Porträt Der Schriftsteller Herbert Eulenberg (1876-1949) Ein "Ehrenbürger der Welt'' aus Kaiserswerth am Rhein Von Joseph A. Kruse, Düsseldorf

1.

Zu seinem Lobe ist vieles gesagt und geschrieben worden, doch war auch ein relativierender Tadel stets schnell bei der Hand. Der Berliner Theaterrezensent Alfred Kerr sparte während der Hochblüte des Naturalismus, dem Herber! Eulenberg seine neuromantisehe Dramatik entgegen­ setzte, zu Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts nicht an deutlich vernichtender Kritik, wobei er sich damals freilich von der Begabung des Beurteilten durchaus noch etwas Größeres erhoffte. Über den "Ritter Blaubart", ein Märchenstück von 1906, heißt es, Eulenberg sei "bald der kleine Herber! mit den Kinderaugen", "bald Privatdozent an der Universität". Der Dichter wird zuerst positiv charakterisiert, gleich darauf aber mit einer eindringlichen Mahnung ver­ sehen: "Ein blühender Rheinländer sind Sie, mit liebenswerten Eigenschaften". Das entziehe ihn nicht der Verpflichtung, "einmal etwas Starkes zu geben." In Klammern fügt Kerr erläuternd hinzu: "Statt vielerlei zu geben, was vielfältig ist ohne stark zu sein." Im anschließenden Hinweis nimmt er, dessen Treffsicherheit berüchtigt war, noch weniger ein Blatt vor den Mund: "Ihr Weg ist falsch, ändern Sie ihn. Wer seinen Mannessamen täglich opfert, zeugt vetwässerte Kinder." Und über das bürgerliche Lustspiel "Der natürliche Vater" von 1909 schreibt der bedeutende Kritiker, nunmehr ungeduldig und eher nichts Gutes mehr ahnend: "Immer zwecklos redend; immer völlig zerfahren; ungebändigt. Eulenberg sprießt herum, rankt, wuchert, schlingt, klet­ tert, platzt. Alles auf gut Glück hingeschrieben, auf gut Rotstift; alles nebeneinander sorglos gesetzt, wie's kommt, wie's fällt"; alles sei, so die niederschmetternde Summe für einen ambitionierten, wenn auch nochjungen Schriftsteller, wie bei "erfüllten Dilettanten der Dicht­ kunst".' Diesem Eindruck, dass eine große Begabung im Allerlei und Nebeneinander zerläuft, unter Umständen jedoch durch Konzentration und Intensität hätte Besseres und Überdauerndes leisten können, einem Eindruck, der übrigens in gleicher Weise für die anschließende Schaffens­ phase gilt, vermag sich auch der heutige Betrachter nicht zu entziehen. Jedenfalls spricht die - nicht etwa bloß durch die spätere nationalsozialistische Zeit mit ihren Schreibbehinderungen erklärbare, sondern bereits früher einsetzende- Wirkungslosigkeit eines unablässig produzie­ renden Autors Eulenberg für eine sich aus dem inzwischen völlig erloschenen Publikumsin-

1 Kerrs Kritik zit. nach Michael Matzigkeit: Literatur im Aufbruch. Schriftsteller und Theater in Düsseldorf zwischen 1900-1933. Düsseldorf 1990, S. 60.

Geschichte im Westen (GiW)Jahrgang 18 (2003), S. 116-123. © Rhein land-Verl ag GmbH, Köln.1SSN 0930-3286.

116 Der Schriftsteller Herbert Eulenberg ( 187 6 -1949) teresse ergebende Berechtigung von Kerrs Einschätzung. Für alles und jedes hatte Eulenberg einen Vers parat. In gewisser Weise holte ihn der allerletzte Schluss der vier Zeilen ,,Zum Geleit" vor dem ersten Aufzug von "Ritter Blaubart" ein (obwohl dem ganzen Stück selbstverständlich seine ausführliche und gereimte "Warnung und Zueignung" vorausgegangen war), der als Bescheidenheitsgestus vom Nichtgefallen spricht und am Wachrütteln scheitert:

Welch tollen Spuk hab' ich da aufbeschworen, Der Hölle lieh ich schaudernd meine Ohren Und rief's euch zu. Lasst ihr es widerhallen! Wachrütteln will ich euch und nicht gefallen?

