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thüringer Residenzschloss Burg Posterstein Naturkundemuseum Lindenau-Museum Altenburg Mauritianum Altenburg MUSEUMSHEFTE

1 2019 MUSEUMSHEFTE | 1/2019 r e

ü Titelthema: Populismus und Extremismus

th ring als Herausforderung für Museen Ausstellung Museumsschätze

ier Thüringer Museen befassen sich in diesem s ist ein großer Glücksfall, dass im November te der Versuch einer Rückerwerbung an der Ober- VJahr – aus Anlass des 100. Todestages – mit dem E2018 Emil Noldes farbintensives Stillleben „Be- grenze von 1,4 Millionen Euro. Die von der Ernst Naturforscher und Freidenker Ernst Haeckel (1834- gonien (Rot und Gelb)“ aus dem Jahre 1929 ins An- von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der 1919). Den Auftakt bildete das Geraer Naturkunde- germuseum Erfurt zurückgekehrt ist. Zusammen mit Länder, der Bundesbeauftragten für Kultur und Me- museum. Die dortige Ausstellung zu Haeckel und der 13 weiteren Gemälden und insgesamt rund 1.000 dien, dem Freistaat Thüringen und der Stadt Erfurt Geschichte der Evolutionslehre endete Anfang Juni. Werken der Klassischen Moderne war es dem Muse- bereitgestellten Ankaufsmittel ermöglichten es aber um 1937 durch die nationalsozialistische Beschlag- schließlich, das Bild 2018 aus einer Schweizer Privat- Nicht überraschend ist es, dass der Wahl­ nahmung sogenannter „Entarteter Kunst“ verloren sammlung zu erwerben. jenaer in der Saalestadt ausgiebig gewürdigt gegangen. Als das Bild im Jahr 2017 überraschend wird. Hae­ckel lebte hier ab 1861 und drei Museen auf einer Berner Auktion angeboten wurde, ende- Thomas von Taschitzki beleuchten Leben und Werk unter verschiedenen Aspekten. Das Phyletische Museum betrachtet noch bis 1. November 2020 den Wissenschaftler am Beispiel seiner grundlegenden Forschungen zu Medusen. Lebensechte Modelle und kunstvolle Nachbildungen illustrieren Haeckels Erkenntnisse, die heute immer noch aktuell sind – Haeckel war der Erste, der die ökologische Bedeutung der Qual- len erkannte. Das Stadtmuseum richtet dagegen noch bis zum 8. September 2019 den Blick auf die Persönlichkeit Haeckels, den Bürger und sein sozi- ales Umfeld. Nicht ausgespart bleibt dabei seine Selbstinszenierung, die nicht unwesentlich zu sei- ner Popularisierung beitrug.

In der Jenaer Kunstsammlung wird noch bis zum 11. August Haeckels künstlerische Wirkung beleuchtet. Seine feinen Zeichnungen nach Radiola­ rien und anderen Meereslebewesen waren nicht nur eine Inspirationsquelle für die Kunst des Jugendstils, sondern stehen am Anfang einer Tradition, in der bis heute Naturformen und organische Materialien un- mittelbar in künstlerische Werke einfließen. Ernst Haeckel mit Gorilla-Vitrine im Phyletischen Museum Jena, 1909. (Foto: Friedrich-Schiller-Universität Jena/Ernst-Haeckel-Haus) Ulf Häder Emil Nolde (1867-1956), Begonien (Rot und Gelb), 1929, Öl auf Leinwand, 74 x 101 cm, Angermuseum Erfurt (Foto: Dirk Urban, Angermuseum Erfurt) Thüringer Museumshefte

Herausgegeben vom Museumsverband Thüringen e. V.

28. Jahr | 2019 | 1. Heft

1 2 Inhaltsverzeichnis

Editorial

Radikalismus und Populismus als Herausforderungen für Museen ...... 7 Grußwort Georg Maier

Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Vom Nazi-Skinhead zum Nipster – rechtsextreme Jugendkulturen im Wandel ...... 9 Felix M. Steiner

Symbole, Codes und Styles des Rechtsextremismus ...... 14 Eine Zusammenstellung nach einem Poster der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt Ulf Häder

Neonazis erobern ein Dorf: ...... 25 Ein Freilichtmuseum in problematischer Nachbarschaft Uta Bretschneider

Erinnerungsorte und Kultureinrichtungen als Räume politischer Aneignung ...... 29 Erfahrungsbericht aus dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Ein Gastbeitrag aus Sachsen-Anhalt Manuela Dietz

Heimatmuseen: Mehr als Horte von „Brauchtum“ und Tradition ...... 37 Die Herausforderung im Umgang mit Populismus Pauline Lörzer und Janin Pisarek

3 Inhaltsverzeichnis

Aus den Museen

Eröffnung im Bauhaus-Museum Weimar ...... 43 Der zentrale Baustein im Quartier der Moderne nimmt Positionsbestimmung vor Doris Weilandt humboldt4 ...... 47 Vier Ausstellungen in vier Museen des Altenburger Landes Sabine Hofmann

Der Leuchtturm an der Blauen Flut ...... 51 Das Lindenau-Museum Altenburg wird generalsaniert und deutlich erweitert Roland Krischke

10tons – Medusen – Ernst Haeckel ...... 55 Bernhard Leopold Bock, Kenny Jandausch und Martin S. Fischer

Aufbruch in die Demokratie ...... 60 Rückblick auf eine Ausstellung über soziale Bewegungen in Jena zum Thüringer Themenjahr 2018 Philipp Albrecht

Die Neukonzeption des Schlossmuseums Heringen und die Eröffnung der neuen ...... 66 archäologischen Dauerausstellung „Die Archäologie der Goldenen Aue“ Mirjana Culibrk

Über Europa reden ist kein Selbstläufer – 200 Sichten auf Europa ...... 70 Auswertung der partizipativen Ausstellung „#SalonEuropa vor Ort und digital: Vernetzung damals und heute – Europa bedeutet für mich...?“ im Museum Burg Posterstein Marlene Hofmann

4 Inhaltsverzeichnis

Forum Museum

Handlungsperspektiven für die Thüringer Museen ...... 77 Benjamin-Immanuel Hoff

Leitlinien MVT 2011-2020 versus Handlungsempfehlungen zur Museumsperspektive 2025 . . . . . 82 Günter Schuchardt

Objekte aus Glas. Ein museumsbasiertes Forschungsprojekt ...... 85 Annette C. Cremer, Gerhard Heide und Antje Vanhoefen

Von Einhörnern und Drachentötern ...... 89 Ein Kooperationsprojekt der Mühlhäuser Museen und der Klassik Stiftung Weimar Thomas T. Müller und Friedrich Staemmler

Das Netzwerkprojekt „Thüringer Glasmuseen“ ...... 94 Sandra Müller

Der Volontär im Museum ...... 97 Ein Blick hinter die verstaubte Fassade des Elfenbeinturms Tobias Strehle

Notfallvorsorge in Thüringer Kultureinrichtungen ...... 103 Jörg Dietrich

Im Fokus: Museen im Ländlichen Raum ...... 105 Gundula Avenarius und Rebekka Schubert

5 Inhaltsverzeichnis

Aus dem Museumsverband

Weichen für die Zukunft gestellt ...... 107 Jahrespressekonferenz des Thüringer Museumsverbandes e. V. Doris Weilandt

Aufwerten, transformieren und neu definieren – Museen als Akteure im Strukturwandel ...... 111 Informationsreise/Klausurtagung des Vorstands des Museumsverbandes Thüringen e. V. Angelika Steinmetz-Oppelland und Stephan Tröbs

Arbeitskreis Digitales Museum – Der neue AK stellt sich vor ...... 117 Stephan Tröbs

Personalia ...... 119 Hildegard Heine

Autorinnen und Autoren ...... 121

Impressum ...... 123

6 Editorial

Radikalismus und Populismus als Herausforderungen für Museen Grußwort

iebe Leserinnen und Leser, weiligen Handlungsformen. Die NPD erhielt bei der Lals Minister für Inneres und Kommunales sehe letzten Bundestagswahl in Thüringen lediglich 1,2 ich in der hier vorliegenden Ausgabe der „Thüringer Prozent der Zweitstimmen und ist damit eine eher Museumshefte“ einen wichtigen Beitrag im Kampf unbedeutende Partei. Dies darf aber nicht darüber gegen Radikalismus und Populismus. Unsere Mu- hinwegtäuschen, dass sich rechtsextremes Gedan- seen tragen als außerschulische Bildungs- und Er- kengut unabhängig davon immer weiter verbreitet. lebnisorte ganz erheblich dazu bei, gerade jungen Neue rechtsextremistische Gruppierungen sind ent- Menschen die deutsche Geschichte – vor allem auch standen, die sich ein harmloses Äußeres geben, aber die des Nationalsozialismus – in all ihren Facetten trotzdem verfassungsfeindlich sind. näher zu bringen, damit diese die richtigen Schlüsse Die Bundesrepublik verfügt im Grundgesetz, in für ihr eigenes Leben ziehen können. den Landesverfassungen und den Einzelgesetzen Georg Maier, Liebe Leserinnen und Leser, Sie finden in diesem über das notwendige rechtsstaatliche Instrumen- Thüringer Minister für Inneres Heft interessante Beiträge von Mitarbeiterinnen und tarium einer wehrhaften Demokratie, um gegen und Kommunales. (Foto: Andy Mitarbeitern in Museen, die ihre Erfahrungen im Um- Rechtsextremisten effektiv präventiv und repressiv Pöcking) gang mit rechtsradikalen Pöbeleien und Übergriffen vorzugehen. Es sind aber nicht nur die „klassischen“ darlegen. In die Schlagzeilen geriet leider mehrfach Sicherheitsbehörden, wie Polizei und Verfassungs- schon die Gedenkstätte Buchenwald, doch auch die schutz, denen hier eine Schlüsselrolle zukommt. Das Situation im Freilichtmuseum Kloster Veßra oder im Zurückdrängen rechtsextremistischer Aktivitäten sachsen-anhaltischen Freyburg machen deutlich, beginnt oft schon vor der Schwelle zur Strafbarkeit. dass der Kreis potenziell betroffener Einrichtungen Das frühzeitige Erkennen rechtsextremistischer Strö- gewachsen ist, dass die Herausforderungen auch mungen ermöglicht weitaus mehr zivilgesellschaftli- dann schon gegeben sind, wenn es noch nicht zu che und kommunale Handlungsoptionen, als wenn Gesetzesverstößen gekommen ist. sich die Szene bereits irgendwo etabliert hat. Wir sind alle dazu aufgerufen, uns insbesondere Allerdings: Die rechtsextremistische Szene gegen den Rechtsextremismus in Thüringen zu en- ist flexibel, wenn es um neue Aktionsformen und gagieren. Jeder kann und sollte hierzu seinen Bei- Provokationen gegen den demokratischen Rechts- trag leisten. Wir alle müssen Haltung zeigen und uns staat geht. Bitte zögern Sie nicht, die professionelle couragiert gegen Ausgrenzung, Stigmatisierung und Unterstützung der staatlichen Stellen in Anspruch Herabwürdigung anderer Menschen einsetzen. zu nehmen. So vielfältig die Organisationsformen von Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Mitar- Rechtsextremisten sind – sei es als Partei „Freie Ka- beiterinnen und Mitarbeitern in unseren Museen, meradschaft“ oder als Einzelpersonen in der Rolle die sich gegen den Rechtsextremismus engagieren. des „Reichsbürgers“ – so vielschichtig sind ihre je- Diese haben – jeder an seiner Stelle und oftmals

7 Editorial

unbemerkt von der großen Öffentlichkeit – einen kommunale Entscheidungsträger in Thüringen zum wertvollen Beitrag dazu geleistet, dass unser tägli- Umgang mit Rechtsextremisten“ empfehlen, den ches Zusammenleben nicht von Hass, Ausgrenzung, Sie sich von der Homepage des Innenministeriums Rassismus und Intoleranz dominiert wird. Ihre Arbeit herunterladen können. und die Wirkungsmöglichkeiten der Museen sind eine Grundlage, dass Verständnis, Fairness, Offen- Viel Erfolg für Ihre Arbeit und vielen Dank für Ihr En- heit und notwendiger konstruktiver Streit um die gagement! Sache, geprägt von wechselseitigem Respekt, wei- terhin Lebensmaxime unserer Gesellschaft bleiben Ihr und diese lebenswert machen.

Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie nach der Lektüre dieses Heftes auf der Suche nach weiterge- henden Hinweisen sind, wie man mit rechtsextre- men Angriffen am besten umgeht, möchte ich Ihnen Georg Maier auch den von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Thüringer Minister für Inneres und Kommunales meines Hauses zusammengestellten „Leitfaden für Erfurt, 10. April 2019

8 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Vom Nazi-Skinhead zum Nipster – rechtsextreme Jugendkulturen im Wandel

Vorbemerkung1 über ihre Eltern zur Wiking-Jugend gelangten und an Fahrten und Lagern im HJ-Stil teilnahmen. Rund echtsextreme Jugendkulturen finden sich in der um rechtsextreme Musik entwickelte sich zu dieser Rgesamten Gesellschaft und machen auch vor Zeit eine Symbolwelt, die vor allem dem jugendkul- Museen nicht halt. Gerade große Besuchergruppen, turellen Rechtsextremismus einen identitätsstiften- wie z. B. Schulklassen, bringen auch Menschen mit den Rahmen bot. völkischen und rechtsextremen Einstellungen in die Museen. Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel – frü- her klassische Erkennungsmerkmale der rechtsext- remen Szene – gibt es kaum noch, schon längst las- sen sich rechtsextreme Jugendkulturen nicht mehr so einfach erkennen. Das liegt auch daran, dass die neuen Neonazis sich bei anderen, auch bei linken Jugendszenen bedienen.

Wandel jugendkultureller Symbolik

Sucht man online Begriffe wie „Neonazis“ oder „rechtsextrem“, gehören zu den ersten Ergebnissen zahlreiche Bilder von Glatzköpfen mit Hakenkreuz- Tätowierungen oder Bomberjacken tragende Män- ner, am besten noch mit Baseballschläger über der Schulter. Mit der Realität jugendkultureller Symbolik und Kleidungsstile hat dies wenig zu tun. Es handelt sich vielmehr um Medienklischees aus den 1980er- Jahren, die von der neonazistischen Skinhead-Szene stammen. Real sind diese äußeren Erkennungszei- chen seit fast 20 Jahren nur noch selten anzutreffen. In den 1980er-und 1990er-Jahren gab es nur zwei relevante jugendkulturelle Strömungen in der Neonazi-Aufmarsch in Sachsen-Anhalt – Mischung von tradi- rechtsextremen Szene: Skinheads überwiegend aus tionellen und neuen Styles. (Foto: Landeszentrale für Politische der Rechtsrockszene und völkische Jugendliche, die Bildung des Landes Sachsen-Anhalt)

9 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Zwanzig Jahre später haben sich die Inhalte gendkulturen sind deutlich vielfältiger geworden – rechtsextremer Lebenswelten kaum geändert, sehr zumindest in ihren Erscheinungsformen. wohl aber ihre Erscheinungsformen und Symbole. Nach wie vor bleiben (Volks)Gemeinschaft, Männ- lichkeit und Kampf die zentralen Inszenierungs- Alte Ideologie in neuem Chic formen der Szene und der Nationalsozialismus ist immer noch in weiten Teilen Ankerpunkt der Sym- Ein Blick auf die Demonstrations- und Konzertteil- bolwelt. Ergänzt wird dieser Kern durch aktuelle po- nehmer der rechtsextremen Szene zeigt auch 72 Jah- litische Bezüge. re nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands, dass die Bezüge zum historischen Nationalsozialismus weiterhin präsent sind. Auf den Funktion der Symbole T-Shirts finden sich Namen von Bands wie Landser, der Reichsadler und die „Schwarze Sonne“, ein Die gemeinsamen Symbole sind zentral, um eine ei- okkultes Zeichen, welches der SS zugeordnet wird gene subkulturelle Identität zu bilden. Sie schaffen (siehe den folgenden Beitrag mit einer Übersicht nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl, sondern grenzen ausgewählter Symbole). Seit etwa 2015 sind in der auch nach außen ab. Wandlungen der Symbolwelt rechtsextremen Szene bundesweit besonders T-Shirts zeigen, dass die rechtsextremen Jugendkulturen sich in den Farben Schwarz, Weiß und Rot und meist auch verändern und (ästhetisch) modernisieren – was für mit der Reichsfahne beliebt, die beispielsweise die Schwarze Sonne – SS-Symbol, eine Jugendkultur unumgänglich ist. Vor allem muss Aufschrift „Division Thüringen“ und das jeweilige das heute wieder in der rech- die Szene sich insgesamt den allgemeinen Ent- Wappen tragen. Inzwischen gibt es die T-Shirts mit ten Szene Verwendung findet. (Foto: Landeszentrale für Po- wicklungen der Jugendkulturen anpassen, um für jeweiligen regionalen Beschriftungen im gesamten litische Bildung des Landes Jugendliche weiter attraktiv zu bleiben. Das haben Bundesgebiet. Mit dieser Uniformierung soll sowohl Sachsen-Anhalt) auch die Funktionäre der rechtsextremen Szene ver- ein überregionaler Zusammenhang suggeriert wer- standen: In einem Leitfaden der „Autonomen Na- den, so als ob die Träger zu einer Armee gehörten, als tionalisten“ wurde die Öffnung der rechtsextremen auch ein regionaler Bezug hergestellt werden. Szene zur Nachwuchsgewinnung auf den Punkt Die Bezüge zum Nationalsozialismus finden gebracht: „Ob du Hip-Hopper, Rapper oder sonst sich aber auch weitaus deutlicher als nur in Form irgendwas [bist], ob du Glatze oder lange Haare von militärischen Bezügen. Dabei versuchen die hast: Völlig egal! – Hauptsache du bist gegen das rechtsextremen Produzenten, ihrer Klientel das Be- herrschen­de System!“ (Staud / Radke, S. 76) Die kenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie zu Autonomen Nationalisten spielen in den gegen- ermöglichen, ohne dabei den Rahmen der Lega- wärtigen rechtsextremen Jugendkulturen zwar lität zu verlassen – und bedienen sich häufig bei keine nennenswerte Rolle mehr – ihre Art, sich für den Symbolen und Grafiken anderer Subkulturen. die Ästhetik anderer jugendkultureller Strömungen Besonders das kopierte Logo der Rap-Gruppe Run- anschlussfähig zu machen, aber hat die Szene im D.M.C. sorgte zuletzt für Aufsehen. Anstatt des Na- vergangenen Jahrzehnt geprägt: Rechtsextreme Ju- mens der Band drucken Neonazis „HKN KRZ“ auf

10 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

T-Shirts und Baseballcaps. Dass die Buchstabenfolge Vor allem seit den 1990er-Jahren konnte so ein für „Hakenkreuz“ steht, ist unzweifelhaft. Auf Nach- Rechtsrock-Markt entstehen. Seit den beginnen- frage behauptet der rechtsextreme Versandhändler, den 2000er-Jahren wurde diese Entwicklung dann der hinter den T-Shirts steckt, die Abkürzung stehe auch durch die Entstehung eigener Kleidungsmar- für den türkischen Blogger „Hakan Kirez“, den man ken ergänzt. „Thor Steinar“ kam dabei eine Art unterstützen wolle. Nach einem ähnlichen Prinzip Vorreiterrolle zu. Mittlerweile gibt es zahlreiche funktioniert auch ein T-Shirt-Motiv, welches dem be- Kleidungsmarken und Versandhandlungen, die die rühmten „I Love NY“ nachempfunden ist. Neonazis Szene mit CDs, Klamotten oder Band-Merchandise tauschen einfach die für New York gewählte Abkür- versorgen und damit Millionen Euro umsetzen zung gegen „NS“ für Nationalsozialismus. Durch (siehe den folgenden Beitrag mit einer Übersicht einfachste Codierung werden so strafrechtliche szenetypischer Bekleidungsmarken). Regelungen umgangen und ermöglichen dennoch das offene Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Dass dabei Elemente amerikanischer Popkultur oder Vom „Autonomen Nationalisten“ sogar afro-amerikanischer Subkultur verwendet zum #Nipster und den werden, ist in der Szene längst kein Problem mehr. „Antikapitalistischen Kollektiven“ Vertrieben wird alles, was sich verkauft und durch aktuelle Bezüge die Reichweite steigert. Einer der wichtigsten stilistischen Modernisierungs- schübe der rechtsextremen Szene war mit dem Auf- treten der „Autonomen Nationalisten“ (AN) Anfang Kollektive Identität der 2000er-Jahre verbunden. Im Stil linksradikaler Gruppen kleideten sich Neonazis plötzlich wie der Gerade auf Demonstrationen und Großkonzerten „Schwarze Block“ und traten politisch für einen sind diese Modetrends der rechtsextremen Szene völkischen Antikapitalismus ein: Turnschuhe statt anzutreffen. Aber neben den Zeichen und Symbolen Springerstiefel prägten das Bild bei Aufmärschen. der Szene konstituiert sich deren kollektive Identität Was als regionales Phänomen begann, entwickelte durch subkulturelle Praktiken. Der gemeinsame Be- sich schnell zu einem Trend in der gesamten Szene. such von Konzerten oder Demonstrationen ist gera- Ihre Hochphase hatten die „Autonomen Nationalis- de für jugendliche Rechtsextreme ein wichtiger Teil ten“ in den Jahren 2010 bis 2012, danach wurde es ihrer Aktivitäten, die Anreise zu den meist geheim ruhiger und die AN tauchten nur noch in kleineren organisierten Konzerten oder öffentlich als rechtsex- Gruppen bei Demonstrationen auf. trem eingeordneten Demonstrationen machen den Wenige Jahre später waren erneut Übernahmen Reiz aus. Besonders die Einbindung von Musik bei aktueller jugendkultureller Stile durch die rechtsext- der Nachwuchsgewinnung ist seit Jahren fester Be- reme Szene zu beobachten. Im Januar 2014 tauchte standteil der Strategie rechtsextremer Funktionäre. beim rechtsextremen „Trauermarsch“ in Magdeburg Die „Schulhof-CD“ der NPD war dabei nur das be- ein junger Neonazi mit Vollbart, Piercings und Jute- kannteste Beispiel. beutel mit der Aufschrift „Bitte nicht schubsen, ich

11 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

habe einen Joghurt im Beutel“ auf. Das Bild schaffte aktiv sind und bereits unter verschiedenen Bezeich- es bis in das Rolling-Stone-Magazine, der „Nipster“ nungen agiert haben, teils sogar schon rund zehn war geboren. Als „Nipster“ (ein Mischwort aus Nazi Jahre früher als „“. Die orga- und Hipster) werden seither junge Neonazis be- nisierte Militanz und die teils professionelle mediale zeichnet, die sich stilistisch wie Hipster präsentieren. Inszenierung der eigenen Aktionen machen die „Kol- Auch rechtsextreme Jugendliche wollen sich modern lektive“ besonders für den militanten Kern der Sze- kleiden und die subkulturelle Öffnung der begin- ne attraktiv. Ihr subkulturelles Repertoire reicht vom nenden 2000er-Jahre hat die Übernahme aktueller organisierten Auftreten bei Demonstrationen über Trends, auch wenn diese im Widerspruch zur eige- rechtsextreme Graffiti-Gruppen bis hin zu gemeinsa- nen Ideologie stehen, deutlich einfacher gemacht. men Computerspielen auf „nationalen LAN-Parties“. Im gleichen Zuge entwickelte sich seit 2015 eine Mit diesen Aktivitäten, die auch im jugendkulturellen neue Netzwerkstruktur, die „Antikapitalistischen Kol- Mainstream gepflegt werden, sind die „Kollektive“ lektive“. Sie verstehen sich als Plattform zur Vernet- zwar leicht anschlussfähig für andere Jugendliche. zung bundesweiter rechtsextremer Gruppen unter Ein großer Zulauf ist dennoch nicht zu beobachten, einem gemeinsamen Dach. Im Kern zählt die Grup- vielmehr zeigt sich, dass vor allem Jugendliche aus pierung knapp 50 Personen, schafft es aber durch den Freundeskreisen bereits aktiver junger Neonazis ihr modernes und militantes Auftreten, eine deutlich schnell den Weg in die Szene finden. Hammer und Schwert – Sym- höhere Zahl Personen bei Demonstrationen zu mobi- bol der „Antikapitalistischen Kollektive“. (Foto: Landes- lisieren. Seit 2015 führte dies bundesweit zur Rück- zentrale für Politische Bildung kehr eines rechtsextremen „Schwarzen Blocks“ bei Von Sparta nach Berlin – des Landes Sachsen-Anhalt) Demonstrationen in der gesamten Bundesrepublik: Die „Identitäre Bewegung“ Schwarze Kleidung, Sonnenbrille und „Hammer und Schwert“ als Symbole sind die Erkennungszeichen Seit 2012 existiert in Deutschland ein Ableger der dieser Entwicklung (siehe den folgenden Beitrag mit „Identitären Bewegung“ (IB), deren Vorläufer in einer Übersicht ausgewählter Symbole des National- Frankreich Anfang der 2000er-Jahre gegründet sozialismus). „Hammer und Schwert“ wurden vor wurde. Seit 2014 ist die IB in Deutschland ein einge- allem vom Strasser-Flügel der NSDAP genutzt und tragener Verein und zählt laut Bundesverfassungs- sollen die Einheit von Arbeitern und Soldaten sym- schutzbericht 2016 rund 300 Mitglieder. Ihren völki- bolisieren. Seit 1929 war das Symbol Gaufeldzeichen schen Nationalismus kleidet die IB in popkulturelle der Hitlerjugend und wurde dann seit den 1990er- Symbolik und versucht, diesen durch eine an Pro- Symbol der „Identitären Be­ Jahren in der Neonazi-Szene wieder als Symbol der vokation orientierte Medienstrategie nach außen zu wegung“. „Nationalen Revolution“ gedeutet. Eben jene Insze- tragen. Das zentrale Symbol der Gruppe ist der stili- (Foto: https://www.verfas- nierung als „revolutionär“ und „antikapitalistisch“ sierte schwarze Buchstabe Lambda auf einer gelben sungsschutz.de/de/arbeits- dürfte es auch sein, die die „Antikapitalistischen Flagge. Dieses Symbol soll die Schilde der Soldaten felder/af-rechtsextremismus/ zahlen-und-fakten-rechtsex- Kollektive“ vor allem für rechtsextreme Jugendliche Spartas geziert haben und wurde vor allem durch tremismus/identitaere-bewe- attraktiv erscheinen lässt. In der Struktur finden sich die Comic-Verfilmung „300“ aus dem Jahr 2007 gung-deutschland) viele junge Neonazis wieder, die schon seit Jahren weltweit bekannt.

12 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Die Besetzung des Brandenburger Tors im Au- Ideologie einher. Vielmehr zeigt sich, dass durch gust 2016 verschaffte der IB erstmals bundesweite das Nachwachsen von rechtsextremen Jugend- Aufmerksamkeit. Dabei hat die IB verstanden, dass gruppen auch neue jugendkulturelle Elemente die Dokumentation der eigenen Aktion deutlich Eingang in die Szene finden. Damit werden aktu- wichtiger ist als die Aktion selbst. Mit dem Video der elle jugendkulturelle Trends mit rechtsextremer Besetzung erreichte die Gruppe zehntausende Men- Ideologie kombiniert. Spätestens mit der Öffnung schen online. Anfang der 2000er-Jahre sind diese Tendenzen Zahlreiche Aktivisten der IB stammen aus dem immer vielfältiger geworden. Gleichzeitig ist die klassischen Neonazi-Spektrum, so zum Beispiel aus Szene auf diese Modernisierung angewiesen, um der inzwischen verbotenen „Heimattreuen deut- Nachwuchs zu rekrutieren und nicht den Anschluss schen Jugend“ (HDJ) oder der NPD und ihrer Ju- an den Mainstream zu verlieren. Damit werden gendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten. rechtsextreme Jugendkulturen auch zum Einstieg Viele sind zwischen 20 und 30 Jahre alte Studenten. für Jugendliche in die rechtsextreme Szene. Der Schick der „Neuen Rechten“ zieht jüngere Kader aus der klassischen Neonazi-Szene an. Mit dem Nie- Felix M. Steiner dergang der NPD hat auch deren Integrationskraft nachgelassen, auch deren ehemalige Führungskräf- te suchen nun in der moderner auftretenden und Anmerkungen: erfolgreicheren IB und ähnlichen Organisationen ih- (1) Der vorliegende Beitrag wurde mit Zustimmung des Autors für ren Platz. Vor allem die ehemaligen Führungskräfte die Veröffentlichung in den Thüringer Museumsheften durch Cornelia Habisch, Referatsleiterin bei der Landeszentrale für der Jungen Nationaldemokraten sind mittlerweile in politische Bildung Sachsen-Anhalt, bearbeitet und um die Vor- den neurechten Jugendgruppen aktiv. Mit dem Auf- bemerkung ergänzt. treten der IB hat sich das Spektrum am rechten Rand um neue Symbole und Aktionsformen erweitert, das völkische Weltbild ist allerdings trotz aller Inszenie- Weiterführende Literatur und Verweise: • Staud, Toralf/Radke, Johannes: Neue Nazis. Jenseits der NPD. rungsbemühungen auch hier Kern der Ideologie. Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts, Köln 2012 • Weiß, Volker: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Fazit Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017 • http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremis- mus/185061/rechtsrock-millionen-mit-hass Die rechtsextreme Szene in Deutschland ist immer • http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremis- vielfältiger geworden. Dies lässt sich auch an der mus/165545/turnschuhe-statt-springerstiefel Vielzahl von Symbolen ablesen. Trotz der zahlrei- • http://www.dasversteckspiel.de/index.php?id=28&stufe=28& chen Übernahmen aus Sub- und Popkultur sind die finder=1&artikel=12 • http://www.spiegel.de/panorama/justiz/identitaere-bewegung- Inhalte in zentralen Punkten unverändert. Die Mo- wie-die-gruppierung-jugendliche-anspricht-a-1107442.html dernisierung des Erscheinungsbildes geht keines- • http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus-haken- wegs mit einer Entschärfung der rechtsextremen kreuz-in-sechs-buchstaben-verboten-oder-nicht/13799410.html

13 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Symbole, Codes und Styles des Rechtsextremismus

ie die Vergangenheit, zwar nur in Einzel- Das Beispiel zeigt, dass heute über die Behand- Wfällen, aber doch bereits mehrfach gezeigt lung der nationalsozialistischen Vergangenheit hat, können auch Museen, Gedenkstätten und hinaus weitere Themen existieren, die zu rechtspo- Ausstellungen je nach Inhalt und Profil zu Zielen pulistischen Infragestellungen oder extremistischen von Provokationen oder Orte von politisch moti- Attacken veranlassen können. Hierzu könnte bei- vierten Rechtsverstößen werden. Das gilt prinzipi- spielsweise der gesamte Themenkreis gehören, der ell für den Links- wie für den Rechtsextremismus, Fragen nationaler Identität behandelt – einschließ- wobei gravierende Vorfälle bisher vor allem dem lich Zuwanderung bzw. Migration, Nationalstaats- rechten Rand zuzuordnen sind. Auch aus Thüringen bewegung, deutsche Einheit. Allein dieser Komplex sind Beispiele dafür bekannt geworden. Das Spek­ macht deutlich, dass der Kreis potenziell betroffener trum reicht dabei vom bewussten Absingen des Museen nicht klein ist. Deutschlandliedes mit allen drei Strophen durch Die Landeszentrale für politische Bildung rechtsgerichtete Burschenschafter im Innenhof der Sachsen-Anhalt hat ein Poster erarbeitet, in dem Wartburg bis hin zu Schmierereien in Gedenkstät- wichtige Erkennungszeichen rechtsextremer Grup- ten, wie es für Buchenwald und Mittelbau-Dora pierungen zusammengefasst und erläutert wurden. registriert werden musste. Das Erkennen von Museums- und Gedenkstätten- Der rechtsterroristische Bombenanschlag auf besuchern mit entsprechenden Gesinnungen bildet die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der eine Grundlage dafür, schnell auf etwaige Vorfälle Wehrmacht 1941 bis 1944“ im Jahr 1999 in Saar- reagieren zu können. Einerseits ist der reguläre brücken macht die gefährliche Dimension des poli- Besucherbetrieb ohne Beeinträchtigungen für die tischen Extremismus auch für den Museums- und anderen Gäste sicherzustellen, andererseits scheint Ausstellungsbereich deutlich. Eine neue Qualität eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich, um bei zeigt das Beispiel der Friedrich-Ludwig-Jahn-Ge- Feststellung entsprechender Erkennungszeichen, denkstätte im benachbarten Sachsen-Anhalt, wo Ausstellungsbereiche oder auch das Besucherbuch offenbar zielgerichtet und in einer vorbereiteten auf Beschädigungen oder Schmierereien zu überprü- Attacke durch rechtspopulistische Kräfte die muse- fen. Das öffentliche Tragen und Zeigen verbotener alen, wissenschaftlich untersetzten Deutungsange- Symbole eröffnet die Möglichkeit, die Polizei einzu- bote zum Wirken einer historischen Persönlichkeit schalten. in Frage gestellt und die politische Unabhängigkeit Dem folgenden Abdruck liegt das veröffent- der Museumsarbeit in Zweifel gezogen wurde. Das lichte Material aus Sachsen-Anhalt zugrunde. Die Diktum der „Lügenpresse“ wurde hier auf ein muse- Erläuterungen wurden geringfügig bearbeitet. Die ales Angebot übertragen (siehe den Gastbeitrag von Redaktion bedankt sich für die Bereitstellung von Manuela Dietz, S. 29ff). Informationen und Bildvorlagen.

14 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Symbole des Nationalsozialismus

Hakenkreuz: Es handelt sich um ein eindeutiges Kennzeichen des Nationalsozi- alismus. Das Kreuz ist nach § 86a StGB verboten und darf damit nicht öffentlich getragen werden.

SS: Das in Sig-Runen ausgeführte Doppel-S steht für „Schutzstaffel“, eine Gliede- rung der NSDAP. Nach § 86a StGB ist es verboten, das Kürzel in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die SS-Symbolik ist in der rechtsextremen Szene aber allgegenwärtig. In abgewandelten Formen wird es als Bekenntnis verwendet. Begriffe wie „schwarzer Orden“ oder „Doppelblitz“ können als sprachliche Decknamen vorkommen.

Reichsadler: In der Zeit des Nationalsozialismus wurde eine typische bildliche Stilisierung mit weit ausgebreiteten Schwingen verwendet. In der rechtsextre- men Szene sind alle Formen davon beliebt, wobei das ursprünglich zugehörige Hakenkreuz oft eine Leerstelle bildet. Der Reichsadler wird auf T-Shirts, Fahnen, Aufnähern und Ansteckern verwendet, oft verbunden mit politischen Aussagen, wie: „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“.

Hammer und Schwert: Bei der „Hitlerjugend“ wurde das Symbol ab 1929 als ein Gaufeldabzeichen verwendet. In der rechtsextremen Szene steht die Zeichenspra- che heute wieder für eine Volksgemeinschaft aus Arbeiter und Soldat. Das Zeichen ist in einem „sozial-revolutionären“ Flügel der rechtsextremen Szene verbreitet.

Wolfsangel: Das Zeichen, auch Gibor-Rune, diente schon vor dem Nationalsozi- alismus als Symbol für den Werwolf. Im Zweiten Weltkrieg nutzten es militärische Einheiten, wie auch die Werwolforganisation, die nach der Niederlage im Unter- grund weiterkämpfen sollte. In der rechtsextremen Szene ist die Wolfsangel in ih- ren unterschiedlichsten Formen als Zeichen für Wehrhaftigkeit beliebt. Als Symbol der verbotenen „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit“ ist die Verwendung des Zeichens nach § 86a StGB strafbar.

15 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Gauwinkel/Gaudreiecke: Sie wiesen im Nationalsozialismus die Träger als An- gehörige eines bestimmten Gaus der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbei- terpartei“ oder der „Hitlerjugend“ (HJ) aus. Das im Vergleich zum ursprünglichen Uniformaufnäher abgewandelte schwarze Dreieck mit silberner Umrandung wird heute zur Kennzeichnung der lokalen Herkunft genutzt. Die Verwendung ist nach Urteil des Bundesgerichtshofs gemäß § 86a StGB untersagt, da es dem originalen Uniformzeichen der NS-Zeit zu ähnlich sieht.

Schwarze Sonne: Das Symbol, wie es die rechtsextreme Szene trägt, entstammt einem Bodenmosaik aus der SS-Kultstätte Wewelsburg. Die „Sonne“ aus zwölf Sig-Runen ist eine Schöpfung der SS und gilt heute in der Szene als Symbol der Verbundenheit mit der „eigenen Art“ und den „arteigenen Wertvorstellungen“. Es wird auch als Ersatz für das verbotene SS-Zeichen getragen.

Eisernes Kreuz: 1813 als militärisches Verdienstabzeichen eingeführt, wurde das „E.K.“ der bekannteste deutsche Orden im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Als Hoheitszeichen mehrfach modifiziert, findet das Eiserne Kreuz auch heute in der Bundeswehr Verwendung. Die rechtsextreme Szene verwendet das Symbol im Kontext des Dritten Reiches, wobei das Kreuz auch in der Rocker- und Metal-Szene verwendet wird.

Reichskriegsflagge: Die Flagge besteht seit 1867 in verschiedenen Formen. Die Farben Schwarz-Weiß-Rot werden in der rechtsextremen Szene in Ablehnung der Farben Schwarz-Rot-Gold gewählt. Besonders beliebt ist in der Szene die Reichs- kriegsflagge, in deren Mitte sich ein Kreis mit dem Reichsadler befindet und oben links ein Eisernes Kreuz. Beim Zeigen der Flaggen aus den Jahren 1867 bis 1921 kann die Polizei im Einzelfall einschreiten. Verboten ist die Version aus der Zeit des Nationalsozialismus, die ein Hakenkreuz zeigt.

16 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Symbole verbotener Organisationen

Heimattreue Deutsche Jugend e. V.: Die HDJ war bis zum Verbot 2009 eine Organisation, die Kinder und Jugendliche zu „überzeugten Nationalisten“ erzie- hen wollte. In der Verbotsbegründung wird diese Erziehungsausrichtung betont. Die rote Flamme vor schwarz-weißem Hintergrund war ihr Symbol. Die Darstellung ist nach § 86a StGB verboten.

Blood and Honour (B&H): Die „Deutsche Division“ des inter- nationalen Netzwerkes „Blood and Honour“ wurde 2000 verbo- ten. Die öffentliche Darstellung des Logos ist nach § 86a StGB untersagt. Der Name ist eine Anspielung auf eine Parole des Nationalsozialismus „Blut und Ehre“.

Nationale Sammlungsbewegung (NS): Auch als „Nationale Sammlung“ be- zeichnet, wurde die Organisation 1989 verboten. Die schwarz-weiß-rote Flamme mit den beiden Buchstaben darf nach § 86a StGB in der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden.

FAP: Die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) wurde 1995 verboten. Das schließt das öffentliche Tragen des Logos gemäß § 86a StGB mit ein. Das Zahn- rad mit den Buchstaben der Partei stellt eine Abwandlung des Symbols der NS- Organisation „Deutsche Arbeitsfront“ dar, bei der das Zahnrad ein Hakenkreuz umrandete.

