Mensch, Meier Er liebt, was nutzlos ist. Damit wurde er zum Dada-Künstler und millionenschweren Popstar. Heute ist er zudem Bio-Unternehmer, Gastronom und Investor. Besuch bei dem Dandy-Anarchisten Dieter Meier. Text: Peter Laudenbach Foto: Peter Tillessen 142 BRAND EINS 01/12 • Spätestens seit dem 25. Februar 1971 muss Dieter Meier als eine Anzeige für eine andere Kunstaktion zu schalten: Er wollte Fachmann für die Kunst des Ja- und Neinsagens gelten. An die- ein tiefes Loch in den Rasen des Central Parks graben. sem Tag steht der damals völlig unbekannte Schweizer in seinem Meier, damals 26 Jahre jung, Sohn eines Zürcher Privatban- Trenchcoat in New York, Ecke 57th Street und Eight Avenue, und kiers und bis dahin verkrachter Lebenskünstler, verbummelter kauft Passanten wahlweise das Wort „yes“ oder „no“ für jeweils Jura-Student, ehemaliger Profi-Pokerspieler und kurzzeitiges Mit- einen Dollar ab. Jeder, der sich auf das sinnlose Geschäft einlässt, glied der Schweizer Golf-Nationalmannschaft, war plötzlich auf bestätigt das dem Künstler mit Foto und Unterschrift. Meier sei- bestem Wege, ein anerkannter Künstler zu werden. Aber statt die nerseits verpflichtet sich, das Wort nicht zu missbrauchen. Einige Chance zu nutzen und nun mit Ehrgeiz bei Sammlern, Galeristen Passanten wollen handeln: „Für einen Dollar bekommst du von und Museumsdirektoren zu antichambrieren, sagte er Nein. Ge- mir höchstens ein ,may be‘.“ nau genommen sagte er nicht einmal Nein. Er ließ die Chance einer Künstler-Karriere einfach an sich abperlen. „You are famous, asshole“ Zum Beispiel 1972, ein Jahr nach seiner Aktion in New York. Die Kasseler Documenta, die berühmteste Avantgarde-Kunst- Ein paar Tage später wundert sich Meier, als er seine Gin Tonics ausstellung der Welt, lud ihn ein, seine Werke zu zeigen. Was im „Max’s Kansas City“, damals die New Yorker Lieblingsbar von hätten andere dafür gegeben! Meier ließ sich mit der Reise nach Andy Warhol und Lou Reed, bezahlen möchte. Der Barkeeper will Kassel 22 Jahre Zeit. Sein Documenta-Beitrag war eine Boden- sein Geld nicht. Er raunzt nur: „It’s on the house, you are famous, platte vor dem Kasseler Hauptbahnhof. Die Inschrift lautet: „Am asshole“, und zeigt ihm die »New York Times«. Auf einer ganzen 23. März 1994 von 15.00 – 16.00 Uhr wird Dieter Meier auf Seite hat Grace Glueck, die Kunstkritikerin der Zeitung, über dieser Platte stehen.“ Das hat er dann auch gemacht. seine Yes-no-Aktion berichtet. Aufmerksam war sie auf den selt- Lässiger kann man die Aufgeregtheit des Kunstbetriebs nicht samen Schweizer geworden, weil der vergeblich versucht hatte, unterlaufen. Nach der ignorierten Documenta war dann auch 3 BRAND EINS 01/12 143 SCHWERPUNKT: NEIN SAGEN _DIETER MEIER erst mal knapp vier Jahrzehnte Pause mit der Karriere als bilden- nebenbei schreibt das Multitalent „seit 20 Jahren“ an einem Thea- der Künstler. Kein Grund zur Bitterkeit, im Gegenteil: „Der Kunst- terstück, macht mit Knetmännchen lustige Fotos, designt edle markt ist eine wunderbare Blase. Die Prozesse der Selig- und Seidentücher, veröffentlichte vor Kurzem ein Kinderbuch und Heiligsprechung sind im Kunstbereich noch irrationaler als im hatte im Herbst in den Hamburger Deichtorhallen