Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 4134 15. Wahlperiode 10. 10. 2013

Kleine Anfrage der Abg. Beate Böhlen GRÜNE und Ernst Kopp SPD und

Antwort des Innenministeriums

Rechtsextremismus in der Region Baden-Baden/ und Umland

Kleine Anfrage

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche rechtsextremen Organisationen und Gruppierungen sind nach ihrer Kenntnis im Stadtkreis Baden-Baden, den Landkreisen Rastatt, , und aktiv?

2. Ist ihr bekannt, ob und wie viele Konzerte mit rechtsextremistischen Bands 2012 und 2013 im Stadtkreis Baden-Baden, den Landkreisen Rastatt, Karls - ruhe, Freudenstadt und Ortenaukreis stattgefunden haben?

3. Wie bewertet sie die Aktivitäten und den Internetauftritt (http://logr.org/nsrastatt/) der sogenannten Kameradschaft „NS Rastatt“ aus ihrer Sicht?

4. Wie schätzt sie nach ihrer Kenntnis deren Größe, Organisationsstruktur und Aktivitäten im Vergleich zu anderen Kameradschaften ein?

5. Hat sie Erkenntnisse über Treffpunkte, Fortbildungsorte und Lokalitäten der „NS Rastatt“ und wenn ja, welche?

6. Liegen ihr Hinweise vor, ob die „NS Rastatt“ bei der Organisation und Durch- führung rechtsextremistischer Veranstaltungen mit Nachfolgeorganisationen der verbotenen Organisation „Blood and Honour“ zusammenarbeitet?

7. Ist ihr bekannt, ob in die gewaltsamen Übergriffe auf dem Gernsbacher Alt- stadtfest im September 2012 Personen involviert waren, die rechtsextremen Gruppierungen angehören?

Eingegangen: 10. 10. 2013 / Ausgegeben: 11. 11. 2013 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeich- abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente net mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 4134

8. Was unternimmt sie bisher, um die Arbeit lokaler Bündnisse gegen Rechts - extremismus vor Ort zu stärken und zu unterstützen?

08. 10. 2013

Böhlen GRÜNE Kopp SPD

Begründung

Rechtsextremismus in Baden-Württemberg ist ein ernstes Problem, welches kon- sequent angegangen werden muss. In den vergangenen Monaten und Jahren gab es unter anderem in der Region Rastatt und einige rechtsextreme Zwi- schenfälle. So wurden beispielsweise auf dem Gernsbacher Altstadtfest im Sep- tember 2012 und auf der Michelbacher Facebook-Party im Mai 2012 Festbesu- cher vermutlich von Rechtsextremisten angegriffen. Zudem gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass an unterschiedlichen Orten in der Umgebung von Rastatt rechtsextremistische Konzerte stattfinden.

Antwort

Mit Schreiben vom 4. November 2013 Nr. 4-1082.2/393 beantwortet das Innen- ministerium die Kleine Anfrage wie folgt:

1. Welche rechtsextremen Organisationen und Gruppierungen sind nach ihrer Kenntnis im Stadtkreis Baden-Baden, den Landkreisen Rastatt, Karlsruhe, Freudenstadt und Ortenaukreis aktiv?

Zu 1.:

Im Stadtkreis Baden-Baden, den Landkreisen Rastatt, Karlsruhe, Freudenstadt und dem Ortenaukreis traten zuletzt die Gruppierungen „NS Rastatt“ (ehemals: „Kameradschaft Rastatt“) und „Freie Kräfte Karlsruhe“ (alias: „karlsruher//netz- werk“) öffentlich in Erscheinung. Im Ortenaukreis war zudem die Gruppierung „Kameradschaft Südsturm Baden“ aktiv. Im Jahr 2013 ist diese Gruppierung bis- her jedoch nicht in Erscheinung getreten. Im Landkreis Freudenstadt besteht eine weitere rechtsextremistische, den „Auto- nomen Nationalisten“ (AN) ideologisch nahe stehende Gruppierung, die sich „Aktionsgruppe Württemberg“ nennt. Diese Gruppe trat am 16. April 2008 das letzte Mal mit einer Mahnwache in Freudenstadt öffentlich in Erscheinung. Dane- ben liegen dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und der Polizei Baden- Württemberg Hinweise auf eine Kleinstgruppe mit dem Namen „Kameradschaft Freudenstadt“ vor, deren weitere Entwicklung durch das LfV beobachtet wird.

