Der Aufstands-Dörnberg
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Der Aufstands-Dörnberg Zu seiner Rolle im Widerstand gegen Jérôme Bonaparte vor 200 Jahren. von Hans Günther Bickert Im Rahmen der Neubewertung des Königreichs Westphalen (1807-1813), deren neueste Ergebnisse ein opulenter Begleitband zur Hessischen Landesausstellung 2008 in Kassel dokumentiert1, gilt das Interesse hauptsächlich den Reformen des „Modellstaates“. Da es sich um ein deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt handelt, wird das Verbindende besonders betont, ohne daß Kritik vermieden würde. In bisher noch nicht gekannter Aus- führlichkeit werden zumeist längst bekannte „Neuerungen von großer und bleibender Bedeutung“2 vorgestellt, oft in neuer Sicht. Die Modernisierung erfolgte in Westphalen nach französischem Muster und war ein Ergebnis von Fremdherrschaft, diese eine Folge militärischer Gewaltanwendung. Wohl in der Erwartung, daß sich letztere in den bilatera- len Beziehungen auf Dauer erledigt hat, wird dieser sensible Bereich schonend behandelt. Das Thema „Militär und Krieg“ gewinnt durch Präsentation zahlreicher schmucker Uni- formen und Accessoires bei sparsamer Visualisierung der Desastres de la guerra in fer- nen Ländern ästhetischen Reiz: Man erfährt einiges von den Feldzügen in Spanien und Rußland, aber vergleichsweise wenig von den Vorgängen in Westphalen. Nur eine kleine Vitrine war der Insurrektion von 1809 vorbehalten. Ein aus Braunschweig stammendes Ölbild des Anführers in farbenprächtiger Uniform, geschaffen von einem unbekannten zeitgenössischen Maler nach 1815, diente als Blickfang. Die spärlichen Hinweise im Katalog erweitern unsere Kenntnisse von der kontrovers beurteilten Persönlichkeit kaum. Gerade am Beispiel ihres Wirkens läßt sich die Spaltung der damaligen Gesellschaft in Befürworter (Kollaborateure und Sympathisanten) des neuen Regimes und Oppositionel- le, in den Worten August Vilmars die „äußerst scharfe soziale Trennung zwischen den ‚Treuen‘ (auch Patrioten, Deutschgesinnte genannt) und den ‚Franzosenfreunden‘3 stu- dieren, die sogar Familien entzweite (Gottlob von der Malsburg gehörte zu den Ver- schwörern), und erörtern, was es bedeutet, daß nicht ein abtrünniger hessische Offizier seinen Aufstand vollenden und Jérôme vertreiben durfte, als die militärischen Mittel dazu zur Verfügung standen, sondern ein russischer General. Wenn auch das gescheiterte Un- ternehmen in in der älteren Geschichtsschreibung vielfach überschätzt worden ist, so spricht schon das publizistische Echo gegen die Vermutung, es habe sich lediglich um eine folgenlose und darum zu vernachlässigende Episode gehandelt. Wenn man distanziert die damaligen Vorgänge mit dem Ziel betrachtet, sie aus den Bedingungen ihrer Zeit heraus zu verstehen, darf man nicht vom Preis absehen, der von –––––––––– 1 Vgl. König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen, München 2008. (Künftig: Katalog 2008). 2 Vgl. Ernst Rudolf HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, Stuttgart 1960, S. 90. 3 Vgl. Otto GERLAND (Hg.): Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten=, Schriftsteller= und Künst- ler= Geschichte von 1831 bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, Kassel 1863, S. 130. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte (ZHG) Band 114 (2009), S. 177-198 178 Hans Günther Bickert den Geschlagenen zu zahlen war, speziell vom „impôt du sang“4, den sie für das Regime einer ausländischen Macht zu entrichten hatten. Man hat errechnet, daß rund 3% der Westphalen von den Kriegszügen Napoleons nicht zurückkehrten5. Zwar weist eine neue- re Untersuchung nach, daß es sich hier nicht um eine Gesamtzahl von Toten handelt, weil auch Gefangene berücksichtigt werden müssen6, doch war der Aderlaß beträchtlich. Zu- mindest die Hinterbliebenen dürften dies als schrecklich empfunden und ihre Hoffnung auf Aktionen, nicht auf die Realisierung papierener Programmatik gesetzt haben, wenn sie ihnen denn überhaupt bekannt gewesen ist. Helmut SEIER hat schon vor Jahren den „Opfergang der kurhessischen Soldaten auf den Schlachtfeldern Spaniens und Rußlands“ als wichtigste Ursache für einen generellen Meinungsumschwung zuungunsten des Re- gimes benannt7. Daß auch der bewaffnete Widerstand im Inland Wirkung zeigte, belegt das Unternehmen Wilhelms von Dörnberg. Er stammte, wie man erfährt, aus Hausen bei Oberaula im heutigen Schwalm-Eder- Kreis, einem ehedem zu Fulda gehörenden Dorf, dessen Burg erstmals durch die fuldi- sche Historiographie für das Jahr 1311 bezeugt wird8. Mit dieser Persönlichkeit befaßt sich der folgende Beitrag. Auch bei der Beschränkung auf ein winziges Segment der rastlosen Tätigkeit des Protagonisten lassen sich Informationen über dessen Handlungs- motive und die Haltung der nicht aufständischen Landbevölkerung seiner engeren Hei- mat und einzelner Personengruppen gewinnen. Um aus der Fülle heute nicht mehr ver- trauter Fakten eine Verständigungsbasis zu finden, liegt es nahe, zunächst Grundinforma- tionen über das Dörnbergsche Unternehmen des Jahres 1809 (I-III) ins Gedächtnis zu rufen, ihr literarisches Echo (IV) zur Einschätzung der Breitenwirkung zu skizzieren und dann unter erstmaliger Einbeziehung der weitgehend unbekannten lokalen Überlieferung und am Beispiel der mißlungenen Ehrung am Geburtsort des militärischen Führers auch auf die Erinnerungskultur hierzulande einzugehen (V-VI). Es ist beabsichtigt, das Bild der Ausstellung um einige Facetten zu ergänzen. I. Zur Vorgeschichte In der Zeit der französischen Fremdherrschaft9 gehörte Hausen zum Kanton Oberaula im Distrikt Hersfeld des Werra-Departements im Königreich Westphalen, das Napole- –––––––––– 4 Vgl. Anne CREPIN: La conscription en débat ou le triple apprentissage de la nation, de la citoyenneté, de la République, Arras 1998, S. 30. 5 Vgl. Bettina SEVERIN-BARBOUTIE: Vom freiwilligen Söldner zum westphälischen Untertan – Militärische Massenmobilisierung im Königreich Westphalen, in: Katalog 2008, S. 121. 6 Vgl. Inge AUERBACH: Napoleons Hessen, in: Der hessische Löwe und der russische Bär. Die Bezie- hungen zwischen Hessen-Kassel und Russland 16.-20. Jahrhundert, Marburg 2003, S. 107-111. 7 Vgl. Modernisierung und Integration in Kurhessen 1803-1866, in: Das Werden Hessens. Hg. von Walter HEINEMEYER, Marburg 1986, S. 446. 8 Vgl. Johann Friedrich SCHANNAT: Codex Probationum Clientelae Fuldensis, Francofurti ad Moenum 1726, S. 313, Nr. CCCLXX. – Vgl. auch Friedrich SCHUNDER: Die von Loewenstein, Lübeck 1955, Bd. 2, S. 111, Nr. 113. 