Deutsche Johann Strauss Gesellschaft e.V. Mitteilungsblatt Heft 37/2010 Johann Strauss

NEUES LEBEN, française für das Pianoforte op. 278 PN N.P. 13.065 Wien, Haslinger 1864. Landesbibliothek Coburg Mus. 1311

Das Titelblatt enthält eine gedr. Widmung am Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha. Es wurde uns liebenswürdigerweise von der Landesbibliothek Coburg zur Verfügung gestellt.

Johann Strauss widmete Herzog Ernst II. im Herbst 1863 die Polka „Neues Leben“, die Strauss persönlich in einer Prachthandschrift im Wiener Palais Coburg überreichte. Diese wurde dem Herzog nach Coburg übersandt. Für die Widmung bedankte sich Herzog Ernst 1864, als der Notendruck bei Haslinger erschien, mit der Verleihung der Verdienstmedaille für Kunst und Wissenschaft.

Herausgeber: DEUTSCHE JOHANN STRAUSS GESELLSCHAFT e. V. Geschäftsstelle: Kurt Hinrichs, Creidlitzer Straße 68 96450 COBURG Tel. 09561 200758 Fax 09561 200757

Redaktion: Werner Abel Rüdesheimer Straße 28 64295 DARMSTADT Tel. 06151 664109

Ralph Braun Hahnweg 48 96450 COBURG Tel. 09561 790838

Druck: DCT GmbH Nicolaus Zech Straße 64-68 96450 COBURG Tel. 09561 83450 Fax 09561 834545

Deutsche Johann Strauss Gesellschaft e.V.

seit 1975

1. Vorsitzender: Ralph Braun

Mitteilungsblatt 37 2010

2 Ralph Braun Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bezüglich der angeblich aus der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek entwendeten und 2008 Ralph Braun bzw. 2010 dem Kölner Auktionshaus Venator & Hanstein angebotenen Johann Strauss‐Autographen vor der Einstellung? ‐ Erhält der Anbieter die Partiturskizzen zurück?

30 Thomas Aigner Das einzige Gastspiel der Wiener Strausskapelle in Russland: 1894 in St. Petersburg

39 Peter Kemp Die Aufnahme von Johann Strauss‐Enkel in Großbritannien

48 Nada Bezić Strauss Operetten in Zagreb

56 Leif Johannisson 2. Advent ‐ Indigo – Die Göttin der Vernunft

64 John Diamond Indigo

69 Peter Kemp Die Göttin der Vernunft

77 Inge Röhre Es begann „An der Elbe“ (op.477) ‐ 35 Jahre Deutsche Johann Strauss Gesellschaft

83 Peter Ziegler Ein Wiener Maler erinnert sich an Johann Strauss und

87 Ingrid Scherney 150 Jahre Wiener Operette

89 Manfred Drescher Berichte über Operetten‐ und Opernaufführungen

Geschäftsstelle: Kurt Hinrichs, Creidlitzer Straße 68, 96450 Coburg Vorstand: Ralph Braun, Werner Abel, Inge Röhre, Dr. Michael Mahlert, Kurt Hinrichs, Georg Günther Bankverbindung: VR‐Bank Coburg Konto‐Nr. 810893 BLZ 783 600 00 Vereinsregister: Amtsgericht Coburg VR 667, Homepage http://www.djsg.de 1

Liebe Mitglieder, der in diesem Jahr aufgeflogene Diebstahl von Johann Strauss‐Autographen aus dem Tresor der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek (seit 2006 Wienbibliothek im Rathaus) berührt unsere Gesellschaft wesentlich tiefer als bisher von mir angenommen. Unser früherer 1. Vorsitzender Prof. Norbert Linke wurde von 1981 bis heute zu einem intimen Kenner der Johann Strauss‐Handschriftenbestände der Musiksammlung dieser Bibliothek. Von 1981 bis zur Suspendierung des ehemaligen Leiters der Musiksammlung Univ.‐Doz. Dr. Ernst Hilmar im Jahr 1994 arbeitete Prof. Linke in der WStuLb bei seinen Strauss‐Forschungen eng mit Dr. Hilmar.