eine große Vatikan. Ich war unfähig, an diesem Auswahl- und Verwertungs- Einzelausstellung mit seinen Musikvideos, Zeichnungen und Fo- prozess teilzunehmen“, sagt Meier heute. „Bis zu meiner überra- tos seiner Kunstaktionen. Schon beim Zuhören kann einem bei schenden Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen hatte ich den überschießenden Aktivitäten schwindelig werden. Mit den mich darauf eingerichtet, meine Fotos, Installationen und Videos Worten des Unternehmers und Kunstsammlers Harald Falcken- in einer Lagerhalle in Argentinien aufzubewahren, damit sie nicht berg, der Meier die Hamburger Ausstellung ausrichtete: „Dem verloren gehen und meine Enkel und Urenkel vielleicht ihren Spaß Berichterstatter bleibt die Spucke weg.“ daran haben, was das Dieterchen sich alles so ausgedacht hat.“ Das Erstaunlichste daran ist, dass das aus Meiers Mund alles klingt wie die Fortsetzungen der fröhlich sinnfreien Dada-Aktio- „Die Dinge sind meistens auf mich nen seiner Jugend. Die übliche Manager-Attitüde des energischen zugekommen“ Handelns bei vollem Durchblick und kühler Strategie, dreht er um: „Die Dinge sind meistens auf mich zugekommen, und ich war 40 Jahre nach seiner New Yorker Yes-no-Aktion sitzt Dieter Meier eigentlich immer überrascht, dass ich sie dann doch zielgerichtet in roter Hose und elegantem Hemd in seinem weitläufigen Zür- zu Ende führte. Eher sehe ich mich, wenn es überhaupt irgend- cher Atelier in See-Nähe. In der Zwischenzeit ist viel passiert. In eine Interpretation gibt, als eine Art Wurzelflechtwerk, wie es den Achtzigern wurden Meier und sein musikalischer Partner Pilze haben. Wenn die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit stim- Boris Blank mit dem Elektro-Pop-Duo Yello zu Popstars, die „so men und die Symbiose zu einem nahen Baum, schießen die Pilze um die zwölf Millionen“ CDs und Platten verkauften, vielleicht aus dem Boden. Ich staune eigentlich über alles, was ich gemacht sind es auch mehr, so genau weiß das Meier im Augenblick nicht. habe. Ich habe das Gefühl, dass das gar nicht wirklich ich war, Weil er sein Geld auf Rat seines Vaters, des Bankiers, klug ange- sondern es ist mir sozusagen passiert.“ legt hat, haben sich allein seine Beteiligungen an der Banknoten- Eine mit Ehrgeiz vorangetriebene Popstar-Karriere? „Nein, nein, Druckerei Orell Füssli und einer Eisenbahngesellschaft, die Tou- um Gottes willen.“ Der Erfolg von Yello, immerhin eine der inno - risten aufs Matterhorn bringt, nach Schätzungen der »Frankfurter vativsten Elektropop-Bands der achtziger Jahre, deren frühe Vide- Allgemeinen Zeitung« in den vergangenen 20 Jahren im Wert os (Regie: Meier) heute im Museum of Modern Art in New York „mindestens verzehnfacht“, auf wie Kunstschätze gehütet wer- gut 50 Millionen Franken. Meier den – das war, wenn man ihm nonchalant: „Derzeit ist es etwas glaubt, eine Mischung aus Spiel, weniger.“ Zufall und glücklicher Fügung: Seit anderthalb Jahrzehnten „Wir wollten nicht Avantgarde produziert „Meier-mach-schon“ sein, wir konnten ganz einfach (Selbsteinschätzung) in großem keine Instrumente spielen und Stil Bio-Rindfleisch und Bio- wollten trotzdem Musik ma- Wein in Argentinien. Mit einer chen, so waren wir gezwungen, Jahresproduktion von 500 000 in einer Frühform von Sampling Flaschen spielt er dabei längst unsere Klänge zu erfinden.