Das Literarische Porträt
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Das literarische Porträt Quellen, Vorbilder und Modelle in Thomas Manns Doktor Faustus vorgelegt von Thomas Schneider Von der Fakultät I - Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie – Dr. phil. – genehmigte Dissertation 1. Berichter: Prof. Dr. Norbert Miller 2. Berichter: Prof. Dr. Werner Röcke (HUB) Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 28.05.2004 Berlin 2004 D 83 LEERE SEITE Abstract The dissertation examines Thomas Mann’s literary technique of basing the characters in his novels on sources, examples and models, and uses the word “portrait“ to describe this process. It is built around the fact that Thomas Mann in his work resorted to autobiographical experiences and memories of relatives, friends, colleagues and contemporaries, and also based figures, scenarios and even the smallest details on original images and pictures. In this context, four areas can be distinguished which account for the various facets of the portrait-like manner in which the characters of Thomas Mann are formed: from the reactions of the person concerned and the surroundings, from the precise description in the novel of the characters based on example, from the analysis of the permutations and combinations of individual features thus undertaken, and from the self-depictions of the author, a poetology of the literary portrait is formed. Against the background of the contemporary practice of art in his environs, Thomas Mann’s affinity to fine arts blossomed. Not only Thomas Mann’s essays, letters or other musings on art, art theory and especially genre portrayals, but above all his own statements and definitions allow poetological positions and demarcations to become visible. The numerous fluctuating relationships reflected in his works are manifested in the conceptual fields of realism, replication of reality, and similarity. By concentrating on Doctor Faustus while charting the entire spectrum of literary portrait forms applied in the novel, a whole new way of looking at the various levels of meaning used heretofore in the novel may be obtained. An examination of the various interfaces between social reality and literary fiction makes it apparent that the use of an artistic vehicle such as the portrait not only helps provide the individual layers with a meaningful structure, but is also in itself an integral part of the novel. Zusammenfassung Die Arbeit untersucht Thomas Manns schriftstellerische Technik der Gestaltung von Romanfiguren nach Quellen, Vorbildern und Modellen und verwendet zur Beschreibung dieses Verfahrens den Begriff „Porträt“. Sie geht von der Tatsache aus, dass Thomas Mann auf autobiographische Erfahrungen und Erinnerungen an Verwandte, Freunde, Kollegen oder Zeitgenossen zurückgegriffen sowie Figuren, Szenerien und selbst kleinste Details nach Bildvorlagen gestaltet hat. Dabei geraten vier Bereiche ins Blickfeld, welche die verschiedenen Facetten der porträthaften Gestaltung der Figuren bei Thomas Manns ausmachen: Aus den Reaktionen der Betroffenen und des Umfelds, aus der konkreten Beschreibung der an Vorbildern orientierten Personen im Roman, aus der Analyse der dabei vorgenommenen Verschiebungen und Vertauschungen einzelner Züge sowie aus den Selbstdarstellungen des Autors ergibt sich eine Poetologie des literarischen Porträts. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kunstausübung in seinem Umfeld entfaltet sich Thomas Manns Verhältnis zur bildenden Kunst. Essayistische, briefliche oder sonstige Auseinandersetzungen Thomas Manns mit Kunst, Kunsttheorie sowie insbesondere der Gattung Porträt, vor allem aber seine Selbstaussagen und -definitionen lassen poetologische Positionen und Abgrenzungen sichtbar werden. Die vielfältigen Wechselbeziehungen, die sich in seinem Werk niederschlagen, manifestieren sich in den Begriffsfeldern Realismus, Wirklichkeits-Wiedergabe und Ähnlichkeit. Die Konzentration auf den Doktor Faustus sowie die Erfassung des gesamten Spektrums der im Roman verwirklichten Formen literarischer Porträts zeitigt eine neuartige Sicht auf die verschiedenen Deutungsebenen, die bislang auf den Roman angewendet wurden. Bei der Untersuchung der verschiedenen Schnittstellen zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und literarischer Fiktion wird deutlich, dass das künstlerische Mittel des Porträts nicht nur jeweils dazu beiträgt, die einzelnen Schichten der sinnhaften Struktur zu konstituieren, sondern ein integraler Bestandteil des Romans ist. Vorwort Thomas Manns Popularität ist, beinahe fünfzig Jahre nach seinem Tod, ungebrochen. Fortwährend hat es Anlässe und Ansätze in Hülle und Fülle gegeben, sich mit seinem Leben oder Schaffen auseinanderzusetzen, und nicht selten hat Thomas Mann selbst dafür gesorgt. So hatte nach Ablauf der