Titel US-Sonderkommando, afghanische Sicherheitskräfte bei der Festnahme von Verdächtigen

Protokoll eines Krieges Super-GAU für Amerikas Militär und Geheimdienste: Fast 92 000 Dokumente über den Kampf gegen die afghanischen Taliban, die meisten als geheim eingestuft, sollen weltweit über jeden Computer nachzulesen sein. Sie enthüllen die wahre Dimension des westlichen Militäreinsatzes.

DARREN MCCOLLESTER / GETTY IMAGES as Dokument CONOP 3315-016 gegen die afghanische Regierung, die Ame - und der Trupp afghanischer Sicher heits- LV2 vom 21. Dezember 2007 trägt rikaner und ihre Verbündeten kämpft. Er kräf te, der sie begleitet, nähern sich Ddie Einstufung „Geheim“. Es ist lebt, genau wie Mullah Khan, im Dorf Fa - ihrem Ziel bis auf fünf Kilometer. militärisch kurz, sehr präzis und beschreibt quiran nahe der pakistanischen Grenze Währenddessen soll eine mit vier Ra- die Jagd der im -Krieg einge - südwestlich von . Ullah wird für keten bewaffne te Drohne erkunden, ob setzten amerikanischen Spezialeinheit 373 den Einsatz von Selbstmordattentätern sich Menschen auf den beiden Ziel-Ge - auf zwei gesuchte Aufständische. Der verantwortlich gemacht, darunter einer, höften befin den. Doch die Operations - Deckname dieser Operation ist Programm. der vier afghanische Polizisten getötet zentrale kann mit der Kampfdrohne Sie heißt: „Eine Falle für den Schakal“. hat. Er soll Sprengstofffallen gelegt und nicht direkt kommunizieren und muss Es ist ein „Capture/Kill“-Auftrag. Die dadurch auch den Tod mehrerer US-Sol - eine andere schicken. Afghanen Aziz Ullah und Mullah Akeeb daten zu verantworten haben. Mullah Jetzt umstellt die Truppe die beiden Khan seien, heißt es da, zu „ergreifen“ Khan gehört ebenfalls zu den Aufständi - Gehöfte. Zwei Männer müssen sich aufs oder zu „töten“, und die Amerikaner ge - schen, zwei seiner Söhne kämpfen in ih - Dach der Häuser schleichen und signali - ben gute Gründe für das Vorhaben an: ren Reihen. sieren, ob sich auf den Grundstücken je - Aziz Ullah ist ein Anführer im Mittelbau Gleich zu Anfang droht die Operation mand bewegt. Zivile Opfer sollen, wenn der Guerilla, die in der Provinz Paktika schiefzulaufen. Die Task Force 373 (TF 373) möglich, vermieden werden.

70 der spiegel 30/2010 Amerikanische Befehlszentrale Centcom, Informantenbericht über einen Attentatsplan ,

CHRISTOPHER MORRIS / VII Dann erfolgt der Angriff, oder wie es im schwester. Unter den Männern befindet bung der Aktivitäten einer Sondereinheit, militärischen O-Ton merkwürdig ab strakt sich auch der gesuchte Aziz Ullah, der von der bis dahin praktisch nichts bekannt heißt: „Beide Ziele wurden freigelegt durch sich seiner Festnahme widersetzt. Ein wei - war? Wir erfahren die Geheimnisse von eine durch Explosionsstoffe erzeugte Bre - terer Mann wird als Freiwilliger für ein den Amerikanern selbst. Es sind Origi - sche sowie einen dynamischen Zugang.“ Selbstmordkommando identifiziert. nalquellen, die da sprudeln: Berichte von Soll wohl heißen: Die Umfassungsmauer Am Ziel Nummer zwei, dem „Objekt Soldaten über ihre Einsätze, Mel dungen der Compounds wurde gesprengt, und die Weiß“, wird Khan zwar nicht erwischt, von Nachrichtenoffizieren über drohende Eingreiftruppen stürmten die Häuser. Die dafür geht sein Sohn, der als weiteres „auf - Taliban-Anschläge. Es sind Agentenbe - Männer der Task Force 373 sind Spezialis - ständisches Element“ bezeichnet wird, richte und abgehörte Telefongespräche, ten im „dynamischen Zugang“. den Amerikanern in die Falle. Bei der Ver - die jetzt öffentlich werden, Zusammen - Am Ziel Nummer eins, dem „Objekt haftung wird er durch einen Schuss in die fassungen von Treffen amerikanischer Mi - Schwarz“, werden sieben Männer, sieben Brust schwer verletzt. Zwei Tage später litärs mit regionalen Politikern, die über Frauen und fünf Kinder entdeckt, sie blei - stellt sich der um seinen Sohn besorgte die Sicherheitslage in ihren Distrikten be - ben unverletzt und werden, nach Ge - Vater, der Schakal ist gefangen. richten. Es sind die ersten einlaufenden schlechtern getrennt, durchsucht, die Woher wissen wir das alles so genau? Meldungen vom Schlachtfeld, die vorläu - Frauen von einer afghanischen Kranken - Woher stammt die detaillierte Beschrei - figen Opferzahlen. Es sind Spekulationen

der spiegel 30/2010 71 Titel S R E T U E R

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H C S N E B

O I Z I R B A F Deutsch-belgische Patrouille bei einer Razzia nahe Kunduz: Plötzlich mehr Feinde als Freunde in der Bevölkerung

über die Hintermänner der Gegner und ghanistan-Krieges darstellen – Rohmate - Opfer gewöhnlich hinter einem Vorhang Berichte über die eingesetzten Waffen. rial für die spätere Geschichtsschreibung. militärischer Abkürzungen verschwindet: Kurz: ein Schatz von Geheimdokumenten Es sind die Meldungen der Truppe aus „42 x LN killed, 1 x INS killed, 147 LN über die einzelnen Facetten, aus denen dem laufenden Gefecht, kurz zusammen - wounded, several buildings damaged, sich der Alltag dieses Krieges zusammen - gefasst und unmittelbar weitergeleitet. In NFI“ heißt übersetzt: 42 Personen von ört - setzt, und es sind sehr, sehr viele. den Regionalkommandos der Amerika - licher Nationalität getötet, 1 Aufständi - Genau 91 731 Berichte, die meisten als ner und ihrer Verbündeten werden sie scher getötet, 147 Personen örtlicher Na - „Geheim“ eingestuft, die ab sofort im In - gesammelt, manches wird analysiert und tionalität verwundet, mehrere Gebäude ternet für jedermann zugänglich sein wer - kommentiert, vieles aber auch unbear - beschädigt, keine weiteren Informationen. den, weil die Internetplattform Wiki - beitet an höhere Dienststellen weiterge - Die Datensätze sind für die Verbünde - Leaks sich vorgenommen hat, sie zu ver - leitet und einiges auch mit der Warnung ten der Amerikaner genauso interessant öffentlichen. Der Organisator dieser Platt - versehen, den Berichten nicht bedin - wie für die Amerikaner selbst. Sie zeigen form, der Australier Julian Assange, gungslos zu vertrauen. etwa, dass der Krieg im Norden des Lan - glaubt, auf diese Weise dazu beitragen Es sind überwiegend die Feldwebel, die des, da, wo die deutschen Truppen sta - zu können, den Krieg in Afghanistan zu hier berichten, auch mal ein Leutnant im tioniert sind, immer bedrohlicher wird. stoppen. Wenn die Menschen erst einmal Gefechtsstand oder eher rangniedere 2009 nahmen die Kampfhandlungen dras - die pure, ungefilterte Wahrheit über die - Auswerter beim Militärgeheimdienst. Das tisch zu, die Zahl der Anschläge und der sen Krieg erfahren – davon lässt dieser Material enthält aber auch als besonders Warnungen ebenfalls. späte Nachfahre der Aufklärung sich sicherheitsrelevant eingestufte Geheim - Und da sind die Berichte über Hinter - nicht abbringen –, wird der Druck auf die dienstreports aus dem Isaf-Hauptquartier männer dieses Krieges, die Strippenzie - Politiker wachsen, den Krieg zu beenden in . Trotz der gewaltigen Daten - her in Pakistan. Die annähernd 92 000 (siehe Seite 82). menge zeigen die Dokumente nur einen Dokumente sind ein Fenster zum Krieg Doch die Massenveröffentlichung ist Ausschnitt der Berichte-Flut, die dieser am Hindukusch, wie es bislang keines ge - auch der GAU für Amerikas Militär und Krieg täglich generiert. geben hat. Und vor diesem Fenster läuft – die Geheimdienste und damit ein Füll - Dennoch: Fast 92 000 amerikanische Da - in allen seinen Einzelheiten – der Krieg horn für alle, die sich ein möglichst haut - tensätze, manche immerhin so brisant, gewissermaßen in Echtzeit ab. Wer sich nahes Bild des Krieges machen wollen. dass sie mit dem Vermerk versehen sind, künftig über diese Auseinandersetzung Die „New York Times“, der Londoner die Dokumente den anderen Truppen vor - informieren will, wird ohne diese Penta - „Guardian“ und der SPIEGEL haben die - zuenthalten, das ergibt zwischen dem 1. gon-Akten nicht mehr auskommen. ses Material unabhängig voneinander Januar 2004 und dem 31. Dezember 2009 Weil noch nie in der Geschichte be - gründlich geprüft und mit bekannten Be - die Beschreibung eines laufenden Krieges, waffneter Konflikte Unbeteiligte derart richten zum Krieg in Afghanistan vergli - wie es sie noch nie gegeben hat. Die all - vielfältige Einblicke in einen laufenden chen. Alle drei Redaktionen sind – über - gegenwärtige Bedrohung wird nachvoll - Krieg nehmen konnten, markiert die Ver - einstimmend – zu dem Ergebnis gekom - ziehbar, allein die unendlich vielen War - öffentlichung von WikiLeaks auch einen men, dass die Dokumente authentisch nungen vor den Terroranschlägen der Einschnitt in der Kriegsberichterstat - sind, dass sie Teile einer oder mehrerer Gegner sorgen dafür. Dann sind da die tung – so wie die Erfindung des Telegra - Militär-Datenbanken sind, die als elek - kurzen lapidaren Meldungen über die An - fen die ersten unverzüglichen Augenzeu - tronisches Archiv ein Logbuch des Af - schläge selbst, in denen das Schicksal der genberichte von den Schlachtfeldern er -

