1. Januar–15. Februar 2015

Gene Kelly Stummfilmfestival 2015 Neues tschechisches und slowakisches Kino 01

Editorial Einmal, zweimal, keinmal?

Sicher haben Sie schon festgestellt, dass manche Filme in unserem Programm nur ein einziges Mal zu sehen sind, andere zwei-, dreimal oder noch öfter. Das hat nur selten etwas mit dem cinephilen Wert des jeweiligen Films zu tun. Alte 35-mm-Kopien aus Archiven und neuere Raritäten werden häufig nur für eine oder zwei Vorführungen verfügbar gemacht; ist ein Film aber JURI BYKOW, RUSSLAND restauriert oder liegt er gar in digitaler Form vor, kann er öfter gezeigt werden. Im kommenden Gene-Kelly-Programm etwa läuft Singin’ in the Rain nur zweimal, da die Kopie der Cinémathèque Suisse geschont werden soll. Dafür dürfen wir dank der Fürsprache von Patricia Ward Kelly, der Witwe des grossen Stars, eine rare Kopie seines 1956 im Studio 4 uraufgeführten Tanzfilms Invitation to the Dance, die aus Los Angeles geliefert wird, dreimal Durak zeigen. Und An American in Paris ist in digitaler Form sechsmal zu sehen. «Ein sozialrealistisches Rockstück.» Bisweilen müssen wir abwägen, ob der aufwendige internationale Ver- Radio SRF sand einer schweren 35-mm-Kopie für eine einzelne Vorführung überhaupt gerechtfertigt ist. Bei unserem Stummfilmfestival gilt dieser Vorbehalt aller- AB MITTE JANUAR IM KINO dings nicht; solche Raritäten mit Live-Musik sind in aller Regel nur einmal zu sehen, was die Vorstellungen umso wertvoller macht. Die kleine Zahl von Vorführungen macht unser Programm (leider) unflexibel; wer eine Vorstellung verpasst, hat kaum Ausweichmöglichkeiten. Erschwerend kommt bis Frühjahr 2015 hinzu, dass Umbauarbeiten der UBS für Lärmimmissionen sorgen können. Falls Sie das Pech haben, eine Vorstel- lung zu besuchen, die in unerträglichem Masse gestört wird, bemühen wir SHAHRAM MOKRI, IRAN uns, Sie in eine andere Vorstellung desselben Films einzuladen; wo dies nicht möglich ist, offerieren wir Ihnen eine Freikarte. Trotz allem: Viel Vergnügen!

Michel Bodmer

Erhöhung der regulären Eintrittspreise um Fr. 2.– per 1.1.2015 Mit dem Ziel, einen Bilanzfehlbetrag zu vermeiden und mittelfristig eine ausgeglichene Rechnung zu erreichen, hat der Stadtrat im vergangenen Sommer die Finanzplanung 2015 bis 2018 überarbeitet. Zu den vielen Massnahmen, die bereits 2015 wirksam werden, gehört auch die Anhebung der regulären Eintrittspreise im Filmpodium von Fr. 16.– auf Fr. 18.–; entsprechend erhöht sich auch der AHV-Preis auf Fr. 15.– und der Preis für das Ticket Ein berauschendes mit dem Filmpodium-Halbtaxabo auf Fr. 9.–. Unverändert bleiben unsere Abonnementspreise (Fr. 40.– für das U25-Halbtax-, Fr. 80.– für das Halbtax- und Fr. 400.– für das Generalabonnement des Filmpodiums); bei überlangen Filmen und bei fi lmisches Vexierbild Sondervorstellungen werden wir bei der Preisanpassung Augenmass walten lassen. Wir danken für Ihr Verständnis.

Titelbild: Singin’ in the Rain von Stanley Donen/ (1952) AB 8. JANUAR IM KINO 02 03

INHALT

Gene Kelly 04 Stummfilmfestival 14 Neues tschechisches und 28 Filmpodium für Kinder: 42 slowakisches Kino Der blaue Tiger Er war der Athlet unter den Stars des Das Stummfilmfestival ist gleichzeitig Hollywood-Musicals und als Choreo- Auftakt zur permanenten Filmge- Das tschechische und slowakische Johanna wohnt in einem verwunsche- graf und Regisseur ein kreativer Er- schichtsreihe mit Werken aus den Jah- Filmschaffen seit der Wende und der nen botanischen Garten, der aller- neuerer und absoluter Perfektionist. ren 1915 und 1925: David W. Grif- Auflösung der Föderation hat eine dings abgerissen werden soll – mit Gene Kelly (1912–1996) kam mit fiths The Birth of a Nation gehört neue Cineasten-Generation hervorge- ­seiner blühenden Fantasie versucht Broadway-Lorbeeren zum Film und ebenso zu den Meilensteinen des Film- bracht. Jan Svěrák, Martin Šulík, Jan das Mädchen, sein Zuhause zu retten. lernte schnell, die künstlerischen jahrs 1915 wie Charles Chaplins His Hřebejk, Alice Nellis und andere Ein märchenhaftes Abenteuer aus Möglichkeiten des Kinos zu nutzen. New Job und die italienischen Diven- befassen sich mit der Gegenwart Tschechien, das an die Kinderfilme Mit Partnerinnen wie Judy Garland Filme Assunta Spina und Rapsodia sowie mit der Geschichte ihrer Län- der einstigen Tschechoslowakei erin- und brillierte er auf dem satanica wie, eine Dekade später, der, mal komisch, mal tragisch, mal nert und durch seine magische Atmo- Parkett, und schauspielerisch bewies Alfred Hitchcocks The Pleasure Gar- skurril. sphäre überzeugt.

Kelly seine Vielseitigkeit in Komödien den oder Sergej Eisensteins Panzer- Bild: Wilde Bienen Bild: Der blaue Tiger und Krimis, Dramen und Abenteuer- kreuzer Potemkin. Weitere «stumme» filmen. Auch als Filmemacher machte Highlights, darunter Neurestaurie- er sich einen Namen. So inszenierte er rungen von Klassikern und überra- Premiere: Vic + Flo ont vu un ours 38 Einzelvorstellungen mit den Ballett-Stars von damals Invi- schende Wiederausgrabungen, sowie tation to the Dance, den ersten Tanz- prominente Gäste laden ein zum Ein- Mit zwei grossartigen Hauptdarstel- Zur Kosmos-Ausstellung film ohne Dialog und Gesang. tauchen in die vielfältige Welt der ers- lerinnen – der Kanadierin Pierrette im Museum Rietberg: Big Bang 40 Seine Witwe, die Filmhistorikerin Pa- ten Kinojahrzehnte. Robitaille und der Französin Romane Sélection Lumière:

tricia Ward Kelly, wird unsere Retro- Bild: Panzerkreuzer Potemkin Bohringer – erzählt der Frankokana- Mein Leben als Hund 44 spektive mit Einblicken in sein Schaf- dier Denis Côté (*1973) von einer fen ergänzen. Frauenliebe in den Wäldern Québecs,

Bild: Singin’ in the Rain in die die Vergangenheit mit verstö- render Gewalt einbricht. Silberner Bär Berlinale 2013. 05

Gene Kelly Aufforderung zum Tanz

Die Biografin und Filmhistorikerin Patricia Ward Kelly ist Gene Kellys Witwe. Sie und Kelly lernten sich 1985 am Smithsonian Institute in Washington kennen, wo er als Moderator und Erzähler einer TV-Sen- dung auftrat, für deren Drehbuch Patricia zeichnete. Kurz darauf lud er sie nach Kalifornien ein, um seine Memoiren zu schreiben, und sie blieben bis zu seinem Tod im Jahre 1996 ein Paar. Patricia Ward Kelly hat uns bei der Gestaltung dieser Reihe, die Gene Kellys Vielseitig- keit zur Geltung bringen soll, tatkräftig unterstützt und gibt uns einen einzigartigen und persönlichen Einblick in sein Schaffen.

Ich hatte das Privileg, während mehr als eines Jahrzehnts fast täglich Genes Worte aufzuzeichnen. Manche dieser Sitzungen fanden als ausgedehnte, for- melle Interviews statt, andere waren intimer – hastig auf Cocktailservietten und Zuckertütchen gekritzelte Notizen, während wir uns spätnachts in Pia- nobars Musik anhörten. Unsere Gespräche deckten im Laufe der Jahre viele Themen ab, doch ein Anliegen stach hervor: wie man sich an ihn erinnern sollte. Obschon er wohl am meisten für seine brillante Tanzkunst und seine fesselnde Präsenz auf der Leinwand bekannt war, wollte Gene eher für seine innovative Arbeit hinter der Kamera anerkannt werden und insbesondere da- für, dass er «die filmische Darstellung von Tanz veränderte».

T-Shirt statt Frack und Fliege So sagte er mir im Frühjahr 1988: «Ich will keinen Publikumswettbewerb ge- winnen. Ich will nicht der Lieblingstänzer der Welt sein. Die Krux ist viel- mehr: Wer hat den Tanz beeinflusst? Wer hat ihn verändert? Wer hat ihn in einem Sprung vorwärts gebracht? Das ist das Einzige, womit ich mir einen Namen machen möchte.» Gene war entschlossen, einen besonderen amerika- nischen Stil zu schaffen, und er ging dabei gezielt und mit einer anspruchsvol- len Methodik vor. Obschon seine Darbietungen auf der Leinwand oft locker und mühelos wirken, waren sie in Wirklichkeit sehr kalkuliert. «Verärgert» darüber, dass Tänzer in Hollywood immer reich aussahen und in Frack und weisser Fliege auf poliertem Parkett auftraten, wollte Gene stattdessen den «Normalbürger» spielen, in T-Shirt und Loafers. In Hosen, die um Taille und Oberschenkel eng geschnitten waren, und hochgekrempelten

> Welt-Uraufführung im Studio 4, dem heutigen Filmpodium: Invitation to the Dance (1956) von und mit Gene Kelly

< Matrosen auf Heimaturlaub erobern Hollywood: Gene Kelly und in Anchors Aweigh (1944) 06 07

Ärmeln konnte er die Muskeln und die athletischen Linien des Männerkörpers GENE KELLY: THE LEGACY ONE-WOMAN-SHOW zeigen. Er wollte sich dem Balletttrikot so weit wie möglich annähern, dabei MIT PATRICIA WARD KELLY SA, 17. JAN. | 20.45 UHR aber immer noch wie ein normaler Kerl aussehen. «Solange das Kostüm nicht die Rolle entstellt», meinte er, «bin ich immer der Ansicht gewesen, man solle Unter dem Titel «Gene Kelly: The Legacy» präsentiert den Körper vorführen, den Leuten zeigen, was sie beim Tanz sehen.» Patricia Ward Kelly eine Soiree, die Kellys Leben und Werk Die Herausforderung bestand darin, diese neue Form auf Film zu ban- gewidmet ist. Anhand von Filmausschnitten, Requisiten nen. Gene nannte die Kamera «das einäugige Monster» und ihre Position im und anderen Memorabilien macht die Filmhistorikerin Verhältnis zu den Tänzern war entscheidend. «Man choreografiert für die spürbar, wer Gene Kelly war und wie dieses Multitalent Kamera», sagte er. «Es ist anders als auf der Bühne. Man muss stets beden- als Tänzer, Sänger, Schauspieler, Choreograf und Regis- ken, dass nur zählt, was die Kamera sieht.» Wie Fred Astaire bestand er dar- seur gearbeitet hat. Die Soiree findet am Samstag, den auf, dass die Tanzenden mit der ganzen Figur gefilmt wurden, mit frontaler 17. Januar im Filmpodium statt (in englischer Sprache). Kamera und nicht aus schrägen Winkeln, die den Körper verzerrten. Er mied Am Freitag, den 16. Januar gibt Patricia Ward Kelly schnelle Schnitte und machte «die Montage in der Kamera», wobei er musi- ausserdem eine Einführung zu einem Film, der Gene Kelly kalische Takte verwendete, um die Einstellungen zu verknüpfen. besonders am Herzen lag und der auch für Zürich und un- ser Kino von Bedeutung ist: Invitation to the Dance, der Die Kamera tanzt mit aller­erste Tanzfilm ohne Dialog und Gesang, erlebte seine Besonders schwierig war es, Tanz in einem zweidimensionalen Medium drei- Weltpremiere 1956 im Studio 4 (also dem heutigen Film- dimensional wirken zu lassen. Indem er mit brillanten Kameraleuten wie etwa podium) in Anwesenheit von Regisseur und Star Kelly, der John Alton beim «American in Paris»-Ballett zusammenarbeitete, begriff diese Erfahrung zu den Höhepunkten seiner Karriere Gene, wie man Licht und Farben einsetzen konnte, um das Auge zu täuschen, zählte. so dass die Tänzer plastisch und nicht flach wirkten. Den Tanz auf eine regen- nasse Strasse hinaus zu verlegen, diente nicht nur der Handlung, sondern Mit freundlicher Unterstützung des Fördervereins Lumière brachte eine kinetische Wucht hinzu, die ein wesentliches Ausdrucksmittel Hinweis: An der Volkshochschule Zürich findet vom 14.–28. Januar unter der Leitung von von Genes Stil war. «Je höher man springt», sagte er, «und je stärker die Thomas Binotto eine dreiteilige Vorlesungsreihe zum Thema «Die Traumfabrik tanzt – Hollywood Kinetik, desto mehr sieht es aus, als wäre man in einem dreidimensionalen und das Musical» statt. Näheres unter www.vhszh.ch Medium.» Seine Schritte beruhten auf den breiten, offenen Bewegungen der Lieblingssportarten seiner Kindheit, insbesondere Hockey. Gene behauptete, der Schlüssel zur filmischen Darstellung von Tanz sei Bewegung. Damit die lotete Kelly die Möglichkeiten des Tanzes im Film in einer Weise aus, die das Kamera etwas dazu beitragen könne, müsse sie fliessend drehen, meinte er. Musical verwandelte und eine Vermählung filmischer und choreografischer Sie müsse sich mit dem Tänzer bewegen, «denn so wird das Objektiv zum Techniken hervorbrachte, die unübertroffen bleibt.» Auge des Zuschauers, zu deinem Auge». Obschon es mich aufwühlte, am Rande neben diesen Worten Genes Gene stellte gerne sein Licht unter den Scheffel und hatte Mühe, seine vertraute Wellenlinien zu sehen – sie erinnerten mich gleichzeitig an seine Ge- Leistungen in der Ichform zu beschreiben. Bei einem typischen Resümee sagte genwart und sein furchtbares Fehlen –, freute es mich zu wissen, dass er eine er einmal beiläufig: «Ich hab die Dinge so genommen, wie ich sie vorge­funden so angemessene Würdigung seiner Errungenschaften gelesen und zur Kennt- habe, und als ich damit fertig war, waren sie anders. Das sollte ich mir wohl nis genommen hatte und dass er daran gedacht hatte, dies mit mir zu teilen. als Verdienst anrechnen.» Häufig hinterliess er mir Notizen, auf die ich dann in Büchern und anderen Veröffentlichungen stiess; Randbemerkungen, die Patricia Ward Kelly seine Gedanken zu verschiedensten Themen enthüllten. Oft bildeten diese Markierungen eine Art Fährte, der ich folgen konnte, um ihn besser zu ver- Patricia Ward Kelly amtiert heute als Sachwalterin des Gene Kelly Image Trust und als stehen und Dinge zu erfahren, die er ungern über sich selbst sagen mochte. Als Creative Director von «Gene Kelly: The Legacy», einem Unternehmen, das gegründet wurde, ich nach Genes Tod in «Magill’s Cinema Annual» blätterte, stiess ich auf um Gene Kellys Kunst weltweit in Erinnerung zu behalten. Sie lebt in Los Angeles und ist diesen Abschnitt, den er angestrichen hatte: «Als Choreograf und Regisseur dabei, ein Buch über ihren verstorbenen Gatten zu vollenden. (Übersetzung: Michel Bodmer) Gene Kelly. 09

ANCHORS AWEIGH CHRISTMAS HOLIDAY USA 1944 USA 1944

Gene Kelly und Frank Sinatra als Matrosen Joe Der Titel trügt; das ist kein musikalisches Weih- und Clarence haben Heimaturlaub und nutzen die nachtsmärchen, sondern ein Film noir, frei nach Tage, um tanzend Hollywood zu erobern. Joe soll einer Vorlage von W. Somerset Maugham. Die dabei dem schüchternen New Yorker Clarence Tänzerin Jackie Lamont erzählt einem Soldaten zeigen, wie man sich eine Frau angelt. Bald lau- auf Weihnachtsurlaub, der auf der Durchreise in fen sie der jungen Sängerin Susan über den Weg, New Orleans gestrandet ist, ihre tragische Ge- die plötzlich zwischen den beiden Freunden steht. schichte. In Wahrheit heisst sie Abigail Manette, Trotz Konkurrenz von Frank Sinatra ist «Mr. und ihr Ehemann Robert ist ein Mörder ... > The Three Musketeers. Kelly (…) das apollinische Wunder des Films. Ent- «Die atypische Besetzung des Bösewichts mit zückend tanzt, singt und spielt er ebenso fröhlich Gene Kelly ist nahezu perfekt. Es ist schade, dass wie anmutig. (...) Er ist ein Kerl, um den ihr Mäd- Kellys dunkle Seite (...) nach Christmas Holiday nie chen ein Geschrei veranstalten könnt, insbeson- mehr voll ausgeschöpft wurde. Siodmaks deut- dere wenn er tanzt, was in diesem Film ziemlich sche Sensibilität gestattete ihm, die bilderbuch- oft der Fall ist.» (Bosley Crowther, The New York mässige Darstellung einer lächelnden Mutter Times, 20.7.1945) samt Sohn und Schwiegertochter (…) zu unter- graben. Was durchdringt, sind Liebes- und Sex- 143 Min / Farbe / 35 mm / E/f // REGIE George Sidney // beziehungen, die so pervers sind, dass sie die DREHBUCH Isobel Lennart // KAMERA Robert Planck, Noir-Unterwelt heraufbeschwören, als wäre Charles P. Boyle // MUSIK George Stoll // SCHNITT Adrienne diese ein verdorbenes Fundament (...), das einer Fazan // MIT Gene Kelly (Joe Brady), Frank Sinatra (Clarence augenscheinlich attraktiven Realität zugrunde Doolittle), Kathryn Grayson (Susan Abbott), José Iturbi (als er liegt.» (Robert Porfirio: Film Noir, 1979) selbst), Dean Stockwell (Donald Martin). 93 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Robert Siodmak // DREH- BUCH Herman J. Mankiewicz, nach einem Roman von W. > Black Hand. > Christmas Holiday. Somerset Maugham // KAMERA Elwood Bredell // MUSIK COVER GIRL Hans J. Salter // SCHNITT Ted J. Kent // MIT Gene Kelly USA 1944 (Robert Manette), Deanna Durbin (Jackie Lamont/Abigail Manette), Richard Whorf (Simon Fenimore), Dean Harens (Lt. Vidors Cover Girl erzählt die bekannte Geschichte Charles Mason), Gladys George (Valerie De Merode), Gale vom Aufstieg einer jungen Frau zum Star, und wie Sondergaard (Mrs. Manette). sie am Ende in die Arme ihrer grossen Liebe zu- rückkehrt. Hier geht es um die Nachtclubtänzerin Rusty, welche die Chance nutzt, als Cover Girl am Broadway aufzutreten. Statt um sie zu kämpfen, THE PIRATE lässt ihr Freund, der Klubbesitzer Danny, sie ge- USA 1948 hen – vermeintlich für immer. Das Ganze wird in aufwendigen Dekors und In dieser Operetten-Parodie gibt Judy Garland prachtvollem Technicolor erzählt. Columbia Pic- das naive, bücherlesende Mädchen Manuela, das tures gab Gene Kelly, nicht zuletzt bei den Cho- von Piraten träumt, in Wirklichkeit aber den fet- reografien, beinahe die komplette Verantwortung ten Bürgermeister heiraten soll. > The Pirate. über die Produktion. Herausgekommen ist ein «The Pirate ist ein blendendes, opulentes «temperamentvoller Revuefilm mit erstklassiger Spektakel, gefilmt in allen Farben des Regenbo- Musik und tänzerischen Glanzleistungen von gens sowie ein paar, die von Technicolor paten- Gene Kelly.» (Lexikon des int. Films) tiert sind. (…) Gene Kelly vollführt im Film einige der raffiniertesten, gymnastischsten Tänze sei- 107 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Charles Vidor // ner Karriere, und er ist gut, sogar sehr gut. Als DREHBUCH Virginia Van Upp, Marion Parsonnet, Paul Gange- Wanderschauspieler Serafin, der sich als kühner lin, nach einer Story von Erwin Gelsey // KAMERA Rudolph Pirat Macoco verkleidet, um die junge Schönheit Maté, Allen M. Davey // MUSIK Morris W. Stoloff, Carmen Manuela zu erobern und gleichzeitig ihre Heirat Dragon, Jerome Kern // SCHNITT Viola Lawrence // MIT Gene mit dem schwabbeligen und spiessigen Don Pe- Kelly (Danny McGuire), (Rusty Parker/Mari- dro Vargas zu verhindern, erklimmt Mr. Kelly Bal- belle), Lee Bowman (Noel Wheaton), Phil Silvers (Genius), kone und schwingt sich durch die Luft mit einer Jinx Falkenburg (Jinx), Leslie Brooks (Maurine Martin). Souveränität und Grazie, die an Douglas Fair- banks gemahnen.» (Thomas M. Pryor, The New York Times, 21.5.1948)

