Mensch, Meier

Er liebt, was nutzlos ist. Damit wurde er zum Dada-Künstler und millionenschweren Popstar. Heute ist er zudem Bio-Unternehmer, Gastronom und Investor.

Besuch bei dem Dandy-Anarchisten Dieter Meier.

Text: Peter Laudenbach Foto: Peter Tillessen

142 BRAND EINS 01/12 • Spätestens seit dem 25. Februar 1971 muss Dieter Meier als eine Anzeige für eine andere Kunstaktion zu schalten: Er wollte Fachmann für die Kunst des Ja- und Neinsagens gelten. An die- ein tiefes Loch in den Rasen des Central Parks graben. sem Tag steht der damals völlig unbekannte Schweizer in seinem Meier, damals 26 Jahre jung, Sohn eines Zürcher Privatban- Trenchcoat in New York, Ecke 57th Street und Eight Avenue, und kiers und bis dahin verkrachter Lebenskünstler, verbummelter kauft Passanten wahlweise das Wort „yes“ oder „no“ für jeweils Jura-Student, ehemaliger Profi-Pokerspieler und kurzzeitiges Mit- einen Dollar ab. Jeder, der sich auf das sinnlose Geschäft einlässt, glied der Schweizer Golf-Nationalmannschaft, war plötzlich auf bestätigt das dem Künstler mit Foto und Unterschrift. Meier sei- bestem Wege, ein anerkannter Künstler zu werden. Aber statt die nerseits verpflichtet sich, das Wort nicht zu missbrauchen. Einige Chance zu nutzen und nun mit Ehrgeiz bei Sammlern, Galeristen Passanten wollen handeln: „Für einen Dollar bekommst du von und Museumsdirektoren zu antichambrieren, sagte er Nein. Ge- mir höchstens ein ,may be‘.“ nau genommen sagte er nicht einmal Nein. Er ließ die Chance einer Künstler-Karriere einfach an sich abperlen. „You are famous, asshole“ Zum Beispiel 1972, ein Jahr nach seiner Aktion in New York. Die Kasseler Documenta, die berühmteste Avantgarde-Kunst- Ein paar Tage später wundert sich Meier, als er seine Gin Tonics ausstellung der Welt, lud ihn ein, seine Werke zu zeigen. Was im „Max’s Kansas City“, damals die New Yorker Lieblingsbar von hätten andere dafür gegeben! Meier ließ sich mit der Reise nach Andy Warhol und Lou Reed, bezahlen möchte. Der Barkeeper will Kassel 22 Jahre Zeit. Sein Documenta-Beitrag war eine Boden- sein Geld nicht. Er raunzt nur: „It’s on the house, you are famous, platte vor dem Kasseler Hauptbahnhof. Die Inschrift lautet: „Am asshole“, und zeigt ihm die »New York Times«. Auf einer ganzen 23. März 1994 von 15.00 – 16.00 Uhr wird Dieter Meier auf Seite hat Grace Glueck, die Kunstkritikerin der Zeitung, über dieser Platte stehen.“ Das hat er dann auch gemacht. seine Yes-no-Aktion berichtet. Aufmerksam war sie auf den selt- Lässiger kann man die Aufgeregtheit des Kunstbetriebs nicht samen Schweizer geworden, weil der vergeblich versucht hatte, unterlaufen. Nach der ignorierten Documenta war dann auch 3

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erst mal knapp vier Jahrzehnte Pause mit der Karriere als bilden- nebenbei schreibt das Multitalent „seit 20 Jahren“ an einem Thea- der Künstler. Kein Grund zur Bitterkeit, im Gegenteil: „Der Kunst- terstück, macht mit Knetmännchen lustige Fotos, designt edle markt ist eine wunderbare Blase. Die Prozesse der Selig- und Seidentücher, veröffentlichte vor Kurzem ein Kinderbuch und Heiligsprechung sind im Kunstbereich noch irrationaler als im hatte im Herbst in den Hamburger Deichtorhallen eine große Vatikan. Ich war unfähig, an diesem