Folge 48 Vom 29.11.1986
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Heute auf Seite 3: Werden wir ein Vielvölkerstaat? UNABHÄNGIGE WOCHENZEITUNC FOR DEUTSCHLAND Jahrgang 37 — Folge 48 Erwhelnt »ochrntllr h l dndsm<»nn\< hdtl (KtprrulWn r. V. Po»l\.Ttn.-hs%iuf k Gebühr beuhlt 29. November 1986 Parkdllee 84/86. 2000 Himburg 13 C5524C Parlamentswahlen: Auch Österreich sucht seine Identität Was steckt hinter dem Erfolg des Jörg Haider? Bei den Wahlen in Österreich am Sonntag sidentschaftskandidaten Waldheim eine Nie• verblüffte vor allem die Freiheitliche Partei derlage hatten einstecken müssen, griffen er• (FPÖ), die ihren Stimmenanteil auf fast 10 Pro• neut — und erneut vergeblich — in das Reser• zent verdoppelte und in Zukunft mit 18 Sitzen voir ihrer .Rechtsradikalismus'-Vorwürfe (statt bislang 12) im Parlament vertreten sein (.Lieben Sie auch Wiens jüdische Gemeinde?" wird. So war denn auch bereits in der Wahl• und .Würden Sie eine Jüdin heiraten?" waren nacht der erste Sieger, nämlich der FPÖ-Vor• beispielsweise bösartig-plumpe Fragen, denen sitzende Dr. Jörg Haider, ausgemacht. sich Haider in Fernsehdiskussionen zu stellen Freude gab es außer bei seinem Anhang hatte). Demgegenüber stieg die Popularität auch bei den Grünen, die mit 4,6 Prozent und 9 der FPÖ wieder an und übertraf am Sonntag Sitzen erstmals in das Parlament einzogen. sogar die Erwartungen aller Demoskopen. Recht unbefriedigend dagegen ist die Situa• Vor allem das Bekenntnis zur .deutschen tion der beiden großen Parteien: Die regieren• Kultur- und Volksgemeinschaft" im Grund• den Sozialisten blieben mit 43,3 Prozent (1983: satzprogramm der FPÖ — die sich gleichzeitig 47,6 Prozent) und 80 (bislang 90) Sitzen zwar aber auch zur österreichischen Eigenstaat• stärkste Partei, aber sie mußten ebenso wie die lichkeit bekennt —, wird von den Gegnern des Konservati ven von der ÖVP (41,3 Prozent statt Haider-Kurses angegriffen. Ganz offensicht• 43,2 Prozent und 76 statt 81 Mandate) deutli• lich gefällt es nicht, daß der junge Kärtner ver• che Verluste hinnehmen. Wie es weitergehen bal wieder in jener Wunde im österreichischen wird, war bei Redaktionsschluß ungewiß. Selbstverständnis zu stochern beginnt, die — Denn während Bundeskanzler Vranitzky so war es vorgesehen — nach 1945 allmählich nach wie vor auf eine Große Koalition setzt, verheilen sollte. Diese Wunde ist die mangel• denkt der O VP- Vorsitzende Mock, gescheitert haft ausgebildete österreichische Identität: Zu Das Deutsche Eck in Koblenz: Ohne geschichtlichen Hintergrund wird es uns nicht gelingen, in bei seinem Versuch, eine Wende nach bun• prompt wurde dem Staat, dessen Nationalrat Gegenwart und Zukunft unseren Platz zu finden. Das Denkmal am Zusammenfluß von Rhein desrepublikanischem Vorbild durchzuführen, nach dem Ersten Weltkrieg einstimmig seinen und Mosel, an dem heute die Wappen der deutschen Länder angebracht sind und von dessen inzwischen auch laut über ein Bündnis mit der Anschluß an das Deutsche Reich erklärte und Sockel die Bundesfahne weht, soll an die Einheit unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit FPÖ nach. lediglich am Veto der Sieger scheiterte, und erinnern Klar ist bislang eigentlich nur, daß den Grü• der sich