von ihm verfügten zwanzigjährigen Frist die Edition der Tagebücher, deren Beginn mit dem hundertjährigen Geburtstag des Dichters zusammenfiel, eine wahre Flut von Veröffentlichungen zur Folge, die kaum mehr eine Gelegenheit offen zu lassen schienen, dem umfangreichen Schrifttum zu Biographie und Werk etwas Neues hinzuzufügen. Dennoch wuchs die Thomas-Mann-Literatur in einem Maße, das seinesgleichen sucht. Gerade in den letzten Jahren haben Jubiläen sowie vor allem runde Geburts- und Jahrestage Anlass für zahlreiche Publikationen gegeben, und man kann davon ausgehen, dass zukünftige Gedenktage einen ähnlichen populären wie wissenschaftlichen Niederschlag bewirken werden. Einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit seien hier stellvertretend genannt: So widmete sich das mehrtägige Kolloquium zum Doktor Faustus, das Anfang Juni 1997 von der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Berliner Konzerthaus anlässlich des 50. Jahrestages des Erscheinens des Roman veranstaltet wurde, nicht nur seinen musikhistorischen und -theoretischen Bezügen, sondern verdeutlichte auch seine Relevanz als kulturgeschichtliches Dokument des 20. Jahrhunderts. Ebenso machte die Doktor Faustus-Ausstellung des Thomas-Mann-Archivs der ETH Zürich durch die Präsentation des verwendeten Materials die vielfältigen Wirklichkeitsbezüge des Romans sichtbar. Im Jahre 1999 feierte der Fischer-Verlag „100 Jahre Thomas Mann bei S. Fischer“ ebenso wie den 100. Jahrestag des Erscheinens der Buddenbrooks im Jahre 2001 mit zahlreichen Sonderausgaben. Ebenfalls ins Jahr 2001 fiel die Publikation der ersten Bände aus der „Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe“ – der Beginn eines der bedeutendsten Verlagsprojekte des neuen Jahrtausends. Großes Publikumsinteresse erregte darüber hinaus die Ausstrahlung eines mehrteiligen Fernsehfilms von Heinrich Breloer über die Familie Mann: Mit Hilfe der Aussagen von Zeitzeugen sollte historische Wirklichkeit rekonstruiert und Leben und Werk Thomas Manns halbdokumentarisch illustriert werden. Schließlich zeichnet sich der 50. Todestag Thomas Manns im Jahr 2005 ab, und schon jetzt ist zu erwarten, dass die literarisch interessierte Öffentlichkeit dieses Ereignis gebührend begehen wird. Allen diesen Projekten ist gemein, dass sich die Verantwortlichen der repräsentativen, weit über das literarische Werk hinausgehenden Bedeutung des Lebens Thomas Manns bewusst sind. In diesem Sinne stellt gerade der Doktor Faustus durch seine einzigartige Erfassung gesellschaftlicher Verhältnisse ein wenn nicht unbedingt authentisches, so doch wertvolles kulturhistorisches Dokument dar. Thomas Mann ist es in diesem Roman nicht nur gelungen, ein breites Spektrum an Charakteren vorzuführen, die einen Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit seiner Zeit repräsentieren, sondern darüber hinaus eine kontrovers diskutierte Deutung zeitgeschichtlicher Ereignisse und Entwicklungen mitzuliefern. Seine besondere Brisanz bezieht dieser Entwurf aber gerade aus der Nähe der fiktiven Welt des Romans zur außerliterarischen Realität, die unter anderem durch die Orientierung der Figurenzeichnung an konkreten Vorbildern und die Gestaltung des Romanpersonals nach Modellen gestiftet wird. Nicht zuletzt aus diesem gesellschaftshistorischen Interesse heraus ergibt sich die Konsequenz, das poetologische Verfahren Thomas Manns im Doktor Faustus sichtbar zu machen und mit Hilfe des Begriffs „Porträt“ zu fassen. Da Thomas Mann tatsächlich zahllose geistige Strömungen seiner Zeit aufnahm und in fast enzyklopädischem Umfang in sein Werk einarbeitete, darf er in gewisser Weise durchaus als Repräsentant deutscher Geschichte gelten. Der Begriff „Porträt“ dient dabei als Instrument, mittels dessen die Art und Weise, in der Thomas Mann ein Bild seines gesellschaftlichen Umfelds zu geben versuchte, beschreibbar wird. Angesichts der Fülle an Forschungsarbeiten über Thomas Mann, die jährlich bzw. fast monatlich erscheinen und immer neue Aspekte des Werks untersuchen, scheint es fast unmöglich eine eigene Arbeit zu präsentieren, die nicht bereits im Vorwort darauf verweisen müsste, dass diese oder jene neue Studie nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Sollte dies im Fall der vorliegenden Arbeit dennoch annäherungsweise gelungen sein, so verdankt sich dies der vielen aufmerksamen Augen und Ohren derer, die von dem Vorhaben des Autors nicht nur Kenntnis hatten, sondern mit Hinweisen, Rat und Tat dazu beitrugen. Eine wesentliche Förderung bedeutete die Gewährung eines NaFöG- Stipendiums, durch das die Arbeit eine wesentliche Beschleunigung erfuhr. Die Dissertation entstand am Institut für Literaturwissenschaft der Technischen Universität Berlin und wurde von Professor Norbert Miller mit viel Umsicht, Verständnis und Geduld betreut. Auch Professor Werner Röcke von