> On the Town. > Cover Girl. 10 Gene Kelly. Gene Kelly. 11

102 Min / Farbe / 35 mm / E/f // REGIE // seinem lebenslangen Freund und Arbeitspartner Kelly (...) schuf für sich eine fantasievolle Num- DREHBUCH Albert Hackett, Frances Goodrich, nach einem Stanley Donen als Ko-Regisseur genannt, wurde mer, die langsam beginnt und sich zu einem ful- SINGIN’ IN THE RAIN Theaterstück von S. N. Behrman // KAMERA Harry Stradling er einer der wenigen Stars im Schauspielbusi- minanten, athletischen Finale steigert. Wie wohl USA 1952 // MUSIK Cole Porter // SCHNITT Blanche Sewell // MIT Gene ness, die einen solchen Status erreichten. Für kein anderer seiner Tänze ist das hier ‹reinster Kelly (Serafin), Judy Garland (Manuela), Walter Slezak (Don Kelly – und Donen – war das in der Tat ein Meilen- Gene Kelly›, denn er drückt einen Stimmungs- Als Hollywood sich 1928 auf den Tonfilm umstel- Pedro Vargas), Gladys Cooper (Tante Inez), Reginald Owen stein.» (Jeanine Basinger: Gene Kelly, Pyramid wechsel allein durch einen Wechsel im Tanzstil len muss, machen ein ehemaliger Tragöde (Anwalt), George Zucco (Vizekönig). Communications 1976) aus, auf einer leeren Bühne und indem er rei- und ein Pianist Karriere, während eine eitle bungslos die unwahrscheinlichsten Requisiten Stummfilmdiva – auch in Herzensdingen – in der 98 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gene Kelly, Stanley integriert. Wie er die knarrende Diele in den Tanz Konkurrenz mit dem frischen Charme einer Nach- Donen // DREHBUCH Adolph Green, Betty Comden, nach dem einbaut, wirkt so leicht und natürlich wie wuchstänzerin unterliegt. Mit liebevoller Ironie, THE THREE MUSKETEERS Musical // KAMERA Harold Rossen // MUSIK Lennie Hayton, nur denkbar, und eine komplizierte Folge von musikalischer und tänzerischer Verve, spieleri- USA 1948 Roger Edens, Saul Chaplin, Conrad Salinger, Leonard Bern- musikalischen Stilwechseln wird dank seinen schem Temperament und technischer Perfektion stein // SCHNITT Ralph E. Winters // MIT Gene Kelly (Gabey), geschickten Übergängen brillant umgesetzt.» machten Kelly und Donen aus einem Stück Film- Der junge D’Artagnan schliesst sich drei ausge- Frank Sinatra (Chip), (Brunhilde Esterhazy), Ann (Jeanine Basinger: Gene Kelly) geschichte einen absoluten Höhepunkt des Film- musterten Musketieren an, um gegen Richelieu Miller (Claire Huddesen), Jules Munshin (Ozzie), Vera-Ellen (Ivy musicals, in dem alle Elemente miteinander har- zu kämpfen und den jungen König zu retten. Wäre Smith), Florence Bates (Mme Dilyovska), Alice Pearce (Lucy 108 Min / Farbe / 35 mm / E // REGIE Charles Walters // monieren. Debbie Reynolds war eine vorzügliche da nur nicht Lana Turner als verführerisch-fiese Schmeeler), George Meader (Professor). DREHBUCH George Wells, Sy Gomberg // KAMERA Robert Partnerin für Gene Kelly (der zum zweiten Mal – Lady de Winter ... Planck // MUSIK Conrad Salinger // SCHNITT Albert Akst // und zum zweiten Mal zusammen mit Stanley Do- Gene Kelly als D’Artagnan verleiht dem Film MIT Gene Kelly (Joe D. Ross), Judy Garland (Jane Falbury), nen – Regie führte). Das Titellied bietet die Grund- «eine Lebendigkeit, dank seines dynamischen BLACK HAND Eddie Bracken (Orville Wingait), Gloria DeHaven (Abigail lage für eine der inspiriertesten Nummern Kellys. Auftretens in diesem Nicht-Musical. Die vielen USA 1950 Falbury), Marjorie Main (Esme), Phil Silvers (Herb Blake), Ray Donald O’Connor hat als Kellys Kumpel in diesem Duell-Sequenzen erinnern dabei in hohem Collins (Jasper G. Wingait), Nita Bieber (Sarah Higgins). Film seine beste Rolle, und seine «Make ’Em Masse an choreografierte Tanznummern». Ein Sohn italienischer Einwanderer unterbricht Laugh»-Nummer ist schlicht genial. ­(Dennis Schwartz, Ozus’ World Movie Reviews, sein Jurastudium und reist nach New York, um 27.3.2007) sich an der Schutzgeldmafia für den Tod seines 103 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gene Kelly, Stanley Ganz abseits der vertrauten Pfade Kellys führt Vaters zu rächen. AN AMERICAN IN PARIS Donen // DREHBUCH Adolph Green, Betty Comden // KAMERA dieser Film also nicht; vielmehr profitiert er von «Die modernen Filmhelden sind nicht mehr USA 1951 Harold Rosson, Arthur Freed // MUSIK Nacio Herb Brown // der legendären Leichtfüssigkeit des Schauspie- strahlende und unbesiegbare Ritter (...). Es wird SCHNITT Adrienne Fazan // MIT Gene Kelly (Don Lockwood), lers und mündet dank dessen Darbietung in ihnen schwer gemacht, und sie müssen einen Ein amerikanischer Soldat bleibt nach dem Krieg Donald O’Connor (Cosmo Brown), Debbie Reynolds (Kathy «übermütiger Vitalität, rasantem Tempo, Fanta- mühsamen Weg durch das Dornengestrüpp der als Maler in Paris, erliegt zunächst dem Charme Selden), Jean Hagen (Lina Lamont), Millard Mitchell (R. F. sie und brillanten Fechtszenen». (Lexikon des int. Niederlagen zurücklegen. Erst im letzten Mo- der Stadt und später der Liebe einer aparten Simpson), Cyd Charisse (Tänzerin), Douglas Fowley (Roscoe Films) ment dürfen sie sich vom Boden erheben, ihren Französin. Für die Szenerie gestaltete Minnelli Dexter), Rita Moreno (Zelda Zanders), King Donovan (Rod), geschundenen Rücken straffen (...) und mit mü- ein Paris durch die Augen des Malers. Judy Landon (Olga Mara), Madge Blake (Dora Bailey). 128 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE George Sidney // der Faust das Böse doch noch k. o. schlagen. Auch «Immer wieder nimmt er Bezug auf Bilder so DREHBUCH Robert Ardrey, nach dem Roman von Alexandre Gene Kelly, der als Amateurdetektiv gegen die Er- berühmter Maler wie Toulouse-Lautrec, Utrillo, Dumas // KAMERA Robert Planck // MUSIK Herbert Stothart presserbande der Schwarzen Hand kämpft, die Dufy und andere. Am gelungensten wirkt eine INVITATION TO THE DANCE // SCHNITT Robert J. Kern, George Boemler // MIT Gene Kelly um 1900 im Italienerviertel New Yorks raubte, solche Referenz in der berühmt gewordenen 17- USA 1956 (D’Artagnan), Lana Turner (Milady Charlotte de Winter), June mordete und plünderte, wird hart mitgenom- minütigen Schlusssequenz. Malerei und Filmge- Allyson (Constance Bonacieux), Frank Morgan (Ludwig XIII.), men.» (pu., National Zeitung, 24.10.1950) staltung erreichen hier eine bemerkenswerte «Wenn Invitation to the Dance als erster Tanzfilm Van Heflin (Athos), Angela Lansbury (Königin Anne), Vincent Synthese, die so weit geht, dass einzelne Einstel- bezeichnet wurde, dann weil er sich von der kon- Price (Richelieu), Keenan Wynn (Planchet), Gig Young (Port- 92 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Richard Thorpe // DREH- lungen direkt aus den Bildern der genannten Ma- ventionellen Art des Tanzfilms mit Rahmenhand- hos), Robert Coote (Aramis). BUCH Luther Davis // KAMERA Paul C. Vogel // MUSIK Albert ler heraus entwickelt werden. (…) Kelly, der nicht lung und Gesang lossagt. In durchgängig getanz- Colombo // SCHNITT Irving Warburton // MIT Gene Kelly nur die Hauptrolle, sondern auch die Choreogra- ter Pantomime stellt Gene Kelly, der erstmals (Johnny Columbo), J. Carroll Naish (Louis Lorelli), Teresa fie der Tanzszenen übernahm, gelingt es, einen sein eigener Regisseur und Choreograf war, drei ON THE TOWN Celli (Isabella Gomboli), Marc Lawrence (Caesar Xavier flüssigen Stil zu schaffen, gepaart mit einem si- sich stilistisch unterscheidende Episoden dar: USA 1949 Serpi), Frank Puglia (Carlo Sabballera). cheren Gefühl für Eleganz und Leichtigkeit. Zu- Zirkus heisst die erste, und es ist die Tragödie dem zeichnet sich der Film durch eine überzeu- eines Clowns, der sich unglücklich in die weib­ 24 Stunden Landurlaub für drei ausgelassene gende Umsetzung der getanzten Szenen in eine liche Schönheit verliebt. (…) Ins Moderne abge- Matrosen, die «New York, New York – a wonderful SUMMER STOCK originelle Bildsprache aus, die jeden Eindruck wandelt, reizvoll und fantastisch, spielt die Com- town» unsicher machen, Liebe und Lacher finden, USA 1950 von Bühnenhaftigkeit zu vermeiden sucht.» (Tho- media dell’Arte in die Episode hinein. Der bevor die nächsten Matrosen sie ablösen und sich mas Christen, Zoom, 16/1987) Ringelreihen, die zweite Pantomime, ist der Höhe- der Kreis schliesst. Die Schauspieltruppe von Abigail braucht einen punkt des Films. Ganz modern, ganz zeitverliebt, «Die Handlung beschränkte sich auf: Junge Ort zum Proben und findet diesen auf einer Farm. 113 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Vincente Minnelli // gibt er eine kecke Parodie auf die amerikanischen läuft hinter Mädchen her, basta. Die dadurch er- «Die beiden Höhepunkte des Films sind Gar- DREHBUCH Alan Jay Lerner // KAMERA Alfred Gilks, John Song- und Salonfilme. (…) Verspielter wirkt Sin- reichte Erheiterung (...) wirkte sich auf das ge- lands zu Recht berühmte Darbietung von ‹Get Alton (Ballett) // MUSIK , Saul Chaplin bad the Sailor. Hier ist es vor allem das artistische samte Genre aus. On the Town wurde als Meilen- Happy›, für viele ihre beste Filmszene überhaupt, (ungenannt) // SCHNITT Adrienne Fazan // MIT Gene Kelly Können, das bestrickt: Gene Kelly und sein stein des Musicals bejubelt. und Gene Kellys umwerfende Tanzeinlage auf ei- (Jerry Mulligan), Leslie Caron (Lise Bouvier), jugendlicher Partner, David Kasday, tanzen nach Gene Kelly hatte bei On the Town erstmals die ner knarrenden Diele und einer herumliegenden (Adam Cook), Georges Guétary (Henri Baurel), Nina Foch Rimski-Korsakows Musik, dass es eine Freude volle Kontrolle über einen Film erhalten. Neben Zeitung. (Milo Roberts), Eugene Borden (Georges Mattieu). ist.» (H. R. Haller, Radiozeitung, 13/1956) Gene Kelly. 13

«Invitation to the Dance ist ein reiner Tanzfilm und chiatercouch und lässt uns in Rückblenden am kein verfilmtes Theater, weil choreografischer schlechten Einfluss von Geld und Erfolg teilha- Gedanke und Kamera-Auge in diesem Film eins ben, dem Grund für den Untergang ihrer vier Ehen werden. Ein Film, der dank der genialen Behand- und Ehemänner. Das Autorenteam von Singin’ in lung des Themas sich selbst trägt.» (Roman Cle- the Rain legt jede der vier Episoden als Parodie ei- mens, Tages-Anzeiger, 21.4.1956) nes bestimmten Filmgenres an: Die klamaukige Invitation to the Dance wurde 1956 an der Ber- Stummfilm-Komödie, die französische Nouvelle linale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Vague, der Ausstattungsfilm und, in der Eheposse mit Gene Kelly, das klassische Hollywood-Musi- 93 Min / Farbe / 35 mm / ohne Dialog // DREHBUCH UND RE- cal – alle kriegen ihr Fett ab. GIE Gene Kelly // KAMERA Freddie Young, Joseph Rutten- Gene Kelly errang für seine Darbietung 1964 in berg // MUSIK Jacques Ibert, André Previn, Nikolai Rimski- Locarno den Darstellerpreis. Korsakow // SCHNITT Raymond Poulton, Adrienne Fazan, Robert Watts // MIT Gene Kelly (Clown/Marineinfanterist/ 111 Min / Farbe u. sw / 35 mm / E/d // REGIE Jack Lee Thomp- Sinbad), Igor Youskevitch (Liebhaber/Künstler), Tamara son // DREHBUCH Betty Comden, Adolph Green, nach einem Toumanova (Mädchen auf der Treppe), Claire Sombert (Ge- Roman von Gwen Davis // KAMERA Leon Shamroy // MUSIK liebte), Diana Adams (Garderobiere), Claude Bessy (Model), Nelson Riddle // SCHNITT Marjorie Fowler // MIT Gene Kelly David Kasday (Flaschengeist). (Jerry Benson), Shirley MacLaine (Louisa), Paul Newman (Larry Flint), Dean Martin (Leonard Crawley), Robert Mitchum (Rod Anderson), Dick Van Dyke (Edgar Hopper). INHERIT THE WIND USA 1960 HELLO, DOLLY! und Fredric March liefern sich ein USA 1968 atemberaubendes Schauspielduell um die Frage, was in den Schulen von Tennessee unterrichtet Dolly Levi, eine agile und mit allen Wassern gewa- werden soll: Evolutionstheorie oder Kreationis- schene Heiratsvermittlerin, bringt sich mit vieler- mus. Der Gerichtsfilm dramatisiert einen der le- lei Listen und Tücken selber an den Mann. > An American in Paris. gendärsten amerikanischen Prozesse des 20. «New York, wie es um die Jahrhundertwende Jahrhunderts. Das Thema des Films ist 50 Jahre war, ist auf die Leinwand gezaubert – mit einer später in den USA wieder so aktuell wie damals. Generosität der Ausstattung, einer kenntnisrei- «Inherit the Wind ist ein Dialogfilm, der durch chen Lust an der Atmosphäre, einem Raffinement hervorragende schauspielerische Leistungen ge- der Kostüme, der Architektur, der Intérieurs, des rettet wird, zu denen auch Kellys kleine, aber ent- Geschmacks, dass man seine helle Freude hat. scheidende Rolle zählt. Seine entspannte Unge- (...) Und weiss man auch, dass ein so in das Schau- zwungenheit passt perfekt zu diesem zynischen vergnügen ausschweifender Film nie das Werk Reporter. (...) Kelly hat damit den letzten Test für eines Einzelnen ist, man glaubt doch, die Hand- sein Schauspieltalent abseits des Tanzparketts schrift Kellys in ihm zu erkennen. Am Tempo, (...) bestanden.» (Jeanine Basinger: Gene Kelly) an der Choreografie vor allem, nicht allein der einzelnen Tänze, sondern des ganzen Films. 128 Min / sw / Digital HD / E // REGIE Stanley Kramer // Denn hier ist Regie zu Choreografie geworden, DREHBUCH Nathan E. Douglas, Harold Jacob Smith, nach und Gene Kelly bringt alles hinein, was er einst als dem Theaterstück von Jerome Lawrence, Robert E. Lee // Tänzer (mit Stanley Donen als Choreografen) und KAMERA Ernest Laszlo // MUSIK Ernest Gold // SCHNITT was er, als er vor mehr als zwölf Jahren seinen > What a Way to Go!. Frederic Knudtson // MIT Gene Kelly (E. K. Hornbeck), ersten Tanzfilm als Regisseur drehte, Invitation to Spencer Tracy (Henry Drummond), Fredric March (Matthew the Dance, an choreografischen Möglichkeiten für Harrison Brady), Florence Eldridge (Mrs. Brady), Dick York den Film ersonnen hat: Da gibt es keine Bühne (Bertram T. Cates), Claude Akins (Reverend Brown). mehr, nicht einmal eine imaginäre.» (Martin Schlappner, NZZ, 25.12.1969)

WHAT A WAY TO GO! 148 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Gene Kelly // USA 1964 DREHBUCH Ernest Lehman, nach dem Musical von Michael Stewart, nach «The Matchmaker» von Thornton Wilder // KA- Louisas Suche nach einem Mann, der gemäss MERA Harry Stradling // MUSIK Jerry Hermann // SCHNITT dem Schriftsteller Thoreau in der Lage ist, das William H. Reynolds // MIT Barbra Streisand (Dolly Levi), einfache Leben zu geniessen, erweist sich als Walter Matthau (Horace Vandergelder), Michael Crawford schier unmöglich. Denn alle Männer, die in ihr Le- (Cornelius Hackl), Joyce Ames (Ermengarde), Tommy Tune ben treten, werden stets reich und machen sie zur (Ambrose Kemper), Marianne McAndrew (Irene Molloy), Millionenerbin. Schliesslich liegt sie auf der Psy- Louis Armstrong (Dirigent).