72 der spiegel 30/2010 Kein Frieden in Sicht Der Krieg der alliierten und afghanischen Truppen mit den Aufständischen Sprengstoffanschläge von Aufständischen* 2009 Sprengstoffanschläge * '#### Kampfhandlungen mit Aufständischen* 2009 Kampfhandlungen * Entführungen von Einheimischen durch Aufständische* 2009 … in ganz Afghanistan &###

472 94 14 %### NORD 98 60 -- Deutschland KABUL 502 186 7 Frankreich $### WEST Führungsnation des Regional- kommandos im Jahr "##$ Italien OST "### USA

SÜD Niederlande 4868 1095 17 … in der Region Nord $## Warnungen vor Guerilla-Aktionen ,## 1 199 339 203 255 569 5755 1895 13 "##

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* laut den geheimen US-Militärdaten "##$ "##( "##% "##) "##& "##+ möglichte und die ersten Fotos die Grau - zu der Veröffentlichung der Dokumente stellen die Veröffentlichung der Doku - samkeit des Krieges für jeden sichtbar bemüht. Vergebens. Obwohl Obamas mente zu fürchten haben. An vielen Stel - machten, haben Internetnutzer nun die Mitarbeiter eine Reaktion in Aussicht ge - len tauchen dort Informationen auf, die unerhörte Möglichkeit, die öffentliche stellt hatten, wollten sie sich vorerst nicht den härtesten und einen äußerst umstrit - Darstellung von Kriegsereignissen durch äußern. tenen Teil des Krieges ausleuchten – die das Militär mit dessen eigenen internen Vergangene Woche haben sich die Ver - geheime Jagd auf die Top-Taliban, die Berichten abzugleichen. Es ist ein Fort - treter von mehr als 70 Staaten und Orga - Führer der Aufständischen. schritt, den die Technik ermöglicht: Heute nisationen in Kabul zur Afghanistan-Kon - Das ist die Aufgabe von Sonderkom - passt eine komplette Kriegsdatenbank auf ferenz getroffen. Sie bekundeten Präsi - mandos, und es geht um das Ausschalten einen schlichten USB-Stick, der nur we - dent Hamid Karzai ihre Zuversicht, sein von Aufständischen im Wildwest-Stil, das nige Euro kostet. Land werde bis 2014 in der Lage sein, die seit Jahren mit großem Aufwand betrie - Für Präsident Barack Obama und die Sicherheit am Hindukusch durch eigene ben und streng geheim gehalten wurde. US-Regierung kommt die Veröffentli - Soldaten und Polizisten zu garantieren. Selbst vor den normalen Truppen wurden chung zum denkbar ungünstigsten Zeit - Angesichts des Alltags, wie er aus diesen die Kommandos weitgehend abge - punkt. Gerade erst hatte der Oberbefehls - Dokumenten erscheint, klingt der zur schirmt. Nun sind ihre Aktivitäten – wie haber seinen Afghanistan-Kommandeur Schau gestellte Optimismus nur noch zy - das Beispiel der Task Force 373 zeigt – Stanley McChrystal austauschen müssen, nisch. Die Berichte belegen, dass vor allem nachzulesen in offiziellen Armeemeldun - weil der sich über die Situation am Hin - die afghanischen Sicherheitskräfte tagein, gen. Die Jagd nach Taliban-Führern und dukusch und den fehlenden politischen tagaus zu hilflosen Opfern der Taliban wer - al-Qaida-Terroristen wird öffentlich. Rückhalt in Washington allzu unge - den. Allein in den vergangenen drei Jahren Jetzt lassen sich auch Rückschlüsse auf schminkt geäußert hatte. kamen rund 2500 afghanische Polizisten die bis heute streng geheime Feindesliste Und Obama, der den Krieg in Afghani - und Militärs ums Leben. Das Ergebnis eines der Koalitionstruppen ziehen. Es ist eine stan ausdrücklich zu seinem eigenen ge - solchen Blutzolls ist eine demoralisierte in Militärkreisen nüchtern als „Joint Prio - macht hat, steht in Washington zunehmend Truppe, die zudem noch anfällig ist für die ritized Effects List“ (JPEL) bezeichnete isoliert da. Viele Parteifreunde zweifeln in - im Lande omnipräsente Korruption. Aufzählung von Taliban, Drogenbaronen, zwischen daran, dass der Aufwand für die - Bombenbauern und al-Qaida-Mitglie - sen Krieg durch die Ergebnisse gerechtfer - DIE JÄGER dern. Die gemeinsame Liste von auszu - tigt wird. Mit ihrer Mehrheit im Kongress Es gibt vor allem einen Grund, warum schaltenden Zielpersonen ist geordnet machen sie Obama heute schon mehr amerikanische Militärs und Regierungs - nach Vorgangsnummern und Prioritäts- Schwierigkeiten, als sie jemals seinem Vor - gänger George W. Bush bereitet haben. Nun kann jeder nachlesen, wie schlecht dieser Krieg wirklich verläuft. Und es sind keine überkritischen Journalisten, die hier berichten, sondern Obamas eigene Militärs. Bis zum Druckbeginn am Samstagmor - gen hat sich der SPIEGEL wiederholt um eine Stellungnahme des Weißen Hauses Bericht über Kidnapping-Pläne des Taliban-Führers Mullah Dadullah

