Umschlag Nr.27 02.05.2006 16:13 Uhr Seite 1 Heft Verein für Heimatkunde 02.05.2006 16:16 Uhr Seite 2

ATTENDORN - GESTERN UND HEUTE Ludwig Korte, Attendorn Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Hei- Martin Kuschel, Attendorn matkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Monika Löcken, Breckerfeld Heimatpflege Helga Müller-Lönnendung Georg Ortmann, Attendorn HERAUSGEBER: Verein für Orts- und Hei- Albert Schnepper, Attendorn matkunde Attendorn e.V., Hansastr. 4, 57439 Gertrud Schulz, Attendorn Attendorn Dieses Jahresheft erscheint im Mai 2006 und REDAKTION: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, trägt die Nr. 28. Wesetalstr. 90, 57439 Attendorn, Tel. 02722- Titelabbildung: Pilgerstein am Sauerländer 7473, Fax 02722-639729, Mail: kuschel@t- Dom, Attendorn (Foto: Haberhauer-Kuschel) online.de

DUCK: Frey Print & Media, Bieketurmstr. 2, ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BELANGE 57439 Attendorn DER HEIMATPFLEGE IN ATTENDORN UND UMGEBUNG: Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugsweisen Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag e.V., Hansastr. 4, 57439 Attendorn [2006: 15,- Euro für Einzelmitglieder/5,- Euro Sprechstunde: Montags 18.00-20.00 Uhr für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich ge- kennzeichnete Beiträge sind die Verfasser Ortsheimatpflegerin für Attendorn: persönlich verantwortlich. Birgit C. Haberhauer-Kuschel, s.o.

Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: VORSTAND DES VEREINS Albert Schnepper, Talstr. 33, 57439 A.- (Stand April 2006): Mecklinghausen, Tel. 02722-8244 1.Vors.: Reinhard König, Gartenweg 7, Atten- dorn, Tel. 02722-54905 Ortsheimatpfleger für Neuenhof: 2.Vors.: Karl-Hermann Ernst, Am Riedesel 3a, Werner Huckestein, Am Baukhan 21, 57439 Attendorn, Tel. 02722-2365 A.-Neuenhof, Tel. 02722-54240 Schriftf.: Peter Prentler, Niederste Straße 24, 57439 Attendorn, Tel. 02722-3927 Ortsheimatpfleger für Neu-Listernohl: Schatzm.: Markus Kaufmann, Himrichweg 3, Ludwig Müller, s.o. Attendorn, Tel. 02722-50981 Beirat: Brigitte Flusche, Hofestatt 13, Attendorn, Tel. INHALT 02722-3550 Birgit C. Haberhauer-Kuschel, s.o. Peter Höffer, Auf dem Arnsbeul 15, Attendorn, Impressum und Inhalt 2 Tel. 02722-4271/3711 Einladung zur Pilgerwanderung... 3 Ludwig Müller, Schillerstr. 7, Attendorn, Tel. 40 Jahre Biggetalsperre 5 02722-7409 13 neue Talsperren... 7 Bernadette Schmidt-Homberg, Johann-Metz- Grottenrausch 13 Str. 5, Attendorn, Tel. 02722-4522 Konzept für das Ulrich Selter, Münchener Str. 90, Attendorn, Südsauerlandmuseum 16 Tel. 02722-929530 Rosenkranz mit schwarzer Hand 21 Dieter Thys, Mindener Str. 10, Attendorn, Tel. Ennester Straße 3 und 5 23 02722-54196 Räucherkammer auf dem Dachboden 27 Giebelschmuck 30 Ein herzlicher Dank gilt den Ein Wort gibt das andere 31 AUTOREN DIESER AUSGABE: Heinrich Lönnendung... 33 Chronik des Jahres 1945 36 Elisabeth Belke, Attendorn So erlebten wir den 8. Mai 1945 39 Karl-Hermann Ernst, Attendorn Krieg um Mecklinghausen 40 Brigitte Flusche, Attendorn Fürstenberg-Archiv 46 Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Attendorn Erinnerungen an die Kirchen... 47 Peter Höffer, Attendorn Ferne Welten - Freie Stadt 49 Josef Hormes, Attendorn Denkmalliste Stadt Attendorn 52 Gertrud Junker,

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Einladung zur Eröffnungswanderung auf der Heidenstraße von der Förder Linde nach Attendorn am Samstag, 13. Mai 2006 Historische, kulturelle und spirituelle Aspekte

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Heimatfreunde,

die bis in frühgeschichtliche und wahrscheinlich sogar bis weit in vorgeschichtliche Zeit zurückreichende Heidenstraße von Köln durch das nach Leipzig ist in Teilstrecken wieder wander- und erlebbar.

Deshalb laden der Sauerländer Heimatbund, die Stadt Attendorn, die Projekt- gruppe Heidenstraße sowie die katholischen Kirchengemeinden St. Hippolytus, Helden, und St. Johannes Baptist, Attendorn, die Kapellengemeinde St. Sebas- tian, Niederhelden, die SGV-Abteilungen Attendorn und Repetal und der Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. zu einer Eröffnungswanderung ein, und zwar auf der Teilstrecke Förder Linde (Grevenbrück) - Attendorn.

Termin: Samstag, 13. Mai 2006

Zeit: 9.30 Uhr Bustransfer vom Bahnhof Attendorn zur Förder Linde 9.40 Uhr Zusteigemöglichkeit in Helden 9.45 Uhr Zusteigemöglichkeit in Niederhelden

Beginn: 10.00 Uhr am Pilgerstein Förder Linde Begrüßung und Erläuterungen zur Wegroute

Abmarsch: 10.30 Uhr

Stationen: 11.00 Uhr: Niederhelden - Erläuterungen zu Dorf, Furt und Natur-im- Dorf-Pfad

11.20 Uhr: Kapelle Niederhelden

12.05 Uhr: Heiligenhäuschen Niederhelden mit Bronzeplatte zur Hei- denstraße

12.40 Uhr: Helden - Pfarrkirche, Friedhof

13.10 Uhr: Mittagsrast im Pfarrheim Helden - Rucksackverpflegung! - Für Getränke ist gesorgt!

13.50 Uhr: Abmarsch in Helden

14.20 Uhr: Rotes Kreuz

14.50 Uhr: Hohlwege am Kutschenberg

15.20 Uhr: Burg Schnellenberg

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15.40 Uhr: Schnellenberger Hospital

16.00 Uhr: Biggebrücke - Heiligenhäuschen

16.15 Uhr: Hospitalkirche

16.45 Uhr: ehemalige Brücke über den Mühlengraben

16.55 Uhr: Alter Markt

17.05 Uhr: Pilgerstein am Dom

17.15 Uhr: Sauerländer Dom - Kirchenführung

17.50 Uhr: Ausklang im Hotel zur Post, Attendorn mit Imbiss / Däm- merschoppen - Möglichkeit zur Diskussion - plattdeutsche Dönekes mit Franz Köper

Gutes Schuhwerk wird empfohlen! Wissenswertes am Wege wird während der Wanderung erläutert. Wir würden uns freuen, wenn Sie an dieser Veranstaltung teilnehmen könnten!

Mit freundlichen Grüßen,

gez. Alfons Stumpf Bürgermeister der Stadt Attendorn

gez. Dieter Wurm Sauerländer Heimatbund

gez. Reinhard König Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. ______

Wandern und Pilgern auf der Heidenstraße Auf den Spuren der Jakobuspilger im kurkölnischen Sauerland zwischen Oberkirchen und Attendorn von Annemarie und Herbert Schmoranzer, Franz-Norbert Scheele ISBN 3-89710-296-X im Buchhandel erhältlich

Herausgegeben vom Sauerländer Heimatbund und erschienen im Bonifatius-Verlag Paderborn begleitet dieser ausführliche Kultur- und Wanderführer den "modernen" Pilger auf der Heidenstraße zwischen Oberkirchen und Attendorn. Mit detailliertem Kartenmaterial informiert der in Ringbuchform gehaltene Band eingehend über den historischen Wegeverlauf der Heidenstraße und die heutige Marschroute. Daneben wird in "Wissenswertes am Wege" umfassend über Geschichte, Botanik, Literatur und Sehenswertes am Wege informiert. Auch die Gastronomie kommt nicht zu kurz. Eine Bereicherung für Ihren Bücherschrank daheim und für die Erforschung Ihrer Heimat per pedes!

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40 Jahre Biggetalsperre von Karl-Hermann Ernst

Nach einer fast siebenjährigen Bauzeit decken, und so entschloss sich der wurde am 31. Mai 1965, zugleich mit Ruhrtalsperrenverein (RTV), neue Tal- dem Beginn des Sommerfahrplanes sperren im Sauerland zu errichten. Zu- der Bahn, die neue Eisenbahnstrecke nächst sollten zwei neue Talsperren zwischen Attendorn und 0lpe in Betrieb das Defizit an Stauraum beheben: Die genommen. Sie hat eine Länge von Hennetalsperre bei Meschede mit ei- 11.5 km; davon führen 2.446 m durch nem Stauraum von rund 35 Millionen Tunnel und 543 m über Brücken. Da cbm und die Biggetalsperre mit einem die alte Strecke im zukünftigen Stau- Stauraum von 150 Millionen cbm. Da gebiet der Biggetalsperre lag, musste jedoch die 1913 errichtete Lister- diese neue Strecke gebaut und an das talsperre mit 22 Millionen cbm Stau- Westufer der Talsperre hoch gelegt raum ein Vorbecken der Biggetalsperre werden. Dabei hat sie insgesamt einen werden sollte, kann gesagt werden, Höhenunterschied von 32 m zu über- dass die Biggetalsperre als zweitgröß- winden. te Talsperre Westdeutschlands 172 Millionen cbm Stauinhalt hat.

Der Bau der Biggetalsperre hat aber nicht nur dazu beigetragen, dass die Für die Entscheidung, gerade das Big- Eisenbahnstrecke verlegt wurde, son- getal zu stauen, sprachen viele Grün- dern er veränderte das Bild des Bigge- de: tales vollständig: Neue Bahnhöfe und x Die hohe Niederschlagsmenge Haltepunkte mussten gebaut, Tunnel des Gebietes; gebrochen und große Brücken, sowohl für die Eisenbahn, als auch für den x die Größe des Gebietes; Straßenverkehr, errichtet werden. x die dringend erforderliche An- Ganz neue Dörfer entstanden, da die reicherung der Wasserführung alten dem Wasser zum Opfer fallen der Lenne und hier die Förde- sollten. Doch darüber später Genaue- rung der Reinhaltung der Len- res. ne; x der bedeutende Hochwasser- Befassen wir uns zunächst mit den schutz für das dichtbesiedelte Anfängen dieser neuen Talsperre im Lennetal; Sauerland: Das Projekt der Biggetal- x die zusätzliche Energieversor- sperre war bereits am 3. Juni 1939 gung in den zahlreichen Was- durch den damaligen Reichsminister serwerken an der Lenne; für Ernährung und Landwirtschaft nach eingehenden Überprüfungen geneh- x die landwirtschaftlich weniger migt worden. Er sah ein, dass der Bau wertvolle Beschaffenheit des von Talsperren im Sauerland nötig Flusstales zwischen Attendorn wurde, da der Wasserbedarf des und . Ruhrgebietes durch die Vergrößerung der weiterverarbeitenden Industrie und durch die neue Großchemie ständig Die Kriegs- und Nachkriegszeit führte stieg. Die alten Talsperren konnten auf dazu, das Projekt erst einmal wieder die Dauer diesen Wassermangel nicht zurückzustellen, da der RTV mit den

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anderen Arbeiten (Überholung der Listernohl, das "Dorf aus der Retorte“, durch den Krieg beschädigten Talsper- das die Planer auf dem Zeichentisch ren) vollkommen überlastet war. entworfen haben, wurde damals als das wohl modernste Dorf in der Bun- desrepublik angesehen. Bei allen Neu- Erst 1954, nachdem man mit dem Bau errichtungen wurde ganz besonders der Hennetalsperre begonnen hatte, darauf geachtet, dass die Ortschaften griff man den Plan der Biggetalsperre von keinem Durchgangsverkehr betrof- wieder auf. Zunächst einmal ließ man fen werden. Auch die Landschaft wur- die Finanzierung dieses, mit hohen de nur soweit umgestaltet, wie es nötig Kosten verbundenen Baues sichern: war; man war immer darauf bedacht, Der Landtag von Nordrhein-Westfalen möglichst viel von dem Waldbestand erließ im Jahre 1956 das "Biggetal- des Gebietes zu erhalten. Die Bewoh- sperren-Gesetz" . ner der neuen Ortschaften bedauern es bestimmt nicht, dass sie "in der Landschaft" wohnen! Da die Finanzierung nun gesichert war, begannen auch kurz darauf die ersten Vorarbeiten. Pläne wurden entworfen, Bei der Planung für die neuen Ver- und Gesteinsproben dem Boden ent- kehrswege stand man vor einem nommen. 1957 war es dann endlich schwierigen Problem: Man musste ei- soweit; die ersten sichtbaren Arbeiten nen Weg finden, möglichst wenig Brü- begannen. Zuerst wurde eine neue cken über die Talsperre zu schlagen. Straße gebaut, damit man möglichst Dabei verfiel man schließlich auf die schnell beginnen konnte, den Stau- Idee der Doppelstockbrücken. So damm aufzuschütten; die alte Straße konnte man Eisenbahn und Straßen- führte nämlich mitten durch den heuti- verkehr auf einer Brücke über das gen Damm. Wasser leiten. Es war das erste Mal, dass solche Brücken gebaut wurden; die Anwohner standen ihnen zunächst Da so der Verkehr die Arbeiten nicht sehr kritisch gegenüber. länger aufhalten konnte, ging es mit Riesenschritten vorwärts. Die Straße wurde weiter ausgebaut, und die heu- Heute haben sie sich daran gewöhnt, tige Eisenbahnstrecke in Angriff ge- und niemand findet sie mehr störend. nommen. Die drei Tunnelbauten, die nötig wurden, verursachten den zu- ständigen Stellen viel Kopfzerbrechen An neuen Straßen mussten zusammen und viel Ärger, zumal die Arbeiten nicht mit den Randwegen 54,8 km gebaut so reibungslos verliefen, wie man es werden. Bedingt durch das hügelige sich vorgestellt hatte. Bei den Tunnel- Gelände sind Erd- und Felsbewegun- bauten gab es zahlreiche Tote; meist gen größten Umfanges und zusätzlich lag es daran, dass die gebrochenen zu den Doppelstockbrücken noch 5 Tunnel nicht schnell genug verschalt weitere Brücken nötig geworden. Die und ausbetoniert werden konnten. Brücken mit ihrer Gesamtlänge von 1.523 m waren schon im Mai 1965 fast alle fertiggestellt, und auch die Straße Zugleich mit diesen Arbeiten begann zwischen Attendorn und Olpe über auch die Umsiedlung von rund 2.400 Eichhagen konnte bald darauf dem Personen. Neue Dörfer mussten er- Verkehr freigegeben werden. richtet werden; schon bestehende Ort- schaften wurden erweitert. Neu-

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Genau wie der Hauptdamm bei Atten- schaftsbild ein; jetzt, wo es bepflanzt dorn sind auch die vier Vordämme ist, glaubt man, es hätte schon immer Erddämme. Nur der Damm der Lister- dort gestanden. talsperre ist gemauert. Er musste um- Als im nächsten Jahr die Umsied- gebaut werden, damit die Lister- lungsarbeiten abgeschlossen waren, talsperre ein Vorbecken der Biggetal- und am 4. November 1965 mit dem sperre werden konnte. Dass überhaupt Stauen begonnen wurde, waren über Vorbecken notwendig geworden sind, 220 Millionen DM verbaut. Mit rund liegt an der Beschaffenheit des Gebie- 170 Millionen DM hatte man ge- tes. Außer, dass man das Land- rechnet, aber während des Baues er- schaftsbild erhalten wollte, wurden sie gaben sich unvorhergesehene Schwie- angelegt, damit die Täler nicht trocken rigkeiten, so dass er um etliches teurer laufen; sie sollen durch die Vorbecken wurde als geplant. auf etwa gleichem Wasserstand gehal- ten werden. Die Eröffnung der neuen Bahnstrecke Der Hauptdamm sperrt die zwei, durch zwischen Attendorn und Olpe war der einen Höhenzug getrennten, neben- erste Schritt des Endes der Bauarbei- einander liegenden Täler des Ihneba- ten an der Biggetalsperre. Die Bewoh- ches und der Bigge ab. Er besteht aus ner des Baugebietes atmeten auf, als einer Grobsteinschüttung und erhielt die Talsperre gestaut wurde; denn sie eine Oberflächendichtung aus dop- hatten immer das Gefühl, mitten auf peltem Asphaltbetonbelag. Als Siche- einer Baustelle zu wohnen. Mit einem rung dienen ein Kronensicherungs- lachenden und einem weinenden Auge bauwerk aus Stahlbeton und eine schauten sie am 4. November zu, wie Bremszone im Innern des Dammes. das Wasser zu steigen begann. Auf Der ganze Damm hat eine Länge von der einen Seite waren sie froh, dass es 640 m, eine Breite von durchschnittlich endlich soweit war, aber auf der ande- 220 m; die Kronenbreite beträgt 10 m, ren Seite mussten sie wohl immer dar- seine Höhe 52 m. Das Bauwerk fügt an denken, dass es ihre Heimat war, sich sehr gut in das gegebene Land- die dort in den Fluten versank.