Eine Wiederentdeckung als "deutscher Dramatiker", die Kurt Loup, dem damaligen Leiter des Düsseldorfer Dumant-Lindemann-Archivs zu Beginn des Jahres 1976 aus Anlass einer Gedenk­ ausstellung zum 100. Geburtstag des Dichters im Heinrich-Beine-Institut, allerdings im vollen Bewusstsein einer gewissermaßen tragisch vergeblichen Bemühung mit emphatischen, indirekt aber auch ironischen Reminiszenzen vorschwebte, war in der Tat von vornherein zum Scheitern verurteilt. 3 Die Dramen galten weiterhin als nicht mehr aufführbar; auch das übrige literarische Werk Herbert Eulenbergs, seine Erzählungen, Romane, Gedichte, Essays und Streitschriften - Sämtliches ist heute mehr oder weniger vergessen, obgleich vor allem seine biografisch­ interpretatorische Prosa durchaus Anerkennung verdient. Mit dem Titel "Schattenbilder" wur­ den auch noch jene 20 Musikerportäts überschrieben, die 1965 im Econ-Verlag, Düsseldorf und Wien erschienen und an die Tradition dieser Gattung seit 1910 anschlossen, wo sie den Untertitel "Eine Fibel für Kulturbedürftige in Deutschland" erhalten hatten. In den "Ausgewähl• ten Werken in fünf Bänden", die in den Jahren 1925f. beim Verlag Engelhorn in Stuttgart herausgegeben wurden, ist der vierte Band ( 1925) mit "Schattenbilder und Lichtbilder" über• schrieben. Hier sind unterschiedlichste Dichter, Maler, Musiker, Philosophen, Politiker, Thea­ terleute und Philanthropen in über 40 Beiträgen vereinigt. Eulenberg überspringt dabei sou­ verän die Grenzen von Ort, Zeit sowie einiger künstlerischen Felder und bietet ein ganzes Kaleidoskop der Künste und ihrer Vertreter auf. Ob Raimund, Nestroy und Stifter, Grünewald, EI Greco, Valesquez, Watteau und Tiepolo, Haydn, Offenbach und Liszt, Petöfi, Balzac, Walt Whitman und Leopardi, Nobel und Dunant, Ekhof, Iffland und Devrient, um nur jeweils eine Mischung sprechender Namen herauszugreifen- Eulenberg steht mit der kulturellen Tradition auf gutem Fuß und weiß sie beredt zu vermitteln. Gerade auf diesem Gebiet der Skizzen und Charakteristiken, die ihre kulturpädagogische Herkunft und den damit verknüpften Anspruch,

2 Herbert Eulenberg: Dramen aus der Jugendzeit Stuttgart 1925 (=Ausgewählte Werke in fünf Bänden, 2. Bd.), S. 277. 3 Herbert Eulenberg. Ein deutscher Dramatiker. 1876-1949. Eine Ausstellung im Heine-Haus Düsseldorf anläßtich der I00. Wiederkehr des Geburtstages von Herbert Eulenberg am 25. Januar 1976. Katalog: Joseph Anton Kruse, Kurt Loup, Helmut Röttger. Düsseldorf: Heinrich-Heine-lnstitut 1976.- Kurt Loup war als junger Mann selbst als Lyriker hervorgetreten und gar von belobigt worden (vgl. Loup­ Sammlung im Heinrich-Heine-lnstitut), dann aber in seiner Verwaltungsarbeit, wenn auch mit gelegent­ lichen thematischen Publikationen (z.B. über "Die Wohlbrücks. Eine deutsche Theaterfamilie", Düsseldorf 1975), aufgegangen, was seine Behandlung von und das Verständnis für Eulenberg wesentlich beeinflusste.