2. Ist ihr bekannt, ob und wie viele Konzerte mit rechtsextremistischen Bands 2012 und 2013 im Stadtkreis Baden-Baden, den Landkreisen Rastatt, Karls- ruhe, Freudenstadt und Ortenaukreis stattgefunden haben?

Zu 2.:

In Malsch (Landkreis Karlsruhe) fand am 22. September 2012 ein rechtsextre - mistisches Konzert mit 100 Teilnehmern statt. In Rheinmünster-Söllingen (Land- kreis Rastatt) fanden in der Gaststätte „Zum Rössle“ im Jahr 2013 zwei rechts -

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extremistische Konzerte statt. Am 22. Juni 2013 fand dort ein Konzert mit rund 120 Teilnehmern statt. Veranstalter war eine namentlich nicht bekannte rechte Gruppierung aus Rheinland-Pfalz. Ein weiteres Konzert mit 130 bis 150 Teilneh- mern wurde dort am 5. Oktober 2013 von der Gruppierung „Freie Kräfte Karls- ruhe“ veranstaltet. In Baden-Württemberg fanden im Jahr 2012 insgesamt acht rechtsextremistische Konzerte statt, im Jahr 2013 waren es bisher vier.

3. Wie bewertet sie die Aktivitäten und den Internetauftritt (http://logr.org/nsrastatt/) der sogenannten Kameradschaft „NS Rastatt“ aus ihrer Sicht?

4. Wie schätzt sie nach ihrer Kenntnis deren Größe, Organisationsstruktur und Aktivitäten im Vergleich zu anderen Kameradschaften ein?

5. Hat sie Erkenntnisse über Treffpunkte, Fortbildungsorte und Lokalitäten der „NS Rastatt“ und wenn ja, welche?

Zu 3. bis 5.:

Die „NS Rastatt“ ist eine Gruppierung, die der rechtsextremistischen Szene zuzu- rechnen ist. Die Eigenbezeichnung „NS“, die für „Nationale Sozialisten“ steht, lässt eine Nähe zu den Autonomen Nationalisten (AN) erkennen. Dem struktu- rierten engeren Personenkreis der „NS Rastatt“, der insbesondere an Kamerad- schaftsabenden teilnimmt, sind etwa 15 Personen zuzurechnen. Der „NS Rastatt“ stehen nach bisherigen Erkenntnissen ein Kameradschaftsführer und dessen Stell- vertreter vor. Ihnen nachgeordnet werden weitere sogenannte Arbeitsbereiche, z. B. die Funktion des Kassenwarts, von Mitgliedern wahrgenommen. Für De- monstrationen und andere Aktivitäten können über den harten Kern hinaus poten- ziell bis zu 30 weitere Personen, die ihren Wohnsitz im Stadtkreis Baden-Baden oder im Landkreis Rastatt haben, mobilisiert werden. Die „NS Rastatt“ weist da- mit im Vergleich zu anderen Gruppierungen in der rechtsextremistischen Szene eine durchschnittliche Größe auf. Insbesondere im Hinblick auf die organisierten bzw. durchgeführten Veranstal- tungen in der Gaststätte „Zum Rössle“ in Rheinmünster-Söllingen in den Jahren 2010 und 2011 war die „NS Rastatt“ sehr aktiv. Die Aktivitäten nahmen jedoch mit Beendigung des Mietverhältnisses hinsichtlich der Gaststätte zum 30. Juni 2011 und einem gleichzeitigen Führungswechsel in der Organisation deutlich ab. Seitdem verfügt die „NS Rastatt“ über keine eigenen Räumlichkeiten mehr. Es finden aber nach wie vor sogenannte Kameradschaftsabende bei Privatpersonen statt. Ebenfalls werden noch Teilnahmen eines meist kleinen und wechselnden Personenkreises an Kundgebungen oder Demonstrationen organisiert, insbeson- dere an einschlägigen Jahrestagen und Orten (z. B. Bombardierung der Stadt am Ende des zweiten Weltkrieges). Auf der Webseite http://logr.org/nsrastatt/ werden überwiegend allgemeinpoliti- sche Ereignisse aus rechtsextremistischer Sicht thematisiert. Zu finden sind etwa Meldungen zu Straftaten von Ausländern, zur Einschränkung rechtsradikaler Mei- nungsäußerungen durch den Staat und geschichtsrevisionistische Darstellungen. Im Oktober 2013 wurde auf der Internetseite bisher nur ein Artikel zum Tod E. P. eingestellt. Strafbare Äußerungen wurden bislang nicht festgestellt.