der spiegel 30/2010 73 JIM YOUNG / REUTERS Staatschefs Karzai, Obama in Kabul: Zynischer Optimismus stufen, den Jägern wird fallweise die erhalten sie direkt aus dem Pentagon. Oft Taliban-Jäger, sie machen auch klar, war - Option gelassen, ihre Beute festzuneh - gelingt es den Spezialkräften, ihre Gegner um diese Sondereinheiten so viel Wut in men oder zu töten. lebend zu erwischen. Mehrere Dutzend der afghanischen Bevölkerung auslösen. Nirgendwo in den Dokumenten ist die - Einträge von Gefangenenüberstellungen Vor allem die Fehlschläge der Sonder - se Liste vollständig abgedruckt, doch aus in das berüchtigte Terroristengefängnis kommandos sollen deshalb möglichst Tausenden Berichten lassen sich insge - von Bagram nördlich von Kabul finden nicht ans Licht kommen. samt 84 Meldungen über JPEL-Aktionen sich in den Unterlagen. Zuweilen kom - So findet sich in einer brisanten Mel - herausfiltern. Wie viele JPEL-Ziele es in men die Task-Force-Kämpfer mehrfach dung vom 17. Juni 2007 gleich im zweiten Afghanistan gibt, lässt sich aus den Do - am Tag mit ihren Häftlingen und über - Satz die Mahnung, dass diese TF-373- kumenten nicht ablesen, aber allein die geben sie den Wächtern. Operation „geheim gehalten“ werden vierstelligen Vorgangsnummern legen Bevorzugt jagt die Truppe 373 aller - müsse. Details über die Mission dürften nahe, dass es eine große Zahl ist. Unter dings „High Value Targets“, sogenannte keinesfalls an andere Isaf-Streitkräfte den Zielpersonen sind prominente Tali - Hochwertziele, darunter Top-Komman - weitergegeben werden. ban-Führer wie der mittlerweile inhaf - deure der Taliban oder Sprengstoffexper - Die Soldaten des Sonderkommandos tierte Mullah Baradar, aber auch weniger ten von al-Qaida. Zu ihnen gehören auch scheinen sich an diesem Tag einen ver - bekannte Kommandeure wie ein Mann Feinde, die niemand lebend fangen hängnisvollen Fehlschlag geleistet zu ha - aus dem Osten Afghanistans mit dem möchte. ben. Ziel ihrer Mission war es offenbar, Codenamen „Russian Jack“. Dass es im Afghanistan-Krieg solche den prominenten al-Qaida-Funktionär Sie zu jagen ist die Aufgabe der Task gezielten Tötungen gibt, gilt unter Exper - Abu Laith al-Libi zu töten. Zu diesem Forces. Die Mitglieder der Task Force 373 ten als Tatsache, auch wenn weder die Zweck hatte die Einheit seit Tagen eine beispielsweise tragen keine Namen an US-Armee noch die Isaf-Truppen über Koranschule beobachtet, in der die Ame - den Uniformen, ihre Nachtlager sind stets die Kommandos reden möchten, die diese rikaner den Qaida-Mann und mehrere von denen anderer Soldaten getrennt. Drecksarbeit am Ende durchführen. Nun seiner Getreuen vermuteten. Wenn sie ausrücken, erfahren die norma - kann jeder zu Hause am PC nachlesen, Ihre fünf Geschosse aber, die sie len Befehlsstände der Isaf nichts über ihre was Sondereinheiten wie die Task Force schließlich von einem mobilen Raketen - Mission. Ihre Operationsgebiete werden 373 in seinem Namen in Afghanistan werfer abfeuerten, trafen die Falschen. als sogenannte Black Boxes gesperrt, da - Nacht für Nacht anrichten. Statt des Top-Terroristen fanden Boden - mit normale Soldaten den Elitekriegern Doch die Dokumente enthüllen nicht truppen nach dem Einschlag der Pro - nicht in die Parade oder gar in die Schuss - nur die Existenz und die Aktivitäten der jektile sechs tote Kinder in den Trüm - linie fahren oder fliegen. Die Männer der Task Force 373, eine Truppe von Elitesoldaten verschiedener Teilstreitkräfte, darunter Navy Seals und Delta Forces, agieren wie ein Rudel Wöl - fe. Sie unterstehen weder dem Komman - do der internationalen Schutztruppe Isaf noch dem zuständigen amerikanischen Befehlszentrum Centcom. Ihre Aufträge Polizeimeldung über antiamerikanische Proteste

74 der spiegel 30/2010 Titel mern der völlig zerstörten Koranschule, Feinden der Bundeswehr fast offiziell, Deutschen hatten gedacht, dass die ver - ein weiteres, schwer verletztes Kind gewissermaßen als Dienstleistung, offe - gleichsweise ruhigen Nordprovinzen, in konnte nicht mehr gerettet werden, ob - riert. Nachdem im Frühjahr kurz hinter - denen ihre Soldaten stationiert wa - wohl ein Sanitäter sich 20 Minuten lang einander sieben deutsche Soldaten gefal - ren, auch ruhig bleiben würden. Ihre darum bemüht hatte. Doch ein solch dra - len waren, versprach ein hochrangiger Wiederaufbauteams sollten anderen Al- matischer Zwischenfall lässt sich nicht US-Offizier im Hauptquartier in Kabul li ierten zeigen, wie dem vom Bürgerkrieg wirklich verheimlichen, schon einen Tag dem ranghöchsten deutschen Isaf-Offizier, heimgesuchten Land wirklich zu hel- später musste sich die US-Armee öffent - General Bruno Kasdorf, man werde die fen wäre. lich entschuldigen. Hintermänner der Anschläge auf die Erst Ende 2005, Anfang 2006 und nur Auch wenn es sich um eine amerikani - Deutschen jagen und töten. Nachweislich durch Geldzahlungen und Drohungen sche Einheit handelt, dürften die Enthül - lungen über die geheimen Kommando - aktionen auch die deutsche Bundesregie - rung in Verlegenheit bringen. Schon seit Sommer 2009 sind rund 300 Mann der TF 373 in Masar-i-Scharif auf dem Gelände des deutschen Feldlagers Camp Marmal stationiert. Strategisch günstig und abge - schirmt haben sich die Jäger direkt am Flugfeld positioniert und operieren von dort aus im Regionalkommando Nord, das unter deutscher Führung steht. Die Stationierung war von Beginn an

heikel und blieb auch unter Verteidi - P D D

/ gungsminister Karl-Theodor zu Gutten - R E L berg ein Nichtthema. Einzig bei einem E P P A K

