Cinematographica Diversa, Marginalia Et Curiosa: Beiträge Zur Filmwissenschaft Und Ihrer Grenzgebiete
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Cinematographica diversa, marginalia et curiosa: Beiträge zur Filmwissenschaft und ihrer Grenzgebiete Heft 3, 2020 Zu einer Kulturologie der Tiere. Untersuchungen zu den Konzeptionen tierischer Akteure in der Filmgeschichte von Hans J. Wulff Westerkappeln: DerWulff.de 2020 Alle Rechte vorbehalten ISSN: 2699-2981 Kontakt: [email protected] 1 Inhalt 3 / Tierbilder: Von der Präsenz des Kulturellen in den Filmen über Tiere und über ihre Kultivierung im Horizont des Erzählens 19 / Vom Tierhorror oder Ein Motivkomplex zwischen den Genres Erstpublikation in: Rabbit Eye, 6, 2014, S. 120-140, URL: http://www.rabbiteye.de/2014/6/wulff_tier- horror.pdf. Auch in: pop-zeitschrift.de, 5.12.1014, URL: http://www.pop-zeitschrift.de/2014/12/15/vom-tierhor- ror-oder-ein-motivkomplex-zwischen-den-genresvon-hans-j-wulff15-12-2014/. 37 / Summ summ summ: Der Sound des Todes Bienenschwärme, Killerbienen und andere insektoide Schwarmwesen. Ein Beitrag zur kulturellen Entomologie Erstpublikation in: In: Pop-Zeitschrift.de, 11.11.2013, URL: http://www.pop-zeitschrift.de/2013/ 11/11/summ-summ-summ-der-sound-des-todesbienenschwarme-killerbienen-und-andere-insektoide- schwarmwesenvon-hans-jurgen-wulff11-11-2013/. 51 / Filmbären: Bilder und Konzeptualisierungen des Bären im Film Erstpublikation in: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung, 9, 2016, S. 69-84, URL: http://ww- w.rabbiteye.de/2016/9/wulff_filmbaeren.pdf. 62 / Oink! Oink! Die Schweine der Filmgeschichte Erstpublikation in: In: Augenblick, 60, 2014, S. 7-25. Auch online in: Pop-Zeitschrift, 2017, URL: http://www.pop-zeitschrift.de/2017/03/27/oink-oink-die-schweine-der-filmgeschichtevon-hans-j- wulff27-3-2017/. 76 / Von Opfern, Spaßmachern, Heulern und Selkies: Robben und Seehunde im Film Erstpublikation in: KulturPoetik 15,1, 2014, S. 29-49. 92 / Der tierische Freund im Film. Zwischen sozialem Alltag und Therapie: Filmische Dramaturgien des Tiers als Freund und Helfer des Menschen Erstpublikation in: Sozialpsychiatrische Informationen 49,2, 2019, S. 17-21. 103 / Wolf, böser Erstpublikation in: Der blaue Reiter, 37, 2015, S. 83-86. Auch in: Dr. B. Reiters Lexikon des philoso- phischen Alltags: Wesen von Alien bis Winnetou. Stuttgart: Metzler 2017, S. 152-158. 2 Tierbilder: Von der Präsenz des Kulturellen in den Filmen über Tiere und über ihre Kultivierung im Horizont des Erzählens § 1: Von Politsatiren Ich erinnere mich an eine rebellische Anekdote aus meiner Studentenzeit: Aus Protest gegen die festgelegten Mehrheitsverhältnisse im Senat hätten Studenten der Heidelberger Universität ei- nen Dackel auf Platz 1 einer ihrer Listen gesetzt, der tatsächlich gewählt wurde und pünktlich zur konstituierenden Sitzung erschien. Aber war es in Heidelberg? Stimmt die Anekdote über- haupt? Klar aber ist, worum es ging, ob die Geschichte stimmt oder nicht – um den Schein der Mit- bestimmung, die Illusion gemeinsamen Arbeitens an der Universität, um die verlogene Vortäu- schung einer Demokratisierung des akademischen Miteinander und die in Wahrheit stabilisier- ten Herrschaftverhältnisse der autoritären Verfassung