10 Manchester
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10 MANCHESTER 11 Manchester war in den Achtzigern eine verarmte Industriestadt. Die Kälte und die Perspektivlosigkeit prägten damals die Hits von New Order. Ein Besuch in der Vergangenheit der Band. »Alles schien kaputt zu sein« Text CHRISTOPH DALLACH Durch den Regen blickte man auf verwahrloste viktoriani- sche Ziegelbauten auf der anderen Seite der Straße. So ka- Stephen Morris starrt leicht angeekelt auf die Klinkerfassa- putt, wie das Haus, in dem wir übten. Alles schien in Man- de des mehrstöckigen Luxusapartmentkomplexes. Es ist ei- chester kaputt zu sein, es war immer kalt, und alle meine ner der raren Sommertage, mit blauem Himmel und Son- Erinnerungen an diese Zeit sind in Grau getaucht.« Die Er- ne, in der nordenglischen Industriemetropole Manchester, innerungen von Morris, !", an das Manchester von damals und im Stadtzentrum rund um den Backsteinbau glitzern sind lebendig, aber die Stadt von damals existiert nicht mehr. Türme aus Stahl und Glas. Morris steht da in grauen Jeans, »Ian würde das neue Manchester nicht wiedererkennen«, anthrazitfarbenem Polohemd und schwarzen Nike-Schu- sagt Morris. hen, rückt seine schwarze Brille zurecht und mustert die Ian Curtis, der legendäre, von Epilepsie heimgesuchte aufpolierte Architektur. Dann schlendert er auf das Apart- Sänger der Band Joy Division, nahm sich #$%& das Leben. menthaus zu und liest halblaut den Namen am Eingang Er war '( Jahre alt. Zurück blieben Bernard Sumner, Peter vor: »›Ropeworks Apartment Bloc A‹ – Was für ein Hook und Stephen Morris, die dann mit der Keyboarde - Schwachsinn …! Ob sie hier mittlerweile zumindest Toilet- rin Gillian Gilbert unter dem Namen New Order weiter- ten haben?« machten. Ende der Siebzigerjahre waren Toiletten hier nämlich Beide Formationen gehörten mit ihrer Mischung aus noch ein Problem. Aber nur eines von vielen. Damals stand Post-Punk, Rock und Dance zu den einflussreichsten an der Stelle des Apartmentblocks ein heruntergekommenes Bands der Achtzigerjahre. Und abgesehen von den perso- Lagerhaus, in dem die Band Joy Division ihren Übungsraum nellen Überschneidungen eint beide Bands die Melancholie hatte und in dem der Videoclip zu ihrem legendären Song in ihrer Musik. Insbesondere Joy Division werden dafür ver- »Love Will Tear Us Apart« gedreht wurde. ehrt, die Kälte der Thatcher-Ära und die Perspektivlosigkeit Joy Division bestand damals aus dem Sänger und Song- der siechenden Industriestadt in ihrem sehr eigenen New- schreiber Ian Curtis, dem Bassisten Peter Hook, dem Gi- Wave-Sound eingefangen zu haben. Dieser sei eine »Re- tarristen Bernard Sumner und dem Schlagzeuger Stephen flexion von Manchesters finsteren Flächen und den leeren Morris. Und Manchester war zu Joy-Division-Zeiten eine Plätzen«, wie der britische Musikkritiker Jon Savage es mal andere Stadt. Morris sagt: »Unser Übungsraum war eng, formulierte. schlecht beleuchtet und ohne Heizung. Wenn man aus dem Im Pop werden Musiker schnell mit dem »Sound« einer kleinen Fenster sah, schien es da draußen immer zu regnen. Stadt in Verbindung gebracht – Portishead standen für Bris- tol, Ideal für das Berlin der Achtziger und Wir sind Helden Klub »Haçienda«, Lagerhaus, Band New Order 1982: für das des neuen Jahrtausends. Oft aber ist das nur ein La- »Ein gespenstischer Ort« bel, das mit der Stadt nichts zu tun hat. MANCHESTER 12 Anders bei Joy Division und New Order: Ihre Songs re- mag, dass beide aus einem Vorort stammen und heute wie- flektierten tatsächlich Etappen in der Entwicklung einer der am Stadtrand von Manchester leben. Großstadt. Die Finsternis in der Musik von Joy Division Aber was halten die Musiker selbst von der These, dass entsprach der Stimmung in Manchester, das dereinst eine Manchester ihre Songs geprägt hat? »Das ist natürlich kom- strahlende Industriemetropole war und dann abstürzte – plex, aber ich kann die Beziehung zwischen Stadt und zwischen !"#! und !"$% gingen !&& &&& Fabrikjobs verloren. Sound durchaus nachvollziehen«, sagt Morris. »Die Musik, New Order stand in den Achtzigern für den Wahnsinn einer die wir als Joy Division machten, sog ganz eindeutig die aus den Fugen geratenen Jugend, die keine Zukunft für sich Umgebung auf, in der sie entstand. Und auch New Order sah. Die Szene des sogenannten Madchester war geprägt war ein Spiegel des elektrisierten Manchesters.