17 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Zahlencodes

In der rechtsextremen Szene werden sehr häufig und variantenreich Zahlencodes verwendet, bei denen die Ziffer die Stelle des entsprechenden Buchstabens im Alphabet markiert. Der jeweilige Buchstabe steht dann als Abkürzung für eine Bezeichnung mit NS-Kontext:

13/4/7 M.d.G. Mit deutschem Gruß 192 A.i.b. Adolf is back 18 A.H. Adolf Hiltler 4/20 oder 4:20 20. April, amerikanische Form 19/8 S.H. Sieg Heil der Datumsangabe für Hitlers 74 Gd. Großdeutschland Geburtstag 88 H.H. Heil Hitler 444 D.d.D. Deutschland den Deutschen

Die Zahlencodes können in Logos eingefügt sein: Club 88

Eight-Ball/8-Ball: Die schwarze Billardkugel mit der 8 ist in der rechtsextremen Hate-Core-Szene sehr beliebt. In den USA wurde diese Kugel erstmals Anfang des letzten Jahrhunderts verwendet. Das Symbol griffen stilistisch ausgerichtete Rechtsextreme, die den Musikstil Hate-Core mögen, in den vergangenen Jahren auf und deuten es für sich. Häufig erscheint das Symbol in Logos von Szenege- schäften und -versandunternehmen sowie bei rechtsgerichteten Musikgruppen (Chaos 88, Hate-Society).

168:1: Die Zahlenkombination bezieht sich auf das Bombenattentat des US-ame- rikanischen Rechtsextremisten Timothy McVeigh 1995 auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City, bei dem 168 Menschen starben. McVeigh wurde 2001 hinge- richtet. In der rechtsradikalen Szene findet man diesen Zahlencode auf T-Shirts oder Buttons.

14 Words: Das Kürzel steht für die Parole des US-amerikanischen Neonaziführers David Lane (): „We must secure the existence of our people and a future for white children“ („Wir müssen den Erhalt unserer Rasse sichern und eine Zukunft für weiße Kinder“). Sowohl der Slogan als auch das Kürzel werden in der rechtsextremen Szene häufig verwendet, z. B. auf T-Shirts oder in E-Mail-Adressen.

18 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Jugendkulturelle Codes

Landser: In der Szene ist die Rechtsrockband „Landser“ sehr beliebt. 2003 stufte das Berliner Kammergericht die Band um den Sänger Lunikoff (Nickname) als kriminelle Vereinigung ein, da sie mit ihren Liedern zu Hass und Gewalt gegen Menschen mit Mi- grationshintergrund, jüdischem Glauben und Andersdenkende aufriefen. Das Verbot wurde in letzter Gerichtsinstanz bestätigt. Ihr Logo ist einem Abzeichen der SS-Kavalle- rie-Division Lützow entlehnt. Lunikoff tritt als „Lunikoff-Verschwörung“ weiterhin auf.

WAR/WAW: Das Kürzel bedeutet „“ oder als deutsches Pen- dant des US-amerikanischen Originals „Weißer Arischer Widerstand“. Der Kampf- begriff dient rechtsextremen Individual- und Terrorgruppen als identitätsstiftendes Label. Meist wird die Abkürzung mit Waffenmotiven verbunden. Die Buchstaben kommen auch in Namen von Rechtsrockbands vor (z. B. WAW-Kampfkapelle).

Kategorie C: Unter der Bezeichnung erfasst die Polizei die stets gewaltbereiten Fußballfans. In dieser Hooligan-Szene ist der Begriff populär und wird als Selbst- bezeichnung genutzt. Die Hooliganband „Kategorie C/Hungrige Wölfe“ ist wegen Kontakten zur rechtsextremen Szene umstritten. Bei einem Solidaritätskonzert 2006 für den damals inhaftierten Sänger „Lunikoff“ wirkte sie mit. Zur Fußball- WM 2006 veröffentlichte die Band den Song „Deutschland dein Trikot“ mit dem Text: „Das ist Schwarz und Weiß. Doch leider auch die Farbe deiner Spieler…“

White-Power-Faust: White Power, übersetzt „Weiße Macht“, ist ein interna- tionaler Slogan. In der rechtsextremen Szene steht er für „Weiße Vorherrschaft“ oder „Weiße Vormachtstellung“, womit in der Szene eine weiß-europide Rasse gemeint ist. Die White-Power-Faust wird als Gegensymbol zu der Faust der US- amerikanischen Black-Power-Bewegung gesehen und ist auch in Deutschland in der rechtsextremen Szene sehr verbreitet.

Screwdriver: Das in Fraktur-Schrift geschriebene „S“, verbunden mit dem Adler, ist das Logo der um 1977 entstandenen englischen Band „Screwdriver“ von . Sie prägte wie keine andere Band den Rechtsrock. Der Band­ leader initiierte die Gründung des Netzwerks „Blood and Honour“ und wirkte auch bei dem Netzwerk „Rock Against Communism“ mit. Nach seinem Tod 1993 bei einem Autounfall wurde er zur „Kultfigur“ der Szene. Seitdem läuft eine breite Vermarktung des Logos auf Bekleidung, Gürtelschnallen und Postern.

19 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

ZOG: Hinter dem Buchstaben steht die Abkürzung für „Zionist Occupied Govern- ment“ („Zionistisch besetzte Regierung“). In der rechtsextremen Szene wird die Buchstabenfolge für eine angebliche „jüdische Weltverschwörung“ verwendet. Die Buchstaben finden sich auf Bekleidung, Buttons und CD-Covers. In Songs ru- fen Rechtsrockbands zum „Kampf gegen ZOG“ auf. Gern wird der Begriff, der von der militanten Szene geprägt wurde, auch an Hauswände von „Feinden der Bewe- gung“ gesprüht oder bei Friedhofsschändungen auf Grabsteine gemalt.

Zahnrad: Es wird in Verbindung mit weiteren Symbolen oder Schriftzügen verwen- det. Im Nationalsozialismus war dieses Rad das Zeichen des „Reichsarbeitsdiens- tes“. Verbunden mit dem Hakenkreuz nutzte es auch die „Deutsche Arbeitsfront“. In der jüngeren Szene verwendeten NPD und freie Kameradschaften das Symbol. Der „Selbstschutz Deutschland“ verbindet es heute in seinem Logo mit einem Thorshammer. Der Personenzusammenschluss, der in Sachsen-Anhalt entstand, bie- tet bei Szeneveranstaltungen den Schutz- und Ordnungsdienst an.

Combat 18: Hinter dem Namen mit der Bedeutung „Kampfeinheit Adolf Hitler“ verbirgt sich der „bewaffnete Arm“ des internationalen Netzwerks „Blood and Honour“. In Deutschland ist B&H zwar ver- boten, dennoch wird in der Szene der Schriftzug gern auf T-Shirts verwendet. Als Kürzel C 18 wurde es auch wiederholt als Graffiti gesprüht. Mit der Verwendung wird eine militante Grundhaltung und Gewaltbereitschaft angezeigt.

Good Night Left Side: Der Slogan wird gern in der rechtsextremen Szene als Aufnäher, Button oder Bekleidungsdruck verwendet. Er ist eine Reaktion auf Kam- pagnen in der linksautonomen musikalischen Hardcore-Szene, wo zunächst der Spruch „Good Night White Pride“ aufkam. Seit den 1990er-Jahren begegnet die Verkehrung in der rechten Szene in zahlreichen Varianten, jüngst auch mit einem Bildnis Donald Trumps.

20 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Szenetypische Bekleidungsmarken

Consdaple: Die Marke ist in der rechtsextremen Szene aufgrund der im Wort enthaltenen Buchstabenfolge NSDAP sehr beliebt. Der Begriff wurde vom eng- lischen Wort Constable, übersetzt Schutzmann, abgeleitet. Der Schriftzug ähnelt dem der Marke „Lonsdale“, die in der Szene jahrelang sehr beliebt war. Seit Län- gerem wehrt sich die britische Sportmarke aber gegen diese Kunden und fördert antirassistische Initiativen.

Masterrace Europe: Der Name der Marke ist Programm: „Herrenrasse Europa“. In der rechtsextremen Szene findet sie sich in allen Spektren. Die mit dem Logo bedruckten Textilien werden ausschließlich in rechtsextremen Szeneläden und -versandgeschäften verkauft.

Pro Violence: Die Marke ist im Umfeld der rechtsextremen Szene in Norddeutsch- land entstanden. Sie folgt dem Trend in der Szene, Nachfragen zu Bekleidung und Merchandising selbst abzudecken – wie auch „H8wear“ und „Sport Frei“.

Thor Steinar: Die Marke aus Brandenburg ist in der rechtsextremen Szene äu- ßerst beliebt. Der Vertrieb erfolgt sowohl in firmeneigenen Läden als auch in mili- euspezifischen Geschäften. Die Motive werden oft aus der nordischen Mythologie entnommen, zum Teil auch aus der Symbolik der rechtsextremen Szene, wie etwa das Motiv „Adler und Fisch“. Seit dem Verkauf der Marke an einen Investor aus dem arabischen Raum ist sie in Teilen der rechtsextremen Szene umstritten.

Dobermann: Die Marke ist auf einen kommerziellen Vertrieb ausgelegt. Ihr Name bezieht sich auf die Hunderasse „Dobermann“, die oft als scharfe Wachhunde ge- züchtet werden. In der rechtsextremen Szene sind die Textilien sehr beliebt.

Troublemaker: Die Marke wird nicht nur in der rechtsextremen Szene getragen. Der Name bedeutet übersetzt „Krawallmacher“ und überzeugt auch Hooligans und Rocker. Die Textilien können über rechtsextreme Versandhändler und Läden bezogen werden.

21 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Eric and Sons: Die Marke entstand im Umfeld von „Thor Steinar“. Der Auftritt der Marken ähnelt sich. Die Motive für die Textilien werden aus der germanischen Mythologie und von heidnischen Symbolen entlehnt. Der Vertrieb erfolgt über Ver- sandhandel, Läden oder z. B. den „Deutsche Stimme Verlag“.

Walhall: Die Walhalla ist jener Ort, an dem sich Odin, der höchste germanische Gott, sich mit den gefallenen Helden und Kriegern versammelt. Die Marke „Wal- hall Germany“ wird nicht nur in der rechtsextremen Szene, sondern auch im Ro- cker- und Heavy-Metal-Milieu getragen.

Hermannsland: Die Rune „Haegl“ oder „Hagalaz“ ist das Logo der Modemar- ke. Meist ist sie auf den Bekleidungsstücken gut sichtbar. Die Rune, heißt es bei der Marke, stehe für das „H“ im germanischen Runenalphabet. Es wird hier aber nicht wie ursprünglich als „Hagel“, sondern als ein zaun-, hürde- oder leiterartiges Zeichen interpretiert. Weltanschaulich wird damit Stellung in der Zuwanderungs- diskussion bezogen.

Heidnisch-germanische Symbole

Thorshammer: Der Hammer ist ein Attribut des Gottes Thor aus der germa- nisch-heidnischen Mythologie. Bis zum Ersten Weltkrieg war der Hammer auch ein populäres Symbol der völkischen Bewegung. In der rechtsextremen Szene hat der Thorshammer eine große Verbreitung. Ebenso gern wird er aber auch in der Heavy-Metal und Dark-Wave-Szene verwendet.

Odin: In der germanischen Mythologie ist Odin der höchste Gott. Bei den West- germanen hieß er Wodan. Er ist als Kriegsgott der oberste Lenker der Schlachten und auch der Totengott. Macht, Gewalt, Kampfkraft und Germanentum werden mit ihm assoziiert. Rechtsrockbands besingen ihn gern.

22 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Triskele: Das Zeichen war vor allem im keltischen Siedlungsraum verbreitet. Die einzelnen Arme standen für Leben, Vergehen und Wiederkehr. Es kam in geschwun- gener wie auch eckiger Form vor. Vor allem in der eckigen Form wird die Triskele in der rechtsextremen Szene als dreiarmiges Hakenkreuz verstanden. Als solches Sym- bol kommt sie beispielsweise im rechtsextremen Netzwerk „Blood and Honour“ vor.

Runen: Runen sind altnordische Schriftzeichen der Germanen. Die genaue Herkunft der Laut- und teils Symbolzeichen ist umstritten. Jede Rune bezeichnet einen Buchstaben und zugleich ein Wort. In der germanischen Mythologie wird Göttern die Beherrschung der Runen zugespro- chen. Odin gilt als „Meister der Runen“. Heinrich Himmler als Reichsführer SS förderte die Runenforschung.

Lebens- und Todesrune: Die Lebensrune, mit den nach oben gerichteten Balken, stellt angeblich einen Menschen dar, der seine Arme zu den göttlichen Mächten streckt. Bereits in der völkischen Bewegung wurde das Symbol der „lebendigen Kraft des Volkes“ genutzt. Die Todesrune, auch Yr-Rune, bildet das Gegenbild zur Lebensrune. Beide Zeichen werden in rechtsextremen Zeitschriften oft bei Anzeigen verwendet – so insbesondere auch beim Tod von Mitgliedern der Szene.

Irminsul: Die Irminsul, auch Yggdrasil, ist der heidnisch-germanischen Mytholo- gie entnommen. Dieser Lebensbaum soll die Weltensäule, die sogenannte Welten­ esche, darstellen, die das Dach der Welt trägt. Im Nationalsozialismus wurde sie als Symbol für die SS-Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“ verwendet. Schon in der völkischen Bewegung war die Irminsul das Gegensymbol zum christlichen Kreuz. Bis heute wird sie deswegen in der Szene gern verwendet – als Tattoo oder Printsymbol.

Odin statt Jesus: Der Slogan ist oft auf T-Shirts zu lesen. Nicht nur in der rechts- extremen Szene ist er sehr verbreitet. Hier wird die Botschaft aber als kämpferische Absage an das Christentum getragen. Das Christentum wird als vorherrschende und als „artfremde“ Religion verstanden. Schon mit den Anfängen der völkischen Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts wurde das aus dem Judentum hervorge- gangene Christentum abgelehnt, nicht zuletzt, weil darin alle Menschen als gleich- wertig betrachtet werden.

23 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Adler fängt Fisch: Das Zeichen gilt als „Wehrsymbol des jungdeutschen Heiden- tums“ und ist gegen das Christentum (Fisch-Symbol) gerichtet. Die neonazistische „“ verwendet das Symbol als Logo. Darüber hinaus wird es in der rechtsextremen Szene in runder oder eckiger Form als Pkw-Aufkleber verwendet.

Keltenkreuz: Es wird heute als Sinnbild für das „kulturelle Erbe der nordischen weißen Rasse“ verwendet und steht für deren „Vorherrschaft“. Weltweit dient es als Symbol für „White Power“-Bewegung. Statt einem Kreis wird das Kreuz oft als Füllung des Buchstaben „O“ und damit als Teil von Worten verwendet. Der Bun- desgerichtshof entschied 2008, dass die öffentliche Verwendung dieses Kreuzes nach § 86a StGB strafrechtlich relevant ist.

Ulf Häder

Anmerkung: Die vorangegangene Übersicht und die Erläuterungen wurden auf Grundlage eines Posters der Landeszentrale für Politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt von Ulf Häder zusammengestellt und mit einer Einleitung versehen. Die Redaktion bedankt sich für Erlaubnis zur Verwendung des Materials.

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Neonazis erobern ein Dorf: Ein Freilichtmuseum in problematischer Nachbarschaft1

er Ortsname Kloster Veßra ist seit fast einem Die zweite Kontakt- und Konfliktzone wird durch Dhalben Jahrhundert mit dem dort ansässigen die Museumsgäste konstituiert. Denn es gibt auch Freilichtmuseum verknüpft. Seit einigen Jahren nach dem Sommer 2017 offenbar noch unbedarf- aber ruft die Nennung des Namens wahlweise wis- te Museumsbesucherinnen und -besucher, die den sendes Nicken, ungläubig geweitete Augen oder „Goldenen Löwen“ als Dorfgasthof wahrnehmen. resigniertes Stirnrunzeln hervor, denn seit 2014 Am 28. Januar 2018 ging zum Beispiel folgende betreibt einer der aktivsten deutschen Neonazis E-Mail im Museum ein: „Mein Mann und ich besuch- in unmittelbarer Nachbarschaft des Museums den ten heute Ihre wunderbare Klosteranlage. Ein sehr Gasthof „Goldener Löwe“. Das Repertoire der Ver- anstaltungen umfasst beispielsweise Fackelmär- sche, Konzerte, Vorträge, Versammlungen und seit Sommer 2017 auch Großveranstaltungen (mit meh- reren Tausend Teilnehmenden) auf einer Wiese am Rand der nahegelegenen Kleinstadt Themar. Zwar hat diese Dynamik zu einer neuen Wahrnehmung in Politik und Medien geführt, doch meist beschränk- te und beschränkt sich das Engagement politischer und anderer Akteurinnen und Akteure auf symbol- politische Akte. Der Alltag des Hennebergischen Museums in einer solchen Nachbarschaftskonstel- lation interessiert kaum.

Einige Befunde

Welche Kontakt- und Konfliktzonen ergeben sich aus der Nachbarschaft eines Freilichtmuseums mit einem von Neonazis genutzten Gasthof? Den ersten Bereich bilden die Neonazi-Veran- staltungen, die mit einer starken Polizeipräsenz, Kontrollen und Straßensperrungen etc. einhergehen und gerade in der Hauptsaison Besucherinnen und Schwierige Nachbarschaft: Der Treffpunkt für Neonazis unmittelbar Besucher fernhalten. neben dem Museumsgelände. (Bildquelle: Screenshot Google Maps)

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in Form von Hakenkreuzen im Gästebuch oder men- schenverachtenden Aufklebern auf Museumsauf- stellern und -schildern.

Offene Fragen

In diesem spezifischen Setting ergeben sich Fragen, auf die wir bislang kaum befriedigende Antworten finden konnten. Von zentraler Bedeutung ist die Frage: Wie ist der Imageschaden durch die Aktivi- täten der Neonazis für das Museum, den Ort und

Beeinträchtigung des Museumsbetriebs: Gesperrter Gästepark- platz während einer Veranstaltung im benachbarten Gasthof, 2018. (Foto: U. Bretschneider/Hennebergisches Museum Kloster Veßra) schönes Museum und interessantes Gesamtwerk, wo man viel lernen kann und eine große Freude beim Erkunden hat. Vielen Dank dafür! Leider gerieten wir nach der Besichtigung völlig ahnungslos und getrie- ben vom Hunger in den ‚Goldenen Löwen‘. Und als ich leider viel zu spät merkte, wo wir da hingeraten sind, blieb mir der Bissen im Hals stecken...“ Drittens – so banal das klingen mag – stellt der museumseigene Parkplatz nahe dem Gasthof ein Problem dar, denn er wird natürlich auch durch die Besucherinnen und Besucher der Neonaziveranstal- tungen genutzt. Das Team des Museums ist daher fortwährend mit dessen Absperrung befasst. Und viertens sind es konkrete An- und Übergriffe auf das Museum, sei es im diffus entgrenzten virtu- Zeugnisse der Neonazi-Veranstaltungen im Ort, 2018. (Foto: U. ellen Raum des Internets oder ganz dinglich, etwa Bretschneider/Hennebergisches Museum Kloster Veßra)

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die Region möglichst gering zu halten? Dass ein Hier ist das Museum gefordert, um nicht unter der solcher Imageschaden längst wirkmächtig ist, zeigt einheimischen Bevölkerung als Fremdkörper wahr- etwa der Kommentar eines Facebook-Nutzers unter genommen und damit kommunalpolitisch isoliert zu einer unserer Veranstaltungsankündigungen im Fe- werden. bruar 2019: „Kloster Veßra…? Wen zieht es denn Und das dritte Handlungsfeld stellt die Presse- in dieses braune Nest. Schade um diesen schönen und Öffentlichkeitsarbeit dar. Seit 2014 haben wir Ort!“ (Veranstaltungsankündigung zum Deutschen die besondere Verantwortung, Wahrnehmungen Mühlentag in Kloster Veßra, Kommentar vom 27. Fe- entgegenzuwirken, die den Standort des Museums bruar 2019). Was aber kann/darf/muss das Museum zuerst und vielleicht ausschließlich mit dem Neo- dem Profil des Gasthofes, seiner Besucherklientel nazi-Problem assoziieren. Wir müssen uns vielmehr und den damit verbundenen Aktivitäten entgegen- dafür einsetzen, die Außenwahrnehmung des Muse- setzen? Was ist museumsgerecht und nachhaltig ums und die positive Sichtbarkeit des Ortes und der jenseits symbolpolitischer Akte? Welche Mittel und Region zu stärken. Wege lassen sich im ländlichen Umfeld und im Wis- Bisher konnten in Bezug auf die historisch-po- sen um die Resignation und das Desinteresse vieler litische Bildung verschiedene Formate angeboten lokaler Akteure und Akteurinnen finden? Und nicht werden, von denen viele fortlaufend Teil unseres zuletzt: Wie nicht verzagen? Veranstaltungsprogramms sind: Vorträge und Le- sungen, Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer, Diskussionsformate, freier Eintritt für junge Zentrale Handlungsfelder Geflüchtete etc. 2018 konnte mit Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 10 des Evangelischen Für die kurz skizzierte Situation ergeben sich drei Gymnasiums Meiningen ein Ausstellungsprojekt zum relevante Handlungsfelder: Thema „FluchtErleben“ realisiert werden. Das Er- Den Kern bildet – das ist evident – das muse- gebnis, eine Poster-Präsentation zum Thema Flucht­ ale Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm. Wir erfahrungen in Gegenwart und Geschichte, war ab machen nicht Museum GEGEN den Neonazi neben- 20. Juni 2018, dem Weltflüchtlingstag, im Museum an, sondern FÜR unsere Gäste und FÜR die Region. zu besichtigen. Zudem, und das bezieht sich auf das Das Museum ist für uns keine politische Projekti- zweite oben genannte Handlungsfeld, haben die onsfläche, sondern ein offener Raum der politisch- Einwohnerinnen und Einwohner von Kloster Veßra historischen Bildung. seit dem 1. Januar 2018 freien Eintritt ins Museum. Das zweite Handlungsfeld ist der Ort Kloster Damit wollen wir das durch Klostermauer und Kas- Veßra – das sind die 300 Bürgerinnen und Bürger, sensituation vom Ort abgetrennte, vormals aber zur von denen sich bei der letzten Wahl 40 Prozent dörflichen Infrastruktur gehörende Museumsareal für die AfD entschieden haben und von denen sich wieder für die Menschen im Ort öffnen. Wir wollen nur wenige offen von den Aktivitäten im Gasthof sie herzlich einladen, zu uns zu kommen und das distanzieren. Im Gegenteil: Man schätzt den Gast- Museum als ihr Museum wahrzunehmen. Dazu wur- hofbetreiber sogar als „Kümmerer“ und „Macher“. de auch im Juni 2018 erstmals ein „Bürger*innen-

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Picknick“ durchgeführt. Etwa 70 junge und alte dacht, gezogen, ideologisch aufgeladen, verstärkt, Einwohnerinnen und Einwohner waren gekommen. bewehrt und bewacht, überwunden und eingeris- Es wurde geschlemmt, erzählt und in Erinnerungen sen. Sie existieren dinglich und mental. Sie separie- geschwelgt. Für 2019 steht der Termin eines zweiten ren in „Wir“ und „die Anderen“. Sie sind vielfältige „Bürger*innen-Picknicks“ bereits fest. Projektionsfläche: politisch, ethnisch, kulturell, kol- lektiv, individuell. Grenzen sind ein omnipräsentes Phänomen und wir machen sie 2019 zum Thema des Museum für die Region Sommer-Symposiums für bildende Künstlerinnen und Künstler. Insgesamt setzen wir auch in Zukunft Obwohl das Wort in den letzten Jahren immer mehr auf partizipative Angebote sowie auf Elemente der – insbesondere von Rechtspopulisten – vereinnahmt historisch-politischen Bildung. und negativ besetzt wurde, steht das Museum un- Die Besucherinnen und Besucher, die wegen serer Meinung nach auch in der Verantwortung, ein des Neonazis nebenan nicht ins Museum kommen, Ort der Identitätsstiftung für das Dorf und für die kann keiner zählen. Langfristig werden die Gäs- Region zu sein! Es handelt sich also um ein Stück tezahlen den schon jetzt allmählich sichtbar wer- Heimat. denden Image­schaden widerspiegeln. Unabhängig Wir stehen also vor der Herausforderung, peu davon werden wir weiter und hochmotiviert gute à peu Handlungsspielräume auszuloten und (neue) Museumsarbeit machen; und zwar nicht GEGEN Formate auszuprobieren. Im Sommer 2019 wird den Neonazi nebenan, sondern FÜR unsere Gäste sich beispielsweise ein internationales Sommer- und FÜR die Region. Symposium in der Anlage des Freilichtmuseums dem Thema „Grenzen“ widmen. Das Projekt wird vom Uta Bretschneider Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Tole- ranz und Weltoffenheit unterstützt. Es steht unter Anmerkungen: der Schirmherrschaft des Thüringer Ministers für (1) Der Text basiert in Teilen auf dem Beitrag: Der Nazi nebenan, Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten, Prof. oder: Wie wird ein ängstliches Museum mutig?, in: Museums- Dr. Benjamin-Immanuel Hoff. Grenzen werden ge- kunde 83 (2/2018), S. 26-28.

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Erinnerungsorte und Kultureinrichtungen als Räume politischer Aneignung Erfahrungsbericht aus dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Ein Gastbeitrag aus Sachsen-Anhalt

useen sind für viele Menschen Orte der Ver- welche Werte sie für die Gesellschaft vertreten. Der Mgangenheit, die kaum Einfluss auf die Ge- überwiegende Teil der Museumsschaffenden war genwart, persönliche Lebensrealitäten oder die sich einig, dass Museen “politischer“ werden müs- Zukunft haben. Sie werden als neutrale, vorurteils- sen, “Haltung zeigen“ sollen und dass diese Ent- freie Schutzräume wahrgenommen, an denen Wis- wicklungen die gesellschaftspolitische Neutralität sen in Form von faktischen Gegebenheiten, also von Museen infrage stellen. allgemeingültigen Wahrheiten, vermittelt wird. Auffällig war, dass in den Diskussionen die pro- Das sind Orte, an denen keine Meinung vorgege- pagierte „Neutralität“, die bislang quasi in der DNA ben, sondern zur Meinungsbildung befähigt wird. der Institution Museum verankert sei, selten bis gar Diesem tradierten Selbstverständnis und der dar- nicht in Frage gestellt wurde. Dabei waren es die aus folgenden Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, Sammlungen vieler Museen, die über Jahrhunderte steht nun der Wunsch nach einer Öffnung für eine vom Machtstreben und Anspruchsdenken politischer breiter gedachte Gesellschaft, nach Partizipation Regimes, auch von Unterdrückung und Ausbeutung und mehr Gegenwartsbezug entgegen. Doch das profitiert haben. Die Etablierung der Provenienzfor- Verlangen nach gesteigerter Interaktion von Mu- schung zur Ermittlung des in der NS-Zeit, der DDR seum und Gesellschaft, mehr Aktualität und Rele- oder der Kolonialzeit zu Unrecht entzogenen Kul- vanz, wirft die Frage auf, wie stark und in welcher turguts spiegelt diese Geschichte. Museen waren Form sich Museen in aktuelle gesellschaftspoliti- auch Orte der Propaganda und des Verbreitens von sche Debatten einbringen sollen und welche Kon- rassistischen und chauvinistischen Stereotypen. Sie sequenzen daraus folgen. waren nicht nur repräsentative Orte historischen Wissens, der sozial- bzw. technikgeschichtlichen Dokumentation oder von künstlerischen Leistungen, Museen und politische Neutralität sondern auch Orte der Zurschaustellung der jeweilig herrschenden bzw. vorherrschenden Ideologien und Es gab eine ganze Reihe von Tagungen und Sympo- Weltanschauungen – somit Veranschaulichungsorte sien, die sich in den vergangenen Jahren mit diesen aktueller Machtverhältnisse. Vor diesem Hintergrund Themen beschäftigten, unter anderem auch die Jah- von der “gesellschaftspolitischen Neutralität“ der restagung des Deutschen Museumsbundes 2018 in Museen zu sprechen, als wäre sie bislang schon im- Bremen, bei denen Museumsschaffende diskutier- mer selbstverständlich und der Institution Museum ten, ob bzw. wie politisch Museen heute sind und immanent, scheint daher unangemessen. Das Neu-

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tralitätsgebot, welchem sich die Museen in der Ge- genwart verpflichtet fühlen und welches in den ak- tuellen Debatten ins Feld geführt wird, ist aus diesen Erfahrungen heraus erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts formuliert worden und dient daher dem Schutz der Institution vor einer erneuten politischen Andienung bzw. Inanspruchnahme. Wenn Museen dieses Gebot nun wieder ver- werfen, müssen sie mit den Folgen umgehen kön- nen. Wer Haltung zeigt, macht sich angreifbar. Das Verlangen nach gesteigerter Interaktion von Museum und Gesellschaft, nach mehr Aktualität und Relevanz, birgt für einige Häuser ein enormes Konfliktpotenzial. Konkrete Erfahrungen mit dieser Das Wohnhaus Jahns und heutiges Jahn-Museum in Freyburg. Problematik haben in der Regel Museen, Denkmale (Foto: Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Freyburg) oder Erinnerungsorte, die sich mit den Themen NS- Gewaltherrschaft, Holocaust, Nationalismus und Krieg auseinandersetzen. Aufgrund ihrer inhaltlich- thematischen Ausrichtung, ihrer Geschichte oder Symbolkraft und vor dem Hintergrund der seit 2015 zunehmenden Debatten über Identität, Leitkultur, Deutungshoheiten und Geschichtsrevisionismus etc. stehen diese Einrichtungen zunehmend im Fokus von Gruppen und Aktivitäten des politisch extrem linken oder rechten Spektrums. Gedenkstätten, Denkmale, Museen und Erinnerungsorte werden zum Ziel von Vandalismus und Anfeindungen oder als Kulisse und Bühne missbraucht. Das letztgenannte Phänomen betrifft vor allem authentische historische Orte, die selbst Gegenstand beispielsweise einer nationalpoli- tischen Verklärung geworden sind und über eine ent- sprechende thematische Aufladung verfügen. Solche Einrichtungen sehen sich häufiger – wenn auch nicht ständig – mit Besuchern konfrontiert, die erkennbar Grab Friedrich Ludwig Jahns – heutige Situation nach der Um- bettung im Jahr 1936 in den Garten am Museum. Regelmäßig einem politischen Spektrum zugeordnet werden legen vor allem Sportler Blumen nieder. (Foto: Friedrich-Ludwig- können und deren Auftreten das Museumspersonal Jahn-Museum Freyburg) vor besondere Herausforderungen stellen kann.

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Das Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum in Freyburg

Hier soll ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt vorgestellt werden – das Wohnhaus von „Turnvater Jahn“, das heutige Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum in Freyburg an der Unstrut, in dessen Garten sich bis heute auch das Grab Jahns befindet. 1894 wurde in Freyburg das erste Jahn-Museum begründet. Ursprünglich füllte die Sammlung nur einen Raum in der als Grabmal- und Pilgerstätte er- bauten Erinnerungsturnhalle. Die Sammlung wuchs rasant, und seit 1903 diente die von der Deutschen Turnerschaft erbaute „Ruhmeshalle“ als eigenstän- diger Museumsbau. Im Herzen der Stadt Freyburg gelegen, avancierte der Ort ab 1860 zum „Mekka“ nicht nur der Deutschen Turnbewegung, sondern Jahn-Erinnerungsturnhalle, Zeitgenössische Lithographie. (Foto: auch burschenschaftlicher Verbindungen und patri- Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Freyburg) otischer Verbände, welche die Bildung eines deut- schen Nationalstaates propagierten. Besonderer Anziehungspunkt in dem kleinen Winzerstädtchen in der preußischen Provinz war das Grab des „Turnvaters“. Friedrich Ludwig Jahn wurde 1852 auf einem Städtischen Friedhof unter Ausschluss der Öffentlichkeit beigesetzt. Nach Turnsperre, Haft und Verbannung hatte Jahn 1825 Freyburg als Exil gewählt und hier seinen Lebens- abend verbracht. Er hatte das Turnen als vormilitä- rische Ausbildung in den Freiheitskriegen etabliert und maßgeblich die Idee der Einheit Deutschlands propagiert. Er war Mitbegründer des Deutschen Bundes, Agitator für das Lützower Freikorps, schrieb mit Eiselen die Statuten für die 1815 in Jena gegründete Urburschenschaft, reiste als Ab- gesandter Hardenbergs zum Wiener Kongress und setzte sich als Paulskirchenabgeordneter für ein Innenaufnahme der Freyburger „Ruhmeshalle“ mit historischer geeintes Deutschland unter preußischer Führung Jahn-Ausstellung. (Foto: Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Freyburg)

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Im kollektiven Gedächtnis ist der „Turnvater“ heute unterschiedlich verankert. Er gilt als Erfinder der Sportart Gerätturnen, als Vordenker der Einheit Deutschlands, aber auch als polternder Nationalist und Autor markiger antisemitischer und chauvinis- tischer Aussagen. Allein hieran ist ersichtlich, dass einem Jahn-Museum eine besondere Verantwor- tung zukommt und dass mit politischen Vereinnah- mungen in der Geschichte qualifiziert umzugehen ist. Pilgerstätte im Kaiserreich, Wallfahrtsort der NS-Propaganda, Kultstätte des DDR-Sports – mit jeder neuen Rezeption haben auch die Freyburger Jahn-Gedenkstätten unterschiedliche Bedeutungs- zuweisungen erfahren. Sichtbar wird dies unter anderem durch die vielfachen baulichen Eingriffe, welche vor allem am Wohnhaus – dem heutigen Museum – vorgenommen wurden. So ist das Ge- bäude, welches heute auf den ersten Blick wie ein Vereinnahmung im NS-Staat: Reichssportführer Hans von klassizistisches Wohnhaus anmutet, keinesfalls au- Tschammer 1936 bei der Eröffnung des Jahn-Museums im ehema- thentische Architektur aus der Mitte des 19. Jahr- ligen Wohnhaus. (Foto: Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Freyburg) hunderts, sondern das Ergebnis von rund 200 Jahre andauernden An-, Um- und Rückbauten. Das Mu- seum ist hier selbst ein begehbares Exponat und ein. Jahnsches Turnen war nicht nur Sport im Sin- Ort mit Symbolcharakter. ne des heutigen Gerätturnens, sondern auch ein politisches Phänomen und Teil der frühen Natio- nalbewegung. Heutige Versuche politischer Folgerichtig war die Person Jahns später poli­ Instrumentalisierung von rechts tischen Vereinnahmungen ausgesetzt. Im Kaiser- reich, in der Weimarer Republik, im NS-Staat, in der Dabei ist ein gesteigertes Interesse an der Einrich- DDR und der Bundesrepublik wurde bzw. wird Jahn tung in den letzten Jahren vor allem bei Gruppen unterschiedlich bewertet, wurden unzählige „Bil- und Akteuren aus dem rechtspopulistischen Milieu der“ des Turnvaters konstruiert. Über 600 biografi- zu beobachten, die allgemein kleine vereinsgetra- sche Werke sind seit seinem Tod erschienen, davon gene Kultureinrichtungen als Aktionsfeld im „Kampf allein über 140 in der Zeit zwischen 1930 und 1945. um die Köpfe“ entdeckt haben. Und die Flut an Publikationen, Aufsätzen und Arti- Erfahrungen zeigen, dass solche Gruppen und keln reißt auch in der Gegenwart nicht ab. einzelne Akteure meist historisch gut informiert sind.