13 neue Talsperren seit Kriegsende in Nordrhein-Westfalen 10 weitere im Bau oder geplant Vermehrte Anstrengung zur Wasserreinhaltung Ansprache von Ministerpräsident Dr. Meyers beim Einstau der Biggetalsperre am 4. November 1965,1 mitgeteilt von Karl-Hermann Ernst

"Für die Wasserwirtschaft im Lande vielen lang herbeigesehnte Zeitpunkt Nordrhein-Westfalen hat der heutige gekommen, an dem der Ruhrtalsper- Tag eine besondere Bedeutung; die renverein die Biggetalsperre, diese 58. Talsperre unseres Landes ist zum neue großartige Anlage der Wasser- ersten Einstau bereit. Damit ist der von bautechnik in unserem Lande, ihrer

1Presseerklärung der Landespresse- und Informationsstelle der Landesregierung Nordrhein- Westfalen; Düsseldorf, 3. November 1965

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Bestimmung zuführen kann. Dieser mit tung beizumessen; denn trotz jahre- 140 Millionen Kubikmeter Inhalt größte langer intensiver Arbeit auf diesem für Stauraum des Sauerlandes wird vom das Allgemeinwohl so wichtigen Ar- heutigen Tage an in die Kette der übri- beitsgebiet ist die Zahl der Wünsche gen Ruhrtalsperren eingeschaltet; er und Forderungen, die neu an die Was- wird in Zukunft wesentlich dazu beitra- serwirtschaft herangetragen werden, gen, daß auch in Trockenzeiten unge- noch nicht im Abklingen begriffen. wöhnlichen Ausmaßes dem rheinisch- westfälischen Industriegebiet genü- gend Trink- und Brauchwasser zur Dem für die Wasserwirtschaft unseres Verfügung gestellt werden kann. Landes im Jahre 1953 aufgestellten 10-Jahresplan und dem zur Zeit von 1963 bis 1967 laufenden 5-Jahresplan Das alles ist wahrlich heute Grund ge- werden daher mit Sicherheit weitere nug für alle, die an der Finanzierung, Pläne dieser Art folgen müssen. Diese der Planung und dem Bau dieser Tal- Planungen sollen der gesamten Was- sperre mitgewirkt haben, sich dieses serwirtschaftspolitik in Nordrhein- Erfolges zu freuen, aber auch Anlaß Westfalen auch in Zukunft für jeder- für alle, die aus diesem Werk Nutzen mann erkennbar Ziel und Rahmen ge- ziehen werden, - und das wiederum ben; dabei geht es ja nicht nur um die sind Millionen Bürger unseres Landes - Abstimmung des Bedarfs mit den den Ruhrtalsperrenverein zum Einstau technischen und finanziellen Möglich- der Bigge zu beglückwünschen. keiten seiner Verwirklichung, sondern zugleich um eine Harmonisierung der wasserwirtschaftlichen mit anderen Auch die Landesregierung nimmt an wichtigen und benachbarten Arbeits- diesem Ereignis herzlichen Anteil; gebieten: - mit dem landwirtschaftli- denn schon seit Jahren zählen die chen Wasserbau und dem Flußbau, wasserwirtschaftlichen Maßnahmen zu mit der Wasserversorgung, dem Tal- den Schwerpunkten unter den Aufga- sperrenbau, der Abwasserbeseitigung ben unserer Landespolitik. Daher gel- und -klärung. Gerade der Reinhaltung ten dem Ruhrtalsperrenverein auch des Wassers wird dabei in unserem meine und der Landesregierung herzli- dichtbesiedelten Industrieland ganz chen Wünsche zum heutigen Tag. besondere Bedeutung zukommen. Das bedeutet, daß Land, Gemeinden und Industrie durch den Bau von Klärwer- Noch mehr für Wassergewinnung und ken noch stärker als bisher zur Besei- Wasserklärung tigung der hygienischen Mißstände in unserem Gewässernetz beitragen Die Zahl der Einwohner im Gebiete müssen. des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich in den Letzten 70 Jahren fast ver- dreifacht. Die Zahl der Industriebetrie- Von täglich 1 auf 2 Millionen DM für die be hat sich ebenfalls in noch vor 20 Wasserwirtschaft in Nordrhein - West- Jahren unvorstellbarem Ausmaß ver- falen mehrt. Sie alle sind auf die Bereitstel- lung ausreichenden Trink- und In unserem Lande werden fast alle Gebrauchswassers angewiesen. Da- wasserwirtschaftlichen Aufgaben von her ist einer zeitgerechten Lösung der der Selbstverwaltung - von den Ge- wasserwirtschaftlichen Probleme in meinden und Landkreisen, den Was- unserem dicht besiedelten und hoch- ser- und Bodenverbänden und den industrialisierten Land größte Bedeu- sondergesetzlichen großen Verbänden

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- erfüllt. Das Land selbst beschränkt des Wasserhaushaltes, zur Verbesse- sich zwar formal weitgehend auf ge- rung der Wasserversorgung und zur wisse Funktionen des Lenkung, Lei- Reinhaltung der Gewässer erheblich tung und Aufsicht. Dennoch hat sich in verstärkt werden müßten. Unter den den letzten Jahren ergeben, daß die Aufgaben dieses neuen 5- umfassenden wasserwirtschaftlichen Jahresplanes habe ich damals auch Aufgaben einerseits nur mit entschei- den verstärkten Anschluß an zentrale dender finanzieller Unterstützung des Wasserversorungsanlagen, den Bau Landes zu lösen sind; zum anderen weiterer Talsperren, die Verbesserung hat sich mit von Jahr zu Jahr wach- des Hochwasserschutzes und die sender Deutlichkeit die Notwendigkeit Durchführung des Landeswasserge- ergeben, die wasserwirtschaftliche Ge- setzes genannt. samtplanung in allen ihren Bereichen für das Land Nordrhein-Westfalen zentral durchzuführen und durch die Der im Jahre 1963 in Kraft gesetzte 5- Bildung und Förderung von Schwer- Jahresplan für die Wasserwirtschaft punkten diese angestrebten Ziele zu strebt ein Bauvolumen von 3,7 Milliar- erreichen. den DM an. Er bedeutet gegenüber dem vorhergehenden 10-Jahresplan eine Verdoppelung des wasserwirt- Diesem Ziel diente zunächst der erste schaftlichen Bauvolumens von täglich Zehnjahresplan des Landes für die 1 Million DM auf täglich 2 Millionen Wasserwirtschaft mit einer Laufzeit von DM. 1954 bis 1963. Bereits in diesem was- serwirtschaftlichen Programm wurden an jedem Tag dieser 10 Jahre im 13 neue Talsperren gebaut - 10 weite- Schnitt 1 Million DM für den Ausbau re in Bau oder Planung der Wasserwirtschaft unseres Landes ausgegeben. Trotz der erheblichen Wichtige Teilziele des 5-Jahresplanes Intensivierung der wasserwirtschaftli- sind der Ausbau der gewässerkundli- chen Arbeiten, die mit diesem 10- chen Meßdienste des Landes als Vor- Jahresplan erreicht wurde, stieg jedoch aussetzung für eine Reihe wichtiger die Zahl der wasserwirtschaftlichen wasserwirtschaftlicher Maßnahmen, Bauwünsche in Stadt und Land die Instandsetzung und Instandhaltung sprunghaft an. Durch den Bau neuer der rund 75 000 Kilometer Wasserläufe Städte, Dörfer und Siedlungen, die Er- des Landes sowie der Ausbau von Be- richtung neuer Industriezweige und und Entwässerungsanlagen, der Aus- den stärkeren Bedarf der Landwirt- bau von leistungsfähigen, meist länd- schaft an Wasser wurde der erste lichen zentralen Wasserversorgungs- wasserwirtschaftliche 10-Jahresplan anlagen für jährlich rund 300 000 Ein- noch während seiner Laufzeit praktisch wohner und nicht zuletzt die Verdoppe- durch die Notwendigkeit zu neuen und lung des vorhandenen Talsperrenrau- verstärkten Planungen und Investitio- mes auf rund 1 Milliarde Kubikmeter nen "überrollt". Stauinhalt.

Meine Regierungserklärung vor dem Fertiggestellt sind seit Kriegsende 13 Landtag am 26. Juli 1962 enthielt da- Talsperren mit 399 Millionen Kubikme- her bereits die Ankündigung, daß dem ter Inhalt an Verse, Genkel, Perlbach, auslaufenden 10-Jahresplan ein weite- Breitenbach, Wahnbach, Henne, Olef, rer 5-Jahresplan folgen werde, in dem Schwammenauel, Dhünn und Bigge die Anstrengungen zur Gesundung

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sowie die 3 Stauseen Kettwig, Os- berghausen und Beyenburg. Zweck Projekte für 5,3 Milliarden DM in Arbeit dieser Talsperren ist vornehmlich die Wasserversorgung, der Hochwasser- Die Größenordnung dieser Aufgaben schutz, die Anreicherung des Niedrig- aber zeigt sich nicht zuletzt auch in der wassers und die Krafterzeugung. Tatsache, daß zur Zeit 2 906 wasser- wirtschaftliche Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von rund 5,3 Milliar- Im Bau sind zur Zeit zwei weitere Tal- den DM in der Durchführung begriffen sperren an der Wupper und der Ober- sind. nau im Siegerland; in der Planung sind Nordrhein-Westfalen kann damit von weitere 8 Talsperren begriffen, von sich sagen, daß es in den vergange- denen 3 im Wiehltal, an der Aa im nen Jahren alle seine Kräfte ange- Kreise Büren und die Wehebachsperre spannt hat, um den großen wasser- im Kreise Düren bereits konkrete For- wirtschaftlichen Aufgaben der Gegen- men angenommen haben. wart und der übersehbaren Zukunft gerecht zu werden.

Jedes Jahr neue Kläranlagen für rd. 1,2 Mio. Menschen In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch dankbar hervorheben, daß Endlich muß aber auch die Ver- der Landtag unseres Landes den was- schmutzungskarte der Wasserläufe serwirtschaftlichen Arbeiten größtes durch eine Vielzahl neuer Kläranlagen Interesse entgegenbringt. Es hat Jahr aufgelichtet werden. Jährlich sollen für Jahr meinen Vorschlägen entspre- 375 000 Einwohner neu an mechani- chend erhebliche Mittel zur Förderung sche Kläranlagen und 800 000 an me- wasserwirtschaftlicher Maßnahmen zur chanisch-biologische Kläranlagen an- Verfügung gestellt. Am 10. Juli 1956 geschlossen werden, so daß Ende hat er das "Gesetz zur Finanzierung 1967 die Abwässer, die von rund 50 % des Baues der Biggetalsperre" ein- unserer Einwohner verursacht werden, stimmig beschlossen, ein Gesetz, das als befriedigend geklärt betrachtet in seiner Art als einmalig zu bezeich- werden können. Solche Großkläranla- nen ist und an dem auch der Wasser- gen sind vor allem für den Rhein vor- wirtschaftsausschuß des Parlaments gesehen, und zwar in Duisburg, Düs- mit großer Aufgeschlossenheit für die seldorf, Köln, Leverkusen und Krefeld. wasserwirtschaftlichen Fragen dieses Raumes mitgearbeitet hat.

Darüber hinaus baut die Emscherge- nossenschaft zur Zeit an der größten Dieses Gesetz bot die Voraussetzun- biologischen Kläranlage des Konti- gen für die Inangriffnahme dieses nents für die Durchleitung der gesam- Großvorhabens und hat an der Sicher- ten Emscher mit einem Kostenaufwand stellung seiner Finanzierung entschei- von rund 130 Mio. DM. Wenn diese denden Anteil. Es ist mir daher eine Anlage vollendet ist, wird Nordrhein- gern geübte Pflicht, dem Landtag die- Westfalen nicht nur die größte Talsper- ses Landes und vor allem den Mitglie- re des Bundesgebietes - den Stausee dern dieses Ausschusses für Wasser- Schwammenauel -, sondern auch die wirtschaft den Dank für dieses Gesetz größte biologische Kläranlage des zum Ausdruck zu bringen. Bundesgebietes haben.

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Auch für Erholung und Landschaft sprechen, das sie der Gemeinschaft gebracht haben. Herr Baudirektor Dr. Koenig hat bereits eingehende Ausführungen über die Biggeplanung und die vielfältigen Auf- Zugleich hoffe ich, daß sie in den neu- gaben des nun vor uns liegenden en Heimstätten, die sie in der Nähe der Stauraumes gemacht. Ich möchte un- alten gefunden haben, bald Wurzeln terstreichen und gleichzeitig für alle schlagen, zugleich aber die Liebe zu wasserwirtschaftlichen Anlagen hinzu- diesem schönen Land weiter in ihrem fügen, daß es heute nicht mehr ge- Herzen bewahren werden. Daß es ge- nügt, mit der Errichtung eines solchen lungen ist, die schwere Aufgabe einer Großprojektes nur wasserwirtschaftli- Umsiedlung von so großem Umfange che Ziele - so vielfältig und wichtig sie unter großzügiger Befriedigung aller auch sein mögen - zu verfolgen und gerechtfertigten Einzelwünsche zu er- nur die mit dem Bau selbst verbunde- füllen, und dabei zugleich den Erfor- nen nachteiligen Auswirkungen aus- dernissen der Landesplanung und des zugleichen. modernen Bauens Genüge zu tun, wird, wie ich hoffe, ein gutes Unter- pfand für die Zukunft dieses Tales Weit mehr als früher muß heute auch sein. der angrenzenden Landschaft sorg- same Pflege zukommen. Darüber hin- aus muß dem berechtigten Verlangen ... und an die Erbauer der Biggetal- der Menschen der Ruhrgroßstädte sperre Rechnung getragen werden, draußen in der Natur, im Bereiche von Wasser Ich danke dem Ruhrtalsperrenverein, und Wald, Erholung zu suchen. Die insbesondere den Herren Bergas- erfolgreichen Bemühungen des Ruhr- sessor Maiweg und Geschäftsführer talsperrenverein und der Biggegesell- Dr. König für den mutigen Entschluß, schaft, einvernehmlich mit den zustän- diese Großplanung an der Bigge auf- digen Dienststellen des Landes und zugreifen und zum guten Ende zu der Landesplanung im Bereich dieser bringen. Mein Dank und meine Aner- Sperre Vorbildliches auf dem Gebiete kennung gelten vor allem der Verant- der Erholung und der Landschaftspfle- wortungsfreude und Initiative, mit der ge zu schaffen, verdienen daher in Sie und alle Ihre Mitarbeiter die viel- dieser Stunde volle Anerkennung. fältigen und oft ernsten Schwierigkei- Das Werk ist nun vollendet, die Haupt- ten, die sich ihnen entgegenstellten, arbeit geschafft. überwunden haben. Ihnen, Herr Dr. König, sage ich insbesondere herzli- chen Dank für die Bewältigung der um- Dank an umgesiedelte Bürger... fangreichen Planungs- und Ausfüh- rungsarbeiten. Schon beim Rundblick In wenigen Wochen wird die Bigge den von diesem Absperrdamm aus wird neuen Talsperrenraum und damit die anschaulich, welch großes Maß an Orte überfluten, die bisher für viele schöpferischer Gestaltungsarbeit bis Menschen ihre Heimat waren. Ich zur heutigen Stunde geleistet werden möchte daher auch an dieser Stelle mußte. Ich bitte Sie, meinen Dank allen Mitbürgern, die aus diesem, ih- auch allen Ihren Mitarbeitern weiterzu- nen seit Jahren und Jahrzehnten lieb- leiten. gewordenen Tal scheiden mußten, den herzlichen Dank für das Opfer aus-

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Lassen Sie mich aber auch an dieser Stelle in dankbarer Erinnerung Ihres Daß der Bau dieser Talsperre 9 To- verstorbenen Amtsvorgängers, des desopfer gefordert hat, erfüllt uns alle Geschäftsführers der Ruhrverbände in dieser Stunde mit Trauer und herzli- Marinebaurat Dr. Prüß, gedenken, der chem Mitgefühl für ihre Hinterbliebe- als hervorragender Wasserfachmann nen. Wir alle wollen nie vergessen, die Grundlagen dieser Biggeplanung daß diese 9 Männer ihr höchstes Gut, maßgebend mißgestaltet hat. Seiner ihr Leben, für dieses Werk eingesetzt Vorarbeit und Initiative, seinen immer und damit einen Anspruch auf das eh- wieder liebenswürdig und zäh vorge- rende Gedenken aller erworben ha- brachten: "ceterum censeo" zu Guns- ben, denen diese Talsperre dient und ten der Biggetalsperre ist es mit zu nützt. Zugleich gelten unsere Gedan- danken, daß wir heute diesen Einwei- ken und guten Wünsche auch denen, hungstag begehen können. die durch Unfälle auf der Baustelle be- troffen wurden.

In vielen Verhandlungen mit dem ver- storbenen Landrat Schrage, dem das Ein so großes Werk wie die Biggetal- Wohl der ihm anvertrauten Bürger und sperre stellt nicht nur höchste Anforde- die Erhaltung der landschaftlichen rungen an die Wasserbaukunst. Fast Schönheit seines Kreises besonders sämtliche Sparten des Bauwesens - am Herzen lag, wurde der Weg für das ich nenne besonders den Wohnungs- große Werk gefunden und beschritten. bau, Straßenbau, Brückenbau, Eisen- bahnbau, Stollen- und Tunnelbau - haben zum guten Gelingen der Arbei- Aber auch Ihre verantwortungsbewuß- ten beigetragen. Allen Dienststellen te und bereitwillige Mitarbeit, Herr des Bundes, des Landes, der Gemein- Landrat Metten und Herr Oberkreisdi- den und Selbstverwaltungskörper- rektor Zimmermann, stellt einen we- schaften sowie den privaten Vereini- sentlichen Beitrag zum Ziel des Ein- gungen aller Art, die in zum Teil sehr baues dieser großen Talsperre in Ih- mühevoller Teamarbeit das Werk zur rem Landkreis Olpe und seine Land- Reife brachten, ein herzliches Dan- schaft dar. keswort zu sagen, ist mir heute ein besonderes Bedürfnis.

Nicht zuletzt aber möchte ich auch den Nun werden sich die Schütze des Baufirmen und allen ihren Mitarbeitern Grundablasses schließen; die Sperre danken, die hier draußen auf den Bau- wird sich mit dem klaren Wasser der stellen in Wind und Wetter Bauwerke Bigge füllen. geschaffen haben, deren architektoni- sche Schönheit Bewunderung ver- Möge sich dieses Werk bewähren im dient. Dienst für unser Land!

Gedenken an 9 Todesopfer Biggetalsperre "Glückauf"!

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Grottenrausch von Ludwig Korte

In der Zeit um 1900 wurde in Attendorn Attendornern jene besonders sehens- ganz gezielt nach Tropfsteinhöhlen werte Tropfsteinhöhle im Stürzenberg, gesucht; diese vermutete man auf die den Ort binnen kurzem wieder so Grund von Tropfsteinfunden in kleine- bekannt machte, wie er wohl zur Han- ren Felslöchern, die ab und zu bei Ar- sezeit einmal war. beiten im Kalkgestein zu Tage traten. Eine große Höhle mit reichem Sinter- Die Herrichtung dieses Naturwunders schmuck sollte dem Städtchen eine zur Schauhöhle machte umfangreiche lukrative Sehenswürdigkeit bescheren. unterirdische Wegebauarbeiten not- 1 wendig. Es mussten störende Stalag- miten und Stalaktiten den Weg frei ge- Zu dieser Zeit wurde am oberen Him- ben. Diese Stücke waren es wohl, wel- melsberg eine Höhle mit üppigem Sin- che den Freunden und Bekannten des terschmuck geöffnet, die jedoch ob Eigners für die Gestaltung ihres Gar- ihres gefahrvollen Abstiegs bald wieder tens überlassen wurden. Es wuchsen mit Unmengen von Straßenschotter dort bald mannshohe oder auch halb- verschlossen wurde. Sie geriet bald in hohe gemauerte Rondelle empor, die Vergessenheit, wurde dann 1974 als als Paravents oder als romantische "Kirschhollenloch" von neuem aufge- und gemütliche Eckchen zum Verwei- funden. len einluden. Mauerkrone und Mauer- stirn waren mit schlanken oder kurzen 1907 aber bescherte das Glück den Tropfsteinen verziert (siehe Abbil-

Attendorner Tropfsteingrotte – Ansatz zum Lustgarten. Zeichnung: Ludwig Korte, 2001

dung). Man pflanzte auch Efeu daran an und legte so noch etwas Romantik 1 Brunabend-Pickert-Boos: Attendorn. 2. Auf- nach. lage, Münster 1958; S. 213

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Dem Grottentrend wurde auch in den Gaststätten gehuldigt, wie es ein Inserat vom "KU- CKEL" am Kleinen Markt zeigt, das 1910 erschien. Man holte sich Cavernenstimmung an die Theke. 2

In dem frühen St. Barbara-Hospital vor Lourdesgrotte errichtet als Ort der Stil- dem Wassertor versahen Barmherzige le und Einkehr. Auch hier wurden Schwestern (Vinzentinerinnen) ihren schlanke Steinzapfen als Zierde ver- Dienst. Für sie wurde hinter den Hospi- wendet. Kurz vor dem großen Höhlen- talgärten am Biggefluss, nicht weit vom fund war 1906 der letzte Anbau am Attendorner Bahnhof entfernt, eine Spital vollendet worden.