Truppenbesuch im November 2009 sagte L E A

der Minister vage, die Deutschen seien H C I für „jede Hilfe der US-Armee dankbar“. M Nachfragen zur TF 373 waren nicht er - Bundeswehrausbilder, afghanische Polizisten beim Training: Demoralisierte Truppe wünscht. Dabei hatten die Elitekämpfer gerade wurden in den Wochen danach mehrere der Aufständischen, formierte sich der mit Hilfe einiger von ihnen trainierter af - Taliban eliminiert. Widerstand gegen die internationale ghanischer Einheiten fünf Tage lang den Die Regierung in Berlin schweigt bisher Truppenpräsenz – das geht aus zahlrei - Taliban-Hort Gul Tepa nordwestlich von zur Ausweitung der Kampfzone im deut - chen Meldungen hervor, die davon be - Kunduz aus der Luft und vom Boden aus schen Sektor. Gegenüber dem Parlament richten, wie der Bevölkerung für aktive unter Beschuss genommen. Es gab rund beharrte die Regierung noch im Herbst Unter stützung der Aufständischen Geld 130 Tote, laut US-Armee alles Aufständi - 2009 darauf, der „Kernauftrag“ der Task geboten wird. sche. Die Bundeswehr hatte sich gewei - Force 373 sei lediglich die „Aufklärung 700 Dollar offeriert etwa die von al- gert, bei dem Einsatz mitzumachen. Die und Festsetzung von Personen, die Qaida Qaida unterstützte Terrorgruppe Islami - von einem US-Major vorgestellten Pläne oder gegebenenfalls der Führungsriege sche Bewegung Usbekistans in der Grenz - sahen nach einem gezielten Vernichtungs - der Taliban angehören“. provinz Takhar im Zuständigkeitsbereich schlag gegen die Taliban aus. der Bundeswehr den Einwohnern, falls In den geheimen Militärakten finden HILFLOSE DEUTSCHE diese helfen, die logistischen Hauptver - sich nur zwei Erwähnungen der mehr - Auch die Geschichte des deutschen Ein - kehrswege der Isaf-Truppe mit Straßen - tägigen Operation mit den geografischen satzes in Afghanistan lässt sich aus dem bomben zu verminen: „Afghanen aus der Koordinaten von Gul Tepa. Die Task elektronischen Kriegstagebuch der Ame - Gegend sollen die Sprengsätze platzieren, Force selbst wird in den Einträgen nicht rikaner ablesen. Sie enthält ausweislich weil sie vergleichsweise unauffällig sind. erwähnt, wohl aber der Abwurf von meh - der Dokumente allerdings keine bislang Gezündet werden sie dann durch die Spe - reren Bomben. unbekannten Gewaltexzesse etwa gegen - zialisten“, verrät ein Isaf-Zuträger in ei - Die Operation wurde zu einem Mus - über der Zivilbevölkerung und auch kei - ner Meldung. In Chapchi, einem Ort in tereinsatz für die kommenden Monate. ne illegalen Geheimoperationen, an de - der Provinz Badakshan und ebenfalls im Die US-Einheiten machten Jagd auf Tali - nen die Deutschen teilgenommen hätten. deutschen Zuständigkeitsbereich, lobte ban, die Deutschen erfuhren von den Aber die Dokumente machen deutlich, ein Taliban-Kommandeur sogar 1000 Dol - nächtlichen Aktionen nur durch die ge - wie unvorbereitet die Deutschen in die - lar für die erfolgreiche Durchführung ei - sperrten Operationsräume und die im sen Krieg zogen und warum ihr Auftrag nes Angriffs aus. Viel Geld in einem Land Lager Kunduz gut zu hörenden Detona - am Ende wohl unerfüllbar bleibt. mit weniger als 500 Dollar durchschnitt - tionen. Die Berichte von der Front erklären lichem Jahreseinkommen. Neuerdings werden sogar gezielte Tö - eindrucksvoll, warum die westliche Al - Fanatische Überzeugung und finanziel - tungen ganz offen behandelt. Nachdem lianz in Afghanistan an vielen Orten le Anreize greifen in der Kriegsmaschi - Spezialeinheiten in der Nacht zum 29. plötzlich mehr Feinde als Freunde hat. nerie oft genug ineinander: „Wenn ihr Mai den neuen Taliban-„Schattengouver - Sie machen aber auch klar, dass es den noch Würde im Leib habt, tut euch zu - neur“ von Baghlan, nur eine Autostunde in ihrem Selbstverständnis gottesfürch - sammen und greift den Feind an, atta - südlich von Kunduz, getötet hatten, mel - tigen Taliban selten um Religion, dafür ckiert ihn mit „Stinger“-Raketen, koste dete Kabul, das Ende von Mullah Jabar aber häufig um ein zusätzliches Einkom - es was es wolle, 150 000 oder 200 000 Dol - sei durch „präzise Luftschläge“ herbeige - men und um größere Machtanteile in die - lar, ich bezahle“, fordert etwa der War - führt worden. sem komplizierten Land geht. lord Gulbuddin Hekmatjar die getreuen Der Führung des deutschen Isaf-Kon - Kenntnislos und naiv war die deutsche Anhänger seiner Hisb-i-Islami in der Pro - tingents wurde die gezielte Tötung von Armee in den Konflikt gestolpert. Die vinz Logar auf. Es ist Mitte März 2006,

der spiegel 30/2010 75 Titel und die Widerstandsbewegung lahmt Landes, aber ihre Macht ist auch im Nor - jedenfalls übernimmt sein bisheriger noch immer gewaltig. den zu spüren. Ein Vertreter der Haqqa - Stellvertreter Mullah Salam die Befehls - Hekmatjar ist ein Veteran. Er hat be - nis trifft sich laut einem Isaf-Zuträger mit gewalt – die Isaf-Informanten verfolgen reits gegen die Russen gekämpft und nach den Aufstandsführern der Provinz Kun- den Staffelwechsel sehr genau. deren Vertreibung im Machtkampf um duz, den Taliban-Kommandeuren Mullah Und Salam führt ein strenges Regi - Kabul die Hauptstadt in Schutt und Asche Rustam und Mullah Salam. Dort haben ment: Danach müssen seine untergebe - gelegt. Nun ist er – bis auf weiteres – ein die Deutschen die meisten ihrer getöteten nen Kommandeure vor jeder Aktion de - unbeugsamer Feind der Amerikaner. Soldaten durch Anschläge, Hinterhalte tailliert ihre jeweiligen Pläne erläutern, Mehr als durch die aufpeitschenden und Schießereien verloren. deren Erfolgsaussichten diskutieren – und Worte des in der Provinz Kunduz gebo - Bereits 2005 gibt es Warnungen, dass seine Zustimmung einholen. renen Islamisten dürfte die Kampfeslust Rustams Kämpfer Anschläge planen. Sowohl Mullah Salam wie Mullah Rus - seiner Gefolgsleute im Norden durch die Spitzel berichten von bevorstehenden tam stehen auf der JPEL-Liste der Al- an jeden Gruppenführer verteilten liierten weit oben. Deutsche Soldaten des 100 000 bis 500 000 Afghani (2000 bis Kommandos Spezialkräfte (KSK) haben 10 000 Dollar) befeuert worden sein. Wor - mehrfach versucht, sie zu fassen, ohne te und Investitionen des spendablen Ex - Erfolg. tremisten wurden sorgsam in den Doku - In dem am Anfang des Einsatzes von menten festgehalten. Bundeswehrsoldaten noch als „Bad Während die Afghanen 2006 noch im - Kunduz“ verspotteten Städtchen ist es mer zögerten, sich in die neue kriegeri - mit der Ruhe jetzt vorbei. In einer „Ein - sche Auseinandersetzung zwischen dem schätzung der Bedrohungslage“ vom 31. Westen und den Islamisten zu werfen, Mai 2007 – die einzige ausführliche Lage - spielten ausländische Kämpfer, Araber, einschätzung der Deutschen im gesamten Tschetschenen, Usbeken und chinesische Material – kommen die Militäranalytiker Uiguren, von Anfang an eine Schlüssel - nach drei Selbstmordanschlägen, bei rolle. Es sind ideologische Hardliner, die denen drei deutsche Soldaten und meh - al-Qaida nahestehen. Sie verfügten über rere Afghanen starben, zu eindeutigen einen Erfahrungsschatz mit Sprengstoff - Ergebnissen.

anschlägen und Selbstmordattentätern, S „Entgegen den Erwartungen des Re - S E R

wie er in Afghanistan bis dahin weithin P gionalkommandos Nord und wie vom

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unbekannt war. Die tödlichen Techniken S Wiederaufbauteam Kunduz vorhergese -

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E aus dem Irak-Krieg wurden so an den Y hen, halten die Attacken der Aufständi - A H A

Hindukusch transportiert. L schen an“, heißt es darin, weitere An - E D

Die berüchtigten ausländischen Kämp - C schläge, speziell gegen Isaf-Truppen seien U fer werden im Logbuch des Krieges erst - L „sicher zu erwarten“. mals am 15. Juli 2005 auch im Norden Es gehe den Aufständischen nun auch des Landes gemeldet. Fünf Tschetsche - darum, heißt es in der Lagebeurteilung, nen seien in die Stadt Kunduz gekom - die Bevölkerung einzuschüchtern und men, sie sollen moderne Waffen an einen von der Zusammenarbeit mit den Isaf- Taliban-Kommandeur übergeben und Truppen abzuhalten. Die Strategie, zivile das Uno-Büro angreifen. Der angeblich Opfer unter den Einheimischen mög - geplante Anschlag findet zwar nicht statt, lichst zu vermeiden, hätten sie abgelegt: doch der beschriebene Transfer von tech - „Aus Sicht des Wiederaufbauteams Kun- nischem Know-how und neuen Waffen - duz gilt das nicht mehr.“ Vielmehr ver - S R E