Zur Aufklärung bedarf es der Kenntnis der bislang verschwiegenen Hintergründe: Es muss das komplexe Feld der 16 Jahre lang vertuschten Affäre Dr. Ernst Hilmar einbezogen werden. Wie die Neue Presse Coburg am 13. 11. 2010 berichtete, ist es möglich, dass der Anbieter der aus der heutigen Wienbibliothek im Rathaus verschwundenen und im März d. J. von der Staatsanwaltschaft Köln beim Auktionshaus Venator & Hanstein beschlagnahmten Strauss‐ Autographen diese zurück erhält, da zivilrechtliche Ansprüche der Wienbibliothek nicht geklärt werden können, falls die Bibliothek keine Zivilklage erhebt. Neue Presse Coburg: „ ‚Aber wir brauchen einen Gerichtsbeschluss.‘ Eine Zivilklage will [Dr. Thomas] Aigner damit aber nicht angekündigt wissen, lieber formuliert er so: ‚Wir halten uns alle Möglichkeiten offen.‘ “ Die Wienbibliothek hat nie Anzeige erstattet. (Profil „Mister Marple. Strauss‐ Handschriften aus der Wiener Stadtbibliothek entwendet“, 17. Juli 2010).

Beginn der Affäre Dr. Hilmar: Schubert‐Forscher‐Nachlässe im Wiener Antiquariatshandel ‐ Revision in der WStuLb – Suspendierung von Dr. Ernst Hilmar

1993 waren ca. 120 der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek gehörende Objekte zumeist aus den Nachlässen der Schubert‐Forscher Ignaz Weinmann und Otto Erich Deutsch im Wiener Antiquariatshandel aufgetaucht. Die kanadische Musikwissenschaftlerin Dr. Rita Steblin, Bibliothekarin im von Dr. Hilmar geleiteten „Internationalen Franz Schubert Institut“ (IFSI), erfuhr hiervon, eilte zum Antiquariat Löcker und Wögenstein und erwarb am 25. August 1993 diese Objekte. Dr. Steblin berichtete dies daraufhin dem Leiter der Handschriftensammlung der WStuLb, Dr. Walter Obermaier, und zeigte ihm ihr von Frau Renate Hilmar‐Voit (Ehefrau Ernst Hilmars) übergegebene Fotokopien aus dem der Bibliothek gehörenden Inventarband 1 des Ignaz‐ Weinmann‐Nachlasses, den Dr. Hilmar in seiner Wohnung verwahrte. Laut Prof. Linke wurde Dr. Ernst Hilmar dann 1994 wegen Überschreiten seines Ankaufsbudgets für die Musiksammlung der WStuLb vom Dienst suspendiert. Erst 1999 wurde Dr. Hilmar (von 1994 bis 1999 in Berlin lebend) mit vollen Pensionsbezügen in den Ruhestand verabschiedet. Die Wienbibliothek hat die ihr gehörenden Objekte aus den Nachlässen von Ignaz Weinmann und Otto Erich Deutsch von Dr. Steblin nie zurückverlangt. Sie befinden sich noch heute im Besitz von Rita Steblin. Auf Anfrage der Neuen Presse Coburg (9. November 2010) erklärte die

2 derzeitige Direktorin der Wienbibliothek, Dr. Sylvia Mattl‐Wurm, dass es sich bei diesen Objekten ausschließlich um Dubletten handle . Dem widerspricht Dr. Steblin. In der Wienbibliothek gäbe es 11 Schachteln mit durchnummerierten z. T. fehlenden Mappen aus dem Nachlass O. E. Deutsch. Eine dieser fehlenden Mappen besitzt Dr. Steblin. Diese Mappe wurde von der 1977 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Musikwissenschaftlerin Christa Landon mit „34 Textbücher“ beschriftet (hs.) und enthält u.a. Libretti zu Operetten über Franz Schubert mit handschriftlichen Anmerkungen von O. E. Deutsch. Wie aus dem Angebot des Antiquariats Löcker und Wögenstein hervorgeht, befanden sich unter den Objekten solche mit zahlreichen Anmerkungen von O. E. Deutsch. Dr. Steblin besitzt die ihr von Renate Hilmar‐Voit übergebene Fotokopie des kompletten Inventarbandes 1 Ignaz Weinmann‐Nachlass aus der Wohnung Dr. Hilmars.