Auswahl- und Verwertungs- Einzelausstellung mit seinen Musikvideos, Zeichnungen und Fo- prozess teilzunehmen“, sagt Meier heute. „Bis zu meiner überra- tos seiner Kunstaktionen. Schon beim Zuhören kann einem bei schenden Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen hatte ich den überschießenden Aktivitäten schwindelig werden. Mit den mich darauf eingerichtet, meine Fotos, Installationen und Videos Worten des Unternehmers und Kunstsammlers Harald Falcken- in einer Lagerhalle in Argentinien aufzubewahren, damit sie nicht berg, der Meier die Hamburger Ausstellung ausrichtete: „Dem verloren gehen und meine Enkel und Urenkel vielleicht ihren Spaß Berichterstatter bleibt die Spucke weg.“ daran haben, was das Dieterchen sich alles so ausgedacht hat.“ Das Erstaunlichste daran ist, dass das aus Meiers Mund alles klingt wie die Fortsetzungen der fröhlich sinnfreien Dada-Aktio- „Die Dinge sind meistens auf mich nen seiner Jugend. Die übliche Manager-Attitüde des energischen zugekommen“ Handelns bei vollem Durchblick und kühler Strategie, dreht er um: „Die Dinge sind meistens auf mich zugekommen, und ich war 40 Jahre nach seiner New Yorker Yes-no-Aktion sitzt Dieter Meier eigentlich immer überrascht, dass ich sie dann doch zielgerichtet in roter Hose und elegantem Hemd in seinem weitläufigen Zür- zu Ende führte. Eher sehe ich mich, wenn es überhaupt irgend- cher Atelier in See-Nähe. In der Zwischenzeit ist viel passiert. In eine Interpretation gibt, als eine Art Wurzelflechtwerk, wie es den Achtzigern wurden Meier und sein musikalischer Partner Pilze haben. Wenn die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit stim- mit dem Elektro-Pop-Duo zu Popstars, die „so men und die Symbiose zu einem nahen Baum, schießen die Pilze um die zwölf Millionen“ CDs und Platten verkauften, vielleicht aus dem Boden. Ich staune eigentlich über alles, was ich gemacht sind es auch mehr, so genau weiß das Meier im Augenblick nicht. habe. Ich habe das Gefühl, dass das gar nicht wirklich ich war, Weil er sein Geld auf Rat seines Vaters, des Bankiers, klug ange- sondern es ist mir sozusagen passiert.“ legt hat, haben sich allein seine Beteiligungen an der Banknoten- Eine mit Ehrgeiz vorangetriebene Popstar-Karriere? „Nein, nein, Druckerei Orell Füssli und einer Eisenbahngesellschaft, die Tou- um Gottes willen.“ Der Erfolg von Yello, immerhin eine der inno- risten aufs Matterhorn bringt, nach Schätzungen der »Frankfurter vativsten Elektropop-Bands der achtziger Jahre, deren frühe Vide- Allgemeinen Zeitung« in den vergangenen 20 Jahren im Wert os (Regie: Meier) heute im Museum of Modern Art in New York „mindestens verzehnfacht“, auf wie Kunstschätze gehütet wer- gut 50 Millionen Franken. Meier den – das war, wenn man ihm nonchalant: „Derzeit ist es etwas glaubt, eine Mischung aus Spiel, weniger.“ Zufall und glücklicher Fügung: Seit anderthalb Jahrzehnten „Wir wollten nicht Avantgarde produziert „Meier-mach-schon“ sein, wir konnten ganz einfach (Selbsteinschätzung) in großem keine Instrumente spielen und Stil Bio-Rindfleisch und Bio- wollten trotzdem Musik ma- Wein in Argentinien. Mit einer chen, so waren wir gezwungen, Jahresproduktion von 500 000 in einer Frühform von Sampling Flaschen spielt er dabei längst unsere Klänge zu erfinden.