“ Also nicht mehr in einer kleinen bastelte Boris Blank mit Ton- Liebhaber-Nische. Das Problem band-Loops, Geräuschen und ist nicht, guten Wein herzustel- den ersten Synthesizern seine len, das Problem ist, ihn zu ver- Dieter Meier und Boris Blank (Yello): „Wir wollten nicht Avantgarde sein“ elektronischen Klangskulpturen. markten, weiß der Winzer. Also Auch Meiers Stakkato-Gesang betreibt er in Zürich zwei Res - folgte keinem raffinierten Kon- taurants, in denen er seine Produkte anbietet. Demnächst kommt zept: „Ich konnte nicht singen, also musste ich in den Anfängen eine Bar dazu. Dass er in der Schweiz etwa so bekannt ist wie von Yello eine Art Rap erfinden, bei dem nicht die Melodie, son- John Lennon in Liverpool, kann dabei nicht schaden. dern der mit Stimme erzeugte Rhythmus im Vordergrund war.“ Und weil wir in der Schweiz sind und Klischees im Zweifel Genauso scheinbar ambitionslos stolperte er in die Kunst. doch stimmen, hält Meier auch eine Beteiligung an einem Her- Nach dem steilen Start hatte er über Jahrzehnte keine bedeuten- steller mechanischer Uhren. Yello gibt es natürlich auch noch, de Ausstellung, nur ab und zu eine kleine Schau in der Zürcher 144 BRAND EINS 01/12 SCHWERPUNKT: NEIN SAGEN Galerie eines Freundes, praktisch unter Ausschluss der Öffent- Gerade hat er wieder ein Stück Steppe in Patagonien gekauft, lichkeit. Meier: „Ich war einfach nicht geeignet für den Kunst - durch das der Rio Negro fließt. Jetzt arbeitet er mit Spezialisten betrieb. Meine frühen sogenannten Konzeptarbeiten waren eine daran, die 12 000 Hektar zu bewässern. Dort will Meier vor al- Annäherung an die ,Unbedeutung‘ und das Nichts. Ich wollte lem Nüsse, Trauben und Äpfel anpflanzen. Klar, er will dabei kein Geld verlieren, aber das sei nicht der entscheidende Antrieb: „Mich interessiert, etwas aufzubauen, was nachhaltig ist. Ich werde dort Elektrizität herstellen und Schulen bauen. Der Trei- ber ist das Interesse, ein Ausprobieren und eine kindliche Ent- deckerfreude.“ Meier ist nicht uneitel. Aber mit seinen unternehmerischen Erfolgen zu protzen wäre ihm entschieden zu vulgär. Auch als Unternehmer bleibt er ein Dandy, dem guter Stil wichtiger ist als Geld. Also erzählt er nebenbei, dass die Investments am profita- belsten sind, bei denen er sich operativ kaum engagiert: Orell Füssli, die Matterhorn-Bahn und Ulysse Nardin, der Hersteller edler mechanischer Uhren. Als Meier mit Partnern in den Acht- zigern einstieg, stand die Firma kurz vor der Insolvenz, der Umsatz lag bei 800 000 Franken im Jahr. Heute sind es mehr als 200 Millionen Franken. „Das ist nicht meine Leistung, das ist die Leistung des leider verstorbenen Hauptaktionärs und Managers Rolf Schnyder“, sagt Meier. „Ich habe ihm vertraut und einem genialen Konstrukteur mechanischer Uhren, Ludwig Oechslin, den Schnyder entdeckt und ins Unternehmen geholt hat. Der hat in der Oper Karten New York, 1971: Wer verkauft ein Ja, wer ein Nein? abgerissen und nachts bei einem Uhrmacher gearbeitet und geforscht, er ist besessen von der Schönheit der mechanischen Zeitmessung.“
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