beim Anschluß durch Hitler 1938 kei• nen in diesem Regierungsbildungspoker keine neswegs mehrheitlich vergewaltigt fühlte, Bedeutung zukommt, denn sie würden keinem nach dem Zweiten Weltkrieg das Korsett einer der beiden Großen die notwendige Mehrheit eigenen Nationalität übergestülpt sichern, und daß auch der Weg zurück zu einer Wie aber kann eine originäre Nation etwas Im Kreml regierten immer Realisten SPÖ-FPÖ-Allianz verbaut ist. Schließlich war sein, das sich historisch, sprachlich und kul• es ia gerade der angebliche .Rechtsruck" der turell von seinen Nachbarstaaten Bundesre• H. W. — .Die sowjetischen Führer waren Wir möchten annehmen, daß die Realisten in FPÖ, den Außenstehende in der Wahl Haiders publik und DDR nicht unterscheidet? Die alte immer Realisten. Das ist der entscheidende Moskau sehr wohl wußten, daß es keineswegs zum Parteiobmann im September gegen sei• Frage, ob es eine österreichische Nation wirk• Unterschied zu den braunen Abenteurern, die in Kohls Absicht lag, Gorbatschow mit Goeb• nen Vorgänger und damaligen Vizekanzler lich gibt, wird in den folgenden Jahren durch von 1933 bis 1945 Deutschland regierten." Mit bels zu vergleichen. Steger zu erkennen glaubten, der zum Koali• die wiedererstarkte FPÖ neue Brisanz gewin• diesem Satz dämpfte der Bundeskanzler auf Aber den Realisten paßte die Chance ins tionsbruch und zu den vorgezogenen Neuwah• nen. Haider hat damit einen Klärungsprozeß einer Wahlkampfveranstaltung in Göttingen Konzept: Einmal, weil sich die Bundesrepublik len geführt hatte. eingeleitet, der — unabhängig von seinem den Ärger, den das umstrittene .Newsweek"- im Stadium des Vorwahlkampfes befindet, Die Freiheitlichen in Österreich haben tra• Ausgang — zu begrüßen ist A. G. Interview im Kreml hervorgerufen haben soll. zum anderen, weil man dem deutschen Bun• ditionell ein liberales und ein nationales deskanzler glaubt eins dafür auswischen zu Standbein. Gerade die Zusammenarbeit mit Kronzeugenregelung: müssen, daß er nach Reykjavik die Position des den Sozialisten führte jedoch dazu, daß libera• amerikanischen Präsidenten eingenommen les Gedankengut — aus Rücksicht auf den gro• hat. Nur, wer die Beweggründe auf solch sach• ßen Partner — nur noch einigermaßen verhal• licher Grundlage sieht, wird in der Lage sein ten und nationales Gedankengut kaum noch Heute Hüh und morgen Hott einzuschätzen, was es mit den diversen Absa• geäußert wurde. Die Folge: Auch in der Wäh• gen vereinbarter Reisen auf sich hat. Die So• lerschaft schwand das Interesse an der FPÖ, Die Freien Demokraten erweisen sich einmal mehr als wankelmütig wjets sind Realisten und dem deutschen Wäh• deren Bedeutung zunehmend schwerer zu Sie haben es wieder einmal geschafft. Durch men — was aber noch alles geschehen muß, ler soll auf diese Weise klar gemacht werden, verstehen war. einen beherzten Rösselsprung hat die FDP er• ehe die Zeit dafür reif ist, ließen sie offen. Mag daß man es eigentlich besser mit der Opposi• Als Jörg Haider, 36 Jahre jung, dynamisch neut einen anfangs gemeinsam getragenen sein, daß sich die FDP dennoch hat davon be• tion kann. Ob das Kohl zum Nachteil gereichen und sympathisch, sicher auch charismatisch Gesetzesentwurf zu Fall gebracht: die Kron• eindrucken