“ Also nicht mehr in einer kleinen bastelte Boris Blank mit Ton- Liebhaber-Nische. Das Problem band-Loops, Geräuschen und ist nicht, guten Wein herzustel- den ersten Synthesizern seine len, das Problem ist, ihn zu ver- Dieter Meier und Boris Blank (Yello): „Wir wollten nicht Avantgarde sein“ elektronischen Klangskulpturen. markten, weiß der Winzer. Also Auch Meiers Stakkato-Gesang betreibt er in Zürich zwei Res - folgte keinem raffinierten Kon- taurants, in denen er seine Produkte anbietet. Demnächst kommt zept: „Ich konnte nicht singen, also musste ich in den Anfängen eine Bar dazu. Dass er in der Schweiz etwa so bekannt ist wie von Yello eine Art Rap erfinden, bei dem nicht die Melodie, son- John Lennon in Liverpool, kann dabei nicht schaden. dern der mit Stimme erzeugte Rhythmus im Vordergrund war.“ Und weil wir in der Schweiz sind und Klischees im Zweifel Genauso scheinbar ambitionslos stolperte er in die Kunst. doch stimmen, hält Meier auch eine Beteiligung an einem Her- Nach dem steilen Start hatte er über Jahrzehnte keine bedeuten- steller mechanischer Uhren. Yello gibt es natürlich auch noch, de Ausstellung, nur ab und zu eine kleine Schau in der Zürcher

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Galerie eines Freundes, praktisch unter Ausschluss der Öffent- Gerade hat er wieder ein Stück Steppe in Patagonien gekauft, lichkeit. Meier: „Ich war einfach nicht geeignet für den Kunst - durch das der Rio Negro fließt. Jetzt arbeitet er mit Spezialisten betrieb. Meine frühen sogenannten Konzeptarbeiten waren eine daran, die 12 000 Hektar zu bewässern. Dort will Meier vor al- Annäherung an die ,Unbedeutung‘ und das Nichts. Ich wollte lem Nüsse, Trauben und Äpfel anpflanzen. Klar, er will dabei kein Geld verlieren, aber das sei nicht der entscheidende Antrieb: „Mich interessiert, etwas aufzubauen, was nachhaltig ist. Ich werde dort Elektrizität herstellen und Schulen bauen. Der Trei- ber ist das Interesse, ein Ausprobieren und eine kindliche Ent- deckerfreude.“ Meier ist nicht uneitel. Aber mit seinen unternehmerischen Erfolgen zu protzen wäre ihm entschieden zu vulgär. Auch als Unternehmer bleibt er ein Dandy, dem guter Stil wichtiger ist als Geld. Also erzählt er nebenbei, dass die Investments am profita- belsten sind, bei denen er sich operativ kaum engagiert: Orell Füssli, die Matterhorn-Bahn und Ulysse Nardin, der Hersteller edler mechanischer Uhren. Als Meier mit Partnern in den Acht- zigern einstieg, stand die Firma kurz vor der Insolvenz, der Umsatz lag bei 800 000 Franken im Jahr. Heute sind es mehr als 200 Millionen Franken. „Das ist nicht meine Leistung, das ist die Leistung des leider verstorbenen Hauptaktionärs und Managers Rolf Schnyder“, sagt Meier. „Ich habe ihm vertraut und einem genialen Konstrukteur mechanischer Uhren, Ludwig Oechslin, den Schnyder entdeckt und ins Unternehmen geholt hat. Der hat in der Oper Karten New York, 1971: Wer verkauft ein Ja, wer ein Nein? abgerissen und nachts bei einem Uhrmacher gearbeitet und geforscht, er ist besessen von der Schönheit der mechanischen Zeitmessung.“ Und dann spricht Meier lieber von den Freuden mich einem Dasein, das Mittel zum Zweck eines Verwertungs- so einer Obsession, als von den Unternehmenskennzahlen. prozesses ist, entziehen und deshalb auch im Kunstmarkt nicht wirklich stattfinden. Da ich finanziell unabhängig war, musste ich „Was machst du, wenn du nichts am Kunstrennen nicht teilnehmen und meine Arbeit auch nicht machen musst?