der Hochschule. Viel gröber kann man Kritik kaum artikulieren, hier gewandelt in ein kabarettistisches Happening. Mittelbar handelt die Anekdote von einem verallgemeinerbaren Anderen, die den tierischen Kandidaten als Mit- glied des Senats aus den Bedingungen aussondert, die erfüllt sein müssen, wenn man teilneh- men will. Ich erinnere mich an eine Photomontage aus Kurt Tucholskys und John Heartfields Buch Deutschland Deutschland über alles [1], das unter der Überschrift „Tiere sehen dich an“ eine Reihe von Generalsköpfen der Kaiserzeit versammelt, acht ernste, männliche, selbstgewisse äl- tere Generäle, in Militariatracht, stolz Orden und Ritterkreuze präsentierend. Die Überschrift zi- tiert den Titel eines Erfolgsbuches von Paul Eipper, das kurz vorher erschienen war [2] und eine Eloge auf die Tiere im Zoo anstimmt (die genauen Auflagenhöhen des äußerst populären Bu- ches waren nicht zu eruieren, aber es wurde mehrfach neu aufgelegt und noch 1962 vom Deut- schen Taschenbuch-Verlag als Taschenbuch nachgedruckt). Das Bild, dem kein Text Tucholskys beigegeben war, erregte einen ganzen Sturm von Protesten von Konservativen, Nazis, Militaris- ten und anderen [3]. Tucholsky empfand das Bild als „zu grob“ [4]; gleichwohl erduldete er den Sturm gegen das Bild und das ganze Buch, nahm nie öffentlich Stellung. Interessant aber ist, dass er das „Animalische“ vor der allzu offenen Übertragung auf das Politische in Schutz nahm, nicht etwa, weil die Tiere schützenswert seien, sondern weil sie der kalten und zynischen We- sensart von Generälen wesensfremd seien. Ich erinnere mich an eine dreiaktige opéra-bouffe von Jacques Offenbach aus dem Jahre 1860 (das Libretto schrieben Eugène Scribe und Henry Boisseaux): Barkouf [5]. Sie erzählt von einem Hund, der von einem Willkürherrscher als Gouverneur eingesetzt wird. Die Handlung spielt sicherlich in einem Operettenstaat in Indien; doch ist der satirische Angriff auf den autori- tär agierenden Napoleon III. immer klar. Es war die Unterstützung Duc de Mornys, des Halb- bruder des Kaisers, die die Aufführung des Stückes ermöglichte – natürlich war sie in den Blick der Zensur geraten. Der Hund als „guter Herrscher“ und Anführer einer Revolution (an deren Ende [bei einer Neuaufführung in Strasbourg 2017] Volk und Vieh auf Transparenten „liberté, 3 egalité, croquettes“ [„Freiheit, Gleichheit, Hundekuchen“] forderten): Auch Offenbach/Scribe übertragen das Animalische ins Politische und entziehen den politischen Akteuren symbolisch alle politischen Tugenden, Verantwortung, Weitsicht, demokratisches Mandat; aber sie gehen ei- nen geradezu gegenläufigen Weg wie Heartfield oder die Studenten aus Heidelberg. Und natürlich erinnere ich mich an den Anti-Vietnam-Kurzfilm Rat Life and Diet in North America (Kanada 1968, Joyce Wieland) über eine Gruppe von (von Wüstenrennmäusen gespiel- ten) Ratten, die in den USA aus dem Gefängnis kommen und sich nach Kanada durchschlagen, an den langen Zeichentrickfilm Watership Down (Unten am Fluss, Großbritannien 1978, Martin Rosen) über eine Gruppe von jungen Kaninchen, die vor der drohenden Vernichtung durch Menschen in eine andere Landschaft fliehen – der symbolische Hintergrund des Völkermords war allen Zuschauern greifbar – und natürlich an