliedert wur- Witwe Scholter, die Besitzerin der Unteren Mühle de, machte der Firma Martini sehr zu schaffen. 1878 in Schussenried. Seinem Sohn Franz Xaver gelang gab es zum ersten Mal in der Firmengeschichte ein es den Besitz wesentlich zu vergrößern. Er erwarb Defizit von nahezu 180000 Mark und bis 1880 san- 1830 die Obere Mühle und erbaute 1838 ein Säge- ken die Umsätze auf die Hälfte. werk am heutigen Bahnhof. Ein Jahr vorher arran- gierte er sich großzügig mit dem neu gegründeten Doch auch die schlimmen Jahre konnten über- Hüttenwerk über das Wasserrecht an der Schussen, wunden werden. Mit Clemens und Ludwig Martini, da er die Bedeutung dieses Unternehmens für die den Vertretern der 3.Generation traten zu Beginn wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde er- der 80er Jahre zwei hervorragende, als Textilfach- kannte. leute ausgebildete Nachwuchskräfte in den Betrieb ein. Zur großen Freude der Inhaber konnte 1888 Auf der Basis des von seinen Vorfahren Erreich- das Stammwerk Haunstetten zurückerworben wer- ten konnte Benedikt, der dritte in der Generatio- den. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs und erreichte nenfolge im früheren Klosterort, ein kleines Wirt- im Jahr 1913 950,1882 waren es nur 200 gewesen. schaftsimperium aufbauen. Er nannte einen land- wirtschaftlichen Betrieb mit ausgedehntem Grund- Die Firma Martini hat in ihrer nunmehr 150jähri- besitz sein eigen, ferner zwei Kundenmühlen, eine gen Geschichte Höhen und Tiefen erlebt. Am Säge- und Ölmühle, darüber hinaus betrieb er ei- schwersten hat sie der 2. Weltkrieg getroffen. Im nen ausgedehnten Handel nicht nur mit Getreide Februar wurden die Augsburger Fabrikationsstät- und Brettern, sondern auch mit Hopfen und Wein. ten zu 85 Prozent zerstört. Auch auf den Haunstet- Eine Schäferei und Brauerei gehörten ihm eben- ter Betrieb fielen viermal Bomben. Erst 1947 konn- falls. Die Verbindung zum Geschlecht Martini kam te mit dem Wiederaufbau begonnen werden. Heute 1844 zustande, indem er Karoline Martini, die Toch- beschäftigt das Textilveredelungswerk wieder ter des Saulgauer Oberamtsarztes heiratete. rund 1000 Personen. Zu den traditionellen Tätig- keiten kamen weitere hinzu, wie die Fertigung von Aus dieser Schussenrieder Unternehmerfamilie Werkstoffen auf Vliesbasis und die Wollverede- kam Georg Kaeß, der jüngere Bruder von Bene- lung. dikt. Nach einer gründlichen Ausbildung fand er 1843, also schon vor seines Bruders Hochzeit, eine Das Unternehmen wird auch jetzt noch als Fami- Anstellung als "Comis", später als Buchhalter bei lien betrieb vom Wilhelm Martini und Peter Schrott den Martinis in Haunstetten. 1847 erwirbt er eine geleitet. Ersterer ist der Urenkel des Biberacher eigene Bleicherei in Augsburg. Über deren Nut- Güterhändlers und Seifensieders, P. Schrott zung durch C. und F. Martini und die stille Teilha- stammt mütterlicherseits ebenfalls aus der Großfa- berschaft von Kaeß ist bereits berichtet. Ab 1860 milie. Es ist nicht nur erstaunlich und bewunderns- treibt Kaeß mehrere Jahrzehnte die Haunstetter wert, daß sich dieses Familienunternehmen über 6 Bleiche im Alleinbesitz mit beachtlichem Erfolg Generationen hinweg gehalten hat, sondern daß es um. 1866 ist er in der Lage zusammen mit seinem immer wieder den Zeitumständen angepaßt, heute Bruder sowie Augsburger und Württemberger wie vor über 100 Jahren im Wirtschaftsleben der Kaufleuten eine große Ölmühle in Schretzheim bei Stadt Augsburg eine wichtige Rolle spielt. Dillingen von Fugger-Glött zu erwerben. Die- ser Kauf führte 1870 zur Gründung einer Aktienge- Für den genealogisch Interessierten sei noch ver- sellschaft "Flachs-, Hanf- und Wergspinnerei merkt, daß es äußerst reizvoll ist an Hand des Mar- Schretzheim", deren Aktienkapital 150000 Gulden tinischen Stammbaumes den verwandtschaftli- betrug. Wie schon erwähnt veräußerte er 1888 das chen Bezügen dieser Familie zu oberschwäbischen Haunstetter Werk an die Firma Martini und wandte Geschlechtern nachzuspüren. Auf weiblicher Seite sich als typischer Vertreter der "Gründerzeit" mit finden sich Verbindungen zum Biberacher Maler seinem Kapital u. a. dem Lokomotivenbau zu, der Karl Göser, seinem Sohn, dem Ulmer Oberstabs- ihm lukrativer und weniger risikoreich als die Blei- arzt, und zum Enkel, den Pater Andreas Göser, cherei erschien. Auch an anderen Börsengeschäf- einem Angehörigen der Beuroner Malschule. Über ten betätigte er sich außerordentlich erfolgreich.