> Hello, Dolly!. > Inherit the Wind. 15

Stummfilmfestival 2015 Kanonisiertes und Wiederzuentdeckendes

Mit dem schon fast traditionellen Stummfilmschwerpunkt beginnt das Jahr im Filmpodium: Den Auftakt zur permanenten Filmgeschichtsreihe bilden Werke aus den Jahren 1915 und 1925. Weitere «stumme» High- lights, darunter Neurestaurierungen von Klassikern und überraschende Wiederausgrabungen, sowie prominente Gäste – Musiker, Filmhisto­ riker, Archivfachleute – verdichten das Angebot zum Festival. Dieses lädt ein zum Eintauchen in die vielfältige Welt der ersten Kinojahr­ zehnte.

Zwei Paukenschläge prägen das Hollywoodkino des Jahres 1915: Während David W. Griffiths The Birth of a Nation in den USA Triumphe feierte, fand Cecil B. DeMilles The Cheat in seinem Ursprungsland aus Zensurgründen an- fänglich wenig Verbreitung, wurde dafür in Frankreich umso lebhafter gefei- ert. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die Mühe der US-Amerikaner mit The Cheat und jene der Europäer mit dem Griffith-Opus gleicher Natur waren: Es ging um Rassismus. In Europa verstellte die Irritation über Griffiths Südstaatleroptik mit ihrer verächtlichen Darstellung der Schwarzen den Blick für den gewaltigen filmkünstlerischen Schritt, den The Birth of a Nation be- deutete. In den USA sorgte die Aufregung über einen Japaner und die Vorstel- lung, dass er gar mit einer Weissen intim werden möchte, für eine analoge Blindheit gegenüber den starken Chiaroscuro-Bildern und dem gezügelt-in- tensiven Schauspielstil von The Cheat. Aus dem Abstand eines vollen Jahrhunderts dürfen wir die gestalteri- schen Leistungen bewundern, ohne die fragwürdigen Seiten der beiden Filme zu übersehen. Bei aller Problematik klischeehafter Darstellungen sollte man auch bedenken, dass diese nicht zwangsläufig rassistischer Natur sein müssen, wie uns der zehn Jahre später entstandene US-amerikanische Film Body and Soul von Oscar Micheaux vor Augen führt. Es ist ein frühes, erst in neuerer Zeit gewürdigtes Beispiel eines Films über Schwarze, gedreht von einem schwarzen Filmemacher mit schwarzen Darstellern für ein (damals fast aus-

> Legendäres deutsches Serial um einen künstlichen Menschen: Homunculus von Otto Rippert (1916)

< Zieht alle Register ihres Könnens: Stummfilm-Star Gloria Swanson in der Komödie Stage Struck (1925) 16 17

schliesslich) schwarzes Publikum – und er lässt uns erkennen, wie wesentlich auch – allein schon aus Platzgründen – nicht live. Als weiteres Beispiel zeitge- zeitgeistig-allgegenwärtige Stereotype auch für das Selbstverständnis und die nössischer Begleitung bringt das Festival eine der ältesten deutschen Kompo- Binnenverständigung einer Bevölkerungsschicht sein können. sitionen für den Stummfilm: Die von Josef Weiss 1913 für den Studenten von Der Nachruhm eines alten Films, das zeigen schon diese drei Beispiele, Prag geschriebene und bei der Premiere selbst gespielte Musik wird im Film- ist weder völlig zufällig – noch über jeden Revisionszweifel erhaben. So erwei- podium vom Pianisten Mark Pogolski (München) live aufgeführt. sen sich einige legendäre Titel aus den Jahren 1915 und 1925 als unverzicht- Im Zentrum des Festivals stehen jedoch einmal mehr die «Dialoge» bar, doch daneben muss auch das (womöglich zu Unrecht) Vergessene seinen heutiger Musiker mit den alten Filmen. Neben den beim Zürcher Publikum Platz finden. Die Wiederentdeckungen treten dabei nicht unbedingt mit dem bestens eingeführten einheimischen Vertretern des Fachs, Martin Christ Anspruch an, die kanonisierten Titel aus dem Film-Olymp zu verdrängen, sie (Ligerz), André Desponds (Zürich) und Alexander Schiwow (Zürich), kom- helfen vielmehr, diese im Zusammenhang zu verstehen und besser einzuschät- men wieder international renommierte Künstler nach Zürich: Joachim Bärenz zen. So darf man aufgrund der ersten Reaktionen des Filmhistorikers David (Essen), Frank Bockius (Freiburg i. Br.), Günter A. Buchwald (Freiburg i. Br.), Bordwell auf den lange Zeit völlig übersehenen deutschen Film Der Tunnel Stephen Horne (London), Maud Nelissen aus den Niederlanden und Gabriel gespannt sein, der 1915 fast zur selben Zeit wie The Birth of a Nation ent- Thibaudeau aus Montréal. Eine besondere Hommage gilt dem 2009 verstor- stand. benen Aljoscha Zimmermann, der viele Jahre regelmässig im Filmpodium zu Wiederentdeckung und filmhistorische Berühmtheit brauchen sich nicht Gast war. Der Pianist Mark Pogolski und die Violonistin Sabrina Zimmer- einmal auszuschliessen: Das sechsteilige deutsche Serial Homunculus ist als mann (die man in Zürich mehrfach mit ihrem Vater zusammen hören konnte) Titel in der einschlägigen Literatur durchaus präsent geblieben, nur galt es – werden seine Komposition zum Marlene-Dietrich-Film Die Frau, nach der abgesehen von einer einzigen Folge – bislang als verschollen. Stefan Drößler, man sich sehnt wieder zum Erklingen bringen. dem Leiter des Filmmuseums München, ist es in langjähriger hartnäckiger Ar- Den Auftakt wird ein prominentes Debüt machen: Bruno Spoerri, als beit gelungen, diese Legende weitgehend zu rekonstruieren und wieder leben- Jazz-Saxofonist und elektronischer Musiker weitherum bekannt, als Film- dig werden zu lassen. Eine kleine Sensation, die er in Zürich selbst präsentie- komponist auch dem Schweizer Filmschaffen verbunden, geht erstmals unter ren wird. die Live-Begleiter und wird zusammen mit Günter A. Buchwald ein Komö- Leinwand- und Bühnenstars vergangener Tage werden zeigen, wie weit dien-Programm befeuern. ihre einst magische Kraft noch zu strahlen vermag: Gloria Swanson, Lillian Martin Girod Gish, Francesca Bertini, Fritzi Massary und , Paul Robeson, Paul Wegener, Victor Francen und Fritz Kortner, um nur einige zu nennen. Und die filmische Zeitreise erlaubt die Begegnung mit den jugendlichen­ Erstlings- Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 werken nachmaliger Grössen wie Josef von Sternberg und Alfred­ Hitchcock. ­wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahr- gängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Musikalische «Originaltexte» und heutige «Musiker-Dialoge» ­Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d.h. im Jahr 2015 sind Filme von 1915, 1925, 1935 usw. zu sehen. Das Festival will jeweils neben der Vielfalt des «stummen» Filmschaffens und seiner bis heute starken Wirkung auch daran erinnern, dass dieses kaum je in Weitere wichtige Filme von 1915 Weitere wichtige Filme von 1925 Der Golem Henrik Galeen/Paul Wegener, Deutschland Die freudlose Gasse Georg W. Pabst, Deutschland völliger Stille gezeigt wurde. Zum Stummfilm gehört die das Filmwerk zur Evangeliemandens liv Holger-Madsen, Dänemark Evreyskoje Stschastje (Das jüdische Glück) Les vampires (Episoden 1–3) Louis Feuillade, Frankreich Alexej Granowski, UdSSR Geltung bringende und bereichernde musikalische Begleitung, ob komponiert Posle smertij (Nach dem Tode) Jewgenij Bauer, Russland Feu Mathias Pascal Marcel L’Herbier, Frankreich Regeneration Raoul Walsh, USA La fille de l’eau Jean Renoir, Frankreich oder improvisiert, ob zeitgenössisch oder heutig. Originalkompositionen gab The Tramp Charles Chaplin, USA Lady Windermere’s Fan Ernst Lubitsch, USA es damals zwar nur für besonders prestigereiche Premieren, viel Notenmate- Vordertreppe und Hintertreppe Urban Gad, Deutschland Lazybones Frank Borzage, USA Prem Sanyas (The Light of Asia) rial ist verloren gegangen, und die alten Musiken waren auch nicht immer Franz Osten, Indien/Deutschland Seven Chances Buster Keaton, USA kongenial. Doch gibt es einige berühmte Ausnahmen. Dazu zählt die Kompo- Tartüff Friedrich W. Murnau, Deutschland sition des italienischen Opernkomponisten Pietro Mascagni für Rapsodia The Big Parade King Vidor, USA The Merry Widow Erich von Stroheim, USA satanica (1915) ebenso wie die Musik, die Edmund Meisel, teilweise in Zu- The Phantom of the Opera Rupert Julian, USA Variété Ewald A. Dupont, Deutschland sammenarbeit mit Eisenstein, für die Berliner Premiere des Panzerkreuzers Visages d’enfants Jacques Feyder, Schweiz/Frankreich Potemkin geschrieben hat. Beide werden mit der Originalmusik gezeigt, wenn Stummfilmfestival 2015. 19

«In der Abfolge von Posen, Gesten und Blicken DER STUDENT VON PRAG modulierten die italienischen Filmdiven ihre Deutschland 1913 stummen Arien, jede mit dem ihr je eigenen phy- sischen Timbre. Francesca Bertini bewahrte «Der Student von Prag gilt neben Max Macks Der stets klare Konturen und eine unreduzierbare Andere als der bedeutendste frühe deutsche Würde. (…) Die Bertini, vom neapolitanischen Spielfilm.» (Wolfgang Jacobsen, in: Geschichte Theater herkommend, engagierte sich begeistert des deutschen Films) für diesen Film über Neapel: malerisches Hafen- «Der erste deutsche ‹Künstlerfilm› wurde von panorama, Stadtbilder und Szenen aus dem einem Schriftsteller mit Schauspielern des Deut- Volksleben. Seine dekorative Bildsprache ist schen Theaters inszeniert. Dabei weiss die Ge- ebenso zeit- wie genretypisch, doch wegen seines schichte um den Studenten, der seinen Schatten Inhalts wurde er im filmhistorischen Gedächtnis dem Teufel verkauft, die Möglichkeiten des neuen als ein veristisches Werk und als Vorläufer des Mediums geschickt zu nutzen. Die neue Restaurie- Neorealismo kanonisiert.» (Mariann Lewinsky) rung lässt den Film in seiner ganzen fotografischen «Bertini, in Vamp-Rollen ebenso zu Hause wie Pracht erstrahlen.» (Bonner Sommerkino 2014) in Figuren aus dem Volk, hat das italienische Kino Tatsächlich nennen alle zeitgenössischen stark geprägt. Ihre Bedeutung erscheint heute Quellen den Drehbuchautor Hanns Heinz Ewers noch herausragender, weil man weiss, dass sie eng explizit auch als Regisseur, und nicht Stellan Rye, an der Realisierung der Filme mitarbeitete, in de- wie die spätere Filmgeschichtsschreibung das tut. nen sie auftrat.» (Dictionnaire du cinéma Larousse) «Der an Prager Originalschauplätzen ge- drehte Film ist ein früher Klassiker des fantasti- ca. 60 Min / sw, tinted / 35 mm / Stummfilm mit ital. Zw’titeln // schen Kinos. Das Doppelgänger-Motiv ist von RESTAURIERTE KOPIE // REGIE Gustavo Serena, Francesca literarischen Vorbildern aus der Romantik inspi- Bertini, ungenannt // DREHBUCH Gustavo Serena, Francesca riert. (…) Die technischen Lösungen, die der Bertini, nach dem Roman von Salvatore Di Giacomo // Kameramann Guido Seeber mit seinen avantgar­ KAMERA Alberto G. Carta // MIT Francesca Bertini (Assunta distischen Doppelbelichtungen für die Erschei- Spina), Gustavo Serena (Michele Boccadifuoco), Carlo Benetti nungen des Spiegelbildes fand, haben ihn zu (Don Federico Funelli), Luciano Albertini (Raffaele), Amelia > © Courtesy George Eastman House, International Museum of Photography and Film The Cheat. einem genuinen Werk des Kinos gemacht. Zu Cipriani (Peppina), Antonio Cruichi (Assuntas Vater), Alberto diesem Film schrieb der Liszt-Schüler und Kla- Collo (Offizier). viervirtuose Josef Weiss eine Musik, die zu den DO, 22. JAN. | 20.45 UHR (ZUS. MIT RAPSODIA SATANICA) ersten Originalmusiken der Filmgeschichte ge- LIVE-BEGLEITUNG: ANDRÉ DESPONDS, ZÜRICH hört.» (Int. Filmfestspiele Berlin 2013) Mit dieser Musik, die Weiss selbst 1913 bei der Premiere in Berlin spielte, wird der Münchner Pianist Mark Pogolski in Zürich auftreten. RAPSODIA SATANICA Italien 1915 ca. 80 Min / sw, tinted / Digital HD / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // REGIE Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye (Regie­ «Italien war das erste Land, in dem sich ein Kult assistenz) // DREHBUCH Hanns Heinz Ewers // KAMERA um ‹göttliche› Filmschauspielerinnen zu ranken Guido Seeber // MIT Paul Wegener (Balduin, ein Student), begann. Zu den berühmtesten ‹Diven› des italie- Lyda Salmonova (Lyduschka, ein fahrendes Mädchen), Grete nischen Stummfilms gehörte Lyda Borelli (…). Berger (Comtesse Margit Schwarzenberg), Fritz Weidemann Borelli, eine blasse, ätherische und erhabene (Baron Waldis-Schwarzenberg, ihr Verlobter). Heroine, gleichsam aus der Fantasie D’Annunzios > The Birth of a Nation. > Rapsodia satanica. hervorgegangen, wurde zu einer halb mytho­ SO, 1. FEB. | 18.15 UHR logischen Figur, sie war der erste Star in der LIVE-BEGLEITUNG: MARK POGOLSKI, MÜNCHEN Geschichte des Films.» (Ulrich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films) Rapsodia satanica wurde 1915 gedreht, nach ASSUNTA SPINA einer ersten geschlossenen Vorführung aber um- Italien 1915 geschnitten und erst 1917 in die Kinos gebracht. Der Komponist Pietro Mascagni («Cavalleria «Die etwas melodramatische Geschichte eines rusticana») komponierte eine Originalmusik, die Mädchens und seiner zwei Bewerber enthält eine wesentlich zum Erfolg des Films beitrug; sie ist für die Zeit ungewöhnliche Dosis Sozialkritik: Wie im Filmpodium zu hören. ein Gerichtsbeamter kraft seines Amtes die Braut «Üppig und traumartig entfaltet dieses eines Gefangenen erpresst, wird mit satirischer poema-cinema-musicale seine berückende Bild- Schärfe dargestellt.» (Ulrich Gregor/Enno Pata- welt des Jugendstils und des Symbolismus. Die las: Geschichte des Films) Handlung ist so unwesentlich wie in einem Ballett,