“ der demütigenden Bewertung ausliefern.“ Die Hamburger Ausstellung, die im Frühjahr ans renommierte Obsessionen sind wichtig. Obsessionen sind eine Möglichkeit, ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, Dinge aus einem einzigen Grund zu tun: Weil man sie unbedingt geht? Nichts als eine glückliche Fügung. Der Großsammler Fal- tun will, nicht wegen finanzieller Notwendigkeiten oder gesell- ckenberg hatte zufällig eine kleine Berliner Ausstellung von ihm schaftlicher Verpflichtungen. Das genau war das Problem des jun- gesehen und war begeistert, das reichte. Mit 66 Jahren wird der gen Dieter Meier, dem vielseitig begabten, aber an einer bürger- Konzeptkünstler Dieter Meier von der Kunstwelt neu entdeckt. lichen Karriere eher desinteressierten Sohn aus wohlhabendem Selbst bei seinem mit Ehrgeiz betriebenen Unternehmertum Hause: „Was machst du, wenn du nichts machen musst?“ gibt Meier nicht den Macher, der alles im Griff hat: „Was mich Und dann wird Meier in seinem Zürcher Atelier sehr prinzi- immer interessiert hat, war, Leute zu treffen, die auf einem be- piell und persönlich: „Wenn man weiß, dass man keinen ökono- stimmten Gebiet eine große Kompetenz haben, um mit ihnen aus mischen Zwängen ausgeliefert ist, um zu überleben, legt man sich einem Dialog heraus gemeinsam etwas zu entwickeln, was ich die Latte des Tuns, gerade als Künstler, blödsinnig hoch. Ich fand alleine nie könnte. Ich habe in Argentinien nicht Land und Rin- damals alles, was ich machte, ungenügend, was durchaus kindisch der gekauft und dann ein paar Leute angestellt. Sondern ich habe ist. Aus der Not, nichts mit mir anfangen zu können, habe ich zwei Jahre lang Partner gesucht, die in voller Verantwortung die Dinge in die Welt gesetzt, die sich mit dieser Not auseinanderset- gemeinsamen Pläne durchführen, sodass ich dort allenfalls noch zen. Meine Sachen als sogenannter Künstler und später auch die ein beratender Gast bin. Ich hätte auch nie im Leben ein Restau- Unternehmungen sind alle Ausdruck dessen, dass ich mir immer rant aufgemacht, wenn ich nicht einen jungen Profi bei der Arbeit überlegen musste, was ich überhaupt machen will. Ich hätte ja

Fotos: © vanit.de / T. Bozi (S. 144); © Archiv Datasound AG (S. 145) (S.Archiv Datasound AG © 144); Bozi (S. T. / vanit.de © Fotos: gesehen hätte, der für mich der perfekte Gastronom ist.“ auch einfach nichts machen können.“ 3

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Auf den Jugendfotos sieht er, mit langen Haaren, aber stets An dieser Haltung, erst einmal jedem Ordnungssystem und in maßgeschneidertem Tuch, ein bisschen aus wie eine 68er- besonders dem des Kunstbetriebs zu misstrauen, hat sich bis Ausgabe von Marcel Proust: ein Dandy, dem alle Genüsse schal heute nichts geändert: „Ich bin Anarchist. Das heißt nicht, dass geworden sind. Nicht mal die Bankiers-Eltern dienten als brauch- ich Bomben lege, sondern dass ich versuche, die Denksysteme bares Feindbild, an dem sich der junge Dieter Meier mit seinen und mich selbst in diesen Systemen infrage zu stellen und die Anarcho-Launen abarbeiten