Sport

FUSSBALL Der schweigsame VfB-Stürmer Kurányi* Dompteur Spätestens seit dem Sieg über Manchester United zählt der Stuttgarter Trainer zu den Spitzenkräften seines Fachs. Mit ungewöhnlichen Methoden hat er Talente auf internationales Niveau gebracht. Dennoch ist der Coach verstimmt: Der Club bietet ihm keine langfristige Perspektive. ass Felix Magath, 50, nicht nur als Manchester United. Die Youngster des VfB Trainer des VfB Stuttgart „ein Stra- agierten derart abgeklärt, als gehörte das Dtege vor dem Herrn“ ist, wie es ihm Austaktieren von Edelkickern der Katego- sein Mittelfeldspieler Horst Heldt beschei- rie Ruud van Nistelrooy zu ihren Routine- nigt, sondern auch als Privatier erstaun- jobs. Nach dem 2:1 sagte selbst der noto- lich gut organisiert, bestätigte sich zu Be- risch mürrische Magath grinsend: „Wir ha- ginn der vergangenen Woche. ben gespielt wie eine Spitzenmannschaft.“ Eingehüllt in einen beigefarbenen Mantel Eine knappe Woche später sitzt der Trai- und einen roten Kaschmirschal, nutzte Ma- ner in der VfB-Gaststätte, vor sich einen gath, Vater von fünf Kindern, den trainings- Zwiebelrostbraten und ein Glas Johannis- freien Montag für einen ausgiebigen Streifzug beerschorle, und bekennt: „Das mit der durch die Stuttgarter Fußgängerzone – und Spitzenmannschaft habe ich leichtsinni- deckte sich gleich tütenweise mit Weih- gerweise so gesagt.“ nachtsgeschenken für seinen Nachwuchs ein. Magath, der ewige Mahner und Forde- Die Zielstrebigkeit, mit der Familien- rer, wundert sich dieser Tage über sich mensch Magath die Einkäufe für den 24. Dezember bereits Anfang Oktober auf seiner „To-do-Liste“ abgehakt hat, steht beispielhaft auch für sein Credo als Trainer des schwäbischen Traditionsclubs: „Über den Tag hinausschauen – und auf das Ab- sehbare vorbereitet sein.“ Das ist ein Weg, der offensichtlich zum Erfolg führt. Denn mit seiner systemati- schen Aufbauarbeit beim mit über 16 Mil- lionen Euro verschuldeten VfB Stuttgart hat „Magier Magath“ („Bild“) in den letz- ten zweieinhalb Jahren Spuren hinterlassen wie wenige Fußballlehrer vor ihm. Ge- messen am Auftreten der Süddeutschen bekommt selbst der Meistertitel des Dort- munder Jungtrainers Matthias Sammer im Mai 2002 im Nachhinein einen Stich.

Bei der Borussia war es eben doch das FIRO Geld, das die Tore schoss. Beim VfB ist es Trainer Magath, Alex Ferguson*: Eine Woche lang mit keinem Spieler ein Wort wechseln das Talent. Die Fachwelt ist verblüfft. Schon der selbst. Seltsam milde gab er sich sogar Coach mit etwas Abstand die Sorge, seine zweite Tabellenplatz hinter Bayern Mün- nach dem 0:0 gegen den dumpf bolzenden Spieler könnten schon bald einen Gang chen in der Vorsaison galt als Sensation. 1. FC Köln drei Tage nach der Manchester- zurückschalten, wenn er sich häufiger der- Dass der Erfolg nicht reproduzierbar sei, Gala, das den Club die Tabellenführung art gnädig gibt. Deshalb sagt Magath nun hielten Experten für ausgemacht. Nun aber kostete. „Ich kann meiner Mannschaft kei- auch: „Dass die Medien das 2:1 gegen Man- rangieren Magaths „Junge Wilde“ nach nen Vorwurf machen. Sie hat alles ver- chester zu einem historischen Ereignis ge- acht Spieltagen, als einzige Mannschaft un- sucht.“ macht haben, zeigt mir, dass man in Stutt- geschlagen und ohne Gegentor, mit einem Öffentliches Lob: Das hat es früher bei gart und Umgebung noch nicht selbstbe- Punkt Rückstand auf Spitzenreiter Werder ihm nicht gegeben. Und so beschleicht den wusst genug ist.“ Bremen auf Rang drei. So kennen ihn seine Spieler schon eher: Noch eindrucksvoller geriet indes der * Beim Champions-League-Spiel gegen Manchester Uni- bissig, grimmig, vergnatzt. Schließlich be- Auftritt in der Champions League gegen ted am 1. Oktober in Stuttgart. ruht die Autorität Magaths beim VfB auch