> Der Student von Prag. > Der Tunnel. 20 Stummfilmfestival 2015. Stummfilmfestival 2015. 21

lässt sich am besten in Substantiven erzählen: Überzeugung, dass wir es beim Tunnel mit einem Dixon // KAMERA G. W. Bitzer // SCHNITT David Wark Grif- sich von einem reichen Orientalen 10 000 Dollar Schönheit, Triumph, Tod, Reue, Begehren. Der weiteren elektrisierenden, eigenwilligen Meis- fith, James Smith // MIT Henry B. Walthall (Ben Cameron), leihen. Ironie des Schicksals: Mr. Hardy hatte Blick schweift über lyrische Szenarien von Früh- terwerk der 1910er Jahre zu tun haben. Ich hoffe, Lillian Gish (Elsie Stoneman), Mae Marsh (Flora Cameron), Glück an der Börse und überlässt seiner Frau von lingsreigen und melancholischen Herbstgärten es macht die Runde, damit ein grösseres Publi- Miriam Cooper (Margaret Cameron), Mary Alden (Lydia seinem Gewinn genau 10 000 Dollar. Als Mrs. und verengt sich auf den Körper von Lyda Borelli. kum es entdecken kann.» (David Bordwell, www. Brown), Ralph Lewis (Austin Stoneman), George Siegmann Hardy dieses Geld dem Orientalen zurückgeben Die seelenlose Femme fatale wandelt sich zu ei- davidbordwell.net/blog) (Silas Lynch), Spottiswoode Aitken (Dr. Cameron), Robert will, verweigert dieser die Annahme, beschimpft ner liebesatmenden Sterblichen, aufgelöst in Ver- Harron (Tod Stoneman), Donald Crisp (General Grant). sie als Betrügerin und besteht darauf, dass sie schleierungen und Spiegelungen und von Licht­ ca. 100 Min / sw / Digital HD / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // selbst der Preis für die 10 000 Dollar sei … DO, 15. JAN. | 19.30 UHR effekten plastisch überhöht.» (Mariann Lewinsky) REGIE William Wauer // DREHBUCH William Wauer, nach «Die Wirkung von The Cheat auf die Kritik und LIVE-BEGLEITUNG: MARTIN CHRIST, LIGERZ «Dieses Melodram ist weit von einer schlich- dem Roman von Bernhard Kellermann // KAMERA Axel die Filmschaffenden war so gewaltig wie später ten Theaterverfilmung entfernt; hier wird der Graatkjær // MIT Friedrich Kayssler (Max Allan, Tunneler- jene von Citizen Kane: Als ‹einziges in der Filmge- Raum zur Poesie. Wenn man Visconti verste- bauer), Fritzi Massary (Ethel Lloyd), Hermann Vallentin (Mil- schichte zu vermerkendes Datum seit der Sortie hen und wirklich lieben will, muss man bis zu die- liardär Lloyd, ihr Vater), Felix Basch, Hans Halden. TOIL AND TYRANNY des usines Lumière von 1895› bezeichnet ihn [der ser Art von CINES-Produktion zurückschauen.» (Folge 12 der Serie «Who Pays?») Filmkritiker] Léon Moussinac. (…) Ein Film, der SO, 11. JAN. | 18.15 UHR (Freddy Buache) USA 1915 für das Hollywoodkino wegweisend wurde. In ei- LIVE-BEGLEITUNG: ALEXANDER SCHIWOW, ZÜRICH ner Zeit, in der die (oft vom Theater kommenden) EINFÜHRUNG: STEFAN DRÖSSLER, FILMMUSEUM MÜNCHEN ca. 45 Min / sw, tinted u. handkoloriert / Digital SD / Stummfilm Serials, Detektiv- und Abenteuergeschichten in Schauspieler gestikulierten, wirkte die Leistung (CA. 20 MIN) mit Musik, ital. Zw’titel // RESTAURIERTE KOPIE // REGIE Nino unzähligen Folgen waren in den 1910er Jahren Sessue Hayakawas sensationell: Für Colette war Oxilia // DREHBUCH Alberto Fassini, Fausto Maria Martini grosse Mode. Doch Who Pays? ist kein Serial, er ein ‹asiatischer Künstler, dessen starke Un­ (Gedicht) // KAMERA Giorgio Ricci // MUSIK Pietro Mascagni // sondern eine – ebenfalls in wöchentlicher Folge beweglichkeit alles zu sagen vermag›, für Louis MIT Lyda Borelli (Contessa Alba d’Oltrevita), Ugo Bazzini THE BIRTH OF A NATION herausgebrachte – Serie: Die jeweils gleichen Delluc ‹der erste Tragöde der Leinwand›. (…) The (Mephisto), Giovanni Cini (Sergio), Andrea Habay (Tristano). USA 1915 Hauptdarsteller (die damals populäre «serial Cheat revolutionierte die Beleuchtung mit seiner queen» Ruth Roland und der später als Regisseur Erforschung des Chiaroscuro, das einen Teil der DO, 22. JAN. | 20.45 UHR (ZUSAMMEN MIT ASSUNTA SPINA) «Griffiths Epos vom amerikanischen Bürgerkrieg bekannte ) verkörperten in jeder Epi- Leinwand im Dunkeln lässt. (…) Die Story enthält berichtet von zwei Familien, den Camerons im sode eine neue Geschichte mit anderen Figuren. ein Thema, das später unter dem Hays Code der Süden und den Stonemans aus dem Norden. (...) Zusammengehalten wurde das Ganze durch den Zensur zum Opfer gefallen wäre: einen Vergewal- DER TUNNEL Niemals zuvor war ein Film von so gewaltigen moralischen Anspruch, mit dem die sozialen und tigungsversuch (…) in einem ethnisch gemischten Deutschland 1915 Ausmassen gedreht worden. Jeder Aspekt der persönlichen Konfliktgeschichten – von der Spe- Kontext. Diese Kühnheiten faszinierten die fran- Filmarbeit (...) wurde von Griffith persönlich ge- kulation bis zu Scheidungsproblemen – angegan- zösischen Intellektuellen.» (Sylvie Pliskin, in: «Bernhard Kellermanns Erfolgsroman aus dem leitet und überwacht. (...) Griffith übernimmt den gen wurden. Toil and Tyranny, die letzte der zwölf Dictionnaire des films Larousse) Jahr 1913 erzählt von einem ehrgeizigen Ingeni- reaktionären Standpunkt der weissen Südstaat- Episoden, schildert äusserst dramatisch einen eur, der Europa und Amerika mit einem Tunnel ler, der schon in der Romanvorlage manifest war. Arbeitskonflikt in der Holzindustrie vor dem ge- Kopie aus der Sammlung des George Eastman House. unter dem Ozean verbinden möchte. (…) Heute (...) Berühmt wurde der Film für seine komplexe rade aktuellen Hintergrund des Preiszerfalls für beeindruckt der Film durch seine realistischen Struktur, die dynamische Montage und die dra- Holz. Das Fragezeichen des Serientitels, zu Be- ca. 60 Min / sw, tinted / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln Aufnahmen vom Bau des Tunnels (die beim Bau matische Einbeziehung der ganzen Bildfläche.» ginn der Episode die Präsentation der Akteure // REGIE Cecil B. DeMille // DREHBUCH Hector Turnbull, der Berliner U-Bahn entstanden) und durch (Buchers Enzyklopädie des Films) einrahmend, wird am Ende aufgelöst: Für soziale Jeanie McPherson, nach dem Roman von Hector Turnbull // erstaunliche visionäre Einfälle wie z. B. das Fern- «Das epische Kostümdrama übertraf alle Ungerechtigkeit müssen letztlich alle einen KAMERA Alvin Wyckoff // MIT Fannie Ward (Edith Hardy), sehen.» (Bonner Sommerkino 2010) vorausgegangenen [amerikanischen; Anm. Fp.] hohen Preis bezahlen. Sessue Hayakawa (Tori), Jack Dean (Dick Hardy), James Neill «Die Dramatisierung für den Film ist dank der Spielfilme an Länge und Aufwand und behandelte (Jones), Utaka Abe (Toris Diener). Restaurierte 35-mm-Kopie mit freundlicher Genehmigung von scheinbar unbegrenzten Mittel, die der modernen ein wirklich amerikanisches Thema: Bürgerkrieg FR, 23. JAN. | 18.15 UHR (ZUS. MIT TOIL AND TYRANNY) UCLA Film & Television Archive. Filmtechnik zu Gebote stehen, glänzend gelun- und ‹Reconstruction›. Dieser Film war es, der den LIVE-BEGLEITUNG: GABRIEL THIBAUDEAU, MONTRÉAL gen. (…) Das alles ist verblüffend in der Echtheit Langspielfilm von der Ausnahme zur Regel ca. 35 Min / sw / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // der Prägung und zeigt uns die Filmkunst in unge- machte.» (Roberta Pearson, in: Geschichte des REGIE Harry Harvey // DREHBUCH Henry King, Will M. Rit- ahnter Vollendung.» (Tages-Anzeiger, zit. nach: internationalen Films, Stuttgart 1998) chey // MIT Henry King (Karl Hurd), Ruth Roland (Laura Pow- Kinema, 17.2.1917) «Auch der Zuschauer, der über den Rassen- ers), Daniel Gilfether (David Powers, ihr Vater, ein Holzkönig), HOMUNCULUS William Wauer (1866–1962) ist vor allem als hass Griffiths empört ist, wird stark beeindruckt Edward J. Brady (Perry Travis, Jurist), Mollie McConnell. Deutschland 1916 Maler und Bildhauer aus dem Umfeld der Künst- von der Schönheit der Bilder und der Vollkom- lergruppe «Der Sturm» bekannt geworden, er menheit ihrer Montage. (…) Es bedurfte des ge- FR, 23. JAN. | 18.15 UHR (ZUSAMMEN MIT THE CHEAT) «Die sechsteilige Serie Homunculus, in der ein wirkte aber auch als Grafiker, Theaterregisseur schichtlichen Abstands, damit Europa verstand, LIVE-BEGLEITUNG: GABRIEL THIBAUDEAU, MONTRÉAL künstlich geschaffener Mensch vergeblich Liebe und Filmemacher (u.a. Richard Wagner, 1913). dass der 8. Februar 1915, das Datum der Urauf- sucht und dann voller Hass Zerstörung über die «Vergleiche mit dem grossen Film von 1915 führung von The Birth of a Nation, der erste Tag Welt bringt, gehört zu den grossen Werken des sind unvermeidlich. Die intimeren Szenen von Der von Hollywoods Weltherrschaft und, zumindest THE CHEAT deutschen Stummfilms, die als verloren galten. Tunnel sind entschieden weniger fein inszeniert für einige Jahre, seiner künstlerischen Vorherr- USA 1915 In jahrelanger Arbeit hat das Filmmuseum als die Romanze und das Familienleben in The schaft war.» (Georges Sadoul: Geschichte der München Fragmente, Dokumente und Fotos ge- Birth of a Nation (…), doch Wauers Behandlung der Filmkunst, Wien 1957) Mrs. Hardy, eine Dame der besseren Gesellschaft sammelt und kann nun erstmals eine Rekonst- Massenszenen ist kraftvoller als Griffiths Aufruhr und Kassierin des Wohltätigkeitsvereins, lässt ruktion des Werks präsentieren, in dem Franken­­- auf dem Höhepunkt von Birth und sein Sinn für 192 Min / sw, tinted / Digital HD / Stummfilm mit engl. sich einen «todsicheren Tipp» geben – und ver- stein-Mythos, Kriegsrealität und Vorformen des Bildgestaltung ist in gewisser Hinsicht raffinier- Zw’titeln // REGIE David Wark Griffith // DREHBUCH David spekuliert das ihr anvertraute Vereinsgeld an der deutschen Filmexpressionismus zusammenflies­ ter, ja ‹moderner›. (…) Ich bin zunehmend der Wark Griffith, Frank E. Woods, nach Romanen von Thomas Wall Street. Um ihre Tat zu verbergen, lässt sie sen.» (Bonner Sommerkino 2014) 22 Stummfilmfestival 2015. Stummfilmfestival 2015. 23

«Die Homunculus-Tragödie ist dem Lichtspiel In jeder Szene zeigt sich überschäumende Kreati- Pastor als Trinker und unverbesserlicher Sünder ca. 115 Min / sw / 35 mm / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // REGIE dienstbar gemacht, die Psychologie hat nach hun- vität. Der Film quillt über von Ideen; mit der Macht gezeigt, der eine junge Frau vergewaltigt und be- Gerhard Lamprecht // DREHBUCH Gerhard Lamprecht, Luise dert fehlgeschlagenen Anläufen die Leinwand er- eines Sturmangriffs reisst er den Zuschauer in die stiehlt. (...) Micheaux erforscht die schwarze Ge- Heilborn-Körbitz, nach Erlebnissen von Heinrich Zille // obert. Unzulänglichkeiten der Schauspielbühne Geschichte hinein (…) und lässt ihn am Ende er- sellschaft sowohl in ihren pittoresken als auch in KAMERA Karl Hasselmann // MIT Bernhard Goetzke­ (Robert werden Ereignis, Wagnisse Selbstverständlichkei- schüttert und ernüchtert zurück. Trotz seiner ihren schmutzigen Aspekten und schreckt nicht Kramer), Aud Egede Nissen (Emma), Arthur Bergen (Gustav), ten; das Bild bezwingt das Wort, Gedanklichkeit Länge von fast drei Stunden ist J’accuse durchwegs davor zurück, seine Erzählungen möglichst zu dra- Mady Christians (Regine Lossen), Eduard Rothauser (Rott- hat eine neue Formulierung in der Auswertung von spannend und so erfindungsreich und beeindru- matisieren, hin zu einem wohldosierten Cocktail mann), Frida Richard (Frau Heinicke), Paul Bildt (Roberts Situationen, Episch-Lyrisches hat dramatischen ckend wie kein bis dahin produzierter Film, mit der von Gewalt und Sex. (…) Im subtilen Genremix zwi- Vater), Aribert Wäscher (Klatte), Rudolf Biebrach (ein Vieh- Akzent gefunden.» (B.Z. am Mittag, August 1916) einzigen Ausnahme von Intolerance; einige ameri- schen Actionfilm, Melodram und politischem Pam- händler), Margarete Kupfer (Wirtschafterin). «Heute misst man diesen [Homunculus-]Fil- kanische Kritiker schätzen ihn in künstlerischer phlet dürfte der Schlüssel zum Erfolg der Filme DI, 13. JAN. | 18.15 UHR men zu wenig Bedeutung bei und glaubt allge- Hinsicht sogar höher ein als alle Griffith-Produkti- Micheaux’gelegen haben.» (Régis Dubois: Diction- LIVE-BEGLEITUNG: JOACHIM BÄRENZ, ESSEN mein, der klassische deutsche Film setze erst mit onen.» (Kevin Brownlow: Pioniere des Films) naire du cinéma afro-américain) Caligari ein. Und doch enthalten diese Filme be- «Abel Gance, der seinen Kriegsdienst abge- Der Film ist das Kinodebüt des berühmten reits alle Ansätze des berühmten Helldunkel, das leistet hatte, filmte reale Kriegsszenen, die 1919 Schauspielers und Sängers Paul Robeson. Mi- für den deutschen Film charakteristisch wird. (…) nachgestellt wurden. Der Film, der für Wiederauf- cheaux lässt ihn die beiden Seiten der schwarzen LENINSCHE KINO-PRAWDA Alle Elemente der deutschen Filmkunst, wie sie führungen mehrfach gekürzt und umgeschnitten amerikanischen Gesellschaft zugleich verkör- (Leninskaya Kino-Prawda; Kino-Prawda Nr. 21) sich in den nächsten zehn, zwölf Jahren entwi- wurde, ist in einer sorgfältig rekonstruierten pern: Er spielt den «bösen» falschen Prediger UdSSR 1925 ckeln wird, sind in den Homunculus-Filmen be- Form zu sehen.» (Bonner Sommerkino 2014) und seinen «guten» Zwillingsbruder. reits angedeutet. (…) Vor allem zeigen jedoch die «Der Wochenschau-Operateur Dsiga Wertow war Massenbewegungen, wie die Verbindungsfäden ca. 180 Min / sw, tinted / 35 mm / Stummfilm mit franz. Erhaltung des Films mit Mitteln der Anthology Film Archives. beauftragt worden, als Ergänzung der grossen von Homunculus zu Metropolis hinüberführen.» Zw’titeln // REGIE Abel Gance, Blaise Cendrars (Regieas­ ca. 90 Min / sw, tinted / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln Tageszeitung Prawda ein gefilmtes Journal, Kino- (Lotte H. Eisner: Die dämonische Leinwand) sistenz) // DREHBUCH Abel Gance // KAMERA Léonce-Henri // REGIE Oscar Micheaux // DREHBUCH Oscar Micheaux, Prawda, zu gründen und zu leiten. Der Name, der Burel, Maurice Forster, Marc Bujard // SCHNITT Abel Gance, nach dem Roman von Oscar Micheaux // MIT Paul Robeson Kino-Wahrheit bedeutet, wurde von Wertow als ca. 200 Min / sw / Digital HD / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // Andrée Danis // MIT Romuald Joubé (Jean Diaz), Séverin- (Pfarrer Isaiah T. Jenkins/Sylvester Jenkins), Julia Theresa Parole aufgefasst. Er wollte – so wie seinerzeit REGIE Otto Rippert // DREHBUCH Robert Reinert // KAMERA Mars (François Laurin), Maryse Dauvray (Edith Laurin), Russell (Isabelle), Mercedes Gilbert (Martha Jane, Isabelles Lumière – alles aus dem Kino ausschalten, das Carl Hoffmann // MIT Olaf Fønss (Richard Ortmann, Homun- Maxime Desjardins (Ediths Vater), Angèle Guys (Angèle), Mme Mutter), Marshall Rogers (Kneipenbesitzer), Lawrence nicht ‹dem Leben entnommen war›.» (Georges culus), Ernst Ludwig (Professor Ortmann), Albert Paul (Dr. Mancini (Jean Diaz’ Mutter). Chenault («Yellow-Curley» Hinds), Chester A. Alexander Sadoul: Geschichte der Filmkunst) Hansen), Lore Rückert (Margarete Hansen, seine Tochter), DO, 8. JAN. | 20.15 UHR (Diakon Simpkins, Kirchenältester), Walter Cornick (Brother Eine Spezialausgabe der Kino-Prawda erschien Max Ruhbeck (Generalprokurator Steffens), Lia Borré (seine LIVE-BEGLEITUNG: STEPHEN HORNE, LONDON Amos, Kirchenältester), Lillian Johnson (Sis Ca’line). im Januar 1925 zum ersten Todestag von Wladi- Tochter), Friedrich Kühne (Edgar Rodin), Theodor Loos (Sven mir Iljitsch Lenin. «Besondere Berühmtheit er- Fredland), Mechthild Thein (Margot). SO, 18. JAN. | 18.15 UHR langt die Leninskaya Kino-Prawda (…). Hier mon- LIVE-BEGLEITUNG: MAUD NELISSEN, DOORN/NL UND MO, 12. JAN. | 19.00 UHR tierte Wertow Dokumentaraufnahmen von Lenin BODY AND SOUL FRANK BOCKIUS, FREIBURG I. BR. mit improvisierten Erzählungen einfacher Men- LIVE-BEGLEITUNG: JOACHIM BÄRENZ, ESSEN USA 1925 EINFÜHRUNG ZUR REKONSTRUKTIONSARBEIT: schen und einem grossen Rückblick auf die bishe- STEFAN DRÖSSLER, FILMMUSEUM MÜNCHEN (CA. 25 MIN) rige Geschichte der Sowjetunion zusammen, um Dass man Oscar Micheaux (1884–1951) in den DIE VERRUFENEN (Der fünfte Stand) das Ganze dann auf den Trauerzug der Bevölke- meisten Nachschlagewerken nicht findet, hat ei- Deutschland 1925 rung vor dem toten Lenin münden zu lassen.» (Ul- nen einfachen Grund: Der schwarze Regisseur hat rich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films) J’ACCUSE Filme über Schwarze für ein fast ausschliesslich «Die Geschichte eines aus dem Gefängnis entlas- «Eisenstein baut den Potemkin unter dem Ein- Frankreich 1919 schwarzes Publikum gedreht. Entsprechend spät senen Ingenieurs, der zunächst überall auf Ableh- fluss der Leninsche Kino-Prawda, von der er selbst erst ist die etablierte Filmkritik und -geschichts- nung stösst. Erst durch die Unterstützung einer sagt, dass sie ihn stark beeinflusst habe. (…) Die «J’accuse beginnt mit einer Einstellung von einer schreibung auf ihn aufmerksam geworden. Weil Prostituierten kann er dem drohenden Untergang Leninsche Kino-Prawda beginnt mit Elementen Vielzahl von Soldaten, die zusammenkommen, Hollywood einen Roman Micheaux’ nicht verfil- entgehen und sich seinen Platz in der Gesellschaft des Kampfs des sich auflehnenden Proletariats, um die Buchstaben des Titels zu bilden, und endet men wollte, begann er 1919 selbst als unabhängi- erarbeiten.» (Lexikon des int. Films) der Mittelteil ist um ein Ereignis, den Tod des An- mit einer auf geteilter Leinwand ablaufenden ger Produzent und Regisseur und war bis 1948 ak- «Dieses Hauptwerk des sogenannten ‹Milljöh› – führers, gebaut, und sie endet mit einem Element doppelten Parade der Toten und der durch den Arc tiv; von den zwei Dutzend Stummfilmen, die er oder ‹Zille-Films› – benannt nach dem proletari- des Sieges und der Fröhlichkeit. (…) Potemkin be- de Triomphe marschierenden Sieger. (…) Er war gedreht hat, sind jedoch die wenigsten überliefert. schen Berliner Maler Heinrich Zille – ist weitaus ginnt mit dem Kampf der Aufständischen, der ein weltweiter Erfolg vor allem wegen Gances be- «Um Micheaux kommt man in der Geschichte besser, als die Inhaltsangabe suggerieren muss. Die Mittelteil ist um den Tod Wakulintschuks gebaut, merkenswert filmischer Behandlung des Themas des afroamerikanischen Films nicht herum (…), Darstellung der Schauplätze, in der das soziale An- und er endet mit einem Element des Sieges und der Unmenschlichkeit des Krieges, das hinter der den ‹Vater des unabhängigen schwarzen Kinos›, liegen manifest wird, ergibt eine detailgetreue und der Fröhlichkeit.» (Dsiga Wertow in einer Rede melodramatischen Liebesgeschichte dem Film wie man ihn genannt hat. (…) Wenn er auch der pro- vielschichtige Milieuzeichnung. Diese gewinnt be- vom 19.3.1926) zugrunde lag.» (Buchers Enzyklopädie des Films) duktivste unter den unabhängigen Filmemachern sondere Glaubwürdigkeit dadurch, dass Lamprecht «J’accuse kam kurz nach der Unterzeichnung war und bis heute der berühmteste bleibt, so haben (…) Laiendarsteller einbezog und so Arbeitslose und des Waffenstillstands heraus. Wo immer er seine Werke in ihrer Zeit unzählige Kontroversen Stadtstreicher sich selbst spielen liess.» (Thomas ca. 40 Min / sw / Digital HD / Stummfilm mit russ. Zw’titeln // gezeigt wurde, erregte er Aufsehen. (…) [Es] war ausgelöst, (…) denn insbesondere in der Stumm- Kramer, in: Reclams Lexikon des deutschen Films) REGIE Dsiga Wertow // KAMERA Grigori Giber, Michail Kauf- der erste grosse pazifistische Film der Filmge- filmzeit verstand sich Micheaux als militant, enga- Zu Beginn sieht man Heinrich Zille selbst beim man, Eduard Tisse u. a. schichte – und einer der ersten grossen Filme, die giert und subversiv. Sein erster Film, The Home­ Zeichnen, und viele der besten Szenen sind direkt MI, 28. JAN. | 18.15 UHR sich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen. (…) steader, dreht das Bild um, das The Birth of a Nation von Zille-Zeichnungen und ihrer genau beobachte- (ZUS. MIT PANZERKREUZER POTEMKIN) Noch heute wirkt J’accuse überraschend kraftvoll. vermittelt. (…) In Body and Soul wird ein schwarzer ten, unsentimentalen Lakonik inspiriert. LIVE-BEGLEITUNG: MARTIN CHRIST, LIGERZ Stummfilmfestival 2015. 25

