Grußwort Des Präsidenten Der
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< Inhaltsverzeichnis Grußwort des Präsidenten der EUF … 4 Vorwort … 6 Das Tagungsteam … 9 Verzeichnisse und Übersichten …11 Das Rahmenprogramm … 14 Ausführliche Informationen zum Rahmenprogramm … 15 Logenhaus Flensburg Glücksburg Exkursion nach Husum … 18 Friedrichstadt … 24 Noldemuseum Seebüll … 27 Theater: FluchtPunkte … 28 Abendlicher Ausklang der Tagung … 30 Plenarvorträge und -foren … 42 Sektionsprogramm … 52 Raumplan … 70 Abstracts und Information zu den Tagungsteilnehmern … 73 3 Grußwort des Präsidenten der Europa-Universität Flensburg, Prof. Dr. Werner Reinhart Wir leben in einer Zeit, in der es auf Deutungsvorschläge der Kulturgeschichte Europas in be- sonderem Maße ankommt. Das Europa einer weltweiten Wertegemeinschaft, die auf Gerech- tigkeit, Diversität und Nachhaltigkeit setzt, steht heute neben einem Europa, das als Partei auf dem Feld globaler Rivalitäten und Konflikte unter den Bedingungen von Machtasymmetrien, ökonomischer Ungleichheit und religiöser Abgrenzungen agiert. Es ist ein Leichtes, diskursge- nealogische Entwicklungslinien von den europäischen Gründungsmythen bis heute so zu zie- hen, dass das eine oder das andere Gesicht Europas ausgeleuchtet wird. Die eigentliche Her- ausforderung besteht heute aber darin, vermittelnde Perspektiven zu entwerfen, Übergänge zwischen Großnarrativen sowie zwischen den Logiken und Notwendigkeiten sozialer Felder und Wissensformationen und über nationalstaatliche und kontinentale Grenzen hinweg zu erschaf- fen. Fest steht, dass dieser Aushandlungsvorgang ein internationaler sein muss, denn die Stärke Europas liegt nicht in der Anmaßung eines Deutungsmonopols über die Welt, sondern gerade darin, sich auf das Gegenüber und damit auf dialogisch ausgehandelte Weltentwürfe einzulas- sen. Dies gilt auch für die Selbstdeutungen Europas: Auch sie haben nur Bestand, wenn sie sich den Blicken von Außen aussetzen und die Probe des Interkulturellen bestehen. Wenn vom 9.-15. September 2017 die Tagung der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik „Europa im Übergang. Interkulturelle Transferprozesse – Internationale Deutungshorizonte“ stattfindet, wird die Europa-Universität Flensburg für eine Woche ins Zentrum dieser globalen Aushandlungsprozesse rücken. Rund 180 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 50 Ländern von vier Kontinenten werden im internationalen Dialog über „Europa im Übergang“ verhandeln und dabei innovative Herangehensweisen (von postkolonialen Ansätzen bis zur so- ziolinguistischen Diversitätsforschung) aus Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften in den Dienst der Verhandlung ‚Europas‘ im Zeichen der Übergänge stellen. Im Zentrum der Tagung steht die Reflexions-, Empathie- und Transformationskraft von Literatur, deren Potentiale für die aktuellen Europa-Debatten noch lange nicht ausgeschöpft sind. Im Rahmen der Tagung werden 18 indische Wissenschaftler*innen und Theaterleute aus deutschsprachigen literari- schen Texten unter dem Titel „Fluchtpunkte“ ein Stück collagieren und in Flensburg auf die 4 Bühne bringen, und ich glaube, dass wir damit nicht nur in der Mitte internationaler Aushand- lungsprozesse der Außengrenzen Europas mit allen ethischen und politischen Implikationen stehen, sondern auch vorgeführt bekommen, dass die deutschsprachige Literatur(-Geschichte) ein gewalt- und exklusionskritisches Potential besitzt. Damit entsteht ein wichtiger Beitrag zu einer Literaturgeschichte von den Rändern, Grenzräumen und Übergängen her. „Ein sehr genaues Zurückdenken führt zu der Einsicht, dass wir eine Multiplikation vieler Ver- gangenheiten sind“, so formulierte Friedrich Nietzsche die Korrelation zwischen der Ausle- gungsbedürftigkeit der Geschichten (im Plural) und der jeweiligen Gegenwart. Dies gilt auch und gerade für die Geschichten Europas. Die deutsch-japanische Schriftstellerin Yoko Tawada meint, dass die mythische Figur Europa, und damit die Gründungs-Geschichten des Kontinents, nicht etwa geraubt worden oder verschüttet gegangen wären. „ Ich wollte eher behaupten, dass Europa bereits im Ursprung als eine Verlust-Figur erfunden wurde“ – eine Verlust-Figur, die Spielräume für dialogische Auslegung von Selbstentwürfen und ihrer Geschichte, von Über- gängen und binneneuropäischen wie transkontinentalen Interaktionen. Als die Universität Flensburg 2014 zur Europa-Universität wurde, setzte sie sich zum Ziel, zu einem Zentrum der internationalen Debatten um das Selbstverständnis, die Diskursgeschichte und die Zukunftsperspektiven dieses Kontinents zu werden. Mit den Expertisen von 180 inter- nationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf dem Flensburger Campus hat die Universität genau diesen Anspruch beispielhaft eingelöst. Ich wünsche den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung ein gutes Gelingen und hoffe, dass viele dauerhafte Kooperatio- nen daraus hervorgehen! Grußwort des Präsidenten 5 < Europa im Übergang Interkulturelle Transferprozesse – Internationale Deutungshorizonte Wulkum! Latscho diwes! Hjertelig velkommen! Vun Harten willkamen! Van Harten willkomen! Willkommen und Scholem Alejchem! Die 21. Tagung der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik findet zum ersten Mal im Grenz- raum zu Skandinavien statt, einer Region, die von Meeren und Wasserstraßen umgeben ist. Nach Norden hin öffnet sie sich zu den Fjorden Norwegens, an Island vorbei, über die Grönland- und Barentsee zum Arktischen Ozean, der Europa und Asien verbindet. Nach Osten hin ragt am Flensburger Fjord der nördlichste Punkt des deutschen Festlands in die Ostsee hinein, die schon seit Jahrhunderten ein Transfer- und Vernetzungsraum für die Diskursräume Nordpolens, Li- tauens, Lettlands, Estlands, Russlands, Schwedens, Finnlands und Dänemarks war. Nach Wes- ten hin führt die Nordsee über den Ärmelkanal zum Atlantischen Ozean, an dessen westlichem Ufer die Ostküste der beiden amerikanischen Kontinente liegt. Diese für Deutschland einmalige Landschaft maritimer binnen- wie transkontinentaler Vernetzungen hat sicher mit dazu beige- tragen, dass hier nicht nur, wie Paul Celan über die Bukowina schrieb, „Menschen und Bücher lebten“, die außerordentliche kulturelle Vielfalt hervorbrachten, sondern auch über Jahrhun- derte hinweg Minderheitensprachen gesprochen wurden. Dadurch wird der norddeutsche Kul- turraum mit mittel- und osteuropäischen Regionen wie beispielsweise der Bukowina, Galizien und Siebenbürgen vergleichbar. Hier kann ein Denken in europäischen Übergängen ansetzen, das sich im 21. Jahrhundert durchsetzen muss – gegen jenes der flächigen und homogenen Identitäten, das infolge des starken sprachlichen und kulturellen Homogenisierungsdrucks das 19. und 20. Jahrhundert prägte – nur so kann das neue Jahrhundert eines der interkulturellen Öffnung und geteilter Werte werden. Zur sprachlichen Vielfalt in und um Flensburg tragen neben dem Jiddischen und Varianten des Niederdeutschen auch eine Kreolsprache, das ‚Petuhtanten-Deutsch‘, bei, das sich dank der Sprachkontakte im deutsch-skandinavischen Raum herausgebildet hat. Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem mit Dänisch, Friesisch und Romanes drei anerkannte historische 6 Vorwort < Minderheitensprachen geschützt und gefördert werden. Dies zeugt davon, dass eine Entwick- lungslinie von der historischen Diversität dieser Region ins zeitgenössische heterogene Europa führt und ein Denken in Übergängen begünstigt. Zur Kehrseite dieser Medaille gehört freilich, dass diese Region auch Schauplatz von Kriegen und Konflikten war, die die Kulturgeschichte Europas prägten und die sich heutiger Interkultu- ralitätsforschung als Aufgabe stellen: Da Nordschleswig und Flensburg seit der Wikinger-Zeit zur Dänischen Krone gehörten, partizipierte diese Region in anderer Weise am Kolonialismus als das restliche Gebiet Deutschlands; so florierte Flensburg ökonomisch im 18. und 19. Jahr- hundert aufgrund des Dreieckshandels, also der Arbeit aus Afrika geraubter Menschen, die im damaligen Dänisch-Westindien, auf den ‚Jungferninseln‘ Saint Thomas, Saint John und Saint Croix, Zuckerrohr anbauten, das in Flensburg raffiniert und zu Rum verarbeitet wurde. Im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 wurde Flensburg Schauplatz ethnisch-kultureller Radikalisierung am Vorabend der deutschen Nationalstaatsbildung, und nach dem 8. Mai 1945 instaurierte sich die nationalsozialistische Dönitz-Regierung in Flensburg bis zu ihrer Verhaftung am 23. Mai. Von diesen Exklusionen, Abwertungen und asymmetrischen Transfers her zu denken und zu arbeiten, also historische Ungleichheiten und Fragen der Gerechtigkeit in globaler Perspektive diachron zu reflektieren, gehört zu den dringlichsten Herausforderungen der Germanistik; von hier aus gehen wichtige Impulse für die Erneuerung des Faches aus. Das Narrativ von einer homogenen deutschen Nation setzte die Ausblendung von Diversität sowie binneneuropäische wie auch globale Asymmetrien und Ungleichheiten voraus. Exempla- risch seien kulturelle und sprachliche Diversität, der Ausschluss ‚interne Fremder‘ sowie die Partizipation am Kolonialismus in der Karibik genannt. Dadurch wurden vorhandene Vielfalt und Transferprozesse verdeckt, aber auch Exklusionen und Machtasymmetrien nach Innen und Außen hervorgebracht, die es heute retrospektiv – unter der Perspektive von Übergängen und Ähnlichkeit – aufzuarbeiten gilt. Die Erforschung der Divergenz zwischen vorhandenen inter- kulturellen Transfers und Selbstbeschreibungen als homogene Kollektive unter Berücksichti- gung der Debatten aus den Postkolonialen Studien, der Anerkennungs- und Ungleichheitsforschung, gehört ebenfalls zu den vorrangigen zukünftigen