systemen an die Taliban wird später we - T suchten die Aufständischen, einen Keil U E sentlich zur deutschen Misere in Kunduz R zwischen die Bevölkerung und die Trup - beitragen. Aufstandsführer Mullah Omar, Hekmatjar, pen zu treiben, was ihnen auch zu gelin - Auch Sirajuddin Haqqani steht mit der Haqqani (r.): Tödlicher Erfahrungsschatz gen scheine: „Die lokalen Medien be - Internationalen des Dschihad im Ver - richten und agitieren erstmals gegen Isaf bund. „Siraj“ ist der Sohn des legendären Angriffen mit Motorrädern und Fahrrä - und die USA.“ afghanischen Mudschahidin-Führers Ja - dern auf das deutsche Wiederaufbauteam Die abschließende Prognose hat bis laluddin Haqqani. Auf der von den Al - in Kunduz unter seiner Regie. heute Gültigkeit: „Die Sicherheitssitua - liierten erstellten Liste von Zielpersonen, Die Mehrzahl der Meldungen warnt tion in der Provinz Kunduz wird immer die getötet oder festgesetzt werden sollen, vor ganz konkreten Hinterhalten und im - brüchiger und ist nicht stabil.“ ist er im elektronischen Kriegstagebuch provisierten Sprengfallen, es gibt aber Im Jahr 2008 hat sich der Widerstand im „Rang 1“ verzeichnet. Damit gehört auch Hinweise auf Entführungen – ge - auch im Norden endgültig etabliert. Ge - er zu den vom westlichen Bündnis am fährdet sind etwa Mitarbeiter der deut - heimdienstquellen melden, dass eine meisten gesuchten Terroristen. schen Entwicklungshilfegesellschaft GTZ. Gruppe von 45 Aufständischen gerade im Zwar konzentrieren sich die Kämpfer Doch aus Sicht der Taliban erweist sich pakistanischen Waziristan Deutsch-Un - der Haqqanis vor allem im Osten des Rustam offenbar als nicht effektiv genug, terricht nimmt, um sich dann als Über - setzer einzuschmuggeln. Weitere 70 Ex - tremisten absolvierten gerade Fahrstun - den, um bei afghanischen Sicherheits- kräften als Fahrer anzuheuern. 2009 ver - schärft sich die Gefahrenlage jedoch noch einmal. In einem Bericht des militäri - schen Nachrichtendienstes im Isaf-Haupt - quartier in Kabul äußert sich der Verfas - Meldung über Taliban-Verbindung zum Haqqani-Netzwerk ser Anfang Mai darüber besorgt: „Die ge -

76 der spiegel 30/2010 GETTY IMAGES Amerikanische Kampfdrohne „MQ-9 Reaper“: Mehr Abstürze als zugegeben heimdienstlichen Erkenntnisse zeigen ein Über die Nacht vom 3. auf den 4. Sep - ruft, erscheint in den Militärprotokollen konkretes Risiko für deutsche Isaf-Trup - tember 2009, in der sich die bisher größte nur als ein Fall unter Hunderten ähnli - pen im betreffenden Raum.“ Tragödie dieses Bundeswehreinsatzes ab - cher Fälle. In der sich zuspitzenden Lage rufen spielt, finden sich allerdings nur karge Die Attacken gegen die Deutschen las - deutsche Patrouillen immer öfter nach Meldungen im Material der Amerikaner. sen nach dem Luftschlag kurzfristig tat - amerikanischer Luftunterstützung, im Der Chef des deutschen Wiederaufbau - sächlich an Intensität nach, die Taliban Jahr 2008 noch ein völlig neues Phäno - teams, Oberst Georg Klein, hatte damals haben ohne Zweifel schwere Verluste er - men im Norden: „Infanteriekompanie be - zwei amerikanische F-15 angefordert, die litten. Aber auch bei den Bundeswehr - richtet, dass ein Zug noch immer unter zwei im Flussbett feststeckende, von den soldaten in Kunduz bleibt die harte Kritik Feuer ist und die Stellung nicht halten Taliban entführte Tanklaster bombardier - an der Entscheidung ihres Obersts nicht kann ohne Luftunterstützung“, heißt es ten, wobei bis zu 142 Zivilisten starben. ohne Wirkung. Sie gehen nun zurückhal - zum Beispiel am 5. Oktober 2009 in einem Die Entführer hatten den Bewohnern der tender vor – auch das ist im Zweifel nicht der zahlreichen dramatischen Berichte aus Umgebung erlaubt, sich kostenlos Benzin die angemessene Reaktion. Denn aus den dem Wiederaufbauteam Kunduz. abzuzapfen. jetzt bekanntgewordenen Dokumenten Die Truppe ist in der zunehmend un - Die dazugehörige Meldung im Kriegs - geht klar hervor, dass die Sicherheitslage ruhigen Provinz mal wieder in Richtung tagebuch ist um 21.19 Uhr verfasst und im Norden Afghanistans immer schlech - Chahar Darreh unterwegs, wo die meisten nur wenige Zeilen lang: „Der Komman - ter wird. Taliban-Unterstützer leben, sie wollen deur des Wiederaufbauteams nimmt Wer die Afghanistan-Meldungen der mögliche Sprengsätze von den Straßen Kontakt auf mit dem Fliegerleitoffizier Bundesregierung an das Parlament mit räumen. Deutsche Aufklärer beobachten und autorisierte einen Luftschlag, nach - den Ereignissen aus den Protokollen der außerdem, dass der Gegner Verstärkung dem er sich versichert hat, dass keine Zi - Amerikaner vergleicht, erkennt rasch, holt. Die Soldaten melden, dass sie eine vilisten im Raum sind“, lautet der wich - dass der deutschen Öffentlichkeit viel ent - panzerbrechende „Milan“-Rakete abge - tigste Satz darin. Das sogenannte Battle geht: Die Berliner Stellen schweigen über feuert haben und dass einige Fein de da - Damage Assessment, also die Überprü - viele der Vorkommnisse, die nicht unmit - durch „besiegt“ werden konnten – was fung der durch das Bombardement er - telbar deutsche Soldaten, wohl aber die das genau heißt, wie viele Personen auf zielten Schäden, in diesem Fall nur per Region betreffen, in der sie stationiert der feindlichen Seite verwundet oder ge - Bildschirm, besagt, dass 56 Aufständische sind. Die sind aber besonders aussage - tötet wurden, bleibt offen. Zwei ameri - getötet wurden, 14 weitere in nordöstliche kräftig für die wahre Lage. kanische Jagdbomber vom Typ F-15 stei - Richtung flüchten konnten. In zahllosen Meldungen wird dort be - gen über den Angreifern auf, ihr Erschei - In der Fortschreibung des Zwischen - schrieben, wie die afghanische Polizei nen reicht, sie abzuschrecken. Solche Ge - falls einen Tag später wird erwähnt, dass und die Armee im Norden erbittert ge - fechte sind inzwischen Alltag im Norden. nach Medienberichten womöglich auch gen den immer weiter voranschreitenden Die Taliban überlegen, wie sie die Luft - Zivilisten getötet worden seien und dass Feind kämpfen. Deutsche Soldaten sind überlegenheit der Amerikaner brechen General Stanley McChrystal persönlich dann meist nur als Berater präsent oder und ihre Kampfjets attackieren können, in einer Videokonferenz mit dem deut - als Sanitäter, die Verwundete in den Feld - berichtet ein Nato-Informant. Doch ein schen General im Regionalkommando lazaretten versorgen. Taliban-Helfer, der tschetschenische Nord Aufklärung in der Frage der zivilen Tag für Tag werden Polizei-Checkpoints Kämpfer Qari Akha, der über eine ge - Opfer verlangt. Aber die ursprünglichen überfallen und beschossen, Patrouillen wisse technische Expertise verfügt, rät ih - Zahlen vom Tag vorher werden nicht geraten in tödliche Hinterhalte, Straßen - nen: „Die US-Flugzeuge sind zu schnell, mehr korrigiert. Was in Deutschland eine bomben explodieren. Die Zahl der ver - greift lieber die deutschen Hubschrauber leidenschaftliche Diskussion über den wundeten und getöteten afghanischen Si - an, die sind groß und langsam.“ Sinn des Bundeswehreinsatzes hervor - cherheitskräfte übersteigt um ein Vielfa -