117 Joseph A. K.ruse nämlich "Edle Arznei für den Alltag"4 zu sein, aus den so genannten "Morgenfeiern" im Düsseldorfer Schauspielhaus unter Louise Dumont nicht verleugnen können, bleiben zweifel­ los, so möchten wir behaupten, für ein interessiertes Publikum weiterhin beachtenswerte Entdeckungen zu machen und ebenso überraschende wie treffende Formulierungen zu finden. Aber auch noch so kontroverse Behandlungen der dramatischen Kunst Eulenbergs sprechen für ein Quellen material, aus dem sich Zeit und Umstände des Zeniths seines Schaffens wie seiner Wirkung so nachhaltig wie aussagefähig herausarbeiten lassen. 5 Gerade deshalb verdient aus der kleinen Betrachtung von Kurt Loup jene Passage unsere besondere Aufmerksamkeit, in der er auf Eulenbergs Verhältnis zu Alfred Kerr eingeht. Es sei erregend und spannend, schreibt Loup, "Eulenbergs Sieg überAlfred Kerr zu verfolgen". Wer Kerr kenne und wisse, "was er in der trockenen, scharfen Luft von Berlin bedeutete", müsse wissen, "dass er grundsätzlichjedem Dramatiker als feindlicher Scharfschütze gegenübertrat". Wenn er auf 30 Seiten seines Werkes "Das neue Drama" auch Eulenberg anvisiert habe-" und das alles in der Nähe von Schnitzler, Wedekind, Shaw, Stemheim, und Hofmanns­ thal"-, werde man den Dramen "Münchhausen", "Blaubart", "Der natürliche Vater", "Alles um Geld", "Belinde" und "Zeitwende" "vielleicht etwas nachdenklicher begegnen und Eulen­ berg nicht schnöde für unaufführbar erklären". Alfred Kerr habe schließlich vor Eulenberg den Hut gezogen mit den Worten: Eulenbergs Stücke könnten ein Steinbruch sein, aus dem später andere sich etwas holten, wofür nicht zuletzt Thornton Wilder als Zeuge anzurufen sei. 6

2.

Seine Persönlichkeit ist es vor allem, die ihren Zauber bis heute behalten hat und deren eigen­ tümlicher Modellcharakter weiter ausstrahlt, auch wenn sie selbstverständlich nicht ohne jede Selbst­ stilisierung auskam. Eulenbergs mediale Fähigkeit von Allgegenwärtigkeit und Vermittlung, von Vortragskunst und poetischem Ausdruck, von Friedensengagement? und künstlerischer Gesellig­ keit hat eine ganze Epoche lokaler Literaturgeschichte Düsseldorfs geprägt. Jahrzehntelang lautet Eulenbergs Adresse: Kaiserswerth am Rhein, was er mit seiner gleich bleibenden grafisch ein­ drucksvollen Schrift samt ihrer violetten Tinte immer wieder betont. Er ist in der Tat der "Pro­ totyp'08 oder die "lnkamation'<9 eines rheinischen Dichters mit besonderer Nähe zu Heinrich Reine,

~ Vgl. Frank Thissen: "Edle Arznei für den Alltag". Herber! Eulenbergs Düsseldorfer Morgenfeiern und die Romantikrezeption um 1900. Köln, Weimar, Wien 1992 (= Böhlau Forum Litteramm 16); zu den "Schat­ tenbildern" s. das entsprechende Kap. S. 30-45. 5 Vgl. etwa Helgard Bruhns: Herber! Eulenberg. Drama, Dramatik, Wirkung. Frankfurt!Main 1974. 6 Austeilungskatalog Eulenberg 1976 [s. Anm. 3], S. 9. 7 Vgl. z.B. Verf.: "Dem Frieden war ich lebenslang verschworen". Skizzen zu Herber! Eulenberg und seinem literarischen Selbstverständnis. -In: Bilanz Düsseldorf '45. Kultur und Gesellschaft von 1933 bis in die Nachkriegszeit. Hrsg. v. Gertrude Cepi-Kaufmann, Winfried Hartkopf und Winrich Meiszies unter Mitarbeit von Michael Matzigkeit. Düsseldorf 1992, S. 315-324. 8 So M. Matzigkeit im Untertitel seines Eulenberg-Kapitels [s. Anm. 1], S. 57. 9 Vgl. Bemd Kortländer: Weltbürger am Rhein. Leben und Werk Herber! Eulenbergs.- In: "Ganges Europas, heiliger Strom!" Der literarische Rhein ( 1900-1933). Hrsg. v. Sabine Brenner, Gertrude Cepi-Kaufmann u. Bemd Kortländer. Düsseldorf2001 (=Veröffentlichungen des Heinrich-Heine-Jnstituts, Düsseldorf), S. 75-98, hier S. 75 .