Rechnung „Dr. Steblin 25.8.1993 Ign. Weinmann Konvolut – Schubert lt. Angebot 12.000“

„Konvolut F. Schubert aus dem Besitz des S.‐Forschers Ignaz Weinmann […]“ Antiquariat Löcker und Wögenstein Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Dr. Rita Steblin 3

Zurückhaltende Berichterstattung in den Medien

Bis heute wurde in österreichischen und deutschen Medien mit Ausnahme der Österreichischen Musikzeitschrift und des Deutschlandfunk „Kultur heute“ (beide Male der Publizist, Musikkritiker und Kulturkorrespondent Frieder Reininghaus) nur über den Diebstahl der Strauss‐„Aschenbrödel“‐Autographen berichtet. Die Vorgänge, welche zur Suspendierung Dr. Hilmars und zur Gesamtrevision der Musiksammlung der WStuLb im Jahr 1994 führten, und jene um die 1993 im Wiener Antiquariatshandel aufgetauchten zahlreichen der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek gehörenden Objekte aus den Nachlässen von Ignaz Weinmann und Otto Erich Deutsch wurden bisher nicht genannt. Erwähnenswert ist eine von Prof. Linke gegenüber der Neuen Presse Coburg am 9. November 2010 bestätigte Aussage mir gegenüber, Prof. Linke habe von Dr. Hilmar gehört, dass sich die Stadt Wien wiederholt erkundigt habe, auf welche Johann Strauss‐Autographen man seitens der Bibliothek verzichten könne, um hochrangige ausländische Staatsgäste beschenken zu können. Japan sei genannt worden. Dr. Hilmar habe dies erwähnt, als ihn Prof. Linke nach dem Grund gefragt habe, warum zahlreiche Blätter aus einem Skizzenbuch von Johann Strauss herausgetrennt seien.

Das Verschweigen der Affäre Dr. Hilmar, Widersprüche in öffentlichen Darstellungen der derzeitigen Direktorin der Wienbibliothek im Rathaus Dr. Sylvia Mattl‐Wurm sowie Behauptungen des Herausgebers der 2002 erschienenen wissenschaftlichen Aschenbrödel‐ Partitur, Prof. Michael Rot, welche im Widerspruch zu Dr. Mattl‐Wurms Darstellung stehen, stellen die Frage „Warum?“.

Diese Widersprüche sowie die bisher allgemein unbekannten Hintergründe der Affäre aufzuzeigen, ist Ziel dieses Artikels. Dies möge zu Transparenz in der Angelegenheit beitragen und die seit Mitte der 1980er Jahre auseinandergesteuerte Wiener Johann Strauss‐Forschung zusammenführen helfen.

Musiksammlungsleiter Dr. Hilmar: Begründer des „Internationalen Franz Schubert Institut“ (IFSI) sowie des „Wiener Institut für Strauss Forschung“ (WISF)

Als Leiter der Musiksammlung der WStuLb verantwortlich für die größte Schubert‐ und Johann Strauss‐Handschriftensammlung der Welt leitete Dr. Ernst Hilmar bis zu seiner Abwahl als Generalsekretär im Jahr 2001 auch das von ihm begründete „Internationale Franz Schubert Institut“ (Büro in Schuberts Sterbehaus in der Wiener Kettenbrückengasse). 1987 gründete Dr. Hilmar die der WStuLb angegliederte „Arbeitsgemeinschaft Johann Strauss (Sohn): Thematisch‐bibliographisches Werkverzeichnis“, aus welcher sich 1989 das „Wiener Institut für Strauss Forschung“ (WISF) begründete. Die Abwahl von Dr. Hilmar als Generalsekretär des IFSI erfolgte laut wikipedia (Artikel Ernst Hilmar) „wegen zahlreicher Verstöße gegen die Vereinsstatuten“. Das IFSI musste am 13. April 2005 aufgelöst werden. „Das deutsche IFSI‐Konto war von Dr. Werner Bodendorff [Anbieter der Strauss‐Autographe] Ende 2003, dem Vorstandsbeschluss entsprechend, aufgelöst worden.“ Das von Dr. Michael 4

Lorenz und Dr. Thomas Aigner unterzeichnete Protokoll der letzten Vorstandssitzung des IFSI ist im Internet unter http://members.aon.at/michaelorenz/ifsi/ zu finden. Teilnehmer dieser Vorstandssitzung waren n.a. auch Norbert Rubey und Dr. Rita Steblin.