32 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Auf dieser Grundlage wird dann beim Museumsbe- umsarbeit behindert sehe. Zudem wurde gefragt, such, gern auch im Rahmen von Führungen, verba- ob man sonst mit Problemen bei der Unterhaltung lisiert, dass man mit der „derzeitigen Rezeption“ der Einrichtung kämpfe. nicht einverstanden sei, dass die Geschichtsschrei- Dies ist eine Frage, die nahezu jede kleinere Kul- bung im Allgemeinen und Museen im Speziellen in tureinrichtung im ländlichen Raum bejahen könnte. Deutschland auf das „Wohlwollen“ der Regierenden Also eine schwierige Situation für das Personal, denn angewiesen seien und die „deutsche Geschichte“ die politische Instrumentalisierung durch eine poli- mit Jahn und der Turnerbewegung nur noch zensiert tische Gruppierung war gegeben. Was, wenn dazu oder negativ dargestellt werde. Das Museum wird noch das traditionelle Parteienspektrum und örtliche als Instrument der Regierenden angesehen, um ideo- parteipolitische Konstellationen keine günstigen logisch auf die Bevölkerung einzuwirken. Damit wird Perspektiven für die Museumsarbeit eröffnet haben? den Einrichtungen und dem Personal abgesprochen, Viele kleine Häuser sind marode, die Ausstellungen frei über Inhalte, Themen und die Darstellungsform veraltet. Es gibt zu wenig und zu schlecht bezahl- zu entscheiden. Glaubwürdigkeit und Unabhängig- tes Personal. Die Träger oder Mitarbeiter fühlen sich keit musealer Einrichtungen werden in Frage gestellt oft allein gelassen, beklagen mangelndes Interesse und versucht, die Deutungshoheit über bestimmte und mangelnde Unterstützung durch die öffentliche Themen zu erlangen. Hand. Genau diese Schwächen bieten ein Einfalls- Hier liegt nun ein Problem, denn die Museen tor für die Instrumentalisierung. Gerade vereinsge- wollen ja auch die Deutungshoheit abgeben, indem tragene Häuser ohne hauptamtliche Leitung oder Besuchende stärker an den Bildungsangeboten par- Personal mit fachwissenschaftlichem Hintergrund tizipieren, eine aktivere Rolle einnehmen und eige- könnten für derartige „Hilfsangebote“ empfänglich ne Bewertungen entwickeln. Liegt hierin die Gefahr, sein, vor allem dann, wenn es vor Ort keine Aner- dass einige Museen und Kultureinrichtungen künf- kennungskultur gibt oder inhaltlich-thematische tig leichter als Podium benutzt werden können, um Gründe zu Berührungsängsten führen oder es gar zu erneut vereinseitigende politische Ideologien und Anfeindungen oder Infragestellungen vom jeweils Weltanschauungen zu verbreiten? anderen Rand des politischen Spektrums gibt. Im Jahn-Museum gaben sich Besucher, die mit Neben den vergleichsweise einfach zu erken- Mitarbeitern das Gespräch suchten, als Mitglie- nenden Neonazis oder Rechtsextremisten, die auf der einer rechtspopulistischen Partei zu erkennen Grund ihrer äußeren Erscheinung oder ihres Ver- und stellten der Museumsleitung eine Reihe von haltens des Geländes verwiesen werden können, Fragen, die recht schnell und eindeutig politische sieht sich das Jahn-Museum zunehmend mit Per- Absichten erkennen ließen. Unter anderem wur- sonen und Gruppen konfrontiert, die wesentlich de gefragt, ob die Leiterin in die Partei eintreten subtiler vorgehen. Sie stellen öffentlich keine ver- möchte. Zudem wurde sich danach erkundigt, fassungsfeindlichen Symbole zur Schau und achten ob man die Arbeit des Museums durch die Re- sehr genau darauf, was sie sagen. Sie bewegen gierenden beeinträchtigt sehe und sich durch die sich bewusst in den „Grauzonen“ zwischen dem „überbordende political correctness“ in der Muse- „Sagbaren“ und „Nicht-Sagbaren“, spielen mit

33 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Tabus, Ästhetiken und „roten Linien“ und nutzen oder dem Museumspersonal nicht geteilt werden öffentliche Orte geschickt als Bühne, um politische, muss. Aber der Umgang mit solchen ebenso wenig ideologische und weltanschauliche Ansichten zu „Besuchern“ erfordert geschultes Personal – sowohl verbreiten. Sie lenken Gespräche mit Besucherinnen an der Kasse als auch bei der inhaltlichen Vermitt- und Besuchern oder dem Personal auf aktuelle po- lung. Schulungen zu Gesprächsführung und Deeska- litische Debatten und Probleme und bemühen dann lationsstrategien sind ebenso hilfreich wie Leitfäden Vergleiche mit historischen Sachverhalten. Gerne mit Handlungsoptionen und die Erläuterung von bezogen sich Wortführer auf die Zeit des deutschen Best Practice-Beispielen. Frühnationalismus oder streitbare Personen wie Die Umsetzung der Hausordnung bildet die Jahn, Arndt, Fichte oder Friesen. Sie führten diese Grundlage des Museumsbesuchs für alle Gäste. Un- als „moralische Instanzen“ an, die der Bevölkerung angebrachte Verhaltensweisen, die beispielsweise als „leuchtende Vorbilder“ für das heutige Handeln den Museumsbesuch anderer Gäste oder den pfleg- dienen sollten. Mitunter wurden historisch positiv lichen Umgang mit dem Inventar beeinträchtigen, konnotierte Bilder und Begriffe wie Freiheit, De- können auf dieser Grundlage unterbunden werden. mokratie und Identität mit menschenverachtenden Das Verherrlichen oder Verharmlosen der national- und ausgrenzenden Ideologien verflochten. Entspre- sozialistischen Herrschaft oder das Abstreiten von chende politische Haltungen in der Gegenwart wer- NS-Verbrechen, das Tragen von Fahnen, Bannern, den damit als positiv und als historisch folgerichtig Kleidung oder Tätowierungen mit verfassungsfeind- legitimiert. Der Umgang mit solchen Gruppen und lichen Symbolen und Parolen und deren Zurschau- Personen stellt völlig andere Anforderungen als die stellung sind ohnehin gesetzlich verboten. Umsetzung der Hausordnung. Die Hausleitungen Nach dem Vorbild anderer betroffener Einrich- müssen möglichweise zwischen stärkerer Partizipa- tungen wird derzeit eine neue Hausordnung für tion und Interaktion mit dem Publikum einerseits das Jahn-Museum erarbeitet, die diese Problematik und andererseits dem Schutz vor einseitiger politi- stärker berücksichtigt. Die Mitarbeiter des Museums scher Instrumentalisierung abwägen. sollen damit die Möglichkeit erhalten, konsequenter gegen Verstöße vorzugehen und nötigenfalls mit Hausverweis reagieren zu können. Diskurs oder Hausverbot? Hilfreich für potenziell betroffene Museen sind hier die Hausordnungen größerer Gedenkstätten, Eine Diskursvermeidung kann keine Lösung im Sinne die entsprechende Bestimmungen in der Regel auf- der Museen darstellen, ebenso wenig eine von der weisen. Museumsrezeption ausschließende Definition von „unerwünschten Besuchern“. Museen sind – auf Grundlage der jeweiligen Hausordnung – öffentlich Jahn als Feindbild bei Linksextremisten zugängliche Orte. Zur Öffentlichkeit gehören natür- lich auch Menschen, deren politische Meinung vom Im Gegensatz zu rechtspopulistischen oder rechts- Museumsträger, seinen politischen Repräsentanten extremen Akteuren, die meist als Fürsprecher/in-

34 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

nen für das Museum auftreten, sehen Gruppen Erste Maßnahmen aus dem linksextremen Milieu das Jahn-Museum nicht als erhaltenswerte Einrichtung an. Jahn gilt Der Verein bzw. das von ihm betriebene Jahn- in diesem Milieu als rüder Antisemit und „Vorläu- Museum haben angesichts der versuchten Instru- fer“ des Nationalsozialismus. Sein Nationalismus mentalisierung von rechts und der Anfeindungen aus dem frühen 19. Jahrhundert wird als Aus- von links mit einer Satzungsänderung reagiert. gangspunkt einer in Massenmord, Terror und Ras- Hier ist parteipolitische Neutralität explizit be- senwahn endenden Entwicklungslinie gesehen. tont sowie das Selbstverständnis formuliert, dass Damit werden das Stören von Veranstaltungen die Informations- und Bildungsangebote allen und Vandalismus an Denkmalen gerechtfertigt. Interessierten zugänglich sind, unabhängig von Junges Beispiel sind die Ereignisse in der Berliner Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung oder Hasenheide anlässlich des Internationalen Deut- Herkunft. Die Satzung bekennt sich damit aus- schen Turnfests 2017, als zur Beschädigung des drücklich zum Grundgesetz als Rahmen auch des dortigen Jahn-Denkmals ausgerufen wurde. Auch musealen Handelns. das Jahn-Museum war in diesem Zusammenhang Ein wissenschaftlicher Beirat aus Historikern, gefordert, da sein Trägerverein in der Presse un- Sporthistorikern, Literaturwissenschaftlern und Volks- geprüft in die Nähe von rechtsextremen Vereini- gungen gerückt wurde.

Herausforderung Neue Medien

Zu einem weitaus größeren Problem als mögli- che Auseinandersetzungen mit Besuchern vor Ort können sich Kampagnen und Diskussionen in sozi- alen Netzwerken entwickeln. Hier haben Museen wenig bis keinen Einfluss auf das, was verbreitet wird. Wenn dieses Feld aktiv bedient werden soll, sind eine professionelle Kommunikationsstrate- gie, Erfahrungen in der Nutzung entsprechender Medien und wiederum geschultes Personal erfor- derlich. Das Jahn-Museum war mehrfach betrof- fen, und in einem kleinen Haus mit lediglich zwei Festangestellten, können solche Kampagnen den Betriebsablauf empfindlich stören. Zusätzliche Anfragen und Interviews benötigen Zeit und per- Jahn-Museum heute: Sonderausstellungstafeln. (Foto: Friedrich- sonelle Ressourcen. Ludwig-Jahn-Museum Freyburg)

35 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Jahn-Museum heute: Blick in die Dauerausstellung. (Foto: Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Freyburg) kundlern und einem Antisemitismusforscher wurde ligt sich das Jahn-Museum aktiv an Arbeitsgruppen, berufen, um die museale Präsentation fachlich ab- in denen sich Museen und Kulturschaffende, gemein- zusichern und die Erarbeitung einer neuen Dauer- sam mit Vertretern der Museumsverbände und der ausstellung bis zum Jahr 2022 zu unterstützen. Auch Landeszentrale für politische Bildung über ihre Erfah- im Sonderausstellungsprogramm spiegelt sich diese rungen und den Umgang mit derartigen Situationen Haltung wider. Sonderausstellungen befassten sich austauschen. mit der Geschichte von Gleichberechtigung, Teilhabe und Inklusion im Sport und im Turnen. Zudem betei- Manuela Dietz

36 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Heimatmuseen: Mehr als Horte von „Brauchtum“ und Tradition Die Herausforderung im Umgang mit Populismus

eit einigen Jahrzehnten vernehmen wir überall sität, Migration und pluralen Gesellschaften stehen Sin und außerhalb Europas den Schrei nach der Heimatmuseen deshalb vor neuen Herausforderun- Wiederbelebung von Tradition. Als Abgrenzung zu gen, unterliegen aber auch der Gefahr der Verein- fremden Einflüssen, als „letztes Bollwerk der Dif- nahmung. ferenz“, ist diese Traditionsdebatte oft dezidiert politisch und ideologisch geprägt. Der Begriff der Tradition wird mit Identität eng verknüpft und Ein kurzer Blick in die Geschichte entwirft das falsche Bild, kollektive Gruppeniden- titäten entstünden unmittelbar und ausschließlich Die Entstehung der Heimatsammlungen und Hei- durch Tradition. matmuseen als Gegenstücke großer und repräsen- Diese Tendenzen sind nicht neu, sondern haben tativer nationaler Kunst- und Geschichtsmuseen sich vor allem in Zeiten von Unsicherheiten und hing auch mit dem Siegeszug der Volkskunde Ende schnellen politischen wie gesellschaftlichen Ent- des 19. Jahrhunderts zusammen. Zwischen 1890 wicklungen wiederholt. Ergebnis dieser Prozesse und 1918 entstanden knapp 400 Heimatmuseen im sind auch jene Heimatmuseen, die aus einer sol- Deutschen Reich. In Folge der Reichsgründung we- chen Strömung maßgeblich entstanden sind und nige Jahrzehnte zuvor, konnten sie zwischen lokaler dort ihre Blütezeiten feierten. und regionaler Identität vermitteln. Sie entstanden Mit Heimatmuseen verbinden wir heute vor al- zunächst in mittleren und kleinen Städten und lem kleine, oftmals existenzbedrohte museale Ein- später vor allem auf dem Land, maßgeblich durch richtungen mit dem Schwerpunkt auf sogenannter bürgerliches Engagement aus der Mittelschicht „Volks“- und Alltagskultur. Teils gelten sie als über- gegründet, von Lehrern, Kaufleuten, Handwerkern holt in den Konzepten, da sie hinter großen, moder- oder Pfarrern. Sie bauten meist willkürliche Samm- nen Museen an Bedeutung verlieren, teils gelten sie lungen auf, mit denen sie etwas über „die gute alte genau neben diesen als unverzichtbar. Entstanden Zeit“ erzählen wollten. Sie waren damit tendenziell sind Heimatmuseen über die Jahrzehnte vor allem antiurbanistisch und agrarromantisch. deshalb, weil sich gerade die Alltagskultur gut dazu Das heutige Stadtmuseum in Camburg steht zu eignen schien, Heimatgefühle herzustellen und pars pro toto für ähnliche Einrichtungen in ganz kollektive Identität zu stiften – zwischenzeitlich und Deutschland. Es wurde 1910 auf Stadtratsbeschluss mitunter bis heute auch nationale Identität. Aber als Ortsmuseum gegründet, welches in der Hand des genau diese Konzepte von Heimat und Identität engagierten Oberlehrers Eduard Türk zur „Samm- sind problematisch, „weil sie auf Vorstellungen von lung und Aufbewahrung von Gegenständen“ ge- einer homogenen und gewachsenen Gemeinschaft dacht war, „die für die hiesige Ortsgeschichte von aufbauen“ (Thomas Tiemeyer). In Zeiten von Diver- Bedeutung sind“. Durch den Leiter wurde hier die

37 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

Sammlung direkt an den Heimatkundeunterricht zweiten Aufschwungs der Heimatmuseen: in den gekoppelt und erhielt so ihren didaktischen Wert. 1920er- und 1930er-Jahren. Mit dem Erstarken Die ersten Einträge im Eingangsbuch dürften typisch des nationalen Gedankens sollten die Heimatstu- sein für jene Zeit: Zinnkannen, Gemälde, Haushalts- ben als Institutionen jetzt systematisch sammeln, objekte, Keramik, Bauernmöbel, Münzen, Butterfor- um ein umfassendes Bild von der „Heimat“ zu men und vieles mehr. geben – der deutschen, auch der germanischen Zudem wurden archäologische Ausgrabun- Heimat. „Damit standen sie wiederum im Dienste gen initiiert. Diese hatten ihre Blüte während des einer größeren Sache: Der Nation – und das hieß zu dieser Zeit auch der nationalsozialistischen Ideologie und Volksgemeinschaft“ (Thiemeyer). Auch in Camburg zeigt sich, dass Heimatmuseen dem NS-Regime als wichtiges Erziehungsmittel „zur Pflege von Volkstum und Heimat“, als Teil der „Jugendburg“ dienten, auf welcher die HJ- und BDM-Mitglieder ausgebildet wurden. Es ging also keinesfalls um ein wissenschaftlich geprüftes und relativiertes Geschichtsbild, sondern um mitunter nostalgisch gefärbte Identitätsgebilde. Vergleich- bar wurde der Begriff „Heimat“ im Nationalsozia- lismus gebraucht. Eine dritte Reihe der Heimatmuseen entstand von den 1970er- bis in die frühen 1990er-Jahre – in der DDR nicht ohne politische Intention, da eine Stärkung der Heimatverbundenheit der Ausreise- welle entgegenwirken sollte. Die Alltagsgeschichte boomte auch nach dem Ende der DDR, sollte doch nun die ostdeutsche Geschichte gerettet werden, „bevor sie im westdeutschen Konsumangebot für immer verschwinden würde“ (Thiemeyer). Gekop- pelt war dies an das, was der Volkskundler und Kulturwissenschaftler Gottfried Korff „Entkonven- tionalisierung von Kultur“ bezeichnete und was eine Ausweitung des Kanons museumswürdiger Kultur bedeutete. Das Heimatmuseum bleibt aber, Eine Vitrine im Stadtmuseum Camburg zeigt eine Auswahl der im Unterschied zum Kunstmuseum, „eher Ort der ersten Objekte, die als Schenkungen die Grundlage der Muse- Nostalgie als Repräsentationsraum prestigeträchti- umssammlung bildeten. (Foto: Pauline Lörzer, Museum Camburg) ger Hochkultur. Es zielte nicht auf Distinktion, also

38 Titelthema: Populismus und Extremismus als Herausforderung für Museen

auf Abgrenzung der Bildungsbürger und Kenner Umso wichtiger ist es, dass Museen ihren Teil von den weniger gebildeten Arbeitern und Klein- zu einem umfassenden Kultur- und Traditionsver- bürgern, sondern stellte als Volksbildungsstätte ständnis beitragen, welches die historischen Ent- im Gegenteil die ‚Kultur‘ und ‚Heimat‘ des kleinen wicklungen und Einflüsse aufzeigt, Möglichkeiten Mannes dar. Es verstand sich als ‚Ort der unmit- zur Reflexion bietet und keine Projektionsfläche für telbaren, ursprünglichen, lebensweltlichen Ding­ die Rekonfiguration einer Vergangenheit als Ort aus- arrangements […], der gegen das Artifizielle und schließender Gruppenidentitäten schafft. Elaborierte der bürgerlichen Kultur […] gerichtet Dafür ist eine Auseinandersetzung mit dem ei- war‘“ (Thiemeyer). genen Leitbild und Sammlungskonzept notwendig. Es darf weder willkürlich gesammelt, noch historisch ausgegrenzt werden. Auch moderne Alltagskultur Heimatmuseen heute – sollte Teil eines gegenwartsorientierten Sammlungs- Zukunft oder Nostalgiefalle? konzeptes sein, da sich in ihr Historisches spiegelt und sie daher als Reflexionsfläche für die Vergan- Beate Bollmann spricht von der „Authentizität“ genheit dient und als solche auch in Ausstellungen und der „Atmosphäre“ als großer Stärke der Hei- relevant wird. Gerade „die von den Museumspionie- matmuseen. Der Aufbau der Räume, weniger strikt ren so gefürchteten industriell gefertigten Produk- durch Vitrinen gegliedert, besticht häufig durch sei- te“ (Eva Bendl) rückten nun seit einigen Jahren in ne freistehenden Arrangements von Objekten, die den Fokus der Museumsleute. Und das ist gut so! Sie dem Besucher ein ganz anderes Gefühl vermitteln. sind die Grundlage, um auch die städtische Lebens- Dennoch ist auch klar, dass mit einer Scheune voll welt, die Moderne und die Gegenwart mit in den Dreschflegel und Butterfässer keine Zukunftsfähig- Blick zu nehmen und sich von einem idealisierten keit garantiert ist. Eine Problematik über die in aktu- und verklärten bäuerlich-ländlichen Raum zu lösen, ellen Museumskontexten viel diskutiert wurde und der – so wie er dargestellt wurde – weder real exis- wird. Eine Lösung kann auch hier nicht vollständig tierte noch existieren könnte. entwickelt werden, allerdings aber Gedanken dazu, Ein gutes Beispiel dafür ist der im Jahr 2014 im wie Heimatstuben und Heimatmuseen nicht (erneut) LVR-Freilichtmuseum in Kommern errichtete Wohn- in die Gefahr geraten, für rechte, linke oder staatlich container, in dem zwischen 1992 und 2012 Asyl- vorgegebene Identitätsmodelle instrumentalisiert suchende aus aller Welt untergebracht waren und zu werden – besonders vor dem Hintergrund einer der jetzt Bestandteil der Baugruppe „Marktplatz gesellschaftlichen Situation, in der Parteien mit Rheinland“ ist. Es sollte nicht mehr nur „die gute, rechtspopulistischen Parolen nicht nur in Deutsch- alte Zeit“ festgehalten werden, sondern auch „die land immer mehr Zulauf erhalten, während autori- jüngere Vergangenheit mit ihren schönen und weni- täre Regimes wie in der Türkei auf Kulturschaffende ger schönen Facetten“ als wichtiger Teil alltagskul- repressiv einwirken und einfachste wissenschaftli- tureller Ausstellungskonzepte. che Grunderkenntnisse von politischen Handlungs- Auch Sonderausstellungen, die ergänzend zu trägern in Frage gestellt werden. den Dauerausstellungen gezeigt werden, bieten

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Am 12. Mai 2019 fand im Kloster Veßra das Museumsfest „Blatt + Blüte” mit dem Probier- und Genussmarkt „So schmeckt Heimat“ statt. Solche regionalen Marktereignisse können die Vernetzung von Kultur, Landwirtschaft, Handwerk und Tourismus fördern und örtli- che Traditionen neu beleben. (Foto: Hennebergisches Museum Kloster Veßra) nicht nur ein gutes Mittel, um allgemein Besucher lichen Verhaltens zu reflektieren, auf die Region ins Haus zu locken, sondern sich mit verschiedenen zu beziehen und mit Objekten zu untermalen. Vor Themen des Alltags differenziert auseinanderzuset- allem durch Leihgaben wird auch die Partizipation zen und Raum für Begegnungen zu schaffen. An regionaler Bevölkerung möglich. Ausstellungsthemen herrscht kein Mangel, ist doch Ob und inwieweit sich Museen dabei politisch Alltagsgeschichte höchst facettenreich. Sie bietet positionieren, muss in den Häusern intern verhan- sich an, um den kulturhistorischen Wandel alltäg- delt werden. Nicht selten sind die Möglichkeiten

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dazu im hohen Maße vom Träger abhängig. Aber vermeintlich vertrauten, letztendlich aber unwirk- auch ohne klare Konfrontation oder öffentliche lichen und idealisierten vorindustrialisierten länd- Positionierung kann – und sollte – ein Museum lichen Welt vermitteln, die mit der rauen Realität insofern politisch sein, als dass als Teil unserer wenig zu tun hatte. Das heißt nicht, dass sie ihre Gesellschaft das Bekenntnis zur freiheitlich-demo- Geschichte und ihren Charme über Bord werfen kratischen-Grundordnung, zum Grundgesetz und sollen, aber sie müssen den Mut haben, einseitige zu klassischen humanistischen Werten im Zent- Konzepte zu durchbrechen und auch kritische The- rum des musealen Schaffens stehen. Dazu gehört men zu beleuchten und damit zum offenen Dialog auch die Akzeptanz historischer Situationen, deren zu stellen. Reflexion und die Anerkennung der sich daraus Auch leben Heimatmuseen im besonderen ableitenden Verantwortung. Der Bildungsauftrag Maße von Bürgernähe und bürgerschaftlichem En- für ein mündiges Publikum, den Museen erfüllen, gagement. Deshalb ist es gar nicht möglich (und leitet sich aus diesen Grundwerten ab. Gerade die vielleicht auch gar nicht nötig), jedes Heimatmuse- Alltagskultur zeigt anders als die scheinbar reprä- um zu erhalten. Sie entstehen dort, wo sie gewollt sentative und häufig an übergreifende Kunstströ- sind, wo es engagierte Sammler gibt und Leute, die mungen und historische Ereignisse gebundene sich kümmern, aber sie werden auch immer wieder Hochkultur weniger die nationalen Kontexte kultu- dort untergehen, wo Gemeinden oder Privatperso- reller Phänomene, sondern Regionen mit ihren spe- nen dies nicht mehr leisten können oder nicht mehr zifischen Besonderheiten und gleichzeitig mit ihren wollen. Wenn Heimatmuseen keine aktuellen The- überregionalen Gemeinsamkeiten. Sie bieten eine men ansprechen, wenn sie ein rückwärtsgewandtes unmittelbare Bezugsebene für individuelle Verglei- verklärendes Bild entwerfen, welches keine Diver- che und Erinnerungskultur. sität und Toleranz vermitteln kann, verlieren sie an Hier liegt der besondere Reiz für den Besucher. Relevanz und Aktualität. Sie werden nostalgische Die gezeigten Alltags- und Gebrauchsobjekte lösen Objektdepots. bei den Besuchern persönliche Assoziationen und Obgleich es ein universelles Erfolgsrezept na- Erinnerungen aus und ermöglichen somit ganz in- türlich nicht gibt, liegen doch schon vielfach An- dividuelle und emotionale Zugänge zu den Ausstel- sätze und Erfahrungen vor, die belegen, dass auch lungsinhalten. „Alltagsthemen erschließen einen die Heimatmuseen zu einer zukunftsfähigen Mu- Zugang zu unterschiedlichsten Bereichen. Histori- seumslandschaft gehören. Heimatmuseen sollten sche oder interkulturelle Vergleiche legen die Refle- sich stärker und mutiger in Vermittlerrollen bege- xion des eigenen Standorts nahe. Dass sich daher ben und – dabei das materielle und immaterielle ein Heimatmuseum als Plattform für Begegnungen Gedächtnis anregend – einen modernen und leben- verschiedener Kulturen und Lebenswelten anbietet, digen Heimatbegriff repräsentieren und vermitteln. versteht sich von selbst“ (Bendl). Hiermit ist ebenfalls ein Umdenken nötig, sich der Heimat- und volkskundliche Museen dürfen Welt auch digital zu öffnen, moderne Kommunika- nicht mehr nur Identität stiften, indem sie Ver- tionswege zu nutzen und somit den interaktiven lusterfahrungen kompensieren und Relikte einer Austausch und eine Partizipation zu ermöglichen.

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Museum Zinsspeicher Thalbürgel, obere Ausstellungsetage. (Foto: Museum Zinsspeicher/Katja Ludwig)

Digitalisierung macht auch hier nicht Halt – im Ge- touristischer Strategien werden und sich somit sy- genteil: Mit digitalen Medien, beispielsweise mit nergetisch beeinflussen. Die Vorzüge einer Region Online-Enzyklopädien zu lokalen und regionalen für ein individuelles Sammlungs- oder sogar alter- Geschichtsthemen, Vokabular und Mundart etc., natives Nutzungskonzept zu erkennen und umzu- kann die museale Arbeit nach außen getragen, setzen, ist ein Weg in diese Richtung – ein Weg zu die Reichweite gesteigert und die Relevanz gefes- lebendiger und differenzierter Traditionspflege mit tigt werden. Die Alltagskultur und die regionalen einer Teilhabe ohne Ausschlüssen. Entwicklungen werden dadurch verdeutlicht und können ein wichtiges Instrument zur Entwicklung Pauline Lörzer und Janin Pisarek

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Eröffnung im Bauhaus-Museum Weimar Der zentrale Baustein im Quartier der Moderne nimmt Positionsbestimmung vor

usnahmezustand in Weimar: Tausende strömten bauung – nicht nur die monumentale Architektur des Aam Wochenende des 6. und 7. April zur Eröff- Dritten Reiches, stark aber auch die Weimarhalle, die nung des Bauhaus-Museums nach Weimar. Vor dem von Gerkan, Marg und Partner zum Kulturstadtjahr Eingang auf dem Stéphane-Hessel-Platz bildeten 1999 errichtet wurde. Im Verlauf der Planungen ist sich lange Schlangen geduldig wartender Besucher, das Bauhaus-Museum in die zweite Reihe gerückt. die aus der ganzen Welt gekommen waren. Aber Die Außenhaut weist klassische Elemente von Herr- auch die Weimarer machten rege von dem Angebot schaftsarchitektur auf – Sockel, Attika, geschlossene Gebrauch, kostenlos an einem ersten Rundgang Wände, ein hohes Eingangsportal, Betonrahmen um durch die Ausstellung teilnehmen zu können. Lan- Fenster und Türen. Im Innern führen schmale hohe ge und heftig wurde im Vorfeld über den Standort Treppen von einer Etage zur nächsten. Das Raum- und die Architektur diskutiert und auch innerhalb gefüge geht organisch ineinander über. Durchblicke der Architektenschaft war der nach einem Wettbe- in die museale Präsentation und in die Umgebung werb ausgewählte Museumsneubau nicht unum- öffnen sich von mehreren Standpunkten aus. Den stritten. Der graue Kubus erhebt sich nun über das benachbarte Gauforum, das durch seine räumliche Ausdehnung das gesamte Quartier dominiert. „Erst als wir an diesem Ort angekommen waren, an ei- nem Unort, habe ich verstanden: Das ist der richtige Ort. Das Dreieck von 1900, 1919 und 1937 inner- halb eines winzigen Stadtausschnittes ist bis heute eine unerträgliche Zuspitzung“, erklärt der Präsident der Klassik Stiftung Weimar, Hellmut Seemann. Die klassische Topografie Weimars mit dem Theater- platz, an dem sich das temporäre Bauhaus-Museum bis letztes Jahr befand, wäre nach seiner Meinung nicht so geeignet gewesen. „Morgen wird sich die intellektuelle Physiognomie der Stadt verändern. … Endlich wird die Weimarer Klassik überwunden“, so Seemann im Pressegespräch vor der Eröffnung. Die Architektin des Gebäudes, Heike Hanada, hatte einige Schwierigkeiten, das Museum an diesem Gute Stimmung in der Schlange vor dem Bauhaus-Museum. Platz einzuordnen. Zu stark wirkt die umgebende Be- (Foto: André Kühn, Klassik Stiftung Weimar)

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schönsten Ausblick haben die Besucher in den Wei- marhallenpark. Vom Museumscafé ist ein direkter Austritt in diese grüne Stadtoase möglich. Museumsdirektorin Ulrike Bestgen will neben den historischen Sammlungsobjekten vor allem den Werkstattgedanken des Bauhauses aufgreifen und mit Leben erfüllen. Die Vorbereitungen dazu began- nen schon vor zwei Jahren mit dem von der Bun- deskulturstiftung geförderten Programm „Bauhaus Agenten“. Sie haben den Ausstellungsraum „Hannes Meyer“ kuratiert, der Fragen zur heutigen Lebensum- feld-Gestaltung aufwirft. Zudem gibt es eine intensi- ve Zusammenarbeit mit zehn Schulen in Weimar und Umgebung bezüglich der Vermittlungsarbeit. Wei- marer „Bauhaus Agenten“ haben als Mitglieder des Museumsteams die „App Bauhaus+“ geschaffen, Abteilung Bauhaus-Bühne. (Foto: Doris Weilandt) die als multimedialer Begleiter durch die Räume funk- tioniert. Zur eigentlichen Ausstellung werden weiter- führende Inhalte wie Videos, Texte, Übungen oder Grafiken angeboten. Für Familien bietet die App eine interaktive Führung für Kinder, zu der auch ein Entde- ckerrucksack ausgeliehen werden kann. Im Werkla- bor des Bauhaus-Museums besteht für die Besucher die Möglichkeit, sich als Designer mit verschiedenen Materialien und digitalen Medien auszuprobieren.

Über die Ausstellungskonzeption sprachen wir mit einer der Kuratorinnen, Dr. Anke Blümm.

Um welchen Kern haben Sie die Präsentation auf- gebaut? Anke Blümm: Für uns ist erst einmal der Stand- ort des Museums zwischen Gauforum und Kultur- projekt entscheidend; also einem kommunalen Durchblick in die Abteilung Bauhaus-Bühne. (Foto: Doris Weilandt) Bürgerprojekt der 1920er-Jahre und einem NS-Auf-

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marschplatz, der totalitären Herrschaftsanspruch symbolisiert und mit Zwangsarbeitern errichtet wurde. Hierfür wurde das ganze Gelände um das Neue Museum zerstört und weitere Häuserzeilen der Altstadt abgerissen. Und in diesen Brennpunkt setzt sich nun mitten hinein ein Museum des 21. Jahrhunderts. Das heißt, wir haben uns im Vorfeld intensiv den Fragen nach der Moderne gestellt: Was bedeutet Fortschritt für uns? Wir müssen die positiven Errungenschaften der Moderne und Zivi- lisation immer wieder neu erkämpfen und natürlich hat damit das Bauhaus zu tun, denn das Bauhaus gilt als die herausragende Schule der Moderne. Diese Standortfrage thematisieren wir u. a. direkt im frei zugänglichen Erdgeschossbereich. Das Bauhaus war ein Experimentierfeld für Kunst, Auf der Suche nach dem Neuen Menschen. (Foto: Doris Weilandt) Leben und Gesellschaft und dies wollen wir in diesem neuen Gebäude inszenieren. Wir, d. h. insbesondere meine Kolleginnen Dr. Ulrike Bestgen und Ute Acker- tie. Frauen bekamen Wahlrecht und forderten Gleich- mann, haben überlegt, nicht chronologisch vorzuge- berechtigung ein, die Körperkultur erlebte eine neue hen, sondern sieben unterschiedliche thematische Blüte. Das ist der entscheidende Zeitkontext, in dem Zugänge zu schaffen. Sie sollen die Besucher dazu das Bauhaus gesehen werden muss. Das erste, was animieren, durch unterschiedliche Objektlandschaften Sie also im Museum sehen, sind Leuchtkästen mit zu flanieren und sich dazu eigene Fragen zu stellen. den unterschiedlichsten Fotografien, Filmen, Bildern und Zeichnungen, die diesen sogenannten Neuen Sie sind also nicht so herangegangen, dass 1919 Menschen in ganz vielfältiger Weise zeigen. in Weimar eine Initialzündung stattgefunden hat und danach begann eine Entwicklung in den Werk- Sie ordnen das Bauhaus-Museum in den gesell- stätten. Sie tauchen gleich ins Thema ein? schaftlichen Kontext ein. Welche Rolle spielen die Anke Blümm: Genau. Wir fangen an mit der Fra- Exponate dabei? ge nach dem Neuen Menschen. Die gravierenden Anke Blümm: Wir haben eine zweite Abteilung, Entwicklungen der Industrialisierung seit dem 19. die heißt Experiment. Der Begriff steht für uns stell- Jahrhundert und insbesondere die Katastrophe des vertretend für das Weimarer Bauhaus insgesamt. Ersten Weltkrieges hatten dazu geführt, dass sich 1919 hat Gropius zwei vorher bestehende Kunstin- die Gesellschaft ganz neu definieren musste. Es gab stitutionen in Weimar vereinigt. Eigentlich konnte neue Verkehrsmittel, neue Medien wie das Radio, al- er überhaupt nicht voraussehen, wie sich die neue les eingebettet in die neue Staatsform der Demokra- Institution Bauhaus entwickeln würde. In dieser

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derbar. Das zweite: Wir haben eine Sammlung mit Fotografien von Erich Consemüller erworben, der da- mals das Leben am Bauhaus dokumentiert hat – so- wohl die Vorkurse, als auch die Werkstätten und das Leben am Bauhaus. Das sehen Sie im dritten Ober- geschoss. Dann haben wir eine exquisite Sammlung als Dauerleihgabe bekommen. Das sind eine Reihe wichtiger Möbel des dritten Bauhaus-Direktors Mies van der Rohe aus unterschiedlichen Inneneinrichtun- gen. Das können wir hier zum ersten Mal zeigen und es war in Weimar noch nie so zu sehen.

Farbenkugel von Johannes Itten. (Foto: Doris Weilandt) Wie viele Etagen hat das Haus? Anke Blümm: Das Haus hat fünf Etagen – drei für die Präsentation, Eingangsfoyer sowie Lounge- Abteilung sehen Sie erste versuchsweise Schüler- bereich und Café im Untergeschoss. arbeiten, Arbeiten aus dem Vorkurs von Johannes Itten, erste Werkstattarbeiten – Experimente, die am Wie können Sie im neuen Bauhaus-Museum Anfang gemacht wurden, weil man hier bereit war, den Maßstab realisieren, den das Bauhaus vor Au- ganz neue Wege für die Gestaltung von Kunst und gen hatte? Alltagsobjekten für die Gesellschaft zu gehen. Das Anke Blümm: Den Maßstab des Museums bildet leitet dann zum Beispiel nahtlos über in die Abtei- die Frage von Gropius „Wie wollen wir gemeinsam lung „Der neue Alltag“ im zweiten Obergeschoss, leben?“, die in jeder Abteilung über die Themen und die sich mit neuen Materialien und Alltagsgegen- Objekte unterschiedlich beantwortet werden kann. ständen der 1920er-Jahre befasst. Im dritten Obergeschoss stellen wir beispielsweise den Text „Die neue Welt“ des Bauhausdirektors Die Klassik-Stiftung hat eine eigene größere Hannes Meyer vor. Seine Gedanken leiten über ins Bauhaus-Sammlung und in den letzten Jahren viel Heute: Was bedeutet heute „neu und modern“, was zugekauft. Was sind Erwerbungen, auf die Sie be- bedeutet es, heute gemeinsam zu leben, zu bauen sonders stolz sind, dass sie im neuen Bauhaus-Mu- und zu arbeiten? Welche Gemeinschaftsmodelle seum präsentiert werden können? passen zu uns, welche nicht? Wie gestalten wir un- Anke Blümm: Wir sind jetzt in der glücklichen seren Alltag? Das sind die Fragen, die am Bauhaus Lage, dass wir die ursprüngliche Gropius-Sammlung intensiv diskutiert wurden und mit denen die Besu- mit 168 Objekten, die Gropius 1925 zusammen ge- cher – hoffentlich mit neuen Gedanken – wieder in stellt hat, erstmals vollständig zu präsentieren – bis ihren Alltag entlassen werden. auf die konservatorisch heiklen Textilien; sie werden turnusmäßig gewechselt. Das ist schon einmal wun- Doris Weilandt

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humboldt4 Vier Ausstellungen in vier Museen des Altenburger Landes

019 jährt sich der Geburtstag Alexander von standen Franz Xaver von Zach und Bernhard August 2Humboldts zum zweihundertfünfzigsten Mal. von Lindenau mit Alexander von Humboldt in direk- Aus diesem Anlass wird das Humboldt-Forum in tem Austausch. Sie lieferten Karten für Humboldts Berlin eröffnet und auf der ganzen Welt finden Ver- Reisewerk und Lindenau schmiedete gar Pläne für anstaltungen und Ausstellungen statt, um an den eine Forschungsreise, die er mit Humboldt gemein- Forschungsreisenden und Naturwissenschaftler zu sam unternehmen wollte. erinnern. Alexander von Humboldt zog seine Zeitge- Die 1817 gegründete Naturforschende Gesell- nossen mit seinen fesselnden Berichten von fernen schaft des Osterlandes war eine direkte Antwort auf Ländern in den Bann, seine naturwissenschaftlichen die berühmte Reise Humboldts nach Amerika. Die Forschungen regten zur Nachahmung an. Bürger wie Mitglieder der Gesellschaft – Altenburger Bürger, Regenten fühlten sich angespornt, mit der neuen Gelehrte, Handelsreisende und auch Bauern – lie- Welt in Austausch zu treten, Sammlungen anzule- ßen sich inspirieren und bauten ein Netzwerk des gen, diese zu erforschen, zu zeichnen und zu pub- Wissens auf. Mit großem Eifer entstanden anfangs lizieren. Im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg vor allem umfangreiche entomologische, ornitholo- gische und geologische Sammlungen der regionalen Tier- und Pflanzenwelt, ein Herbarium sowie eine Bibliothek. Die ersten Verzeichnisse der heimischen Flora und Fauna wurden angelegt. Zudem war man bestrebt, die wachsende naturkundliche Sammlung mit Objekten aus fernen Ländern zu bereichern und man unterstützte zahlreiche ausländische Expediti- onen (u. a. nach Venezuela, Brasilien, Mexiko oder Australien) durch Aktienbeteiligungen. Manche Mitglieder zogen sogar selbst in die Welt, wie Alf- red Brehm (1829-1884) aus dem zum Herzogtum gehörenden Renthendorf oder der Tiermaler und Naturforscher Christian Anton Goering (1836-1905) aus Schönhaide nahe Schmölln. Alfred Brehm ließ sich u. a. auch von Humboldts Reise durch Russland (1829) inspirieren und reiste auf seinen Spuren 1876 von West-Sibirien bis in den Altai. 1828 nahm die Naturforschende Gesellschaft Brasilianischer Papagei. (Foto: Mauritianum) des Osterlandes Alexander von Humboldt als Eh-

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Die Museen des Altenburger Landes nehmen 2019 in einer gemeinsamen Ausstellung das Le- ben Alexander von Humboldts und sein Wirken auf die Region in den Blick. Das Lindenau-Museum Altenburg widmet sich dabei u. a. der Inspiration, die der Museumsgründer von dem bedeutenden Forschungsreisenden Georg Forster (1754-1794) empfangen hat und präsentiert einen Teil der origi- nalen Zeichnungen Forsters von seiner Expedition mit James Cook aus dem Bestand der Forschungs- bibliothek Gotha. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Beziehung Humboldts zu Lindenau und das berühmte Reisewerk über Südamerika, das der Altenburger schon früh in seine Kunstbibliothek in- tegrierte. Dank seines hervorragenden naturwissen- schaftlichen Netzwerkes befinden sich aber auch die wesentlichen Reisewerke der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Lindenaus Kunstbibliothek. In Korre- Blatt aus: Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland, Reise in die Äquinoktialgegenden des Neuen Kontinentes, Ausge- spondenz zu den Grafiken aus der Kunstbibliothek führt in den Jahren 1799-1804, Paris 1810. (Foto: PUNCTUM/ sollen erstmals in einer Ausstellung des Lindenau- Bertram Kober) Museums auch Tierpräparate aus dem benachbarten Naturkundemuseum Mauritianum Platz finden. Das Naturkundemuseum Mauritianum widmet renmitglied auf und übersandte ihm ein entspre- sich in „Sammeln und Forschen im Geiste Hum- chendes Diplom. Natürlich gehörte auch Bernhard boldts“ den Folgen des Wirkens Alexander von von Lindenau dieser renommierten Altenburger Humboldts für die Forschung in Altenburg und den Vereinigung an und förderte sie. Für Lindenau, der Wissensaustausch des kleinen Herzogtums mit der wie Humboldt zu den letzten Universalisten gehörte, Welt. Angeregt von Humboldts literarischen Reise- standen ab 1843 seine Sammlung und die dazu ge- schilderungen und den Beschreibungen fremdländi- hörende Bildungsanstalt im Vordergrund. Mit Hilfe scher Tier- und Pflanzenwelten, die Bestandteil der der Ausbildung in Lindenaus Kunstschule und durch Bibliothek der Naturforschenden Gesellschaft des Stipendien der Lindenau-Zach’schen Stiftung wurde Osterlandes waren, bemühte sich die Gesellschaft der Handwerkersohn Anton Goering ein internati- im regen Austausch mit Institutionen im Ausland um onal beachteter Südamerikaforscher. Auch Herzog die Bereicherung ihrer Sammlungen durch Präparate Ernst II. von Sachsen-Altenburg begab sich 1911 auf aus anderen Ländern. Im Ausstellungsteil des Mauri- eine Forschungsreise nach Spitzbergen und zählte tianums stehen die Sammlungen, die in diesem Kon- dabei auf die Beratung von Fridtjof Nansen. text nach Altenburg kamen, im Mittelpunkt.