58 Es ist für die damalige Zeit bezeichnend, daß G. Kaeß, wie einst die Augsburger Patrizier, danach strebte Schloß- und Gutsbesitzer zu werden. Dieser Wunsch ging ihm mit dem Kauf des Rittergutes Euratsberg und des Schlosses Wiedenkam östlich des Starnberger Sees in Erfüllung. Diese Besitzun- gen waren mit riesigen Ländereien ausgestattet. Trotzdem blieb Kaeß mit Haunstetten eng verbun- den. Er wurde zum großen Wohltäter der Gemein- de. Stiftungen von ihm sind das Rathaus und die Schule sowie das Krankenhaus und der Kinder- garten.

Als Kaeß starb wurde sein Vermögen auf etwa 8 Millionen Goldmark geschätzt. Hiervon erhielt auch seine Heimatgemeinde einen Teil in Form des "Kommerzienrat Georg Kaeß und Karoline Kaeß- 'sehen Stiftungskapital" in Höhe von 500000 Mark. Dadurch wurde Schussenried in die Lage versetzt, ein neues, damals viel bewundertes Schulgebäude zu erstellen. Heute noch erinnert die Büste des Kommerzienrats im Rathaus an den Stifter.

Seine letzte Ruhestätte fand Georg Kaeß in ei- nem Mausoleum auf dem Haunstetter Friedhof.

Literatur und Quellennachweis Erler, B., Das Heimatbuch von Schussenried, 1950. Pöhl, K. 0., Ein Band durch fünf Generationen, Martini - gestern und heute, 1957. . Zorn, W., Handels- und Industriegeschichte Bayrisch-Schwabens 1648-1870,1961. Auskünfte und Unterlagen von Oberkreisarchivrat Dr.Dierner, Bi- berach, ebenso von der Firma Martini, Augsburg, u. Rektor a. D. Karl Kaufmann, Bad Schussertried. Hierfür wird herzlich gedankt. Kommerzienrat Georg Kaeß

Die Biberacher Patriziatsordnung von 1593

Die einzige und älteste, erhaltene Ordnung des new angestelte ordnung, deren sie sich einhellig- Biberacher Patriziats stammt aus dem Jahre 1593. c1ich mit ain andern verglichen. Die volgt under- Das Original liegt im Hauptstaatsarchiv Stutt- schidlich hernach. Also: gart. Die Wiedergabe macht für die Leser von heute die wichtige verfassungsrechtliche Bedeu- Obwoln unsere liebe vore-öltern christselliger ge- tung des Patriziats, der Führungsschicht in der dächtnus, die geschlechter, burger und stubenge- ehemaligen Freien Reichsstadt bewußt. Bleibt nossen diser lobliehen gesellschaft, bis hero keine noch anzumerken, daß die Patriziatsordnung von geschribne statuta und ordnungen, wie es auf den 1593 für das konfessionell noch nicht getrennte ainen oder anderen zutragende vähl, was zu erhal- Patriziat gilt. tung und aufnemung derselben dienstlich, volzo- gen und gehalten werden sollen, hinder inen uns 1593 verlassen, auch bis hero darbey also verbliben und In nomine Domini nichts schriftlichs ufgericht worden ist. Ainer erbarn gesellschaft der geschlechter oder Nachdem aber nit allein bey unsern benachpar- butgers und stubengenossen diser statt Biberach ten reichsstätten dergleichen geschlächter und lob-

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