Seit der Beschlagnahme der Johann Strauss‐Autographe durch die Staatsanwaltschaft Köln im Frühjahr 2010 ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen Dr. Hilmar. Wie die Neue Presse Coburg von der Wiener Justizbehörde am 9. November 2010 erfuhr, wird das Ermittlungsverfahren gegen Dr. Hilmar wohl eingestellt.

Bereits ab 1981 hatten Prof. Linke und Dr. Hilmar dann viele Jahre in der Wiener Rathausbibliothek eng miteinander zum Thema Johann Strauss geforscht. Der Schwerpunkt der Forschungen von Dr. Hilmar lag bei Franz Schubert. Dr. Hilmar ermöglichte Prof. Linke tiefen Einblick in die Johann Strauss‐Handschriftenbestände der Bibliothek. Prof. Linke kennt wichtige Details zur Affäre Dr. Hilmar.

Der Anbieter der Aschenbrödel‐Partiturskizzen wurde ab 1992 zum engsten wissenschaftlichen Mitarbeiter von Dr. Hilmar

Der deutsche Musikwissenschaftler und Schubert‐Forscher Dr. Werner Bodendorff (geb. 1958) wurde ab der Zeit seiner Promotion 1992/1993 („Die kleineren Kirchenwerke Franz Schuberts“ Univ. Tübingen 1993) ein enger Mitarbeiter von Dr. Hilmar am IFSI. Nach Dr. Hilmars Pensionierung (1999) und im Anschluss an dessen Abwahl (2001) als Generalsekretär des IFSI wurde Dr. Bodendorff neben der Hugo Wolf‐Forscherin Dr. Margret Jestremski Dr. Hilmars engster wissenschaftlicher Mitarbeiter. Neue Presse Coburg 13. November 2010: „Beide Wissenschaftler, einer davon in höchsten Forschungs‐ und Musikkreisen anerkannt, kennen sich gut. Sie arbeiteten von 1992 bis 2001 im Internationalen Franz‐Schubert‐Institut (IFSI) in Wien zusammen. Das ist nicht nur auf offiziellen Seiten im Internet nachzulesen, sondern bestätigt auch Musikwissenschaftler Prof. Norbert Linke (Borken/Westfalen). Beide hätten gemeinsam geforscht, publiziert und gegenseitig ihre Veröffentlichungen besprochen, zuletzt 2007.“

Im Vorwort der 2003 erschienenen „Franz Schubert Dokumente 1801‐1830“ (1. Band Texte Addenda und Kommentar) schließt Herausgeber Dr. Hilmar die „ehemals im IFSI Verantwortlichen“ vom Dank aus und hebt Dr. Bodendorffs Bedeutung für diese Publikation hervor: „Mit Hilfe eines einzigen verläßlichen Mitarbeiters (Dr. Werner Bodendorff) konnte schließlich der Kommentar erstellt werden. Bedauerlicherweise gab es bei diesem Projekt keinerlei Unterstützung durch frühere präsidiale Mitglieder des Internationalen Franz Schubert Instituts (IFSI) […] Die ehemals im IFSI Verantwortlichen sind vom Dank auszuklammern. […] Ferner ist jenen Personen zu danken, die Recherchen auf sich genommen haben, um die Publikation zum Abschluß bringen zu können. Neben dem bereits genannten Dr. Werner Bodendorff sind dies namentlich Norbert Rubey (Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek/Musiksammlung), […] [und] Dr. Margret Jestremski […]“