der spiegel 30/2010 77 Titel ches die der deutschen Opfer und zeigt, verlangten Luftunterstützung, um den ges Jahr. Sie können mehr als 20 Stunden dass die eigenen Streitkräfte noch lange Absturzort und den „Raven“ kontrollie - in der Luft bleiben und ohne Warnung nicht in der Lage sein werden, den Frie - ren zu können. Während wir das vorbe - zuschlagen – etwa wenn westliche Trup - den zu erzwingen, und wie dicht das reiteten, bekamen die afghanischen Sol - pen in Feuergefechte verwickelt werden Land in Wahrheit erneut am Rande des daten kalte Füße und beschlossen, die Pa - oder Aufständische Straßenbomben plat - Bürgerkrieges steht. trouille nicht mitzumachen.“ zieren wollen. Und noch eins zeigen diese Zahlen: Die Bergung misslingt: „Wir versuchten Das Modell „MQ-9 Reaper“ ist mit vier wie wenig die Deutschen erreicht haben. eine Patrouille zu Fuß und im Fahrzeug jeweils 50 Kilogramm schweren „Hell- zusammenzustellen, die den ,Raven ‘ ber - fire“-Raketen bewaffnet und trägt zusätz - PANNENREICHE WUNDERWAFFE gen könnte. Es waren Informationen ein - lich noch vier 500-Pfund-Bomben, die Der geheime Lagebericht aus dem Regio - gelaufen, dass die Drohne von Aufstän - ihre Ziele mit Hilfe von Laser und dem nalkommando Ost liest sich zunächst wie dischen abgeschossen worden war, dass Navigationssystem GPS finden. Die größ - ein Routineprotokoll: „17. Oktober 2009: ein Anschlag in der Nähe geplant und der te Drohne, der „Global Hawk“, hat mehr Um etwa 13.00 Uhr erhielt die afghani - Vogel schon durch das Flussbett zum als 40 Meter Gesamtflügelspannweite, ihr sche Nationalarmee Informationen, dass Haus eines Taliban-Kommandeurs ge - Startgewicht beträgt über 14 Tonnen. ungefähr 20 Aufständische sich von ihrer schleppt wurde.“ Zwar macht sich die Pa - Amerikanische Militärs setzen immer Position in einem ausgetrockneten Fluss - trouille zur Rettung des teuren Fluggeräts stärker auf die leisen Killer. 185 000 Flug - bett nach Süden bewegten. Um etwa noch auf den Weg, muss aber schon bald stunden waren sie voriges Jahr im Irak 14.00 Uhr wurde (die Aufklärungsdrohne) abbrechen. und Afghanistan im Einsatz, dreimal so „Raven“ gestartet und flog direkt bis zu Die Afghanistan-Protokolle aus ame - lange wie 2006. Bald sollen es schon unserem Stützpunkt. Wir sahen keinen rikanischen Militär-Datenbanken ma - 300 000 Flugstunden pro Jahr sein. Feind im Flussbett.“ chen deutlich, dass auch eine vielgeprie - Doch die Superwaffen sind störanfällig. Doch dann gibt es offenbar Schwierig - sene Wunderwaffe wie die Drohnen we - Unfallberichte des US-Verteidigungsminis - keiten beim Flug des kamerabewehrten niger perfekt arbeitet als oft behauptet. teriums zeigen: Systemstörungen, Com - Spähers: „Während der „Raven“ unge - Der ehemalige Oberbefehlshaber Stanley puterfehler und menschliches Versagen fähr 300 Meter vom Stützpunkt entfernt McChrystal nannte die Aufklärer „au - kommen beim Drohneneinsatz häufig vor. umkehren wollte, verlor er plötzlich an ßerordentlich effektiv“. CIA-Direktor In den bisher geheimen Militärdoku - Höhe und stürzte ab.“ Leon Panetta sagte gar, die Drohnen sei - menten wird wiederholt von Abstürzen Jetzt wird es hektisch: „Wir versuchten en das wichtigste Mittel im Kampf gegen und technischen Problemen berichtet, so unverzüglich, eine Fußpatrouille zu or - al-Qaida. am 20. November 2008, als ein „Preda - ganisieren, um den Vogel zu retten. An Rund 20 „Predator“-Drohnen fliegen tor“ mit einer „Hellfire“-Rakete an Bord der Patrouille sollen 6 US-Soldaten und derzeit ständig über das bergige Gelände auf das Flugfeld in stürzte. Der 40 afghanische Soldaten teilnehmen. Wir Afghanistans, doppelt so viele wie vori - Betrieb dort muss eingestellt werden. Am 27. Dezember 2008 erhält die Task Todesopfer bei Sprengstoffanschlägen der Aufständischen Force Currahee einen Bericht von Droh - Hoher Blutzoll nenlenkern, dass das Fluggerät „Sha - Zivilisten * dow“, Nummer 2086, Maschinenproble - Afghanische Sicherheitskräfte * Opfer me hat – die Temperatur steigt massiv insgesamt* an. Während die Drohne auf die Militär - Alliierte Soldaten * basis Ghazni zufliegt, kann sie die Höhe 2004 bis 2009, 4459 nicht mehr halten, sie muss notlanden, nach Regional- 3,5 Kilometer von der Basis entfernt. kommandos 82 42 18 %!! Nicht nur der Verlust der wertvollen NORD 240 138 23 Hardware macht amerikanischen Militärs 141 104 35 $!! Sorgen. Gerade die kleineren Aufklä - rungsdrohnen sind vollgepackt mit hoch - KABUL OST #!! komplexer Computerelektronik. Sie sind WE ST eine Art fliegende Datenbank, die dem Feind nicht in die Hände fallen soll. 545 650 159 "!! Mehrere Typen, darunter auch der „Pre - dator“, verfügen über eine sogenannte SÜD ,!! Zero-out-Funktion, mit denen sich alle Daten per Fer nsteuerung löschen lassen. In ganz Doch das Sicherungssystem versagt, wenn Afghanistan* !! 1110 797 375 die Verbindung zwischen Kommandozen - trum und Drohne unterbrochen ist. +!! Um dem Feind keine wertvollen Infor - mationen zu überlassen, mündet deshalb * laut den geheimen US-Militärdaten beinahe jeder Drohnenabsturz in eine !!" !!# !!$ !!% !!& !!' aufwendige Bergungsaktion. Etwa am 11. März 2009: „Eine schnelle Einsatzgruppe versucht, den (notgelandeten) ‚Raven‘ zu finden, aber ohne Erfolg. Sie haben bis zum Sonnenuntergang gesucht. Sie wer - den den ‚Raven‘ weitersuchen, sobald der Morgen graut.“ Dagegen am 4. September 2009: „Pre - dator“-Drohne stürzt wegen eines ver - Bericht über ein Kommando von Selbstmordattentätern in Kabul muteten mechanischen Defekts ab. Über -

