WERNER FAULSTICH

Yellow Submarine

„Yellow Submarine“ ist ein Zeichentrickfilm, entstanden nach dem legendären „summer of love“ im Jahr 19671 und im Folgejahr uraufgeführt – in diametra- lem Gegensatz zum Aufstand der Studenten 1968: Liebe gegen Revolte, eine Beziehungskultur gegen den Generationenkonflikt, Ästhetik gegen Politik. Nach einer frühen Trickfilmserie mit den Beatles auf dem amerikanischen Fernsehkanal ABC hatte der Produzent Al Brodax den Beatles-Manager Brian Epstein dazu bewegen können, den Vertragsverpflichtungen der Beatles mit über einen (nach „A Hard Day’s Night“ und „Help!“) dritten Film mit „Yellow Submarine“ als abendfüllendem Langfilm fürs Kino nachzu- kommen (z.B. Hieronimus 2002, 28ff.). Brodax schrieb gemeinsam mit dem späteren Bestsellerautor Erich Segal und einigen anderen das Drehbuch. Der Kanadier George Dunning, ein erfolgreicher Comicfilmer, führte Regie und verpflichtete seinerseits den deutschen Graphiker Heinz Edelmann, der sich da- mals mit psychedelischer Popart und entsprechenden Einflüssen auf die Design Studios gerade einen Namen gemacht hatte (Carr 1996, 141ff.; Hieronimus 2002, 66ff., 97ff.). Von den Beatles wurde der Film „Yellow Submarine“ angeb- lich nur sehr widerwillig unterstützt (z.B. Carr 1996, 147; Neaverson 1997, 83; Goergens 1999, 179). Sie steuerten neben bereits erfolgreichen Songs nur vier neue Titel bei, keiner besonders elaboriert; und die Soundtrack-LP zum Film, eine marktbezogen unvermeidliche Mehrfachverwertung mit der Ergänzung durch die filmische Orchestermusik des Produzenten George Martin, erschien erst 1969. Die Vermarktung dagegen mit Merchandising-Artikeln wie T-Shirts, Wecker, Puzzles, Kostüme, Uhren, Abzeichen, Spielzeugfiguren war ausgefeilt und kommerziell erfolgreich.2 „Yellow Submarine“ bringt drei verschiedene Richtungen zusammen: mo- derne Kunst, populäre Musik und filmische Animation. Das Werk spricht damit drei unterschiedliche Gruppen an: Kunstliebhaber, Musikfans und Filmästhe- ten. Im folgenden soll aus übergreifend kulturwissenschaftlicher Sicht aufge- zeigt werden, welche Bedeutung den visuellen, den auditiven und den audiovi- suellen Strategien und Gestaltungsformen zukommt und wie sie sich in ihren

1 Jörg Helbig hat dazu 2007 in Klagenfurt eine Wissenschaftliche Tagung durchgeführt, deren Beiträge, darunter ein Vortrag von Hugo Keiper über All You Need Is Love, von Neil Sinyard über Richard Lester und die Beatles-Filme, von Jan Hollm über „Love and the American Coun- ter Culture“ und vom Verfasser über „Rockkultur und Konzepte von Liebe bei den Beatles“, demnächst in englischer Sprache veröffentlicht werden. 2 Der Film wurde 1999 noch einmal neu bearbeitet und unter großen Werbeanstrengungen digi- talisiert auf den Markt gebracht. Siehe ausführlich Hieronimus (2002, 336ff.+373ff.). 80 werner faulstich gegenseitigen Bezüglichkeiten zu einer Synthese, einer synästhetischen Einheit verdichten. Synästhesie meint hier die Gleichzeitigkeit verschiedener Sinnes- eindrücke, die komplexe Empfindungen auslösen und sich zugleich als kom- plexe Sinnkonfiguration nachweisen lässt. Sie steht für die Populärkultur Ende der 60er Jahre funktional als ein zentraler Vermittlungsmechanismus. Wer ihn nicht versteht, hat die Kultur der Epoche nicht verstanden.3

Die Instrumentalisierung von Pop Art, Jugendstil, Psychedelic Posters und anderen Stilrichtungen der zeitgenössischen Kunstszene

George Melly (1972, 180) ging in seinem Klassiker über Pop Arts im England der 60er Jahre nur kurz auf „Yellow Submarine“ ein, und äußerst kritisch: „the film was perhaps in the end more damaging to pop in its revolutionary role than the most direct frontal assault. This was because, despite its eclectic visual style and neat symbolism, it drew heavily on ’ past. It forced us to evaluate their music from every period. It placed them in a perspective, presented a kind of animated potted history. The characterization of the Beatles themselves was the give-away, (…) it was in the end an anti-pop film: an animated museum.“4 Hier geschieht eine markante Verwechslung des Films selbst mit einigen sei- ner Versatzstücke. Der Film eröffnet eine Galerie von Werken, die in Kunst- hochschulen entstanden sein könnten und eine Vielzahl der damals innovativen, avantgardistischen Stilrichtungen repräsentieren. Er bedient sich ihrer jedoch nur instrumentell, angelegt auf eine übergreifende Message. Bei der Kunst, die hier aufgegriffen wird, handelt es sich im weitesten Sinn um moderne Formen wie Illustration, Typographie, Poster, Werbung, Dekor, Collagen, Comics. Mo- derne Kunst stand damals für den Aufbruch und die Absage an das Alte, in ihrer Anhäufung als Kaleidoskop aber zugleich als Warenkorb der Beliebigkeit, so verfügbar wie zusammenhanglos. Der Film verweist unter anderem auf Ju- gendstil und Art Nouveau nach Aubrey Beardsley, damals in Aussstellungen und auf Posters wieder allgegenwärtig, wenn etwa die Bewohner Pepperlands nostalgisch im Edwardian Style gekleidet sind; auf Pop Art gemäß Peter Blake oder Andy Warhol (z.B. Kolberg 1988, James 1996), mit der Vervielfachung von Objekten, der Verwendung von Worten als Objekten, der Nutzung singulärer Buchstaben wie im Falle von GLOVE und LOVE am Schluss des Kampfes, wenn der tödliche Handschuh der Blaumiesen sich im „O“ von LOVE ver-

3 Siehe auch Werner Faulstich: Aufschwung und Höhepunkte der Rockkultur: Musik, Medien, Werte. In: Ders. (Hrsg.), Die Kultur der 60er Jahre. Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Mün- chen 2003, S. 291-304. 4 Bereits 1970 hatte O.K. Werckmeister dem Film eine Ausschlachtung der Hochkultur und tra- dierten Kunst vorgeworfen, wie sie typisch für Massenkultur sei, speziell die Übernahme des Jugendstils, purgiert um seinen erotischen Gehalt (1970, 483f.).