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Publikationen von Dr. Bodendorff zu Franz Schubert: über Michael Holzer, einer der ersten Musiklehrer der Brüder F. Schuberts, in „Schubert durch die Brille“ Mitteilungen des IFSI Redaktion Ernst Hilmar, Schneider Tutzing 1992; über Karl Pichler in „Schubert durch die Brille“, Schneider Tutzing 1993; „Einige Anmerkungen zur Schubert‐Rezeption in Ödenburg“, in „Schubert durch die Brille“, Schneider Tutzing 1994; „Franz Schuberts Frauenbild dargestellt an seinen einstimmigen Frauenliedern mit Begleitung des Pianoforte“, Wißner Augsburg 1996; „Zur Inventarfrage bei Schubert Bericht von der Tagung ‚Schubert‐Aspekte‘“, Duisburg 1996; „Die kleineren Kirchenwerke Franz Schuberts“, Wißner Augsburg 1997; „Wer war Franz Schubert? : Eine Biographie“, Wißner Augsburg 1997; „Hvem war Franz Schubert? En Biografi“, Roskilde: Franz Schubert Selskabet Danmark 1997; Ernst Hilmar unter Mitarbeit von Werner Bodendorff „Bausteine zu einer neuen Schubert Bibliographie vornehmlich der Schriften von 1929‐2000“, in „Schubert durch die Brille“ Heft 25 S. 95‐302, Schneider Tutzing 2000; Ernst Hilmar (Mitarbeit Werner Bodendorff) „Franz Schubert Dokumente 1801‐1830 1. Band Texte Addenda Kommentar“, Schneider Tutzing 2003; „Franz Schuberts kvindebill de på baggrund af hans Frauenlieder“ Overs.: Ellen Marie Peters Overs.: Franz Schubert Selskabet Danmark Roskilde 2004; „Franz Schubert: die Texte seiner einstimmig und mehrstimmig komponierten Lieder und ihre Dichter Bd. 3: Die Texte der mehrstimmigen Lieder“, Georg Olms, Hildesheim, Zürich, New York 2006

Dr. Bodendorff Herausgeber wissenschaftlicher Partituren von Schubert‐Werken

Seit 1995 gab Dr. Bodendorf, der sich mir gegenüber bezüglich der von ihm angebotenen Johann Strauss‐Autographe als Laie darstellte, wissenschaftliche Partituren von 13 Schubert‐ Werken heraus (Carus Verlag Leinfelden‐Echterdingen). Dies setzte die Befähigung zur wissenschaftlichen Auswertung von Musikautographen voraus. Neben der Auswertung der Autographen gehören Recherchen zu Quellen‐Fundorten und die Erforschung der Provenienz des Autographs zur Erarbeitung einer wissenschaftlichen Ausgabe. Diesbezüglich einführende Unterweisung erhielt Dr. Bodendorff durch Dr. Ernst Hilmar, wie er im Vorwort seiner Dissertation schreibt: „Längere Wien‐Aufenthalte machten es möglich, vor Ort Quellenstudien mit Schuberts Autographen zu betreiben. Wertvolle Hilfe und Unterstützung bei den Handschriften bekam ich von dem Leiter der Stadt‐ und Landesbibliothek Wien, Herrn Universitätsdozent Dr. Ernst Hilmar.“

Der Carus‐Verlag bewirbt die von ihm 2003 verlegte Neuausgabe der großen Schubert‐ Messen mit dem Hinweis auf Dr. Bodendorffs besondere Qualitäten in der Auswertung von Werk‐Quellen: „Für die Neuausgabe der ‚großen‘ Schubert‐Messen haben die Herausgeber Manuela Jahrmärker und Werner Bodendorff das Quellenmaterial noch einmal eingehend und subtil untersucht. Das Ergebnis sind historisch‐kritische Urtextausgaben, die an zahlreichen Stellen von den bisherigen Ausgaben abweichen: nicht gravierend, aber in vielen sinnfälligen Details, vor allem der Dynamik und Artikulation (das ‚Schmerzenskind‘ der Schubert‐Editoren).“

Bezüglich der von Dr. Bodendorff angebotenen, wohl aus der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek entwendeten Aschenbrödel‐Partiturskizzen betrieb Dr. Bodendorff

6 offensichtlich keinerlei Provenienzforschung. Nicht nachvollziehbar ist, dass Dr. Bodendorff, der 2008 nicht wusste, Teil wessen Werkes von Johann Strauss die in seinem Besitz befindlichen Partiturskizzen sind, nicht versucht hat, durch die Wienbibliothek abklären zu lassen, um welches Werk von Strauss es sich handelt. Die Wienbibliothek verfügt über die führenden Strauss‐Spezialisten der Welt. Man hätte die Skizzen dort leicht identifiziert.