Männer wider Willen zu Vätern werden, weil sie in PANZERKREUZER POTEMKIN symbolische Systeme hineingeboren werden, die (Bronenosez Potemkin) auszufüllen sie nicht in der Lage sind.» (Frieda UdSSR 1925 Grafe, Süddeutsche Zeitung, 9.2.1974) «Die Geschichte ist von nahezu linearer Ein- «Mit Panzerkreuzer Potemkin gelang es Eisenstein, fachheit, wäre da nicht eine entscheidende Korrek- in wenigen Begebenheiten – dem Aufstand auf tur. In der Bibel steht, dass die Frauen ihren Män- dem Kreuzer, der Demonstration der Bevölkerung nern untertan sein sollen. Dreyer hat offensichtlich und dem Massaker auf der Treppe – nicht nur die und berechtigt Zweifel an einer solchen Prämisse Aufstandsbewegung von 1905, sondern das Drama des Zusammenlebens. Er formuliert filmisch ein der Revolution und ihres Zusammenpralls mit den Widerstandsrecht – und das im Jahre 1925!» (Uwe etablierten Mächten auf seinen klassischen Aus- Müller, Filmwärts, Nr. 14, Hannover 1989) > The Salvation Hunters. druck zu bringen. (...) Die Treppenszene, in wel- «Es ist eine Welt der Kleinbürger, die der Film cher herabmarschierende Kosaken eine fliehende zeigt; ganz gefangen sind sie in ihrer Welt, ganz Menge brutal füsilieren, wurde durch Eisensteins auf deren Bedingungen festgenagelt. (…) Eine Montagekunst zum Höhepunkt dieses Films und didaktisch konzipierte Komödie.» (Rainer Rother, zu einer der berühmtesten Anthologieszenen der Filmwärts, Nr. 14) Filmgeschichte überhaupt.» (Ulrich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films) 107 Min / sw / Digital HD / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // Eisensteins Panzerkreuzer ist nicht nur einer REGIE Carl Theodor Dreyer // DREHBUCH Svend Rindom, der meistzitierten Filme der Filmgeschichte, Carl Theodor Dreyer, nach einem Theaterstück von Svend sondern auch einer der von Zensoren aller Län- Rindom // KAMERA George Schnéevoigt // SCHNITT Carl der meistverstümmelten. 1976 gelang es Naum Theodor Dreyer // MIT Johannes Meyer (Viktor Frandsen), Kleiman, dem Leiter des Moskauer Eisenstein- Astrid Holm (Ida, seine Frau), Karin Nellemose (Karen, ihre Archivs, ausgehend von den verschiedenen alten Tochter), Mathilde Nielsen (Mads, Viktors frühere Amme), Kopien, die Originalfassung zu rekonstruieren. Clara Schønfeld (Alvilda Kryger, Idas Mutter). Während 1925 die Moskauer Uraufführung des MO, 19. JAN. | 20.45 UHR Films mit einer der damals üblichen Musikkom- LIVE-BEGLEITUNG: MAUD NELISSEN, DOORN/NL > His New Job. > Master of the House. pilationen begleitet wurde, hat Edmund Meisel für die Berliner Premiere eine Originalmusik komponiert, die als eine der interessantesten HIS NEW JOB musikalischen Filmbegleitungen der Stumm- USA 1915 filmzeit gilt. Das Filmpodium zeigt die 2005 von Enno Patalas rekonstruierte Fassung mit der Als filmhistorisches Zeugnis in doppelter Hinsicht Orchestermusik von Meisel. erhellend: Zum einen war es wirklich Chaplins «new job». Nach seinem ersten Filmengagement 68 Min / sw / DCP / Stummfilm mit Musik + dt. Zw’titeln // bei Keystone, wo er in nur einem Jahr seine Tramp- REGIE Sergej M. Eisenstein // DREHBUCH Nina Agadsha- Figur gefunden hatte und zu Star- und Regieehren nowa-Schutko, Sergej M. Eisenstein // KAMERA Eduard Tissé aufgestiegen war, trat er mit diesem Film seinen // MUSIK Edmund Meisel // SCHNITT Sergej M. Eisenstein // neuen Vertrag bei der Produktionsfirma Essanay MIT Alexander Antonow (Matrose Wakulintschuk), Wladimir an. Dieser brachte ihm mehr von jener Gestal- G. Barski (Kommandant Golikow), Grigori Alexandrow (Leut- tungsfreiheit, die ihn bald zu seinen frühen Meister­ nant Giljarowski), Michail Gomorow (Matjuschenko). werken führen sollte. Zum andern ist His New Job > Die Verrufenen. MI, 28. JAN. | 18.15 UHR (ZUS. MIT LENINSCHE KINO-PRAWDA) eine entlarvende Darstellung der Zustände in ei- nem damaligen Filmstudio. Die Erfahrungen bei Keystone wie seine erste Enttäuschung über die MASTER OF THE HOUSE primitiven Arbeitsbedingungen bei Essanay dürf- (Du skal ære din hustru) ten Chaplin dabei gleichermassen inspiriert haben. Dänemark 1925 ca. 30 Min / sw / DCP / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // DREH- «Die Geschichte eines Familienoberhaupts, dem BUCH UND REGIE Charles Chaplin // KAMERA Roland H. drei Frauen das Rückgrat brechen, das sie ihm Totheroh // MIT Charles Chaplin (Filmstatist), Ben Turpin erst eingezogen haben: seine Mutter, sein altes (Filmstatist), Charlotte Mineau (Filmstar), Charles Insley Kindermädchen, seine Frau. Dreyer bringt For- (Filmregisseur), Leo White (Schauspieler), Frank J. Coleman men ins Bild, die zur Funktion haben, die unter (Regieassistent), Gloria Swanson (Stenografin). ihnen liegenden, sie generierenden Strukturen MO, 5. JAN. | 20.45 UHR (ZUSAMMEN MIT STAGE STRUCK) verständlich zu machen. (…) Der Film handelt LIVE-BEGLEITUNG: BRUNO SPOERRI, ZÜRICH, UND vom vielzitierten Rollenverhalten, durch das GÜNTER A. BUCHWALD, FREIBURG I. BR.

> J’accuse. > Die Frau, nach der man sich sehnt. 26 Stummfilmfestival 2015. Stummfilmfestival 2015. 27

len jedoch einem brutalen Zuhälter in die Hände. sich, während ihr Verlobter Hugh in den Orient (Lothar Schwab, in: Aufruhr der Gefühle – Die Ki- STAGE STRUCK Zu den grossen Bewunderern des Films zählte geht, daheim mit einem windigen Fürsten ein; nowelt des Curtis Bernhardt) USA 1925 Charlie Chaplin, der dafür sorgte, dass der Film Patsy heiratet Levet, folgt ihm in die Tropen und Als Dr. Karoff gibt sich Fritz Kortner weltmän- von United Artists angekauft und ins Kino ge- muss feststellen, dass er ihrer nicht wert ist.» nisch überlegen, je nach Gegenüber mal kalt- «Die Komödie Stage Struck ist zusammen mit bracht wurde.» (Bonner Sommerkino 2010) (Enno Patalas: Alfred Hitchcock) schnäuzig, mal jovial anbiedernd. Doch hinter Manhandled der Höhepunkt der Zusammenarbeit «Die Charaktere sind in die trostlose Umge- «Es ist eine eher zeittypisch-konventionelle dieser gesellschaftlichen Fassade muss der von Allan Dwan und Gloria Swanson. Sie spielt bung gesetzt, in der man eine Geschichte erwar- Geschichte – Hitchcock selbst meinte: ‹Melodra- Schauspieler Karoffs wachsende Ängste sichtbar darin eine Kellnerin, die in den Koch des Restau- ten würde, die die gesellschaftlichen Umstände matisch, aber mit ein paar interessanten Szenen.› machen: die Angst, dass ihn die begangene Mord- rants verliebt ist. Dieser aber träumt von einer anprangert, die für solche Lebensbedingungen Die Story mag ihn nicht besonders interessiert tat einholt, und die Angst, dass seine Begleiterin Bühnenkarriere und hat ein Faible für Schau­ verantwortlich sind. Stattdessen verwendet der haben, doch er gab ihr eine zusätzliche Dimen- und Komplizin ihm trotz dieser Verstrickung ent- spielerinnen. Wie der Koch sich vom Star eines Film den Hintergrund des Elendsviertels symbo- sion: The Pleasure Garden ist eine Abhandlung gleitet. In kurzen Momenten fällt die Maske und gastierenden Theaterschiffs blenden lässt, be- lisch als Ausdruck der Abgründe, die jeder über Voyeurismus, Geschlechterpolitik und die Kortner wechselt fast übergangslos von einer legt die Kellnerin einen Schauspiel-Fernkurs.» Mensch in sich trägt und überwinden muss. Dabei Kluft zwischen romantischen Träumen und Rea- Ebene zur anderen, um sich sofort wieder aufzu- (David Robinson, in: Allan Dwan) funktioniert die Geschichte sowohl auf der äusse- lität. Hitchcock setzt die Nebenfiguren als Kom- fangen. «Gloria Swanson, einer der grossen Stars des ren Handlungsebene wie auch auf der metapho- mentar zu den Hauptpersonen ein. (…) Der ‹Daily Stummfilms, zieht in Stage Struck alle Register rischen – je nach Vorliebe des Betrachters. The Express› bezeichnete in seiner Kritik Hitchcock 80 Min / sw / DCP / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // REGIE Kurt ihres Könnens (…).Die Komödie wartet mit einer Salvation Hunters bleibt die entscheidende Arbeit als ‹young man with a master mind›. Und seine Bernhardt // DREHBUCH Ladislaus Vajda, nach dem Roman technischen Sensation auf: Die farbigen Traum- in Sternbergs Karriere. Er selber behauptete Karriere war lanciert.» (Bryony Dixon im Katalog von Max Brod // KAMERA Curt Courant, Hans Scheib // MIT sequenzen, die in der restaurierten Filmkopie des später, dass der Film sein einziges ernsthaftes von Il cinema ritrovato, Bologna 2013) Marlene Dietrich (Stascha), Fritz Kortner (Dr. Karoff), Frida George Eastman House auch heute noch zu Kunstwerk sei.» (Curtis Harrington, Hollywood Richard (Frau Leblanc), Uno Henning (Henri Leblanc), Oskar bewundern sind, wurden im damals neu entwi- Quarterly, Berkeley 1948) A restoration by the BFI National Archive in association with ITV Sima (Charles Leblanc), Bruno Ziener (Leblancs Diener Studios Global Entertainment and Park Circus. Philipp), Karl Etlinger (Vater Poitrier), Edith Edwards (Poit- ckelten zweifarbigen Technicolor-Verfahren ge- Principal restoration funding provided by The Hollywood Foreign Restaurierte 35-mm-Kopie mit freundlicher Genehmigung von dreht.» (Bonner Sommerkino 2009) Press Association and The Film Foundation, and Matt Spick. riers Tochter Angela). UCLA Film & Television Archive. «In Stage Struck macht Gloria Swanson, was Additional funding provided by Deluxe 142. MO, 2. FEB. | 20.45 UHR sie als vollendete Komödiantin auf dem Höhe- ca. 80 Min / sw / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // 92 Min / sw, tinted / DCP / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // LIVE-BEGLEITUNG: MARK POGOLSKI UND SABRINA punkt ihrer Karriere am besten kann: Sie drückt DREHBUCH UND REGIE Josef von Sternberg // KAMERA REGIE Alfred Hitchcock // DREHBUCH Eliot Stannard, nach ZIMMERMANN, MÜNCHEN durch die Figur ihren Wunsch aus, eine drama­ Edward Gheller // SCHNITT Josef von Sternberg // MIT dem Roman von Oliver Sandys // KAMERA Gaetano Ventimig- (Begleitmusik von Aljoscha Zimmermann [1944–2009]) tische Schauspielerin zu sein. Es ist eine gute George K. Arthur (der junge Mann), Georgia Hale (die junge lia // MIT Virginia Valli (Patsy Brand), Carmelita Geraghty (Jill Komödie und sie ist darin wunderbar; in den Res- Frau), Bruce Guerin (Waisenkind), Otto Matieson (Mann), Cheyne), Miles Mander (Levett), John Stuart (Hugh Fielding), taurant-Szenen bringt sie sogar etwas Slapstick, Nellie Bly Baker (Frau), Olaf Hytten (brutaler Kerl). Frederic Martini (Mr. Sidey), Florence Helminger (Mrs. Buchvernissage eine Form von Komik, die sie angeblich verach- SA, 24. JAN. | 20.45 UHR Sidey), Georg H. Schnell (Oscar Hamilton), Karl Falkenburg Als Abschluss des Stummfilmfestivals leitet Die tete.» (Bryony Dixon: 100 Silent Films) LIVE-BEGLEITUNG: GABRIEL THIBAUDEAU, MONTRÉAL (Fürst Iwan), Nita Naldi (die Eingeborene). Frau, nach der man sich sehnt zugleich zur Film- reihe über, die das Filmpodium im Februar/März- Kopie aus der Sammlung des George Eastman House. FR, 9. JAN. | 18.15 UHR Programm dem Schauspieler und Regisseur Fritz LIVE-BEGLEITUNG: STEPHEN HORNE, LONDON ca. 80 Min / sw + Farbe / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln THE PLEASURE GARDEN Kortner widmen wird. Die Vorführung des Films ist // REGIE Allan Dwan // DREHBUCH Forrest Halsey, Sylvia La GB 1925 verbunden mit der Präsentation der Buchneuer- Varre, nach einer Story von Frank Ramsey Adams // KAMERA scheinung «Das Gedächtnis des Films – Fritz Kort- George Webber // SCHNITT George Webber // MIT Gloria In dreijähriger Arbeit hat das British Film Insti- DIE FRAU, NACH DER MAN ner und das Kino» (Filmarchiv Austria) durch die Swanson (Jennie Hagen), Lawrence Gray (Orme Wilson), tute Alfred Hitchcocks Stummfilme restauriert. SICH SEHNT Herausgeber Armin Loacker und Georg Tscholl. Gertrude Astor (Lillian Lyons), Marguerite Evans (Hilda), Ford Für die Arbeit am Regieerstling des 25-Jährigen Deutschland 1929 Sterling (Waldo Buck), Carrie Scott (Mrs. Wagner). wurden fünf Kopien herbeigezogen, die alle un- Programmauswahl und Kurztexte, soweit nicht MO, 5. JAN. | 20.45 UHR (ZUSAMMEN MIT HIS NEW JOB) vollständig waren. Vier davon waren originale «Ein junger französischer Industrieller begegnet anders vermerkt: Martin Girod. LIVE-BEGLEITUNG: BRUNO SPOERRI, ZÜRICH, UND Nitrokopien von guter Qualität, so dass wir heute auf der Hochzeitsreise einer geheimnisvollen GÜNTER A. BUCHWALD, FREIBURG I. BR. das Debüt des späteren Master of Suspense in er- Schönen, die ihn um Schutz vor ihrem Begleiter staunlicher Frische und mit den originalen Ein- bittet. Er verlässt die Ehefrau und fährt der Frem- färbungen wiederentdecken können. den nach.» (Lexikon des int. Films) Mit freundlicher Unterstützung des «Pleasure Garden ist der Name eines Nacht- «Marlene Dietrichs späterer Rollentypus in Fördervereins Lumière THE SALVATION HUNTERS clubs, in dem die Handlung beginnt. Tänzerinnen den Filmen Josef von Sternbergs hat hier bereits USA 1925 (…) rennen eine Wendeltreppe herunter. Die Ka- einen Vorläufer.» (filmportal.de) mera fährt die erste Reihe im Parkett ab, lauter «Es ist, als habe Kurt Bernhardt in seinem «Sternbergs vielbeachtetes Filmdebüt entstand lüsterne Greise mit Brille, Operngucker und Mo- letzten Stummfilm noch einmal zeigen wollen, als No-Budget-Produktion im Hafen und in den nokel. Hitchcocks Welt, eine Welt des Amüse- wie weit Kameraleute, Regisseure und Schnitt- Strassen von San Pedro und erzählt in poetischen ments und des ‹make-believe›, der inszenierten meister jetzt gehen konnten in den Anforderun- Bildern eine Geschichte vom Leben in Armut. Ein Täuschung. (…) The Pleasure Garden ist eine Vier- gen an die Zuschauer. (…) Kamerabewegungen Mann, seine Freundin und ein Waisenkind leben ecksgeschichte, von zwei Chorus Girls, Patsy und und extreme Positionen der Kamera visualisieren auf einem Schlammbagger im Hafen, müssen Jill, und ihren Beziehungen zu zwei miteinander die Erregung der Akteure. (…) Der Eindruck der diese Unterkunft aber nach einem Streit mit dem befreundeten Männern. Hugh und Levet sind Entfesselung entsteht durch Montagerhythmen, Besitzer verlassen. Sie flüchten in die Stadt, fal- beide auf einer Plantage beschäftigt; Jill lässt vor allem aber durch Bernhardts Massenregie.» 29

Neues tschechisches und slowakisches Kino Im Schatten grosser Vorbilder

Die Cineastinnen und Cineasten der Neuen Welle in der ČSSR wurden nicht nur aufgrund ihres künstlerischen Könnens zu Kultfiguren, sondern auch wegen ihrer mutigen Aufmüpfigkeit. Auf den Schultern solcher Riesen zu stehen, ist bekanntlich schwierig, und so hatte die Generation der tschechischen und slowakischen Filmschaffenden nach der Wende sowohl mit gesellschaftlichen Umwälzungen als auch mit dem Ruhm ihrer Vorbilder zu kämpfen, ehe sie ihren eigenen Weg fand. Wo dieser hinführt, zeigt die Reihe, die wir mit unserer Kokuratorin Barbara Dusek zusammengestellt haben.