« von einem Mix aus Drogen, Gewalt und Beats. Das war Das von vielen Kanälen durchzogene Manchester war schon Stoff für zwei Kinofilme: Anton Corbijns »Control« im !". Jahrhundert das weltweite Zentrum für Baumwoll- über Joy Division und Michael Winterbottoms Film »'( verarbeitung und Baumwollhandel. Für den florierenden Hour Party People« über New Order und deren legendären Handel entstanden immer mehr Fabriken und Lagergebäu- Klub »The Haçienda«. de, und die Bevölkerung wuchs rasant. Der Absturz begann Für einen zurückhaltenden Menschen wie Stephen mit der Weltwirtschaftskrise Ende der Zwanzigerjahre. Und Morris und seine ebenso dezente Gattin Gillian Gilbert ist weil in Manchester während des Zweiten Weltkriegs Kampf- das zu viel Aufmerksamkeit. Dass sie mit Joy Division und flugzeuge gebaut wurden, attackierte die deutsche Luftwaffe New Order einige der erfolgreichsten und einflussreichsten das Stadtzentrum so heftig, dass von der ursprünglichen Platten der modernen Popgeschichte lieferten, scheint sie Substanz nach Kriegsende nicht mehr viel vorhanden war. eher zu erschrecken. Vermutlich aus diesem Grund verste- Mit dem Niedergang der Industrie schwand der Reichtum. cken sie sich vor der Öffentlichkeit, wo es nur geht: Sie sind Zurück blieb die verwundete und depressive Großstadt, in so gut wie nie auf ihren Albumcovern abgebildet und ver- der die Musiker von Joy Division und New Order groß wur- schwinden hinter raffinierten Grafiken. Wenn Gilbert und den. »Wir wohnten zwar in Macclesfield, aber eigentlich Morris, die auch als »The Other Two« Platten veröffent- verbrachten wir so viel Zeit, wie es nur ging, in Manchester«, lichten, heute durch Manchester spazieren, wirken sie wie erzählt Morris. »Wenn ich in Manchester auf ein Konzert Touristen, die eine Stadt erkunden. Was auch daran liegen wollte, war das immer eine Herausforderung, weil der letzte LOWIMAGES (U. R.) Bus an den Stadtrand um '' Uhr fuhr. Die Pubs schlossen bereits um '! Uhr. Spätestens um Mitternacht war Manches- ter vollkommen dunkel und verlassen. Ein gespenstischer Ort, an dem ich einige Nächte wegen verpasster Busse ver- bringen musste.« Es gibt noch viele andere Bands aus Manchester, die in den vergangenen Jahrzehnten groß rauskamen. Die legen- dären Namen reichen von den Hollies über The Smiths bis hin zu Oasis und Take That. Alles großartige Karrieren, aber nur bei Joy Division und New Order findet der Sound der Stadt sich in der Musik wieder. Spannend ist, dass sich keine der beiden Bands in ihren Texten jemals explizit mit Man- chester beschäftigte – möglicherweise hatte keiner in den Bands Lust auf Sozialkritik. Dass in einem Land, dessen Musikszene sich in London konzentrierte, plötzlich Bands aus Manchester Hits lieferten, war damals ziemlich erstaunlich. Möglich machte diesen Coup der TV-Moderator Tony Wilson. Wegen seiner Vor- liebe für die Stadt war er als »Mr Manchester« bekannt. Mit Gespür für Trends und Talente und mit ausreichendem Größenwahn ausgestattet, führte er die unabhängige Plat- tenfirma Factory Records. Dort kamen Joy Division unter und später New Order, und sie sorgten für so viel Umsatz, dass Factory Records genug Geld hatten, um !"$' sogar den gewaltigen »Haçienda«-Klub zu eröffnen. Plattenladen in Manchester: »Die Musik sog ganz eindeutig die Umgebung auf« (U. L.); MICHAEL GRECCO / G RUGE (O.); KATJA / GETTY IMAGES CUMMINS / PREMIUM ARCHIVE SEITE 14: KEVIN RUGE; KATJA FOTOS: MANCHESTER 13 Der Laden sorgte weltweit für Aufsehen. Ausufernde Ropeworks-Apartments: Technoraves und wüste Drogengang-Scharmützel prägten »Ian würde Manchester nicht wiedererkennen« das grelle Image des Klubs, was sich finanziell aber nicht auszahlte. Im Sommer !""# machte der Laden dicht, und Spuren der Bands die Stadt erkunden; es gibt organisierte New Order, die an der »Haçienda« beteiligt waren, hatten Bustrips zu den alten Probenräumen, »Haçienda«-Klub dort ein Vermögen versenkt. Heute sind die Eingangstüren und Factory Records. der Haçienda im Museum von Manchester zu bestaunen. Das sei nicht mehr seine Stadt, sagt Morris. Auf einer An dem ursprünglichen Standort im Zentrum der Stadt Brücke in der Nähe des alten Büros der Plattenfirma Factory steht, selbstverständlich, ein weiteres, teures Apartmenthaus, schaut er irritiert einem Jogger hinterher, der an einem Kanal die sogenannten Haçienda-Apartments. Stephen Morris entlangläuft: »Joggen? Da trauten wir uns früher nicht hin, vergeht beim Ortstermin vor den Apartments das Lachen: weil da nur Ratten waren. Aber das ist eben eine Ewigkeit »Es war von Anfang an eine idiotische Idee.« Dann platzt her.« Heute kommen Gilbert und Morris meistens nur noch er mit überraschend lauter Stimme heraus: »Entweder riefen ins Zentrum, wenn ihre Kinder darauf bestehen. Am Abend sie nachts an, weil der Klub nach einer Schießerei mal wie- zuvor haben sie ein Musical von Blur-Mann Damon Albarn der geschlossen war, oder es fragte irgendein Verrückter, wa- besucht. rum wir da keine Cheeseburger servieren. Es war irre!« Alle Mitglieder von New Order leben heute noch im Seine Frau Gillian Gilbert gelingt bei dieser Schilderung Einzugsgebiet von Manchester, und sie haben dort auch immerhin noch ein amüsiertes Lächeln. ihre neue Platte eingespielt, die im September erscheint.