Das von Dr. Bodendorff für die Schubert‐Messe in Es bereits 1996 verfasste und in der Neuausgabe von 2003 wieder abgedruckte Vorwort zeigt dessen Sorgfalt bei der Erforschung der Provenienz des in der „Wienbibliothek im Rathaus“ verwahrten Autographs dieser Messe.

Hg. Werner Bodendorff: Franz Schubert Messe in Es, Vorwort 1996/2003 Carus Verlag, Leinfelden‐Echterdingen

Beschreibung der Partiturskizzen im Auktionskatalog 113

Die Beschreibung der „Aschenbrödel“‐Skizzen im Auktionskatalog 113 von Venator & Hanstein (März 2010) ist in Anbetracht dieses weithin unbekannten und nach 1900/1901 nur einmal in einer Partitur publizierten Werkes bemerkenswert sachkundig und setzte die Kenntnis des Revisionsberichtes dieser wissenschaftlichen „Aschenbrödel“‐Partitur von 2002 (Neue Johann Strauss Gesamtausgabe) voraus. Derartig spezielle Kenntnisse bezüglich des Ballettes „Aschenbrödel“, wie sie in die Objektbeschreibung eingeflossen sind, hatte Dr. Bodendorff offensichtlich nicht. Wer half dem Auktionshaus? Wer ist der Autor der Objektbeschreibung? Ende November 2009, vier Monate vor Erscheinen des

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Auktionskatalogs, nannte Dr. Bodendorff mir gegenüber noch nicht einmal den Titel des Werkes:„DonauwalzerineinemBallettmitDrehorgelverwendet“.ZudieserZeitbefanden sichdiePartiturskizzenangeblichinÖsterreich,wohlbeiDr.Hilmar,dadiesermirdieKopien derAutographenam25.November2009ausKlagenfurtzugeschickthabensoll.

DiezweigroßformatigundfarbigvorneimAuktionskatalogabgebildetenmit„68“und„69“ handschriftlich paginierten AschenbrödelPartiturskizzen (Überleitungstakte zum Drehorgel Donauwalzer und die ersten zwei Takte desselben, s. Abb. S. 27)könnenalssehrsachkundiger subtiler Hinweis gelesen werden. Die im Rahmen der „Neuen Johann Strauss Gesamtausgabe“ 2002 erschienene wissenschaftliche AschenbrödelPartitur Titel: „Rekonstruktion der Urfassung 1899“ gibt die von Josef Bayer für seine Vollendungsfassungen (1899, 1901) geschaffene Überleitung zum DrehorgelDonauwalzer wieder (s. S.27). Die im Auktionskatalog abgebildeten Partiturskizzen geben eine andere Überleitungwieder.ImRevisionsberichtderwissenschaftlichenAschenbrödelPartitur(2002) heißtes:„DerStrauss’scheNachlaßzu‚Aschenbrödel‘mußalsverschollengelten“(S.508).

Dr.Hilmar(RedaktionderIFSIPublikationsreihe„SchubertdurchdieBrille“)fügteeigenmächtig eineFußnoteundeineAbbildunginwissenschaftlicheAufsätzevonIFSIMitarbeiternein: a.)1991veröffentlichteDr.RitaSteblinin„SchubertdurchdieBrille“Heft6ihrenAufsatz „Neue Gedanken zu Schuberts Totenmaske“. Ihren von Vancouver eingereichten englischsprachigen Aufsatz übersetzte Thomas Aigner ins Deutsche. Dr. Hilmar fügte in diesen Aufsatz eigenmächtig eine letzte Fußnote „8“ ein: „Eine dritte Haarlocke (1828) befindet sich in der SchubertGedenkstätte Schloss Atzenbrugg.“ Diese „dritte Haarlocke“, welche dem Leichnam von Franz Schubert nachweislich bei der Exhumierung 1863 abgenommen wurde, ist Bestandteil des Nachlasses Ignaz Weinmann, in dessen Inventarbandgenauestensbeschriebenverzeichnet,gehörtderWienbibliothekundwurde nichtinventarisiert.Bisheuteistsieals„LeihgabevonErnstHilmar,Wien“inderSchubert Gedenkstätte Schloss Atzenbrugg ausgestellt. Im 1992 von Dr. Hilmar herausgegebenen KatalogderSchubertGedenkstätteschreibtDr.HilmaraufS.27unterNr.„28“:„Dasseltene und hier unter Glas konservierte (und restaurierte) Exemplar von Schuberts Haupthaar wurde dem Komponisten am Sterbebett abgeschnitten.“ Dr. Steblin waren bis zur Veröffentlichung ihres Aufsatzes nur zwei SchubertLocken (von 1828) bekannt. Dr. Hilmar hattedie„zwei“inihremAufsatzineine„drei“geändert. b.) Das angeblich der Wienbibliothek gehörende nicht inventarisierte handschriftliche Leihgeberverzeichnis der SchubertAusstellung 1897 war in der von Ernst Hilmar herausgegebenen Zeitschrift „Schubert durch die Brille“ als „in Privatbesitz aufgefunden“ zitiertworden[Brille14,S.106].EineKopieeinerSeiteausdiesemVerzeichniswurdevonDr. HilmarlautDr.MichaelLorenzeigenmächtigineinenAufsatzvonDr.Lorenzeingefügt[Brille 24,S.46].