150 der spiegel 42/2003 Das ZDF wollte den VfB-Keeper präsen- tieren, weil Hildebrand – neuer Ligarekord – seit 825 Minuten ohne Gegentor geblie- ben ist. Magath legte sein Veto ein. Der Schlussmann sei ja bereits anderthalb Mo- nate zuvor in der Sendung interviewt wor- den. Außerdem, so knurrt er zur Begrün- dung, „weiß jeder, der etwas von Fußball versteht, dass die ganze Mannschaft daran beteiligt ist, dass wir noch kein Gegentor bekommen haben“. Auch Aliaksandr Hleb, 22, den mit Ab- stand spektakulärsten Fußballer beim VfB, reiht der Trainer bisweilen unsanft wieder ein ins Glied. So beanspruchte der Ball- virtuose aus Weißrussland nach dem Ab- schied des Spielmachers Krassimir Bala- kow im Sommer dessen zentrale Position – und reklamierte für sich das Trikot mit der Nummer zehn. Magath indes blieb stur: „Du musst eben so spielen, dass alle Fans deine Nummer 15 kaufen wollen.“ Ein taktischer Winkelzug. Denn der Trainer plante an Balakows Stelle mit ei- nem Akteur, den er bereits aus Frank- furter Zeiten kannte: dem erfahrenen Mit- telfeldmann Horst Heldt, 33, den er schon ein halbes Jahr zuvor aus dem österrei- chischen Vorruhestand bei Sturm Graz geholt hatte. Als Magath in den Vorberei- tungsspielen dann bemerkte, dass Hleb den neuen Kollegen an seiner Seite schnitt, dis- ziplinierte er den kapriziösen Osteuropäer erneut – und verbannte ihn zum Saison- start in Rostock schlankweg auf die Bank.

PETER SCHATZ / PS PRESS PETER SCHATZ Scheinbar unbeirrt geht Boxfreund Ma- gath so seinen Weg. Und weil seine Perso- auf der Distanz, die der Coach zu seinem von Ernst Happel übernommen“, erläutert nalentscheidungen der Mannschaft in letz- Kader hält – und die bisweilen in Sarkas- Magath, „denn eines ist mir klar gewor- ter Zeit eine Menge Siege beschert haben, mus umschlägt. den: Wenn ich länger quatsche, kann ich gilt unter den Spielern uneingeschränkt: In Hamburg, Nürnberg, Bremen und zuschauen, wie die Ersten vor mir weg- Der Trainer bestimmt, wir folgen ihm. Frankfurt, wo der Schachliebhaber zuvor nicken.“ Im Führungszirkel des VfB hingegen ver- als Trainer gearbeitet hatte, war Magath Damit es so weit nicht kommt, lässt der spürt der zur Ungeduld neigende Magath an seinen teils zynischen Kommentaren Coach seine Spieler gern zappeln. Wenn er Widerstand. Weil er seit dem Rauswurf des noch gescheitert. „Er hatte es übertrieben als Letzter den Konferenzraum des Fünf- Managers Rolf Rüssmann im vorigen De- mit seiner ätzenden Art“, erinnert sich ein Sterne-Hauses betritt, beenden die Spieler zember dessen Arbeit übernahm, ohne früherer Eintracht-Profi. schlagartig ihre Unterhaltungen. Magath dass sein Vertrag angepasst wurde, erwar- Beim VfB Stuttgart hingegen nimmt sich setzt sich vorn an einen Tisch. Er rührt sei- tete der Erfolgs-Coach spätestens im Mai Magath jetzt etwas zurück. Seitenhiebe, nen Tee um und schweigt: eine Minute, nach der Qualifikation für die Champions die verletzen, meidet er. „Ich kann mich zwei Minuten, fünf Minuten. League eine Reaktion der Vereinsbosse – besser als früher in die Spieler hineinver- Die meisten Spieler meiden seinen Blick. deutliche Gehaltsaufbesserung und großzü- setzen“, sagt der Mann, dessen Tor gegen Magath schaut von einem zum anderen, gige Verlängerung des bis 2004 gültigen Juventus Turin dem Hamburger SV im nippt an seinem Tee und stellt die Tasse Finale um den Landesmeisterpokal vor 20 wieder ab. Dann pickt er sich einen Spie- Jahren den bedeutendsten Titel der Ver- ler heraus, der seine Fragen beantworten einsgeschichte brachte. muss: Aufstellung des Gegners, Taktik, Gleichwohl: Es kann vorkommen, dass Stärken und Schwächen. „Wer darauf Magath, wie der Berater eines Jungprofis nichts erwidern kann“, sagt ein VfB-Profi, amüsiert berichtet, „eine Woche lang mit „der hat ein Problem.“ keinem der Spieler ein Wort wechselt“. Magath nennt das Spielchen drei Stun- Dann steht der Trainer schon mal wie der den vor dem Anpfiff „Reize setzen“. Nato-Oberbefehlshaber auf dem Rasen Wie gut der Dompteur seine aufstre- hinter dem Gottlieb-Daimler-Stadion, die bende Equipe im Griff hat, zeigt sich auch Hände hinter dem Rücken verschränkt, dann, wenn einer wegen auffälliger Leis- und überlässt seinen Assistenten die Regie. tungen mal wieder über die Maßen von Magath redet selten, und noch seltener den Medien gehätschelt wird.