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Das Residenzschloss Altenburg präsentiert das Thema „Herzöge auf Spitzbergen, Prinzen am Amazonas: Adlige als Entdecker in der Nachfolge 4 Humboldts“. Humboldts Leistungen inspirierte humboldt Generationen seiner adligen Standesgenossen, die ihm bis in das 20. Jahrhundert hinein auf dem Feld der Wissenschaft nacheiferten. Sie finanzierten For- schungsreisen und erkundeten als Geographen und Biologen die für Europäer unbekannten Weltregio- nen. Einer dieser Nachfolger war der Altenburger Herzog Ernst II., der im Jahr 1911 eine Spitzbergen- Expedition unternahm. In der Ausstellung werden das Rollenverständnis der „Aristokraten als For- scher“ im Zeitalter der Entdeckungen und des Ko- lonialismus sowie die Expedition von Ernst II. im Residenzschloss Burg Posterstein Naturkundemuseum Lindenau-Museum kulturhistorischen Kontext kritisch aufgearbeitet. Altenburg Mauritianum Altenburg Das Museum Burg Posterstein erinnert an An- ton Goering, dem als Handwerkersohn aus Schön- haide im heutigen Altenburger Land eine Karriere als Forschungsreisender, Zeichner und Tierpräpara- tor gelang. Den zwanzig Kilometer langen Fußweg 4 nach Altenburg nahm er in Kauf, um die Kunst- humboldt schule Bernhard von Lindenaus zu besuchen. Sei- ne weitere künstlerische Ausbildung erhielt Anton Vier Ausstellungen in vier Museen Goering, unterstützt von Stipendien der Lindenau- Zach’schen Stiftung, in Leipzig und London. Naturkundemuseum Mauritianum Lindenau-Museum Altenburg Auf den Spuren Alexander von Humboldts be- 30. Juni 2019 bis März 2020 22. August bis 1. Dezember 2019 trieb er später botanische und geografische Studien www.mauritianum.de www.lindenau-museum.de in Südamerika. Er sammelte exotische Tiere und hielt Residenzschloss Altenburg Museum Burg Posterstein seine Eindrücke in Landschaftsaquarellen fest. Mit 18. August bis 3. November 2019 1. September bis 17. November 2019 seiner Arbeit leistete Anton Goering einen wichtigen www.residenzschloss-altenburg.de www.burg-posterstein.de Beitrag zur Erforschung Venezuelas. Seit 1874 ar- beitete er als Tier- und Landschaftsmaler in Leipzig. Abb.: Alexander von Humboldt (1769–1859) Mit den Altenburger Naturforschern blieb Goering Punktierstich von Johann Adolf Rosmäsler (1770–1821), Anfang 19. Jh. lebenslang in Kontakt. Für seine Verdienste verlieh Lindenau-Museum Altenburg ihm Herzog Ernst I. von Sachsen-Altenburg den Pro- fessorentitel. Karte. (Gestaltung: Ulrike Weißgerber)

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Die Ausstellung verfolgt Anton Goerings Entwick- Naturkundemuseum Mauritianum lung und Lebensweg. Seine Reisewege leben anhand Sammeln und Forschen im Geiste Humboldts 30. Juni 2019 bis März 2020 seiner reich illustrierten Tagebücher und Holzschnitte, www.mauritianum.de Leihgaben des Leibnitz Instituts für Länderkunde in Leipzig, wieder auf. Von Anton Goering präparierte Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg exotische Tiere vermitteln ein Bild der damaligen For- Herzöge auf Spitzbergen, Prinzen am Amazonas: schungsreisen im Geiste Humboldts. Adlige Entdecker in der Nachfolge Humboldts Zu den vier Ausstellungen gibt es ein gemein­ 18. August bis 3. November 2019 sames Begleitprogramm. Der Katalog wird in der www.residenzschloss-altenburg.de Reihe „Aus Lindenaus Sammlungen“ des Linde- nau-Museums erscheinen und von Victoria Kubale, Lindenau-Museum Altenburg Volontärin am Lindenau-Museum, und Christian Altenburg und die Welt Landrock, Volontär am Residenzschloss, redigiert 22. August bis 1. Dezember 2019 www.lindenau-museum.de werden. Die Ausstellungsserie steht unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Minister für Kultur, Bundes- und Europaangele- Museum Burg Posterstein Aus Schönhaide nach Südamerika: Der Vogelkundler, genheiten und Chef der Staatskanzlei. Zeichner und Maler Anton Göring 1. September bis 17. November 2019 Sabine Hofmann www.burg-posterstein.de

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Der Leuchtturm an der Blauen Flut Das Lindenau-Museum Altenburg wird generalsaniert und deutlich erweitert

nter den vielen bedeutenden Museumseinrich- ken Gerhard Altenbourgs. Das Museum vergibt alle Utungen in Thüringen haben vier einen besonde- zwei Jahre im Wechsel ein nach dem Museumsgrün- ren Status. Die Wartburg in Eisenach, die Stiftung der benanntes Nachwuchsstipendium und mit dem Schloss Friedenstein Gotha, die Klassik Stiftung Wei- Gerhard-Altenbourg-Preis den wichtigsten Thürin- mar und das Lindenau-Museum Altenburg gehören ger Kunstpreis. zu den 23 national bedeutsamen Einrichtungen, die Das 1848 gegründete Lindenau-Museum ist seit in der Konferenz nationaler Kultureinrichtungen zu- 1879 in einem Gebäude beheimatet, das etwa zur sammengeschlossen sind. Dieser Verbund geht auf gleichen Zeit wie das Herzogliche Museum Gotha das 2001 veröffentlichte Blaubuch zurück, in dem und das Neue Museum in Weimar entstanden ist. Paul Raabe im Auftrag der Bundesregierung die Ungeachtet wichtiger Sanierungsmaßnahmen in der herausragenden Kulturstätten in den Neuen Län- Vergangenheit beklagt das Haus seit Jahren einen dern erfasste. Unter den vier Thüringer Orten ist das gewaltigen Sanierungsstau und seit Jahrzehnten Lindenau-Museum etwas Besonderes. Es ist in Fach- eine erhebliche Platznot, für die es nun endlich eine kreisen weltbekannt und für potenzielle Besucher Lösung gibt. Im November 2018 hat der Deutsche doch immer noch ein Geheimtipp. Seinen „inter- Bundestag entschieden, für die Generalsanierung nationalen Rang“, den Raabe ihm attestierte, ver- dankt es vor allem seiner einzigartigen Sammlung frühitalienischer Tafelbilder, 180 Werken von Guido da Siena bis Sandro Botticelli, die zu den größten ihrer Art außerhalb Italiens zählt. Zusammengetra- gen hat sie der Staatsmann, Mäzen und Astronom Bernhard August von Lindenau (1779-1854), der außerdem antike Vasen, eine Abguss-Sammlung, Ar- chitekturmodelle, weitere Gemälde und eine Kunst- bibliothek für einen Bildungsort zusammentrug, der von Anfang an auch über eine Kunstschule verfügte, die bis heute untrennbarer Teil des Museums ist. Die Sammlungen wurden nach 1945 bedeutend erwei- tert um zahlreiche Werke von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwartskunst. Besonders erwähnenswert ist die mehrere zehntausend Blatt zählende Grafische Sammlung mit ihrem Schwerpunkt in den 1920er Jahren und der weltweit größten Sammlung an Wer- Lindenau-Museum. (Foto: Jürgen Pietzsch)

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Marstall. (Foto: Jens Paul Taubert) und Erweiterung des Lindenau-Museums Altenburg von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des in den kommenden Jahren 24 Millionen Euro bereit- Museums erarbeitet wurde. Sie trägt den Titel „Der zustellen, die vom Freistaat Thüringen mit Unterstüt- Leuchtturm an der Blauen Flut – Das neue Linde- zung des Landkreises Altenburger Land, dem Träger nau-Museum und die Altenburger Trümpfe“ und des Museums, auf 48 Millionen Euro erhöht werden. enthält vor allem zwei für Altenburg grundlegend Die Maßnahmen, die in den Jahren 2020 bis ca. neue Gedanken. Erstmals wird von dem langjäh- 2026 umgesetzt werden sollen, umfassen die Sa- rigen Plan abgerückt, das Lindenau-Museum um nierung des Bestandsgebäudes, die Instandsetzung einen Anbau zu erweitern zugunsten einer Erwei- des Herzoglichen Marstalls (am anderen Ende des terung, welche eines der wunderbaren historischen Altenburger Schlossparks) als Ergänzungsgebäude Gebäude im Schlosspark einbezieht. Außerdem öff- des Museums sowie die Ertüchtigung der Infrastruk- net sich das Museum gegenüber den Nachbarein- tur im Schlosspark. richtungen im und um den Schlosspark und sieht Grundlage für diese Maßnahmen ist eine Neu- sie als Einheit, die in der Spielkartenstadt Altenburg konzeption für das Lindenau-Museum, die 2016/17 als „Altenburger Trümpfe“ zusammengefasst wer-

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den. Die Kultureinrichtungen um den Schlosspark anlagen, ein Museumsladen eingerichtet und die gemeinsam zu denken, ist in Altenburg vielleicht einzigartigen Sammlungen völlig neu, vor allem fa- weniger selbstverständlich als in anderen Thürin- miliengerechter präsentiert. Zur Neueröffnung wird ger Residenzstädten. Nicht alle Einrichtungen sind es einen neuen barrierefreien Eingang geben und herzoglichen Ursprungs. Das Naturkundemuseum mehr Ausstellungsfläche im Erdgeschoss, in dem Mauritianum ist eine Gründung der Naturforschen- sich bislang außer der Kunstschule längst nicht mehr den Gesellschaft des Osterlandes, das Lindenau- zeitgemäße Depots befinden und Büros, die kaum Museum verdankt sich dem Mäzenatentum eines mehr mit dem Brandschutz vereinbar sind. Es be- hervorragenden Altenburger Bürgers. Noch heute steht dringender Handlungsbedarf. sind die Einrichtungen in unterschiedlichen Trä- Die Ausstellungsflächen in der ersten und zwei- gerschaften. Das Lindenau-Museum ist Teil der ten Etage werden inhaltlich nicht grundsätzlich ver- Verwaltung des Landkreises Altenburger Land, der ändert. Auch künftig wird es in der ersten Etage die Freistaat Thüringen kommt für etwa die Hälfte der Abguss-Sammlung geben und die Ausstellungshal- Betriebskosten auf. Das Naturkundemuseum Mau- le. Und in der oberen Etage mit den Oberlichtsälen ritianum ist in Trägerschaft eines vom Landkreis wird man weiterhin Gemälde zu sehen bekommen. unterstützten Vereins. Das Schloss- und Spielkar- Das geben die Räumlichkeiten vor. Neu wird sein, tenmuseum sowie der Schlosspark sind Teil eines dass man den Rundgang durch das Gebäude im Eigenbetriebs der Stadt Altenburg. Es gibt eine en- Erdgeschoss beginnt und dass man dort neben ei- ger werdende Zusammenarbeit, eine gemeinsame Altenburger Stiftung könnte den Museen jedoch noch einen weitaus größeren Auftrieb geben. Das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Unmittelbar bevor steht jedoch nun die umfang- reiche Sanierungsmaßnahme des Lindenau-Mu- seums, für die das gesamte Haus geräumt und ab Anfang 2020 in ein Interim in der Stadt ziehen wird, in dem auch eine Dauerausstellung Platz finden soll. Die Neueröffnung des Museums ist für den 1. April 2023 geplant, dem 175. Geburtstag des ersten Mu- seums von Lindenau am Altenburger Pohlhof. In den Jahren der Schließung wird das Museumsgebäude grundlegend saniert, eine für den Erhalt der eigenen Sammlungen und den internationalen Leihverkehr wesentliche Klimatechnik eingebaut und Barrie- refreiheit hergestellt. Die Räume der Kunstschule werden neu gedacht und zumindest teilweise in den Rundgang eingebunden, zeitgemäße Sanitär- Marstall. (Foto: Jens Paul Taubert)

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nem Kassenraum und einem Museumsladen Aus- dort in einem zeitgemäß neu errichteten Gebäu- stellungsbereiche zu Bernhard von Lindenau, seine de die Geschichte des Schlossparks erzählt. Auch Architekturmodelle, die Kunstbibliothek und voraus- energetisch sollte der Schlosspark gemeinsam sichtlich einen weiteren Raum für Wechselausstel- und innovativ gedacht werden, um die in Zukunft lungen vorfinden wird. wachsenden Betriebskosten im Zaum zu halten. Büros, Werkstätten (jetzt im Keller des Muse- Ergänzt werden muss das Ganze zwingend mit ums), Depots und Grafische Sammlung werden ca. einer derzeit kaum vorhandenen Besucherführung 2026 aus dem Interim in den dann fertiggestellten und einer Infrastruktur, die auch Gehbehinderten Herzoglichen Marstall umziehen, wo das Lindenau- und älteren Menschen die Fortbewegung in und Museum mindestens 2.000 Quadratmeter erhalten um den Park erleichtert. Es fehlt an Parkplätzen, wird. Neben den internen Bereichen sollen hier einer Buslinie rund um den Schlosspark, die Bahn- öffentlichkeitswirksam ein Schaudepot im attrak- hof, Museen und Innenstadt regelmäßig verbindet, tiven weiträumigen Stall sowie Ausstellungsräume und an einer „Altenburg Card“, die die Benutzung für die Grafische Sammlung in der repräsentativen von Verkehrsmitteln und den Eintritt in die Museen Wohnung des Oberstallmeisters eingerichtet wer- gleichermaßen ermöglicht. den. Die Werkstätten sollen teilweise für die Besu- Die baulichen Neuerungen im Lindenau-Muse- cher einsehbar sein. Ein weiteres Prunkstück des um, im Marstall und in ihrem Umfeld im Park kön- Marstallgebäudes aus der Mitte des 19. Jahrhun- nen mit den Geldern von Bund und Land umgesetzt derts aber soll die eindrucksvolle Reithalle werden, werden. Für das Übrige bedarf es eines Netzwerkes in der künftig nicht nur ungewöhnliche Sonderaus- in der Stadt und im Landkreis, das die Chancen stellungen des Lindenau-Museums zur zeitgenös- der großzügigen Finanzierung für das Lindenau- sischen Kunst stattfinden könnten, sondern auch Museum als einen Neubeginn am Leitfaden der Performances, Tanzveranstaltungen, Konzerte oder Kultur versteht. Die Investitionen in die kulturellen private Veranstaltungen in einem durchaus unge- Altenburger Trümpfe können so zu einer Investition wöhnlichen Ambiente. in die Zukunft der Stadt Altenburg und ihres Um- Mit der neuen Verbindung durch den Schloss- landes werden und den Kulturtourismus nachhaltig park vom Lindenau-Museum zum Marstall wer- beleben. Nicht zu vergessen: Altenburg ist die ein- den nicht nur die Museen, das Mauritianum und zige Thüringer Stadt mit S-Bahn-Anschluss an eine das Schloss, sondern auch die übrigen Gebäude wachsende Metropole wie Leipzig. So kann die des Ensembles in einen neuen Zusammenhang Museumslandschaft an der Blauen Flut nicht nur zu gebracht. Dabei kommt der zentral gelegenen einem Bildungsstandort von Rang und hoher Anzie- Orangerie eine wichtige Funktion zu, da sie in Zu- hungskraft, sondern auch zu einem Wirtschaftsfak- kunft ein inklusiv betriebenes Restaurant werden tor werden, wie sich dies bereits Bernhard August könnte, das von den Besuchern aller Museumsein- von Lindenau bei seiner Museumsgründung 1848 richtungen besucht wird. Das heute als unschein- ausgemalt hat. bare Ruine am Wegesrand stehende Schönhaus könnte eine neue Funktion bekommen, wenn man Roland Krischke

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10tons – Medusen – Ernst Haeckel

nter diesem Titel wird im Phyletischen Muse- „Adeo ut baculum ita præluceat“ – schrieb einst Uum am 24. Mai 2019 eine Ausstellung eröff- Plinius über Quallen, dass, wenn er sie mit einem net. Am 9. August jährt sich der Todestag von Ernst Stock abstreiche, ‚leuchten sie den Weg wie eine Fa- Haeckel, dem Gründer des Phyletischen Museums, ckel‘. Wohlgemerkt schrieb er „Quallen“ wie auch zum einhundertsten Mal. Mit einer Ausstellung sei- Aristoteles bereits 400 Jahre zuvor in seinem Werk ner wohl liebsten Organismen wollen wir den gro- Historia animalium und verknüpfte die Tiere nicht ßen Naturforscher ehren. Doch was verbirgt sich mit dem Namen der Medusa. hinter „10tons“? Medusa wurde als die wunderschöne Tochter Die Firma 10tons aus Kopenhagen trägt nicht zweier Meeresgottheiten einst damit beauftragt, im zufällig den inoffiziellen Spitznamen „Plastic Blasch- Tempel der Athena zu dienen. Als Athena sie beim ka“ in Anspielung an die genialen Glaskünstler, die Liebesspiel mit Poseidon überraschte, war diese er- im 19. Jahrhundert geradezu unglaublich detaillierte zürnt und verwandelte Medusa in ein Ungeheuer Modell von unterschiedlichen Tieren und Pflanzen mit Schlangenhaaren, in die Medusa, die jeden, der schufen. 10tons hat eine aufwendige Technik entwi- sie anblickt, zu Stein erstarren lässt. ckelt, um Quallen und andere Organismen nah am Vorbild der Natur und dennoch mit einem künstleri- schen Aspekt umzusetzen. Der Firmengründer Esben Horn ist seit jeher ein Fan von Haeckels Zeichnungen und für die Sonderausstellung ergab sich die Mög- lichkeit einer Kooperation. 10tons und das Phyleti- sche Museum erarbeiteten gemeinsam das Konzept. Ergebnis ist die Ausstellung „10tons, Medusen, Ernst Haeckel“. Um alle Ideen zu realisieren, arbeitete Bernhard Leopold Bock, Präparator am Phyletischen Museum, zwei Monate in Kopenhagen. Eine der auf- wendigsten Aufgaben war die Erstellung eines Qual- lenschwarms von Aurelia aurita. Die Ausstellung zeigt neben den Modellen von 10tons, über deren Herstellungsprozess in diesem Aufsatz erstmals detailliert berichtet werden darf, Originalpräparate von Ernst Haeckel, Aspekte der Modell von Periphylla periphylla. Diese Meduse findet sich nicht Biologie von Quallen und nicht zuletzt die berühm- nur auf dem Plakat der Ausstellung wieder, sondern ziert auch als ten Darstellungen von Haeckel aus den „Kunstfor- Malerei die Decke des Medusensaals im Phyletischen Museum. men der Natur“ als weltbekanntes Kulturgut. (Foto: Kenny Jandausch, Bernhard Bock)

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Auch das Adult-Stadium der Quallen wird wis- senschaftlich Medusa genannt. Warum scheint of- fensichtlich. Das Aussehen ähnelt dem von Perseus abgeschlagenem Haupt der Medusa. Sie besitzen viele Tentakel, die dem Biss einer Schlange oft in nichts nachstehen. Zu Stein erstarren lassen sie bis- her noch niemanden, aber viele Quallen paralysie- ren ihre Beute mit Giften. Erst Carl von Linné verknüpfte 1735 in seinem Werk Systema Naturae Quallen mit dem Namen Me- dusa. Es scheint, Linné gab den Tieren den allzu pas- senden Namen, der gleichzeitig ihre Gefährlichkeit aber auch Schönheit hervorhebt (Berwald, 2017). Zur Kenntnis dieser Lebensformen trugen in erheblichem Maße Charles-Alexandre Lesueur und Francois Péron bei. Die beiden französischen Natur- forscher lernten sich 1801 auf der Baudin-Expedition an der australischen Küste kennen. Sie dokumentier- ten auf dieser Reise über 100.000 Arten, darunter auch unzählige Quallen. Vor allem Lesueur war be- geistert davon, in seinen Zeichnungen mit Form, Ge- stalt und Licht zu spielen. All dies spiegelt sich in den häufig transparent anmutenden Wesen wider, was vor allem die späteren Illustrationen der Medusen mit Nachdruck zeigen. Auch Ernst Haeckel hat sein Herz an die Qual- len verloren. Seine Begeisterung für die Schönheit dieser Tiere ging so weit, dass er mehrere Arten nach seiner Cousine und ersten Frau Anna Sethe benannte. So vergab er Artnamen wie Desmone- ma annasethe oder Mitrocoma annae, weil ihn die Tentakel beispielsweise an das wunderschöne Haar seiner Frau erinnerten. In seinen großen Werken „Kunstformen der Natur“ und „System der Medu- Quallenschwarm Aurelia aurita. Circa 200 Modelle der Ohren- qualle schmücken eine der Vitrinen und verweisen auf das Phä- sen“ stellte Haeckel viele verschiedene Arten von nomen des massenhaften Quallenvorkommens. (Foto: Kenny Quallen dar. Er sammelte und dokumentierte diese Jandausch, Bernhard Bock) Arten mitunter mit detaillierten Zeichnungen. Einen

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großen Beitrag zur Umsetzung der Zeichnungen in die „Kunstformen der Natur“ lieferte der Lithograph Adolf Giltsch. Teile dieses Werkes zieren noch heute die Decke des Medusensaals im Phyletischen Muse- um in Jena. Auch in Mode und Kunst haben diese Motive längst Einzug erhalten. Sie schmücken neben T-Shirts, Hosen oder Schuhen auch eine Vielzahl an- derer Gegenstände. Doch nicht nur für Maler, Naturforscher und Zeich- ner stellen Medusen eine erstaunliche Inspiration dar. Auch Kunsthandwerker können sich in den filigranen Strukturen dieser Geschöpfe verlieren. So wie zum Beispiel die Glasbläser Leopold Blaschka und sein Sohn Rudolph Blaschka im 19. und 20. Jahrhundert. Wenn auch der Ursprung ihrer gläsernen Meerestie- re nicht bei den Quallen liegt, fertigten sie dennoch eine größere Menge Glasmodelle von Medusen an. Zur Zeit Blaschkas waren andere Materialien für die Herstellung von zoologischen Veranschaulichungen an der Tagesordnung, wovon die meisten allerdings ungeeignet für die Herstellung feinster Strukturen waren. Erst durch die Entwicklung des Glasspinnens konnten die erstaunlichen Werke angefertigt werden. Diese Modelle sind heute wertvolle Schätze in Samm- lungen von Museen und Universitäten, da sie nicht reproduziert werden können und mitunter genauer sind als moderne Objekte. Heutzutage beginnt die Arbeit natürlich am Com- puter, wo die Modelle der Aurelia aurita Prototypen von 10tons in ZBrush digital modelliert wurden. Die Herstellung von Prototypen am Computer ist nicht nur effizienter als analog zu modellieren, den größ- ten Vorteil bietet der sich anschließende 3D-Druck. Er ermöglicht es, nahezu alle dreidimensionalen Struk- turen zu generieren. Sind die Prototypen gedruckt, Physophora hydrostatica. Hier treffen Modell und ein restau- müssen diese von ihrem Support (Stützmaterial am riertes Präparat aus dem Jahre 1907 aufeinander. (Foto: Kenny Objekt) befreit werden. Nach kurzer Behandlung in Jandausch, Bernhard Bock)

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Aceton und Wasser im Ultraschallbad werden die Reste mit einer Wärmepistole entfernt. Anschließend werden die Prototypen mit Schleif- papier geglättet. Um feinste Rillen des 3D-Druckver- fahrens zu entfernen, ohne dabei die Oberfläche und Strukturen anzugreifen, entwickelte 10tons eine Airbrushtechnik, mit der es gelingt, eine perfek- te Oberfläche zu erhalten. Saubere Oberflächen an den Prototypen sind von entscheidender Bedeutung für die spätere Qualität des Silikonnegativs und da- mit auch für das Endergebnis. Die Medusen werden aus drei Teilen zusammengesetzt: Schirm, Gonaden und jeweilige Tentakel. Alle Prototypen der Teile gibt es in verschiedenen Größen, Schirme zusätzlich in unterschiedlichen Formen. Sind die Prototypen fertig behandelt, wird mit vakuumiertem Silikon eine erste Form gegossen. Die Silikonform wird mit Pressluft gereinigt und bei Be- darf ein „Cleancast“ durchgeführt. Die Silikonform wird warm gelagert, um im Anschluss ein schnelle- res Aushärten des Kunstharzes zu gewährleisten. Um die Gonaden möglichst naturgetreu im Schirm der Qualle zu platzieren, wurden diese se- parat hergestellt und für jede Qualle einzeln in die Silikonform des Schirmes gegeben. Die Gonaden wurden nach demselben Prinzip wie oben beschrie- ben angefertigt. Die eigentliche Gonaden-Struktur wird jetzt durch eine Spritze mit zuvor hergestelltem farbigem Resin befüllt. Das Resingemisch kann mit Thixo- tropiermittel gestreckt werden, da sich mit zähe- rer Masse oft einfacher arbeiten lässt. Über Nacht härten die gefüllten Gonaden aus. Über einen Stiel am Gonaden-Stück werden diese passend in die Si- likonform des Quallenschirmes eingesetzt. Die Form Ausstellungsplakat. (Foto: Esben Horn, Gestaltung Jonas Laus- wird mit vakuumiertem Crystal Clear™ befüllt und tröer und 10tons) selbst noch zweimal unter Vakuum zum Kochen ge-

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bracht. Je nach Größe des Schirmes ändert sich die erneutem Priming ein eigens entwickelter Lack auf- im Drucktank benötigte Härtezeit. getragen. Ist der Schirm ausgehärtet, kann er unter Zuhil- Die kleinsten Quallen (ca. Ø 4 cm) konnten in ei- fenahme von Druckluft der Form entnommen wer- nem Stück gegossen werden. An die fertigen Schirm- den. Am Positiv müssen Einlaufstelle und Naht der Prototypen wurden Gonaden-Stiel sowie Mundarme Silikonform mit Dremel entfernt werden. Auch der angeklebt und ein Silikonnegativ erstellt. In dieses Stiel der Gonade wird auf der Unterseite abgeschnit- wurden zuvor mit Primer präparierte Gonaden-Stücke ten. Die Naht- und Stielstellen werden mit Schleifpa- eingesetzt, die Silikonform mit vakuumiertem Poly- pier geschliffen und poliert. Optic® befüllt und unter Druck ausgehärtet. Mit Ge- Auch die Mundtentakel werden nach dem fühl und bei richtigem Härtegrad konnten die Quallen gleichen Prinzip hergestellt. Da die Tentakel beim als Ganzes entformt werden. Die Fertigstellung folgte Entformen der Länge nach aus der Silikonform ge- nach dem Muster der größeren Medusen. zogen werden, wurde sich hier Aufgrund der höhe- Die Modelle von Aurelia aurita sind nach dem ren Zugfestigkeit für Poly-Optic® entschieden. Dem Vorbild der Natur gearbeitet. Auf diese Weise wur- Resin-Gemisch wurden zusätzliche Komponenten den in aufwendiger Handarbeit mehr als 200 indi- beigemischt, die den letzten Schritt ermöglichen – viduelle Medusen angefertigt, die zusammen einen individuell können die Tentakel nach Belieben ge- Schwarm bilden. Andere Modelle der Ausstellung formt werden und härten in nur wenigen Sekunden sind bewusst durch Haeckels „Kunstformen der aus. Mit Sekundenkleber und Aktivator werden die Natur“ beeinflusst, sodass sie wie Kunstwerke Mundarme und der Schirm zusammengefügt. Vor wirken. Auf die Frage, ob die Modelle Kunst seien, dem Finish wird ein Loch in den Schirm gebohrt, antwortete Esben Horn mit einem Lachen: „No, not sodass mit Angelsehne eine Magnetaufhängung in- art, it’s craft“. stalliert werden kann. Um den Medusen das weißlich-transparente Bernhard Leopold Bock, Kenny Jandausch und Aussehen („Ghostlook“) zu verleihen, wird nach Martin S. Fischer

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Aufbruch in die Demokratie Rückblick auf eine Ausstellung über soziale Bewegungen in Jena zum Thüringer Themenjahr 2018

ie Sonderausstellung „Der Weg in die Revolu- Der Weg in die Revolution – die Ausstellung Dtion. Soziale Bewegungen in Jena 1869-1918“ war der zweite Beitrag des Stadtmuseums Jena Die Industrialisierung brachte auch für Jena viele Ver- zum Thüringer Themenjahr „Industrialisierung und änderungen mit sich. Bis 1914 wuchs die Stadt über soziale Bewegungen in Thüringen“. Konzentrierten ihre Grenzen als ehemaliges beschauliches Universi- sich andere Häuser vorwiegend auf die wirtschaft- tätsdorf hinaus. Fabriken kamen und mit ihnen die lichen und technischen Entwicklungen, rückten hier Arbeiter. Mit der Stadt veränderte sich ihre Gesell- regionale Phänomene sozialer Bewegungen in den schaft, die „soziale Frage“ brannte auch in Jena auf. Fokus. Nun kann eine Bilanz des Ausstellungspro- Ziel des Ausstellungsprojektes war die Aufarbeitung jekts gezogen werden, welche besonders aus mu- der sozialen Bewegungen in Jena bis in die Zeit der seumsperspektivischer Sicht aufschlussreich und Novemberrevolution 1918. Der Beginn der sozialde- zukunftsweisend ausgefallen ist. mokratischen und gewerkschaftlichen Bewegung in Jena setzte Ende des 19. Jahrhunderts ein, als sich die Stadt zur Industriestadt entwickelte. Dass Jenas Bevölkerung und Arbeiterschaft vor allem ab Ende des 19. Jahrhunderts stark zunahm, ist zum Großteil Carl Zeiß und seiner Optischen Werkstätte zu verdanken. Einen wichtigen Aspekt in der Ausstellung spielten daher die Unterneh- mensstruktur und die Arbeitsverhältnisse bei den im ausgehenden 19. Jahrhundert stark anwachsenden Unternehmen ZEISS und SCHOTT seit ihrem Beste- hen. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch die Kultur- und Sozialpolitik des Unternehmers und Sozialreformers Ernst Abbe, die den Rahmen für das spezifische sozialistische Milieu in Jena vorgab. Auch die Jugendbewegung und die Rolle der Frauen innerhalb der sozialen Bewegungen wurden in der Ausstellung betrachtet. Die Träger vor allem der sozialdemokratischen Bewegung wurden näher be- Die geöffneten Fensterläden gewähren einen Einblick in das leuchtet, denn neben den Arbeitern waren beispiels- Leben Almas. (Foto: Stadtmuseum Jena) weise auch bürgerliche Kräfte an der Verbreitung

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sozialdemokratischen Gedankenguts beteiligt. Auch das Verhältnis von Arbeiterschaft und Bürgerschaft, aber auch das von Arbeiterjugend und Universitäts- studenten fand Beachtung. In diesem Zusammen- hang wurden auch die schon früh stattfindenden Repressionen gegen die Arbeiterbewegung seitens des Staates und im Alltagsleben durch die bürgerliche Gesellschaft in der Ausstellung gezeigt. Der Weg in die Revolution endete 1918. Auch in Jena gab es Streiks und Demonstrationen; die Arbei- terbewegung teilte lautstark ihre Forderungen mit. Doch im Gegensatz zu anderen Orten, wo es zu blu- tigen Auseinandersetzungen vor und während der Novemberrevolution kam, blieb es in Jena friedlich. Warum dies so war, zeigte die Ausstellung ebenfalls.

Banner zur Ausstellung. (Abbildung: Stadtmuseum Jena) Hürden verhindern und Zugänge schaffen

Ein Ziel des Ausstellungsprojektes war es, vor al- Allen Beteiligten war von vornherein klar, dass lem die Jenaer Bevölkerung über die ereignisreiche die Vermittlung eines solch komplexen Themas wie Zeit bis 1918 zu informieren und ein Stück Lokal- dem der sozialen Bewegungen im Zuge der Industria- geschichte anhand einer allgemeinverständlichen lisierung eine Herausforderung darstellen würde. Die Präsentation darzustellen. Durch Stadtführungen an Arbeiterbewegung artikulierte ihre Anliegen vorwie- „Originalschauplätze“ in Zusammenhang mit der gend anhand verschiedener Druckerzeugnisse wie Arbeiterbewegung und den Ereignissen rund um die Flugblättern oder Zeitungen. Auch bedeutende Errun- Novemberrevolution wurde das Ausstellungsthema genschaften wie die 8-Stunden-Woche wurden auf auch in den Stadtraum getragen und ließ die Jenaer Papier festgehalten. Für Experten ein Paradies, stellt Bevölkerung mit einem vielleicht ganz neuartigen eine solch textbasierte Ausstellung – in der es zudem Blick ihre Stadt erleben. galt, viele historische Grundbegriffe zunächst einmal Gleichzeitig galt es, das Ausstellungsthema auch zu erläutern – eine Herausforderung dar. Aus diesem in die Schulen zu tragen. In unterschiedlichem Um- Grund wurden Angebote in die Ausstellung integriert, fang sind die Industrialisierung und deren Folgen welche die verschiedenen Zielgruppen von ihren ganz bereits ab der siebten Klassenstufe lehrplanrelevant; unterschiedlichen Standpunkten abholen würden. die Alltagserfahrungen von Kindern und deren Stel- Um vor allem, aber nicht nur, jüngeren Besu- lung in Familie und Gesellschaft in unterschiedlichen chern den Einstieg in dieses komplexe Thema zu Zeiten sogar schon eher. erleichtern, stellte eine Touchscreenpräsentation im

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Eingangsbereich der Ausstellung die Jenaer Lokalge- generierte. Diese Identifikationsfiguren machten die schichte in einen größeren Kontext und beleuchte- Ängste, Sorgen, Nöte, aber auch Hoffnungen der te anhand wichtiger Daten der Kultur-, Politik- und Menschen für das jüngere Ausstellungspublikum Sozialgeschichte die Entstehung und Entwicklung verständlicher und begreifbarer. der sozialen Bewegungen während der Industriali- Ein zusätzliches Hilfsmittel zum besseren Ver- sierung. Eine integrierte Kinderebene ließ mit Alma, ständnis der komplexen Ausstellungsinhalte stellte Alfred, Albert und Johannes vier Kinder bzw. Ju- ein im Eingangsbereich der Ausstellung ausgeleg- gendliche ihre Geschichten zu den Themen Wohnen, tes Rätselheft dar. Anhand von 14 Fragen wurden Arbeiten, Freizeit und Öffentlichkeit erzählen. Jeder die Besucherinnen und Besucher gezielt durch die Geschichte wurde ein Attribut beiseite gestellt, wel- Ausstellung geführt, auf Einzelheiten und Zusam- ches sich, rot angemalt, optisch von den übrigen Ob- menhänge aufmerksam gemacht sowie mit den jekten abhob und somit besondere Aufmerksamkeit wichtigsten Informationen versorgt. Im Verlauf der Ausstellungsdauer wurde deutlich, dass die Rätsel- tour nicht nur von der angepeilten Zielgruppe der 10 bis 16-Jährigen rege genutzt wurde, sondern insbe- sondere auch beim erwachsenen Publikum Anklang fand.

100 Jahre Novemberrevolution – ein Projekttag

Am 9. November 2018 jährten sich die Ereignisse der „Novemberrevolution“ von 1918 zum einhun- dertsten Mal. Auf die revolutionären Aufstände folgte ein Systemwechsel von der monarchistischen zur demokratischen Staatsform. Viele sehen hier die „Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland“. Das Stadtmuseum Jena beteiligte sich an einem gemeinsamen Programm städtischer und zivilgesell- schaftlicher Akteure für eine aktive demokratische Erinnerungskultur in Thüringen anlässlich des Endes des Ersten Weltkrieges und der Novemberrevolution vor 100 Jahren. Im Fokus eines Projekttags, an dem 30 Schüle- rinnen und Schüler einer 10. Klasse der Jenaplan- Blick in die Ausstellung. (Foto: Stadtmuseum Jena) Schule Jena teilnahmen, stand die kulturelle Teil-

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habe und Beteiligung der Jugendlichen an einer zivilgesellschaftlichen Erinnerungskultur, die immer wieder neu ausgehandelt wird. Bewusst wurde der Projekttag im Vorfeld des 9. Novembers veranstal- tet, damit die Teilnehmenden reflektiert und mit dem nötigen Wissen und kritischen Rüstzeug in die Erinnerungsveranstaltungen rund um den Jubilä- umstag gehen konnten. Der Projekttag sah zunächst zwei Führungen durch die Dauerausstellung „Keine Wohltaten – besseres Recht. Jenas Aufbruch in die Moderne“ und die Sonderausstellung vor. Es folgte ein Input des Stadthistorikers Dr. Rüdiger Stutz, welcher an- hand historischer Abbildungen und Wahlplakate die Debatten- und Parteienlandschaft im Vorfeld der Wahlen zur Nationalversammlung 1919 vorstellte Demonstrationszug am 10. November 1918 in der Jenaer und für die nötige Quellenkritik sensibilisierte. Sophienstraße. (Foto: Unbekannt/Stadtmuseum Jena) Anschließend durften die Schülerinnen und Schüler selbst zur Wahlurne gehen und eine gehei- me Wahl zur Nationalversammlung durchführen. Die Gelebte Demokratie – Präsentation der Wahlergebnisse und der Vergleich Barcamp im Stadtmuseum mit dem historischen Ergebnis sorgten für lebhafte, durchaus emotionale, aber stets faire Diskussionen. Eine Möglichkeit der eher experimentellen und er- In einer abschließenden Feedbackrunde bestätigten gebnisoffenen Arbeit mit Jugendlichen im Rahmen die Teilnehmenden, was Wunsch der Veranstalter der Ausstellung über soziale Bewegungen war die war: Die multiperspektivische Herangehensweise Veranstaltung eines Barcamps, welches organi- an dieses komplexe Thema in Projektform half den siert vom Projekt „Vorsicht, Demokratie!“ der LKJ Schülerinnen und Schülern bei der Einordnung und Thüringen e. V. am 7. Februar 2019 mit Schülerin- Verknüpfung der historischen Sachverhalte. Insbe- nen und Schülern der Kaleidoskop-Schule Jena im sondere die Motivationen der verschiedenen histo- Stadtmuseum stattfand. Die Teilnehmerinnen und rischen Handlungsträger konnten gemeinschaftlich Teilnehmer machten sich mittels eines Impulsvor- herausgearbeitet und eingeordnet werden. Den trags damit vertraut, wie sich die soziale Teilhabe Teilnehmenden wurde für die eigene politische Po- und Mitbestimmung im ausgehenden 19. und be- sitionierung und Entscheidungsfindung damit auch ginnenden 20. Jahrhunderts unter anderem durch das nötige Rüstzeug mitgegeben, um auch gegen- Gewerkschaften, Parteien und Vereine, aber auch wärtige politische Artikulationsformen bewerten andere Formen der gesellschaftlichen Partizipation und einordnen zu können. vervielfachte.