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Genaue Beschreibung und Foto der Schubert‐Locke von 1863 sowie die Rechnung und das Angebot des Antiquariats Löcker & Wögenstein http://homepage.univie.ac.at/michael.lorenz/schubertlocke/

Im Anschluss an die in der Österreichischen Musikzeitschrift (9/2010) erschienene Replik von Dr. Mattl‐Wurm auf Frieder Reininghaus‘ Artikel „Johann Strauss auf Irrfahrt. Bestände aus dem Tresor der Wienbibliothek in Köln aufgetaucht“ (ÖMZ 7/8 2010) findet sich der Artikel „Perspektiven einer Schubert‐Forschung in Österreich“ der österreichischen Schubert‐Forscherin Univ‐Doz. Dr. Walburga Litschauer, in welchem Dr. Litschauer ausführlich auf die durch Dr. Hilmar verursachten Probleme für die österreichische Schubert‐ Forschung eingeht: „[…] der von Frieder Reininghaus im letzten Heft der Österreichischen Musikzeitschrift behandelte Fall des Dr. E. [gibt] Anlass für den folgenden Artikel, in dem zunächst die wechselvolle Geschichte des Internationalen Franz Schubert Instituts (ISFI) behandelt sei [Auflösung des IFSI im April 2005].“

Warum hat Dr. Bodendorff die in seinem Besitz befindlichen Strauss‐Autographe nicht der Wienbibliothek angeboten? In unserem ersten Telefonat, Anfang März 2008, schlug ich ihm vor, sich an die Wienbibliothek zu wenden. Er wies dies von sich, wie auch meinen Vorschlag, die Autographen über das führende deutsche Autographen‐Auktionshaus Stargardt (Berlin) zu verkaufen. Dr. Bodendorff bezog sich auf meine Frage nach seiner Preisvorstellung auf Ergebnislisten von Stargardt. Dr. Bodendorff arbeitete (auch) in der Musiksammlung der Wienbibliothek über Franz Schubert‐Autographen, wo Sammlungsleiter Dr. Aigner bereits bei meinem Anruf im März 2008 davon ausging, dass die von Dr. Bodendorff angebotenen Skizzen aus der Musiksammlung entwendet wurden. Wie mir Norbert Rubey am 20. April 2010 auf Anfrage telefonisch mitteilte, habe Dr. Hilmar nach Beschlagnahme der Autographen durch die Kölner Staatsanwaltschaft bei einer polizeilichen Vernehmung zugegeben, mir die Kopien der angebotenen Aschenbrödel‐Skizzen (November 2009) aus Klagenfurt geschickt zu haben. Im November 2009 hatte mir Dr. Bodendorff gemailt, dass sich die Autographen nicht mehr bei ihm, sondern bei einem österreichischen Auktionshaus befänden, von dem sie im Frühjahr 2010 versteigert werden sollten. Ich würde die gewünschten Kopien sämtlicher Autographen direkt vom Auktionshaus zugeschickt bekommen.