6. Liegen ihr Hinweise vor, ob die „NS Rastatt“ bei der Organisation und Durch- führung rechtsextremistischer Veranstaltungen mit Nachfolgeorganisationen der verbotenen Organisation „Blood and Honour“ zusammenarbeitet?

Zu 6.:

Weder dem LfV noch der Polizei in Baden-Württemberg liegen Erkenntnisse über eine Zusammenarbeit der „NS Rastatt“ mit Nachfolgeorganisationen der verbote- nen Organisation „Blood and Honour“ bei der Organisation und Durchführung rechtsextremistischer Veranstaltungen vor.

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Die deutsche Division der international agierenden rechtsextremistischen Skin- headvereinigung „Blood and Honour“ und deren Jugendorganisation „White Youth“ wurden mit Wirkung vom 14. September 2000 durch Verfügung des Bun- desministeriums des Innern verboten. In der Folge wurden unter Beteiligung des LfV mögliche Nachfolgebestrebungen beobachtet. Die Maßnahmen mündeten schließlich in Strafverfahren gegen mehrere Führungspersonen und führten zu Bewährungsstrafen. Nach dem Jahr 2011 wurden keine weiteren Nachfolge - bestrebungen festgestellt.

7. Ist ihr bekannt, ob in die gewaltsamen Übergriffe auf dem Gernsbacher Alt- stadtfest im September 2012 Personen involviert waren, die rechtsextremen Gruppierungen angehören?

Zu 7.:

Am 15. September 2012 ereignete sich beim Altstadtfest in Gernsbach (Landkreis Rastatt) eine Schlägerei unter Einsatz von Messern. Die hinzugerufenen polizei - lichen Einsatzkräfte konnten in der Folge einen 18-jährigen Mann mit zwei Stich- verletzungen im Rückenbereich feststellen. Der lebensgefährlich Verletzte war in der Vergangenheit bereits im Phänomenbereich der Politisch motivierten Krimi- nalität – Rechts in Erscheinung getreten. In unmittelbarem zeitlichen und örtli- chen Zusammenhang wurden einer männlichen Person schwere Kopfverletzungen zugefügt. Bei der am Kopf verletzten Person handelt es sich um einen 19-Jähri- gen, zu dem polizeiliche Erkenntnisse im Phänomenbereich der Politisch moti- vierten Kriminalität – Links vorliegen. Er steht im Verdacht, zuvor dem 18-Jähri- gen die Stichverletzungen beigebracht zu haben. Zwei Personen, die an den ge- waltsamen Übergriffen beteiligt waren, sind dem erweiterten Kreis der „NS- Rastatt“ zuzurechnen, darunter der mit Messerstichen lebensgefährlich Verletzte. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat sich die Tat spontan beim Aufeinander- treffen der Personengruppen ergeben. Im Bereich Rastatt/Baden-Baden existiert eine aktive linksextremistische Szene, die auch regelmäßig sogenannte Outing- Aktionen organisiert, um damit Personen aus dem rechten Spektrum namentlich bekannt zu machen. So war der lebensgefährlich Verletzte im Juli 2012 öffentlich als Rechtsextremist geoutet worden. Die Ermittlungsverfahren wurden durch die Staatsanwaltschaft Baden-Baden am 17. April 2013 gegen alle tatverdächtigen Personen nach § 170 Abs. 2 der Straf- prozessordnung eingestellt.