Lourdesgrotte am Hospital. Zeichnung: Ludwig Korte

2 Inserat von 1910 im Festheft "25 Jahre Freiw. Feuerwehr Attendorn"

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Rund zwei Jahrzehn- te später, im Jahr 1929, öffnete das neue St. Barbara- Hospital an der Han- sastraße seine Pfor- ten, und auch dort übernahmen die Vin- zentinerinnen die Krankenpflege. Un- weit des Hauses wurde auch hier in den Anlagen eine kleine Andachtsstätte mit Lourdes - Ma- donna errichtet. Ein Fotovergleich zeigt, dass hier die schlan- ken Tropfsteinsäulen Grotte am Krankenhaus. Foto: Ludwig Korte aus der Biggegrotte wieder verwendet wurden. Tropfstein, auch Kalksinter genannt, leidet im Freien unter den Einflüssen der Witte- rung. Frost sprengt den porösen und damit feuchten Stein, und er wird rissig und un- ansehnlich. Als 1975 das Krankenhaus unter dem Wolfsstein erweitert wurde, ist die- se fromme Anlage wohl abgebaut worden.

Ein letzter Zeuge der Grottenära verschwand im Juni 1999 aus einem Gärtchen am Nordwall. Die niedrige halbrunde Mauer war hier mit Efeu überwachsen, ein idylli- sches Eckchen in einer geschäftigen Stadt. So ist der Nordwall nun und mit ihm At- tendorn fortan ein wenig nüchterner.

Gartenidylle am Nordwall. Foto: Ludwig Korte

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Konzept für das Südsauerlandmuseum in Attendorn von Monika Löcken

Das ehemalige Kreisheimatmuseum, Diese Konzentration auf spezielle Teile das im Jahre 1996 in „Südsauerland- der Kulturgeschichte ist ein Trend, der museum für Kunst- und Kulturge- sich auch in der überregionalen Muse- schichte für den Kreis Olpe in Atten- umslandschaft wieder finden lässt und dorn“ umbenannt wurde, ist nicht nur der mit dem Begriff des Museumspro- das älteste Museum des Kreises, son- fils umschrieben wird. Das Herausar- dern es vertrat für fast 20 Jahre allein beiten eines Museumsprofils stellt aber die hiesige Museumslandschaft. nicht nur ein theoretisches Gedanken- spiel der wissenschaftlichen Muse- Ausgehend von der jahrzehntelangen umskunde dar, sondern bietet den In- und kontinuierlichen Sammlungs- stitutionen vor Ort unübersehbare Vor- tradition ist dem Museum hinsichtlich teile, denn Konkurrenzen werden ab- der Qualität des Exponatbestandes, gebaut, Synergieeffekte und Koopera- der sakrale Kunst, Attendorner Stadt- tionen werden möglich. geschichte, altes Handwerk, das Zinn- figurenkabinett, Jagd im Sauerland, Geologie sowie Vor- und Früh- Der Exponatbestand geschichte umfasst, eine konkurrenz- lose Stellung im Kreis erwachsen. Der Der Attendorner Exponatbestand geht Name Südsauerlandmuseum für auf eine hundertjährige, kaum unter- Kunst- und Kulturgeschichte für den brochene Sammlungstätigkeit zurück. Kreis Olpe in Attendorn war bislang Beginnend mit dem 1. Jan.1898 wur- das Programm, das die Sammlungstä- den kontinuierlich Gegenstände ge- tigkeit prägte und das überregionale sammelt, die sich auf die Stadt und Selbstverständnis anmeldete. den Umkreis bezogen.

Die Museumslandschaft im Kreis ge- Verluste durch den Zweiten Weltkrieg wann erst in den frühen 1980er Jahren wurden durch verstärkte Sammlungs- weitere Konturen, als man auch an bemühungen in den 1950er und anderen Orten mit dem Zusammentra- 1960er Jahren kompensiert. gen von historischem Kulturgut be- gann. Eine erste Museumseröffnung Der Bestand besteht aus ca. 5000 in- fand in der ersten Hälfte der 1990er ventarisierten Exponaten plus einer Jahre in Grevenbrück statt. paläontologischen Sammlung und ei- ner umfangreichen Münzsammlung. Er Schon damals wurde die Idee einer umfasst Funde aus den Erdzeitaltern regionalen Museumslandschaft des Devon und Quartär, Steinzeitliche Kreises Olpe entwickelt. Durch die Mu- Werkzeuge der Alt-, Mittel-, Jungstein- seumsgründungen in Grevenbrück und zeit. Aus dem Hochmittelalter sind später in gewann sie an Ge- Rennofenrelikte, Grabungsfunde aus stalt. Dabei wurden jedem der drei Mu- dem Attendorner Dom, Münzen, Ke- seen jeweils unterschiedliche Sparten ramiken, Siegel und Wappen sowie der historischen Kulturgeschichte zu- liturgische Geräte vorhanden. Die Zeit gewiesen. ab dem 16. Jh. bis zur Jetztzeit um- fasst Sachgut (bäuerlich, berufsstän- disch), Textilien (vor allem Paramente),

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Gläser, Waffen, Keramiken und eine 11. Westfälisches Zinnfigurenkabinett umfangreiche historische Bibliothek, die von den ersten Drucken des 16. Beim Aufbau der Sammlung ließen Jh‘s. über einen Originalbestand von sich die verschiedenen Entscheidungs- 12 Rivius Werken bis hin zu prächtigen träger zwar von persönlichen Ideen Erstausgaben des 19. und 20. Jh. und wissenschaftlichen Schwerpunk- reicht. ten leiten, doch ist deutlich, dass über- regionale Phänomene in ihrer Wirkung Ein Schwerpunkt findet sich in der Ba- auf die Geschichte der Stadt Atten- rockzeit, die durch liturgische Geräte, dorns und ihres Umlandes durch die kirchliche Kunst und Münzen sehr Exponate abgebildet werden sollten. hochwertig dokumentiert ist. Dies trifft auf alle Punkte außer auf die Nummern 6, 10 und 11 zu, die in sich Der Bereich der profanen darstellen- einen abgeschlossenen Sammlungs- den Kunst umfasst Gemälde, Zeich- schwerpunkt bilden. nungen und Drucke des 19 und 20. Jh. der regionalen Kunstproduktion. Die Museumsidee Ein ganz eigener Sammlungsteil ist das Westfälische Zinnfigurenkabinett. Bei der Neukonzeption dieser musea- len Dauerausstellung im Jahre 2005 Ausgehend vom Sammlungsbestand sind an das Museum aktuelle Fragen soll die Dauerausstellung des Südsau- zu stellen. erlandmuseums die folgenden Ober- Zum Beispiel ist zu fragen: themen aufgreifen: - Welche Rolle spielt ein Museum heute in der Gesellschaft, der 1. Museales und privates Sammeln Stadt, der Region?

2. Landesgeschichte von 1180 bis - Welche Rollen werden der Insti- 1818, tution in der Zukunft zuwach- sen? 3. Adel in Südwestfalen (Lennejun- ker), - Wie werden zukünftige Museen aussehen? 4. Landleben im 17-18. Jh. (Gut Vas- bach), - Welche Aufgaben werden sie in der Zukunft wahrnehmen? 5. Volksglauben und Magie Wir leben in einer Zeit der Verände- 6. Stadtgeschichte von Attendorn rung. Unsere Gesellschaft ändert sich. 1220- 1914, Neue Fragestellungen tauchen auch in einer Stadt jenseits der Ballungszent- 7. Kontakte in die Welt ( Hanse, Han- ren auf. del, Pilger) Neue Bedürfnisse und Forderungen 8. Klöster der städtischen Gesellschaft werden auch an die Museen herangetragen, 9. Kirchenschätze die diese städtischen Gesellschaften abbilden. 10. Vorgeschichte

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Deshalb soll auch gefragt werden: nalen Kontakte nicht denkbar. Dies gilt Stadtmuseum und/oder Regionalmu- ebenso für die Klosterkultur und die seum – wofür und für wen? 1 Kirchenschätze, die auf Ideenge- schichte und Herstellungsräume weit Ein Ansatz zur Beantwortung dieser über Westfalen hinaus verweisen. Fragen soll in Attendorn in einer spe- ziellen Museumsidee versucht werden. Eine tragende Museumsidee findet sich also in der Beschreibung der Es soll gezeigt werden, dass die Kommunikation einer kleinen Stadt mit Kulturen und die Gesellschaften ei- der Welt. ner Stadt oder Region das Ergebnis interaktiver Prozesse sind, die dy- namisch und widersprüchlich sind Die Umsetzung und die auf Eigenart und Fremdheit beruhen. 2 Moderne Museumsdefinitionen beto- nen auch den Freizeitwert eines Mu- Im Bereich der Landesgeschichte sind seums, das sich als ein attraktiver dem gemäß die Auswirkungen der Freizeit- und Lernort versteht. erzbischöflichen Territorialpolitik auf die Stadt zu beschreiben oder die Ein- Das heißt aber auch, dass Museen wirkungen des 30 Jahre andauernden heute mit anderen Freizeiteinrichtun- europäischen Krieges zwischen 1618 gen konkurrieren müssen. In Bezug und 1648 auf die Attendorner Region. auf die räumliche Situation sind hier Das Thema Lennejunker gewinnt vor zum Beispiel der Panorama-Park in dem Hintergrund der westfälischen , das "Phantasia-Land" in adeligen Familien und auch die Grün- Brühl, "Movie-World" in Bottrop oder dung der Stadt selber wurde von Fak- das Gasometer in Oberhausen zu toren bestimmt, die von Köln aus be- nennen. stimmt wurden. Das heißt, dass Besucher heute ein Besonders auffällig wird die Struktur Museum mit den Standards anderer von äußeren Faktoren, die die Atten- Freizeiteinrichtungen vergleichen, ihre dorner Entwicklung beeinflussten im Wünsche sind dementsprechend hoch Bereich, der die Kontakte in die Welt angesiedelt. beschreibt. Noch heute ist das Selbst- verständnis Attendorns das einer So tragen sie die folgenden Erwartun- (wenn auch kleinen) Hansestadt. Han- gen an ein Museum heran: del und Gewerbe wurde noch lange Besucher wollen im Museum ihre Frei- von diesen hochmittelalterlichen Orga- zeit sinnvoll gestalten. Sie erwarten nisationsstrukturen bestimmt. eine abgestimmte Organisations- und Infrastruktur, die es ihnen leicht macht Das Thema Pilger - Attendorn liegt an das Museum bequem zu erreichen, einer der bedeutendsten Pilgerstraßen sich in ihm zu orientieren, sich gut zu Deutschlands - ist ohne die überregio- unterhalten und sich sinnvoll zu unter- halten. 1 Silier, Orhan: Wozu brauchen wir ein Stadt- museum?, in Museumskunde, Hg Deutscher Um diesen Ansprüchen gerecht wer- Museumsbund, Bd 62, Hf 1, 1997, S. 37 ff. den zu können, wurde der Begriff der 2 Martí, Antoni Nicolau: Historische Museen "Marketing gestützten Besucherorien- und das Problem der sprachlichen und kultu- tierung" geschaffen. Das heißt, es soll- rellen Identität, in: Museumskunde, Bd 62/ 1, te ein Andenken-Shop vorhanden sein; 1997, S

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es sollten besucherfreundliche Öff- Direkt an das Foyer anschlie- nungszeiten und ein einladendes Mu- ßend und von außen durch die seumsgebäude geboten werden. großen Bogenfenster einsehbar, wird sie die Besucher einladen, Ein schlüssiges Museumskonzept, das das Museum zu betreten. Ge- sich aus der wissenschaftlichen Aus- zeigt werden könnte hier ein einandersetzung mit der Sammlung Ausstellungsprogramm, in dem und den Museumsthemen entwickelt sich lokale Themen mit ange- vermittelt neue Erkenntnisse, die durch kauften Ausstellungen abwech- kompetente Führungen für Erwachse- seln. Das heißt aber auch, dass ne und Kinder vertieft werden. hier permanent eine Wechsel- Besucher sind auf der Suche nach Er- ausstellung zu sehen sein lebnisorientiertheit, die durch Son- muss. derausstellungen, Sonderveranstal- tungen befriedigt werden können. Die 2. Im Dachgeschoss wird es eine Themenstellung des Museums und der Vitrinen- und Kabinettausstat- Dauer- oder Wechselausstellungen tung ermöglichen, privaten können mit Hilfe von Begleitpublikatio- Sammlern oder geschlossenen nen vertieft werden. Sammlungen Ausstellungsflä- che zu bieten. Von der Kera- Kindgerechte Museumsspiele und der miksammlung der Attendorner Einsatz zeitgemäßer Medien sind wei- Heimatforscher bis hin zu der tere Möglichkeiten das Angebot abzu- hochkarätigen Spielzeugsamm- runden. lung soll hier in Wechseln von ca. ½ bis 1 Jahr alles möglich sein. Das Raumkonzept Das Südsauerlandmuseum wird das Im Südsauerlandmuseum werden das folgende Raumkonzept haben: Zwischengeschoss, das erste Oberge- x Alle Geschosse, vom Keller bis schoss und das erste Dachgeschoss zum Dachboden, werden durch die Dauerausstellung aufnehmen. ein Außentreppenhaus und ei- nen daneben befindlichen Per- Darüber hinaus soll ein hohes Maß an sonen- und Lastenaufzug ver- Flexibilität erreicht werden. Eine einmal bunden. eingerichtete Dauerausstellung nutzt x Das innenliegende Treppen- sich mit der Zeit ab. Regelmäßige Mu- haus wird zum 2. Fluchtweg. seumsbesucher haben schnell das x Das Dachgeschoss wird über Gefühl alles schon gesehen zu haben. die gesamte Länge des Gebäu- des in der Art einer Galerie er- Deshalb sollen Wechselausstellungen weitert, so dass sich zusammen sowie jährlich oder zweijährig wech- mit dem Keller 5 Geschosse selnde Ausstellungseinheiten im Be- und ein Zwischengeschoss er- reich des Themas „Sammlungen“ das geben. Interesse wach halten. Deshalb wird x Der Museumsrundgang ist so die Dauerausstellung von zwei unter- ausgelegt, dass die Besucher schiedlich ausgelegten Wechselaus- die Ebenen durch den Aufzug stellungsbereichen begleitet. oder das Außentreppenhaus be- treten und wieder verlassen. Sie 1. Das Erdgeschoss wird zum können dabei entweder im Wechselausstellungsbereich. Dachgeschoss oder im Zwi-

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schengeschoss beginnen und sich dementsprechend hinauf 1. OG: Stadtgeschichte, Kontakte in oder hinunter bewegen. die Welt, Kloster, Kirchen- kunst Die Geschosse werden die folgenden Funktionen und Themen aufnehmen: 1. DG: Landesgeschichte, Adel im Lenne- und Biggeraum, Keller: Magazin, Kataloglager, Kli- Gutshof Vasbach, Volksreli- matechnik, Heizung, Werk- giösität, Wunder und Magie, statt, Toilettenanlage. Basis des Aufzugschachtes. Das 2. DG: Thema : Sammeln Gebäude ist teilunterkellert.

EG: Foyer, Shop, Wechselaus- Jedem Thema wird eine Person zuge- stellungsfläche, Westfäli- ordnet, die das Geschehen aus ihrer sches Zinnfigurenkabinett Sicht kommentiert und deren Lebens- welt inszeniert wird. Hier bieten sich Zwischengeschoss: Ausbaumöglichkeiten, die Info-Blätter, Paläontologische Samm- Videofilme oder Audio-Texte umfas- lung, Ur- und Frühgeschich- sen. te

Durch die Verglasung der Arkaden wird neuer Ausstellungsraum geschaffen, das Erdgeschoss damit zum Wechselausstellungsbereich erweitert.

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Der Rosenkranz mit schwarzer Hand Überlegung zur religiösen Volksfrömmigkeit von Peter Höffer

Im Südsauerlandmuseum befindet sich ger, die entsprechende Familie oder eine große Anzahl wertvoller Rosen- ein entsprechendes Haus übertragen. kränze. Herausragend dabei ein Ro- senkranz aus roten, facettierten Glas- Als Beispiel finden wir im Südsauer- perlen aus dem 18./19. Jahrhundert. landmuseum bedruckte Briefamulette Neben dem silberfiligranen Credokreuz aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. und einem eben solchen Marienan- Im 17. Jahrhundert wurden bedruckte hänger ist eine etwa 1 cm lange, aus Papiere in Massen als Berührungsreli- Holz gefertigte, schwarze Hand zu se- quien vertrieben. hen. Auch die Hand der Mutter Marias, die sogenannte Anna-Hand, fand als mini- Die Bedeutung der kleinen schwarzen aturhafte Nachbildung der im Besitz Hand scheint nicht eindeutig zu sein. der Jesuiten von St. Anna befindlichen Soll es sich hier um eine Anna-Hand Reliquie Verbreitung. handeln? Oder ist sie als Votivgabe oder als ständige Erinnerung, etwa an ein Gebetsversprechen anzuse- Über die sogenannte Anna-Hand heißt hen? Ist die kleine schwarze Hand viel- es in einem Ausstellungskatalog1: leicht Sinnbild für die verdorrte Hand Salomes ? Die aus dunkelbraunem oder schwar- zem Wachs modellierten Nachbildun- gen einer mumifizierten schwarzen Die Reliquienverehrung ist schon seit Hand, die als rechte Hand der Mutter dem 4. Jahrhundert bekannt. Teile von Mariens (Anna) galt, tauchen nach verstorbenen Heiligen, Stücke aus 1743 in österreichischen und bayri- Holz, Metall, Stoff und anderen Materi- schen Wallfahrtsorten auf. Die Ge- alien, welche in direktem Zusammen- schichte der Reliquie selbst begann in hang mit dem zu verehrenden Heiligen Konstantinopel, das bereits unter Justi- stehen, werden in christlichen - katho- tian im 6. Jahrhundert ein Zentrum der lischen - Gemeinden hoch verehrt. Anna Verehrung war. Dort betrieben So kennen wir das Holz aus dem wah- versierte Vermittler im späten 17. Jahr- ren Kreuz Christi, den heiligen Rock hundert rege Geschäfte mit Reliquien. oder zum Beispiel die Gebeine der hei- Im Jahr 1678 erwarb das Haus Habs- ligen drei Könige im Dom zu Köln. burg in der Stadt am Bosporus eine langgliedrige Hand, die der orientali- sche Kurier nach Wien brachte. 1743 Um die Reliquienverehrung weit zu gelangte sie in den Besitz der Jesuiten streuen bediente man sich oftmals der von St. Anna, die sich die Föderung Berührungs- oder Anrührungsreliquien. des Anna-Kultes zur Aufgabe gemacht Hier wurden Nachbildungen, Teile aus hatten. Holz, Metall, Stoff oder bedruckte Pa-

piere an Reliquien angerührt. Die 1 schützende Wirkung sollte sich somit Reliquien, Verehrung und Verklärung. Skiz- zen und Noten zur Thematik und Katalog zur von der Reliquie über die Berührungs- Ausstellung der Kölner Sammlung Louis Pe- reliquie auf den entsprechenden Trä- ters im Schnüttgen-Museum, Köln 1989, S. 160

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Die Hand am Rosenkranz könnte aber Silber, welche an Rosenkränzen als auch eine Votivgabe sein. Sie könnte sogenannte Feigen angebracht wa- entweder selbst Votivgabe sein oder ren4 . Gemeint war damit ursprünglich an eine solche erinnern. Es gibt unzäh- ein mit der Faust ausgeführter Spott- lige Beispiele nach nachgebildeten gestus, bei dem der Daumen zwischen Gliedmaßen, Wickelkindern, brennen- Zeige- und Mittelfinger gesteckt wird. den Herzen usw. aus Wachs, Silber - Diese Geste sollte ursprünglich das siehe Vitrine im Südsauerlandmuseum Unheil, wie zum Beispiel den bösen - oder aus Holz. Blick, abwehren. Daher wurde die "Fei- ge" auch als Amulett gebraucht. Oder soll die kleine schwarze Hand ein Gebetsversprechen sein? Als ständige So hat die kleine schwarze Hand auch Erinnerung an eine Situation, in der bestimmt nichts mit der "Schwarzen man bei erhofftem Flehen in einer aus- Hand von Bödefeld" zu tun, denn diese sichtslosen Situation der Gottesmutter wird wie eine vergleichbare Hand im ein zusätzliches Gebet oder ein an- Rathaus zu Münster als Gerichtshand derweitiges Dankeschön versprochen (Beweis eines vollstreckten Urteils) hat? Gelöbnisse wie Brand- und Pest- anzusehen sein. prozession, aber auch das Aufstellen von Kerzen vor Heiligenfiguren wie Eine kleine schwarze Hand an einem zum Beispiel in Waldenburg sind hier Rosenkranz im Südsauerlandmuseum. als Beispiele anzusehen. Wie viele Exponate, so wirft auch die- ses kleine Stück viele Fragen auf. Die kleine schwarze Hand könnte auch als Sinnbild für die verdorrte Hand Sa- Zur schwarzen Hand gibt es sicherlich lomes gelten. Salome (Salomone, Sal- noch weitere Erklärungsmöglichkeiten. omas, Maria Salome) ist die im Prote- Der VOH ist für weitere Anregungen vangelium des Jakobus2 in den Kapi- oder Erklärungen dankbar. teln 19 und 20 bezeugte Hebamme Salome, die Marias unbefleckte Emp- Der Verfasser dankt Frau Dr. Elisabeth fängnis bezweifelte. Der Legende nach Peters und Frau Dorothea Wand für vollzog sich an Salome das erste ihre Unterstützung! Wunder Christi. Als Strafe für den Zweifel an der Virginität Mariens ver- dorrte ihre rechte Hand. Ein Engel riet ihr, das Jesuskind zu berühren, wo- durch sie geheilt wurde.3

Die in Attendorn befindliche Hand ge- hört sicherlich nicht in die Reihe der kleinen Miniaturhände aus Holz oder

2 Das Protevangelium des Jakobus gehört zu den Apokryphen Schriften und wurde etwa in Rosenkranz mit schwarzer Hand. Foto: der Mitte des 2. Jh. abgefasst. Es schildert die Karl-Hermann Ernst Vorgeschichte von der Geburt und Erziehung Marias und verkörpert die Anfänge der Marien- verehrung in besonders eindrücklicher Weise. 3 nachzulesen in: Braunfels, Wolfgang; Lexikon 4 vgl. Brauneck, Manfred; Religiöse Volks- der christlichen Ikonographie, Freiburg 1976, kunst. Votivgaben, Andachtsbilder, Hinterglas, Band 8, Seite 306 unter dem Stichwort Salo- Rosenkranz, Amulette. Köln 1978, Farbtafel me. 35, Abb. 101 usw.