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Anschließend bestand für die Jugendlichen aus einem Pool zusammengetragener Vorschläge die Möglichkeit, sich über eigene, aus ihrer Mitte gewählt wurden. Die Themenpalette war so breit gewähl­te und ihrer Lebenslage entsprechende The- gefächert wie die Interessen der Jugendlichen selbst men auszutauschen. Aufgrund des Inputs durch die und reichte vom Klima- und Umweltschutz über die gegenwärtige Ausstellung wurde insbesondere poli- Frage nach Formen der direkten Demokratie und der tischen Themen Platz eingeräumt. In zwei sogenann- 30-Stunden-Woche bis hin zu einer Kritik des aktuel- ten Sessionrunden diskutierten die Jugendlichen über len Schulsystems und der Wohnraumsituation. jeweils vier Themen, welche vorher demokratisch In einer Abschlussrunde erhielten die Jugendli- chen die Möglichkeit, über ihre Ergebnisse in einer Fishbowl-Diskussion zu sprechen. Besonders erfreu- lich war das daran anschließende Feedback. Die für die meisten Teilnehmenden neue Methode des Bar- camps sorgte für eine positive Überraschung. Die Ju- gendlichen hoben hervor, dass endlich ihre Meinung gefragt war und sie den Raum und die Zeit für einen Austausch erhielten, der nicht von den Lehrenden gelenkt und beeinflusst wurde.

Bilanz

Aus museumspädagogischer Sicht muss die Ausstel- lung als voller Erfolg gewertet werden. Wenngleich die Zahl der Buchungen hinter den Erwartungen zurückblieb, was auch angesichts eines langen, aus- klingenden Themenjahres verschiedene Ursachen hatte, war deren Qualität doch ungeahnt hoch. Die in Schülerführungen stattgefundenen intensiven Ge- spräche und lebhaften Diskussionen beweisen, wie groß das Interesse an Geschichte ist, wenn es nur geweckt wird. Auch im täglichen Publikumsverkehr konnten rege Gespräche beobachtet werden. Nicht zuletzt die Stadtrundgänge luden zum Austausch über die Historie der Stadt Jena ein. Die Erfolge der beiden Projekttage sprechen für Ein Blick „in“ die Köpfe der Demonstrierenden. (Foto: Stadt- das Potenzial, das in Sonderausstellungen über so- museum Jena) ziale Bewegungen vorhanden ist. Im Falle des Bar-

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camps diente ein historisch komplexer Sachverhalt den Entwicklungen ihrer eigenen Zeit auseinan- als Anlass zur eigenen politischen und gesellschaft- derzusetzen, sich zu artikulieren und eine Verbes- lichen Meinungsbildung. Das ist gelebte Demokra- serung des Ist-Zustands anzustreben. Genau das tie im Museum mit Jugendlichen, welche in immer konnte erreicht werden. mehr Gemeinden, Landkreisen und Ländern bereits mit 16 Jahren an Wahlen teilnehmen dürfen. Das Philipp Albrecht Stadtmuseum Jena trug gemeinsam mit dem Projekt „Vorsicht, Demokratie!“ zum Meinungsbildungs- prozess der neuen Wählergeneration bei. Informationen: Die entscheidende Frage ist: Warum sollten Museumspädagogik Stadtmuseum Jena Telefon: 03641-498038 Kinder und Jugendliche, aber natürlich auch Er- E-Mail: [email protected] wachsene ins Museum gehen und sich mit einem solch komplexen Thema wie dem der sozialen Be- Stadtmuseum Jena wegungen in Jena beschäftigen? Und die Antwort Markt7 lautet: Relevanz! Die Besucher merkten, dass die 07743 Jena Errungenschaften und Organisationsformen, wel- Museumskasse Telefon: 03641-498250 che sich vor über 100 Jahren etablierten, bis heute E-Mail: [email protected] ihre Lebens- und Arbeitsweisen sowie ihr soziales Internet: www.stadtmuseum-jena.de Umfeld prägen. Der Aufbruch in die Demokratie, Öffnungszeiten welcher in der Wahl zur deutschen Nationalver- Di, Mi und Fr 10:00-17:00 Uhr sammlung 1919 mündete, sollte insbesondere für Do 15:00-22:00 Uhr die Jugendlichen der Anlass sein, sich kritisch mit Sa und So 11:00-18:00 Uhr

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Die Neukonzeption des Schlossmuseums Heringen und die Eröffnung der neuen archäologischen Dauerausstellung „Die Archäologie der Goldenen Aue“

Schloss Heringen Die bekannteste Schlossherrin Gräfin Clara von Schwarzburg-Frankenhausen (ehemals Fürstin zu ie Schlossanlage von Heringen weist eine na- Braunschweig-Lüneburg aus dem Haus der Welfen) Dhezu 750 Jahre alte Geschichte auf und ist un- bekam nach dem Tod ihres Mannes Graf Wilhelm I. trennbar mit vier Dynastien Thüringens verbunden – von Schwarzburg-Frankenhausen (1598) das Schloss die Grafen von Beichlingen (1014-1567), die Grafen Heringen als Leibgedinge (Witwenversorgung) zu- von Hohnstein (1154-1593), die Grafen von Stolberg gesprochen und verbrachte 60 Jahre bis zu ihrem (1210-1945) und die Grafen von Schwarzburg (1071- Tod 1658 in Schloss Heringen. Die Gräfin nahm die 1971). Bereits im Jahre 750 wurde der Ort Heringen Verwaltung Ihres Amtes energisch in die Hand. Sie in einer Urkunde des Klosters Fulda zum ersten Mal richtete das Schloss – sie hatte das Schwarzburgische schriftlich erwähnt und im Jahre 1172 sicherte ein Haus als Wohnung erhalten – nach ihren Vorstellun- dort ansässiges Rittergeschlecht durch eine Burgan- gen ein und kümmerte sich intensiv um die Belange lage südlich der Helme den Flussübergang. An die- der Domäne. Nach ihrem Tod war die Schlossanlage ser Stelle steht nun das Schloss Heringen. ohne Funktion. Umfangreiche Sanierungsmaßnah- men in den Jahren 2003 bis 2014 retteten das An- wesen, sodass es seit 2015 ein Museum in den alten Gemäuern beherbergt. Zu sehen sind die Tafelstube, ein Gesellschaftsraum mit restaurierter Gesims- und Deckenbemalung, restaurierte Wand- und Decken- malereien im Renaissanceraum und im Bankettsaal sowie Ausstellungen über die Stadtgeschichte.

Die archäologischen Ausgrabungen in der Gemarkung Windehausen und Bielen

Was hat die Region um das Schloss – die sogenann- te Goldene Aue – nun jedoch mit der Archäologie zu tun und warum die Neukonzeption und eine damit verbundene neue archäologische Dauerausstellung? Blick auf Heringen. (Foto: Hans Günter Neblung) In den Jahren 2011 bis 2014 brachte ein vom Lan-

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desamt für Denkmalpflege und Archäologie in Wei- mar ausgerichtetes archäologisches Großprojekt in der Gemarkung Windehausen und Bielen tausende von Objekten zu Tage, die aufzeigen, dass die Golde- ne Aue bereits in der Jungsteinzeit vor nahezu 7.500 Jahren besiedelt war. Diese Zeit war eine der wich- tigsten kulturgeschichtlichen Veränderungen in un- serer gesamten Menschheitsgeschichte – denn hier entwickelten wir uns vom Jäger und Sammler mit nomadenhaften Dasein zum sesshaften Bauern mit Getreideanbau und den ersten Haustieren. Durch die Ausgrabungen im Industriegebiet bei Windehausen wurde diese Entwicklung in Thüringen aufgedeckt. Das erste Dorf Thüringens entstand genau hier! Aber nicht nur die Jungsteinzeit ist mit der Kultur der so- genannten Linienbandkeramik vertreten, sondern auch die nachfolgenden archäologischen Kulturen Freilegung der Rinderdoppelbestattung in Bielen. (Foto: Landes- der Stichbandkeramik, Rössner Kultur, Schnur- und amt für Denkmalpflege und Archäologie Weimar) Glockenbecherkultur und der Aunjetitzer Kultur von der Steinzeit bis in die Bronze- und Eisenzeit hinein sind hier an mehreren Fundorten deutlich vertreten. der Ausstellung tauchen die Besucher in die Welt Die Region der Goldenen Aue ist daher eine kultur- der Archäologie ein und finden sich mitten im äl- geschichtlich einzigartige Region im Norden Thürin- testen Dorf Thüringens aus der Jungsteinzeit 5.300 gens, deren mehrere Besiedlungsphasen aufzeigen, v. Chr. wieder. Hier erleben die Besucher die viel- wie begehrt und fruchtbar dieses Land für die Men- fältigen Facetten des Alltags im Leben der frühen schen von damals war. Bauern. Was bedeutete es sesshaft zu werden? Wie sahen die ersten Häuser aus? Was veränderte sich im Alltag der Menschen und welche Getreidesorten Die neue archäologische Dauerausstellung waren die ersten? Zukünftig wird das erste Ober- geschoss des Schlosses in Heringen eine erlebnis- Die Archäologie, die erste Etappe des neuen Muse- orientierte neue Dauerausstellung der Archäologie umsplans in Schloss Heringen, basiert auf den um- präsentieren, in der die Besucher an verschiedenen fangreichen Ausgrabungen und zeigt um die 250 Stationen Objekte anfassen und zum Teil auch Originalobjekte. Vielfältige Leihobjekte vom Thürin- selbst ausprobieren können. Auch erfahren die gischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäo- Besucher die Besonderheit einer Kreisgrabenanla- logie in Weimar zeugen somit von der Vielfalt der ge aus der Mittelsteinzeit oder stehen sich plötz- Archäologie in der Goldenen Aue. Beim Betreten lich der außergewöhnlichen „Dame der Goldenen

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Aue“ gegenüber. Weiterhin werden die Besucher mit ihrem eigenen Leben konfrontiert. Vergangen- heit und Gegenwart treffen in dieser Ausstellung aufeinander. Was sind die Errungenschaften des Neolithikums und warum war diese sogenannte „Neolithische Revolution“ ein so wichtiger Schritt in unserer Menschheitsgeschichte? Auch stellt sich manch einer bei den dort ausgestellten Objekten die Frage: Was kommt mir aus der Jungsteinzeit in meinem eigenen Leben bekannt vor? Bei diesen Denkanstößen wird einem vielleicht sogar klar, dass die Vergangenheit meist ihre Spuren in un- serer Gegenwart hinterlassen hat und gar nicht so entfernt erscheint. Die neue archäologische Dau- erausstellung soll somit zum einen bei den Bürger dieser einzigartigen Region zur Stärkung der eige- Altes und Neues Schloss Heringen nach der Sanierung 2014. nen Identität dienen. Zum anderen soll sie als tou- (Foto: Hans Günter Neblung) ristischer Leuchtturm Nord­thüringens die Region überregional bekannt macht.

Die Neukonzeption des Schlossmuseums

Die Neukonzeption des Museums in den Räumen des 750 Jahre alten Schlosses soll in Zukunft auf vier Etagen 7.500 Jahre Besiedlungsgeschichte der Goldenen Aue widerspiegeln. Dieser Neuausrich- tung wurde eine Machbarkeitsstudie im Jahre 2016 vorangestellt, die zeigte, dass eine Neuausrichtung der musealen Präsentation im Schloss Heringen mit dem Fokus auf 7.500 Jahre Besiedlungsgeschichte der Goldenen Aue ein Alleinstellungsmerkmal in Nordthüringen sein wird. In den weiteren Jahren soll es in der Zeitepoche vorangehen: Schlossgeschich- te, das Mittelalter und die Neuzeit stellen weitere Themenbereiche in der Neukonzeption dar und sol- Landschaftspanorama Goldene Aue. (Foto: Hans Günter Neblung) len zukünftig den Besuchern von Nah und Fern die

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Vielfalt der Kulturgeschichte der Goldenen Aue auf Etagen mit 7.500 Jahre Besiedlungsgeschichte der spannende und informative Weise näher bringen. Goldenen Aue als ein Leuchtturm in die Museums- Ein in den nächsten Monaten entwickeltes Kon- landschaft Nordthüringens ausstrahlen. zept der Museumspädagogik ist ein weiterer wesent- licher Schritt in Richtung Neukonzeption. Zukünftig Mirjana Culibrk sollen diverse Workshops zu verschiedenen Themen- bereichen des Alltagslebens aus der Stein- und Bron- zezeit Kindern und Jugendlichen die Archäologie Archäologische Dauerausstellung: ihrer Region näher bringen. In Kursen können die „Die Archäologie der Goldenen Aue“ (ab 24. Mai 2019) Kinder u. a. Mehlherstellung durch das anstrengende Schloss Heringen, 1. Obergeschoss (Zer-)Reiben von Getreidekörnern erlernen oder sie erfahren auf interaktive Art, woher die Kulturen der Schlossmuseum Heringen Schlossplatz 1 | 99765 Heringen/Helme Linienbandkeramik und der Stichbandkeramik ihren Namen haben, indem sie diese Gefäßverzierungen Telefon: +4936333 73888 selbst einmal herstellen und brennen. Die Neukon- E-Mail: [email protected] zeption fußt daher in Zukunft auf den vier Säulen Internet: https://www.stadt-heringen.de/museum.html eines Museums: Sammeln, Bewahren, Vermitteln Öffnungszeiten: und Präsentieren sowie Erforschen und Dokumen- Di bis Fr 10:00-17:00 Uhr tieren. Sie soll mit der neuen Ausrichtung auf vier Sa und So 10:00-16:00 Uhr

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Über Europa reden ist kein Selbstläufer – 200 Sichten auf Europa Auswertung der partizipativen Ausstellung „#SalonEuropa vor Ort und digital: Vernetzung damals und heute – Europa bedeutet für mich...?“ im Museum Burg Posterstein

ie Ausstellung „#SalonEuropa vor Ort und Nach Französischer Revolution und der Ära Na- Ddigital: Vernetzung damals und heute – Euro- poleons musste auch im frühen 19. Jahrhundert mit pa bedeutet für mich...?“ von 23. September bis dem Wiener Kongresses eine Basis für die europä- 11. November 2018 konzipierten wir als Labor. ische Gemeinschaft geschaffen werden. In den Sa- Ausgehend von der historischen Salonkultur um lons der bürgerlichen und adligen Damen fand Aus- 1800 sollte sie den Bogen schlagen in die heu- tausch über wichtige gesellschaftliche, aber auch tige Zeit. Europa befindet sich im Umbruch, es kulturelle Themen statt. sind Visionen gefragt, um Europa eine Identität Wir sind der Meinung, dass auch heute nur in für die Bürger und Handlungsfähigkeit in der Welt einem breiten Diskurs, in dem jeder den anderen zu verleihen. und dessen Meinung respektiert, zukunftsweisen- de Lösungen gefunden werden können. Alle sind gefordert: Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur und die Bürger selbst. Die Ausstellung „#SalonEuropa vor Ort und digi- tal“ war ein Versuch, Bürgern vor Ort und im Digita- len die Möglichkeit zu geben, ihre Gedanken zu Euro- pa zu äußern und darüber ins Gespräch zu kommen. Das Museum wurde dabei zum Ort des Austauschs über Vergangenheit und Gegenwart. Dazu gab es einmal die dynamische, mitwachsende Ausstellung selbst, in der bereits zu Beginn über hundert Mei- nungen zu Wort kamen. Darüber hinaus gab es die Projektwebseite www.salon-europa.eu, die Blogpa- rade, die Diskussionen in den sozialen Netzwerken und drei begleitende Veranstaltungen vor Ort, dar- unter ein Salonabend. Die Eröffnung der Ausstellung wurde live im Internet übertragen. Im Zentrum der Ausstellung stand die Frage, wie die Idee des Die Schau stand unter der Schirmherrschaft von Salons des 18. und 19. Jahrhunderts heute aussehen könnte. Dr. Babette Winter, Staatssekretärin für Kultur und (Abbildung: Museum Burg Posterstein) Europa in der Thüringer Staatskanzlei. Das Format

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des #SalonEuropa wird das Museum Burg Posterstein Über Europa zu reden ist kein Selbstläufer auch in Zukunft vor Ort und im Internet fortführen. Auf die Frage „Was bedeutet Europa für Spontan zu Wort meldeten sich nur wenige, oft die- mich…?“ bekamen wir im Laufe der Ausstellung jenigen, die sich ohnehin schon engagieren oder die, #SalonEuropa vor Ort und digital über 200 Meinun- die damit gleichzeitig auch eine Botschaft auf einem gen aus fünfzehn Ländern in Form von schriftlichen eigenen Kanal (z. B. Blog, Social Media-Account) an Kommentaren, Blogposts, Fotos, Video- und Audio- ein eigenes Publikum (ihre Follower) senden. Vielen Statements, als Kunstwerk der dänischen Künstlerin Meinungsäußerungen gingen persönliche Gesprä- Pernille Egeskov und natürlich auch im persönlichen che vor Ort und digital voraus. Es gibt eine breite Gespräch vor Ort. In mehreren Teilen fassten wir den Masse, die die Ausstellung vor Ort oder digital mit Diskurs im Blog des Museums zusammen. Interesse verfolgte, sich lobend äußerte, aber keine eigene Meinung hinzufügte. Den Inhalt der Wortmeldungen haben wir ver- „Mehr als nur Geografie“ – sucht, nach der Häufigkeit der Nennung bestimm- 93 Wortmeldungen per Kommentar, ter Themen zu vergleichen. Auf diese Weise wird Social Media und Postkarte anschaulich verdeutlicht, dass die verschiedenen „Kanäle“, über die Meinungen zu #SalonEuropa Die Bewertung von Europa in den schriftlichen eingingen (Salonabend, Kommentare, Videos, Blog- Kommentaren war breit gefächert: „Europa ist für parade), in unterschiedlichen Themengewichtungen mich ein Geschenk.” (Dr. Kristin Jahn, Deutschland), resultierten bzw. dass sich der Diskurs in den unter- „Europe first of all is my Home!” (Svetlana Loew, schiedlichen Formaten anders entwickelt hat. Lettland), „Europa ist für mich eine Sammlung tol- Bezogen auf die eingegangenen Kommentare ler Möglichkeiten und vertaner Chancen. […] Wir werden gemeinsame Nenner wie Gemeinschaft, könnten mit gutem Beispiel vorangehen und tun Einheit, Zusammenarbeit und gemeinsame Kultur, es nicht…” (Daniela Schwarzböck, Österreich) und Tradition und Werte deutlich. Frieden, Sicherheit „[Europa ist für mich] Licht und Schatten” (@ost- und Freiheit verbinden viele mit Europa. Aber auch blocktechnik, Deutschland, via Instagram). Und na- aktuelle Probleme werden angesprochen. Enttäu- türlich ist die eigene Meinung zu Europa gar nicht schung ist spürbar, aus verschiedenen Gründen. so leicht auf den Punkt zu bringen: „Eigentlich mehr Einige Themen polarisieren. Beispiel Migration: als nur Geographie. Aber was, ist schwer in Worte Während manche enttäuscht sind, dass Europa zu fassen.“ (@kulturtussi, Deutschland, via Twitter). nicht ausreichend Verantwortung für Geflüchtete Insgesamt 93 Statements zur Frage „Europa übernimmt und nicht weltoffen genug ist, geht bedeutet für mich…?“ erreichten uns schriftlich via anderen das bisherige Engagement zu weit. Das Social Media, per Kommentar auf der Projekt-Web- gleiche gilt für die europäische Integration. Einige site, per Mail und manchmal auch per Postkarte. Auf sind enttäuscht, weil die europäische Gesellschaft der Projekt-Webseite www.salon-Europa.eu können noch nicht enger zusammengewachsen ist, ande- sie nachgelesen werden. ren wäre mehr Unabhängigkeit für die National-

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staaten lieber. Auffallend ist die unterschiedliche Ein Besuch ist besonders in Erinnerung geblie- Bewertung und Betonung von Offenheit und Gren- ben: Andreas Oeser aus Chemnitz hatte in seinem zen, vom positiv besetzten Begriff „Vielfalt“ und Kommentar zu #SalonEuropa vor allem die nega- dem eher abgrenzenden Wort „Unterschiede“. Es tiven Eindrücke geschildert, die er in seiner tägli- geht um Gemeinsamkeiten und Unterschiede, um chen Arbeit als Polizist mit Kriminalität, Migration Einheit und Frieden einerseits und um Uneinigkeit und Unzufriedenheit erfährt. Vor Ort kamen wir ins und Streit andererseits. Es gibt Visionen von Euro- Gespräch und über Instagram erreichte uns dann pa als Staatenbund und als Bundesstaat. Es wird seine Bewertung der Ausstellung: „Es sind sehr an- deutlich, dass Europa als Chance genauso wie als sprechende Kommentare zu Europa zu lesen, sehr Herausforderung verstanden wird. konstruktiv und weltoffen, selbstkritisch und visi- Vor und während der Ausstellung suchten wir onär… Ich finde die Ausstellung nicht einfach nur immer wieder das Gespräch mit Museumsbesuchern interessant, sie hat mir auch ein bisschen mehr die vor Ort und auch im Digitalen. Oft entspann sich ein Sichtweise erweitert, auf Europa – dass ich nicht so interessanter Austausch. schwarz sehen sollte…“

Europa bedeutet noch immer eine große Chance – Die Video-Interviews zu #SalonEuropa

Die 25 Video-Interviews zur Ausstellung entstan- den bereits im Vorfeld. Der Altenburger TV-Jour- nalist Gunter Auer und der Geraer Mediengestal- ter Nils Lauterbach übernahmen die Aufgabe, die Frage „Was bedeutet Europa für dich?“ möglichst unterschiedlichen Menschen zu stellen. Die Inter- views waren auf einem Monitor in der Ausstellung zu sehen und können noch heute auf der Projekt- website #SalonEuropa und auf dem YouTube-Kanal des Museums angesehen werden. Im Vergleich zu den schriftlich eingegangenen Kommentaren und den Themen der Blogparade #SalonEuropa kamen in den Video-Interviews viel Ein großer Bildschirm in der Ausstellung stellte die Verbindung häufiger auch die aktuellen Probleme Europas zu den digitalen Wortmeldungen her. Hier konnte man neue Kommentare, Tweets und Blogposts einsehen. Im „Salon“ der zur Sprache – nicht ohne die Vorteile der europä- Ausstellung konnte man auch die Beiträge zur Blogparade in ischen Gemeinschaft hervorzuheben. Während in ausgedruckter Form nachlesen. (Foto: Museum Burg Posterstein) den schriftlich geäußerten Gedanken Europa nicht

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zwangsläufig mit der Europäischen Gemeinschaft Steilwand in Gibraltar. „Dahinter steckte alles, gleichgesetzt wurde, schwang in den Interviews was mir an Europa wichtig ist“, sagte er, „Mir eher mit, dass Europa sehr häufig als „die EU“ ist dabei bewusst geworden, dass uns so viel zu- verstanden wird. Deutlich wurde, dass viele der In- sammenhält, dass aber auch große Unterschiede terviewten die Meinung vertreten, dass Probleme bestehen.“ in Europa dringend angesprochen und Lösungen Lena Niethammer verfasst als freie Journalis- gefunden werden müssten. Wir sind der Meinung, tin Reportagen und Gesellschaftsporträts. Für eine dass Formate wie #SalonEuropa dazu einen Anstoß Reportage im Greenpeace-Magazin befragte sie geben und einen Beitrag leisten können. Unser junge Menschen in sieben europäischen Ländern. Dank gilt den Interviewpartnern, die den Mut hat- „Überall hörte man, dass ‚unsere Art zu leben‘ be- ten, sich öffentlich zu äußern. droht sei“, erzählt sie über ihre Motivation zu dem Projekt, „Aber was ist das eigentlich? Der Status Quo?“ Deshalb wollte sie von jungen Europäern „Es fehlt eine europäische Öffentlichkeit“ – wissen: Worauf dürfen wir hoffen? Wovor müssen Wie könnte ein „Salon“ heute aussehen? wir Angst haben? Manja Reinhardt betreibt mit ihrem Mann And- Dieser Frage geht das Projekt #SalonEuropa reas in ihrer Freizeit den Reiseblog Vogtland-Zauber. nach. Ein ganz analoger Salonabend fand am 27. Für sie ist das Vogtland, das teilweise in Tschechien, Oktober 2018 mit rund vierzig Gästen im Museum teilweise in Sachsen und Thüringen liegt, auf seine statt. Um herauszufinden, wie eigentlich jüngere eigene Art europäisch. „Wir müssen Europa auch Generationen zu Europa und der EU stehen, luden auf Ebene der Regionen denken“, sagte sie in der wir gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung Thü- Gesprächsrunde. ringen sechs interessante Gäste ins Museum Burg Maria Geußer, Studentin im Master of Public Posterstein ein: Policy an der Willy Brandt School, hat sich in ihrem Anders Heger, Doktorand an der Uni Jena im Studium auf die Fächer European Public Policy und Fach Politikwissenschaft, stammt aus Tschechien Non-Profit Management spezialisiert. Täglich lernt und promoviert zum Thema Euroskeptizismus in sie gemeinsam mit jungen Menschen aus aller Welt. Ostmitteleuropa. Er erwies sich auf dem Podium Über die EU sagt sie: „An vielen Stellen wurde bis- als Spezialist für die osteuropäische Sicht auf Eu- her verpasst, die Basis mitzunehmen.“ ropa und verwies auch auf die historischen Gründe Thomas Laubert, Architekt aus Gera, ist aktiv in dafür. „Im Osten Europas hat man Angst, dass die der Initiativgruppe Gera2025, die die Bewerbung EU eine Art neue Sowjetunion wird“, sagte er bei- der Stadt Gera zur europäischen Kulturhauptstadt spielsweise. vorantreibt. Er kritisiert: „Europa wird im Moment Andi Jung ist Landschaftsfotograf aus Erfurt nur auf Ebene des Geldes und der Politik, nicht auf und reiste für ein Fotoprojekt an Europas Au- Ebene der Menschen, diskutiert. Wenn wir das wie- ßengrenzen. Als nördlichsten Punkt fotografierte der zusammenbringen, brauchen wir uns auch nicht er eine Steilwand in Island, als südlichsten eine vor Europa zu fürchten.“

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„Diese Pluralität der Perspektiven ist Europa“ – Die Blogparade #SalonEuropa

Unsere erste Blogparade führten wir in Ko- operation mit der Münchner Kulturbloggerin Dr. Tanja Praske vom Blog „KULTUR – MUSEUM – TALK“ durch, die das Projekt auch auf Twit- ter, Facebook, Instagram und Pinterest begleite- te. Sie initiierte bereits viele Kulturblogparaden und verknüpfte die Blogparade #SalonEuropa mit den ebenfalls 2018 veranstalteten Blogpa- raden der Schlösser und Gärten in Deutschland e. V. und des Deutschen Historischen Museums. Ziel der Blogparade #SalonEuropa war es, die Aus- stellung vor Ort zu bereichern und zu erweitern, die Idee der Ausstellung mit Interessierten im Netz zu diskutieren, sich mit ihnen zu vernetzen und dadurch der spannenden aktuellen Thematik eine große Reichweite zu ermöglichen. Für die Dauer der Blogparade von 23. September bis 23. Okto- ber 2018 konnten Blogger eigene Artikel schreiben und mit der Aktion verknüpfen. Für alle Meinungs- äußerungen zur Ausstellung #SalonEuropa legten wir im Vorfeld „Salonregeln“ fest, als Instrument, um eventuelle unangemessene Beiträge außen vor zu lassen.

Die Blogparade #SalonEuropa in Zahlen

Insgesamt wurden 75 Blogposts von 62 Blogs aus sieben Ländern zur Blogparade #SalonEuropa eingereicht. Wir haben sie zeitnah mit dem Aufruf verlinkt, wenn möglich kommentiert, auf der Pro- jekt-Website einzeln zusammengefasst und ausge- Die Blogparade #SalonEuropa in Zahlen (Abbildung: Museum druckt in zwei dicken Ordnern in der „Salon-Ecke“ Burg Posterstein) der Sonderausstellung auch für nicht internet-affine

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Besucher zugänglich gemacht. Zum Ende der Blog- Die Themen der Blogparade #SalonEuropa: parade waren das mitsamt den Kommentaren 445 Ganz unterschiedliche Erfahrungen A4-Seiten Text in normaler Schriftgröße. Beinahe mit Europa das gesamte Team des Museums war während der Zeit der Blogparade in diesen zeitintensiven Prozess In der Blogparade trat der Diskurs über aktuelle Prob- eingebunden, denn oft erreichten uns mehrere neue leme in den Hintergrund, denn viele Blogger wählten Blogbeiträge am Tag. Es war eine intensive Zeit, die einen anderen Ansatz. Sie rückten Kultur und den Kul- uns den verschiedenen Bloggern näher brachte und turaustausch in Europa in den Mittelpunkt, bloggten die den Diskurs in der Ausstellung wesentlich be- über Europas Geschichte, über ganz konkrete persön- reicherte. liche Erfahrungen mit Europa, über das Reisen und Bisher interagierte das Museum Burg Poster- die Bedeutung von Frieden, Sicherheit, Freiheit und stein mit Bloggern vor allem auf Twitter und Insta- offenen Grenzen. Auch Umwelt- und Naturschutzthe- gram sowie direkt in den Blogs, wenn beispielsweise men kamen zur Sprache, ebenso wie Politik, gemein- über das Museum geschrieben wurde. Die Beiträge same Werte und Digitalisierung im Kulturbereich. verlinken wir auf der Museumswebsite. Hier wird auch die Natur des Bloggens deutlich: Aufgeschlüsselt nach uns bereits bekannten und Blogs sind ursprünglich persönliche Tagebücher, noch unbekannten Bloggern, kamen 33 der 75 Blog- viele widmen sich einem Oberthema wie Reisen, posts zur Blogparade #SalonEuropa von uns noch Umwelt, Geschichte, Kultur und natürlich muss auch unbekannten Bloggern. Die meisten der teilnehmen- der Beitrag zu einer Blogparade zu diesem Thema den Blogger beschäftigen sich hauptsächlich mit passen, damit der Blogger seine Leser anspricht. Kultur, aber elf Prozent auch mit Reisen und jeweils Ein besonders interessanter Aspekt der Blogpa- 2,3 Prozent mit Familie, Umwelt und einem breiten rade waren für uns die teilweise sehr unterschiedli- Themenspektrum, das wir „querbeet“ getauft ha- chen, persönlichen Erfahrungen, die Blogger in den ben. Auch die Schlösser und Gärten in Deutschland verschiedenen Regionen Deutschlands und in den e. V. und das Deutsche Historische Museum beteilig- verschiedenen Altersklassen mit Europa gemacht ten sich mit je einem Blogpost. haben. Für viele ist das europäische Miteinander Die teilnehmenden Blogger kamen aus 14 deut- eine Selbstverständlichkeit, nicht nur für die jünge- schen Bundesländern (allen voran aus Thüringen, re, von Erasmus und Interrail geprägte Generation, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) sowie auch für die, die in Grenzregionen zu Frankreich, den aus Österreich, den Niederlanden, Frankreich, Nor- Niederlanden oder der Schweiz leben. wegen, Lettland und Estland. Acht Blogposts steuer- Gleichzeitig war es ungeheuer spannend, die ten Gastblogger bei, die sonst keinen eigenen Blog Erinnerungen an unterschiedliche Erfahrungen vor führen. Das zeigt, dass wir mit der Blogparade #Sa- und hinter dem ehemaligen „eisernen Vorhang“ zu lonEuropa zwar einerseits unser eigenes Netzwerk lesen. Denn mehrere Blogger schilderten ihre Erleb- im Kulturbereich erreichten, aber durchaus auch uns nisse an den Ostgrenzen und ihre Zeit in der DDR- noch unbekannte Zielgruppen ansprechen und neue Diktatur ohne Reisefreiheit. Ein weiterer Aspekt Netzwerke knüpfen konnten. waren Blogposts über Projekte zu individuellen Mi-

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grationserfahrungen in und nach Europa. Und nicht Unser Fazit: Wir haben ganz unterschied- zuletzt ging es um die persönliche Bedeutung der liche Visionen für die Zukunft Europas europäischen Identität bzw. Nationalität. An diesen Stellen, so unser Eindruck, bot die In vielen Meinungsäußerungen zu #SalonEuropa Blogparade die Chance, Brücken zu bauen, einan- kamen Zukunftswünsche und Visionen für Europa der zu verstehen und zuzuhören und Erfahrungen zu Wort, die teilweise weit auseinander gehen. auszutauschen. Diese Spaltung zieht sich natürlich durch den In den Blogs selbst und in den sozialen Netzwer- gesamten Kontinent. Ein Lichtblick für uns: Der ken bildeten die Texte Grundlage für Austausch und Tonfall im #SalonEuropa blieb immer sachlich. Diskussion. Davon zeugen beispielsweise über 360 Wir hatten den Eindruck, dass man gerade in der Kommentare in den teilnehmenden Blogs und die Ausstellung vor Ort und auch in den Social Media- große Reichweite des Hashtags #SalonEuropa von Kanälen die Verschiedenheit der Sichtweisen zur neun Millionen Impressionen auf Twitter. Auch auf Kenntnis genommen hat. Für uns bildete das die Instagram und Facebook kam es zu Gesprächen. Grundlage für einen ausgewogenen Diskurs auf Alle 75 Beiträge sind chronologisch auf der Pro- Augenhöhe. jektwebsite kurz zusammengefasst und können dort Im Rahmen der Ausstellung wurden wichtige, auch ausführlich nachgelesen werden. zeitlose, lesenswerte Gedanken geäußert. Vielleicht konnte sie die Aufmerksamkeit für das Thema Euro- pa ein wenig erhöhen. Gerade die Unterschiede und Widersprüche gehören zur Pluralität Europas, betonte Reinhard Laube, Direktor der Weimarer Herzogin Anna Ama- lia Bibliothek in seinem Beitrag zu #SalonEuropa. Mit der Idee Europas, was heute davon übrig ist und wie unterschiedliche Generationen dazu ste- hen, beschäftigten sich auch andere Meinungsäu- ßerungen. Viele kamen wie die Bloggerin vom Blog „Kulturkramkiste“ zu dem Schluss: Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen und Europa weiterzuentwickeln.

Marlene Hofmann

Zum Nachlesen: Blick in die Ausstellung „#SalonEuropa vor Ort und digital“. (Fo- • blog.burg-posterstein.de tos: Museum Burg Posterstein) • salon-europa.eu

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Handlungsperspektiven für die Thüringer Museen

as Museum ist, wie Walter Grasskamp in ei- Dnem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemei- ne Zeitung bemerkte, das Chamäleon unter den Kulturinstitutionen: „Es ist Heimatmuseum oder Hauptstadtattraktion, Stadtteilforum oder Touris- tenmagnet, kommunal oder staatlich, privat oder öffentlich, menschenleer oder touristenbelagert. Und die Liste der Gegenstände, Personen und Er- eignisse, denen es sich widmen kann, ist schier endlos. Es ist daher schwer, Thesen über das Muse- um aufzustellen, für die sich nicht sofort Gegenbei- spiele finden lassen.“ Ich stimme der Beschreibung zu, denn auch meine Erfahrung als Kulturminister des Freistaates Thüringen ist davon geprägt, dass an unsere Mu- seen sehr unterschiedliche Erwartungen gerichtet werden. Neben ihren Kernaufgaben des Sammelns, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff präsentiert zusammen mit Bewahrens, Forschens, Ausstellens und Vermittelns dem Präsidium des Museumsverbandes Thüringen e. V. die Mu- sind neue Herausforderungen getreten. Die Museen seumsperspektive 2025, Verbandstag MVT 2017. (Foto: Marcus sollen Orte kultureller Bildung sein, in der Lage sein Rebhan, MVT) auf gesellschaftliche Diversität mit Interkulturalität, Barrierefreiheit und einfacher Sprache zu reagieren, die Provenienz ihrer Sammlungen erforschen und sparungen und obwohl es Bund, Ländern und Ge- kritisch reflektieren bzw. unrechtmäßig erworbenes meinden konjunkturell lange nicht so gut ging wie Eigentum aus NS-Raubkunst oder kolonialen Kon- in den vergangenen Jahren. texten zurückgeben und in der Digitalisierung von Kurzum: Die Erwartungen an die Museumsland- Kulturgut ebenso Vorreiter wie bei der Nutzung sozi- schaft – nicht allein in Thüringen – standen und ste- aler Medien und digitaler Vermittlung sein. Als Orte hen nicht selten in einem spürbaren Widerspruch zu von Kulturtourismus sollen sie natürlich zeitgemä- den ihnen zur Verfügung gestellten sächlichen und ßes Marketing betreiben und ihre Besucherzahlen personellen Ressourcen. steigern, Ausstellungen generieren und dabei aber Der Bibliotheksverband sieht Bibliotheken als immer im Budget bleiben. die „Wohnzimmer der Städte“. In diesem Sinne ver- Dies alles unter den Rahmenbedingungen von stehe ich Museen als genuine Stadtmöbel – sie sind vielfach unzeitgemäßen Gehältern und Stellenein- nicht selten Mittelpunkt unseres Gemeinwesens.