8. Was unternimmt sie bisher, um die Arbeit lokaler Bündnisse gegen Rechts - extremismus vor Ort zu stärken und zu unterstützen?

Zu 8.:

Die umfangreiche Präventions- und Aufklärungsarbeit des LfV im Bereich Rechts - extremismus wurde nach der Aufdeckung der Taten der Terrorgruppe „National- sozialistischer Untergrund“ (NSU) intensiviert. Sie richtet sich an staatliche Ein- richtungen, zivilgesellschaftliche Akteure sowie an Bürgerinnen und Bürger. Das LfV ist seit dem Jahr 2006 Kooperationspartner des Projekts „Team meX – Mit Zivilcourage gegen Extremismus“, einem gemeinsamen Projekt der Landes- zentrale für politische Bildung. Ziel des Projekts ist der verbesserte Schutz von jungen Menschen vor extremistischen Gefahren durch frühzeitige Aufklärung über die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte in unserer Verfassung. Ferner ist das LfV ebenso wie das Landeskriminalamt (LKA) Teil des „Landes- netzwerks für Menschenrechte und Demokratieentwicklung – gegen Rechtsextre- mismus und Menschenfeindlichkeit“ (LAGO), das sich präventiv und intervenie- rend gegen Rechtsextremismus und andere demokratiefeindliche Bestrebungen wendet. Es findet ein regelmäßiger Austausch zwischen den Netzwerkpartnern statt, die sich zum Großteil aus lokalen Bündnissen und Organisationen zusam- mensetzen.

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Das LKA beteiligt sich aktiv an dem Beratungsnetzwerk „kompetent vor Ort. für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ (www.kompetentvorort.de, gefördert durch das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“). Ein aktuelles Beispiel der Stärkung lokaler Bündnisse stellt die Unterstützung des „Albbündnisses für Menschenrechte, gegen gruppenbezogene Menschenfeind- lichkeit“ durch das LKA dar, bei dem sich zudem das Land Baden-Württemberg auch finanziell (im Rahmen der Förderung von Projekten der Kommunalen Kri- minalprävention) bei der Gründung beteiligte. Darüber hinaus wurde im Stadtkreis Baden-Baden und im Landkreis Rastatt durch die Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus (BIG Rex) des LKA und die örtliche Kriminalpolizei auf Anfrage der „Aktionsgemein- schaft gegen Neonazis Rheinmünster“ am 27. Juli 2010 in der Hauptschule Rheinmünster-Söllingen ein Informationsabend zum Thema Rechtsextremismus mit mehr als 100 Besuchern veranstaltet, die sich als lokales Bündnis gegen den Veranstaltungsort „Zum Rössle“ wenden wollten. Seit vielen Jahren werden durch das Polizeipräsidium Karlsruhe in regelmäßigen Abständen Vorträge zu Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus an Schulen, in Vereinen und bei Parteien gehalten. Weiterhin werden Gespräche zur Auf- klärung und Sensibilisierung mit Bürgermeistern, Ortspolizeibehörden, Gast- stättenbetreibern, Busunternehmen und Justizvollzugsanstalten durchgeführt. Im Januar 2012 wurden im Stadt- und Landkreis Karlsruhe 25 Personen, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden können, offensiv durch die BIG Rex des LKA an ihren Wohnorten aufgesucht und auf die Möglichkeit eines Ausstiegs aus der rechten Szene angesprochen. Im zweiten Quartal des Jahres 2013 nahm die BIG Rex mit zwei Intensiv- und Wiederholungstätern der rechtsextremen Szene Kontakt auf. Im Ortenaukreis werden an Rheinauer Schulen und Vereinen durch den Polizei- posten Rheinau und den örtlichen Staatsschutz Präventionsveranstaltungen zu Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus sowie Sensibilisierungsgespräche mit Bürgermeistern und Ortspolizeibehörden durchgeführt.

Gall Innenminister

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