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Ennester Straße 3 und 5 von Birgit C. Haberhauer-Kuschel

Zwei der Häuser, die unser Stadtbild Im ersten Band der Ratsverhandlun- seit dem letzten Stadtbrand nachhaltig gen 1783-18082 findet sich die Liste geprägt hatten, sind abgerissen und jener Häuser und Gebäude, welche durch Neubauten ersetzt worden. beim großen Stadtbrand von 1783 Während das Haus Ennester Straße 3 ganz oder teilweise vernichtet wurden. in seinen Außenmauern unter Denk- Dort sind auch die Häuser der En- malschutz gestellt worden war, be- nester Straße 3 und 5 aufgeführt: stand für das Haus Nr. 5 dieser Schutz nicht. Gleichwohl war es für die Be- "das hauß wittiben und Eberten Schol- bauung der Innenstadt nach dem letz- te n. 159 total" (Ennester Straße 3) ten großen Stadtbrand beispielhaft und und "erben Caspar Did. Spengeler n. hatte ortsbildprägenden Charakter. 162 total (Ennester Straße 5).

Beide Häuser entstanden nach dem Die Hausnummern kann man dem letzten Stadtbrand vom 13. Juli 1783, Stadtgrundriß von 1810 entnehmen, der für die Stadt weitreichende Folgen einer kolorierten Federzeichnung von hatte. Die gesamte Innenstadt bis auf Funke.3 Relativ viele freie Flächen einige Gebäude in der Nähe des En- geben Zeugnis davon, welches Aus- nester Tores und des Niedersten Tores maß die Brandkatastrophe von 1783 brannte nieder und 204 Bürger starben hatte und wie wenige Häuser seitdem im Laufe des Jahres 1783. wieder aufgebaut wurden.

Im August 1783 erteilte die Arnsberger Weiteren Aufschluss gibt die Häuserlis- Regierung den Auftrag, das Ausmaß te Pickert aus dem Stadtarchiv Atten- des durch den Brand entstandenen dorn: Schadens festzustellen. Bürgermeister und Stadtkämmerer legten daraufhin Ennester Straße 5: ein genaues Verzeichnis der abge- "A(lte) N(ummer) 162 brannten Häuser der Stadt an. Die N(eue) N(ummer) 217 u. 218 Bürgerschaft gab dem Drängen der "Huawes" Regierung, ein völlig neues Stadtbild 1788 Kaspar Theodor Spengeler zu schaffen, nicht nach. Die typisch 1794 Anton Hüser, + 1805. Da er kin- mittelalterlich enge Bauweise wurde derlos, so bekam es seine zwar beim Wiederaufbau aufgegeben, Schwester Maria Elisabeth, ver- man hielt aber am historischen Verlauf ehelichte Johann Hoff. der Straßenzüge fest. 1 1809 Johann Hoff, + 1839 1836 Joseph Klewes Ehefrau Maria, 191 Häuser waren durch den Brand geb. Hoff. Das Haus wurde vernichtet worden, doch nur die wohl- 1834 (?) geteilt. Den einen Teil habenden Bürger ließen ihre Häuser bekam Anton Hoff, den anderen umgehend renovieren, da sie auch Joseph Klewes. über die erforderlichen finanziellen Mit- 1909 1. Franz Ort tel für die Brandkasse verfügten.

2 Stadtarchiv Attendorn III A 13 1 1783-1983. Der große Brand der Stadt At- 3 Abgebildet in: Cordes, Werner: Attendorn - tendorn vor 200 Jahren. Katalog zur Ausstel- Beiträge zur Geschichte einer kurkölnischen lung im Kreisheimatmuseum 1983. Attendorn Stadt. Attendorn 1972, S. 35 und Erläuterung 1983. S. 22.

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2. Frau Georg Steinhaus, Maria gen, das Haus wieder in ein Vorder- geb. Klewes und ein Hinterhaus geteilt. 1953 N(eue) N(ummer) 217: Jusek N(eue) N(ummer) 218: Spanke" Bei der Inspektion des Gebäudes vor dem Abriss entdeckte man auf dem 1788 war demnach das Haus wieder Absatz der Kellertreppe ein Grabstein- errichtet worden und wurde von den fragment mit der Inschrift "bris obiit Erben Spengeler bewohnt. virtuosa Catharina Greve". Dieses Grabsteinfragment stammt wohl von Bei der eingehenden Untersuchung dem hinter dem Hause früher gelege- des Hauses nach dem Auszug der nen Kirchhof und wurde wahrscheinlich letzten Bewohner 2004 konnten an- beim Wiederaufbau des Hauses 1783 hand der Spuren in Boden und Wän- verwendet. Bauholz und -materialien den sowie in den alten Balken Er- waren nach den wiederholten Stadt- kenntnisse über die Geschichte des bränden im 18. Jahrhundert äußerst Hauses gewonnen werden. Das Vor- knapp geworden, und so verwendete handensein von zwei Treppenhäusern man alles nach Möglichkeit wieder, auf relativ kleinem Raum sowie von was noch geeignet war. zwei Haustüren zur Ennester Straße und zum Kirchplatz hin ließ darauf Im Haus Nr. 5 konnten einige erhal- schließen, dass das Haus geteilt wor- tenswerte Teile sichergestellt werden, den war. so verschiedene Türen mit alten Schlössern bzw. noch intakten Bunt- Die Erben der Eheleute Johann Hoff - glascheibchen. Auf dem Dachboden Anton Hoff und seine Schwestern Eli- befanden sich zwei große eiserne Töp- sabeth, Ehefrau des Ferdinand Orth fe zur Aufbewahrung von Sand und und Maria Anna, Ehefrau des Joseph Wasser, was angesichts der daneben Cleves, teilten Haus und Grundstücks- befindlichen Räucherkammer sicher parzellen 1841 untereinander auf. An- notwendig war. ton Hoff teilte das Wohnhaus in ein Vorder- und ein Hinterhaus, die von seinen Schwestern mit Familien bezo- Zum Haus Ennester Straße 3 findet gen wurden. Die Grenze zwischen bei- sich folgende Eintragung in der Häu- den bildeten die alten Lehmwände; in serliste von Pickert: der Mitte des Hauses, die aus einem durchgehenden Raum bestand, wurde "AN 159 eine Trennwand gezogen. Anfang des NN 219 20. Jahrhunderts gelangten Vorder- 1783 Ww. und Erben Bernh. Schotte und Hinterhaus wieder in das Eigen- 1788 Franz Wilhelm Berg tum einer Familie, auch wenn die Ei- 1794 ders. gentümer beider Haushälften nicht i- 1809 Erben Wilhelm Berg dentisch waren. Die Trennwand im 1828 Friedrich Berg Erdgeschoss wurde durch eine Tür 1836 Friedrich Berg unterbrochen, im 1. Stock beseitigt. 1909 Frau Johann Schulte, Theresia geb. Beul Erbauseinandersetzungen bestimmten 1953 Frau Schulte" auch Mitte des 20. Jahrhunderts das Schicksal des Hauses. Die 1908 ent- fernten Trennwände in Erdgeschoss und 1. Stock wurden wieder eingezo-

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Die Ratsprotokolle4 erwähnen weiter spuren auf und die Balken waren in zum Haus Nr. 159: sehr großen Abständen platziert. Beim Bau des Hauses hatte man teilweise Actum Attendorn d(en) 28ten Januar sogar die Rinde am Holz belassen. 1784 coram magistratu Dies alles weist darauf hin, dass man ...Franz Wilhelm Berg und desselben beim Wiederaufbau des Hauses nach ehefrau erklärten, daß er das in der 1783 sehr schnell gearbeitet und alles brandgesellschaft sub nro. 159 ca- erdenklich Wiederverwendbare benutzt tastrirte, von wittibe Everten Schotte hat. anerworbenes hauß neuens zu erbau- en gesinnet seien, zu wessen ende Fachleute stellten fest, dass sowohl auch das gesamte nötige geholz be- Deckenkonstruktion als auch Fach- reits beigefahren zu sein zu bezeugen werkwände nicht mehr tragfähig wa- gebetten. Sezte übrigens zur ganzli- ren. Bei einigen Balken hatte der Bor- cher versicherung behuf wiederauf- kenkäferbefall schon zur Zeit der Mon- bauung der empfangungen des 1ten tage bestanden. Andere Balken waren und zweiten termins 1 fuder heuwachs vom Splintholzkäfer befallen und nicht hinterm hospital samt übriges vermö- mehr standsicher. Überdies waren die gen zum unterpfande ein, ferner bit- Querschnitte der Deckenbalken in vie- tend, solches ad protocollum zu neh- len Fällen nicht ausreichend. Teilweise men und etc. waren die Verbindungen der Decken- balken zu den Fachwerkwänden faul, Auch dieses Haus konnte vor dem Ab- morsch oder gar nicht mehr vorhan- riss - allerdings nur kurz - besichtigt den. werden. Hier waren im Gegensatz zum Nachbargebäude jedoch kaum Spuren Vergleicht man damit die Fachwerk- des Innenausbaus früherer Zeiten zu balken des bereits abgerissenen entdecken. Der Anbau zur Ennester Nachbargebäudes, so stellt man dort Straße, der den Gehweg jahrzehnte- zwar auch Brandspuren und zusätzli- lang beträchtlich eingeengt hatte, dien- che Zapfenlöcher fest, die Balken wa- te wohl zunächst im Erdgeschoss als ren aber weder verfault noch in diesem Lagerraum, im 1. Stock waren 2 Zim- Maße morsch. Wahrscheinlich hat die mer angelegt. 1935 erfolgte ein kleiner dicke Außenputzschicht am Gebäude Anbau zum Nachbargebäude Nr. 5 hin, Nr. 3 den Verfall der bereits beim Ein- im Erdgeschoss als Gerätekammer, im bau nach 1783 nicht einwandfreien 1. Stock als Toilette vorgesehen. Balken noch unterstützt.

Bei einer Begehung der Baustelle im Im aus Bruchsteinen gemauerten Erd- September 2005 mit Vertretern der geschoss konnte man in der Wand Stadtverwaltung und des Rates sowie zum Kirchplatz hin eine zugemauerte des Bauherrn konnte man sich ein Bild Fensteröffnung erkennen. vom Zustand des Hauses machen. Einige der Pfosten zeigten Spuren ei- Im Nachhinein erscheint es unver- nes vorherigen Einbaus, da sie an vie- ständlich, warum nicht beide Gebäude len Stellen mit Zapfenlöchern versehen unter Denkmalschutz gestellt wurden. waren, die offensichtlich nicht im Zu- Das Haus Nr. 5 war im Moment seines sammenhang mit dem jetzigen Einbau Abrisses in wesentlich besserem Zu- standen. Sie wiesen zum Teil Brand- stand als das Nachbargebäude Nr. 3. Seine - in Attendorn wiederholt auftre- 4 Attendorner Ratsprotokolle 1783-1808. Band tende - Aufteilung in ein Vorder- und 1 aus Attendorner Archiven. Bearb. Norbert ein Hinterhaus spiegelte die oft kompli- Henkelmann. Attendorn 1994, S. 51

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zierten Besitzverhältnisse frü- herer Zeiten wieder. Beide Häuser stellten Beispiele für die typische Attendorner Bau- weise dar - ein aus Bruchstei- nen gemauertes Erdgeschoss mit einem Fachwerkoberge- schoss. Ihr Verschwinden aus dem Stadtbild stellt einen her- ben Verlust dar.

Ennester Straße 5 - Zeichnung von Ludwig Korte, 2004

Haus Orth/Jusek, Ennester Straße 5; Grundriss. Zeichnung: Ludwig Korte, 23. Juli 2004

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Eine Räucherkammer auf dem Dachboden Beschreibung einer Räucherkammer auf dem Dachboden des Hauses Rauterkus - Orth - Hennecke, Ennester Straße Nr. 5: von Georg Ortmann

Dem Abbruch des Hauses fiel auch eine gut 100 Jahre alte Räucherkam- mer mit Bühne (Bürn) zum Opfer. Sie befand sich auf dem Dachboden, war mit Bimsziegeln auf einen Zement- estrich als Feuerschutz nach unten aufgemauert. Die Decke bestand aus ca. 5 cm dicken, 50 cm breiten und 2,50 m langen Bimsplatten. Die Bims- steinwände waren mit einer Kalksand- schlämme verputzt bzw. geschlämmt.

Deckenuntersicht mit Dachfenster (Abzug)

Im Inneren der Räucherkammer be- fanden sich kurz unter der Decke und in Hüfthöhe je 2 Vierkant- bzw. Rund- rohre zum Aufhängen der Räucherwa- re. Auch waren noch gut 30 Räucher- stöcke vorhanden, die man behängen und rechtwinklig über die Eisenrohre legen konnte. So konnte man mehr Ware in einem Arbeitsgang räuchern. Der Holzwurm hatte die Räucherstöcke Grundriss mit Rauch und Bühne teilweise so zerfressen, dass sie bei Im Inneren des Rauches hatten sich Berührung zerfielen. glänzende, schwarze Rußschichten abgesetzt. Man kann davon ausgehen, dass der Rauch in früherer Zeit oft ge- nutzt wurde.

Als Abzug befand sich in der Decke ein regulierbares Dachfenster. Ein Holz- rahmen mit Fliegendraht sicherte vor dem Eindringen von Fliegen und ande- rem Getier. Durch ein Seitenfenster (33 x 55 cm) konnte Rauch in die Büh- ne abgezweigt werden, um schon ge- räucherte Ware vor Ungeziefer etc. zu Stirnwand im Rauch schützen.

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In einem dreifüßigen, gußeisernen Ku- Eine rußgeschwärzte, dünne Blech- geltopf wurde der Rauch erzeugt und platte, auf die glatte Seite zum Inneren konnte mit einem Metalldeckel von 60 befestigt, schützte die Tür vor Hitze cm Durchmesser reguliert werden. Un- und Feuer. Die Eingangstür zum ter dem Topf befand sich ein ca. 30 x Rauch war flach auf die wesentlich 30 cm großer Stein, der zusätzlich die kleinere Maueröffnung aufgesetzt. Sie Hitze nach unten zum Estrich und der schloss erstaunlich dicht ab und war Lehmdecke abfing. durch das alte Federschloss und eine zweite Vorrichtung doppelt gesichert.

Linke Wand mit Fußboden und Kessel Eingang: Innenansicht

Die Eingangstür bestand aus einfa- chen glatten Brettern und einem Z- Die Bühne hatte Maße von 95 cm Brei- Verschlag. Ein altes handgeschmiede- te, 2,08 m Tiefe und 2,2 m Höhe. tes Schloss mit Feder verrät uns, dass Trennwand zum Rauch, Vorderwand die Tür wesentlich älter als der Rauch und kleiner Drempel bestanden wie vor ist. Zusätzlich zu den handgeschmie- aus Bimsziegeln. Die rechte Seiten- deten Nägeln, mit denen das Schloss wand aus scheinbar zufällig zur Verfü- und die Beschläge befestigt waren, gung stehenden alten Türen, Fenstern sind alte Schrauben und Nägel zur und Brettern. Sie waren recht ge- Verstärkung hinzugefügt worden. schickt und dicht zusammengefügt. Im oberen Teil der Bühne sah man ein Fenster, welches nicht zu öffnen war.

Altes handgezogenes Glas und zwei aufrechte Bleistege bezeugten, dass es nur zufällig wie vieles hier seinen Platz gefunden hatte. Unter dem Fens- ter, zur ebenen Erde, ein Türchen mit Füllung (62 x 84 cm) zum Öffnen und Begehen der Bühne. Die rechte Sei- tenwand hatte in der Nähe des Drem- pels eine Klappe von 65 x 65 cm, hin- ter welcher sich noch brauchbares Sä- Vorderansicht um 1900 gemehl befand.

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Zum Abdichten nach unten, zur Rest- bühne, legte man den Boden mit einer doppelten Schicht Stragula-Teppich aus (Stragula - billiger Linoleum-Ersatz im und nach dem Kreig).

Der Ausflug aus drei u-förmig zu- sammen genagelten Brettern, sonst üblich mit Blei- oder Teerpappe abge- dichtet, war mit einer hellen Leder- schürze benagelt worden. Polsternägel und sogenannte Blauköppe fanden als Nägel Verwendung. Der innen gehal- tene Schlag ist anscheinend nicht lan-

Seitenansicht zum Giebel

An der Vorderseite von Rauch und Bühne fiel links ein Zementsteinkamin auf. Er bestand aus Fertigteilen von 40 x 40 x 40 cm. Gebaut wurde er zeit- gleich mit dem Rauch, hatte aber nur für die unteren 2 Etagen einen Zweck zu erfüllen.