Nach der Wende herrschte bei den tschechoslowakischen Filmschaffenden nicht nur Euphorie, vielmehr machte sich auch Ernüchterung breit. Zwar konnten sie nun ohne Zensur erzählen, aber die staatliche finanzielle Unter- stützung wurde immer geringer, Produktionsstätten wurden privatisiert; das Tschechische Fernsehen avancierte zum grössten Koproduzenten einheimi- scher Filme. Die Cineasten mussten lernen, nicht nur an Kunst, sondern auch ans Geld zu denken. Manche opferten dem Erfolg an der Kinokasse alles Künstlerische; andere gingen in die Gegenrichtung und riskierten, dass sie nur ein kleines Publikum erreichten und die Kosten nicht eingespielt wurden. So überrascht es nicht, dass Anfang der neunziger Jahre vor allem populäre Unterhaltungsfilme entstanden. Diese Produktionen waren aber häufig selbst handwerklich unbefriedigend. Auch Filmschaffende der alten Garde versuchten, ihr Können in dieser neuen Epoche zur Geltung zu bringen, vermochten aber – wenn auch formal souverän – oft thematisch nicht zu über- zeugen oder erreichten ihr früheres Publikum nicht mehr. Zwar wurden in Prag viele Grossproduktionen wie The Bourne Identity und Casino Royale gedreht; die einheimische Produktion jedoch stagnierte und die Kinobesuche waren bzw. sind rückläufig. Erst als die mittlere oder «samtene» Generation der Filmschaffenden in den achtziger und neunziger Jahren sehr offen von den eigenen Auseinandersetzungen mit der neuen sozialen und politischen Situa- tion zu erzählen begann, besserte sich die Lage etwas. Diese Filme sprachen ein breites Publikum an, ohne Niveau einzubüssen. Ihr internationaler Erfolg

> Erinnert an die slowakischen Happenings der späten sechziger Jahre: Der Garten von Martin Šulík < Teils Roadmovie, teils Familienfilm: Some Secrets von Alice Nellis

< Komplexes Drama über Kollaboration: Kawasaki's Rose von Jan Hřebejk und Petr Jarchovský 30 31

war und ist aber eher bescheiden. Wohl gewannen sie Preise an kleineren auch er sich die fünfziger Jahre vor, diesmal als Film noir: In the Shadow Festivals, aber globale Aufmerksamkeit wie in den «Glanzzeiten» der Neuen wirkt stimmungsvoll und hochprofessionell, weckt aber neben der Zeitkritik Welle erlangten sie nicht mehr. auch Genre-Erwartungen.

Erfolgreiche Zweiergespanne Umwege aus der Krise Den einzigen Welterfolg landeten Sohn Jan (*1965) und Vater Zdeněk Svěrák Grossen Erfolg, nicht nur bei der Kritik, hatte Der Garten des Slowaken Mar- (*1936), die 1997 mit Kolja den Oscar für den besten fremdsprachigen Film tin Šulík (*1962), obwohl dieser Film von 1995 in bedächtigem Tempo und errangen. Dieses intelligente Rührstück wurde teilweise noch mit staatlicher altmodisch-poetischer Manier erzählt wird, was gar nicht im Trend lag. Šulík Hilfe produziert. Kolja schildert das Leben unter dem kommunistischen zählt denn auch zu jenen Filmemachern, die es sich kaum je einfach gemacht Regime nicht sehr differenziert, aber für jeden verständlich und mit einem po- haben. Nach dem Studium an der FAMU geriet der Regisseur Bohdan Sláma litischen Happy End (der Wende von 1989). Das erste Gemeinschaftswerk (*1967) in eine kreative Krise: Zwei Jahre lang arbeitete er in Deutschland der Svěráks – das Spielfilmdebüt von Jan, der zuvor Dokumentarfilme ge- auf einer Pferdefarm und fand so wieder den Weg zum Film. Als erstes drehte dreht hatte – war Die Volksschule gewesen. Diese leicht autobiografische Ge- er den kompromisslosen Film Wilde Bienen über die kuriosen Bewohner ei- schichte, auch sie schon für einen Oscar nominiert, erzählt den Alltag rund nes abgelegenen Dorfes im Grenzgebiet zu Polen, der inhaltlich wie formal um eine Schule nach dem Zweiten Weltkrieg als spassiges Lausbubenstück. eine Herausforderung für das breite Publikum darstellte. In Die Jahreszeit des Ähnlich wie das Svěrák-Duo in den Neunzigern hat das Gespann Jan Glücks bringt Sláma seinen Protagonisten schon mehr Sympathien entgegen, Hřebejk (*1967, Regie) und Petr Jarchovský (*1966, Drehbuch) im letzten was ihm das Publikum mit mehr Zuspruch vergalt. Jahrzehnt die erfolgreichsten Filme geschaffen. Wir müssen zusammenhalten, Um das Durchschnittspublikum schert sich der Surrealist Jan Švankmajer ebenfalls für einen Oscar nominiert, und Kuschelnester zeichnen stimmungs- (*1934) seit jeher einen Deut; er verfolgt konsequent seine Experimente im voll die Atmosphäre der vierziger bzw. sechziger Jahre. Während im ersteren Grenzbereich zwischen Real- und Animationsfilm, wobei er sich diverser In- Film ein Normalbürger zur Zeit der Judenverfolgung von einem tragikomi- spirationsquellen bedient: Bei Kleiner Otik, einer bösen Satire über die Folgen schen Dilemma ins andere stürzt, karikiert letzterer die Mentalität des kleinen eines bedingungslosen Kinderwunschs, stand ein Märchen Pate; Verschwörer Mannes. Manche Sprüche aus Kuschelnester haben ihren Weg in die Alltags- der Lüste, eine Fetischismusfantasie über beziehungsgestörte Zeitgenossen, sprache gefunden, was auch dem Autor der Buchvorlage «Hovno hoří», Petr ist ausdrücklich Sade, Sacher-Masoch und Buñuel gewidmet. Šabach, zuzurechnen ist. Kawasaki's Rose, ein neuerer Film von Hřebejk und Regisseurinnen sind auch im tschechischen und slowakischen Gegen- Jarchovský, ist ein Drama über Kollaboration, ein komplizierteres Werk, zu wartskino selten; zwei höchst unterschiedliche Cineastinnen sind in unserer dem sich die Autoren von Das Leben der Anderen (D 2006) inspirieren lies- Reihe dennoch vertreten: Die Altmeisterin Věra Chytilová (1929–2014) sen. Hřebejk dreht auch Musikvideos, arbeitet für Fernsehen und Werbung drehte nach der Wende noch mehrere Filme, die jedoch nie die Kraft ihrer frü- und ist als Theaterregisseur tätig. 2012 hat er Fassbinders «Der Müll, die hen Werke erreichten und das Publikum eher kalt liessen. Eine Ausnahme ist Stadt und der Tod» in der Prager Inszenierung von Dušan David Pařízek (dem Grosse Fallen, kleine Fallen, der heftige Kontroversen auslöste: Filmkritiker Zürcher Publikum als Schauspielhaus-Regisseur bekannt) als Spielfilm adap- argumentierten, Chytilová habe mit dieser Fabel über eine vergewaltigte Frau, tiert. die sich an ihren Peinigern rächt, eine wahre Begebenheit unzulänglich umge- Auch Hřebejks Kollege Vladimír Michálek (*1956) dreht oft für Wer- setzt, während Feministinnen sich ärgerten, die Regisseurin erweise ihnen bung und Fernsehen. Sein Spielfilm Der Bastard muss sterben leistet ebenfalls einen Bärendienst. Ebenfalls feministisch, aber viel versöhnlicher, sind die ein Stück Vergangenheitsbewältigung, mit einem Kriegsdrama, in dem kein Filme von Alice Nellis (*1971). Ein wahres Multitalent – Übersetzerin, Musi- Krieg stattfindet – ausser jenem in den Seelen der Bewohner eines Dorfes. kerin, Autorin, Theater- und Filmregisseurin –, hat Nellis für das Roadmovie Zwar hat David Ondříček (*1969), Sohn des legendären Kameraman- Some Secrets nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch die engli- nes Miroslav (Amadeus, Valmont), an der FAMU Dokumentarfilm studiert; schen Songs – und einige davon sogar selber gesungen. heute dreht er aber mehr Spielfilme – neben den obligaten Brotjobs für die Werbebranche. Sein preisgekrönter Film Einzelgänger schildert seltsame, aber Barbara Dusek gar nicht so unübliche Beziehungen und Nichtbeziehungen unter tschechi- schen 30-Jährigen. Nach mehreren munteren Gegenwartsgeschichten nahm Barbara Dusek ist Dramaturgin (FAMU) und freischaffende Autorin. Neues tschechisches und slowakisches Kino. 33

KAMERA Martin Štrba // MUSIK Vladimír Godár // SCHNITT DIE VOLKSSCHULE (Obecná škola) Dušan Milko // MIT Roman Luknár (Jakub), Marián Labuda Tschechien 1991 (Jakubs Vater), Zuzana Šulajová (Helena), Jana Švandová (Tereza), Katarína Vrzalová (Helenas Mutter), Dušan Trančík Ein Prager Vorort, nach der Niederlage der Deut- (Terezas Mann). schen und vor dem Einmarsch der Russen. Der 11-jährige Eda, der in diesem idyllischen Inter- mezzo aufwächst, gehört einer Lausbuben- KOLJA Klasse an, die ihre Lehrerin buchstäblich in den Tschechien/GB/Frankreich 1996 Wahnsinn treibt und zur Strafe einen militaristi- schen Pauker vorgesetzt bekommt. Igor Hnízdo, Sein staatskritisches Verhalten ist Auslöser für einen Dominoeffekt in Loukas Leben: Aus der > Die Volksschule. © Biograf Jan Svěrák der eine Pistole trägt und sich als Widerstands- kämpfer aufspielt, kann die Bengel trotz unzuläs- tschechischen Philharmonie entlassen, muss siger Prügelstrafen für sich gewinnen, doch er ist sich der begnadete Cellist seinen Lebensunter- nicht ganz, was er zu sein scheint. halt neu mit Gelegenheitsjobs verdienen. Um Jan Svěráks Erstling Die Volksschule kam zwei seine prekäre finanzielle Lage aufzubessern, wil- Jahre nach der Wende ins Kino und dieser nos- ligt er in eine Scheinehe mit einer Russin ein, die talgische Blick zurück in die Zeit, als die Tsche- ihn aber kurz darauf verlässt und ihm zugleich ih- chen letztmals frei von einer Diktatur waren und ren 5-jährigen Sohn Kolja unterjubelt. Trotz (allzu) optimistisch in die Zukunft blickten, wurde sprachlicher Barriere und anfänglichem Wider- zum oscarnominierten Kassenschlager. Svěrák willen bahnt sich zwischen den beiden eine zarte erweist der Elterngeneration die Ehre, besetzt Vater-Sohn-Beziehung an. «Aschenbrödel» Libuše Šafránková als Edas hüb- «František Louka hat diese Mischung aus sche Mutter, Rudolf Hrušínský als Schulleiter und Kleinbürgerlichkeit, künstlerischem Beruf, Welt- gewährt seinen Vorbildern Jiří Menzel und Karel schmerz, Gemütlichkeit, pfiffiger Schlitzohrigkeit Kachyňa Gastauftritte. (mb) und böhmischer Ironie. Eine Kombination, die ex- trem gut funktioniert, im Herstellungsland voll 100 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d // REGIE Jan Svěrák // ins Schwarze getroffen hat und dabei so liebens- > Kolja. © Biograf Jan Svěrák > Kuschelnester. DREHBUCH Zdeněk Svěrák // KAMERA F. A. Brabec // MUSIK wert-rücksichtsvoll ist, dass sie niemandem Jiří Svoboda // SCHNITT Alois Fišárek // MIT Václav Jakoubek wehtut.» (Josef Nagel, film-dienst, 14/1997) (Eda Souček), Radoslav Budác (Tonda), Jan Tříska (Igor Kolja wurde mit dem Oscar für den besten Hnízdo), Zdeněk Svěrák (František Souček), Libuše nicht-englischsprachigen Film ausgezeichnet. Šafránková (Frau Součková), Rudolf Hrušínský (Schulleiter). 105 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d/f // REGIE Jan Svěrák // DREHBUCH Zdeněk Svěrák // KAMERA Vladimír Smutný // MUSIK Ondřej Soukup, Bedřich Smetana // SCHNITT Alois DER GARTEN (Záhrada) Fišarek // MIT Andrej Chalimon (Kolja), Zdeněk Svěrák Tschechien/Slowakei/Frankreich 1995 (František Louka), Libuše Šafránková (Klára), Ondřej Vetchý (Herr Brož), Stella Zázvorková (Františeks Mutter), Ladislav Schneidersohn Jakub, ein charmanter Tagedieb, Smoljak (Herr Houdek). wird von seinem Vater aus dem Haus geschmis- sen, weil er mit Tereza, einer verheirateten Kun- din, herummacht. Stattdessen soll er auf dem VERSCHWÖRER DER LÜSTE Lande das baufällige Haus des verstorbenen (Spiklenci slasti) > Verschwörer der Lüste. Grossvaters auf Vordermann bringen. Im über- Tschechien/Schweiz/GB 1996 wucherten Garten der Bruchbude erlebt Jakub allerhand Kurioses. Manches davon hat mit der Sechs unauffällige Personen huldigen heimlich bezaubernden 16-jährigen Nachbarin Helena zu bizarren sexuellen Fantasien: Herr Pivoňka bas- tun, einer offenbar wundertätigen Jungfrau. Oder telt sich ein kurioses Hahnenkostüm und eine Fi- liegt es an Opas erstklassigem Slivovitz? gur seiner Vermieterin, Frau Loubalová; diese «Šulíks verführerische Vision von biblischer wiederum fertigt eine Puppe von Herrn Pivoňka. Reinheit, abgemischt mit Schnaps und Monty- Die Briefträgerin dreht Kugeln aus Brotkrume, Python-haften Spässen, stammt von den slowaki- während Kommissar Beltinský seltsame Objekte schen Happenings der späten sechziger und frü- aus Nägeln und Federn herstellt. Seine Frau, die hen siebziger Jahre ab.» (Andrew J Horton, Cen- TV-Moderatorin Beltinská schafft sich ein Karp- tral Europe Review, 23.11.1998) fenpaar an, und der Zeitungsverkäufer, der die Beltinská verehrt, baut ihr einen beweglichen 99 Min / Farbe / Digital SD / Slow/e // REGIE Martin Šulík // Schrein. Am Sonntag werden die Fantasien der DREHBUCH Marek Leščák, Martin Šulík, Ondrej Šulaj // sechs Verschwörer verwirklicht ...