118 Der Schriftsteller Herbert Eulenberg ( 187 6 -1949) für dessen adäquate Nachwirkung er sich unentwegt und mit einigem sichtbaren Erfolg eingesetzt hat. Das geschah durch besondere Wertschätzung des Geburtshauses in der Bolkerstraße 53, durch die Aufstellung einer Heine-Büste von Emil Jungblut im April1913 in der Gaststätte "Im goldenen 10 Kessel" , einem traditionsreichen Haus neben dem Heine-Wohnhaus Bolkerstraße 42, und durch verschiedenste Beiträge und Bücher, etwa durch Editionen und eine eigene kleine Schrift über den Düsseldorfer Vorgänger "" aus dem Jahre 194 7, die kurz nach dem Zusam­ menbruch undangesichtsder neuen politischen Verhältnisse in Ost-Berlin erschien, das ihn übrigens 1949 mit dem Deutschen Staatspreis der DDR auszeichnete. Durch Eulenbergs Arbeit und Wirkung wurde der regionale Rahmen bei weitem gesprengt, und das Kaiserswerther Domizil der Eulenbergs- denn auch Hedda Eulenberg, seine Frau, die als Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen von Bedeutung bleibt, muss unbedingt bei einer solchen Würdigung genannt werden 11 -avancierte zu einem Mittelpunkt des kulti­ vierten Lebens und in der Tat zu einem "Haus Freiheit", wie der Wohnsitz unweit der Kai­ serpfalz seit Eulenbergs Zeiten heißt. Dieses Persönlichkeitsbild hat die Forschung der jüng• sten Zeit durchaus herausgefordert und verlangt mit Recht immer wieder nach einer Darstellung wie Auseinandersetzung, zu mal die Verflechtungen mit dem "Monistenbund", wie sich die dem damaligen Zeitgeist verpflichtete, vollständig säkularisiert-atheistische, aber dennoch quasi-religiöse Gruppierung mit humanistisch-reformpädagogischem Anspruch verstand, im Rahmen der modernen ideologischen Entwicklungen den Horizont bilden für Eulenbergs persönliche Hal­ tung und für den gewissermaßen missionarischen Charakter seines Werks. In Bezug auf die "Morgenfeiern" im Düsseldorfer Schauspielhaus spricht Hedda Eulenberg im Sprachstil ihres Mannes nicht umsonst davon, dass es sich um "Sonntagsgottesdienste der Kunst" oder um "Laienkirchenstunden" gehandelt habe. 12 ,,Abstinenzler- und Vegetariertum, Sexualreform, verbesserter Mutterschutz, eine Diskussion über Eu­ genik und Euthanasie", ebenso aber auch "die Verbreitung von Esperanto und die Einführung von Sonnwendfeiern" standen in bunter Mixtur auf dem Programm des "Deutschen Monistenbundes", der 1906 von Ernst Häckel gegründet worden war und dem Eulenberg seit mindestens 1910 sich angeschlossen hatte. Solche Ziele boten gleichzeitig mannigfache Verbindungen zu anderen Gruppen, wobei besonders die ,,Deutsche Friedensgesellschaft" hervorzuheben ist. Monismus, Pazifismus und Internationalismus gingen vielfach eine Symbiose ein. Nicht von ungefahr verehrte Eulenberg Bertha von Suttner, stand mit ihr im Briefwechsel und widmete ihr anlässlich ihres Todes zum Auftakt einer Sondernummer der ,,Friedens-Warte" vom Juli 1914 ein Gedicht, in dem er ausruft: "Heil jener Frau, die nur für ihn [den Frieden] gedichtet I und sich in uns ihr Denkmal aufgerichtet.'" 3