lassen. muß, wird sich zeigen. und populistisch (in seinen politischen An• zeugenregelung. Die Parteivorstände der Koa• Aber, wie gesagt die Sowjets, und schon fangsjahren wurde er interessanterweise dem Terrorismus ist mit anderen Straftaten nicht litionsregierung hatten längst das gesamte zu vergleichen. Seine Ziele, seine nahezu per• ihre Vorgänger, die Zaren, waren Realisten. liberalen, fast linken Parteiflügel zugerech• Anti-Terror-Paket einschließlich Kronzeu• Peter der Große z. B. ließ die Weiträumigkeit net), den Aufstand gegen den Parteichef Steger fekte Organisation und seine ungewöhnliche, genregelung gebilligt, da beschloß die FDP auf jeden Bürger betreffende Brutalität verlangen seines Landes für sich fechten. Er entzog sich erfolgreich probte, löste er damit zwiespältige ihrem Parteitag am vergangenen Wochenen• den nachstoßenden Gegnern, lockte das Reaktionen aus. Die einschlägigen Propagan• denn auch nach ebenso ungewöhnlichen Be• de ihren Rückzug. Unklar bleibt nur, woher kämpfungsmaßnahmen. Der Kronzeuge ist so schwedische Heer in einen weiten Raum, in disten des In- und Auslands, die unmittelbar dieser Meinungsumschwung kommt dem noch jedes militärische Machtmittel ver- zuvor in der Schlammschlacht gegen den Prä- ein Mittel, das man jedoch ganz oder gar nicht Sicher, die FDP ist bekannt für ihren Wan• ausschöpfen muß. Nur ein bißchen Kronzeu- zwergte: In Poltawa beendete eram 8. Juli 1709 kelmut hat sie doch schon so manch andere genregelung verfehlt die gewünschte Ab• mit dem Sieg über Karl XII. die schwedische Vorlage zu verhindern gewußt. Doch hätte Kriegsglorie. Aus dem Inhalt Seite sicht. So schmollt die CDU/CSU-Fraktion man nicht gerade angesichts der bevorste• denn auch nicht wenn sie angesichts der Ent• Mehr als einhundert Jahre später wagte Na• Deutschlandpolitik: Die merk• henden Bundestagswahl erwarten können, würdigen Ideen eines Liberalen.. 2 scheidung der FDP ganz von dem Gesetzes• poleon I. das große Abenteuer. Über Rußland daß sie einmal Farbe bekennt? Aber sie zieht entwurf abrückt, sondern zieht lediglich die den Weg nach Indien zu gehen, um auf diese Ausstellung: Deutschland — es offenbar vor, ihrem ständigen .heute Hüh „gezähnt und verzahnt" 4 notwendige Konsequenz. Weise seinen Erzfeind England zu schlagen. In und morgen Hott" treu zu bleiben. Zugegeben, diesem Feldzug wandten die Russen die aus• Innerdeutsche Beziehungen: Über eines aber muß sich die FDP im klaren die Kronzeugenregelung ist nicht das non plus weichende Taktik als die wirksamste Waffe Die politische Realität 5 sein: Die Unzuverlässigkeit, die sie hiereinmal ultra in der Terrorbekämpfung. Mit ihr würde ihres Kampfes an, und auf den Einzug in den Heimatliche Bräuche in der mehr an den Tag gelegt hat, trägt ihr keine ein neuer Weg beschritten, der sicherlich auch Kreml folgte der zermürbende Rückzug der Advente- und Vorweihnachtezelt 6 Wählerstimmen ein. Nur um zu beweisen, daß in der Rechtssprechung Komplikationen her• Großen Armee, der, am schlimmsten an der Zum 30. Todestag von sie ihrer liberalen Kontrollfunktion innerhalb vorriefe. Dennoch ist sie eine Chance, wenn Beresina, zu grauenvollen Szenen bestiali• Professor Hermann Wirth 9 der Regierungskoalition gerecht