> Der Bastard muss sterben. > Grosse Fallen, kleine Fallen. 34 Neues tschechisches und slowakisches Kino. Neues tschechisches und slowakisches Kino. 35

Der Surrealist Jan Švankmajer dreht schon seit Rache. Ihr Akt der Selbstjustiz hat weitreichende den sechziger Jahren höchst eigenwillige Mi- Folgen, sowohl für ihre Peiniger als auch für EINZELGÄNGER (Samotáři) KLEINER OTIK schungen aus Realfilm und Puppentrickfilm. Seit Lenka selbst. Tschechien/Slowakei 2000 (Otesánek) der Wende hat sich seine Themenwahl verschärft. Die unlängst verstorbene Věra Chytilová war Tschechien/GB 2001 Verschwörer der Lüste ist eine wortlose, anspie- die vielleicht eigenwilligste tschechische Filme- Zwischen Radiomoderator Petr und seine Freun- lungsreiche, böse Satire über die Beziehungsun- macherin der Neuen Welle. Ihre Geschichten din Hanka funkt es nicht mehr. Hanka zieht mit Božena will um jeden Preis ein Kind, aber ihr fähigkeit seiner Zeitgenossen. (mb) drehten sich zwar oft um Frauen und Mädchen, Hilfe des dauerbekifften Jakub zu ihren Eltern, Mann Karel ist zeugungsunfähig. Als er auf dem entsprachen aber eher einer allgemein satiri- und unterwegs lesen sie ein Unfallopfer auf und Lande einen Wurzelstock ausgräbt, der einem 75 Min / Farbe / DCP / ohne Dialog // DREHBUCH UND REGIE schen als einer engagiert-feministischen Aus- bringen den Verletzten ins Krankenhaus. Der Kind ähnelt, adoptiert Božena das Ding und be- Jan Švankmajer // KAMERA Miroslav Špála // MUSIK Pjotr richtung. Anders als Miloš Forman, Ivan Passer operierende Neurochirurg Ondřej erkennt in muttert es, bis es lebendig wird. Die 11-jährige Iljitsch Tschaikowski, Jaroslav Jankovec u. a. // SCHNITT und Jan Němec wanderte Chytilová nach dem Ein- Hanka eine alte Flamme und beginnt ihr nachzu- Nachbarstochter Alžbětka erkennt fatale Paral- Marie Zemanová // MIT Petr Meissel (Herr Pivoňka), Gabriela marsch der Russen 1968 nicht aus und wurde da- stellen. Und dann ist da noch die Bardame Vesna, lelen zum Märchen vom nimmersatten Otesánek. Wilhelmová (Frau Loubalová), Anna Wetlinská (Frau für in der Heimat mit einem siebenjährigen Ar- die auf Tequila Body Shots und UFOs steht. «In den frühen siebziger Jahren wollte meine Beltinská), Jíři Lábus (Zeitungsverkäufer), Pavel Nový (Kom- beitsverbot belegt. Grosse Fallen, kleine Fallen, Einzelgänger nimmmt die verwestlichten Pra- Frau Eva ein ‹drastisches› Märchen als kurzen missar Beltinský), Barbora Hrzánová (Briefträgerin). Chytilovás rabenschwarze Komödie über die Ra- ger Singles, die von Freiheit und Unverbindlich- Animationsfilm adaptieren. Ihre Wahl fiel auf che eines Vergewaltigungsopfers, polarisierte die keit moderner Beziehungen überfordert sind, ‹Otesánek›. Sie bat mich um Hilfe beim Drehbuch, Presse, wurde aber zu einem Kassenerfolg. (mb) sanft auf die Schippe. Dabei klingen amerikani- und ich erkannte plötzlich, was für ein tolles DER BASTARD MUSS STERBEN sche Independent-Komödien ebenso an wie – Thema das war – eine aktuelle Version des Faust- (Je třeba zabít Sekala) 117 Min / Farbe / Digital SD / Tsch/d // REGIE Věra Chytilová leicht parodistisch – Die unerträgliche Leichtigkeit Mythos: eine Rebellion gegen die Natur und die Tschechien/Frankreich/Polen/Slowakei 1998 // DREHBUCH Tomáš Hanák, David Vávra, Michal Lázňovský, des Seins. (mb) tragische Dimension dieser Rebellion. Ich habe Eva Kačírková // KAMERA Štěpán Kučera // MUSIK Jiří Chlu- also Eva die Geschichte ‹gestohlen› und ihre ur- «Im heissen Sommer 1943, im stockkatholischen mecký // SCHNITT Ivana Kačírková // MIT Zuzana Stivínová 104 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d // REGIE David Ondříček // sprüngliche Idee in die Endfassung des Dreh- mährischen Dorf Lakotice, soll der neue Fremde (Lenka), Miroslav Donutil (Dohnal), Tomáš Hanák (Petr), DREHBUCH Petr Zelenka // KAMERA Richard Řeřicha // buchs integriert.» (Jan Švankmajer, Interview mit im Ort, der protestantische Schmied Baran, die Milan Lasica (Bach), Kateřina Hajná (Ingrid). MUSIK Jan P. Muchow // SCHNITT Michal Lánský // MIT Saša Peter Hames, kinoeye.org, 7.1.2002) Gemeinde von dem Nazi-Kollaborateur und un- Rašilov (Petr), Jiří Macháček (Jakub), Ivan Trojan (Ondřej), bussfertigen Bastard Sekal befreien. Nach sei- Labina Mitevska (Vesna), Jitka Schneiderová (Hanka), Dana 127 Min / Farbe / DCP / Tsch/d // REGIE Jan Švankmajer // nem hochgelobten Drama Forgotten Light von KUSCHELNESTER (Pelišky) Sedláková (Lenka), Mikuláš Křen (Robert). DREHBUCH Jan Švankmajer, nach einem Märchen von Karel 1996 fährt Regisseur Vladimír Michálek fort mit Tschechien 1999 Jaromír Erben // KAMERA Juraj Galvánek // SCHNITT Marie seiner symbolbefrachteten, aber verhaltenen Zemanová // MIT Veronika Žilková (Božena), Jan Hartl Erkundung von Religion, Komplizenschaft und Zwei Familien, kurz vor dem Ende des Prager WIR MÜSSEN ZUSAMMENHALTEN (Karel), Kristina Adamcová (Alžbětka), Jaroslava Kretsch- Verrat in ländlichem Ambiente, unter überra- Frühlings 1968: Herr Šebek als überzeugter (Musíme si pomáhat) merová (Alžbětkas Mutter), Pavel Nový (Alžbětkas Vater), schender, aber triumphaler Zugabe formaler Kommunist und Herr Kraus als Regime-Gegner Tschechien 2000 Dagmar Stříbrná (Hauswartin). Genre-Elemente (wunderschöne Ausblicke, kali- und Patriot haben sich arrangiert. In ihre Nester brierte schauspielerische Darbietungen), die ge- eingekuschelt, merken sie nicht, wie ihre halb- Unter der Nazi-Besatzung versucht sich der radewegs aus Shane oder Frühwerken von Clint wüchsigen Kinder flügge werden. Und der Ein- Durchschnittsbürger Josef unauffällig durchzu- WILDE BIENEN Eastwood stammen. ‹Das Böse hat keine Schwä- marsch des Warschauer Pakts überrumpelt alle. schlängeln. Als aber David, der einzige überle- (Divoké včely) chen›, sagt der innerlich zerrissene Priester des «Die Tragikomödie fokussiert die geschichtli- bende Sohn seiner ehemaligen jüdischen Arbeit- Tschechien 2001 Dorfes vor dem ritualisierten und unausweichli- che Entwicklung in der Tschechoslowakei Ende geber, sich bei ihm verstecken will, nimmt Josef chen Finale, und das gilt ebenso für diese provo- der 1960er-Jahre auf die gesellschaftlichen ihn auf. Dieser Akt etwas widerwilliger Mensch- «In einer gottverlassenen Gegend im Norden kative, meisterhafte Studie über Glauben unter Spannungen im Land. Anhand des Schicksals und lichkeit verstrickt ihn und seine Frau Marie in ein Mährens plätschert der Alltag dahin. (...) Vierzig Druck – der offizielle Oscar-Kandidat der Tsche- der Alltagserlebnisse der Familienmitglieder wachsendes Knäuel von Widersprüchen und Ver- Jahre Kommunismus haben nur Hilflosigkeit und chischen Republik, von einem der fähigsten zeit- macht er sinnfällig, dass apolitische ‹Kuschel- stellung. Hřebejks nuancenreiche Satire wurde Langeweile hinterlassen. So lebt auch Kája, der genössischen Filmemacher des Landes.» (Eddie nester› nur Wolkenkuckucksheime sein kön- für einen Oscar nominiert. Sohn des selbsternannten Dorfphilosophen, sehr Cockrell, Nitrate Online, 18.6.1999) nen.» (Lexikon des int. Films) «Petr Jarchovskýs Drehbücher basieren auf zum Unmut seines Vaters ziellos in den Tag hin- «Die komödiantische Natur des Films verleiht einer Verkettung turbulenter Konfrontationen, ein. (...) Als Kájas Bruder Petr unerwartet in die 109 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/e // REGIE Vladimír Michálek ihm etwas Allgemeingültiges, das ihm gestattet, die mitunter bedrückend, meist aber humorig Siedlung zurückkehrt, spitzen sich die Ereignisse // DREHBUCH Jiří Křížan // KAMERA Martin Štrba // MUSIK über diese Erfahrungen zu sprechen. (…) Wer überspitzt sind. Zudem kann sich Hřebejk auf ein beim alljährlichen Feuerwehrball zu.» (Marga- Michal Lorenc // SCHNITT Jiří Brožek // MIT Boguslaw Linda kann einer Komödie widerstehen, die aufzeigt, Schauspielerensemble stützen, das zwischen rete Wach, film-dienst, 20/2003) (Ivan Sekal), Olaf Lubaszenko (Jura Baran), Jiří Bartoška wie schmerzhaft peinlich Eltern sich ihren Kin- feinsinniger Ironie und dichter Abfolge pointierter «Die Figuren, so der Regisseur, haben ihn ei- (Pater Flora), Agnieszka Sitek (Anežka), Vlasta Chramostová dern gegenüber aufführen können?» (Andrew J Einzelbeobachtungen zur Höchstform aufläuft.» nerseits total fasziniert, aber genauso völlig ver- (Marie), Ľudovít Cittel (Barbier Záprdek). Horton, Central Europe Review, 30.8.1999) (Margarete Wach, film-dienst, 6/2002) wirrt. In ihrem Zustand ‹kosmischer Weggetre- tenheit› gibt es für sie selbst kein Entrinnen. Was 115 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d // REGIE Jan Hřebejk // 117 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d // REGIE Jan Hřebejk // sie trotz allem miteinander verbindet und sie GROSSE FALLEN, KLEINE FALLEN DREHBUCH Petr Jarchovský, Jan Hřebejk, nach dem Roman DREHBUCH Petr Jarchovský // KAMERA Jan Malíř // MUSIK gleichzeitig aber zu Getriebenen macht, ist ihr (Pasti, pasti, pastičky) «Hovno hoří» von Petr Šabach // KAMERA Jan Malíř // Aleš Březina // SCHNITT Vladimír Barák // MIT Boleslav wahnsinniger Bedarf nach Liebe und Zuneigung.» Tschechien 1998 MUSIK Ivan Hlas, Ivan Král // SCHNITT Vladimír Barák // MIT Polívka (Josef Čížek), Anna Šišková (Marie Čížková), Jaroslav (Gisela Säckl, allesfilm.com) Michael Beran (Michal Šebek), Kristýna Nováková (Jindřiška Dušek (Horst Prohaska), Csongor Kassai (David Wiener), Jiří Als die Tierärztin Lenka von zwei Männern verge- Krausová), Ondřej Brousek (Elien), Miroslav Donutil (Herr Pecha (František Šimáček), Simona Stašová (Libuše 114 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d // DREHBUCH UND REGIE waltigt wird, nimmt sie auf ungewöhnliche Weise Šebek), Emília Vášáryová (Frau Krausová). Šimáčková), Martin Huba (Dr. Albrecht Kepke). Bohdan Sláma // KAMERA Diviš Marek // MUSIK Miroslav Neues tschechisches und slowakisches Kino. 37

Šimáček // SCHNITT Jan Daňhel // MIT Tatiana Vilhelmová Soybelman // SCHNITT Jan Daňhel // MIT Tatiana Vilhelmová (Božka), Zdeněk Raušer (Kája), Pavel Liška (Lada), Marek (Monika), Pavel Liška (Toník), Anna Geislerová (Dasha), Daniel (Petr), Vanda Hybnerová (Jana), Cyril Drozda (Tata). Marek Daniel (Jára), Zuzana Kronerová (Teta), Boleslav Polívka (Souček).

SOME SECRETS (Výlet) Tschechien 2002 KAWASAKI'S ROSE (Kawasakiho růže) Die Asche des verstorbenen Vaters soll in seiner Tschechien 2009 slowakischen Heimatstadt verstreut werden. Also fährt die halbe Familie quer durch Tsche- Pavel Josek ist als Psychiater wie auch als legen- chien. Unterwegs kommt es zu Krisen und peinli- därer Dissident hoch geachtet; seine Frau Jana chen Enthüllungen; alle haben ihre Geheimnisse: und ihre erwachsene Tochter Lucie verehren ihn. Zuzana betrügt ihren Ehemann; ihre Schwester Lucies Mann Luděk arbeitet mit an einem Film, Ilona fühlt sich vom Gatten vernachlässigt, er- der Pavel würdigen soll. Er stört sich am Ruhm wartet aber schon ihr zweites Kind, und selbst des Schwiegervaters, und als er auf eine Akte Mutter und Oma verbergen einiges. stösst, die beweist, dass Pavel einst mit dem kom- Teils Roadmovie, teils Familienfilm, ist Some munistischen Regime zusammenarbeitete und ei- Secrets nicht nur sehr unterhaltsam, sondern be- nen Freund verriet, kommt es zum Eklat. rührt dabei viele aktuelle Themen, die gerade Frei nach Tatsachen erzählt Kawasaki’s Rose auch tschechische Frauen beschäftigen. Das von Erinnerung und Verdrängung, Schuld und überzeugende Spiel der Hauptdarstellerinnen Vergebung und der Bewältigung der Vergangen- kommt nicht von ungefähr: Iva Janžurová ist die heit im Hinblick auf den Schritt in die Zukunft. (mb) Mutter von Theodora und Sabina Remundová, die Zuzana und Ilona verkörpern. (mb) 100 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/e // REGIE Jan Hřebejk // DREHBUCH Petr Jarchovský // KAMERA Martin Šácha // 103 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/e // DREHBUCH UND REGIE MUSIK Aleš Březina // SCHNITT Vladimír Barák // MIT Lenka Alice Nellis // KAMERA Ramunas Greicius // MUSIK Tomáš Vlasáková (Lucie), Milan Mikulčík (Luděk), Martin Huba > Wilde Bienen. Polák // SCHNITT Josef Valušiak, Adam Dvořák // MIT Iva (Pavel), Daniela Kolářová (Jana), Antonín Kratochvíl (Bořek), Janžurová (Mutter), Theodora Remundová (Zuzana), Igor Anna Šimonová (Bára), Petra Hřebíčková (Radka). Bareš (Pavel), Sabina Remundová (Ilona), Naďa Kotršová (Oma), Jakub Chrbolka (Leon), Jiří Macháček (Vítek).

IN THE SHADOW DIE JAHRESZEIT DES GLÜCKS (Ve stínu) (Štěstí) Tschechien/Polen/Slowakei 2012 Tschechien/Deutschland 2005 1953 untersucht Hakl, Hauptmann der Prager In einer tschechischen Industriestadt sind Toník, Kriminalpolizei, einen Einbruch. Er merkt, dass Moni und Dáša auf der Suche nach einem anderen etwas faul ist, als plötzlich mehrere jüdische Tä- Leben als dem ihrer Eltern in Plattenbauwohnun- ter festgenommen werden und der Staatssicher- gen. Abhauen, dableiben, sich anpassen oder ei- heitsdienst sich einmischt. Als dann noch ein nen eigenen Weg suchen? deutscher Agent als Belastungszeuge auftritt, «Als Erbe von Miloš Forman, Begründer der beginnt Hakl, auf eigene Faust zu ermitteln. > Wir müssen zusammenhalten. > Die Jahreszeit des Glücks. tschechischen Neuen Welle, bezeichnet, geht In diesem Film noir über die berüchtigten Pra- Bohdan Sláma aber in seinen Filmen bei allen Pa- ger Schauprozesse der fünfziger Jahre, als un- rallelen einen anderen Weg. Entlarvt Forman eine liebsame Elemente aus der kommunistischen Gesellschaft, bei der jeder nur auf den eigenen Machtstruktur entfernt wurden, wird der Prota- Vorteil bedacht war, zeichnet Sláma mit seinen Vi- gonist zum symbolhaften Vorkämpfer gegen ein gnetten vom grauen Alltag auseinanderdriftender korruptes, allgegenwärtiges System. Ivan Trojan Generationen ein unabgefedert nüchternes Bild und Sebastian Koch geben ein perfektes Kontra- der Menschen von heute. Sein Schwerpunkt liegt hentenpaar ab. (mb) nicht in der politischen Ironie, sondern der poeti- schen Schilderung einer Gesellschaft, die verges- 106 Min / Farbe / DCP / Tsch+D/e // REGIE David Ondříček // sene Werte neu entdecken muss.» (Doris Senn, DREHBUCH Marek Epstein, David Ondříček, Misha Votruba // Filmbulletin, 3/2006) KAMERA Adam Sikora // MUSIK Jan P. Muchow, Michal Novinski // SCHNITT Michal Lánský // MIT Ivan Trojan (Jarda 102 Min / Farbe / 35 mm / Tsch/d/f // DREHBUCH UND REGIE Hakl), Sebastian Koch (Zenke), Soňa Norisová (Jitka), Jiří Bohdan Sláma // KAMERA Diviš Marek // MUSIK Leonid Štěpnička (Pánek), David Švehlík (Beno), Marek Taclík (Bareš).

> Einzelgänger. > In the Shadow. 38 39

Premiere: Vic + Flo ont vu un ours von Denis Côté Drei Mädchen steh’n im Walde

Immer wieder gelingt es dem Frankokanadier Denis Côté (*1973), sein Publikum in einen Zustand angespannter Erwartung zu versetzen. Das ist in seinem jüngsten Werk Vic + Flo ont vu un ours nicht anders: Schon der Titel evoziert Bedrohungssituation und Kindermärchen zugleich. Côtés Geschichte einer Frauenliebe ist voll abrupter Wendun- gen und überraschender Tonwechsel und hakt sich in ihrer ganzen Widerborstigkeit in unserem Gedächtnis fest.