Umbauarbeiten

Nach dem zweiten Weltkrieg und der schlechten Zeit scheint zumindest die Bühne für größere Räucherwaren nicht Vorderansicht um 1950 mit kleinem Tau- mehr gebraucht worden zu sein. Man benschlag oben rechts entfernte das obere Drittel und zog mit Brettern eine neue Decke ein. Ein klei- ge benutzt worden. Es waren nur we- ner Taubenschlag von 1,02 m Breite, nige Reste Taubendreck vorhanden. 0,92 m Höhe und 1,12 m Tiefe wurde darauf gebaut.

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Giebelschmuck von Ludwig Korte

Reist man durch die Lande, so kann vor und nach 1900 sehr beliebt und man, hier und da, mit hölzernem Ran- verbreitet waren. Meistens sieht man kenwerk geschmückte Hausgiebel ent- da wohlgeführtes Rankenwerk, ange- decken. Sie wirken wie überdimensio- lehnt an den Jugendstil. nale Laubsägearbeiten, die in der Zeit

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Es gibt der Giebelwand des Hauses legentlicher Stadtführungen der Er- ein freundliches Gesicht an höchster wähnung wert. Es sind diese Attribute, Stelle. An dem Hause Nr. 18 am At- die als Stuck, als Schnitzereien oder tendorner Nordwall ist eine solche Ziergitter die Atmosphäre einer Wohn- Giebelzier angebracht - kein ausgefal- gegend mitprägen und sie auf ihre be- lenes Kunstwerk, jedoch während ge- sondere Weise liebenswert gestalten.

Giebelfeld am Hause Nordwall 18 - Zeichnung von Ludwig Korte

Giebelfeld aus Wernigerode - Zeichnung von Ludwig Korte

Geschnitztes Giebelfeld - Foto: Ludwig Korte

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Ein Wort gibt das andere... von Brigitte Flusche

Einladung zum Kaffeetrinken in der Geschrieben hat sie Herr Dr. Reinhard Nachbarschaft. Die Gespräche gehen Drixelius, HNO, der seinerzeit in hin und her und Erinnerungen an Ur- Straßburg praktizierte, an seinen Vet- laubserlebnisse werden ausgetauscht. ter Felix Hüppe, Attendorn. Man spricht über Mitbringsel und ande- Da der Text auf der Postkarte im klei- re Dinge, die sich im Laufe der Jahre nen Kreis für viel Heiterkeit und "ja, angesammelt haben. Der Gastgeber das waren doch die und die" gesorgt berichtet von einer Postkarte, die er bei hat, sei er hier abgedruckt und bringt seinen Schriftstücken aus alten Zeiten sicher manche Attendornerinnen und aufbewahrt. Schnell ist sie gesucht und Attendorner zum Schmunzeln. gefunden. Ein Reisebericht aus Straß- burg! Die Karte wurde am 16. Juli 1907 Damit ein gutes Lesen gewährleistet in Straßburg geschrieben und abge- ist, wird der Text "übersetzt" abge- sandt, sie kam am 18. Juli 1907 in At- druckt manches ist kaum zu identifizie- tendorn an. ren!).

Postkarte von 1907. Originaltext

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"Straßburg, 16. VII 07 Zelt kredenzt wurde. Die Ehrendamen Fräulein Schotte, Korten- und Königs Mein l. Vetter Felix! Schlapp, Breinchen Kohn u. das Nachdem die Jugendspiele hier einen Schengebettchen überreichten herrli- großartigen Verlauf genommen, fuhren che Blumensträuße u. führten die Mat- gestern die hohen Gäste aus Westfa- schia auf. Im Namen der Abfahrenden len zu Schiffe von hier wieder ab. Da ergriff Püttgens Heinrich das Wort, es Dich sicherlich interessieren wird, nach ihm sprach dann noch Balzebeh- einige der Hauptvertreter Deinem geis- rendes Wilm u. als Vertreter der Da- tigen Auge Revue passiren zu lassen, men Reggenlorenzes Sett. Isplinger so will ich mich dieser angenehmen Anton als Vertreter der Landbevölke- Pflicht auch entledigen. Als Steuer- rung lud die hohen Herren ein den mann fungierte Kaumäckers Witte, un- nächstjährigen Congreß in der Bä- terstützt von Hormes Rohen; als renschla oder Schruppekuhle stattfin- Bootsmannsmaate war Britzelnbäckers den zu lassen, worin er von Bankstah- Lorenz, Brokken Wilm sowie Pitters len Carl nachdrücklichst unterstützt August und Hansmäckers Franz enga- wurde; diesem war es auch zu verdan- girt; Kannegeiters Settchen, Drüd- ken, daß ein Antrag den der chens Greitchen sorgten für des Lei- Brühlschnieder von Riefelkusen u. bes Notdurft, Johöbers Josef, Nachti- Platten Hennes Helden einbrachten, gal von Ennest ließen beim Verlassen fallen gelassen wurde. Ausführlicheren des Schiffes ihre Weisen ertönen; als Bericht wird Böheimers Ari oder Abfahrtsort war für die erlauchten Gäs- Schröders Carl oder der Kautkasper te die Hovestaht u. der Gruniegraven folgen lassen. Mit herzlichen Grüßen festlich geziert, woselbst auch den ho- Euch allen Reinhard" hen Gästen aus der Fillerie s. Excel- lenz, Knickeäs von Korte, Schworten Dr. Reinhard Drixelius praktizierte spä- Ukas, Brigadier Potthoves Franz, u. ter in den 20er und 30er Jahren des dem kleinen Konzen August (mit den vorigen Jahrhunderts wieder in Atten- Knuwelen am Kopfe) sowie Consums dorn, Pastorats-Platz, Haus Viegener - Egon der Ehrenwein in einem großen Kirchenküsters.

Postkarte von 1907. Adressfeld

- 32 - Heft Verein für Heimatkunde 02.05.2006 16:17 Uhr Seite 33

Heinrich Lönnendung Nach 9 1/2 Jahren aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück

von Helga Müller-Lönnendung und Gertrud Schulz geb. Lönnendung

Kurz vor Mitternacht, Mittwoch, 30. te, datiert vom 15. Oktober 1953, aus Dezember, wurden die Namen der in dem Gefangenenlager Nr. 5110/45 im Friedland eingetroffenen Kriegsgefan- südlichen Sibirien angekommen; einige genen des letzten Heimkehrertranspor- Zeilen waren vom Lagerkontrolleur tes des Jahres 1953 über den Rund- unleserlich geschwärzt, der knappe funk NWDR in alphabetischer Reihen- Text: folge verlesen: "... Löffler, ...(Vorname "... mir geht es gesundheitlich nicht ist uns entfallen), Lönnendung, Hein- mehr so gut wie früher, ... die Sehn- rich!" sucht ist unsagbar groß. Ich hoffe zwar auch, bald nach Hause zu kommen, Das war ein unartikulierter Aufschrei aber man weiß ja nichts." Und dann von uns allen, Mutti und wir Kinder im zum ersten Mal anstelle des sonst im- Wohnzimmer unserer Wohnung in der mer noch hoffnungsfrohen "auf baldi- Kampstraße, Lachen und Weinen, ges Wiedersehen!" ein resignierendes Umarmen in lauter und stiller Freude. "Lebt wohl! Grüße an alle, die noch an Unser Vater war dabei, er war zurück mich denken!" in Deutschland, in der Heimat. Der Freund unseres Vaters, Fabrikant Am Tag zuvor noch war eine Postkar- Ludwig Bender, der in den langen Jah-

Offizielle Begrüßung am Neujahrstag 1954. Landrat Metten, Bürgermeister Albus, Stadtdirektor Dr. Weber, Konrektor Schmitte, Dechant Köster, Peter Heimann (Vors. Heimkehrerverband Attendorn), Rektor Stakemeier (Vors. Soldatenbund).

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ren der Ungewißheit und wirtschaftli- Moment nicht noch abnahm. Dadurch chen Not der Familie immer vertrau- war es wohl etwas gerissen und dre- ensvoll und hilfreich zur Seite gestan- ckig geworden, aber das schadet ja den hatte, ließ unseren Vater mit Pkw nichts." im Durchgangslager Friedland abho- len; unsere Schwester Gisela und un- Am 1. Mai 1946 schrieb der Vater: "Ich ser Bruder Günter nahmen ihn dort als erhielt am 16. April 1946 eine erste Erste wieder in die Arme. Nachricht von Euch. Gott sei Dank! Ihr Um 20.45 Uhr am Silvesterabend läu- lebt und seid gesund!" In der Folgezeit teten in Attendorn zur Begrüßung die 1946, 1947, 1948 verbesserte sich die Kirchenglocken. Nach 9 1/2 Jahren postalische Verbindung ständig. Die Kriegsgefangenenschaft war unser Gefangenenpost aus dem Lager Bo- Vater wieder zu Hause. rowitschi 7279/1, 200 km östlich des Ilmensees, kam ein Mal pro Monat; die Er hat in den folgenden Jahren des Hoffnung auf baldige Entlassung half schwierigen Einlebens in die Tempo- auch uns in diesen Jahren. gesellschaft unserer Wirtschaftswun- derzeit selten und wenig erzählt über Mitte 1949 wurde unser Vater mit ca. die schweren Jahre der Gefangen- 400 Offizieren aus dem Lager Borowit- schaft. Den Spätheimkehrern standen schi über Leningrad nach Riga in das damals weder Psychiater noch Sozial- Gefängnis I und II verlegt. Es began- betreuer des Staats oder der Kirchen nen die Stalin'schen Willkürprozesse, zur seelischen, geistig gedanklichen in deren Verlauf in der gesamten Sow- Aufarbeitung des Erlebten zur Seite. jetunion ungefähr 27.000 deutsche Sie mussten allein, Gott sei Dank auch Kriegsgefangene verurteilt wurden. mit Hilfe der Familie und Freunden, mit Gemäß alliierter Übereinkünfte hätten den Traumata von Stacheldraht, Hun- sie längst in die Heimat entlassen wer- ger, Elend und Sterben fertig werden. den sollen. Ordentliche Verfahren gab es nicht, die "Gerichte" bestanden in Im Herbst 1944, zu Beginn der Einkes- aller Regel nur aus einem "Anklagever- selung der Heeresgruppe Nord - später treter", der zugleich "Richter" war. Man Heeresgruppe Kurland - durch die warf den Gefangenen vor, Kriegs- sowjetischen Armeen geriet unser Va- verbrechen der unterschiedlichsten Art ter in russische Gefangenschaft und begangen zu haben. Ob mit "Geständ- galt als vermisst. Als erstes Lebens- nissen" oder ohne, wie auch immer, zeichen erhielten wir im Dezember das Urteil lautete in allen Fällen: "25 1945 über einen Kameraden aus War- Jahre Arbeitsbesserungslager!" burg/ Dössel, der wegen Krankheit ent- lassen worden war, einen Gruß, notiert Diese Verurteilung betraf auch unseren auf Packpapier, datiert vom 4. Oktober Vater. Am 13. Dezember 1949 wurde 1945: "Ich bin in großer Sorge um er noch im Gefängnis II in Riga gese- Euch, aus der Heimat haben wir kei- hen, am 15. Dezember 1949 nach Os- nerlei Nachricht, hoffen auf baldige ten abtransportiert. Eine letzte postali- Heimkehr!" sche Nachricht vom 9. November 1949, kurz vor seiner Verurteilung, Der Kamerad aus Warburg in einem schloss er mit der Bitte: "Geht wieder Begleitschreiben: "Ich habe dieses einmal nach Waldenburg, es ist drin- Briefchen über zwei Monate sorgfältig gend nötig." verwahrt. Als wir das Lager verließen, Erst ein Jahr später, Weihnachten habe ich es unter die Fußsohle gebun- 1950, erhielten wir ein neues Lebens- den, damit der Russe es mir im letzten zeichen: "Mein Schicksal ist Euch ge-

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wiß bekannt, ich nehme alles aus Got- 1953 die Aufforderung zum Aufbruch tes Hand und hoffe trotz allem auf ein aus dem Lager im Ural zur Entlassung Wiedersehen. Ich hoffe auf ein Le- in die Heimat. Wie sich erwies, war benszeichen von Euch, das wird nach diese Aufforderung endgültig und einem Jahr meine erste Freude sein!" wahr. In der Vergangenheit hatten sich wiederholt als Entlassung angekündig- In den Jahren 1951, 1952, 1953 durf- te Eisenbahntransporte - zu größter ten wir Päckchen schicken, Stückzah- seelischer Belastung - nur als Verle- len und Gewichte mussten eingehalten gung von einem Lager zum anderen werden. Fotos wurden akzeptiert, Brie- herausgestellt. fe nicht. Auch das DRK sowie das "E- vangelische Hilfswerk für Kriegsgefan- In einigen Zeilen hielt unser Vater Ge- gene" unterstützten unsere Soldaten. danken während der Heimfahrt am Viele Päckchen kamen an, andere Heiligen Abend 1953 fest: "Durch die nicht. Nachrichten blieben im Jahr weiten Schneefelder Rußlands rattert 1952 über 8 Monate aus. der Zug. Ich stehe an der offenen Waggontür, die lange Wattejacke dicht Die im Familienbesitz befindlichen Do- zugeknöpft, der Wind ist kalt. Die Rä- kumente beweisen die zahlreichen der stoßen in langsamem Rhythmus, Verlegungen von einem sibirischen ein beruhigendes Gefühl, denn jeder Lager zum anderen. Sie bezeugen au- Stoß bringt uns ein Stück der Heimat ßerdem das Auf und Ab der seelischen näher, dem Wiedersehen mit unseren Stimmungslage zwischen Resignation Lieben. Wenn sie wüßten, daß wir und ständigem erneuten Aufkommen heimkommen, daß wir unterwegs sind, der Hoffnung: "Ich schaffe es." heute am Heiligen Abend. Wir Glückli- chen haben die lange Leidenszeit hin- "Ich hoffe weiter auf Heimkehr" / "Die ter uns. Aber eine unbeschwerte frohe Hoffnung erlischt" / "Ich lebe nur noch Stimmung will nicht aufkommen. Uns von der Erinnerung" / "Ich bin gesund alle bedrückt das Schicksal der Kame- dank Eurer Fürsorge" / "Ich verliere raden, die zurück geblieben sind." den Mut nicht" / "Wir wollen alles Gott überlassen" / "Ob wir uns noch einmal Dies war ein ständiges Anliegen unse- wiedersehen werden?" / "Der Gedanke res Vaters: An die zu denken, die zu- an Euch bewahrt mich davor, an allem rückbleiben mussten. 3 000 Kamera- zu verzweifeln." den waren es in seinem Lager zum Zeitpunkt seiner Entlassung. 11 000 Ab September 1953 hoben sich dann sahen die Heimat erst wieder, als Bun- zum ersten Mal seit fast 2 Jahren wie- deskanzler Konrad Adenauer sie im der die Schlagbäume an der hessisch- Jahre 1955 frei bekam. thüringischen Zonengrenze, um Transporte entlassener deutscher Auch bei den herzlichen, offiziellen, Kriegsgefangener aus der Sowjetunion freundlichen Empfängen in der Heimat passieren zu lassen. Nach dem Auf- - mehr als 1 000 Menschen hatten sich stand vom 17. Juni 1953 in der DDR am Abend des Neujahrstages in der sollten die Entlassungen eine Geste Kampstraße zur Begrüßung eingefun- des Wohlwollens gegenüber der Be- den - erinnerte unser Vater immer wie- völkerung der DDR und der Bundesre- der an seine Kameraden in den Weiten publik sein. Russlands. Ebenso unvorbereitet und plötzlich, wie sich die Verurteilung im Dezember 1949 ereignete, kam im Dezember

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Chronik des Jahres 1945 von Elisabeth Belke, mitgeteilt von Gertrud Junker

Silbecke, 30. Dezember 1945 Dörfer, Bahnknotenpunkte, Bahnstre- cken, Lokomotiven, Züge, die in Be- Schwer und sorgenvoll war die Jah- ziehung mit den Fronten standen; Wir- reswende 1944/45. Wir alle ahnten es, kung: An den Fronten fehlte der Nach- der unheilvolle Krieg ist in sein letztes schub, schnelleres Vorrücken des Stadium eingetreten. Der große Zu- Feindes, kein geordneter Rückzug der sammenbruch einer verkehrten Welt- Deutschen, kein Halten der Fronten, anschauung stand nahe bevor. Die keine oder unregelmäßige schriftliche vielgestaltigen Nöte der Menschen an Verbindung von Heimat und Front. Front und Heimat wuchsen ins Uner- messliche. Die Tiefflieger warfen Bomben und schossen mit Bordwaffen auf alle be- Die Fronten von Westen und Osten liebigen Ziele. Das brachte Unordnung, rückten näher den Grenzen des Vater- Unsicherheit auf allen lebenswichtigen landes. Der Kriegsschauplatz im Wes- Gebieten; nachts herrschte auf Eisen- ten war im Januar 1945 das linksrhei- bahn und Straßen lebhafter Verkehr, nische Gebiet. Im Osten erreichten die der tagsüber fast gänzlich eingestellt Russen im Januar die ostpreussische, wurde. schlesische und einige Zeit später die österreichische Grenze. Hart, blutig 1. Februar 1945: Meinolf wurde bei und verlustreich wurden die Kämpfe an Elbing/Ostpreußen verwundet, Granat- allen Fronten ausgetragen. Die Feinde splitterdurchschuss am rechten überschritten allerorts die Grenzen. Schienbein.