konnte: „Wir haben uns sehr geliebt, Systeme aufzulösen. Die Aufforderung des Wanderpredigers aus meine Eltern und ich. Ich hatte die Sicherheit, nicht unterzuge- Nazareth ,Werdet wie die Kinder‘ ist im Grunde ein Aufruf zur hen. Ich war jahrelang in der unnatürlichen und auch unglück - Anarchie. Das wunderbare Potenzial, das jeder Mensch in sich lichen Situation, zu wissen, dass ich mein Leben lang auch nichts hat, wird in unserer pervertierten Welt darauf abgerichtet, einem machen könnte. Ich hätte ja 20 Jahre lang vorgeben können, an System zu dienen, dass Marx als zweite Natur bezeichnet hat, einem Roman zu schreiben, um der Welt irgendeine Aktivität vor- der wir ausgeliefert sind wie die Neandertaler der ersten. Der zuspielen. Wenn der Zwang fehlt, etwas abzuschließen – der eben Mensch soll sich nicht finden und erfinden, das führte zur Anar- auch sehr befreiend sein kann – wird alles viel schwieriger. Der chie, weil dann der Homo sapiens sein Leben nicht mehr als Druck einer Familie mit viel Geld ist größer als bei einer Familie Mittel zum Zweck missbrauchen ließe, sondern es als Selbst- ohne Geld. Aus reichem Milieu gibt es viele konforme Langwei- zweck verstehen würde. Religion, Macht, Besitz, Status – all das ler, Gescheiterte und unwürdig Überhebliche, die an der Kohle sind Ablenkungen von dem für die meisten Leute grauenhaften ersticken oder verblöden.“ Gedanken, dass sie wunderbar sinnlos sind, weil das Leben letzt- So gesehen wirken Meiers Dada-Aktionen der frühen Jahre lich kein verwertbares Gut ist.“ sehr persönlich: eine nur an der Oberfläche lustige Auseinander- Das klingt verführerisch schön und einleuchtend. Als Lebens - setzung mit der eigenen Situation. Seinen damaligen Zustand entwurf ist es gefährlich. Wer sich darauf einlässt, hat gute Chan- nennt Meier heute eine Zwangsneurose: Bloß nichts machen, was cen, sich alles zu verbauen und zur skurrilen Figur zu werden. Für nützlich ist! Und gut genug ist ohnehin nichts. Meier war genau dieser Dandy-Anarchismus der einzige Weg, Es muss eine anstrengende Zeit gewesen sein. „Ein normaler nicht zum gescheiterten Sohn aus reichem Hause zu werden, der Künstler, sei er Schriftsteller, Maler oder Musiker, muss abliefern, mit sich nichts anzufangen weiß. Indem er erst mal gegen alles er muss eine Ausstellung machen oder ein Buch rausbringen, um war, gegen das Jurastudium und die Optionen einer bürgerlichen seine Miete zu bezahlen“, sagt Meier. „Dieser Zwang sorgt auch Karriere, gegen die Gebräuche der Kunstszene, die Dogmen der für ein Ende des Zweifels, irgendwann muss das Bild oder das linken 68er und die bequemen Ausflüchte aus dem eigenen Iden- Buch fertig sein. Bei mir war dieser Zweifel sehr groß. Meistens titäts-Durcheinander, konnte er sich selbst erfinden. Kein Wun- kam es gar nicht dazu, dass ich überhaupt mit etwas anfing: Aus der, dass das liebste Motiv des Konzeptkünstlers Dieter Meier großer Distanz sehe ich einen schönen Berg und denke, wie wun- Dieter Meier ist: Kunst als Spiel mit der eigenen Identität. Ver- derbar es wäre, ihn zu erklettern und auf dem Gipfel zu stehen. mutlich ist er selbst sein schönstes Kunstwerk. Sein Sieg ist nicht Je näher ich dem Berg komme, wird er zu einer schnöden Geröll - der Erfolg, sein Sieg ist das gelungene Leben. halde und dann zu einer Steilwand, in der man keine Griffe fin- Nur indem er jahrelang Nein sagte, konnte er irgendwann Ja det. Man steht davor und hat tausend Gründe, sich das Klettern sagen. Zum erfolgreichen Bio-Unternehmer und Popstar wurde abzuschminken, weil man den Berg und die schwachsinnige Idee er erst, als ihn die frühen Dada-Aktionen von dem Gefühl befreit der idealen Besteigung aus der Nähe gar nicht mehr sieht.