debattiert er. Selbst bei den Sitzungen vor Seinem Torhüter Timo Hildebrand, 24, FIRO Heimspielen im „Hotel Am Schlossgarten“ etwa untersagte Magath am vorvergange- VfB-Torwart Hildebrand sind seine Ansprachen kurz. „Das habe ich nen Samstag den Besuch im „Sportstudio“. Besuch im „Sportstudio“ untersagt

der spiegel 42/2003 151 Sport

Kontrakts inklusive. Doch der Architekt des Stuttgarter Fußballbooms bekam nicht die erhoffte Offerte als Teammanager für die nächsten fünf Jahre. Denn die VfB-Spitze blieb uneins dar- über, wie weit sie mit den von Magath ge- forderten Vertragsverlängerungen der Füh- rungsspieler Kevin Kurányi, Andreas Hin- kel, Timo Hildebrand und , deren Kontrakte allesamt im Juni 2005 aus- laufen, gehen sollte – und bot dem vom FC Schalke umworbenen Coach die aufgewer- tete Stellung nur bis Saisonende 2004/05 an. Magath willigte ein. Dennoch sagt er heute: „Der Club hat eine Chance ver- passt. Es wäre ein Zeichen nach außen ge- wesen, zu sagen: Der Magath hat keine sil- bernen Löffel geklaut, fleißig ist er auch noch, mit dem arbeiten wir jetzt auf lange Sicht zusammen.“ So aber sei in Zukunft seine „Ausrichtung eine rein sportliche, mit allen Chancen und Risiken“. Auch wenn Magaths emotionale Bezie- hung zum VfB seither empfindlich abge- kühlt ist: Der Trainer hat in Stuttgart of- fenbar noch einiges vor. Denn seine Fä- higkeit, das Team auch ohne großes Geld gezielt zu verstärken und taktisch einen weiteren Schritt nach vorn zu bringen, hat Magath erneut bewiesen. Im Vergleich zum Hurra-Fußball des Vorjahres, als der VfB häufig unterschätzt wurde, hat Magath seiner Mannschaft für die laufende Saison einen eher defensiven Stil verordnet. Schon allein wegen der Doppelbelastung durch die Champions League hält der Coach diese „ökonomi- schere Ausrichtung“ für geboten. Von vier weithin unbekannten Feldspie- lern, die der gebürtige Franke neu ver- pflichtete, wurden drei rasch zu Stamm- kräften: Abwehrmann , 19, kam von den Amateuren des FC Bayern;

Seine Fähigkeit, das Team ohne großes Geld gezielt zu verstärken, hat Magath erneut bewiesen.

Mittelfeldspieler Jurica Vranjes, 23, saß bei Bayer Leverkusen meist auf der Bank; und Stürmer Imre Szabics, 22, kickte bei Sturm Graz in Österreichs Operettenliga. Dabei sind die Merkmale, auf die es Ma- gath beim Aufspüren namenloser Kicker ankommt, bisweilen nur schwer zu durch- schauen. Im vergangenen Winter etwa reiste er per Zug von Hamburg nach Dä- nemark, um einen Mittelfeldakteur von AB Kopenhagen zu beobachten. Der Kan- didat spielte gut. Für den VfB-Coach war die Observierung indes nach wenigen Mi- nuten erledigt. Denn der Mann, für den er sich interessierte, war der Einzige, der bei eisiger Kälte eine Mütze trug. „Der hätte drei Tore schießen können, er hätte uns trotzdem nicht weitergebracht“, sagt Magath, „die Mütze war das falsche Signal.“ Michael Wulzinger

152 der spiegel 42/2003