78 der spiegel 30/2010 S R E T U E R

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Y C N E G A

S W E N

K A W J A P Verletzte Zivilisten nach dem Anschlag auf die indische Botschaft in Kabul 2008: Volksprämien für jedes Attentat blick hergestellt. Sondereinheiten führen eine doppelbödige Politik – Pakistan ist könne in Afghanistan Fuß fassen und Pa - den Versuch an, die sensiblen Materialien beides gleichzeitig: Verbündeter der USA kistan so gewissermaßen in die Zange zu sichern. Eine ,Hellfire ‘-Rakete befand und Helfer ihrer Gegner. nehmen, unterstützt er alles, was den ei - sich an der Drohne. Um 00.50 Uhr sind Für diese These gibt es nun viele neue genen Einfluss in Kabul wahren und stär - alle sensiblen Gegenstände geborgen.“ Belege. In den Dokumenten wird deut - ken könnte. Und weil viele ISI-Strate- Nicht immer gelingen die Bergungs - lich, dass der pakistanische Geheimdienst gen nicht glauben können, dass die Ame - versuche so gut. Als am 22. August 2008 weiterhin der vermutlich wichtigste au - rikaner noch längere Zeit in Afghanistan eine kanadische Drohne drei Kilometer ßerafghanische Helfer der Taliban ist. Tat - bleiben werden – schließlich haben sie entfernt vom Militärstützpunkt Masum sache bleibt: Der Krieg gegen die afgha - den Beginn ihres Rückzugs bereits ange - Ghar abstürzt, versuchen die Soldaten, nischen Sicherheitskräfte, die Amerika - kündigt –, bleiben die Taliban ein paki- einen Bergungstrupp zusammenzustel - ner und ihre Isaf-Verbündeten wird noch stanisches Faustpfand für den künftigen len. Doch der braucht gar nicht erst aus - immer aus Pakistan heraus geführt. Das Einfluss auf Kabul. Nirgendwo wird das zurücken. Innerhalb von 22 Minuten ist Land liefert den Rückzugsraum für alle deutlicher als im Logbuch des Afghani - die Absturzstelle komplett abgeräumt, feindlichen Kräfte. stan-Krieges. alle Überreste sind von Einheimischen Und deren Aufmarsch-Glacis. Über die Ausweislich der Warnungen vor neuen beiseitegeschafft. pakistanisch-afghanische Grenze strömen Angriffen und Selbstmordanschlägen PAKISTAN – WASHINGTONS die neuen Rekruten der Taliban, darunter durch gegnerische Kräfte sind ISI-Abge - auch die gefürchteten ausländischen sandte dabei, wenn sich in Nord-Waziri - HEIMLICHER GEGNER Kämpfer. Die drei wichtigsten Gegner der stan Kommandeure von Gulbuddin Hek - Seit den Qaida-Anschlägen auf New York westlichen Koalitionsstreitkräfte, die Ta - matjar zum Kriegsrat treffen. und Washington steckt Afghanistans liban um Mullah Omar, die Kämpfer um So berichtet ein Dokument vom 1. Nachbarstaat Pakistan in einer Klemme. den ehemaligen Mudschahidin-Führer September 2007 über einen bevorstehen - Offiziell schließt sich das Land der welt - Gulbuddin Hekmatjar und die Milizen den Angriff einer Gruppe von Hekma- weiten Anti-Terror-Koalition an, die der der Warlord-Sippe der Haqqanis haben tjar-Kämpfern auf einen vorgeschobenen amerikanische Präsident George W. Bush wichtige Quartiere und Einsatzzentralen Posten der Alliierten in der Provinz Ku - geschmiedet hat. Inoffiziell aber sind in Pakistan. nar, der afghanischen Nachbarprovinz die pakistanischen Sicherheitskräfte die Auch Osama Bin Laden, der ursprüng - zum pakistanischen Peschawar. Der Schutzherren jener Taliban, die Osama liche Anlass dieses Krieges, hat danach Überfall ist aufwendig und präzis ge - Bin Laden und seinen Terroristen Asyl Aufnahme in Pakistan gefunden und plant: Gleich vier Selbstmordattentäter gewährt haben. Ohne Hilfe aus dem mischt noch immer mit im Alltag des sollen zum Einsatz kommen, und der In - Nachbarland, so viel ist richtig, gäbe es Dschihad gegen die Ungläubigen. Mal, formant der Amerikaner kennt sogar keine Taliban. Der pakistanische Geheim - behaupten die Dokumente, plane er ei - ihre Herkunft – ein Pakistaner, ein Ara - dienst, Directorate for Inter-Services In - nen Giftanschlag auf seine Feinde – mit ber und zwei Afghanen. Es soll einen telligence (ISI), hat die Taliban mitauf - einem Gift, das ihm zu Ehren „Osama Raketenangriff geben, aber auch Artil - gebaut und eingesetzt, als nach dem Ab - Kapa“ genannt wird –, mal soll er einem leriebeschuss. Zum Schluss sollen Fuß - zug der Sowjets aus Afghanistan das besonders eifrigen Talib eine Frau ge - soldaten den Außenposten stürmen und, Land im Bruderkrieg der siegreichen schenkt haben. Der Aufständische hat wenn möglich, gegnerische Soldaten ge - Mudschahidin versank und ein Macht - wirksame Sprengfallen mit Fernzündung fangen nehmen. vakuum drohte. entworfen. Die chinesische Munition für die Kämp - Und trotz aller Beteuerungen pakista - Der pakistanische Geheimdienst pflegt fer hat der pakistanische Geheimdienst nischer Politiker, die alten Verbindungen beste Beziehungen zu allen Gruppen. In geliefert, und wer bezahlt, will auch die wären längst gekappt, betreibt das Land der stetigen Angst, der Erzrivale Indien Kontrolle behalten. Deshalb wird ein Of -

der spiegel 30/2010 79 S R E T U E R Taliban-Kämpfer: Motorräder von den Freunden aus Pakistan fizier des ISI den Angriff beobachten und der Taliban entworfen und ist, ausweis - Der ISI erlässt auch präzise Mordbe - den Kämpfern mit Ratschlägen zur Seite lich des Logbuchs, auch verantwortlich fehle. Ganz oben auf der Liste steht, den stehen. für den Einsatz von Selbstmordatten - Dokumenten zufolge, der afghanische Pakistans Westprovinz Belutschistan tätern. Warum also sollten ausgerechnet Präsident Karzai. Ross und Reiter werden gilt als das Rückzugsgebiet des Taliban- pakistanische Sicherheitskräfte Mullah ebenfalls genannt, am 21. August 2008 Chefs Mullah Omar. In der Stadt Quetta Baradar am 8. Februar 2010 verhaften? zum Beispiel. In dieser Warnung heißt es tagt, zumindest in den ersten Jahren Viele Beobachter glauben, der pakista - lapidar: Ein Colonel des ISI habe „den nach der Flucht regelmäßig einmal im nische Geheimdienst habe zugeschlagen, Talib Maulawi Izzatullah angewiesen, da - Monat, die Schura, das Entscheidungs - nachdem der Mullah Gesprächskontakte für zu sorgen, dass Karzai ermordet wird. gremium der Taliban. Einige der Doku - zum afghanischen Präsidenten Hamid Izzatullah hat Abdulbari aus dem Distrikt mente, etwa die Anschlagswarnung vom Karzai aufgenommen hatte. Stimmt diese Sarowbi mit der Aufgabe betraut, Karzai 16. August 2006, behaupten sogar, dass Interpretation, dann wäre das ein deutli - mit einer Selbstmordmission am Präsi - Qaida-Chef Osama Bin Laden regelmä - ches Signal des ISI an die Taliban und dentenpalast umzubringen“. ßig an dieser Versammlung teilgenom - ihre Verbündeten: Nichts läuft ohne uns. Immer wieder geht es gegen Pakistans men habe, was allerdings auch den ame - Wer das Material durchforstet, hat die - Erzfeind: Indien. Den Dokumenten zu - rikanischen Nachrichtensammlern ver - sen Eindruck ohnehin. In Dokument auf folge weist der Geheimdienst seine afgha - dächtig erscheint: Sie versehen die Infor - Dokument ist es der ISI, der den Kriegs - nischen Verbündeten an, Inder, die in mation mit der Klassifizierung 3F – nicht verlauf lenkt, und eine seiner bevorzug - Afghanistan arbeiten, umzubringen – zu überprüfen. ten Waffen sind Selbstmordattentäter. durchaus auch gegen Belohnung: Den Einer, der mit Sicherheit an der Schura Häufig ist es der Geheimdienst, der sie Kämpfern des Haqqani-Netzwerks ver - teilgenommen hat, ist Mullah Baradar, losschickt. Etwa in einer Warnung vom spricht der ISI viel Geld für die Liquidie - ein Schwager von Mullah Omar und ehe - 30. Oktober 2007. Dort heißt es: „AQ (al- rung von Indern. Auch alle indischen maliger Militärchef der Taliban. In den Qaida) und ISI haben eine Angriffsgruppe Konsulate in Afghanistan, von indischen Dokumenten wird er als Vorsitzender der gebildet, die ‚General‘ genannt wird. Die Arbeitern erbaute Straßen und ein von Schura beschrieben, der „die Finanzie - Gruppe umfasst sechs Selbstmordatten - Indern eingerichtetes Telefonnetz sind be - rung, die Beschaffung und Verteilung von täter, zwei davon Chinesen, zwei Usbe - vorzugte Anschlagsziele des ISI. Nur in Waffen, Munition und anderer Vorräte ken, die anderen Araber. Die Selbstmord - der Warnung vor einem Anschlag auf die überwacht“. Und: Mullah Baradar ist ein bomber sind in (die Provinz) Khost ein - indische Botschaft in Kabul, dem am 7. Vertrauter des ISI. Er hat die Strategie gedrungen.“ Juli 2008 dann tatsächlich 58 Menschen zum Opfer fallen, fehlt ein Hinweis auf die Urheberschaft des ISI. Die Warnung kommt aus Geheimdienstkreisen des pol - nischen Isaf-Kontingents. Auch Anschläge auf strategische Ziele werden angeordnet, Dämme etwa, wich - tige Überlandstraßen, die Stromver - sorgung von Kabul. Zuweilen lässt der Information über den ehemaligen pakistanischen Geheimdienstchef Gul Geheimdienst eher überspannte Atten -