9 Vgl. Helmut SEIER: Das Kurfürstentum Hessen 1803-1866, in: Handbuch der hessischen Geschichte 4.2,1 Marburg 1998, S. 10-38: Kurhessen im Napoleonischen Einflußbereich 1803-1813. Der Aufstands-Dörnberg 179 ons I. jüngster Bruder Jérôme Bonaparte (1784-1860) seit 1807 bis 1813 von Kassel aus regierte.10 Insbesondere kriegsbedingte Lasten durch Einquartierungen und Zwangsrekrutierungen, Kontributionen, drakonische Strafen für Deserteure sowie Sip- penhaftung für ihre Familien und Herkunftsgemeinden, aber auch Bespitzelung, Über- tragung französischer Verwaltungsprinzipien und Amtsbezeichnungen, Einfluß franzö- sischen Personals und Einführung des Französischen als Amtssprache brachten das Regime in Mißkredit. In Verbindung mit dem Ausbruch des Kriegs zwischen Öster- reich und Frankreich kam es 1809 zu Volksaufständen, deren bekannteste Anführer Andreas Hofer in Tirol und Ferdinand von Schill in Norddeutschland waren. Jérôme sah einen Zusammenhang, heißt es doch in seinem Kasseler Dekret vom 24. April 1809 für seine Untertanen: „On veut vous persuader que la guerre de l’Autriche contre la France et la Confédération du Rhin est une occasion favorable à la révolte“. Wohl han- delte es sich zunächst um regional begrenzte Aktionen, aber es bildete sich ein Netz- werk von Patrioten, und angesichts eines sich entwickelnden Nationalbewußtseins auch in den deutschen Staaten wäre eine Zurückführung der sich häufenden Konflikte mit der Besatzungsmacht allein auf soziale Ursachen nicht hinreichend. Nicht mehr geläufig ist der Name der führenden Persönlichkeit im kurhessi- schen Insurrektionsgebiet. Es handelt sich um den am 14. April 1768 auf Schloß Hausen11 geborenen Wilhelm Caspar Ferdinand von Dörnberg, einen Sohn Carl Sigismunds von Dörnberg zu Hausen und seiner zweiten Ehefrau Henriette Eleono- re Christine von Mansbach. Er wurde als Vierzehnjähriger in Kurhessen Soldat und brachte es zum Hauptmann der Garde Kurfürst Wilhelms I. und der leichten Infan- terie12, trat 1786 in preußische Dienste und gehörte 1806 zu Blüchers Korps, geriet bei Lübeck in Gefangenschaft, hatte sich nach seiner Freilassung in England auf- gehalten und war nach der Bildung des Königreichs Westphalen infolge der Frie- densverträge von Tilsit vom 7. und 9. 7. 1807 durch Dekret Napoleons vom 18.8.1807 und durch die Konstitutionsakte vom 15.11. / 7. 12. 1807 nach Hausen gezogen. Jérôme befahl nämlich „den in fremden Kriegsdiensten stehenden Solda- ten, nach Westphalen zurückzukehren. Falls sie seiner Aufforderung nicht nachka- men, drohte er ihre Einkünfter beschlagnahmen zu lassen“13. Dörnberg fürchtete den Verlust seiner Güter mit einhergehender sozialer Deklassierung14 und führte –––––––––– 10 Vgl. Helmut BERDING: Jérôme Bonaparte, in: NDB 10, Berlin 1974, S. 414-415. 11 Vgl. Hugo Freiherr von DÖRNBERG-HAUSEN: Wilhelm von Dörnberg, Marburg 1936, S. 5. Da- nach ist Rudolf von BUTTLAR-ELBERBERG: Stammbuch der Althessischen Ritterschaft, Wolfha- gen 1888, zu korrigieren, der Hersfeld als Geburtsort nennt; ebenso Jean Tulard, Dictionnaire Napoléon, Paris 1987, S. 609. Die Kirchenbücher der Evangelischen Gemeinden in Hausen und Bad Hersfeld enthalten keinen Geburtseintrag.