10 S. Verf. : Heine und Düsseldorf. Düsseldorf 2. erw. Aufl.l998, S. 105. 11 Aus ihrer Feder stammt ein Buch über ihr Leben mit Herbert Eulenberg unter dem Titel "Im Doppelglück von Kunst und Leben", Düsseldorf 1952, dem viel Atmosphärisches aus dem Schriftstellerdasein der beiden zu entnehmen ist. 12 Ebd., S. 68.- Über die "Laienkirchenstunden" ließ sich Herbert Eulenberg auch selber aus, ebenso über "das Priesterhafte" seines Dienstes bei den "Morgenfeiem, vgl. Thissen [s. Anm. 4], S. 23-30. 13 S. zu diesem Abschnitt Bemd Kortländer: Rheinischer Internationalismus am Beispiel Herbert Eulenbergs. -In: Literarische Fundstücke. Wiederentdeckungen und Neuentdeckungen. Festschrift für Manfred Wind­ fuhr. Hrsg. v. Ariane Neuhaus-Koch I Gertrude Cepl-Kaufmann. Heidelberg 2002, S. 256-274, hier bes. S. 258-260 (Zitate).

119 Joseph A. Kruse

In solchen Überzeugungen lebte und dichtete Herbert Eulenberg und fand sich angesichts seiner Bildung und Toleranz im großartigsten Einvernehmen mit einer Fülle von anderen Künstlern, Musikern und Schriftstellern. Es ist kein Wunder, dass einer der weltweit anerkanntesten Autoren, nämlich Thomas Mann, zu seinen freundschaftlichen Verehrern zählte. Dessen Bemerkung in einem Brief an Hedda Eulenberg vom 6. Juli 1947 bezieht sich auf Eulenbergs reduzierten Schriftstellerstatus in den gerade überstandenen Jahren des Dritten Reiches mit ihren verhee­ renden Kriegsfolgen und die unter anderem eben wegen "seines mannhaften demokratischen Verhai tens während der Zeit der nationalsozialistischen Unterdrückung" am 25. Januar 1946 verliehene Ehrenbürgerschaft der Stadt Düsseldorf folgendermaßen: "Dabei ist meine Ehrer­ bietung für Solche, die sich gehalten haben wie Ihr bewundernswerter Gatte, grenzenlos. Nicht Ehrenbürger von Düsseldorf sollte er heissen, sondern Ehrenbürger der Welt- und wird auch so heissen." 14

3.

Diese Wertschätzung war dem Schriftsteller Herbert Eulenberg nicht ohne weiteres in die Wiege gelegt worden, auch wenn künstlerische und literarische Begabungen in der Familie bereits eine Rolle gespielt hatten. Einer seiner Urgroßväter war schließlich der Maler und Redakteur Gustav Adolph Koettgen aus Elberfeld, der dem Kreis um Friedrich Engels und Moses Hess nahe gestanden hatte. 15 Die sieht- und spürbare Einbettung in ein ganzes Geflecht von Literatur, Kunst und Musik, die Eulenberg mit Sinn, Verstand und Liebe betrieb, wobei die beiden Eulenbergs ihr "Haus Freiheit" immer wieder zum angesehenen Mittelpunkt für ein "Who 's who" der kulturellen Zeitgenossenschaft zu machen wussten, ist das eigentliche Ereignis, sozusagen ein jahrelanges ,Happening' zu Gunstendes Primats der Kultur im menschlichen Zusammenleben mit lokalen und überregionalen Zügen. Geboren wurde Herbert Eulenberg am 25. Januar 1876 in Köln-Mülheim als Sohn des Inhabers einer kleinen Maschinenfabrik. 16 Die Schulzeit verlief, ähnlich wie bei dem ein gutes halbes Jahr älteren Thomas Mann, der die Schule noch als Einundsiebzigjähriger in einem Brief an 17 einen Mitschüler "doch eigentlich eine Angstpartie" nannte , ziemlich schwierig. Allein zur