Auf deutschem Boden wurde der 13. März: Vater, Maria und ich am schon jetzt als verloren anzusehende Düngerstreuen auf dem breiten Stück. Krieg auf Hitlers Befehle hin weiterge- Wegen reger Tieffliegertätigkeit auf führt. Die Zivilisten aus den Kriegsge- Bahnlinie Finnentrop-Grevenbrück- bieten flohen ins Innere des Landes. Altenhundem Fliegerdeckung mitten Millionen Evakuierte des Westens, die auf dem Felde, lang hingestreckt; kei- zum Osten (Polen, Schlesien) gebracht ne Möglichkeit bis in den Wald zu worden waren, flüchteten zurück. Die kommen, da die Tiefflieger äußerst überfüllten Züge konnten die Zurück- schnell und gewandt waren und als fliehenden unmöglich alle erfassen. Ziel jedes beliebige Fuhrwerk, einzelne Tausende starben. Das Elend war Personen in der Feldmark, auf Wegen maßlos, die Ernährung völlig unzurei- und Straßen beschossen. Flaksplitter chend, die Obdachlosigkeit und das vom Bahnhof Finnentrop flogen bis zur Zusammentreffen der Menschenmas- "Heide" und bis Dünschede. sen aus Ost und West in Mitteldeutsch- land kannte in seinen Nöten kein Maß Mitte März: Hermann-Josef als mehr. Mitte bis Ende Januar Schnee 15jähriger im Wehrertüchtigungslager und harter Winterfrost. Burg Bilstein

Im Frühjahr, das witterungsmäßig 16. März: Seit Januar die erste Post schon Mitte Februar begann, gestei- von Meinolf, Lazarett Altötting (öster- gerte Fliegertätigkeit des Feindes bei reichische Grenze) Tag und Nacht; Ziele: Alle Städte, auch

- 36 - Heft Verein für Heimatkunde 02.05.2006 16:17 Uhr Seite 37

Ende März: Alle landwirtschaftlichen Am 1. April 1945, erster Ostertag, rück- Arbeiten in den Morgenstunden bei ten die ersten Soldaten in Silbecke ein, Nebel. Früh um 4 Uhr mit Hafer-Säen es waren einige Hundert Mann, müde, begonnen, um 7 Uhr Pferde ausge- ausgehungert, ohne Verpflegung. A- spannt, wegen zu großer Fliegerge- bends und nachts mussten sie weiter. fahr, alle kamen nach Haus. Im ge- Am 2. Ostertage neue Einquartierung, wölbten Keller der Scheune baute Va- die Mannschaften in der Scheune im ter mit dicken Tannenstämmen einen Stroh, im Stall, Heu. Unteroffiziere und einigermaßen sicheren Unterstand bei Offiziere in der Küche oder Stube. Die Fliegergefahr. Die Eltern, jedes der ganze Osterwoche Kommen und Ge- Geschwister, die Evakuierten im Hau- hen anderer Soldaten. Schwere Last- se, jedes hatte einen Koffer oder kraftwagen standen unter Remise und Rucksack gepackt, der bei Gefahr je- Scheune. Feldküchen richteten sich desmal mit in den Keller genommen unter der Remise ein. In der Feldmark wurde. Immer gutes Wetter, hell und wurden Unterstände und Verteidi- klar, günstig für die Flieger. In geord- gungsstände aufgeworfen. Leichte und neten Staffeln flog der Feind mit Tau- schwere Flakgeschütze wurden in der senden von Maschinen zu seinen Zie- Dünscheder - Silbecker Feldmark und len. Morgens auf dem Heimweg aus an der Straße nach Röllecken aufge- der hl. Messe mussten die eigens für baut. In dieser Zeit kam für den diesen Zweck aufgeworfenen Luft- "Volkssturm" der Aufruf zum Einsatz. schutzlöcher am Wegrand als Deckung Vater gehörte auch dazu. Panzersper- vor Fliegergefahr genommen werden. ren für die Straßen wurden errichtet! Auch nachts wurde mit Bordwaffen geschossen, besonders auf Lichtziele. Weißen Sonntag Nachmittag schoss Wenn mit Bordwaffen nach Finnentrop zum ersten Mal die Artillerie von hier in geschossen wurde, fielen die Patro- Richtung Altenhundem - Schmallen- nenhülsen schon in unsere Wiese. Das berg. Funker, die von vorgeschobenen Ausklinken der Bomben für Finnentrop Beobachtungsposten kamen, berichte- konnten wir von zu Hause aus gut be- ten, dass in dieser Gegend die Front obachten. Viel Schaden hatte auch stehe. Wo deutscher Widerstand ge- Altenhundem. leistet wurde, schoss amerikanische Artillerie, bis Widerstand gebrochen, 28. März: Zweimaliger Angriff auf Stadt dann folgte sogleich der Vormarsch. Attendorn, große Gebäudeschäden, Unsere Soldaten, immer mehr in die viele Tote, nachmittags brannte der Enge getrieben, flohen oder kamen in Turm der Pfarrkirche und bei seinem Gefangenschaft. Auf unserer Scheu- Umstürzen viele umliegende Häuser. nendehle war Funkstation, in direkter Verbindung stehend mit dem Stab in 29. März: Gründonnerstag. Tiefflieger- Sange. beschuss aller Straßen, Truppen- und Nachschubtransporte auf der Straße Am 9. April abends hörten wir die ers- Oberveischede - Bilstein. Die Front bei ten Granaten über unser Dorf zischen Siegen, und darüber hinaus die feindli- in Richtung Heggen - Finnentrop. Es chen Panzerspitzen schon näher unse- wurde um Mitternacht schlimmer, wir rer Heimat. Das Ruhrgebiet und Sauer- standen alle auf und verbrachten das land vom Feinde eingeschlossen in Ende der Nacht im Keller. einem großen Kessel, der Ring wurde 31. März bei Paderborn geschlossen. Am 10. April hörte man fern und nah Artilleriebeschuss als sicheres Zeichen für das Näherrücken der Front. Überall

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sah man das Aufsteigen von Dampf mand von uns glaubte, lebend diesen bei Einschlag der Granaten. Die zurück Angriff zu überstehen. Wir konnten nur fliehenden Soldaten zerstörten und beten! Plötzlich kamen unsere kriegs- sprengten ihre Geschütze und Muniti- gefangenen Franzosen in den Keller on, die nicht mehr mitgeführt werden gerannt und riefen: "Die Scheune konnten. Am Abend des 10. April wur- brennt!" Da hörten wir schon die Ma- den hinter der Hecke am Wege zum schinengewehre knattern. Wir liefen Kamp noch neue Geschütze aufge- alle rauf, um nach dem Feuer zu se- baut. Das hatte der Feind beobachtet, hen. Da stand schon an der Hausecke er schoss noch am gleichen Abend ein schwerer amerikanischer Panzer, nach Silbecke. Das waren die ersten im Wege kam ein zweiter. Wir stürzten Granateinschläge in unser friedliches wieder in den Keller. Schon kamen die Dörfchen. amerikanischen Soldaten und holten Vater hatte am 10. April für alle ein uns alle raus. Die ganze Familie, Eva- Lager im Keller bereitet, Möbel, Betten, kuierte und sieben Franzosen standen Herd, Lebensmittel waren nach unten draußen mit erhobenen Armen. 30 - 40 geschafft, denn keiner konnte wissen, amerikanische Soldaten kamen über wie lange wir in dieser gefahrvollen die Wiese gestürmt, standen vor uns, Lage bei Artilleriebeschuss und Einrü- andere durchsuchten das Haus, wieder cken des Feindes leben mussten. Wir andere schossen durch die Hecke in wohnten im Keller, oben im Haus liefen den Berg. Das Feuer der Scheune und rannten und packten die Soldaten, heulte! es waren noch Hunderte im Dorf. Das Telephon rappelte, Befehle wurden Die Kinder weinten, wir mussten still- ausgerufen, die schweren LKW wur- stehen bleiben. Als die Amerikaner den rausgefahren. Alles war eine un- festgestellt hatten, dass keine deut- geheure Panik. Wir ahnten, der Ameri- schen Soldaten mehr Widerstand leis- kaner konnte nicht mehr weit sein. teten, zogen sie sich alle zurück, die Panzer kehrten und fuhren ins Dorf In den Nacht- und frühen Morgenstun- zurück. Wir konnten nun nach der den des 11. April gingen alle Soldaten Scheune sehen. Sie stand an allen fort. Soldaten von vorgeschobenen Enden in hellen Flammen, es war Posten berichteten uns, dass der Ame- nichts mehr zu retten, nur, dass das rikaner über Mecklinghausen - Nieder- Feuer auf seinen Herd beschränkt helden vorrücke. Im Laufe des Tages blieb. Wir schleppten Wasser ins war öfter Artillerie-Beschuss nach Sil- Wohnhaus, auf den Hahnebalken. Die becke. Wir waren immer im Keller. Luft stand an diesem Abend günstig, Nachmittags flohen noch deutsche In- kaum war Funkenflug zu merken. Der fanteristen längst unser Haus, durch übrige Hof blieb vor Feuer bewahrt. die große Weide, in Richtung Sange - Der Krieg als solcher war aus. Plettenberg. Panzerspähwagen nah- men den gleichen Weg. Die deutschen Am anderen Tage fehlte der elektri- Flakgeschütze beim "Kampe" schos- sche Strom, das Licht, das Wasser. sen nachmittags noch etwa 50 - 70 Aber bis 1. Mai war alles in Ordnung Schuss nach und hinter Dünschede. gebracht. In der Feldmark wurden die Da waren schon die Amerikaner. Granattrichter zugeworfen. Bei dieser Arbeit kam Waltraud Balve - Dünsche- Und das wurde für Silbecke zum Ver- de ums Leben. Eine Handgranate exp- hängnis: Etwa 1/2 8 Uhr abends lodierte. schoss die amerikanische Artillerie Dann kam im ganzen Lande die Rus- derart in und um unser Dorf, dass nie- senplage. Sie raubten und plünderten

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bei Tag und Nacht. Besonders auf al- ne wieder aufgebaut, am 20. August lein gelegene Bauernhöfe hatten sie's 1945 war Richtfest. abgesehen. Die Russen gingen mit Waffengewalt vor, gar manchen, der Am 13. August kehrte unser Meinolf sich wehren wollte, haben sie erschos- heim aus Lazarett und amerikanischer sen. Ausser Weidetieren, die sie ab- Kriegsgefangenschaft. Seit dem 20. schlachteten, vielfach in Gemeinschaft Juni 1944 ist unser lieber Wilhelm bei mit Deutschen, die mit auf solche Witebsk in Russland vermisst. Verge- Raubzüge gingen, blieben wir, Gott sei bens war bisher unser Warten auf ein Dank, verschont. Lebenszeichen von ihm. Wir nehmen ihn als unsere grösste Sorge mit ins Überall begann man nun mit der Besei- Neue Jahr. tigung der Schäden des Krieges. Die Sprengungen der Brücken (Eisen- Möge der Herr, der Lenker, aller Men- bahnbrücke vor Finnentrop, Brücke in schenschicksale unserem lieben Wil- Borghausen), der monatelange Ausfall helm, Eltern und Geschwistern Heil der Züge, erschwerten die Beschaf- und Segen gewähren für Zeit und fung des Baumaterials schwer. Mit viel Ewigkeit! Mühe und Arbeit wurde unsere Scheu-

So erlebten wir den 8. Mai 1945 von Josef Hormes

An diesem denkwürdigen Datum wa- die katastrophalen Folgen aufmerk- ren wir schon 14 Tage zu 100.000 sam. Er war es auch, der uns immer deutscher Kriegsgefangener in den wieder neuen Mut zum Überleben berüchtigten Rheinwiesen (zwischen machte. Sinzig, Andernach und Rheinberg) hin- So sah die Wirklichkeit aus. ter Stacheldraht und unter freiem Und trotzdem: Die Amerikaner haben Himmel zusammengepfercht. Am 8. uns vom Nationalsozialismus befreit Mai ertönte dann über Lautsprecher: und vor dem Kommunismus bewahrt! "Die deutsche Wehrmacht hat kapitu- Kurz nach Kriegsende hat die engli- liert, der Krieg ist zu Ende!" sche Besatzungsmacht dem Beken- Von uns: Kein Freudengeschrei, nur nerbischof Graf von Galen, Münster, eine außergewöhnliche Stille im ge- geraten, sich einmal die Überreste ei- samten Lager! nes KZ anzusehen. Seine Antwort: "Ich Keiner sprach ein Wort. In diesem Au- habe die armseligen Gestalten deut- genblick haben wohl viele gedacht: scher Kriegsgefangener auf den "Das war's dann, alles umsonst!" 5 Rheinwiesen gesehen. Zusammenge- 1/2 Jahre! pfercht! Das hat mir im Augenblick erst Aber, auch das war für uns völlig un- einmal genügt." wichtig, denn im nächsten Augenblick Anmerkung des Schreibers dieser Zeilen: wurde nur wieder der eine Gedanke Auf den Rheinwiesen sind etwa 7.000 diskutiert: Soldaten und Zivilisten verhungert, aber "Gibt's heute als Tagesration eine oder einen Vergleich zu den "armen Jungens" 1 1/2 Scheibe Toast?" in Rußland ziehe ich nicht. Bei weitem nicht alle starben für "Führer, Volk und Oder, sollten wir doch mal das Gras Vaterland". probieren? Da warnte uns Günter Ke- seberg in aller Form und machte auf

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Krieg um Mecklinghausen Erstellt von Nora und Franz Lindner, Köln. Die Original-Aufzeichnungen sind noch vorhanden bei Peter Gabriel, Mecklinghausen. / Bearbeitet von Albert Schnepper nach Angaben von Augenzeugen

Wir schrieben Dienstag, den 10. April pfad zu ihrem Schutzbunker im Bräuken 1945. Der Gutshof unseres liebenswürdi- tödlich getroffen.] gen Gastgebers, Herrn Josef Gabriel, lag voller deutscher Militärs. Draußen stan- Wir begaben uns mit der Familie Gabriel den eine ganze Reihe deutscher Lastwa- in den Keller in gespannter Erwartung der gen, getarnt gegen Fliegersicht, denn die Dinge, die sich nun ereignen würden. Ab feindlichen Flieger, Jabos genannt, hat- und zu gingen wir wieder aus dem Keller ten uns schon lange vorher viel zu schaf- heraus, um die Lage zu sondieren. Über fen gemacht und bewarfen die alte Heer- uns schwebten zwei feindliche Flieger, straße Köln - Minden vielfach mit Bom- die mit einer unglaublichen Langsamkeit ben und beschossen die deutschen ständig ihre Kreise über Mecklinghausen Fahrzeuge mit Bordwaffen. zogen.

Gegen 10 Uhr vormittags kam für unsere In Richtung Oberveischede wurde plötz- Einquartierung der Abmarschbefehl, und lich Maschinengewehrfeuer vernehmbar; es dauerte keine 10 Minuten, und das auch hörte man deutlich den Abschuß ganze Haus war leer vom Militär. Es ka- und Einschlag von Granatwerfern. Der men neue deutsche Truppen in geringer Nachmittag verging, und vom Feinde war Zahl, Pioniere, sogenannte Sprengkom- noch nichts zu sehen. Die Stimmung im mandos, die wohl den Abzug unserer Keller war ernst, aber gefasst, es wurde letzten Verbände sichern sollten. um Errettung aus Not und Gefahr gebe- tet. Im Dorf setzten sich die letzten Lastwa- gen in Bewegung, um sich vom Feinde Gegen Abend, als ich einmal kurz nach zu lösen. Ein alter Landser sagte mir: oben ging, erschien Herr Gabriel ganz "Bis nachmittags 2 Uhr können Sie die atemlos und sagte uns, der Feind stände Amerikaner erwarten." Es kam aber an- schon oberhalb des Ortes, und er wäre ders. soeben mit dem Müller [W. Schöttler] und einer weißen Fahne da gewesen, um zu Gegen 1/2 12 Uhr, ich wollte gerade verhandeln. Der Feind habe dies aber nochmals zum Dorfe gehen, ertönte ein nicht verstehen wollen und hat auf ihn scharfes Pfeifen in der Luft, und die erste und seinen Nachbarn sofort das Feuer Granate des Feindes schlug oberhalb eröffnet. Darauf haben sich die beiden in unseres Hauses im Walde ein. Es gab größter Eile zurückgezogen. Um den einen starken Knall, und die Rauchent- Amerikanern zu erkennen zu geben, wicklung war enorm. In der Nacht vorher dass das Dorf sich nicht verteidigen woll- war das Schießen schon in unserer un- te, wurden dann weiße Fahnen gehisst, mittelbaren Nähe zu hören gewesen, und die an den meisten Häusern sichtbar man konnte annehmen, dass der Feind wurden. Gegen 1/2 8 Uhr abends ertönte nicht mehr weit stand. Um die Mittagszeit plötzlich Maschinengewehrfeuer aus dem schlugen dann mehrere Granaten in un- Ort in der Nähe der Schmiede. Es war mittelbarer Nähe des Dorfes auf den ein deutsches Maschinengewehr, wel- Wiesen ein. [Dabei wurde das Kind Maria ches auf den anrückenden Feind feuerte. Schnütgen (* am 16.11.29) auf dem Fuß- [Auch am Straßenrand hatte ein deut- scher Soldat, welcher sich hinter einem

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Strauch versteckt hatte, auf den anrol- aus nächster Nähe wieder Geschützfeu- lenden Feind gefeuert. Dieser schoss er. sofort zurück und erschoss den Landser. Es war der Obergefreite Wilhelm Nädler Der Feind hatte wohl bereits im Orte Ge- von der leichten Flakabteilung 79, geb. schütze aufgestellt und feuerte von hier am 18.07.1923 in Neumünster. Er wurde in Richtung auf Helden. Wir blieben wie- am 13. 4. beim Kreuz an der Straße nach der die ganze Nacht im Keller. Oberveischede beerdigt und im Frühjahr 1948 in die Heimat überführt.] Am anderen Morgen [11. April 1945] um 7 Uhr war noch nichts zu sehen. Plötzlich Der Feind fuhr sofort ein Stück zurück gegen 1/2 8 Uhr wurden auf der Dorf- und begann aus einem Panzerspähwa- straße die ersten feindlichen Panzerwa- gen heraus das Dorf zu beschießen. gen sichtbar. Einer davon bog auf die Schon die ersten Schüsse setzten die Seitenstraße in Richtung auf unser Haus Scheunen [von Franz Pulte und von Jo- ein, feuerte und setzte die Scheune von sef Schnepper] in Brand, und kurz darauf Josef Heimes in Brand, die ganz vernich- ging auch das Wohnhaus [von Josef tet wurde. Auf der Dorfstraße und auf den Bankstahl] an der Hauptstraße in Flam- Seitenstraßen in Richtung auf Gabriel men auf. [Die Gebäude brannten voll- wurde es immer lebhafter durch feindli- ständig nieder, weil niemand löschen che Fahrzeuge, alle motorisiert, und es konnte. Auch mehrere Häuser wurden kam auch schon hin und wieder feindli- beschädigt]. che Infanterie, die in jeden Winkel späh- te. Das Maschinengewehrfeuer verstummte dann, jedoch schoss der feindliche Pan- Auf den Hof des Herrn Gabriel kamen zerwagen weiter. [Kaspar Vogt = "Strukes nun auch die ersten feindlichen Fahrzeu- Kaspar" war dann mit einer weißen Fah- ge. Sie hielten, und die Soldaten spähten ne nach Brinker gelaufen, die alle im Kel- in alle Ecken. Einige Zeit später kamen ler waren, hatte den Josef Schnepper andere Soldaten und machten Quartier herausgerufen, und beide waren den für ihre Leute für 2 Uhr nachmittags. Es Amerikanern mit der Fahne entgegenge- setzte nun ein ununterbrochener Strom gangen.] feindlicher Kräfte ein, alle auf Autos pos- tiert, und schließlich erschienen dann die Abends gegen 8 Uhr setzte Ruhe ein, Amerikaner im Hause. Sie forderten Waf- und plötzlich hieß es, die ganze Einwoh- fenabgabe und fingen mit Durchsuchun- nerschaft solle sich auf die Hauptstraße gen an. Auch Fotoapparate und Fernglä- begeben, wo uns die Amerikaner erwar- ser wurden gefordert. Am Nachmittag teten. Wir gingen dann in einer langen wurden die unteren Räume des Herrn Reihe auf die Straße oberhalb des Ortes, Gabriel mit Amerikanern besetzt. Diese und dort sahen wir im Halbdunkel eine zogen sofort Telefonleitungen und ließen Reihe Amerikaner. Wir wurden aufgefor- rings im Ort Artillerie auffahren. Ein Ame- dert, uns getrennt nach Nationalitäten rikaner stellte sich in deutscher Sprache aufzustellen, denn im Orte waren viele als Kommandant vor. Er ernannte Herrn Franzosen, Russen und Polen beschäf- Gabriel zum Bürgermeister und verlangte tigt. Es wurde nach deutschen Soldaten von ihm, dass die Bevölkerung bis 5 Uhr im Orte gefragt und angeordnet, dass sämtliche Waffen abliefern müsse. Auch diese geholt werden sollten. Wir standen wurde Ausgehverbot erlassen von 6 Uhr wohl 1/2 Stunde umher, und dann erging nachmittags bis zum anderen Morgen 7 die Weisung: Nach Hause gehen und Uhr. Eine qualvolle Zeit begann für uns. schlafen! Es trat dann für eine ganze Zeit Ruhe ein, doch plötzlich vernahmen wir