Victoria, um die sechzig, wurde eben aus langjähriger Haft entlassen. Unan- gemeldet erscheint sie bei ihrem greisen Onkel, der in einer abgelegenen ­Gegend Québecs lebt. Er wohnt mitten im Wald in einer «cabane à sucre», VIC + FLO ONT VU UN OURS / Kanada 2013 ­einem Schuppen, in dem früher Ahornsirup eingekocht wurde. Die Nachbarn, 90 Min / Farbe / DCP / F/d // DREHBUCH UND REGIE Denis Côté // KAMERA Ian Lagarde // MUSIK Melissa Lavergne // SCHNITT die sich bisher um den Pflegebedürftigen gekümmert haben, komplimentiert Nicolas Roy // MIT Pierette Robitaille (Victoria), Romane Bohringer (Florence), Marie Brassard (Marina St-Jean), Marc-André Vic umgehend aus dem Haus. Bald gesellt sich Florence, ihre ehemalige Grondin (Guillaume), Georges Molnar (Émile Champagne), Pier-Luc Funk (Charlot Smith), Olivier Aubin (Nicolas Smith), Guy Thauvette (Yvon Champagne), Ramon Cespedes (Marinas Begleiter), Dany Boudereault (Gokart-Fahrer), Johanne Haberlin Mitinsassin und aktuelle Geliebte, zu ihr. Flo ist um einiges jünger und im Ge- (Barbesitzerin), Ted Pluviose (Liebhaber). gensatz zu Vic, die nur noch ihre Ruhe haben möchte, hat sie mit dem Leben noch nicht abgeschlossen. Der beschauliche Alltag der beiden wird immer 2005 mit einem Goldenen Leoparden prämiert; weitere Auszeichnungen in wieder durchkreuzt von Vics Bewährungshelfer Guillaume, dessen Kontroll- Locarno (2008 für Elle veut le chaos, 2010 für Curling) und an anderen besuche Vic und Flo bald passiv-aggressiv, bald sarkastisch über sich ergehen internationalen Festivals folgten. In seinen meist in der Abgeschiedenheit lassen. Doch dann taucht eine dritte Frau auf, Marina St-Jean. Sie gibt sich Québecs angesiedelten Filmen über Aussenseiter und Sonderlinge fügt er Vic gegenüber als Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung und gewiefte Gärt- gerne Dokumentarisches, aber auch Motive aus Horror- und anderen Genre- nerin aus, ihre Anwesenheit hat aber auch irgendwie mit der Vergangenheit filmen ein – etwa Figuren mit geheimnisvoller Vergangenheit. Die Vergangen- von Flo zu tun. Spätestens jetzt beginnt das Märchenhafte ins Bedrohliche zu heit stellt in Vic + Flo zuerst eine latente Bedrohung dar, sie fordert aber kippen, ein ungutes Gefühl macht sich breit: Gleich wird etwas passieren … bald mit Gewalt ihren Tribut, radikal – und verstörend. Wohl auch für Denis Côté erzählt die Geschichte als eine Art Kammerspiel im Freien: diese Konsequenz wurde Vic + Flo an der Berlinale 2013 mit einem Silbernen Immer wieder kurven Vic und Flo im Golfcaddy durch Feld und Wald, sitzen Bären ausgezeichnet. am Abend auf der Terrasse, leben in den Tag hinein. Dass Flo gelegentlich Verschiedene internationale Kritiker haben Vic + Flo ont vu un ours als Abstecher in die Bars der Umgebung unternimmt – auch, um Männer kennen- Côtés bestes und zugänglichstes Werk bezeichnet. Neben der wunderbaren zulernen – verunsichert Vic zunehmend. Die Beziehung der beiden herben Kameraarbeit in verhaltenen Blaugrüntönen liegt das auch an den beiden Frauen ist von Intimität, Zärtlichkeit und Liebe, aber auch von Spannungen Hauptdarstellerinnen. Pierrette Robitaille, die in Québec vor allem als Komö- und Verlustängsten geprägt. Das Unheimliche, Bedrohliche entsteht nicht diendarstellerin bekannt ist, hat Côté als Vic gegen ihr Image besetzt und sie zuletzt dadurch, dass wir immer nur das wissen, was wir sehen. Côté erklärt vielleicht gerade dadurch zu einer souveränen Leistung geführt; Romane nichts, löst nichts auf. Bohringer, als 19-Jährige für ihre Darstellung in Cyrill Collards Les nuits fauves mit dem César als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet, war in Karrierestart in Locarno den letzten Jahren wenig im Kino zu sehen. Dank Côté ist sie nun mit ihrer Nach mehreren experimentellen Kurzfilmen begann die internationale Karri- ganz eigentümlichen Mischung aus Trotz, Schroffheit und Zärtlichkeit wie- ere des Frankokanadiers Denis Côté am Filmfestival von Locarno: Schon der auf der grossen Leinwand zu erleben. der erste Langfilm des ehemaligen Filmkritikers, Les états nordiques, wurde Corinne Siegrist-Oboussier 40 41

konkret mit Fragen der Kosmogonie und fang aller messbaren Wirklichkeit in einer gigantischen Ex- KOSMOS: ZUR AUSSTELLUNG IM MUSEUM RIETBERG der Stellung des Menschen in der Schöp- plosion im Universum vermuten: Astronomen, die in abgele- UNFASSBARE DIMENSIONEN: BIG BANG genen Wüsten mit Riesenteleskopen Nacht für Nacht in den fung auseinandersetzen. Nach Matthias von Weiten des Universums nach dessen Anfang forschen, Phy- Das Museum Rietberg widmet dem Kosmos heit». Das Filmpodium begleitet die Schau Guntens Dokumentarfilm Big Bang im aktu- siker, die tief unter dem Boden mittels riesiger Versuchsan- lagen den Urknall simulieren, um herauszufinden, was ge- und der Faszination, die er auf Menschen mit drei ausgewählten Filmen, die dem Reiz ellen Programm folgen im Februar/März nau in den ersten Milliardstelsekunden geschehen ist. Je verschiedenster Kulturen ausübt, die grosse der unerklärlichen Ursprünge auf unter- Robert Zemeckis’ Contact und im April/Mai näher sie dem Urknall kommen, desto deutlicher stossen sie Ausstellung «Kosmos – Rätsel der Mensch- schiedlichsten Wegen nachspüren. Terrence Malicks The Tree of Life. an die Grenzen ihrer Wissenschaft, wo alles Forschen und Rechnen nutzlos wird und sie unweigerlich doch mit dem ewigen Geheimnis konfrontiert werden. «Kosmos – Rätsel der Menschheit», «Matthias von Gunten versteht es, von seinem doch recht Ausstellung im Museum Rietberg, bis 31.5.2015 Weitere Informationen unter www.rietberg.ch lehrhaften Thema eine ganz und gar nicht lehrhafte Darstel- lung zu geben. Mehr noch, der Gegenstand sieht sich seiner Aura, hochabstrakte Fachidiotensache zu sein, umgehend BIG BANG / Schweiz 1993 entkleidet. Und zwar ist das spätestens dann der Fall, wenn 85 Min / Farbe / 16 mm / OV/d // DREHBUCH UND REGIE es einer der befragten Kapazitäten von internationalem Matthias von Gunten // KAMERA Patrick Lindenmaier, Pio Rang – an einer Stelle, wo sie weiss Gott selbst beschlagen Corradi // MUSIK Michel Seigner // SCHNITT Isabelle Dedieu sein müsste –, nur noch entfährt: ‹Da müssen Sie einen Spe- // MIT Gustav Andreas Tammann, Bruno Binggeli, Massimo zialisten fragen!› Den spontanen Aberwitz dieser Auskunft Tarenghi, Hans Hofer, Pierre Le Coultre. bemerkt der Gewährsmann sichtlich erst im Augenblick selbst, da er sie schon erteilt hat. Gleich vom Anfang an – der Matthias von Gunten spürt in seiner Dokumentation der kos- dem Anfang der Anfänge nachgehen will – hat die ganze Ar- mischen Ursprungsfrage nach: Wie wird aus nichts etwas beit so viel Profundes und Gelahrtes wie Spielerisches und (oder umgekehrt)? Es ist der Wunsch, das Unbegreifliche zu Absurdes an sich.» (Pierre Lachat, Filmbulletin, 2/1993) definieren und Formeln für das Unerklärbare zu suchen. Zu Wort kommen Wissenschaftler und Forscher, die den An-

Der Blick in den Sternenhimmel hat die Auch im Kino sind Weltraum und Gestirne Menschen schon immer fasziniert. Die seit jeher ein Faszinosum; man denke etwa Sterne bieten Orientierung, etwa für die an Georges Méliès’ Le voyage dans la lune aus Schifffahrt oder als astronomische Kons- dem Jahr 1902, oder, über hundert Jahre tellationen, geben aber auch Rätsel auf: später, an Gravity und Interstellar. Neben Woher kommt das Licht, das uns aus der dem Geheimnisvoll-Unbekannten an sich Geschenke fürs ganze Jahr – Ferne erreicht? Gibt es Welten jenseits des bietet der Weltraum nämlich auch ein wun- ein Abonnement oder ein Plakat! von uns bewohnten Planeten? Die Ausstel- derbares Tummelfeld für Tricks, Spezialef- lung im Museum Rietberg kreist um die fekte und visuell-akustische Überwältigun- Erhältlich an der Kinokasse Frage, wie unterschiedliche Kulturen und gen – auch wenn inzwischen klar ist: Im All Religionen aus verschiedenen Epochen das ist es still. Universum und die eigene Position darin Aus dem Sternenschauer von «Weltall»- gesehen haben. Filmen haben wir drei ausgewählt, die sich 42 43

Filmpodium für Kinder schem Garten abreissen lassen und eine saubere, moderne Stadt aus Stahl und Glas errichten. Fieberhaft überlegen Johanna und Mathias, wie sie ihre grüne Oase retten können. Da taucht in der Stadt plötzlich ein Wesen auf, das bis- Der blaue Tiger lang nur in Johannas Kopf und auf ihrem Skizzenblock existiert hat: ein Ti- ger, der nicht nur blau ist, sondern auch noch magische Kräfte hat – und sich Mit ihrer blühenden Fantasie kämpft die kleine Johanna um das, was sie für Johanna als Glücksbringer erweist. liebt. Ein fantastisches, märchenhaftes Abenteuer aus Tschechien. Wie Dinge, die man sich vorstellt, plötzlich Wirklichkeit werden kön- nen – das zeigt der tschechische Regisseur Petr Oukropec in seinem Realfilm, der, mit verspielten Animationen bereichert, eine Welt aus den Augen seiner jungen Protagonistin entstehen lässt und damit an die lange Tradition des tschechoslowakischen Kinderfilms anknüpft. Der blaue Tiger handelt auch von der Veränderung des städtischen Lebensraums, von der Johannas Zu- hause bedroht ist, und zeigt, dass es sich lohnt, für das, was man liebt, zu kämpfen. Ein Grossstadtmärchen über die Macht der Fantasie, das durch seine ruhige Erzählweise und seine magische, wundersame Atmosphäre über- zeugt. Tanja Hanhart

Der blaue Tiger läuft im Rahmen der Reihe «Neues tschechisches und slowakisches Kino». Ebenfalls empfehlenswert für Familien in diesem Programm: Kolja und Die Volksschule. © Gertrud Vogler DER BLAUE TIGER (Modrý tygr) / Tschechien/Slowakei/Deutschland 2012 - EIN BEWEGTES 90 Min / Farbe / DCP / D / 8/6 J // REGIE Petr Oukropec // DREHBUCH Tereza Horváthová, Petr Oukropec, nach dem Kinder- 1980 buch von Tereza Horváthová // KAMERA Klaus Fuxjager // MUSIK Jakub Kudláč, Markus Aust // SCHNITT Jakub Hejna // MIT ZÜRCHER KINOJAHR Linda Votrubová (Johanna), Jakub Wunsch (Mathias), Barbora Hrzánová (Johannas Mutter), Jan Hartl (Gärtner Blume), Daniel Drewes (Bürgermeister), Daniela Voráčková (Hausmeisterin), Stano Pytoňák (Kráčmera), Valerie Roza Herzendorfová JANUAR 2015 (Lucy, Kráčmeras Tochter).

Wie ein verwunschenes Paradies liegt inmitten einer Grossstadt, eingeklemmt zwischen Bahngleisen und Strassen, ein alter, etwas verfallener botanischer Garten. Hier lebt die neunjährige Johanna zusammen mit ihrer Mutter und ihrem besten Freund Mathias, dem Sohn des Gärtners. Johanna ist ein quirli- ges, verträumtes Mädchen. Sie liebt nicht nur all die Tiere und Pflanzen, die ihr Zuhause bevölkern, sondern kann in ihrer Fantasie alles lebendig werden lassen, was sie zeichnet oder sich vorstellt: Da zischen schon mal Schlangen aus dem Turban der schnaubenden Hausmeisterin oder eine Insel auf einem

Wandgemälde erwacht plötzlich zum Leben. Doch Johannas Zuhause ist be- www.xenix.ch droht: Der zwielichtige Bürgermeister will das Altstadtviertel mitsamt botani- 44 45

SÉLECTION LUMIÈRE IMPRESSUM MEIN LEBEN ALS HUND

Als Wunschfilm der Mitglieder unseres För- dervereins Lumière präsentieren wir mit Mein Leben als Hund den Film, mit dem DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich Lasse Hallström bei uns bekannt und für LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm) // den Oscar nominiert wurde. Seither ist der PROGRAMM-MITARBEIT Liliane Hollinger // PRAKTIKANT Marius Kuhn // SEKRETARIAT Claudia Brändle gebürtige Schwede vor allem in Hollywood BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 212 13 77 tätig und realisierte u. a. What’s Eating Gil- WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL [email protected] // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Athanor, Prag; Biograf Jan Svěrák, Prag; British bert Grape? und Chocolat; zuletzt war von Film Institute, London; Bucfilm, Prag; Cineart TV, Prag; Cineteca di Bologna; Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin; Stefan ihm The Hundred-Foot Journey zu sehen. Drößler, München; George Eastman House, Rochester; EYE Film Institute Netherlands, Amsterdam; Farbfilm Verleih, Berlin; Filmexport Prag Distribution, Prag; Filmia, Prag; Filmmuseum München; Hollywood Classics, London; In Film, Prag; Martin MEIN LEBEN ALS HUND Koerber, Berlin; Peter Langs/Universal Studios Film Archive, Los Angeles; Lobster Film, Paris; Look Now!, Zürich; Lucky Schweden im Jahr 1959. Oben im Weltraum (Mitt liv som hund) / Schweden 1985 Man Films, Prag; Menemsha Films, Santa Monica; Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden; Park Circus, Glasgow; SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich; Frank Strobel, Berlin; Svensk Filmindustri, Stockholm; Théâtre du Temple, Paris; 101 Min / Farbe / 35 mm / Schwed/d/f // REGIE Lasse Hall- zieht ein sowjetischer Satellit mit der Hündin Total Help Art, Prag; Twentieth Century Fox Film Corp., Los Angeles; UCLA Film & Television Archive, Hollywood; Warner Bros., ström // DREHBUCH Lasse Hallström, Reidar Jönsson, Leika seine Bahnen. Unten auf der Erde trau- Burbank; Xenix Filmdistribution, Zürich; ZDF, Mainz. Brasse Brannström, Pelle Berglund, nach einem Roman von ert der 12-jährige Ingemar um die damit zum Reidar Jönsson // KAMERA Jörgen Persson // MUSIK Björn DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich Tode verurteilte Hündin, die es bestimmt noch Isfält // SCHNITT Susanne Linnman, Christer Furubrand // GESTALTUNG TBS & Partner, Zürich // KORREKTORAT N. Haueter, D. Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 7000 MIT Anton Glanzelius (Ingemar Johanson), Anki Lidén (die ABONNEMENTE viel schwerer hat als er: Zwischen seinem Mutter), Thomas von Brömssen (Onkel Gunnar), Melinda Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halb- Kinnaman (Saga), Kicki Rundgren (Ulla), Magnus Rask Bruder und ihm fliegen immer häufiger die taxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement (Fransson), Didrik Gustafsson (Arvidsson), Leif Ericson Fetzen, sein Vater arbeitet weit weg und seine Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28 (Onkel Sandberg). schwer erkrankte Mutter sieht sich gezwun- gen, ihn bei seinem Onkel in Småland unter- «In der anspruchsvollen Story, die ihre Episo- zubringen. Hier ist es fast wie im Paradies – den zu reizvollen Handlungssträngen ver- oder im Traum. Die aussergewöhnlichsten schachtelt, wird die Nachvollziehbarkeit einer VORSCHAU Leute bewohnen das Dorf: das hübsche Mäd- komplizierten Kinderwelt ermöglicht, halten chen Saga, das im Boxen unschlagbar ist, der Heiterkeit und Tragik sich die Waage, werden Fritz Kortner Koji Yakusho Künstler Fransson, der immerzu sein Haus- idyllische Szenen stets von ernsthaften kon- Ob auf der Bühne oder im Kino, im Stumm- Geboren ist er 1956 als Koji Hashimoto, aber dach repariert und Models mit erotischer Aus- terkariert und Konflikte nicht ausgeklam- oder Tonfilm, auf Deutsch oder Englisch, als weil er einmal für ein Gemeindeamt gear- strahlung sucht, oder der alte Arvidsson, der mert. Dabei bleibt die Form der kindlichen Er- Darsteller, Drehbuchautor oder Regisseur: beitet hatte, legte er sich den Künstlerna- krank im Bett liegt und dem Ingemar aus ei- zählung stets gewahrt, aus der heraus die Fritz Kortner (1892–1970) kämpfte stets ge- men Yakusho zu, zu Deutsch: «Amtshaus». nem Katalog für Damenunterwäsche vorle- Vorgänge sich entwickeln.» (Jurybewertung gen routinierte Gedankenlosigkeit und kon- Koji Yakusho zählt zu den Stars des japani- sen soll. Die anfänglich schmerzhafte Tren- FBW, Deutsche Film- und Medienbewertung) ventionelle Äusserlichkeit. Den erfolgrei- schen Gegenwartskinos, doch sein Name ist nung von seinem vertrauten Umfeld ist Anton Glanzelius als Ingemar spielt, als chen Berliner Bühnen- und Filmstar der international kaum bekannt. Sein Gesicht angesichts der heiteren Stimmung im Dorf habe er die zwei Seelen dieser Welt, Komik 1920er Jahre drängte es zur Regie; den in allerdings schon, denn er hat in einigen der und im Hause des Onkels bald vergessen. Als und Tragik, versöhnt in seiner Brust. Nicht zu- Hollywood Etablierten zog es 1947 zurück erfolgreichsten japanischen Filme der letz- aber seine Mutter stirbt und er sich mit Saga letzt durch die sensible Kameraarbeit finden nach Deutschland. Auch wenn Kortners fil- ten Jahre mitgewirkt, im (japanischen) Ori- verkracht, vergleicht Ingemar sein Leben im- Ingemars Stimmungswechsel auch beim Pu- misches Werk nicht die stilbildende Nach- ginal von Shall We Dance?, in Shohei Imamu- mer mehr mit demjenigen der einsamen blikum ihren Niederschlag. wirkung seiner Theaterarbeit hat, bleiben ras Der Aal und Kiyoshi Kurosawas Cure, und Leika. Es bedarf aller Behutsamkeit des On- viele seiner Filmrollen, die nach seinen in Hollywoodproduktionen wie Babel. Koji kels und einer kleinen Sensation im Dorf, um H am Do, 5. Feb., 18.15 Uhr: Einführung von Drehbüchern entstandenen Werke und Yakusho plant, unsere Retrospektive mit ei- ihn aus seiner Isolation zu locken. Madeleine Hirsiger seine wenigen Regiearbeiten sehenswert. nem Besuch zu beehren. THE UNBELIEVABLE TRUE STORY

FROM DIRECTOR ANGELINA JOLIE UNBROKEN SURVIVAL. RESILIENCE. REDEMPTION. UNIVERSAL PICTURES AND LEGENDARY PICTURES PRESENT A JOLIE PAS PRODUCTION A 3 ARTS ENTERTAINMENT PRODUCTION “UNBROKEN” JACK O’CONNELL DOMHNALL GLEESON MIYAVI CASTING MUSIC COSTUME PRODUCTION GARRETT HEDLUND FINN WITTROCK BY FRANCINE MAISLER CSA BY ALEXANDRE DESPLAT DESIGNER LOUISE FROGLEY EDITORS TIM SQUYRES ACE ACE DESIGNER JON HUTMAN DIRECTOR OF EXECUTIVE PRODUCED PHOTOGRAPHY ROGER DEAKINS ASC, BSC PRODUCERS MICK GARRIS THOMAS TULL JON JASHNI BY ANGELINA JOLIE p.g.a. CLAYTON TOWNSEND p.g.a. MATTHEW BAER p.g.a. ERWIN STOFF BASED ON SCREENPLAY DIRECTED THE BOOK BY LAURA HILLENBRAND BY JOEL COEN & ETHAN COEN AND RICHARD LAGRAVENESE AND WILLIAM NICHOLSON BY ANGELINA JOLIE SOUNDTRACK ON VISUAL EFFECTS AND ANIMATION PARLOPHONE RECORDS JANUARY 22 BY INDUSTRIAL LIGHT & MAGIC