80 der spiegel 30/2010 USBEKISTAN TADSCHI- Kriegsgebiet KISTAN Afghanistan und das pakistanische Grenzgebiet mit im Text Faizabad tatspläne entwickeln: So sollen ISI-Agen - erwähnten Orten Masar-i- Kunduz ten angeregt haben, Trinkwasser zu ver - Scharif Balkh Badakhshan und Provinzen Regional- Kunduz giften oder auch alkoholische Getränke, kommando die auf dem Schwarzmarkt verkauft wer - TURKMENISTAN den. Für alle Anschläge, einschließlich Führungsnation (Stand Juli 2010) Baghlan der Selbstmord attentate gegen die frem - den Truppen, gibt es Geld; allerdings schwanken die Berichte über die Höhe Kunar der Belohnungen beträchtlich. Zwischen Jalalabad 15 000 und 30 000 Dollar will der ISI an - Herat Kabul geblich an die Kämpfer des Haqqani- WESTST Nangarhar Netzwerks pro Anschlag auf Inder zahlen. Peschawar Eine Sonderrolle spielt in den Doku - ITALIEN AFGHANISTAN Ghazni Paktia menten Pakistans ehemaliger Geheim - Ghazni Khost dienstchef Hamid Gul. Während des Sarowbi Kampfs der Mudschahidin gegen die so - wjetische Besatzungsmacht in Afghani- Waziristan stan war der einstige Armeegeneral einer PAKISTAN der wich igsten Helfer der Widerstands - Kandahar kämpfer und leitete von 1987 bis 1989 den Masum Geheimdienst. Gegenüber westlichen Me - SÜDWEST Ghar dien zeigte sich Gul später als eine Art IRAN USA SÜD Propagandist der Taliban und als jemand, GROS Belutschistan der viel Verständnis für ihren Kampf 100 km BRITA gegen die Amerikaner entwickeln konnte. Die USA werfen ihm vor, Beziehungen Quetta zur Terrororganisation al-Qaida zu unter - halten. Auch in den jetzt vorliegenden Doku - menten taucht Gul als Verbündeter, ein - mal sogar als „ein Anführer“ der Taliban der angeblichen Rekrutierung von Kin - Feind hat die Initiative ergriffen und ver - auf. Er koordiniert, behauptet jedenfalls dern als Selbstmordattentäter? Sie sollen strickt die größte westliche Armee in im - ein Bedrohungsbericht vom 14. Januar angeblich mit Sprengstoffwesten losge - mer neue Gefechte. Die Amerikaner ver - 2008, die geplante Entführung von Uno- schickt werden, die dann aus der Ferne suchen, die Führung zurückzugewinnen, Mitarbeitern auf dem Highway Nr. 1 zwi - gezündet würden. Auch das ein Werk verstärkt durch Drohnen und den Einsatz schen Kabul und Jalalabad. 15 bis 20 Tali - des pakistanischen Geheimdienstes, der von „Hellfire“-Präzisionsraketen. Sie tö - ban sollen die Fahrzeugkolonne der Welt - sich ansonsten vor in- und ausländischen ten gezielt viele Taliban-Führer in der organisation stoppen und die Insassen mit Bewerbern für das Martyrium gar nicht Hoffnung, damit die ganze Bewegung zu ihren Waffen bedrohen. Pardon wird nicht retten kann? Hat der ISI wirklich Frauen schwächen. In der Südprovinz Helmand gegeben: Sollten die Taliban bei der Ent - aufgefordert, Sprengstoffwesten unter haben Taliban-Kommandeure eine beson - führung auf Widerstand stoßen, „werden ihrer Burka zu verstecken, hat es jenen ders geringe Lebenserwartung. die TB-Mitglieder die AK47-Gewehre nut - Sprengsatz wirklich gegeben, den ISI- Doch die Aufständischen kontern jede zen, um den Widerstand zu bekämpfen Agenten liebevoll in einer goldenen strategische Bewegung der Amerikaner oder die Geiseln zu töten“. Koran-Attrappe versteckt haben sollen? schnell und clever. Die Umkehr der Kräf - Der General a. D. versorgt seine Schütz - All das ist nachzulesen in den Agenten - teverhältnisse gelingt nicht, selbst den linge, den Berichten zufolge, auch wei - berichten, die die Amerikaner hier ver - Verlust ihres grausamen Militärbefehlsha - terhin mit Waffen. So erwähnt ein Infor - sammelt haben. Entspricht es auch der bers, des einbeinigen Mullah Dadullah, mant, dem die Verfasser der entsprechen - Wahrheit? Nicht alle Dokumente aus die - haben die Guerilla-Krieger überwunden. den Meldung allerdings nicht vollständig ser Schatzgrube sind über jeden Zweifel Gegenüber dem Wendejahr 2006, in dem trauen, dass Gul eine Fahrzeugkolonne erhaben. die Taliban eine Lawine der Gewalt ent - von 65 Lastwagen mit Munition für die * fesselten, konnten sie ihre Angriffsfre - Taliban organisiert habe. Anderswo ist Eines zeigt das Protokoll des Kampfs um quenz bis 2009 noch einmal um das mehr davon die Rede, dass der ISI 1000 Motor - Afghanistan aber überdeutlich: Der Krieg als Vierfache steigern – dabei sind die räder an die Haqqanis geschickt oder läuft nicht gut für die Amerikaner und meisten Opfer afghanische Zivilisten. 7000 Waffen in die Grenzprovinz Kunar die internationale Schutztruppe. Der Dieses letzte in den Dokumenten auf - geliefert habe, darunter Kalaschnikows, gezeichnete Jahr ist das bisher tödlichste Mörser und Raketen vom Typ „Strella“. in Afghanistan. Die westliche Allianz ver - Doch es sind gerade die zuweilen allzu liert 521 Soldaten, davon sind 317 Ameri - durchsichtigen Versuche, die Taliban-Hel - kaner. Die Zahl ist allerdings nur ein fer vom ISI als finsterste Unmenschen Bruchteil der Zahl jener Kämpfer, welche erscheinen zu lassen, die auch Skepsis die Taliban verlieren, viele Tausende gegenüber den Dokumenten hervorru - wurden bereits bei Bombenabwürfen und fen. Da berichtet der afghanische Ge - durch Raketen getötet. Und doch scheint

heimdienst am 29. Mai 2006 über eine R der Strom an neuen Fußsoldaten endlos. E L L

Kampagne des ISI, afghanische Schulen E Das bedeutet: Auf dem Schlachtfeld wird U M

niederzubrennen. Ist das wirklich das T erbitterter gekämpft als je zuvor. U N

Werk des eher säkularen Armeedienstes, K Matthias Gebauer, John Goetz, oder sind hier nicht doch religiöse Fana - Ehemaliger Geheimdienstchef Gul Hans Hoyng, Susanne Koelbl, tiker der Taliban am Werk? Was ist mit Anschlag auf Kabuls Stromversorgung Marcel Rosenbach, Gregor Peter Schmitz

der spiegel 30/2010 81