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Die rings um uns aufmarschierende wohnte mit seinen Leuten das Wohn- feindliche Armada war so gewaltig, dass zimmer der Familie Gabriel. Dort hatten man sich unwillkürlich die Frage vorlegen sie ihre Fernleitungen, und ab und zu musste: Was konnten unsere deutschen ertönte auch Radiomusik. Truppen mit ihrer unvollkommenen Aus- rüstung gegen eine solche Übermacht Ich [Nora Lindner] beschwerte mich über noch ausrichten? Auf dem Hofe des das Aufstellen der Geschütze mitten im Herrn Gabriel entwickelte sich ein lebhaf- Dorfe und fragte weiter, was gegen die tes militärisches Treiben. Die feindlichen immer aufdringlicher werdenden Russen Truppen bestanden ausschließlich aus getan werden würde. Die Antwort war jungen, leicht angezogenen Leuten, die leider nicht sehr beruhigend für uns, denn den Eindruck machten, sportlich gut trai- bezüglich der Artillerie meinte der Kapi- niert zu sein. Außer ihrer Bewaffnung tän, die deutschen Truppen hätten das hatten sie nicht viel Militärisches an sich. auch so gemacht. Und was die Russen Der ganze Ort stand schließlich voller anbeträfe, so wären die Amerikaner ja Fahrzeuge, und es war ein ständiges nicht zum Schutze der Deutschen ge- Kommen und Gehen. kommen, und schließlich wären wir es gewesen, die die Russen geholt hätten. Die amerikanische Artillerie begann nun aus Mecklinghausen heraus zu schießen, Draußen feuerte die feindliche Artillerie vermutlich in Richtung Attendorn und immer weiter; doch am Mittag rückte Umgebung. Am Nachmittag fielen die plötzlich die ganze Besatzung von Meck- Antwortschüsse der deutschen Artillerie linghausen ab. Hingegen kamen dann aus dem Raum Attendorn mit Schrap- schwerere Geschütze des Feindes, die nells, die auch in dichter Nähe unseres auf den Wiesen aufgestellt wurden. Sie Hauses einschlugen. Es war ein banger schienen Attendorn und weiter entfernt Augenblick, und man fragte sich: Wird liegende Orte zu beschießen. Der Knall Mecklinghausen nun noch von deutscher der Abschüsse war jeweils ganz enorm, Artillerie beschossen? Denn die Ge- denn die Geschütze fingen an, Salven zu schütze der Amerikaner standen ja nicht schießen, und das ganze Haus erbebte nur rings um das Dorf herum, sondern dann in seinen Grundfesten. Erstaunlich auch mitten im Orte selbst. war zu beobachten, mit welcher Gelas- senheit die Amerikaner ihren Dienst ver- [Lt. Schulchronik wurden in diesen Tagen richteten. Kommandos wurden kaum ge- gezählt in Mecklinghausen 100 Einschlä- geben, es ging alles wie am Schnürchen. ge, davon 31 Treffer; in Helden 263 Ein- schläge, davon 50 Treffer; in Niederhel- Mit dem Abzug der amerikanischen Be- den 60 Einschläge, davon 13 Treffer. Es satzung [am 13.04.] waren wir den Rus- sind nur die Einschläge in den Dörfern sen vollständig preisgegeben, und eine gezählt worden; an sich war der Be- entsetzliche Zeit begann. An vielen Stel- schuss stärker. So gaben die Amerikaner len wurde ganz offen geplündert, und an, auf Helden allein 500 Schuss verfeu- chaotische Zustände traten ein. Auf der ert zu haben.] Straße war man allein nicht mehr sicher. Nachdem dieser Zustand bis zum 16. Auch in der darauffolgenden Nacht wurde April gedauert hatte, fassten sich die nun ständig von der amerikanischen Artil- Mecklinghauser und Heldener Bauern ein lerie geschossen, und wir verbrachten Herz und trieben alle Russen und Aus- diese Nacht wieder im Keller. Im Hause länder aus dem Ort heraus [bis Obervei- schlief eine ganze Anzahl amerikanischer schede, von wo aus sie von den Ameri- Soldaten, die sich im Dienste ständig kanern ins Lager nach Siegen gebracht abwechselten. Ein junger Kapitän be- wurden]. Dann trat einigermaßen Ruhe

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ein, und man konnte endlich wieder frei atmen.

Evakuierte in Mecklinghausen 1945 List of German Refugees

[Ergänzungen sind in Kursivschrift hinzugefügt. Die Original-Listen und auch viele Aufstellungen und Be- standsmeldungen z. B. an Vieh und Lebensmittelvorräten, die am 22. April an den Militärkommandanten gemeldet werden mussten, befinden sich noch heute in einer Mappe bei Peter Gabriel in Mecklinghausen, weil sein Vater damals als Bürgermeister eingesetzt worden war.]

adress in Meckl name age previous adress Caspar Vogt Gerhard Darius 25.12.1901 Linnich Kreis Jülich ["Strukes Kaspar" war ein Agnes 02.04.1906 Mahrstr. 79 sehr hilfsbereiter Bauer, Franz 05.08.1928 der alle seine Räume den Ludwig 16.06.1930 Flüchtlingen überließ und Philipp 16.05.1932 selbst monatelang im Luise 19.11.1940 Stall hinter seinen Kühen Aenne Swoboda 25.09.1907 Bochum, Brunkstr. 31 auf einem Strohlager Albert 06.08.1930 schlief.] Helmut 22.09.1934 Herbert 20.08.1936 Anni 14.04.1939 Elisabeth Vollmann 30.09.1910 Witten a. d. Ruhr Elisabeth 26.03.1939 Karl Friedrich 06.10.1939 Elisabeth Frericks 14.01.1907 Essen, Liebigstr. 63 Wolfgang 22.01.1935 Gisela 19.01.1940 Klaus 05.11.1941 Aenne Gottlob 22.05.1905 Düsseldorf, Schweidnit- Inge 22.05.1935 zer 35 Rosel Maassen 15.10.1901 Essen-West, Blankestr. Maria Abel 03.04.1928 Rosemarie 03.04.1928 Hildegard 31.05.1932 Anton Nowketa 09.08. 1886 Essen-Borb., Schlosswiese46 Karl Flenk 28.03.1885 Oberhausen/Sterkrade

Josef Heimes Frau Franz Pöttgen 60 years Essen Wilhelm Eckel Walter Nottmeyer 26 years Haspe Ira 26 years

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Dieter 8 months Franz Sommer Adelheid Ramrath 25.08.1919 Düsseldorf, Engerstr. Josef Gabriel Franz Lindner 01.04.1897 Köln, Unkelerstr. 17 Nora Lindner 15.04.1899 Franziska Gabriel 16.02.1908 Oberhambach, Odenwaldschule

Wwe. Fr. Schnepper Wwe. Wilhelm Dahm 14.02.1909 Essen Ursula 13.03.1939 Renate 31.01.1944 Gabriel - Engels Dr. Bernhard Schade 11.01.1885 Dortmund Frau Lina 19.09.1889 Frau Aenne Schade 31.03.1916 Ursula 01.11.1941

Cilli Schäfer Irmgard Kühn 23.01.1911 Bochum, Kassenberg Rolf 23.01.1934 Johann Hennemann Hilde Blümer 07.02.1914 Münster, Oberschle- [Pauline 06.07.1934] sierstr. 93 Waltraud 24.04.1937 Hänschen 01.04.1939 Edith Hennemann 14.03.1928 Bonn, Lessingstr. 26 Horst 01.12.1939

Wilhelm Schöttler Maria Engels 19.07.1893 Berzdorf/ Brühl, Brüh- Hubert 02.11.1902 lerstr. 60 Elli 23.10.1919 Gerda 08.11.1933 Elisabeth Möller 21.02.1908 Theodor 17.12.1931 Alfons Schnepper Maria Henseler 27.04.1907 Bonn, Rathausstr. 22 Elli Neumann 02.11.1920 Essen, Kruppstr. 240 Alfred 31.10.1943 Josef Schnepper Hede Klauser 03.12.1908 Münster i. Westf. Jürgen 25.04.1938 Ursula 29.12.1939 Peter Bicher Franz Thromberens 19.05.1881 Essen, Kruppstr. 240 Gertrud 29.12.1882 Aenne Preis 22.04.1913 Essen, Kruppstr. 242 Alfred 23.01.1940 Hans P. 11.06.1941 Anton Becker Heinrich Frericks 60 years Essen Else 59 years Hans Carnein 40 years Else 38 years Resie 08 years Wilfried 06 years Wwe. Berta Becker 55 years Duisburg Aenne Happe 33 years Walter 02 years Weidenau (Sieg)

Franz Pulte Therese Hötte 31.03.1872 Bochum, Alleestr. 38 Leni 08.10.1916

Kaspar Pulte Trude Jaitner 30.05.1914 Düsseldorf - Oberkassel Klaus 02.01.1942 Salierstr. 15 Ursula 07.03.1944 Joseph Pulte 11.03.1863 Essen, Jesuitenkloster Hermann Schilde 01.01.1881 Köln- Ehrenfeld, Tieckstr. Christine Schilde 06.04.1891 52 Gertrud 02.02.1922

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Mathias 09.11.1934 Norbert Scheckel Johann Bartholemy 17.04.1882 Aachen, Heinrichsallee Katharina 21.04.1882 39 Helene Scheckel 12.11.1914 Heinrich Voss Elise Neumann 77 years Hamm i. Westf. Hamm i. Waltraud Hillburg 20 years Westf. Luise Jürgens Wwe. Maria Quelle 03.01.1881 Dortmund, Tirolerstr. Wwe. Helmi Fischer 27.06.1913 Dortmund, Tirolerstr. 7 Hans Ulrich 02.11.1938 Joachim 25.04.1943 Joseph Menke Josepha Jürgens 22.09.1888 Bochum, Blücherstr. 40 Elisabeth 30.11.1889 Amalie 10.09.1891 Hedwig 10.12.1892 Wwe. Aug. Lötte 22.05.1869 Essen-Süd, Netheweg32 Agnes Cremer 06.05.1894 Bochum, Vidumerstr. 17 Norbert Cremer 23.12.1931

M. Schnepper "Jürns" Therese Schnepper 18.05.1882 Münster, Gartenstr. 4

Heinr. Bork-Gabriel, Auguste Völkel 10.06.1874 Siegen, Baumstr. 8 Jäckelchen Elisabeth 24.11.1906 Fritz 06.05.1939 Duisburg, Hindenburgstr. 115 Hedwig Becker 03.05.1881 Duisburg, Ackerfährstr. 5 Elisabeth Krämer 03.04.1875 Bochum - Gerte, Turnstr. 1 Ottilie Schumacher 10.10.1893 Bonn, Lessingstr. 26 Dorothea Hennemann 24.11.1929

Wilhelm Sauer, Jäckel- Alfred Bartsch 05.05.1871 Düsseldorf, Geibelstr. 37 chen Adele 24.06.1883 lsabelle Kleinjäger 16.07.1883 Essen, Gehrbergstr. 22 Therese Herget 04.03.1903 Dortmund, Fichtestr. 12 Elisabeth 19.05.1935 Heribert 16.09.1938 Friedr. Schumacher 04.02.1882 Bochum - Gerte, Turnstr.

List of foreign workers [Kriegsgefangene/Diese Liste ist aber nicht vollständig]

adress in Meckl. name age native country Heinrich Voss Wladislaw Gamonski 30 years Stefan Jakikum 27 years russian Wera Harenko 20 years russian Joseph Schnepper Anton Siejk 29 years poland

Franz Pulte Johann Baeumeb 32 years poland Joseph Menke Johann Niedzielski 32 years poland Kaspar Pulte Stanisl. Jorkiewietz 19 years poland Joseph Gabriel Josef Climczak 24 years poland

[Josef Humbach Luzian NN (Schmied) Franzose]

[Josef Schnütgen 1 poland;1 russian] [Wilhelm Schöttler in der Mühle: Fedor und 2 Franzosen Heinr. Bork, Jäck. Stefan Jablonski 29 years poland Jan Knag 21 years poland

- 45 - Heft Verein für Heimatkunde 02.05.2006 16:17 Uhr Seite 46

Das Archiv des Freiherrn von Fürstenberg verkauft:

1. Fürstenbergsche Geschichte in vier Bänden:

x v. Klocke, Friedrich (Bearb.): Fürstenbergsche Geschichte, 1. Bd., Die Geschichte des Geschlechtes von Fürstenberg bis um 1400, 2. Auflage, Münster 1971

x v. Klocke, Friedrich und Theuerkauf, Gerhard: Fürstenbergsche Geschichte, 2. Bd., Die Geschichte des Geschlechtes von Fürstenberg von 1400 bis um 1600, Münster 1971.

x Lahrkamp, Helmut / Richtering, Helmut u.a. (Bearb.): Fürstenbergsche Geschich- te, 3. Bd., Die Geschichte des Geschlechtes von Fürstenberg im 17. Jahrhundert, Münster 1971.

x Andernach, Norbert / Keinemann, Friedrich u.a. (Bearb.): Fürstenbergsche Ge- schichte, 4. Bd., Die Geschichte des Geschlechtes von Fürstenberg im 18. Jahr- hundert, Münster 1979.

Alle zusammen: 40, 00 Euro

2. Börste, Norbert / Ernesti, Jörg (Hrsg.): Friedensfürst und Guter Hirte. Ferdinand von Fürstenberg - Fürstbischof von Paderborn und Münster. Paderborn 2004 (Paderborner Theologische Studien, Bd. 42).

25, 00 Euro

3. Stiegemann, Christoph (Hrsg.): Wunderwerk. Göttliche Ordnung und vermessene Welt: Der Goldschmied und Kupferstecher Antonius Eisenhoit und die Hofkunst um 1600. Kataloghandbuch zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuse- um Paderborn/Hrsg. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2003.

20, 00 Euro

M. Jolk, Archivar des Freiherrn von Fürstenberg

Bestellungen bitte an den Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. richten. Geschäftsstelle Hansastraße 4, 57439 Attendorn, montags 18.00 bis 20.00 Uhr.

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Einige meiner Erinnerungen an die Kirchen in Attendorn nach dem Krieg von Josef Hormes

Seit dem 1. August 1945 stand ich im Die alte Heizung war durch Grundwas- Dienste der Kirche in unserer Pfarrei. ser und andere Schäden ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Man versuch- Die Pfarrkirche war durch einen Flie- te, sie wenigstens wieder ans Laufen gerangriff vom 28. März 1945 sehr zu bringen. In der ersten Zeit wunderte stark beschädigt. Die Fenster waren man sich nicht, wenn ein Teil vom alle zerstört. Wie durch ein Wunder Qualm anstatt in den Kamin, durch den blieb das Gewölbe trotz des gewaltigen einzigen Wärmekanal in die Kirche Brandes vom Dachstuhl erhalten. zog. Die Gottesdienstbesucher waren in der Zeit schon einiges gewohnt! Dadurch bedingt, konnte nach der Zer- störung der Klosterkirche, die bis dahin Womit aber nur heizen? Wir zersägten von der Pfarrei genutzt wurde, die die noch teilweise nicht verbrannten Pfarrkirche wieder notdürftig zum Got- Balken des Kirchendaches in entspre- tesdienst gebraucht werden - ohne chende Stücke, so dass damit die Hei- Fenster. Wenn es stark regnete - so zung wieder in Gang gesetzt werden berichtete man mir später - mussten konnte. Ich durfte allerdings den recht- die Kirchenbesucher von der einen zeitigen Anschluss des Nachheizens Seite der Kirche in die andere Hälfte nicht versäumen. Aber nachts? Im flüchten. Die Innenausstattung der Kir- Winter1945/46 bestand noch die von che blieb zum Glück auch erhalten. der englischen Besatzungsmacht ver- ordnete Ausgangssperre. Da bin ich in Nach meiner Rückkehr aus der Gefan- der Nacht - damals noch Truchseß- genschaft - 10. Juli 1945 - hatte die gasse 2 - einmal aufgestanden, um Kirche schon wieder eine Notvergla- heimlich in die Heizung zu laufen, um sung. Allerdings war ein abgedichteter erneut Holzbalken nach zu schieben. Anschluss mit dem Mauerwerk nicht Trotz allen Bemühens konnte von einer möglich. Im Sommer waren dem Wind besonderen Wärme in der Kirche keine und im Winter der Kälte Tür und Tor Rede sein. geöffnet. Im Winter 1945/46 war es so kalt, dass ich auf dem Altar eine kleine Mit dem, was ich nun berichte, möchte Sonnenheizung aufgestellt habe, damit ich auf keinen Fall damalige verant- dem zelebrierenden Priester die Hände wortliche Geistliche oder Laien kritisie- nicht zu eisig wurden. Wie man kurz ren wegen der 1952/53 erfolgten Um- nach Kriegsende unter den da gege- gestaltung des Chorraumes. Mein benen Umständen eine Notverglasung Grundsatz: "Man muss alles in seiner herbei schaffen konnte, bleibt mir heu- Zeit sehen!" Das alte Chorgestühl und te noch ein Rätsel. Damals herrschte der neugotische Hochaltar wurden ent- das Wort: "Kompensieren" - gibst Du fernt. Die beiden oberen Seitenaltäre mir, gebe ich Dir! ebenfalls. Der Marienaltar, links vom Chor, wurde leider zerstört, Der Kreuz- Vor dem nächsten Winter stopfte man altar und ein Teil des Chorgestühls dann die offenen Stellen zwischen konnte Dank beherzter Männer der Fensterrahmen und Mauerwerk mit Pfarrei gerettet werden. Kreuzaltar und Glaswolle aus. Das half etwas. Teil vom Chorgestühl befinden sich 1949/50 wurde mit dem Einbau der heute in der Hospitalkirche. Der Chor neuen Fenster begonnen. wurde nun höher gelegt mit einem

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neuen Altar. Die Gestaltung der Got- Meßfeier für seine Leute in die belgi- tesdienste konnte somit den Kirchen- sche Kaserne. besuchern sichtbarer gemacht werden, unter Berücksichtigung der damals Vor dem Neubau der letzten Franzis- noch geltenden Form der Liturgie. kanerkirche hatte Pastor Wurm folgen- Schon bald nach seiner Einführung den Plan: Er hätte gerne den Bau einer plante unser Pastor, den Chorraum Kirche vorn auf dem Hahnbeul gese- wieder in die alte Fassung zu bringen. hen und sie den Franziskanern über- Ich hatte den großen Wunsch, diese lassen. Für diese Kirche sollten dann Umgestaltung noch mitzuerleben. Man Hellepädchen, Bremger Weg, Wind- kann heute sagen: "Das Werk mit der hauser Straße, Kampstraße, Grüner großartigen Ausmalung ist voll gelun- Weg, Musebieter, Remmenstein und gen!" Wie sagte schon der Psalmist: Biekhofen zur einer neuen Pfarrei ab- "Ich liebe Herr die Zierde deines Hau- gepfarrt werden. Vom seelsorglichen ses!" Standpunkt wäre das wohl eine gute Lösung gewesen. Die neue Franziska- Die Franziskaner verloren durch das nerkirche erhielt ihren Platz zu nah an Explosionsunglück am 15. Juni 1945 der Pfarrkirche. ihre Kirche an der Kölner Straße. Für die werktägliche Gottesdienstfeier Josefskirche: wurde ihnen in der Pfarrkirche die Zeit Als Pastor Wurm 1960 hier eingeführt von morgens 6.30 Uhr angeboten. Für wurde, ging er mit Vikar Grosche u.a. die damaligen Begriffe war das nicht auch durch die Randgebiete der Pfar- zu früh, denn in der alten Franziska- rei. Im Schwalbenohl stellte man dann nerkirche begann die hl. Messe bereits fest, dass die Kirche in diesem Gebiet um 5.30 Uhr. sinnvoller gebaut worden wäre. Der Auftrag zum Bau der Josefskirche war Schon bald bemühte sich Pater Hono- aber schon erteilt. Übrigens sei hier ratus um den Bau einer Notkirche am noch daran erinnert, dass man damals Kloster mit dem Eingang zur Kamp- noch von dem Gesichtspunkt ausging: straße. In den ersten Monaten nach Kirche und Schule gehören zusam- der Fertigstellung dieser Kirche wurde men. auch von der belgischen Besatzung - Soldaten mit ihren Familien - hier ihr Hospitalkirche: Sonntagsgottesdienst gefeiert. Eine Diese Kirche war am 28. März 1945 stille Messe - so wie man damals die auch durch Bomben zum Teil zerstört. Form dieses Gottesdienstes nannte - Der Rest wurde nun als Lagerraum ohne Predigt. Nach gut 20 Minuten genutzt. Die anliegende Industrie hatte waren die Kirchenbesucher wieder auf bald die Absicht, auf dem "alten Fried- dem Heimweg! hof am Hospital" ein Bürogebäude zu errichten. Man erwarb das Grundstück Das sprach sich schnell unter einem und baute. So ging der alte Friedhof Teil der Pfarrkirchen - Besucher her- verloren. Die Hüttenwerke hätten auch um. Die Notkirche war bald besetzt. gerne den Platz der Hospitalkirche ü- Mann an Mann fand dann auf den bernommen. Hier setzten sich aber Treppen, ja sogar noch auf der Kamp- einige Männer der Pfarrei beim Lan- straße Platz. Vom Klerus der Pfarrge- deskonservator in Münster für den Er- meinde wurde diese Art der Meßfeier halt und Wiederaufbau der Kirche mit nicht gerne gesehen. Schon bald ver- Erfolg ein. legte der zuständige Geistliche die Josef Hormes im Juni 2002

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Ferne Welten - Freie Stadt Ein Ausstellungsbericht von Martin Kuschel

Unter dem Titel "Ferne Welten - Freie lung gibt dem Besucher jedoch keinen Stadt" wurde kürzlich in Dortmund eine festen Rundgang vor, so dass jeder große Ausstellung zum Thema Dort- Besucher sich seinen "Stadtbesuch" mund im Mittelalter eröffnet1 . Die Aus- nach seinen eigenen Kriterien gestal- stellung zeigt anhand von zahlreichen ten kann. Dabei geben unterschiedli- Exponaten das Leben in einer mittelal- che Ebenen und Durchbrüche immer terlichen "Großstadt" und die zahlrei- wieder neue Perspektiven auf andere chen Verbindungen einer westfäli- Themenkomplexe frei. schen Hansestadt in die "weite Welt".