14 Zit im Ausstellungskatalog Eulenberg 1976 [s . Anm. 3], S. 35 (Brief von Th. Mann) u. 39 (Text des Ehrenbürger• briefs). 15 Ebd., S. II : ein imponierendes Selbstportät Koettgens (Öl auf Pappe) befindet sich im Düsseldorfer museum kunstpalastim Ehrenhof. Über ihn vgl. auch Bemd Füllner I Jan-Christoph Hauschild/Volk er Kaukoreit: "Dieses Gedicht, in Deutschland hundertfach gelesen und gesungen ...". Zur Aufnahme von Heines "Weber­ lied" in der frühen deutschen Arbeiterbewegung. -In: Heine-Jahrbuch 24 ( 1985), S. 123-142, zu Koettgen S.l37-139. 16 Zum Lebenslauf vgl. auch meine Darstellung von Leben und Werk Herbert Eulenbergs in: Literatur von nebenan. 1900-1945. 60 Portraits von Autoren aus dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen, hrsg. v. Bemd Kortländer. Sielefeld 1995, S. 83-88, aber auch die bereits genannten "Skizzen zu Herbert Eulen­ berg" [s. Anm. 7]. 17 Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. München 1999, S. 33 (an Felix Neumann, 21 . 8. 1946).

120 Der Schriftsteller Herbert Eulenberg ( 187 6 -1949)

Erledigung der Obersekunda, die er in Mülheim und in Köln durchmachen musste, habe er vier Jahre gebraucht, hebt Kurt Loup eigens hervor. 18 Danach studierte Eulenberg Jura in Berlin, München , Leipzig und , verfasste allerdings bereits während der ersten Semester Büh­ nenstücke. Nach Staatsexamen und Promotion absolvierte er das Referendariat in Op1aden und Köln. Sein Trauerspiel "Leidenschaft" von 1901 erregte die Aufmerksamkeit von Ferdinand Bonn, der ihm 1903 eine Dramaturgenstelle im "Berliner Theater" verschaffte. Auch Louise Dumont, damals noch Schauspielerin unter Otto Brahm, war von dem Stück angetan und verpflichtete den jungen Dramatiker an das von ihr neu gegründete Theater in Düsseldorf. Das Düsseldorfer Schauspielhaus wurde dann am 28. Oktober 1905 mit einem selbstverfassten Prolog von Herbert Eulenberg eröffnet. Auch aus diesen Versen spricht, wie so oft bei ihm, die verständnisvolle Begeisterung. Nie fehlt ihm das rechte Wort zur rechten Zeit. "Ihr sollt euch selbst im bunten Bilde sehen I Und lächelnd oder weinend euch verstehen", heißt es dort. Die Bühne halte dem Zuschauer den Spiegel vor und löse "des Lebens Qual in leichtes Spiel"; nach ihrer Bühne sei die Zeit zu richten. 19 Eulenbergs emphatischer Glaube an die notwendige Symbiose von Kunst und Leben hat ihn ein Leben lang nicht verlassen. Als Dramaturg und Mitarbeiter der Hauszeitschrift "Masken" gehörte er dem Haus bis 1909 an, anfangs gemeinsam mit Paul Ernst, seit 1906 zusammen mit Wilhelm Schmidtbonn. Die von Louise Dumont angeregten "Morgenfeiem" waren als "Dichter- und Tondichter-Matineen" ein neuartiger Beitrag zur Vol ksbildung. Seit 1905lebte Eulenberg mit seiner Frau Hedda, geb. Maase, die in erster Ehe mit Arthur Moeller van den Bruck verheiratet gewesen war, in der auch nach dem überwältigenden Erfolg der "Schattenbilder" nicht immer sorgenfreien Stellung des freien Schriftstellers in seinem wirklich nicht oft genug zu rühmenden "Haus Freiheit" in Kaiserswerth. Der Erste Weltkrieg war für den Pazifisten Eulenberg ein herber Schlag. Mit der 1923 unternommenen Vortragsreise in die USA reüssierte er zu einem Botschafter der deut­ sehen Kultur. Als erster Deutscher nach durfte er in der Columbia University sprechen. Sein 34-strophiges "Preislied auf Amerika" mitjeweils kunstvoll gereimten acht Zeilen enthält eine beredte Reverenz an die USA, ohne die Schattenseiten, Vorurteile und Nachteile zu verschweigen. Es beginnt folgendermaßen im hohen Tone:

Heil dir, Amerika, und deinem Strande, Du Zuflucht der Verbannten, Hort der Freien, Du oft geliebt vor jedem Vaterlande, Lass deiner Größe diese Strophen weihen! [ ... ]

Und es endet mit dem unermesslichen Wunsch an das amerikanische Selbstverständnis und - bewusstsein:

18 K. Loup in seiner kleinen Eulenberg-Biographie im Ausstellungskatalog Eulenberg 1976 [s. Anm. 3], S.41. 19 Ebd., S. 7.

121 Joseph A. Kruse

[ ... ] Dass uns dein Anblick Trost und Hoffnung spende Als Geisteshüter und als Friedensschlichter! Du bist die Kraft und bist die Herrlichkeit, So bleib es weiter in die Ewigkeit! 20

Der Dramatiker musste sich in den 20er Jahren, was den zu erwartenden Erfolg der Veröffent• lichungen anging, zum Romanautor wandeln. Der auf den Bühnen bislang viel gespielte Autor war einfach aus der Mode gekommen. Überhaupt scheint er als imposante und interessante Figur des literarischen und künstlerischen Lebens für lange Zeit seinen eigentlichen Beruf gefunden und den wichtigsten Beitrag zur Kultur durch seine Integrationsfähigkeit geleistet zu haben. Das "Haus Freiheit" am Rhein war der Treffpunkt anspruchsvoller Geselligkeit und der umsichtig gepflegten Freundschaften, ein geradezu europäisches Ereignis im oft als separatistisch empfun­ denen Rheinland. Wie er sich für den in seiner Heimat oft genug verfemten Heinrich Heine einsetzte, so auch für die vielfach angefeindeten Maler des "Jungen Rheinlands". In seinen autobiografi­ schen Schriften "Mein Leben für die Bühne" von 1919, "Ein rheinisches Dichter! eben" von 1927 und "So war mein Leben" von 1948Iässt der Schriftsteller sein farbiges und durchaus anstren­ gendes Leben für die Kunst eine anschauliche und selbstbewusste Revue passieren. Seine Begegnungen mit und Beziehungen zu Gerhart Hauptmann, Carl Zuckmayer, Franz und Alma Werfe!, Kurt Wolff, Jakob Wassermann, Samuel Fischer, Thomas und Katja Mann, Joachim Ringelnatz, Maximilian Harden, Klabund und heben ihn als bedeutende Mittler­ persönlichkeitangesichtssolcher Prominenz aus dem alltäglichen Grau heraus und machen ihn bis heute zu einem Wunder der Kommunikation. Von den Malern seien Lovis Corinth, Max Pechstein, Otto Pankak und Kar! Schmidt-Rottluff als seine Freunde genannt. Otto Dix hat ihn wie andere Künstlerfreunde gemalt. Die Kohlevorzeichnung zu einem Gemälde, das als entartete Kunst während der Nazizeit aus dem Museum in Düsseldorf abwanderte, besitzt in Folge der Gedenkausstellung für Herbert Eulenberg von 1976 das Heinrich-Beine-Institut, dem es aus Privatbesitz angeboten wurde. Die Bühnenstars Alexander Moissi, Heinrich George, Fritzi Massari, Henny Porten, Paul Wegener, Heinz Rühmann und Claire Waldoff gehörten ebenso zu den Besuchern wie die Musiker Richard Strauß, Elly Ney, Edwin Fischer und Hans Pfitzner. Ein solcher Kreis in den wechselndsten Zusammensetzungen hätte sich nicht in Kaiserswerthund aufReisen zusammengefunden, wenn nicht Herbert und Hedda Eulenberg als Gastgeber und Gesprächspartner einen besonderen Charme besessen hätten. Geistreich und souverän residierten sie am Rhein und waren ihrerseits gern gesehene Gäste. Auch der Zusammenhalt mit den Düsseldorfer Familien Droste und van Meeteren spricht für diese Begabung feiner Menschenkenntnis und bürgerlicher Lebensarttrotz weltanschaulich eher differierender Überzeugungen. Während des Dritten Reiches musste Herbert Eulenberg sich ins Privatleben zurückziehen, Behörden und Gestapo drangsalierten ihn und seine Familie. Von nobler Selbstständigkeit zeugen seine unter dem Pseudonym "Siebenkäs" und "Lynkäus" im Düsseldorfer "Mittag" erschie­ nenen Notizen und die kleineren Beiträge für das Feuilleton der "Kölnischen Zeitung", durch