“ hatten, in einem sinnlosen, überflüssigen Leben eingesperrt zu Man könnte sagen, dass Meier in diesen Jahren sein Leben in sein. Das genau kann man, auch ohne beruhigende Millionen im ein einziges großes Nein verwandelt hat. Sein einziger Ehrgeiz war Hintergrund, von Meier lernen: Wer zum eigenen Leben Ja sagen es, keinen Ehrgeiz zu entwickeln – oder einen Ehrgeiz, der so groß will, kommt nicht drum herum, öfter mal Nein zu sagen. ist, dass er alles lähmt. Deshalb mussten seine Kunstaktionen auch so komplett sinnlos sein, etwa wenn er sich 1969 in Zürich auf „You gotta say Yes to another Excess“ den Heimplatz stellte und eine Woche lang kleine Metallteile in Tüten verpackte, acht Stunden am Tag, insgesamt 100 000 Metall- Die lustigste Art, Ja zu sagen, zelebrierten Meier und Boris Blank, stücke – eine sinnlose und etwas traurige Imitation industrieller ein früherer Fernfahrer und manischer Klang-Forscher, der seine Arbeit. Seine erste Beteiligung an einer Museumsausstellung nutz- Tage am liebsten im Tonstudio verbringt, ab 1978 mit Yello. Ja te er zielsicher, um sich in der Kunstszene unbeliebt zu machen. zum bunten Elektro-Pop-Spaß! Ja zu den merkwürdigsten Mu- Er nahm das Vernissagen-Geplauder mit verdeckten Mikrofonen sik-Videos, die die Welt bis dahin gesehen hatte! Und natürlich Ja auf und ließ es nach einiger Zeit, immer lauter werdend, über zum munteren Popstar-Leben! Oder, mit dem Titel der Platte, die Lautsprecher abspielen: Den Museumsbesuchern wurde ihr eige - 1982 den Durchbruch vom Club- und Underground-Ruhm zum nes Kunst-Gerede zugemutet. Mainstream-Pop brachte: „You gotta say Yes to another Excess.“

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Wobei Blank und Meier, als der große Rummel und das viele Zum Rummel hielten die coolen Herren Abstand, schon weil Geld kamen, ihr Eigenbrötlertum schon so perfektioniert hatten, Boris Blank äußerst ungern sein Tonstudio verlässt und Bühnen- dass sie den üblichen Popstar-Quatsch ignorierten und trotzdem auftritte als unnötige Zumutung empfindet. In ihrer mehr als 30- in aller Ruhe Millionen verdienten. „Dass ein Song wie ,Bostich‘ jährigen Karriere lassen sich die Yello-Konzerte an zwei Händen eine Hymne in den Tanzpalästen der Schwarzen und Latinos in abzählen. Mit Konzerten hätten sie zwar einige Millionen mehr den USA wurde, war natürlich toll, aber daran hätten wir nie verdient, aber weshalb sollten sie sich das antun? Auch die Ver- gedacht“, stapelt Meier wieder mal tief. „Ich habe mich auch nie öffentlichungspolitik ist eher erratisch. Ständige Medienpräsenz? als Star gefühlt, eher wie ein Zauberlehrling, der in einer irrealen Alle zwei Jahre eine neue CD? Muss nicht sein. Vor der jüngsten Zauberbude drinsteht.