Animal Farm (Aufstand der Tiere, Großbritan- nien 1954, John Halas) nach dem Roman von George Orwell, der von der Option des Diktatur- Werdens ursprünglich liberal-egalitärer Gesellschaften erzählte. Tiere als Figuren politischer Handlungsspiele, deren allegorischer Sinn gerade durch die Differenz der Tier-Figuren zu den eigentlich vermeinten Menschen kaum verdeckt war. § 2: Von Akteuren und Figuren Die Duisburger Universität heißt heute – ganz der Tradition der Ehrwürdigkeit deutscher Uni- versitäten verpflichtet – Gerhard-Mercator-Universität (bzw. nach der Zwangsvereinigung mit der Essener Hochschule: „Universität Duisburg-Essen“). Als 1992 nach einem Namen für die Duisburger Hochschule gesucht wurde, schlugen Studenten allen Ernstes vor, ihr den Namen „Horst-Schimanski-Gesamthochschule“ zu verleihen – nach dem Rollennamen eines Tatort- Kommissars. Nach dem Namen der Figur und nicht des Schauspielers, also nach Horst Schi- manski und nicht Götz George! Was sich hier wie eine Realsatire anhört, verweist dennoch auf eine Unterscheidung, die für ein Verständnis der Bedeutung der Tiere in der Welt des Films von entscheidender Bedeutung ist: die zwischen Akteur und Figur. (Und für das Verständnis von Filmen ganz allgemein: Es ist Jacques Tati, der agiert, und es ist Monsieur Hulot, den er spielt.) Man könnte einwenden, dass die Akteur-Figur-Unterscheidung für Tiere gar nicht greift, weil Tiere anders als Schauspieler kein Wissen über die Differenz von Ich und Rollen-Ich haben [6]. Dennoch treten Tiere im Film in eine Doppelidentität ein, allerdings nicht unter dem Aspekt der Qualität ihres Schauspiels, sondern weil sie in einen symbolischen Rahmen eintreten, in dem ihnen ungeachtet ihres Be- wusstseins, eine Rolle zu spielen, der Status der Figur zuwächst. Akteure sind in dieser Hinsicht Teil der normalen Alltagswelt, Figuren solche der Erzählung, der dargestellten Welt, des Dramas. „Lassie“ war zunächst eine rein literarische Figur, bevor er auch für den Film requiriert wurde [7]. Mit der Verfilmung wurde es nötig, einen Darsteller der Figur zu verpflichten: Es war ein Rüde namens „Pal“, dessen Besitzer Rudd Weatherwax ihn auch trainierte [8]. Zahlreiche andere Real-Collies in den Filmen und Serien, deren Folge immer noch nicht abgeschlossen ist, folgten als Lassie-Akteure. Für den Zuschauer ist die Vielheit der Lassie-Akteure aber ohne Belang, ihm steht eine Figur gegenüber, die in allen weiteren langen und kurzen Lassie-Filmen die gleiche „Lassie“ bleibt. Ein Hund nach der biologischen Gattung – die biologische Qualität des Akteurs ist wahrnehmbar und dem Zuschauer bewusst –, aber 4 eben auch eine handelnde Figur, die mit Qualitäten des Handelns (Überlegtheit, Planhaftigkeit, Adaption an die Umwelt u.ä.), vielleicht auch der sozialen Einbindung des Handelns (Bindung, Kooperativität, Verantwortung u.ä.) und einer eigenen Figurenemotionalität (wie schon in Las- sie Come Come mit der Liebe zu dem kleinen Jungen, dessen Vater den Hund weggegeben hat- te) aufgerüstet ist. Die Vielheit der Schauspieler-Hunde wird in der Rezeption der Fiktion zu einer einheitlichen Figur verschmolzen. Eine Synthese, die von der Verschiedenheit der Akteure absieht (selbst wenn der Zuschauer weiß, dass hier ein anderer Hund