20 Eulenberg: Lyrische und dramatische Dichtungen(= Ausgewählte Werke in fünf Bänden, l. Bd.) [s. Anm. 2], S. 72u.80.

122 Der Schriftsteller Herbert Eulenberg ( 187 6 -1949) die er nur mühsam überleben konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zwar vielfach ausgezeichnet und geehrt, so erhielt er beispielsweise 1948 auch den Heinrich-Reine-Preis der Stadt Harnburg für sein im Jahr zuvor im Aufbau-Verlag erschienenes Reine-Bändchen und die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn, dochtrotz aller Liebe und Hochachtung, die ihm entgegengebracht wurde, hatte er sich gewissermaßen überlebt. Er starb am 4. September 1949 an den Folgen einer Verletzung durch herabfallende Trümmer und wurde unter großer Anteil­ nahme einer dankbaren Bevölkerung im Garten seines geliebten Hauses beigesetzt. Der Grab­ spruch bezeichnet gleichzeitig das Motto seines ganzen Lebens: "Hier ruht ein Liebender um neu zu lieben". Stets hatte Eulenberg zur Landes- und Stadtbibliothek in Düsseldorf freundschaftlichen Kon­ takt gehalten und dort eine eigene kleine Eulenberg-Sammlung neben seinem Privatarchiv im separat gelegenen Arbeitszimmer von "Haus Freiheit" sich etablieren sehen. Als 1970 verselbstständigte Nachfolgeeinrichtung der Neueren Handschriftenabteilung der alten Biblio­ thek, die ihrerseits den Grundstock der heutigen Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf bildet, hat das Heinrich-Reine-Institut nunmehr seit einigen Jahren den Nachlass des Dichters übernommen. Durch diese archivische Situation wird in Zukunft eine verstärkte Erforschung von Persönlichkeit und Werk Herbert Eulenbergs möglich sein, wobei vielleicht auch sein eigenes Schaffen wieder mehr in den Vordergrund rückt und nicht nur seine glänzende Rolle als Ehrenbürger der Welt im von ihm so sehr geliebten und akzeptierten Rheinland. Nicht von ungefähr sind die beiden ersten seiner 31 "Deutschen Sonette" mit "Kaiserswerth" überschrie• ben, deren Auftakt zum Schluss zitiert sein soll. Meditative Annahme des Lebens- und Was­ serlaufs, Ergebung in die der Zeit unterworfenen menschlichen Bedingungen sowie eine sym­ bolische Ausdeutung des Ortesam Rhein aus Altertum und Zukunft verbinden sich zu Wohl­ klang und sanfter Resignation:

Die Stille segnet dich mit vollen Händen, Mein Städtchen. Wie ein milder ernster Greis, Der sich den Tod längst nicht mehr schrecklich weiß, Wallt leis der Rhein vorbei, gewillt zu enden.

Mit Schiffchen spielt er, lässt sich sanft verwenden Und malt dich zitternd ab zu deinem Preis: Den grauen Dom, die tote Burg, den Kreis Der kleinen Häuser mit geweißten Wänden.

Horch! Es schlägt Mittag. Alle Glocken klingen Vermischt, wie Alt und Jung zusammenleben. Die Tauben aufgeschreckt ums Kirchdach schweben, Den Turmhahn lüstet es, sich mitzuschwingen.

Die Sonne lacht aus zarten Wolken matt Der Menschenzeit auf goldnem Zifferblatt. 21

21 Ebd., S. 37.

123