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Und stehen am Ende der zweiten Dekade des 21. umsverband im Jahr 2017, erstmals seit der Wie- Jahrhunderts vor einem Bündel an Herausforderun- dergründung des Freistaates Thüringen 1990, eine gen. Für deren Bewältigung benötigen sie einerseits gemeinsame Entwicklungsstrategie für die Thüringer die gemeinschaftliche Unterstützung vorrangig Museumslandschaft vor. Sie wurde unter die Über- ihrer Träger, also der Gemeinden und der Länder, schrift »Museumsperspektive 2025« gestellt. denen nach unserer Verfassungsordnung die Kultur Die Idee der »Museumsperspektive« beruht auf als Kernaufgabe obliegt. Andererseits kommen der den ein Jahr zuvor abgeschlossenen Verträgen mit Bund, private Mäzene, Förderer oder Spender hinzu, den Theatern und Orchestern des Freistaates. Diesen bei denen wir konstatieren müssen, dass die Vertei- mehrjährigen Finanzierungsverträgen ging ein Ana- lung privaten Kapitals auch dreißig Jahre nach der lyseprozess voraus, bei dem strukturelle Rahmen- friedlichen Revolution in der Bundesrepublik weiter- bedingungen dieser Kulturinstitutionen, darunter hin einer starken Ungleichheit zwischen West und verändertes Rezeptionsverhalten, Altersstruktur der Ost unterliegt. Theater- und Konzertbesucher/-innen, Tarifentwick- Angesichts dieser Rahmenbedingungen leg- lung der Beschäftigten, Sanierungsaufwand etc. ten auf meine Initiative hin die Kulturabteilung der eruiert und mit einer Entwicklungsstrategie verse- Thüringer Staatskanzlei und der Thüringer Muse- hen wurden, die wiederum Gegenstand partizipa- tiver Beteiligungsprozesse sowohl der Institutionen (Intendantenkonferenz, Spartenvorstände, Betriebs- räte) als auch der Konsument/-innen (Fördervereine etc.) gewesen war. Nachdem der Fokus öffentlicher Kulturdebatten lange Zeit auf die Theater und Orchester gerichtet war, die bekanntlich einen erheblichen Anteil der Kulturausgaben auf sich vereinigen, war es nicht nur legitim, sondern insbesondere angemessen und erforderlich, die kulturpolitisch gleichermaßen wich- tige Landschaft der Museen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Der rund zwei Jahre dauernde Analyse- und Dis- kussionsprozess war von Beginn an darauf ausgerich- tet, zwischen Museumsverband und Staatskanzlei eine partnerschaftliche und nicht durch Hierarchien gestörte Arbeitskultur zu gewährleisten und grund- sätzlich ohne eine haushaltspolitische „Schere im Die Handlungsempfehlungen zur Museumsentwicklung wer- den durch Minister Hoff und dem Museumsverband Thüringen Kopf“ die Herausforderungen und Probleme der Mu- e. V. der Öffentlichkeit präsentiert, Jahrespressekonferenz MVT seumslandschaft zu identifizieren, aber auch darauf 2019. (Foto: Markus Rebhan, MVT) eine Landkarte der Thüringer Museen zu zeichnen,

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die dazu beiträgt, sich ein Bild von dieser Landschaft ausgleichen. Die Landesfinanzierung, institutionell machen zu können. ausgereicht und ohne Investitionsmittel, reicht von Um die mit der Museumsperspektive 2025 vor- 1,5 Millionen Euro per anno für das Panorama Mu- gelegten Handlungsempfehlungen, die bis Jahres- seum in Bad Frankenhausen bis zu 21.500 Euro für ende in einem partizipativen Prozess erörtert und das Volkskundemuseum Reitzengeschwenda. Diese weiter entwickelt werden sollen, zu fundieren, ent- Museumsfinanzierung wurde ab 2018 um eine Mil- schieden die für Kultur zuständige Thüringer Staats- lion Euro aufgestockt. kanzlei und der Thüringer Museumsverband mittels Die Datenabfrage hat die Lücke zwischen Not- zweier Online-Befragungen, die vom Büro für Kul- wendigkeit einerseits und tatsächlicher Ausstattung turevaluation in Karlsruhe betreut und ausgewertet andererseits deutlich gemacht. Nicht einmal jedes wurden, einen Ist-Zustand der Museen zu erheben. dritte Museum verfügt über eine Stelle für Muse- Von den rund 230 Mitgliedsmuseen wurden umspädagogik. Qualifiziertes Fachpersonal mit pä- 147 Museen befragt, von denen sich 125 Muse- dagogischer Kompetenz bereichert jedes Museum en an der Befragung beteiligten. Allein diese hohe durch Besucherorientierung, zielgruppengerechte Rücklaufquote zeigt das Interesse, aber auch die Aufbereitung von Inhalten sowie aktive Vernetzung Bereitschaft der Museen, Antworten auf die Her- mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen. ausforderungen der Museumslandschaft zu finden. Durch engagierte Formen der Vermittlungsarbeit Abgefragt wurde ein breites Spektrum an Themen, wird die kulturelle Bildung aller Menschen gefördert von den Öffnungszeiten über die Nutzung sozialer – seien es Senioren, Migranten oder Digital Natives. Medien, die Bewertung der Depotsituation, die per- Die Personalstruktur spiegelt die kommunale sonelle Ausstattung, die Kooperation mit anderen und kleinteilige Prägung der Thüringer Museums- Museen und Kultureinrichtungen bis hin zu Freun- landschaft wieder. 13 Museen haben nur einen deskreisen und Fördervereinen sowie dem Inventa- Beschäftigten, jedes dritte Museum (34 %) hat risierungsgrad und dem Restaurierungsbedarf der maximal vier Beschäftigte. Über die Hälfte aller Sammlungsobjekte. Häuser (58 %) beschäftigen maximal bis zu neun Das Panorama der Antworten gibt ein vielfältiges Mitarbeiter/-innen. Damit sind personaltechnisch Mosaik wieder und zeigt eine latent asymmetrische kleine Museen die häufigste Gruppe Thüringer Mu- Museumsstruktur. Großen Einrichtungen wie z. B. seen. An zweiter Stelle kommen die mittelgroßen der Klassik Stiftung Weimar und ihren Museen oder Museen mit einem Mitarbeiterumfang zwischen 10 der Gothaer Stiftung Schloss Friedenstein und deren und 40 Beschäftigen (31 %). Fast ein Viertel aller Sammlungen, stehen mittlere Institutionen wie der Beschäftigten verteilen sich auf die vier großen Stif- Zweckverband Mühlhäuser Museen oder städtische tungen: auf die Klassik Stiftung Weimar, die Stiftung Museumsverbünde wie in Erfurt oder Gera gegen- Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, die über. Daneben bestehen kleine Einrichtungen wie Wartburg-Stiftung Eisenach und die Stiftung Schloss das Bachhaus Eisenach oder das Deutsche Spiel- Friedenstein Gotha. Es zeigt sich, dass Museen, die zeugmuseum Sonneberg, die ihrerseits fehlende vom Land institutionell gefördert werden, über eine Größe durch allein pekuniär begrenzte Strahlkraft bessere Personalausstattung verfügen.

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Mindestens die Hälfte aller Beschäftigten mit eine klare Tendenz hinsichtlich der Verteilung nach Hochschulabschluss arbeitet auf der Basis von Ver- Arbeitgebern: An den Museen der Stiftungen wird trägen, die unterhalb des Äquivalents zum höheren ein sehr großer Anteil der Mitarbeiter mit Hochschul- Dienst angelegt sind. Dabei zeigt sich wiederum abschluss ab Entgeltstufe 12 bezahlt. Mitarbeiter, die in Museen arbeiten, die von kommunalen Ge- bietskörperschaften getragen werden, werden viel seltener ihrem Abschluss entsprechend entlohnt. Für eine Landesregierung mit rot-rot-grüner Farbe entsteht daraus ein Handlungserfordernis, die verbesserte Bezahlung qualifizierter Fach- kräfte zum Gegenstand der Diskussion mit den kommunalen Trägern von Museen zu machen. Es wiederholt sich hier ein Bild, das bereits aus der Diskussion um die Theater und Orchester bekannt ist: Kommunen sehen Kultureinrichtungen und deren Beschäftigte nicht als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, mit demselben Anspruch auf an- gemessene Entlohnung, wie dies bei Stadtwerken und Bäderbetrieben unzweifelhaft vorausgesetzt wird. Insoweit kommt es darauf an, Bündnisse zu schließen, um Kultureinrichtungen mit ihrer spezifischen Energie als „Kulturstadtwerke“ der Kommunen ins Gedächtnis zu rufen und auf die tarifpolitische Agenda zu setzen. Die 45 institutionell geförderten Einrichtungen erweisen sich – laut Datenerhebung – als zumeist besser ausgestattet und damit leistungsstärker im Vergleich zu den Museen in Trägerschaft einer Kom- mune, eines Landkreises oder eines kommunalen Zweckverbandes. Diesem strukturellen Ungleichge- wicht soll mit einer vertieften Kooperation der Muse- en untereinander begegnet werden. Damit vertiefte Kooperation nicht, wie andernorts zu oft praktiziert, die euphemistische Umschreibung der Umsetzung Handlungsempfehlungen zur Museumsentwicklung. Ergebnis- von Kürzungen darstellt, tritt das Land mit der be- se der öffentlichen Diskussion zur Museumsperspektive 2025. reits erwähnten Erhöhung von institutioneller Finan- (Foto: Markus Rebhan, MVT) zierung, Investitionsmitteln sowie der Beibehaltung

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bewährter kommunaler Unterstützungsprogramme andererseits den kleineren Einrichtungen unter die in die Vorleistung, damit Kooperation tatsächlich ei- Arme greifen. nen Mehrwert erbringen kann. In den Handlungsperspektiven, die nach der ers- Da Kooperation zunächst mit kommunikativem ten Veröffentlichung der Museumsperspektive über- und organisatorischem Mehraufwand verbunden arbeitet und nunmehr zwei Jahre später vorgelegt ist, soll auch dies vom Land und dem Museumsver- wurden, steht die Personalsituation weit oben auf band begleitet werden. Gerade die kleinen Einrich- der Agenda. Ich bin überzeugt, dass Museen ge- tungen mit geringem finanziellem Budget bedürfen meinsam viele Aufgaben effizienter bewältigen kön- einer stärkeren Unterstützung, um ihre Aufgaben nen. Dafür bedarf es vieler Gespräche, eines langen zu erfüllen. Aus Sicht des Landes müssen daher Atems und letztlich auch des politischen und ganz die institutionell geförderten Museen stärker in die praktischen Willens der beteiligten Träger. Für diese Verantwortung genommen werden. Sie sollen einer- Mühen der Ebene sind mit der Museumsperspektive seits alle vier Qualitätskriterien des Internationalen 2025 gute Wege vorgezeichnet. Museumsrats ICOM und die „Standards für Muse- en“ des Deutschen Museumsbundes erfüllen und Benjamin-Immanuel Hoff

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Leitlinien MVT 2011-2020 versus Handlungsempfehlungen zur Museumsperspektive 2025

n seinem Museumsentwicklungskonzept 2011- In den beiden linken Spalten der Tabelle werden I2020 hat der Vorstand des Verbandes sieben die Konzeptionellen Leitlinien gemäß ihrer Gliede- Konzeptionelle Leitlinien der Arbeit Thüringer Mu- rung mit den wichtigsten Forderungen wiederge- seen 2011-2020 aufgestellt. Diese werden in der geben, rechts finden Sie die Entsprechungen in den folgenden Tabelle den Handlungsempfehlungen, die Handlungsempfehlungen (HE). Deutliche Fortent- zur Museumsperspektive 2025 der Thüringer Staats- wicklungen, die über die bisherigen Leitlinien hin- kanzlei und des Museumsverbandes Thüringen e. V. ausreichen, sind dabei fett markiert. entwickelt wurden, gegenübergestellt.

Leitlinien Museumskonzept 2011-2020 Handlungsempfehlungen bis 2025 (HE) Autor: Museumsverband Thüringen e. V. Autoren: Thüringer Staatskanzlei in Zusammenarbeit mit Museumsverband Thüringen e. V. 1. Grundsätze Kultur als Pflichtaufgabe Vorwort Kulturminister Verständnis der Träger für die Be- (= Widerspruch zu Grundgesetz deutung der Museen muss gestärkt Artikel 28) werden (HE S. 5) Leitmuseen HE S. 9-12, Abschnitt Förde- institutionell geförderte Museen in Begriff wurde vom MVT selbst rung durch das Land besonderer Verantwortung für die wegen Verwechslungsgefahr Thüringer Museumslandschaft (HE mit „Leuchttürmen“ aufge- S. 10) geben, um die Förderung der Breite und Vielfalt der Museen nicht zu gefährden 2. Haushalts­ angemessene Vorwort Präsident auskömmliche Finanzausstattung entwicklung Finanzausstattung (HE S. 7) institutionelle Förderung durch HE S. 9-12, Abschnitt Förde- institutionelle Förderung wird das Land und Vergabeverfahren rung durch das Land fortgesetzt, institutionell sollen erhalten bleiben geförderte Museen werden evaluiert (HE S. 10) 3. Personalentwicklung angemessene HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Erhöhung des Fachpersonals in den Personalausstattung menbedingungen und Hand- Museen lungsfelder moderner Museen Fachpersonal muss adäquat bezahlt werden (HE S. 18)

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Leitlinien Museumskonzept 2011-2020 Handlungsempfehlungen bis 2025 (HE) Autor: Museumsverband Thüringen e. V. Autoren: Thüringer Staatskanzlei in Zusammenarbeit mit Museumsverband Thüringen e. V. Stellen für Museumspädagogik HE S. 15-16, Abschnitt Träger müssen in ihren Personal­ und Öffentlichkeitsarbeit Kulturelle Bildung entwicklungskonzepten die Tätigkeit entsprechend ausgebildeter Fach- kräfte vorsehen (HE S. 15) Erweiterung des Volontari- atsprogramms auf Museums­ pädagogik (HE S.18) Einstellung junger Fachkräfte, HE S. 18-28, Abschnitt Rah- „Mit dem Volontariats­ Anzahl wissenschaftlicher menbedingungen und Hand- programm trägt das Land zur Volontariate muss landesweit lungsfelder moderner Museen Sicherung des Fachkräfte­ erheblich ausgebaut werden nachwuchses bei.“ (HE S. 18) umfangreiches Fortbildungspro- gramm von MVT und TSK (HE S. 19) 4. Sammeln und inhaltliche Profilierung und HE S. 9-12, Abschnitt Förde- Anreizförderung für Netzwerke Ausstellen Spezialisierung rung durch das Land und Kooperationen Qualität der Ausstellungen Abstimmung von Sammlungsschwer- Sammlungskonzepte punkten, gemeinsame Themenaus- stellungen (HE S. 12) Notfallplanung HE S. 18-28, Abschnitt Rah- landesweites Netzwerk menbedingungen und Hand- „Thüringer kulturelle Notfall- lungsfelder moderner Museen verbünde“ (HE S. 23) Inventarisierung HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Inventarisierung und Digitalisierung menbedingungen und Hand- TSK und TMWWDG erarbeiten lungsfelder moderner Museen mit den Museen ein Konzept für Kulturgutdigitalisierung (HE S. 26) angemessener Zustand der HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Bereitstellung von adäquaten Auf- Magazine menbedingungen und Hand- bewahrungsmöglichkeiten für den lungsfelder moderner Museen nicht ausgestellten Teil der Samm- lung in konservatorisch geeigneten Depot­räumen … Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen Verantwortung der Träger für De- potlösungen, Unterstützung durch die TSK (HE S. 19)

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Leitlinien Museumskonzept 2011-2020 Handlungsempfehlungen bis 2025 (HE) Autor: Museumsverband Thüringen e. V. Autoren: Thüringer Staatskanzlei in Zusammenarbeit mit Museumsverband Thüringen e. V. Restaurierung und Bestandssi- HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Restaurierungsprogramm cherung menbedingungen und Hand- des Landes lungsfelder moderner Museen Überarbeitung der Kriterien für die Vergabe der Landesmittel (HE S. 19) 5. Forschen und Forschung ausbauen HE S. 18-28, Abschnitt Rah- „Hauptamtlich geführte Museen Vermitteln menbedingungen und Hand- müssen ein Kernteam haben, das lungsfelder moderner Museen wissenschaftliche und museumspä- dagogische Aufgaben wahrnehmen kann.“ (HE S. 18) Museum und Schule HE S. 15-16, Abschnitt mobile Museumspädagogik, Vermittlungsangebote mit Kulturelle Bildung Kooperation mit der LAG Mitteln aus Bildungs- und Jugendkunstschulen (HE S. 16) Sozialbereichen 6. Kommunikation, Dialog Museen, Schulen, freie HE S. 15-16, Abschnitt Zusammenarbeit mit TMBJS und Presse- und Öffentlich- Bildungsträger Kulturelle Bildung ThILLM stärken (HE S. 16) keitsarbeit Kontakte zu Legislative und HE wurden mit der Exekutive Exekutive gemeinsam erarbeitet Fachpersonal für Presse- und HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Aufgaben der TTG, Kulturpor- Öffentlichkeitsarbeit, Kultur­ menbedingungen und Hand- tale und Kultursteine, bessere tourismus lungsfelder moderner Museen Vermarktung des kulturellen Erbes, Besucherforschung (HE S. 25-26) moderne Medien HE S. 18-28, Abschnitt Rah- soziale Medien als Chance menbedingungen und Hand- MVT bietet entsprechende lungsfelder moderner Museen Fortbildungen an AK Digitales Museum gegrün- det (HE S. 28) 7. Kooperationen Zusammenarbeit Museen und HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Ausbau der Zusammenarbeit verstärken Universitäten menbedingungen und Hand- zwischen Museen und Hochschulen, lungsfelder moderner Museen Forschungsgesellschaften (HE S. 28) Freundes- und Förderkreise HE S. 18-28, Abschnitt Rah- Gründung von Fördervereinen menbedingungen und Hand- unterstützen – dazu Regionalkon- lungsfelder moderner Museen ferenz 2019 Fortbildung für Ehrenamtliche (HE S. 21-22)

Günter Schuchardt

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Objekte aus Glas. Ein museumsbasiertes Forschungsprojekt

eit September 2018 sind die Justus-Liebig-Uni- Sversität in Gießen, die TU Bergakademie Freiberg und das Schloßmuseum Arnstadt – als Hauptkoope- rationspartner für den Arbeitsverbund Schwarzbur- ger Museen – durch das Projekt „Glas. Material, Funktion und Bedeutung zwischen 1600 und 1800 in Thüringen“ in einer Forschungsgemeinschaft ver- bunden. Das Projekt wird durch das Bundesministe- rium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderfonds „Sprache der Objekte“ im Zeitraum von September 2018 bis August 2021 im vollen Um- fang gefördert. Die Projektidee erarbeiteten gemeinsam die jet- zigen Hauptakteure – Dr. Annette C. Cremer von der Justus-Liebig-Universität in Gießen, Prof. Dr. Gerhard Heide von der TU Bergakademie Freiberg und Antje Vanhoefen M. A. vom Schloßmuseum Arnstadt. Die Gesamtprojektleitung liegt bei Annette C. Cremer, den Teilbereich Museen verantwortet Antje Vanhoe- fen, während Gerhard Heide für den Projektbereich Materialwissenschaft zuständig ist. Alle drei Wissen- schaftler/innen sind Thüringen sehr verbunden: Die Kulturhistorikerin und Spezialistin für thüringische Geschichte Dr. Annette C. Cremer schrieb ihre Dis- sertation zur barocken Puppenstadt der Auguste Do- rothea von Schwarzburg-Arnstadt (1666-1751), war Stipendiatin am Forschungszentrum in Gotha und ist seit Mai 2017 im Vorstand des Rudolstädter Ar- beitskreises für Residenzkultur. Der Mineraloge Prof. Gerhard Heide habilitierte sich über die Struktur von Gläsern und war von 2007-2010 maßgeblich einge- bunden in ein DBU-Forschungsprojekt zur Restaurie- rung der Glasfenster der Divi Blasii Kirche in Mühl- Barocke Glaspokale im Arnstädter Neuen Palais. (Foto: Fotoar- hausen sowie einem BMBF-Projekt (im Rahmen der chiv Schloßmuseum Arnstadt, Fotograf Thomas Wolf, Gotha)

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Die Arbeit am Projekt wurde zum 1. September 2018 aufgenommen. Eine Gruppe von mittlerweile neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen arbeiten intensiv an der Umsetzung des Projektes. Bei der Vorstellung der durch das BMBF geförderten Projekte im November 2018 in Berlin beschrieb die Leiterin des Gesamt- projektes Frau Dr. Annette C. Cremer die Art der Zusammenarbeit innerhalb des Forschungsprojektes als „völlig gleichberechtigt und radikal interdiszi- plinär“. Das Ziel des dreijährigen Forschungs- und Ausstellungsprojektes ist die Erfassung, Erforschung und Erschließung sämtlicher auf dem Material Glas basierenden Objekte in Residenzen und Residenz- städten der Grafen/Fürsten von Schwarzburg in Thüringen zwischen 1600 und 1800. In die Analyse Materialuntersuchung eines Glasfragments. (Foto: Fotoarchiv einbezogen werden Vergleichsstücke z. B. aus den Glasprojekt) Sammlungen des Museums für Glaskunst Lauscha, dem Thüringer Museum Eisenach, dem Angermu- seum und dem Museum für Volkskunde in Erfurt. Ausschreibung eHeritage 2017) zur Entwicklung Anhand museal überlieferter Sammlungs- und Aus- eines Konzepts zur Digitalisierung von Glasperlen stattungsobjekte des Arbeitsverbundes Schwarz- als Teil einer textilen Wandbespannung des frühen burger Museen sowie baulicher Überlieferungen 18. Jahrhunderts (gemeinsam mit Antje Vanhoefen, der ehemaligen vier Residenzstädte – Arnstadt, Schloßmuseum Arnstadt). Die Kunsthistorikerin Ant- Frankenhausen, Rudolstadt und Sondershausen je Vanhoefen M.A. lernte während ihrer Tätigkeit – sollen in einer Kombination von materialwissen- für die 2. Thüringer Landesausstellung die Thüringer schaftlichen, kunsthistorischen, kulturhistorischen Museumslandschaft intensiv kennen; seitdem liegt und wirtschaftshistorischen Ansätzen sowohl die ihr Forschungsschwerpunkt auf der Residenzkultur Wege der Rohstoffe, die Herstellungsverfahren, der Mitteldeutschlands. Seit Beginn ihrer Tätigkeit im Vertrieb und der Handel bzw. die Auftraggeberschaft Schloßmuseum Arnstadt im Jahr 2013 vertiefte sie nachgezeichnet als auch die mannigfaltigen Ver- die baugebundene Forschung im Neuen Palais, was wendungsmöglichkeiten und Nutzungen von Glas zu ihrem aktuellen Dissertationsprojekt „Neues Pa- in den verschiedenen, sozial stratifizierten Feldern lais Arnstadt – Ein Witwensitz als Vorwand? Bauen aufgezeigt werden. Die Idee dieses Forschungspro- als Zeichen adliger Standeserhöhung im frühen 18. jektes ist es, die Breite der verschiedenen Funktio- Jahrhundert“ an der Bauhaus Universität bei Prof. nen und Bedeutungen des Materials Glas in seinen Hans-Rudolf Meier führte. sämtlichen Erscheinungsformen am Beispiel von

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Arnstadt, Frankenhausen, Rudolstadt und Sonders- Rahmen des Glas-Projektes der Versuch unternom- hausen in der Frühen Neuzeit herauszuarbeiten. Im men werden, mit Hilfe des BMBFs akademische For- Fokus der gemeinsamen Forschungsarbeit zwischen schung mit einer lokalen Überlieferungssituation zu dem Schloßmuseum Arnstadt, der TU Freiberg und verbinden. Die wissenschaftliche Erschließung und der JLU Gießen stehen neben der Erforschung von Publikation gibt weiterhin der Region die Möglich- architekturgebundenem Glas und Raumausstat- keit, den Wirtschaftsfaktor Bildungs- und Kulturtou- tungen bzw. Raumausstattungsbestandteilen auch rismus auszubauen. Objekte der Alltags-, Sammlungs- und Festkultur (Weinflaschen, Tafel- oder Scherzgläser), Sehhilfen, Lupen oder Schmuck, aber auch Glasmusikinstru- mente, medizinische Objekte (Klistiere und Schröpf- köpfe) sowie alchemistische bzw. pharmazeutische Objekte (Alembiken und Retorten). Bedeutende Kulturgüter haben sich in Deutsch- land nicht nur an territorialpolitisch relevanten Standorten als Ergebnisse großer fürstlicher Samm- lungen erhalten, sondern auch dezentral in Gebie- ten wie zum Beispiel der ehemaligen Grafschaft bzw. des Fürstentums Schwarzburg, denen heute ein Infrastrukturdefizit attestiert wird. Dem gilt es, aktiv zu begegnen! Das erhebliche Bundesinteresse an der Förderung des Verbundvorhabens ergibt sich zudem aus der Ausgangssituation der beteiligten Kooperationspartner: Die Schloßmuseen in Arnstadt und Sondershausen, das Thüringer Landesmuseum Heidecksburg in Rudolstadt und das Regionalmuse- um Bad Frankenhausen sind sogenannte Mehrspar- Apothekerfläschchen im Schloßmuseum Arnstadt (Foto: Foto- tenhäuser mit insgesamt max. 200.000 Besuchern archiv Glasprojekt, Anna-Victoria Bognar, Gießen) pro Jahr in einer ländlichen Region. Wichtiges Ziel der gemeinsamen, am Material orientierten Arbeit ist die Vernetzung der beteiligten kleinen Museen, Die Arbeitsweise des Projektes besteht neben die wertvolles Kulturgut bewahren, jedoch aufgrund den Forschungsschwerpunkten der einzelnen Pro- ihrer Situiertheit und den oft schwierigen Personalsi- jektmitglieder in monatlich mehrtägig stattfinden- tuationen selten übergeordneten Forschungsfragen den Objektworkshops, bei denen gemeinsam mit nachgehen können, sondern immer wieder (in Er- Kurator/innen und Spezialist/innen in interdisziplinä- mangelung von Alternativen) auf die heimatkundli- rer Weise am Material, an den Objekten geforscht chen Kontexte zurückgeworfen werden. Hier soll im wird. Im Zentrum steht einerseits die Erforschung

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der Produktion, des Handels und der Auftragsverga- ästhetischen und technologisch-chemischen Aspek- be in Bezug auf unterschiedliche Glasobjekte sowie ten. Handelt es sich bei dem Objekt um ein Alltags- andererseits die Untersuchung ihrer wirtschaftlichen oder ein Luxusobjekt? Ein Hohlglas, Flachglas oder Bedeutung für die Landesherren und die Regionen. Spezialglas? Ein Kali-Kalk-, Kalk-Natron- oder etwa Daneben interessieren die historisch wechselnden ein Bleiglas? Letzteres geschieht auf der Grundlage ästhetischen Bewertungen und die sozial strati- zerstörungsfreier Materialanalysen mit Methoden fizierte Nutzung der verschiedenen Glasobjekte. der optischen Spektroskopie. Methodisch ruht das Projekt auf drei Pfeilern: Der Am Ende des Projekts soll nicht nur eine Ausstel- Analyse der Objekte selbst mit Hilfe des Verfahrens lung zu Thüringischen Glasobjekten stehen, sondern der „Objektkritik“ (Annette C. Cremer), der natur- auch eine öffentlich zugängliche digitale Datenbank. wissenschaftlichen Materialanalyse sowie der Ar- Das Konzept der Forschergruppe und die (Zwischen-) chivrecherche und der Erforschung des jeweiligen Ergebnisse der gemeinsamen Forschungsarbeit wer- Kontexts aus der Perspektive der Kunstgeschichte, den im Rahmen einer internationalen Tagung (21. bis der Wirtschaftsgeschichte, der Kulturgeschichte, 23. November 2019, Thüringer Landesmuseum Hei- der Technikgeschichte und der Wissensgeschichte. decksburg in Rudolstadt) sowie einer gemeinsamen Der Zugriff auf die historischen Glasobjekte erfolgt Ausstellung sichtbar gemacht und öffentlichkeits- also multiperspektivisch und wird im Rahmen der wirksam vermittelt werden. Die im Aufbau befindli- Projektgruppenarbeit transdisziplinär miteinander che Webseite des Projekts (www.objekt-glas.de) wird verschränkt. Zusätzlich soll in Anknüpfung an die über Arbeitsfortschritte, Tagungen und die geplante frühneuzeitliche Realienkunde, dem Lehren und Ausstellung informieren. Lernen anhand von und mit Objekten, zugleich ein Kontakt: Dr. Anna-Victoria Bognar, JLU Gießen neues Format für Lehre und Forschung in enger (Koordinatorin) Zusammenarbeit von musealen und wissenschaft- lich verorteten Akteuren erprobt werden. An erster Stelle stehen jedoch zunächst die Objekterfassung Annette C. Cremer, Gerhard Heide und Objekttypisierung nach formalen, funktionalen, und Antje Vanhoefen

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Von Einhörnern und Drachentötern Ein Kooperationsprojekt der Mühlhäuser Museen und der Klassik Stiftung Weimar

on Einhörnern und Drachentötern“ erzählt „Vdie neue Ausstellung in der Mühlhäuser Ma- rienkirche. Seit dem 13. November 2018 werden in dem beeindruckenden gotischen Bau sakrale Kunst- werke aus vorreformatorischer Zeit ausgestellt. Im Mittelpunkt steht dabei die umfangreiche Samm- lung der Klassik Stiftung Weimar (KSW). Aufgrund der aktuellen Sanierungsmaßnahmen am Weimarer Stadtschloss wird diese für fünf Jahre in Mühlhausen völlig neu präsentiert. Mit der seit 2016 erfolgten Konzeption und Um- setzung des zeitlich befristeten Projektes durch die Mühlhäuser Museen und die Klassik Stiftung Weimar wurde eines der landesweit größten musealen Koope- rationsvorhaben der vergangenen Jahre verwirklicht. Die fünfschiffige Hallenkirche von „St. Marien“ bie- tet nun die architektonische Folie eines unverfälscht überlieferten Sakralraumes vor dessen Hintergrund sich die vorhandenen mittelalterlichen Ausstattungs- stücke in Kombination mit den Weimarer Werken hervorragend integrieren. Auf diese landesweit ein- zigartige Weise wird der ursprüngliche Charakter der Marienkirche als reich ausgestatteter vorreformatori- scher Sakralbau mit einer Fülle von Altären, Gemäl- Blick in die beiden nördlichen Seitenschiffe der Mühlhäuser den und Heiligenskulpturen wieder erlebbar. Zugleich Marienkirche mit den Weimarer Exponaten. (Foto: Tino Sieland) entfaltet die Weimarer Sammlung unter diesem As- pekt eine völlig andere, viel authentischere Wirkung als dies an ihrem bisherigen Ort möglich war. Insge- Ziel bei der Ausstellungskonzeption war da- samt sind 62 mittelalterliche Werke bzw. Werkgrup- bei von Anfang an, den Besuchern ein Gefühl für pen vereint und stellen auf einer Ausstellungsfläche die Funktionsweise eines Kirchenraumes aus vor- von 1.200 m² damit die umfangreichste museale Prä- reformatorischer Zeit zu vermitteln, und zu ver- sentation mittelalterlicher Bildwerke in Thüringen dar. deutlichen, wie ihn die Menschen damals erlebten

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schaftliche Beraterin die konzeptionelle Umsetzung des Projektes. Konservatorisch betreuten Konrad Katzer (Chefrestaurator der KSW) sowie Anne Le- vin (Gemälderestauratorin der KSW) und Johannes Schaefer (Diplom-Restaurator aus Altenburg) den Transport und den Aufbau der Objekte. In Folge ei- nes gemeinsam von den Mühlhäuser Museen, der Klassik Stiftung Weimar und der Thüringer Staats- kanzlei jurierten Wettbewerbs wurde letztlich die Ar- tus Atelier GmbH aus Erfurt mit der gestalterischen Umsetzung der Ausstellung betraut. Durch den Kooperationsvertrag zwischen beiden Museen ergab sich die Möglichkeit, dass das Pro- jekt von der Thüringer Staatskanzlei aus dem kom- munalen Investitionsprogramm unterstützt werden konnte, da die Mühlhäuser Marienkirche in diesem Zusammenhang u. a. sicherheitstechnisch ertüch- Blick in die beiden nördlichen Seitenschiffe der Mühlhäuser tigt werden musste. Die Thüringer Staatskanzlei Marienkirche mit den Weimarer Exponaten. (Foto: Tino Sieland) stellte insgesamt einen Förderbetrag in Höhe von 250.000,- Euro zur Verfügung. Bei ihrer Kooperation orientierten sich beide Mu- und mit welchen Glaubenswelten dies verbunden seen auch an der durch die Thüringer Staatskanzlei war. Idee und Konzept der Exposition sind unter und den Thüringer Museumsverband e. V. erarbei- dieser Maßgabe von Beginn an gemeinschaftlich teten Museumsperspektive 2025. Ausgewiesenes zwischen beiden Museen entwickelt worden. In Ziel derselben ist unter anderem die Schaffung von Zusammenarbeit mit den beiden Projektkoordina- Netzwerken und Kompetenzzentren. So besteht von toren Dr. Gert-Dieter Ulferts (Stellvertretender Di- Seiten der Mühlhäuser Museen die Absicht, in Mühl- rektor Museen der Klassik Stiftung Weimar) und Dr. hausen ein Kompetenzzentrum für mittelalterliche Thomas T. Müller (Direktor der Mühlhäuser Muse- Kunst zu etablieren. Dies erscheint nicht zuletzt des- en) entwickelten Friedrich Staemmler (Fachreferent halb zukunftsträchtig, weil sich in Mühlhausen – ne- Kunst der Mühlhäuser Museen) und Sarah Lösel ben der entsprechenden Ausrichtung der Museen – mit (Fachreferentin Kultur/Geschichte der Mühlhäuser der fast vollständig erhaltenen Stadtbefestigung, den Museen) als verantwortliche Kuratoren die Inhalte zahlreichen historischen Bürgerhäusern, dem mittel- der Ausstellung. alterlichen Rathaus und elf noch vorhandenen goti- Von Weimarer Seite aus unterstützte zudem Dr. schen Kirchen ein einzigartiges Ensemble findet, dem Katharina Krügel (damalige Kustodin des betreffen- u. a. auch die touristische Vermarktung als „Mittelal- den Sammlungsbestandes bei der KSW) als wissen- terliche Reichsstadt“ Rechnung trägt.

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Aber auch in der lokalen Bevölkerung existiert on verborgen, weil sie die beiden zuletzt genann- eine große Affinität zur Thematik, wie allein die Tat- ten Aspekte miteinander vereint. sache zeigt, dass zur Eröffnung der Ausstellung vom Die Kunstzentren Erfurt, Saalfeld, Jena und Alten- Thüringer Kulturminister und Chef der Staatskanzlei, burg, die sich etwa von der 2. Hälfte des 15. Jahrhun- Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, mehr als 400 derts bis zur Reformationszeit als die wesentlichen Gäste begrüßt werden konnten. Produktionsstätten mittelalterlicher Schnitzaltäre, Die Weimarer Sammlung mittelalterlicher Kunst Skulpturen und Gemälde in Thüringen etablierten, bildet neben den Beständen des Angermuseums werden von der Weimarer Sammlung mit zahlreichen Erfurt, des Thüringer Museums Eisenach und des Beispielen hervorragend abgedeckt und verdeutli- Stadtmuseums Saalfeld die wichtigste museale chen damit auch deren Qualität und Vielfalt. Auch Sammlung von Skulpturen, Altären und Tafelgemäl- wenn viele Weimarer Werke nicht unmittelbar mit den aus vorreformatorischer Zeit in Thüringen. Sie den wichtigsten bekannten Künstlernamen aus Erfurt ist zudem die älteste ihrer Art auf dem Gebiet des wie Linhart Koenbergk bzw. aus Saalfeld wie Valentin heutigen Freistaates und wurde auf Initiative von Johann Wolfgang von Goethe mitbegründet. Nachdem das Interesse daran für etwa hun- dert Jahre im Wesentlichen erloschen war, gelang es dem Direktor des Großherzoglichen Museums Prof. Wilhelm Köhler ab den frühen 1920er-Jahren den bisher nur einige Werke umfassenden Bestand wesentlich zu erweitern. Durch gezielte Ankäufe und Dauerleihverträge mit den jeweiligen Kirch- gemeinden gelangten zahlreiche mittelalterliche Kunstwerke in den Sammlungsbestand. Den größ- ten Teil der Kollektion bilden dabei bis heute 27 Kunstwerke aus der Privatsammlung des aus Win- dischleuba stammenden Barons Münchhausen, die im Jahre 1926 angekauft werden konnten. Auf diese Weise erhielt die Sammlung mittelalterlicher Kunst ihre heutige Spezifik. Insgesamt spiegelt sie nicht nur allgemein die Typologien mittelalterlicher Kunstwerke wider, sondern lässt auch wesentliche stilistische Strömungen von Schnitzer- und Maler- werkstätten innerhalb des Thüringer Raumes er- kennen bzw. zeigt deren enge Verflechtung zu den benachbarten Kunstzentren auf. Gerade hierin liegt Triptychon mit der Einhorn-Verkündigung im Hortus conclusus, das umfangreiche Potenzial der Weimarer Kollekti- Erfurt, um 1430/40. (Foto: Klassik Stiftung Weimar)

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Lendenstreich oder Hans Gottwald von Lohr in unmit- telbarem Zusammenhang gebracht werden können, bestätigt die qualitativ hochwertige Ausarbeitung vieler Stücke häufig den Kontext zu diesen Thüringer Werkstätten. Beispiele hierfür sind die Meister des Meckfelder und des Allendorfer Altars, die ganz be- deutende Werke innerhalb der Weimarer Sammlung stellen. Dass die thüringische Kunst dieser Zeit auch wesentlich durch die unmittelbar benachbarten Regi- onen Obersachsen und Franken mitgeprägt worden ist, zeigen die Thüringer Bestandsbeispiele in Weimar auch wunderbar in unmittelbarem Vergleich mit den hier ebenfalls befindlichen Werkgruppen dieser bei- den angrenzenden Kunstlandschaften. Die Rezeption und der Einfluss Albrecht Dürers sowie seines Lehrers Michael Wohlgemuth aus dem fränkischen Nürnberg scheinen hier bei einigen Werken genauso durch wie das durch Leipziger Schnitz- und Malerwerkstätten geprägte stilistische Repertoire der Brüder Jakob und Peter Naumann bzw. des Franz Geringswalde aus Altenburg, die zweifellos zu den wichtigsten Künst- lern dieser Zeit in Ostthüringen zu zählen sind. Werke dieser Maler und Bildschnitzer sind in der Weimarer Kollektion mehrfach vertreten. Mit den auch wissenschaftlich nach neuesten Erkenntnissen nachgezeichneten Verbindungslinien des künstlerischen Austausches zwischen Thüringen und Franken etwa am Beispiel der Tafelmalerei bzw. Thüringen und Sachsen am Exempel der Schnitz- kunst ergibt sich für die Weimarer Sammlung ein enormes kunstgeschichtliches Forschungspotenzi- al. Sie bietet nicht nur die wunderbare Möglichkeit anhand ihres Bestandes diese genannten überregi- onalen Bezüge zu verdeutlichen, sondern auch spe- zifisch thüringische Stilmerkmale, die sich trotz aller Plakat zur Ausstellung „Von Einhörnern und Drachentötern“. von außerhalb einströmenden Stileinflüsse daneben (Bildquelle: Mühlhäuser Museen) eigenständig entwickelt haben, aufzuzeigen.