“ CD, „Touch Yello“ von 2009, war sechs Jahre Ruhe. Trotzdem Dass die Herren aus der Schweiz stets im gediegenen Anzug waren die Verkäufe gut sechsstellig. Das Ja zum Pop-Zirkus macht herumlaufen, ist noch eine der kleineren Irritationen im schrillen den drei Yello-Herren Blank, Meier und Vitzthum offenbar nur Pop-Zirkus. Blank und Meier spielen das Spiel nach eigenen Re- Spaß, weil sie sich die Musikindustrie mit einem entspannten geln. Die Verlagsrechte bleiben prinzipiell bei ihnen, das sichert „Muss nicht sein“ vom Hals halten konnten. bis heute hübsche Lizenzeinnahmen. Peter Vitzthum, rechte Hand, enger Freund und als Band-Manager der dritte Yello-Mann im „Institut des Nichts“ Hintergrund, hält sich bei den Zahlen bedeckt, aber dass ohne großen Aufwand noch immer jedes Jahr sechsstellige Einnahmen Fragt man Meier, mit Mitte 60 ein beneidenswert frischer, in sei- aus CD- und Lizenzverkauf eintrudeln, lässt er sich entlocken. nen Gedankengängen verspielter Herr, wie es weitergeht, dreht Plattenfirmen benutzen die cleveren Herren von Yello nur als Ver- er wieder mal die üblichen Kategorien um: Vielleicht waren all triebspartner, denen sie das fertige Produkt in die Hand drücken. die Unternehmungen ja nur eine Ausrede, um sich vor seiner Passte das einem Verwerter nicht, blieben Blank und Meier stur: eigentlichen Aufgabe zu drücken! „Ich versuche jetzt, mich aus dann halt nicht. Diese Autarkie sorgt für künstlerische Unabhän- dem Operativen rauszuziehen, damit ich keine Ausreden mehr gigkeit und war über die Jahre äußerst lukrativ. habe, nicht weiter an meinem Roman, an dem ich seit 20 Jahren arbeite, und an meinem Theaterstück zu schreiben. Meine Unter- nehmungen habe ich wahrscheinlich angefangen, um der Schrei- Der Künstler und sein schönstes Kunstwerk: Dieter Meier berei auszuweichen, vor der ich mich, so sehr ich sie liebe, auch immer fürchte, wenn ich ehrlich bin. Das Schreiben ist für mich das Schwierigste, weil ich permanent mit den Grenzen des Sag- baren und damit mit meinen Grenzen konfrontiert bin. Den Zwei- fel dann nicht einfach schwebend zu halten und sich mit dem Un- sagbaren abzufinden oder ihn mit einem Kraftakt wegzuwischen, sondern ihn in jedem Satz als praktizierte Dialektik zu leben, daran werde ich fast verrückt. Beim Filmen oder Musik machen, beides kleinindustrielle Prozesse in einem Team, muss ich diesen Zweifel nicht einmal überwinden, weil der Rhythmus, wo ich immer mit muss, ihn schlicht ausblendet, als wäre ich auf einem Segelboot mit 20 Leuten von Southampton aus in die See gesto - chen, um den Atlantik zu überqueren: ,The wind keeps you busy and blows all doubts away, because you have to sail‘.“ Sein geplantes Theaterstück heißt „Der Goldfisch“, es spielt in einer leeren, schäbigen Bar und fängt damit an, dass der Bar- keeper sorgsam ein Glas nach dem anderen poliert und an- schließend einzeln zerdeppert, dazu spielt der Barpianist. Der Bar- besitzer betreibt seine Bar, fast sektenhaft, als ein Institut des Nichts. Meier sitzt ausgesprochen gern in Bars und beobachtet die Menschen bei ihrem sinnlosen Treiben. So wie er über den Barbesitzer in seinem Theaterstück spricht, denkt man unwill- kürlich, dass sich Dieter Meier in ihm mal wieder selbst erfindet. Ein großer Neinsager, der beim Neinsagen seit 40 Jahren Ja zum eigenen Leben sagt. --

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