Es würde zu weit führen, an dieser Nach einem Prolog im Foyer des Mu- Stelle sämtliche der abgehandelten seums für Kunst- und Kulturgeschich- Themenkomplexe im Detail vorzustel- te, welcher sich kurz mit modernen len, deshalb soll hier nur kurz auf eini- Deutungen des mittelalterlichen Dort- ge wenige eingegangen werden. Unter munds befasst, stößt der Besucher unvermittelt auf eine hölzerne Stadt- Zur Information mauer, welche ihm zunächst den Blick in die "Stadt" versperrt. Außerhalb der Dauer: 2. April - 16. Juli 2006 "Stadtmauer" wird die Geschichte Orte: Museum für Kunst- und Kul- Dortmunds aus der Zeit vor der Stadt- turgeschichte der Stadt Dortmund, werdung anhand von Urkunden2 und Kirchen St. Reinoldi, St. Marien, Münzfunden thematisiert. Weiter finden Propsteikirche St. Johannes Baptist sich hier Betrachtungen zur Stadtsil- und St. Petri houette, besonders beeindruckend die Öffnungszeiten: Stadtansicht Dortmunds von Derick Di.-So. 10.00 - 18.00 Uhr Baegerts Retabel aus der Dortmunder Do. 10.00 - 20.00 Uhr Propsteikirche. Eintritt: Erwachsene 6,-- €, ermäßigt 4,-- € Schulklassen 2,-- € / Pers. Sodann betritt der Besucher die "Stadt" Familienkarte 12,-- € durch ein "Stadttor", in diesem Fall ge- Internet: bildet durch eine westfälische Kirchen- www.dortmund.de/mittelalter tür unbekannter Provenienz aus der Zeit um 1400. Innerhalb der "Stadt" erwartet den Besucher buchstäblich dem Motto "Maler und Bilder" zeigt die "ein buntes Treiben" der verschiedens- Ausstellung zahlreiche Beispiele für ten Aspekte städtischen Lebens im das Wirken der Maler Conrad von mittelalterlichen Dortmund. Zwar sind Soest, des Meisters des Berswordt- die Exponate jeweils zu Themenkom- Altars und des Derick Baegert, auf plexen zusammengefasst, die Ausstel dessen Hochaltarretabel aus der Zeit um 1470 sich die älteste Stadtansicht 1 Ich danke Herrn Ludwig Korte für die Ver- Dortmunds wiederfindet. mittlung der Einladung zur Eröffnungsveran- staltung 2 z.B. die Ersterwähnung Dortmunds im ältes- ten Urbar des Klosters Werden aus dem aus- Beeindruckend sind auch die prächti- gehenden 9. Jhdt. gen Textilien im Ausstellungsteil

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"Pracht in den Bildern und vor den Bil- Schuldbuch der Brüder S. und H. Ve- dern", so z.B. italienisches Seidenge- ckinghusen zum Beispiel mag eine webe aus dem 14. Jhdt. und eine Ka- Rarität sein, erschließt sich dem Bet- sel aus der Danziger Marienkirche. rachter jedoch nicht aus sich heraus, Deutlich wird, dass prachtvolle Ge- sondern hätte es sicher verdient, in der wänder nicht nur auf (Altar-) Bildern Ausstellung weiter aufgeschlüsselt zu abgebildet wurden, sondern tatsächlich werden. So könnte dem Besucher bei- auch im Leben einer Stadt ihren Platz spielsweise durch eine Umschrift des hatten, wenn auch sicher nur bei den Textes oder durch eine (auch akusti- Honoratioren der Stadt. Anhand eines sche) Animation nahe gebracht wer- kleinen unscheinbaren Kloakenfunds den, was ein Kaufmann des Mittelal- aus Düsseldorf wird jedoch auch ge- ters in seinem Schuldbuch festhielt. zeigt, dass Wolle auch zur Körperhy- giene auf der Toilette genutzt wurde. Aus Attendorner Sicht achtet man na- türlich auch auf die Darstellung der Im Teil "Musik in der mittelalterlichen Beziehungen zwischen Dortmund und Stadt" werden zahlreiche Nachbauten den anderen der Hanse zugewandten mittelalterlicher Instrumente aus der Städte aus Westfalen. Dabei fällt auf, Sammlung der Wernsdorfer Musiker- dass die Hanse offenbar nur als Orga- familie Spindler3 gezeigt, welche auch nisation des Fernhandels gesehen die Eröffnungsfeier am 1. April 2006 wird. Während die Beziehungen Dort- mit mittelalterlicher Musik bereichert munds in den Ost- (u.a. Visby, Novgo- hat. Leider wird die Ausstellung selbst rod, Tallin) und Nordseeraum (u.a. nur spärlich durch entsprechende Mu- Bergen, London, Brügge) einen breiten sikbeispiele bereichert, so dass die Raum erhalten, findet sich kaum ein Instrumente in den Vitrinen buchstäb- Widerhall von Beziehungen ins westfä- lich stumm bleiben und der Stellenwert lische Binnenland. Ein Fernhandels- der Musik im mittelalterlichen Leben kaufmann wie Tidemann Lemberg 4 , kaum erfahrbar wird. der Beziehungen auch ins Sauerland unterhielt, kommt in der Ausstellung neben der bedeutenden Dortmunder Damit ist auch gleich einer der Haupt- Familie Berswordt nur als Randfigur kritikpunkte an der Inszenierung der vor. Ausstellung angesprochen: Viele Aus- stellungsstücke bleiben stumm, weil sie lediglich in Vitrinen ausgestellt sind Der umfangreiche Katalog (426 S.) und ihre Bedeutung für das Leben des stellt, soweit ersichtlich, jedes einzelne mittelalterlichen Menschen kaum er- Ausstellungsstück in Wort und Bild vor. fahrbar wird. So vermögen die zahlrei- Dies ist auch bei Ausstellungen und chen ausgestellten Urkunden und Brie- Katalogen dieser Größe nicht selbst- fe, insbesondere im umfangreichen verständlich und verdient, besonders Teil "Zu Hause in der Fremde: Dort- hervorgehoben zu werden. So wird es mund und die Hanse", nur wenig da- möglich, nicht nur die Ausstellung ins- von zu vermitteln, welche Bedeutung gesamt sondern auch jedes einzelne Schrift und Schreiben für die Entwick- Exponat noch einmal anhand des Ka- lung des Fernhandels hatten. Das taloges nachzubereiten.

3 Die Familie Spindler aus Wernsdorf bei Bamberg hat sich unter der Bezeichnung "Mu- sica antiqua Bambergensis" der Pflege der 4 vgl. hierzu u.a. G. Junker in Attendorn - ges- mittelalterlichen Musik verschrieben. tern und heute, Heft 27 (2005), S. 25 ff

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Der Aufsatzteil des Katalogs enthält zehn weiterführende Aufsätze, darun- ter einen über "Rathäuser des deut- schen Mittelalters". Neben dem Dort- munder Rathaus, bis zu seinem end- gültigen Abriß im Jahre 1955 das ältes- te steinerne Rathaus Deutschlands, werden zahlreiche andere Rathäuser angesprochen, so die Rathäuser von Hildesheim, Braunschweig und Lüne- burg. Das Attendorner Rathaus, im- merhin "einer der ältesten und bedeu- tendsten Rathausbauten in Westfa- len"5 , findet hingegen keinerlei Er- wähnung. Besonders hervorzuheben ist die Beilage des Katalogs, welche aus fünf hervorragend reproduzierten Klappmodellen der Altarretabel in den vier Dortmunder Innenstadtkirchen be- steht.

Flugblätter, Plakate und Katalog zur Ausstellung zeigen als wiederkehren- des Motiv die berühmte Brille des Con- rad von Soest aus dem Pfingstbild des Wildunger Altars. Leider wird dieses Motiv in der Ausstellung und Katalog nicht weiter bearbeitet. Zwar taucht sie immer wieder als Motiv auf, es wird auch eine derartige Brille als Exponat gezeigt, der Fortschritt, welcher mit der Überwindung körperlicher Schwächen durch technische Hilfsmittel verbunden war, wird jedoch nicht weiter themati- siert.

Insgesamt lohnt die Ausstellung trotz der angebrachten Kritikpunkte einen Besuch. Der interessierte Besucher erfährt viel über die Verhältnisse in einer westfälischen Großstadt des Mit- telalters, auch wenn die Präsentation vielfach entweder erhebliches Vorwis- sen oder eine intensive Beschäftigung mit den zu kleinen und häufig schlecht ausgeleuchteten Beschriftungen erfor- dert.

5 Kluge/Hansmann: Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Westfalen, 1986

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Denkmalliste der Stadt Attendorn1

Baudenkmäler

Denk Kurzbezeichnung Straße Haus- Ort Denkmal mal- Nr. Nr. 8 Altes Rathaus (Museum) Alter Markt 1 Attendorn 47 Fachwerkhaus Zollweg Alter Weg 8 Attendorn - Albringhausen 18 Kapelle in Lichtringhausen Am Daßte 1 Attendorn - Licht- ringhausen 22 Jüdischer Friedhof Am Himmelsberg Attendorn 28 Alte Vikarie Attendorn Am Kirchplatz 10 Attendorn 75 Wohnhaus Am Kirchplatz 8 Attendorn 16 Kath. Pastorat Am Kirchplatz 4 Attendorn 17 Pfarrheim Am Kirchplatz 5 Attendorn 66 Pulverturm Am kleinen Gra- Attendorn ben 48 Wohnhaus Am Spindels- 1 Attendorn burggraben 5 Wohnhaus Am Spindels- 20 Attendorn burggraben 4 Wohnhaus Am Spindels- 18 Attendorn burggraben 43 Barocke Figur Hl. Bischof Am Wassertor 1 Attendorn (18. Jh.) 24 Kath. Hospitalkirche St. Am Wassertor 11 Attendorn Barbara 35 Schmiedeeisernes Gitter Bahnhofstraße 4 Attendorn mit Tor 34 Bieketurm mit westlich vor- Bieketurmstraße 15 Attendorn gelagertem Stadtmauerrest 25 Backhaus 26 Attendorn- Bremge 14 Backhaus Biggeseestraße 12 Attendorn- Bremge 13 Nikolaus-Kapelle Bremge Biggeseestraße Attendorn- Bremge 1 Ehemaliges Augustiner- Biggeweg 5 Attendorn- chorherrenkloster (Altbau) Ewig 72 Wohnhaus Breite Straße 2 Attendorn 45 Wohnhaus Breite Techt 2 Attendorn 53 Wohnhaus Breite Techt 16 Attendorn 56 Bildstock Bremger Weg Bremger Weg Attendorn

1 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Denkmalliste danken wir der Stadt Attendorn herzlich! Auf die namentliche Nennung der Eigentümer wurde aus Datenschutzgründen verzichtet.

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/Windhauser Straße (nur Kruzifix) 61 Wohnhaus Brunnengasse 5 Attendorn 71 Wohnhaus Ennester Straße 1 Attendorn 60 Wohnhaus, teilweise Ennester Straße 3 Attendorn 49 Wohnhaus Erlenstraße 17 Attendorn- Erlen 58 Wohnhaus Finnentroper 1 Attendorn Straße 57 Bildstock in Erlen gegenüber Erlen- 31 Attendorn- straße Erlen 67 Ehemalige Trafostation in Gutsweg Attendorn- Dahlhausen Dahlhausen 63 Ehemaliges Amtgerichts- Hohler Weg 1 Attendorn gebäude 23 Nierhofer Mühle Ihnestraße 164 Attendorn- Listerscheid 46 Zwei Heiligenhäuschen im Ihnestraße Attendorn- Bereich der Ortslage Nier- Listerscheid hof 32 Kath. Pfarrkirche St. Martin Kirchstraße 10 Attendorn- Dünschede 68 Werkstattgebäude (Turm- Kleiner Markt Attendorn speicher) 7 Ehemaliges Evangelisches Klosterplatz 2 Attendorn Gemeindehaus 6 Evangelische Erlöserkirche Klosterplatz 6 Attendorn 41 Wohnhaus einschl. Wehr- Klosterplatz 5 Attendorn turmrest 21 Wohnhaus Klosterplatz 4 Attendorn 15 Wohnhaus Klosterplatz 3 Attendorn 54 Kreuzweg Mecklinghausen Kreuzberg Attendorn- Mecklinghau- sen 30 Kath. Pfarrkirche St. Marga- Margarethastraße 2 Attendorn- retha Ennest 19 Kath. Pfarrkirche St. Niederste Straße 1 Attendorn Johannes Baptist 70 Postgebäude Niederste Straße 11 Attendorn 9 Siegessäule 1870/71 Niederste Straße Attendorn 20 Collegium Bernardinum Nordwall 26 Attendorn (Konvikt) 10 Wohnhaus / ehemalige Villa Nordwall 4 Attendorn 52 Wohnhaus Nordwall 22 Attendorn 62 Wohnhaus Nordwall 8 Attendorn 50 Wohnhaus Nordwall 24 Attendorn 51 Speckschule Nordwall 29 Attendorn 36 Villa Nordwall 14 Attendorn 33 Kath. Pfarrkirche St. Hippo- Notburgaplatz 8 Attendorn- lytus Helden einschl. Kirch- Helden

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hof u. gotisches Vortrage- kreuz 26 Ausstattungsgegenstände Plettenberger 123 Attendorn- der Kirche in Lichtringhau- Straße Lichtringhau- sen sen 40 Hangkeller Repetalstraße Attendorn- Niederhelden 44 Ausstattungsgegenstände Rieflinghauser Attendorn- der Kapelle Mecklinghau- Weg Mecklinghau- sen sen 39 Burg Schnellenberg Schnellenberg 1 Attendorn 38 Schnellenberger Hospital Schnellenberger 25 Attendorn Weg 37 Hofkapelle Unterbremge 1 Attendorn- Bremge 31 Fachwerkhaus Unterdorf 16 Attendorn- Bürberg 27 Wohnhaus Vergessene Stra- 6 Attendorn ße 2 Wohnhaus Vergessene Stra- 2 u. 4 Attendorn ße 3 Wohnhaus Vergessene Stra- 26 Attendorn ße 64 Burgruine Waldenburg Waldenburger Attendorn- Bucht Waldenburg 42 Kapelle Waldenburg mit Waldenburger 29 Attendorn Ausstattung und Sieben- Bucht Schmerzen-Stationen 65 Heiligenhäuschen Waldenburger Attendorn Weg/Heldener Straße 73 Ehemaliges Kaufhaus Wasserstraße 1 Attendorn 74 Kreuzgewölbe unter Wohn- Wasserstraße 2 Attendorn und Geschäftshaus 69 Vereinshaus Ihnetal Wesetalstraße Attendorn- Weschede 12 Direktorwohnhaus des Westwall 50 Attendorn Städt. Gymnasiums 11 Städt. Gymnasium (ohne Westwall 48 Attendorn Anbau) 55 Kreuzigungsgruppe auf Windhauser Stra- 21 Attendorn dem Kath. Friedhof ße 29 Kapelle St. Hubert in Repe Zum Dörensborn 3a Attendorn- Repe

Bodendenkmäler

Denkmalbezeichnung Straße Ort Denkmal Stadtmauerrest Am kleinen Graben Attendorn

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Reste der Stadtbefesti- Am Seewerngraben Attendorn gung Reste der Stadtbefesti- Kölner Tor Attendorn gung Reste der Stadtbefesti- Kölner Tor / Südwall Attendorn gung Reste der Stadtbefesti- Am Spindelsburggraben Attendorn gung Reste der Stadtbefesti- Wassertor Attendorn gung Reste der ehem. Kloster- Attendorn kirche Brunnen Torenkasten Attendorn Brunnen Am Kirchplatz Attendorn Höhle Kirschhollenloch Attendorn Torbogenhöhle Biggen Attendorn - Biggen Reste der mittelalterlichen Attendorn - Waldenburg Burg einschl. des umge- benden Bergsporns Reste der mittelalterlichen Attendorn - Berlinghausen Turmhügelburg Früh- und hochmittelalter- Jäckelchen Attendorn - Jäckelchen liche Burg mit Sperrwall Reste der mittelalterlichen Attendorn - Borghausen Burg Sperrwall o. Landwehr Attendorn östlich Campingplatz Wal- denburger Bucht Landwehr östlich Burg Attendorn Schnellenberg Landwehr Reper Höhe Attendorn westlich der L 697 Hohlwegreste Am Keller Nähe Campingplatz Wal- Attendorn denburg Hohlwegreste südlich der Attendorn Campinganlage Walden- burg Hohlwegreste der Heiden- Attendorn straße südlich der Burg Schnellenberg Hohlwegreste der Heiden- Attendorn straße östlich von Atten- dorn Hohlwegreste östlich Attendorn - Hofkühl Holtmicke Hohlwegrest sog. Römer- Jäckelchen Attendorn - Jäckelchen weg am Quinhagen Hohlwegrest Repetalstraße 165 b Attendorn - Helden Hohlwegrest Zum Stenn 3 Attendorn - Dünschede

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