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Darüber hinaus lassen sich vorreformatorische Thema der mittelalterlichen thüringischen Kunst Frömmigkeitsbestrebungen durch die Weimarer allgemein wieder einen ausdrücklichen Stellenwert Werke besonders gut hervorheben. Der Marienkult innerhalb der deutschen Kunst- und Kulturgeschich- ist hier allein durch mehrere Marienretabel aber te bekommen. Die Möglichkeit erweist sich gerade auch durch spezielle Bildthemen wie der in der jetzt dafür als überaus günstig, weil sowohl die Sammlung gleich drei Mal repräsentierten Einhorn- aktuelle Kunstgeschichtsschreibung zur hessischen, Verkündigung im Hortus conclusus vertreten. Die fränkischen sowie nieder- und obersächsischen Vielzahl der dargestellten Heiligen verdeutlicht Kunst immer wieder auch auf deutliche stilistische besonders gut den Kult der vierzehn Nothelfer, der und kulturgeschichtliche Verbindungen nach Thü- zwölf Apostel und der übrigen Märtyrer. Der Chris- ringen verweist. Entsprechende wissenschaftliche tuskult wiederum ist durch zahlreiche Passionsdar- Projekte und Konferenzen sind in Vorbereitung. stellungen vertreten. So offenbart der Weimarer Bestand mittelalterlicher Bildwerke auch vom ikono- Thomas T. Müller und Friedrich Staemmler grafischen Aspekt her ein Potenzial, das sich in sei- ner neuen musealen Präsentation in der Mühlhäuser Marienkirche vollends entfalten kann. Von Einhörnern und Drachentötern. Mittelalterliche Kunst aus Thüringen Die Ausstellung bildet zudem die ideale Basis Museum St. Marien | Müntzergedenkstätte für die weiterführende kunstwissenschaftliche For- Bei der Marienkirche | 99974 Mühlhausen schung zu diesem Thema und für daran anknüpfen- de Kolloquien und Konferenzen; auch mit deutlich Telefon: +49 3601 870023 E-Mail: [email protected] überregionaler Ausrichtung. Auf diese Weise kann Internet: https://www.mhl-museen.de/st-marien.html die Weimarer Sammlung auch im Bewusstsein der Fachwelt deutlicher verankert werden und das Öffnungszeiten: Di-So 10:00-17:00 Uhr

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Das Netzwerkprojekt „Thüringer Glasmuseen“

Die Idee matik verschrieben haben. Durch zwei Bereisungen im Winter 2017 und Herbst 2018 durch die Muse- as Glashandwerk hat in Thüringen eine lange umsberatung des Museumsverbandes Thüringen e. DTradition und stellte über viele Jahrhunderte ei- V. zusammen mit Frau Veronika Jung, Arbeitskreis- nen wesentlichen Wirtschaftszweig dar. Vor allem im leiterin der Technikmuseen, und Frau Kathrin Kunze, Bereich Spezial- und technische Gläser war Thürin- Leiterin des GoetheStadtMuseums Ilmenau, wurde gen immer schon ein Zentrum für Innovationen und sehr deutlich, dass eine stärkere Vernetzung der besondere Expertise. Daher gibt es zahlreiche Muse- Glasmuseen großes Potenzial in sich birgt. Auch die en im Freistaat Thüringen, die dieses Spezialthema in Bezug auf das Themenjahr 2018 „Industrialisie- aufgegriffen haben. Neben der Darstellung in Teil- rung und soziale Bewegungen in Thüringen“ gesetz- bereichen gibt es ganze Häuser, dies sich der The- ten Impulse könnten aufgegriffen werden, um die

Ein Blick in die Barometersammlung des Thermometermuseums Geraberg. (Foto: Sandra Müller, MVT)

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Thüringer Industriekultur über die Landesgrenzen hi- sein, heißt in der virtuellen und der realen Welt sicht- naus sichtbar zu machen und Interessierte zu einem bar zu sein. Durch eine verbesserte Sichtbarkeit und Besuch ins Museum anzuregen. Auffindbarkeit der Museen im Internet wird zudem Die Idee einer Kooperation der „Thüringer Glas- das Interesse für das Thema Glas geweckt und das museen“ war geboren. Die Museumsleiter standen regionale Bewusstsein gefördert. Ferner werden die der Idee äußert positiv gegenüber und möchten Museen und die Regionen dadurch attraktiver und durch das Netzwerk gemeinsame Ideen entwickeln auch überregional besser wahrgenommen. Eine ers- und neue Wege beschreiten. te Konzeptionsskizze für den Internetauftritt entwi- ckelte Herr Dr. Andreas Christoph, Leiter des Berei-

Teilnehmende Museen

Für das Kooperationsnetzwerk konnten bereits fol- gende Museen gewonnen werden:

• Historisches Glasapparatemuseum Cursdorf • Thüringer Museumspark Gehlberg • Deutsches Thermometermuseum Geraberg • GoetheStadtMuseum Ilmenau • Deutsches Optisches Museum Jena • SCHOTT Villa Jena • Museum für Glaskunst Lauscha • Museum Geißlerhaus Neuhaus am Rennweg • Heimat- und Glasmuseum Stützerbach

Umsetzung

In einem ersten gemeinsamen Treffen der Museen im Januar 2019 wurde die Idee eines Netzwerkes durch den Museumsverband Thüringen e. V. vorge- stellt. Alle Beteiligten sprachen sich positiv zur ge- meinsamen Kooperation aus. Ein erstes großes Ziel soll es sein, die Museen nach Außen besser sichtbar Graphitform, Rohling und Endprodukt einer Soffite (Lampe für zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, schlug der Fahrzeuge), Firma von Gustav Eiternick, Ilmenau, Erfinder der Museumsverband Thüringen e. V. einen gemein- Graphitform, 1930er-Jahre. (Foto: Lutz Ebhardt, Gotha; © Goe- samen Internetauftritt vor, denn online präsent zu theStadtMuseum Ilmenau)

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ches Inventarisierung und Digitalisierung am Deut- Projekte. Gemeinsam formulierte Forschungsaufga- schen Optischen Museum und regte zudem dessen ben könnten durch wissenschaftliche Einrichtungen Einbindung in das neu entstandene Kulthura-Portal umgesetzt werden. Für die beteiligten Museen wird an (Digitales Kultur- und Wissensportal Thüringens, das Netzwerk zudem eine Plattform für den inhaltli- kuwi-thueringen.de). chen Austausch bieten. Das Projekt wird seitens des Museumsverban- des Thüringen e. V. nicht nur organisatorisch und beratend betreut, vielmehr wird auch die Abwick- Finanzierung lung durchgeführt und für die Finanzierung Sorge getragen. Frau Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland, Nach den „Handlungsempfehlungen zur Muse- Museumsberaterin für den Bereich Netzwerkarbeit, umsentwicklung. Ergebnisse der öffentlichen Dis- ist hierfür Ansprechpartner und wird nach der Um- kussion zur Museumsperspektive 2025“, die am setzung des ersten Schritts die Koordination weite- 28.02.2019 veröffentlicht wurden, gewährt die rer gemeinsamer Vorhaben übernehmen. Thüringer Staatskanzlei eine Anreiz- (Anschub-) Förderung für befristete Projekte zur Vernetzung von Museen. Dabei werden Projekte, die u. a. eine Aussicht gegenseitige Unterstützung bei der Vermittlungs- arbeit und die wissenschaftliche Zusammenarbeit Mit dem gemeinsamen Internetauftritt wird der zum Gegenstand haben, gefördert. Auch eine ge- Grundstein für das Netzwerk „Thüringer Glasmuse- meinsame, abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit und en“ gelegt. Im weiteren Prozess wird es um die Ent- gemeinschaftliche Auftritte, z. B. in Form von ge- wicklung gemeinsamer Projekte und dem Ausbau meinsamen Themenausstellungen, spielen bei der der Kooperation gehen. Dabei könnte ein möglicher Förderung eine Rolle. nächster Ausbauschritt die Entwicklung einer ge- Das geplante Netzwerk „Thüringer Glasmuseen“ meinsamen Sonderausstellung, die auch in Form erfüllt diese Maßgaben für eine Förderung durch die einer Wanderausstellung vermittelt werden könn- Thüringer Staatskanzlei, verspricht eine Bekanntheit te, sein. Zudem wäre über ein themenspezifisches Thüringens als Herkunftsland von technischem und Vermittlungsprogramm nachzudenken, das auf alle Spezialglas über die Fachwelt hinaus und ist Grund- Häuser übertragbar bzw. anpassbar wäre. Auch die lage für eine Einbindung in Kooperationsstrukturen Entwicklung neuer Vermittlungsformate, wie z. B. ei- der nationalen und internationalen Glasmuseen. nen thematischen Kinderführer wäre denkbar. Wich- tig erscheint zudem die Stärkung wissenschaftlicher Sandra Müller

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Der Volontär im Museum Ein Blick hinter die verstaubte Fassade des Elfenbeinturms

eit Anfang Februar 2018 bin ich nun bis Ende aufzuklären und gerade an die Desinteressierten SJanuar 2020 der wissenschaftliche Volontär im heranzutreten, um diese von ihrem Standpunkt Schlossmuseum Sondershausen. Damit ist freilich abzuholen? Demzufolge richtet sich der vorlie- für Fachkollegen alles klar, weshalb der hiesige gende Artikel eben doch auch an die musealen Artikel an dieser Stelle bereits enden könnte, wür- Fachkräfte – und zwar in dem Sinne, als dass sie de er sich lediglich an ein Fachpublikum richten. sich im Wert ihrer Arbeit und Ansprüche bestätigt Die primäre Richtung des vorliegenden Artikels fühlen und motiviert werden, einer bisher nur zielt allerdings auf ein Laienpublikum, dem ein mangelhaften, aber überlebensnotwendigen Auf- von fachlicher Seite ausgehender Einblick in das klärung über das Museum und dessen Leistungen berufliche Tätigkeitsfeld des wissenschaftlichen nachzukommen. Doch nun zum wissenschaftli- Volontärs am Museum gegeben werden möchte. chen Volontariat am Museum. Denn aufgrund bestimmter gesammelter Erfah- rungen beschleicht mich oftmals das unbehagli- che Gefühl eines Verständnisproblems zwischen Menschen außerhalb einer musealen Einrichtung und Menschen innerhalb einer solchen. Dieses Verständnisproblem beginnt meistens mit der von außerhalb gestellten Frage „Was macht ihr im Museum eigentlich den ganzen Tag?“ und en- det mit Engpässen, Überlastungen und schließlich Qualitätsverlusten innerhalb musealer Einrichtun- gen. Natürlich wäre es nur allzu leicht, die Grün- de dafür in einem von vorherein bestehendem Desinteresse gegenüber dem Museum zu suchen, wenngleich sie wahrscheinlich in einigen Fällen dort zu finden sein werden. Vielmehr gilt es für die Museen jedoch, sich selbst in ihrer Rolle als Bildungs- und Aufklärungsinstitution zu hinterfra- gen, um außerhalb vorkommenden Klischees des „verstaubten Museums“ oder des „Elfenbein- turms“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Soll- te es denn nicht gerade für Bildungs- und Aufklä- Das Residenzschloss Sondershausen von Südosten. (Foto: Schloss- rungsinstitutionen gelten, auch über sich selbst museum Sondershausen)

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Das wissenschaftliche Volontariat und Mitmenschen darüber ins Gespräch, in eine kon- struktive Diskussion zu kommen, um weiterhin den Laut des vom Deutschen Museumsbund herausgege- Versuch anzutreiben, Missverständnisse zwischen benen Leitfadens für das wissenschaftliche Volonta- Museen und Gesellschaft aufzuklären. riat am Museum ist ein solches „[…] eine geeignete Meine Stelle als Volontär trat ich am Schloss- Form der übergreifenden qualifizierenden Weiterbil- museum Sondershausen an. Ein entscheidender dung für Hochschulabsolvent/en/innen für die Arbeit Grund dafür war die Tatsache, dass es viele ver- in Museen […] Das wissenschaftliche Volontariat schiedene Themenbereiche unter einem Dach ver- am Museum ist kein Ausbildungsverhältnis im Sinne eint. Neben der als Schwerpunkt zu bezeichnenden des Berufsbildungsgesetzes, sondern, es vermittelt Präsentation des Schlosses und des gräflich-fürst- – ähnlich einem Trainee-Programm – grundlegende lichen Hauses Schwarzburg-Sondershausen unter Kenntnisse in Tätigkeitsfeldern, die für den Betrieb kunst- und kulturhistorischen Gesichtspunkten, eines Museums relevant sind. Hierbei werden zu- fungiert die Einrichtung auch als Stadt- und Regio- nächst die traditionellen Kernaufgaben des Muse- nalmuseum, das Einblicke in die Landes- und Stadt- ums – das Sammeln, Bewahren, Dokumentieren und geschichte gibt, dabei bis in prähistorische Zeiten Forschen sowie das Ausstellen und Vermitteln –, aber zurückschaut und selbst einer naturkundlichen Be- auch die Bereiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, trachtung der Region viel Raum lässt. Museumsmanagement sowie der kaufmännische Bereich mit Personal-, Finanz- und Rechnungswesen berücksichtigt. Die an der Hochschule erworbenen Bildung Kenntnisse werden im Rahmen des wissenschaftli- chen Volontariats gezielt in die Praxis umgesetzt und All diese Themenbereiche sind geprägt durch die strukturiert ergänzt.“ Reflexion von Vergangenheit und Vergangenem. Über diese kompakte Definition wird der museal Eine solche Reflexion fördert das Nachdenken über ungebildete Leser nun das erste Mal in knapper Form Entstehung, Entwicklung und Wandel, über das über die Tätigkeiten in einem Museum informiert. Al- Werden und Vergehen, wodurch sich im Idealfall ein lerdings halte ich es für notwendig, ausführlicher auf Bewusstsein über die Hintergründe der Gegenwart die musealen Kernaufgaben einzugehen, weil nur so herausbildet bzw. sich Antworten auf das „Was“, die mit Sicherheit beim Leser heiß entbrannte Neu- „Wie“ und „Warum“ hinsichtlich der Gegenwart gier besänftigt und Missverständnissen bzw. übereil- finden lassen. Kurzum: „Heute“ lässt sich nur durch ten Missdeutungen musealer Aufgaben vorgebeugt „Gestern“ erklären. Und wiederum setzt eine ver- werden kann. Dabei sei darauf hingewiesen, dass nünftige und verantwortungsvolle Gestaltung des folgende Ausführungen zu den Museumsarbeiten „Morgen“ ein genaues Verständnis des „Heute“ auf meinen persönlichen Erfahrungen und Eindrü- voraus. Hierin liegt eine elementare Funktion von cken, Erkenntnissen und Einschätzungen fußen. Museen. Sie erfüllen einen Bildungsauftrag für die Folgerichtig sei der Leser dazu aufgerufen, diese zu Gesellschaft. Im Falle von kunst- und kulturge- hinterfragen und mit anderen Museumsarbeitern schichtlichen Museen füllt er sich inhaltlich mit dem

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Versuch einer Aufklärung über die Lebenswelt(en) eines korrekten Umgangs mit den Exponaten sowie des Menschen. Dadurch schaffen Museen Orien- ihre angemessene Einschätzung und Einordnung tierung, wirken identitätsstiftend und zugleich in die Sammlung bedingt also eine intensive, nach toleranzfördernd, weil sie die Veränderlichkeit als wissenschaftlichen Kriterien ablaufende Beschäfti- wesentliches Merkmal menschlichen Lebens und gung mit den Objekten. Wirkens – d. h. Kultur – verdeutlichen, die verschie- denen Wurzeln bestimmter kultureller Ausprägun- gen aufzeigen sowie damit einhergehend auf die Bewahrung Zusammenhänge und Verknüpfungen menschlicher Lebenswelten bzw. kultureller Phänomene aufmerk- Der fachgerechte Umgang mit musealen Samm- sam machen. Die museale Vermittlung vollzieht sich lungsbeständen dient dabei dem Ziel, die gesam- dabei auf mehreren Wegen. Am prägnantesten sind melten Zeugnisse der Vergangenheit und das damit Dauer- oder Sonderausstellungen sowie die Muse- verknüpfte Wissen für die Nachwelt zu erhalten, was umspädagogik. Maßnahmen der Konservierung und Restaurierung erforderlich macht und einen weiteren entscheiden- den Auftrag von Museen darstellt. Gerade auch in Forschung ihrem Sammlungs- und Bewahrungsanspruch besit-

Allerdings geht es im Museum nicht nur darum, Kenntnisse und teilweise auch Fertigkeiten – z. B. über museumspädagogische Angebote – zu ver- mitteln, genauso hat es die Aufgabe, Wissen zu ermitteln, wofür eine Kooperation und Vernetzung mit Universitäten, Akademien u. ä. erstrebenswert ist, die im Sinne einer ertragreichen wissenschaft- lichen Forschung einem Kampf um die Deutungs- hoheit entgegen wirken. Der für Museen geltende Forschungsauftrag erhält seine Rechtfertigung vor allem aus der musealen Aufgabe, materielle Zeug- nisse der Vergangenheit zusammen zu tragen. Insofern liefert sich das Museum seine „Forschungs­ gegenstände“ selbst. Dieses Zusammentragen kann allerdings nur auf systematische Weise, d. h. nach jeweilig sinnvollen Kriterien erfolgen, um eine effek- tive Arbeit mit und zu den materiellen Zeugnissen zu erreichen, was wiederum eine Erforschung der Der Autor beim Sichern fragiler Textilfragmente. (Foto: Schloss- Sammlungsobjekte voraussetzt. Die Notwendigkeit museum Sondershausen)

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zen sie einen entscheidenden Nutzen für die Gesell- bzw. Nichterfüllung – wie oben bereits angespro- schaft. Mit dem Erhalt von materiellem Kultur- und chen – starken Einfluss auf die Entwicklung einer Naturgut nebst dem – man könnte sagen – „darin Gesellschaft nimmt, auf ihr Selbstverständnis, ihre gespeicherten Wissen“ wird die, gewissermaßen Traditionen, ihre Normen und Werte und schließlich als anthropologische Konstante zu bezeichnende ihren Zusammenhalt oder Auseinanderfall mit be- Überlieferungsfunktion erfüllt. Ähnlich wie über stimmt. die Sprache oder die Schrift Wissen und Erfahrun- gen von Generation zu Generation weitergegeben werden, sammelt und bewahrt auch das Museum Voraussetzung Wissen und Erfahrungen aus und über verschiedene Zeiträume für die Mit- und Nachwelt. Gewiss ist beim Leser vor diesem „Auftrags-Hin- Diese Aufträge, welche zum großen Teil – die tergrund“ ein ungefähres Bild davon entstanden, beiden letztgenannten größtenteils – von den Muse- welche Fülle und Vielfalt von Arbeiten in einem en übernommen werden, sind in letzter Konsequenz Museum auf dessen Mitarbeiter zukommen. Das von enormer sozialer Bedeutung, da ihre Erfüllung bedeutet zwangsläufig auch, dass hohe Anforde-

Ein Blick in das Schaudepot des Schlossmuseums Sondershausen. (Foto: Schlossmuseum Sondershausen)

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rungen im Hinblick auf ihre fachliche Kompetenz an die entsprechenden Mitarbeiter heran treten. Die im Wesentlichen vier vorgestellten Funktionen eines Museumsbetriebs überschneiden sich zwar einer- seits und gehen miteinander her, andererseits wur- zeln sie aber in verschiedensten wissenschaftlichen Fachdisziplinen: Für eine fruchtbare Vermittlung braucht es grundlegende pädagogische Kenntnisse sowie das entsprechende praktisch-pädagogische Geschick. Ebenso sind für die Sammlungspflege Mit- arbeiter von Nöten, die ein fundiertes Wissen sowie die notwendige Sensibilität auf den Feldern der Kon- servierung und z. T. auch Restaurierung aufweisen und genauso in Bezug auf die aktuell immer mehr hervortretende Problematik von mit Schadstoffen belasteten Museumsexponaten einen fachgerech- ten Umgang pflegen. Diese Arbeit wird umso kom- Auslagerung der Sammlungen des zeitweilig gesperrten alten plizierter je größer und vielfältiger die Sammlungen Nordflügels im Sommer 2018. (Schlossmuseum Sondershausen) einer musealen Einrichtung sind. Im Fall von Sonderhausen beherbergt das Schloss- museum nahezu alle Sparten von überlieferungswür- fahren haben. In jedem Fall aber bedarf es eines digen Objekten, was eine fachgerechte Behandlung Personals, das sich ein grundlegendes Verständnis von verschiedensten Materialarten und Kenntnisse von Kultur und Geschichte und damit einhergehend über die entsprechenden (Themen-)Kontexte, aus de- ein entsprechendes (Verantwortungs-)Bewusstsein nen die Objekte stammen, beansprucht. angeeignet hat, was ihm ermöglicht, Expertisen Insofern müsste nicht noch einmal betont wer- zu entsprechenden Exponaten geben und eine in- den, dass hoch qualifiziertes, d. h. mit einer entspre- haltlich exakte Ausstellungs- und Vermittlungs- chenden akademischen Bildung versehenes Personal arbeit betreiben zu können. Um ein Objekt genau für die jeweiligen Fach- und Themenbereiche eines zu bestimmen, gilt es vor allem auch, dieses seiner Museums unentbehrlich ist. Nur so wird es möglich, jeweiligen Epoche zuzuordnen und dessen Zusam- eine den wissenschaftlichen Standards genügende menhänge mit den Denk- und Handlungsweisen Arbeit zu leisten, der es gelingt, ihrem wichtigen der entsprechenden Zeit nachzuzeichnen. Denn die gesellschaftlichen Nutzen Rechnung zu tragen. Bei- bloße Anschauung eines Ausstellungsobjekts und spielsweise müssen in einem kunst- und kulturhisto- dessen Beurteilung nach rein ästhetischen Aspekten risch orientierten Haus Fachkräfte zu finden sein, die bringt dieses noch lange nicht zum Sprechen und eine möglichst spezifische wissenschaftliche Bildung untergräbt dessen kulturelle Bedeutung sowie seine (Geschichte, Kunstgeschichte, Volkskunde o. ä.) er- Bildungsfunktion.

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Weiterentwicklung blierte Institution begriffen und behandelt werden kann, so ist es dennoch – oder gerade deshalb – So wertvoll wie das Museum – noch immer! – für vollkommen klar, dass es sich der Gesellschaft an- die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht ist, weshalb passen und einhergehend mit der jeweiligen Kultur es im Gegenzug von der Gesellschaft nur als eta- weiterentwickeln muss. An dieser Stelle darf das Stichwort „Digitalisie- rung“ fallen, um eine der in dieser Hinsicht wohl bri- santesten Problematiken anzusprechen. Im Bezug darauf gibt es in den kleinen und mittleren Museen sicher einigen und dringenden Nachholbedarf, was die Rekrutierung von „informatikaffinem“ Nach- wuchs fördern sollte. Apropos Nachwuchs! – ich denke, nun sollte der aufmerksame Leser genügend Hintergrundinforma- tionen besitzen, um den Sinn eines Volontariats im Museum mühelos erfassen und damit auch das Mu- seum, dessen Aufgaben und Funktionen richtig ein- schätzen zu können. Folgerichtig möge er doch beim nächsten Mal einen Museumsmitarbeiter fragen, was er denn im Museum den ganzen Tag mache, außer zu sammeln, zu bewahren, zu forschen und zu vermitteln. Dabei wird er vermutlich eine Antwort bekommen, die auf eine Diskrepanz zwischen den eigentlichen Kernarbeiten des Museums und den Der Autor bei der Inventur (Bestandsaufnahme) der Ur- und tatsächlich zu erledigenden Arbeiten hinweist. Frühgeschichtssammlung des Schlossmuseums. (Foto: Schloss- museum Sondershausen) Tobias Strehle

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Notfallvorsorge in Thüringer Kultureinrichtungen

m 24. Januar 2019 fand im Landestheater Eise- dieses Thema komplex angeht. Ziel soll sein, die zur Anach die Thüringer Kulturkonferenz zum Thema Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten für Notfallvorsorge in Kultureinrichtungen statt. Die alle Kultureinrichtungen zu verbessern, unabhängig Teilnehmer aus allen Bereichen der Kulturland- davon, ob es sich um ein Museum, ein Archiv oder schaft, kommunaler und Landesverwaltung hatten eine Bibliothek handelt. Der Kulturrat Thüringen e. V. die Gelegenheiten, sich zur Initiative des Freistaa- nahm sich dieser Aufgabe an und konnte mit der tes für eine verbesserte Notfallvorsorge zu infor- Thüringer Staatskanzlei, dem Thüringer Ministerium mieren. Es war die Auftaktveranstaltung für eine für Inneres und Kommunales, dem Museumsverband Reihe von Fortbildungsangeboten zu diesem The- Thüringen e. V., dem Landesarchiv Thüringen und ma. Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Minister für weiteren Partnern dieses Vorhaben auf den Weg brin- Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten und gen. Thüringen will das Rad nicht neu erfinden. Best Chef der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen, Practice und langjährige Erfahrungen bilden hier die schilderte in seinem Grußwort anschaulich die Not- Grundlage und werden zusammengeführt. wendigkeit der Vorsorge. Das Hochwasser 2002 im Freistaat Sachsen Die Beschäftigung mit der Vorbereitung auf einen führte erstmals zur Gründung von Notfallverbünden Schadensfall in Kultureinrichtungen ist nicht neu. Sie in Dresden und Weimar als spartenübergreifende wird in der Bundesrepublik Deutschland und welt- Solidargemeinschaften der lokalen Kultureinrich- weit auf verschiedensten Ebenen vorangetrieben. tungen. Dr. Michael Vogel, Landesbeauftragter für Thüringen ist jedoch das erste Bundesland, welches Bestandserhaltung der Sächsischen Landesbiblio- thek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, legte dazu in seinem Vortrag die Entwicklung in Dresden dar. Die Idee von Notfallverbünden wurde kontinuierlich vorangetrieben und hat sich bewährt. Ralf Seeber, Fachberater Notfallverbünde im Kul- turrat Thüringen e. V., stellte das Konzept für Thürin- gen vor. Es besteht aus drei Elementen: 1. Der Freistaat Thüringen beschafft eine materielle Basis für die Notfallvorsorge und für die Scha- densbewältigung in Kultureinrichtungen. 2. Es werden Fortbildungen zur Notfallvorsorge für alle Kultureinrichtungen angeboten mit dem Ziel, flächendeckend lokale Notfallverbünde zu gründen. Vier Ausrüstungssätze vor der Auslieferung. (Foto: Kulturrat 3. Eine Feuerwehr wird als Ansprechpartner zum Thüringen e. V.) Kulturgutschutz für andere Feuerwehren benannt.

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Materielle Basis Er wird im Juni 2019 bei der Feuerwehr Weimar in Dienst gestellt und im Schadensfall in ganz Thürin- Im Dezember 2018 wurden in Altenburg, Nordhau- gen eingesetzt. Das Fahrzeug führt zudem bei Be- sen, Meiningen, Eisenach und Weimar Ausrüstungs- darf einen Ausrüstungssatz Kulturgutschutz mit. sätze Kulturgutschutz an die dortigen Feuerwehren übergeben. Diese Ausrüstungssätze bestehen aus je zehn Rollwagen und beinhalten unter anderem Fortbildung für Kultureinrichtungen Materialien zur Dokumentation, zum Arbeitsschutz, Räumwerkzeuge, Verpackungsmaterialien, Elektro- Grundsätzlich jeder kulturellen Einrichtung in Thürin- und Beleuchtungskomponenten, inklusive Stromer- gen wird ab 2019 eine Fortbildung zum Thema Not- zeuger sowie Nasssauger und Arbeitstische. Sie sind fallvorsorge angeboten. Sie beinhaltet theoretische für den Einsatz im gesamten Freistaat vorgesehen. und praktische Fortbildungsinhalte zur Schadens- Die Feuerwehren der Stationierungsorte übernehmen vorsorge und Schadensbewältigung. Hier werden die Pflege und den Transport der Ausrüstungssätze unter anderem alle wichtigen Informationen zu den zum jeweiligen Ereignisort. Am Einsatzort arbeitet Ausrüstungsätzen und zum Gerätewagen Kultur- die betroffene Einrichtung mit diesem Material. gutschutz sowie zur Gründung von lokalen Notfall- Um einen sicheren und fachgerechten Transport verbünden vermittelt. Die Fortbildungen sollen als von betroffenem Kulturgut in Thüringen sicherstel- regionale Gruppenveranstaltungen für mehrere Kul- len zu können, wurde ein klimatisierter Gerätewa- tureinrichtungen gleichzeitig stattfinden und vorläu- gen Kulturgutschutz hinsichtlich der Belange des fig bis 2025 mit mehreren Vertiefungen angeboten betroffenen und geschädigten Kulturgutes geplant. werden. Die Planung und Durchführung übernimmt der Kulturrat Thüringen e. V. Eine von einem Fach- anwalt geprüft Mustervereinbarung zur Bildung von Notfallverbünden wurde hierfür durch den Freistaat Thüringen zur Verfügung gestellt.

Kompetenzzentrum Feuerwehr

Die Feuerwehr Weimar wird in Thüringen als Kompe- tenzzentrum für den Kulturgutschutz bestimmt. Da sie seit mehr als zehn Jahren in einem Notfallverbund beratend mitarbeitet und über große Erfahrungen bei Schadensereignissen mit Kulturgütern verfügt, wird sie Die erste offizielle Übergabe des Ausrüstungssatzes Kulturgutschutz Ansprechpartner für alle Thüringer Feuerwehren sein. erfolgte am 18. Dezember 2018 in Altenburg durch Herrn Minister Prof. Dr. Hoff. (Foto: Hans Martin Wünsche, Feuerwehr Weimar) Jörg Dietrich

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Im Fokus: Museen im Ländlichen Raum

ie zahlreichen Museen im ländlichen Raum Kultur im ländlichen Raum – Dpräsentieren wichtige Kulturgüter, sind Orte Museen stärken Bildung und Vermittlung des Austausches, sie bewahren das kulturelle im gesellschaftlichen Leben vor Ort Gedächtnis ihrer Region und sind somit Identi- tätsanker. Online-Fortbildung für Ihre Arbeit ist aber häufig von strukturellen Museumsmitarbei­ter/innen Herausforderungen geprägt. Eine finanzielle Unter- im ländlichen Raum ausstattung geht oft einher mit einer dünnen Per- 21.10.2019 bis 09.12.2019 sonaldecke – wenige Menschen leisten die museale Arbeit und müssen dabei gleichzeitig viele unter- Die Online-Fortbildung bietet den Rahmen sowohl schiedliche Aufgaben meistern. Hinzu kommt, dass selbständig als auch gemeinsam mit Kolleg/innen der ländliche Raum von tiefgreifenden Transforma- bisherige Ziele und Formate der eigenen Muse- tionsprozessen betroffen ist, die unsere Gesellschaft umsarbeit kritisch zu reflektieren. In den Seminar­ rasant verändern. Vor dem Hintergrund des demo- einheiten werden Schwächen analysiert, Stärken grafischen Wandels, der Vereinsamung der älteren herausgearbeitet und vorhandene wie potenzielle Bevölkerung und vor allem aber auch vor dem Hin- Kooperationspartner analysiert. tergrund von Radikalisierungserscheinungen, muss Leitgedanke ist dabei das Verständnis von Ver- kulturelle Bildung neu be- und hinterfragt werden. mittlung als Kernaufgabe aller Bereiche des Muse- Denn als Schlüsselfaktor für kulturelle Teilhabe am ums. Die Analyse der Verbindungen zwischen den gesellschaftlichen Leben kommt ihr eine zentrale ausgestellten Objekten bzw. Themen und ihrer je- Aufgabe zu. weiligen Aktualität für die Besucher/innen liefert die Aufgrund dieser vielschichtigen Aufgaben bei Impulse zur Entwicklung neuer Handlungsspielräu- steigenden Herausforderungen legt der Länder- me und zum Ausbau von Konzeptideen. verband Museumspädagogik Ost e. V. (LVMPO) Voraussetzung für die Teilnahme ist die Mitar- in diesem Jahr einen Schwerpunkt seiner inhaltli- beit in einem kleinen bis mittelgroßen Museum. chen Arbeit auf Museen im ländlichen Raum. Seit Die neunwöchige Online-Fortbildung startet seiner Gründung 1991 versteht sich der gemein- und endet mit einer Präsenzveranstaltung. Sie wird nützige Verein als Forum für Professionalisierung ab Oktober erstmals deutschlandweit angeboten. und berufliche Qualifizierung. Er bietet Beratung Mitglieder des LVMPO e. V. haben die Möglichkeit und Weiterbildung und fördert den kollegialen einmalig kostenfrei an der Online-Fortbildung Austausch. teilzunehmen.

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Programm und Themen lungs- und Sammlungswissen (FRAMAS) der Albert- Ludwigs-Universität Freiburg in Kooperation mit den • 21.10.2019 Auftaktveranstaltung Städtischen Museen der Stadt Freiburg. Museen im ländlichen Raum – eine Positionsbe- Bei Fragen zu Inhalt und zu Anmeldeformalitä- stimmung | Einführung in das Onlinesystem ten können sich Interessierte an den Vorstand des Ort: Leipzig LVMPO e. V. wenden: Rebekka Schubert, E-Mail • 44. KW Online-Seminar: Meine Aufgabe(n) im [email protected] Kosmos meines Hauses/Museums Im Länderverband ist sie als Beirätin tätig. • 45. KW Online-Seminar: Vermittlung als Quer- Hauptberuflich arbeitet sie als Pädagogin in Erfurt schnittsaufgabe im Museum am Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer • 46. KW Online-Seminar: Formen und Varianten von Auschwitz. Ein Geschichtsmuseum der Landes- personaler Vermittlung hauptstadt Erfurt • 47. KW Online-Seminar: Analyse der Vermittlungs- Gundula Avenarius avenarius@kulturimdialog. angebote im eigenen Haus de ist als Beraterin und Trainerin im Bereich Bildung • 48. KW Online-Seminar: Durch Kooperation die ei- und Vermittlung für Museen und Kulturinstitutionen gene Wirksamkeit erhöhen – Analyse der eigenen tätig. Sie ist ebenfalls Beirätin im Länderverband. Kooperationsbeziehungen • 49. KW Online-Seminar: Von der Idee zum Kon- zept. Erarbeitung eines Vermittlungsangebotes für Gundula Avenarius und Rebekka Schubert das eigene Haus • 02.12. Abschlussveranstaltung Ort: N.N. Weitere Informationen: • 09.12. Abgabe des erarbeiteten Konzeptes • https://www.museumspaedagogik.org/regionalverbaende/ost/ • https://www.museon.uni-freiburg.de/akademie

Dieses Weiterbildungsangebot hat der Vorstand Kulturvermittlung im ländlichen Raum. Jahrestagung des Länderverband Museumspädagogik Ost e. V. in des Länderverbandes Museumspädagogik Ost e. V. Auftrag von museOn entwickelt. museOn | weiter- 01. & 02.12.2019 bildung & netzwerk ist ein wissenschaftliches Wei- Die diesjährige Jahrestagung des Verbandes findet in Kooperation terbildungsangebot im onlinebasierten Lernformat mit der Abschlussveranstaltung der Online-Fortbildung statt. Der der Freiburger Akademie für Museums-, Ausstel- Ort wird noch bekannt gegeben.

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Weichen für die Zukunft gestellt Jahrespressekonferenz des Thüringer Museumsverbandes e. V.

ur Jahrespressekonferenz des Thüringer Muse- Zumsverbandes am 28. Februar 2019 im Naturkun- demuseum Erfurt standen die gerade erschienenen Handlungsempfehlungen zur Museumsentwicklung im Mittelpunkt, die in enger Abstimmung zwischen dem MVT und der Thüringer Staatskanzlei entstan- den sind. Dem vorliegenden Strategiepapier ging nach umfangreichen Erhebungen zu baulichen, per- sonellen und finanziellen Bedingungen in 120 Thü- ringer Museen ein langer Diskussionsprozess voraus. Staatskanzlei-Chef und Kulturminister Benjamin- Immanuel Hoff beschrieb das Verfahren als „lebendi- gen Diskussionsprozess“, dem viele Stellungnahmen folgten, die berücksichtigt worden sind. Erstmalig liegt nun ein Dokument vor, das die Richtung der künftigen institutionellen und projektbezogenen Lan- desförderung bis 2025 bestimmt. Zu den wichtigsten Grundsätzen gehört die Er- haltung der breiten und qualitätsvollen Museums- landschaft. Ein wichtiger Baustein neben bewähr- ten Förderinstrumenten ist die gezielte Ausbildung von Nachwuchs. Das 2015 ins Leben gerufene, bundesweit einmalige Volontariatsprogramm er- weist sich dabei als äußerst erfolgreich. Im ersten Durchgang konnten 19 wissenschaftliche Volontä- re in spezifische Sammlungs-, Restaurierungs- und Konservierungsaufgaben landesweit eingearbeitet werden. Acht von ihnen wurden als wissenschaftli- che Mitarbeiter übernommen, darunter im Glocken- StadtMuseum Apolda, auf der Wartburg und in den Meininger Museen. Sabrina Lüderitz, eine von zwei auf der Heidecksburg übernommenen Volontärin- „Volles Haus“ bei der Jahrespressekonferenz des MVT im Na- nen, ist inzwischen stellvertretende Direktorin des turkundemuseum Erfurt. (Foto Marcus Rebhan, MVT)

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Landesmuseums. Derzeit absolvieren 18 Volontäre in der Thüringer Kulturentwicklungskonzeption die zweijährige Qualifikation in Thüringer Museen. vorgeschlagenen Süd- und Nordthüringer Netz- Der Geschäftsführer des MVT, Holger Nowak, sieht werken, die durch gemeinsame Ausstellungen, Ver- im Volontariatsprogramm eine reale Chance, dem marktungsbroschüren und museumspädagogische Fachkräfteproblem in allen Thüringer Museen ent- Angebote erste Kooperationsschritte gegangen gegen zu wirken: „Das Volontariat gilt nunmehr im sind, entwickelt sich gerade ein Netzwerk der Thü- Freistaat nicht mehr als Privileg für größere Muse- ringer Glasmuseen. Unterstützt werden aber auch umseinrichtungen oder als Exot bei der Ausbildung Kooperationen bei thematischen Ausstellungen, wissenschaftlichen Nachwuchses für die Museen. Es der Austausch bei der Vermittlungsarbeit und die ist vielmehr so, dass ein absolviertes Volontariat an Unterstützung von Häusern, die kaum über mu- einem Museum schon jetzt die Voraussetzung für seumspädagogisches Personal verfügen. Mobile eine erfolgreiche Stellenbewerbung im musealen Museumspädagogik wird derzeit mit der LAG Ju- Bereich ist.“ Nach einer Evaluierung am Ende des gendkunstschule erprobt. zweiten Durchgangs soll das Volontariatsprogramm Der MVT hat ein Pilotprojekt auf den Weg ge- fortgesetzt und ausgebaut werden. bracht: die Konservierung der Naturkundesamm- Ein weiteres, von Museen stark nachgefrag- lung der Mühlhäuser Museen. Da seit Jahren das tes Angebot ist das Projekt „Digitalisierung von Personal für die Betreuung fehlt und sich zudem Sammlungsgut“. Das Digitalisierungsteam des MVT der Sammlungsschwerpunkt verlagert hat, werden bietet ein umfassendes Paket an Möglichkeiten zur die Präparate umfangreichen konservatorischen Herstellung von Digitalisaten, die auf den Servern Maßnahmen unterzogen, um den überregional be- des MVT und der Thüringer Universitäts- und Lan- deutenden Bestand zu retten. Danach soll das Kon- desbibliothek Thüringen langzeitarchiviert werden. volut in ein geeignetes Museum überführt werden. Derzeit sind dort 48.000 Objekte aus 201 Thüringer Download der Broschüre „Handlungsempfeh- Museen verfügbar. Im ersten Quartal 2019 reali- lungen zur Museumsentwicklung“ unter: sierte das Digitalisierungsteam folgende Projekte: www.staatskanzlei-thueringen.de/arbeitsfelder/ die Designsammlung der Högermann-Stiftung, kultur/kulturpolitik der Stiftung Leuchtenburg, Burgauer Porzellan im Stadtmuseum Jena, Grafiken und Gemälde des Stadtmuseums Pößneck und diverse kleinere Pro- Umzug und Neustrukturierung jekte. Kontinuierlich betreut werden alle Nutzer des der Geschäftsstelle Dokumentationsprogramms digiCULT.web, das der Museumsverband den Thüringer Museen kostenlos Die Handlungsempfehlungen zur Museumspers- zur Verfügung stellt. Dieses Angebot nutzen derzeit pektive 2015 nehmen auch die Geschäftsstelle des bereits 260 Museumsmitarbeiter in Thüringen. MVT in den Blick. „Die personelle Stärkung der In den kommenden Jahren soll die Zusam- Geschäftsstelle des Museumsverbandes Thüringen menarbeit von Museen durch die Gründung von dient dem gewachsenen Bedarf an Museumsbera- Netzwerken stärker gefördert werden. Neben den tung, an fachlicher Fortbildung und der Koordinati-

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on gemeinsamer Aktivitäten unserer Mitgliedsins- das bisherige Team gestärkt und damit das interne titute untereinander sowie mit anderen Kultur- und und externe Beratungsnetzwerk weiter ausgebaut Bildungseinrichtungen“, schreibt der Präsident des werden. Seit dem Umzug in die Wallstraße 18 in MVT, Günter Schuchardt, im Vorwort. Aus Mangel an Erfurt verfügt der MVT auch über geeignete Räum- Fachkräften sind viele Museen nicht mehr in der Lage, lichkeiten zur Wahrnehmung seines breiten Aufga- bestandserhaltende Maßnahmen aus eigener Kraft benspektrums. Seit dem Frühjahr hat der MVT eine durchzuführen. Deshalb kommen der Analyse wissen- neue Homepage geschaltet, auf der alle Angebote schaftlicher Sammlungen sowie Restaurierungs- und und die Ansprechpartner transparent und übersicht- Konservierungsprojekten immer mehr Bedeutung lich einsehbar sind – mit maximal drei Klicks. zu (Pilotprojekt Naturkundesammlung Mühlhäuser www.museumsverband-thueringen.de. Museen). Es geht künftig aber auch um die stärkere Vernetzung untereinander, um Bestände zu sichern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit der Besucherzahlen in Thüringer Museen 2018 Einstellung zwei weiterer Museumsberaterinnen, der Dipl.-Restauratorin Hildegard Heine und der Kunsthis- 2018 konnten die Thüringer Museen rund 3,6 Milli- torikerin Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland, konnte onen Besuche verbuchen. Besonders gefragt waren

Meistbesuchte Thüringer Museen des MVT 2018. (Abbildung: MVT)

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unter den großen Museen die Wartburg-Stiftung Einem ganz anderen Thema widmen sich die Eisenach mit über 300.000 Besuchen, die Stiftung Aktivitäten zum Umbau von Schloss Heringen in Schloss Friedenstein Gotha mit rund 134.000 Besu- Nordthüringen. Das Renaissancegebäude wurde zu chen und das Thüringer Landesmuseum Rudolstadt einem modernen Museum umgestaltet, das sich mit mit 117.000 Besuchen. Aber auch kleine Häuser wie der Geschichte des ältesten Dorfes in Thüringen be- die Alte Synagoge Erfurt und das Museum Burg Pos- schäftigt. 7.500 Jahre alt ist die Siedlung, die durch terstein waren stark frequentiert. Insgesamt kamen großflächige Ausgrabungen in der Goldenen Aue 2018 dennoch 500.000 Besucher weniger als im nachgewiesen werden konnte. Mehr als 4.500 Ob- Vorjahr. Die Gründe für den Rückgang liegen unter jekte konnten dabei geborgen werden. anderem in der Beendigung der Reformationsde- Nach jahrelangen Umbaumaßnahmen soll das kade, aber auch in der Schließung mehrerer großer Schlossmuseum Eisfeld Ende 2019 wiedereröffnet Häuser der Klassik Stiftung. So mussten in Vorberei- werden. Im Mittelpunkt der dortigen Daueraus- tung des Bauhaus-Jubiläums das Bauhaus-Museum stellung steht die bedeutende Porzellansammlung und das Neue Museum in Weimar geschlossen wer- des Museums. Die Kunstsammlung Gera konnte den. Zudem brachte die zentrale Ausstellung zum nach einer umfangreichen Sanierung infolge von Themenjahr „Industrialisierung und soziale Bewe- Hochwasserschäden wieder in die Orangerie ein- gungen“ in Pößneck nicht die erhofften Besucher- ziehen. Eine Sonderausstellung beschäftigt sich zahlen. Im Jahr 2019 rechnen viele Museen wegen noch bis zum Ende des Jahres mit dem Spätwerk des Bauhausjahres wieder mit steigendem Interesse von Otto Dix. an Wechsel- und Dauerausstellungen. Unter dem Motto „Museen – Zukunft lebendi- ger Traditionen“ feierten die deutschen Museen am 19. Mai den Internationalen Museumstag, an dem Themen, Ausstellungshöhepunkte, sich auch zahlreiche Thüringer Häuser beteiligten. Neueröffnungen Zur zentralen Veranstaltung wurde in das Waffen- museum Suhl geladen. Im Umfeld des Museumsta- Das große übergreifende Thema 2019 ist das ges fand die „Lange Nacht der Museen“ statt. 100-jährige Jubiläum des Bauhauses, an dem sich Staatskanzlei und Museumsverband sind sich mehrere Thüringer Museen mit bedeutenden Son- einig, dass Landesausstellungen und Themenjahre derausstellungen beteiligen. Die Klassik Stiftung geeignet sind, kulturtouristische Akzente herauszu- Weimar eröffnete in diesem Kontext Anfang April heben und viele Menschen für die Schätze der Thürin- das neue Bauhaus-Museum am Stéphane Hessel- ger Museen zu begeistern. Deshalb werden auch für Platz und die Ausstellung im Neuen Museum unter die kommenden Jahre entsprechende überregionale dem Titel „Van de Velde, Nietzsche und die Moderne Schwerpunkte mit langfristiger Planung und Vorbe- um 1900“. Wenig später konnten sich die Besucher reitung gesetzt. Ein besonderer Höhepunkt zeichnet auf die Eröffnung der Bauhaus-Töpferei in Dorn- sich mit dem Bauernkriegsjubiläum 2025 ab. burg freuen, der originalen Werkstätte von Gerhard Marcks, Otto Lindig und Theodor Bogler. Doris Weilandt

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Aufwerten, transformieren und neu definieren – Museen als Akteure im Strukturwandel Informationsreise/Klausurtagung des Vorstands des Museumsverbandes Thüringen e. V.

ie jährliche Klausurtagung des erweiterten Vor- eigenen Tellerrand hinaus andere Akteure im Kultur- Dstands und der Geschäftsstelle des Museums- und Museumsbetrieb kennenzulernen, mit ihnen in verbandes Thüringen e. V. fand in diesem Jahr vom Austausch zu treten und zu erfahren, unter welchen 9. bis 11. April als Informationsreise nach Frankreich Vorzeichen und Maßgaben und mit welchen Strate- in die Region Hauts-de-France statt. gien die museale Praxis betrieben wird, schon gar „Hauts-de-France ist eine Region im Norden nicht auf internationaler Ebene. Der intensivere Blick Frankreichs, an der Grenze zu Belgien und der Name auf andere Häuser und die Gegenüberstellung der der neuen französischen Region, die am 1. Januar eigenen musealen Praxis versprechen besonders 2016 im Rahmen der Gebietsreform in Frankreich dann lohnende Befunde, wenn der Blick auf Mu- durch den Zusammenschluss der bisherigen Regi- seumsarbeit gerichtet werden kann, deren Umfeld onen Nord-Pas-de-Calais und Picardie entstand. und Bedingungen in mancherlei Hinsicht vergleich- Hauptstadt der neuen Region ist die Erfurter Part- bar mit der eigenen Situation sind, die in anderen nerstadt Lille. Bereichen aber auch unter grundsätzlich anderen Zwischen dem Freistaat Thüringen und der fran- Rahmenbedingungen geleistet werden. Die vier im zösischen Region Picardie besteht seit 1994 eine Re- gionalpartnerschaft. Am 23. März 1994 wurde von der Thüringer Landesregierung und dem Regionalrat der Picardie eine Gemeinsame Erklärung zur Zusam- menarbeit beider Regionen unterzeichnet. Diese Partnerschaft war von Beginn an eingebunden in die enge Zusammenarbeit Deutschlands mit Frankreich. Eine Fortführung der Regionalpartnerschaft mit der Region Hauts-de-France ist vorgesehen.“ (https://www.staatskanzlei-thueringen.de/ar- beitsfelder/europa-und-internationales/regional- partnerschaften/, abgerufen 26.04.2019) Die Informationsreise ging zurück auf eine Ini- tiative der Thüringer Staatskanzlei und wurde auch von dieser inhaltlich unterstützt und gefördert, wo- für wir an dieser Stelle ausdrücklich Dank sagen. Besuch des Historial de Grand Guerre in Péronne. (Foto: Stephan Das Alltagsgeschäft lässt meist kaum Zeit, über den Tröbs, MVT)

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einer Führung ein weitläufiges Museum, das sein Konzept und die Präsentation immer wieder an den sich wandelnden Blick auf die verschiedenen Aspek- te dieses ersten weltweiten kriegerischen Konflikts anpassen muss. Auffällig war, dass die Ausstellungs- konzeption völlig ohne Wertung die Thematik des „grand guerre“ an den Besucher heranträgt. Eine Interpretation wird nicht vorgegeben; der Besucher soll das Gezeigte selbst werten und einordnen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zahlrei- che französische Politiker das Museum und dessen Thematik gerne für ihren Wahlkampf nutzen. So meinte auch Frau Caroline Fontaine: „c‘est juste la politique“. Mit dem Louvre-Lens und dem La Piscine, Mu- sée d´art et d´industrie André Diligent in Roubaix Besuch im Louvre-Lens. (Foto: Stephan Tröbs, MVT) lernten wir zwei Museen kennen, die in einem wirt- schaftlich und sozial schwierigen Umfeld, das seit Jahrzehnten von tiefgreifendem Strukturwandel Rahmen der Informationsreise besuchten Museen geprägt ist und dessen Transformation noch immer in der Region Hauts-de-France boten genau dieses nicht abgeschlossen ist, eine zentrale Funktion in Informationsfeld. eben diesem Prozess übernommen haben. In einer Zumindest in den drei zuerst besuchten Museen Region mit hoher Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher begegneten wir der in Deutschland eher selten zu Strukturschwäche und mangelnden Perspektiven findenden Haltung, Museen unter schwierigen Rand- für kommende Generationen erfüllen sie weit mehr bedingungen ganz neu zu gründen und aufzubauen. als Bildungsaufgaben. Von der öffentlichen Hand, in Das gilt auch für das Historial de Grand Guerre in diesem Fall der Regionalregierung, werden sie nicht Péronne, das 1992 – noch ohne eigene Sammlung, nur als Bildungseinrichtungen, sondern als soziale neu gegründet wurde, um die Gedenkkultur und die Begegnungsorte und als Fixpunkte kultureller Teil- verschiedenen musealen Rezeptionen zum Ersten habe im weitesten Sinne auf- und ausgebaut. Weltkrieg und am Kriegsschauplatz an der Somme Zunächst kamen wir am Vormittag am Louvre- zentral und mit Unterstützung eines international Lens an. Der Eindruck drängte sich auf, hier vor einer besetzten Forschungszentrums zu bündeln und dar- französischen JVA zu stehen, abgeschlossen nach zustellen (www.historial.fr). Nach Begrüßung durch außen und menschenleer. Als wir aber durch die die Kuratorin Marie-Pascale Prevost Bault, die For- Eingangspforte kamen, bot sich ein generell anderes schungsdirektorin Caroline Fontaine und Kevin Le- Bild. Ein weites und offenes Raumkonzept lud zum neux vom Gruppen-Besucherdienst erlebten wir in Entdecken ein. Zahlreiche Besucher befanden sich in

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der zentralen Vorhalle, in der wir vom stellvertreten- nachstehenden. Am Ende führte der Weg durch die den Direktor Luc Pirella begrüßt wurden. Bei einer Ausstellung unweigerlich zu Jacques-Louis Davids Begrüßungsrunde erklärte er uns anschließend aus- überlebensgroßen Gemälde der Alpenüberquerung führlich das Konzept des Louvre-Lens. Als Außenstel- Napoleons. (Wie hätte die Ausstellung im Louvre- le des Louvre für 150 Millionen Euro im Jahr 2012 Lens auch anders enden sollen?) erbaut, soll es der strukturschwachen Region helfen, Da zur gleichen Zeit auch die Sonderausstellung durch Tourismus und gezielte Kulturförderung, und „Homer“ gezeigt wurde, nahmen wir die Gelegen- besonders durch die Einbeziehung der umliegenden heit wahr uns auch diese anzuschauen, sahen aus- Schulen und deren Lehrer, wieder attraktiv für Unter- gezeichnete Abgüsse griechischer und römischer nehmer und Touristen zu werden. Auf die Frage, ob Skulptur und erlebten einen hervorragend vielseiti- das Louvre in Paris diese Außenstelle nutze, um Platz gen Umgang mit der Mythos Homer. in den Depots zu schaffen, lachte Herr Pirella und Das anschließende Gespräch beim Mittagstisch beteuerte, dass dem nicht so sei. Bei der folgenden mit Herrn Gautier Verbecke, Leiter der Museum- Führung durch das Museum wurden wir zuerst auf spädagogik, führte im Vergleich zu der Erkenntnis, einer leicht abschüssigen Rampe wie eine „Welle“ wie wenig Kooperationen es in Thüringen zwischen in die Halle der Zeiten gespült und in der Tat eines den Schulen und den regionalen Museen gibt. Ganz Besseren belehrt. In einer großen Halle werden bei anders dagegen in Frankreich. Hier sind Lehrpläne kontrolliertem Tageslichteinfall Skulpturen, Fres- und museumspädagogische Konzepte aufeinander ken, Gemälde und Kunsthandwerk in der Regel frei abgestimmt. 80.000 Schüler von 300.000 Besuchern stehenden präsentiert, die dem im Louvre in Paris im Jahr sind schon eine beeindruckende Zahl. Herr ausgestellten Objekten in der Qualität in nichts Verbecke, wie alle Kolleginnen und Kollegen, die

Hermaphrodit im Louvre-Lens. (Foto: Stephan Tröbs, MVT)

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wir in Frankreich kennenlernen durften, versteht das tution, sondern zu allererst als eine Einrichtung mit Museum nicht nur als rettenden Hafen für bedeu- einer sozialen Aufgabe und einer Verpflichtung. Die- tendes Kunst- und Kulturgut und als Bildungsinsti- se besteht darin, die Gesellschaft durch Ausstellung und Aktivitäten rund um Kunst und Kultur die Macht menschlicher Kreativität vor Augen zu führen, wo- durch sie selber kreativ werden, Mut und Zukunfts- perspektiven entwickeln. Diese Funktion, als Museum einen Schwerpunkt innerhalb einer Strategie zur erfolgreichen Transfor- mation einer Region zu bilden, beeindruckt beson- ders auch beim La Piscine in Roubaix, das während unseres Besuches an einem ganz gewöhnlichen Wochentag vor Besuchern quer durch alle Gesell- schaftsschichten und Generationen nur so summte. Aber auch architektonisch ist das Haus außerge- wöhnlich. Wir waren auf ein umgebautes Schwimm- bad vorbereitet, aber die große tonnengewölbte, durch Glaslunetten sonnenlichtdurchflutete Halle mit dem Wasserbecken, dessen Ränder von Skulptu- ren gesäumt sind, hat uns alle überwältigt. Das Museum wurde 2001 als Neugründung eröffnet, nachdem die städtische Kunstsammlung in den Jahrzehnten zuvor fast vollständig verlo- ren gegangen war. Räumlicher Mittelpunkt ist die große, umgebaute Schwimmhalle des ehemaligen Städtischen Schwimmbades, das 1985 geschlossen worden war (Architekt des Umbaus war Jean Paul Philippon, der auch am Umbau des Musée d´Orsay in Paris beteiligt war). Sammlungen und Präsentation umfassen die lokale und regionale Kunstgeschichte ebenso wie die Zeugnisse der einst weltberühmten und seit den 1970er-Jahren abgewanderten Textilin- dustrie. Im vergangenen Jahr wurde eine umfang- reiche Erweiterung abgeschlossen, nach der den Dauer- und Sonderausstellungen jetzt 8.000 m2 zur Verfügung stehen. Wie auch im Louvre-Lens kommt La Piscine in Roubaix. (Foto: Stephan Tröbs, MVT) auch in diesem Haus der Museumspädagogik größ-

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ter Stellenwert zu, was sich u. a. in der Zahl von ca. 20 haupt- und nebenamtlichen museumspädagogi- schen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spiegelt. Geschichte, Struktur und Philosophie des La Piscine sowie seine Bedeutung für Stadt und Region wur- den uns anschaulich von Gilles Guey, Kulturdirek- tor von Roubaix geschildert. Das Engagement, die Vitalität und die Aktivität, aber auch die großartige Architektur und Gestaltung dieses Hauses in einer Stadt, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu den reichsten in Frankreich gehörte und heute zu seinen ärmsten Kommunen zählt, haben uns sehr berührt und viel zu denken gegeben. Um auch Eindrücke außerhalb der Sphären der musealen Leuchttürme dieser Region zu bekommen, bereisten wir am Tag unsere Heimreise das Musée des arts et traditions populaires, ein Volkskundemu- seum in der kleinen Gemeinde Wattrelos. Auf dem Austausch mit dem Association des Conservateurs des Musées Gelände eines ehemaligen Hofes empfingen uns des Hauts-de-France. (Foto: Stephan Tröbs, MVT) der stellvertretende Direktor und eine Mitarbeiterin. Wir sahen Arrangements von Objekten, welche die ortstypischen Berufe wie Grenzer, Senner, Uhrma- gleichzeitig auch zuständig für das Kulturressort cher, Weber, Tischler und „Schmuggler“ darstellen. der Gemeinde. Ein ähnliches Konstrukt fanden wir Auch wenn die Objekte und deren historischer Kon- auch bei unserem Besuch im La Piscine vor. Und es text nicht im wissenschaftlichen Sinne präsentiert erscheint durchaus sinnvoll, dass die Kulturverant- werden, ist dennoch anzumerken, dass die räumli- wortlichen einer Region auch in einer Kulturinstitu- chen Gegebenheiten grundsaniert, restauriert und tion arbeiten. So bestehen gute Voraussetzungen, die Objekte von guter historischer Qualität sind. Mit dass diejenigen, die kulturpolitische Entscheidun- viel Herzblut wird hier die Historie der ländlichen Re- gen treffen, auch wissen, wovon sie sprechen und gion bewahrt und den Besuchern präsentiert. welche Strategien dem Wohl der Museen und der Im anschließenden Gespräch staunten wir nicht Gesellschaft am besten dienen. schlecht: Die Gemeinde Wattrelos betreibt ein Mu- Auch hier fiel die enge Verbindung mit den So- seum, das an vier Wochentagen geöffnet hat und zial- und Bildungseinrichtungen der Gemeinde und ca. 10.000 Besucher im Jahr zählt, mit vier vollen der Region auf. Jeder Schüler der Region muss ein- Stellen (Direktorin, stellvertretender Direktor, Samm- mal in seiner Schullaufbahn das Museum besucht lungsbeauftragte/Museumspädagogin und eine Ver- und an museumspädagogischen Aktivitäten teil- waltungsangestellte). Die Direktorin des Hauses ist genommen haben. Die Mitarbeiter verstehen sich

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teurs des Musées des Hauts-de-France (MUSENOR), Valérie Kozlowski, Direktorin des Archäologischen Museums in Vendeuil Caply sowie Philippe Gayot, Schatzmeister von MUSENOR und Kurator der Mu- seen von Porte du Hainaut. Besonders auffällig war der Altersdurchschnitt der französischen Kolleginnen und Kollegen, der wie auch schon bei den von uns besuchten Museen deutlich unter 50 Jahren lag. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass ein feh- lender „Mittelbau“ in der Personalstruktur bei den Museen in Frankreich keine oder zumindest eine un- tergeordnete Rolle spielt. Nach der Einleitung durch die französischen Kolleginnen und Kollegen stellten Präsident Günter Schuchart und Geschäftsführer Holger Nowak die Struktur und die Arbeitsfelder des Museumsver- bands Thüringen e. V. vor. Im Anschluss entspannte sich ein reger Dialog, der während eines gemeinsa- Besuch im Musée des arts et traditions populaires Wattrelos. men Abendessens vertieft werden konnte, bei dem (Foto: Stephan Tröbs, MVT) man sich über Umfeld und Bedingungen musealer Arbeit in den beiden Regionen Haut-de-France und Thüringen weiter austauschte. vor allem als Dienstleister an der Gesellschaft und Zu den vielen Ergebnissen und Impulsen dieser richten als kulturelle Anlaufpunkte unter anderem Informationsreise in die Region Hauts-de-France Märkte, Feste und ähnliche Veranstaltungen der Re- zählt die feste Absicht, den einmal aufgenommenen gion aus. Kontakt zu intensivieren die Kontakte zu den Kol- Besonders anregend war die Möglichkeit des leginnen und Kollegen in der Region Lille nicht nur direkten Austauschs mit den französischen Kollegin- aufrecht zu erhalten, sondern auszubauen – sowohl, nen und Kollegen. Während eines Empfangs im Con- um im Austausch voneinander zu lernen, als auch seil Régional Hauts-de-France wurden wir zunächst den Fluss des Dialogs möglichst in gemeinsame Pro- vom Vizepräsidenten Salvatore Castiglione begrüßt jekte münden zu lassen, denn schließlich: und lernten auch Mme. Ferey, die Referatsleiterin „Der Schwerpunkt der Kontakte zwischen Museen, sowie Morgane Vandernotte, die Referats- Thüringen und Hauts-de-France liegt in den Berei- leiterin Internationales, kennen. Im Anschluss stellte chen Bildung/Wissenschaft und Kultur.“ sich der Kuratorenverband der Region vor, vertreten (Thüringer Staatskanzlei, s.o.) durch Laure Dalon, Direktorin der Museen in Ami- ens und Präsidentin der Association des Conserva- Angelika Steinmetz-Oppelland und Stephan Tröbs

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Arbeitskreis Digitales Museum – Der neue AK stellt sich vor

er Museumsverband Thüringen e. V. (MVT) hat pazitäten gebunden. Langfristig wird sich aber das Deinen neuen Arbeitskreis. Und wie weiter? Wie Berufsbild in den Thüringer Museen verändern. Zur soll er arbeiten? Welche Themen soll er abdecken? analogen Ausstellung gesellt sich die digitale. Zum Was kann man überhaupt im Bereich Digitalisierung Bereich Öffentlichkeitsarbeit gesellt sich die Social und Social Media ergebnisorientiert diskutieren und Media-Arbeit. Die Sammlung wird nicht mehr in- umsetzen? Ist dieser AK überhaupt notwendig? ventarisiert, sondern digitalisiert. Es gäbe noch zahl- Selbstverständlich! Er ist nicht nur nötig, sondern reiche andere Beispiele, die diesen unumkehrbaren unbedingt erforderlich. Die Digitalisierung aller Le- Wandel beschreiben. Aber ohne eine klare Strategie bensbereiche schreitet immer schneller voran. Auch kann man hier schnell die Orientierung verlieren. die Thüringer Museen sollten nicht nur die Notwen- Der neue Arbeitskreis Digitales Museum soll den digkeit, sondern auch die Vorteile erkennen, die die- Kolleginnen und Kollegen helfen, sich in der Gegen- se Entwicklung mit sich bringt. Zu erwarten ist, dass wart zurechtzufinden und die digitale Zukunft in den Digitalisierungs- und Social Media-Strategien in na- Thüringer Museen mitzugestalten. her Zukunft bestimmende Faktoren für die museale Die Fülle an digitalen Anwendungsmöglichkeiten Arbeit sein werden. ist auch für den Arbeitskreis ein Problem, welches Der Museumsverband Thüringen e. V. ermög- gelöst werden muss. Es können nicht alle Themenfel- licht den Museen seit 2009 durch das Digitalisie- rungsteam ihre Bestände zu digitalisieren und mit digiCULT.web einheitlich zu erfassen. Nun umfasst das Wort Digitalisierung aber mehr als nur diese „Basistätigkeiten“. Was ist mit Social Media, digita- len Ausstellungen, Virtual- und Augmented-Reality? Die Fülle an Möglichkeiten der Nutzung digitaler Medien ist immens. Gleichzeitig birgt der Eindruck von Unüberschaubarkeit die Gefahr, dass Aufgaben- felder wie „Digitalisierung des Bestandes“, „Social Media-Arbeit“ oder „Wissenschaftsportale“ nicht verstanden und dadurch gar nicht erst angegangen werden. Auch bringt eine planlose und unstruktu- rierte Herangehensweise an das Thema mit Sicher- heit nicht den erwünschten Erfolg. Digitalisierung schafft kurzfristig gesehen auch keine neuen Stellen in den Museen. Im Gegenteil: Treffen des Stammtisches Social Media auf der Leuchtenburg. Durch die neuen Aufgaben werden vorhandene Ka- (Foto: Stephan Tröbs, MVT)

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ren die Kolleginnen und Kollegen „was der andere gerade so macht“ und können gemeinsame Pro- jekte schaffen, oder sich bestehenden anschließen. Die Stammtische werden so wie der Arbeitskreis vom MVT organisiert, ausgewertet und die Mitglie- der über Diskussionen und Ergebnisse informiert. Gleichzeitig ergibt sich für den MVT die Möglichkeit, digitale Vorhaben und Strömungen an den Häusern zu erfassen und zu evaluieren. Der Arbeitskreis Digitales Museum soll auch kleineren und mittleren Museen die Möglichkeit bieten, an digitalen Entwicklungen zu partizipieren. Hierzu müssen einheitliche Vorgehensweisen, Sys- teme und Plattformen geschaffen werden, die als Wegweiser eine ungefähre Richtung vorgeben. Das Stichwort heißt hier „Digitale Strategien“ für Thü- ringer Museen. Wie in den Handlungsempfehlun- gen zur Museumsperspektive 2025 unter Punkt 4.7 erwähnt, soll ein Konzept zur einheitlichen Kultur- Digitalisierung auf der Leuchtenburg. (Foto: Stephan Tröbs, MVT) gutdigitalisierung erarbeitet werden. Auch wird in Punkt 4.8 auf die Notwendigkeit individueller Social Media-Strategien in den Institutionen hingewiesen. der auf einmal angegangen werden. Daher arbeitet Mit dem Arbeitskreis Digitales Museum kommt der der AK bei seinen Sitzungen stets themenbezogen. Museumsverband Thüringen e. V. diesen Forderun- Da den Häusern keine Themen aufoktroyiert werden gen nach, indem er die Thüringer Museen dabei sollen, sondern aus diesen selbst kommen müssen, unterstützt digitale Strategien für sich zu entwickeln ist es unumgänglich, ein Netzwerk aufzubauen, das und umzusetzen. als Themengeber für den AK fungiert. Dieses Netz- Dies kann aber nur gelingen, wenn die für den werk besteht aus Stammtischen, welche sich regio- Freistaat typischen Hegemonialbestrebungen vieler nal zusammenfinden und aus einer kleinen Gruppe Museen und ihrer Träger untereinander durch einen an digitalen „local heroes“ besteht. Diese Stamm- offenen, transparenten und kollegialen Umgang mit- tische sind als lockere Gesprächsrunden gedacht, einander ersetzt werden. Digitale Projekte können in welchen Ideen und Erfahrungen offen diskutiert meist nur gemeinsam zum Erfolg geführt werden! werden können. So ist es möglich, Museen im regio- nalen Bereich miteinander zu vernetzen. Auch erfah- Stephan Tröbs

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Personalia

eit 1. März ist die Kunsthistorikerin Dr. Angelika dazu hat Frau Steinmetz-Oppelland freiberuflich pu- SSteinmetz-Oppelland im Museumsverband im bliziert und Ausstellungen kuratiert, vorrangig zu den Team der Museumsberater für den Bereich Netzwer- Themen Glas-, Industrie- und Kulturgeschichte sowie ke zuständig. Frau Steinmetz-Oppelland hat bis 2015 zeitgenössische Kunst. Seit 2011 ist sie Vorstandsmit- die Sonderausstellungen für das SCHOTT GlasMuse- glied im Verband Bildender Künstler Thüringen e. V.; um/SCHOTT Villa in Jena konzipiert und umgesetzt seit 2018 auch im Jenaer Kunstverein. und war zudem in Museumspädagogik, Publikation In ihrer neuen Funktion beim Museumsverband und Sammlungsbetreuung eingebunden. Zuvor war möchte Frau Steinmetz-Oppelland den Schwerpunkt sie am Optischen Museum Jena für die Erfassung ihrer Arbeit sowohl auf der Pflege bestehender in- des Grafikbestandes und das Konzept der Daueraus- terner Arbeitsstrukturen, als auch auf den Ausbau stellung Optisches Spielzeug verantwortlich. Parallel und die Verstetigung von Verbindungen und Kanä-

Dr. Angelika Steinmetz-Opelland. (Foto: privat) Doris Weilandt. (Foto: Sibylle Mania)

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len legen, die den regelmäßigen Austausch und die ratorin für verschiedene Thüringer Museen, darunter Information der Mitgliedsmuseen als Netzwerkpart- das Stadtmuseum und das Optische Museum in Jena ner untereinander und mit dem MVT gewährleisten. sowie das Museum für Angewandte Kunst in Gera. Dies soll sich jedoch nicht nur auf die Mitglieder des Darüber hinaus ist sie als freiberufliche Journalistin Museumsverbandes beschränken, sondern selbst- (Printmedien und Fernsehen) und Autorin tätig. Ne- verständlich auch deren Partner, die Museumsträger ben der Kuratierung von Ausstellungen zur Kunst- und und die Öffentlichkeit mit einbeziehen. Sie freut sich Kulturgeschichte widmet sie sich auch museumspäd- darauf in den nächsten Monaten die Museen des agogischen Projekten. So schrieb sie die Geschichte Verbandes und die „Netzwerkteilnehmer“ persön- von „Mika & Luki“, Protagonisten eines Museums- lich kennenzulernen und auf eine anregende Zusam- führers für 18 südthüringische Museen. 2007 ge- menarbeit. wann sie den Rundfunkpreis Mitteldeutschland und Ebenfalls am 1. März übernahm die Kunsthisto- wurde 2016 mit einem Stipendium der Kulturstiftung rikerin Doris Weilandt die Funktion der Pressespre- des Freistaates Thüringens und einem Studienaufent- cherin des Museumsverbandes. Ab Juni wird sie halt auf Schloss Wiepersdorf ausgezeichnet. zudem der Redaktion der Thüringer Museumshefte vorstehen. Doris Weilandt arbeitet seit Jahren als Ku- Hildegard Heine

120 Autorenverzeichnis

Autorinnen und Autoren

• Albrecht, Philipp • Habisch, Cornelia Museumspädagoge Städtische Museen Jena Referatsleiterin Landeszentrale für Politische Bil- dung Sachsen-Anhalt, Geschäftsführerin Netz- • Avenarius, Gundula werk Beraterin und Trainerin im Bereich Bildung und Ver- mittlung für Museen und Kulturinstitutionen, Bei- • Häder, Dr. Ulf rätin Länderverband Museumspädagogik Ost e. V. Direktor Städtische Museen Jena

• Bock, Bernhard L. • Heide, Prof. Dr. Gerhard Präparator Phyletisches Museum Jena Professor für Allgemeine und Angewandte Mi- neralogie, Direktor der Geowissenschaftlichen • Bretschneider, Dr. Uta Sammlungen an der TU Bergakademie Freiburg Direktorin Hennebergisches Museum Kloster Veßra • Heine, Hildegard • Cremer, Dr. Anette C. Museumsberaterin Museumsverband Thüringen e. V. Akademische Rätin Justus-Liebig-Universität in Gießen • Hoff, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Minister für Kultur, Bundes- und Europaangele- • Culibrk, Mirjana genheiten und Chef der Staatskanzlei Direktorin Schlossmuseum Heringen • Hofmann, Marlene • Dietrich, Jörg Marketing und Kommunikation Museum Burg Geschäftsführer Kulturrat Thüringen e. V. Posterstein

• Dietz, Manuela • Hofmann, Sabine Museumsleiterin Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum Stellvertretende Direktorin Lindenau-Museum Al- Freyburg, Geschäftsführerin Friedrich-Ludwig- tenburg Jahn-Gesellschaft e. V. • Jandausch, Kenny • Fischer, Professor Dr. Dr. h.c. Martin S. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Doktorand Phyleti- Direktor Institut für Zoologie und Evolutionsfor- sches Museum Jena schung mit Phyletischem Museum, Ernst-Haeckel- Haus und Biologiedidaktik

121 Autorenverzeichnis

• Krischke, Dr. Roland • Staemmler, Friedrich Direktor Lindenau-Museum Altenburg Fachreferent Kunst Mühlhäuser Museen

• Lörzer, Pauline • Steinmetz-Oppelland, Dr. Angelika Leiterin Stadtmuseum Camburg, Vorstandsmit- Museumsberaterin Museumsverband Thüringen e. V. glied Heimatbund Thüringen e. V. • Strehle, Tobias • Maier, Georg Wissenschaftlicher Volontär Schlossmuseum Son- Thüringer Minister für Inneres und Kommunales dershausen

• Müller, Sandra • Steiner, Felix M. Museumsberaterin Museumsverband Thüringen e. V. Freier Fachjournalist

• Müller, Dr. Thomas T. • Taschitzki, Thomas von Direktor Mühlhäuser Museen, Vorstand Museums- Kurator der Gemälde- und Skulpturensammlung verband Thüringen e. V. Angermuseum Erfurt

• Pisarek, Janin • Tröbs, Stephan Freischaffende Kulturwissenschaftlerin, Vorstands- Teamleiter Digitalisierung Museumsverband Thü- mitglied Heimatbund Thüringen e. V. ringen e. V.

• Schubert, Rebekka • Vanhoefen, Antje Beirätin Länderverband Museumspädagogik Ost Direktorin Schloßmuseum Arnstadt e. V., Gedenkstättenpädagogin Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz • Weilandt, Doris Pressesprecherin Museumsverband Thüringen e. V. • Schuchardt, Günter Präsident Museumsverband Thüringen e. V., Burg- hauptmann Wartburg-Stiftung Eisenach

122 Impressum

Impressum

Herausgeber: Die Thüringer Museumshefte erscheinen 2019 Museumsverband Thüringen e. V. zweimal, im Juni und im Dezember. Sie werden an die Museen in Thüringen, an deren Träger, Freunde und Partner abgegeben. Die Schutzgebühr beträgt V.i.S.d.P.: 5,00 Euro. Günter Schuchardt

Redaktion: Herausgeber und Redaktion übernehmen keine Dr. Janny Dittrich, Dr. Ulf Häder (Redaktionsleiter), Forderungen, die aus Rechten Dritter zu einzelnen Hildegard Heine, Sandra Müller, Holger Nowak, Beiträgen entstehen. Für unverlangt eingesandte Katja Rettig, Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland Texte, Fotos und Materialien wird keine Haftung übernommen.

Redaktionsschluss: 19. April 2019 Die Thüringer Museumshefte und alle in ihnen enthal- tenen Beiträge, Fotos und Abbildungen sind urheber- Anschrift: rechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Museumsverband Thüringen e. V. engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustim- Redaktion Thüringer Museumshefte mung der Autoren bzw. der Redaktion unzulässig und Wallstraße 18 | 99084 Erfurt strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen Telefon: +49 361 5513865 jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und E-Mail: [email protected] die Einspeicherung in elektronische Systeme. Internet: www.museumsverband-thueringen.de https://facebook.com/museumsverband.thueringen

© Museumsverband Thüringen e. V., bei den Au- Gestaltung: toren, Fotografen und Museen 2019. Falls nicht 2C Media Werbeagentur, Inh. Steffen Dietz anders vermerkt, liegen die Nutzungsrechte an den 98553 Schleusingen Fotos bei den Museen.

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124 Ausstellung Museumsschätze

ier Thüringer Museen befassen sich in diesem s ist ein großer Glücksfall, dass im November te der Versuch einer Rückerwerbung an der Ober- VJahr – aus Anlass des 100. Todestages – mit dem E2018 Emil Noldes farbintensives Stillleben „Be- grenze von 1,4 Millionen Euro. Die von der Ernst Naturforscher und Freidenker Ernst Haeckel (1834- gonien (Rot und Gelb)“ aus dem Jahre 1929 ins An- von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der 1919). Den Auftakt bildete das Geraer Naturkunde- germuseum Erfurt zurückgekehrt ist. Zusammen mit Länder, der Bundesbeauftragten für Kultur und Me- museum. Die dortige Ausstellung zu Haeckel und der 13 weiteren Gemälden und insgesamt rund 1.000 dien, dem Freistaat Thüringen und der Stadt Erfurt Geschichte der Evolutionslehre endete Anfang Juni. Werken der Klassischen Moderne war es dem Muse- bereitgestellten Ankaufsmittel ermöglichten es aber um 1937 durch die nationalsozialistische Beschlag- schließlich, das Bild 2018 aus einer Schweizer Privat- Nicht überraschend ist es, dass der Wahl­ nahmung sogenannter „Entarteter Kunst“ verloren sammlung zu erwerben. jenaer in der Saalestadt ausgiebig gewürdigt gegangen. Als das Bild im Jahr 2017 überraschend wird. Hae­ckel lebte hier ab 1861 und drei Museen auf einer Berner Auktion angeboten wurde, ende- Thomas von Taschitzki beleuchten Leben und Werk unter verschiedenen Aspekten. Das Phyletische Museum betrachtet noch bis 1. November 2020 den Wissenschaftler am Beispiel seiner grundlegenden Forschungen zu Medusen. Lebensechte Modelle und kunstvolle Nachbildungen illustrieren Haeckels Erkenntnisse, die heute immer noch aktuell sind – Haeckel war der Erste, der die ökologische Bedeutung der Qual- len erkannte. Das Stadtmuseum richtet dagegen noch bis zum 8. September 2019 den Blick auf die Persönlichkeit Haeckels, den Bürger und sein sozi- ales Umfeld. Nicht ausgespart bleibt dabei seine Selbstinszenierung, die nicht unwesentlich zu sei- ner Popularisierung beitrug.

In der Jenaer Kunstsammlung wird noch bis zum 11. August Haeckels künstlerische Wirkung beleuchtet. Seine feinen Zeichnungen nach Radiola­ rien und anderen Meereslebewesen waren nicht nur eine Inspirationsquelle für die Kunst des Jugendstils, sondern stehen am Anfang einer Tradition, in der bis heute Naturformen und organische Materialien un- mittelbar in künstlerische Werke einfließen. Ernst Haeckel mit Gorilla-Vitrine im Phyletischen Museum Jena, 1909. (Foto: Friedrich-Schiller-Universität Jena/Ernst-Haeckel-Haus) Ulf Häder Emil Nolde (1867-1956), Begonien (Rot und Gelb), 1929, Öl auf Leinwand, 74 x 101 cm, Angermuseum Erfurt (Foto: Dirk Urban, Angermuseum Erfurt) humboldt4

Residenzschloss Burg Posterstein Naturkundemuseum Lindenau-Museum Altenburg Mauritianum Altenburg

Kontakt Museumsverband Thüringen e. V. Wallstraße 18 · 99084 Erfurt

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