Das erste Angebot von Dr. Bodendorff

Bei seinem ersten Angebot der Autographen (27. Februar 2008 an Albrecht Tauer Kulturamt Coburg) wusste Dr. Bodendorff nicht, zu welchem Werk von Johann Strauss die auf jeder der neun Seiten hs. mit „Drehorgel“ bezeichneten Donauwalzer‐Partiturskizzen gehören:

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Mail von Dr. Bodendorff an Albrecht Tauer 27. Februar 2008:

„Lieber Herr Tauer, ich habe erfahren, daß Sie für die Belange der Johann Strauß Gesellschaft verantwortlich zeichnen und wende mich deshalb an Sie. Bei mir zu Hause liegen einige Strauß‐Autographe, die ich gerne veräußern möchte. Es handelt sich hierbei um mehrere mit Bleistift geschriebene Partiturskizzen, unter anderem auch vom berühmten Thema des Donau‐Walzers und anderen (Operetten‐)Werken. Ob es sich bei dem in der Partitur großzügig angelegten Thema um eine Frühfassung handelt oder ob diese in eine andere Komposition hätte miteinfließen sollen, kann ich nicht sagen. Hätten Sie eventuell Interesse daran? Wenn ja, kann ich Ihnen einige Kopien zukommen lassen.“

Albrecht Tauer leitete das Angebot am 6. März an mich weiter:

„Sehr geehrter Herr Bodendorff, für die Deutsche Johann Strauss Gesellschaft bin ich nicht in der Vorstandschaft tätig. Ich leite die Kulturabteilung der Stadt Coburg und veranstalte das Johann Strauss Festival als auch jährlich die Neujahrskonzerte. Für die Deutsche Johann Strauss Gesellschaft ist sicherlich Ihr Angebot von großem Interesse. Ich habe mir daher erlaubt, Ihre E‐Mail an den 1. Vorsitzenden, Ralph Braun, […] weiterzuleiten. Ich hoffe, Sie erhalten von dort in irgendeiner Form eine Nachricht.“

Anbieter der Autographe laut Dr. Thomas Aigner „deutscher Mittelsmann meines in aller Stille wegen Diebstahls entlassenen Vorgängers“

Da Dr. Bodendorffs Antworten in unseren Telefonaten Verdacht in mir weckten, informierte ich umgehend Dr. Thomas Aigner als Leiter der Musiksammlung der Wienbibliothek. Als Dr. Aigner den Namen Bodendorff hörte, reagiert e er aufgebracht: „Dr. Bodendorff war der deutsche Mittelsmann meines in aller Stille wegen Diebstahls entlassenen Vorgängers. […] Ein Beweis, dass die Aschenbrödel‐Autographen aus der Bibliothek entwendet wurden, ist sehr schwierig, da diese von der Bibliothek nicht inventarisiert wurden. […] In letzter Zeit sind im Berliner Antiquariat Dr. Werner Greve Bücher mit dem Stempel des IFSI aufgetaucht.“

Am 7. Juni 2008 übergab ich Dr. Aigner anlässlich eines von der tschechischen Johann Strauss Gesellschaft in Slavkov/Austerlitz veranstalteten Strauss‐Symposions die mir von Dr. Bodendorff zugesandten Kopien einer Auswahl der von ihm angebotenen Autographen. Zu meiner Verwunderung sagte mir Dr. Aigner daraufhin, dass die Wienbibliothek in dieser Angelegenheit vorerst leider nichts unternehmen könne. 10

Ein Jahr später, am 26. Juni 2009, zwei Tage vor Beginn des Coburger Johann Strauss Musikfestival 2009 und zweieinviertel Jahre nach dem Eingang der Aschenbrödel‐Skizzen in der Landesbibliothek Coburg, erhielt ich folgende Mail von Norbert Rubey:

„Sehr geehrter Herr Braun, nächsten Dienstag bin ich in Coburg, am Vormittag um 10.00 Uhr in der Landesbibliothek bei Herrn Mechthold, am Nachmittag um 15.00 Uhr freue ich mich auf Ihren Vortrag "Operette im Wandel". Ja, und vielleicht erlaubt es Ihre Zeit, dass wir uns am Dienstag auch kurz zu einem persönlichen Gespräch zusammensetzen. Ich würde mich sehr freuen!

Was mich weiters interessiert: Hörten Sie noch etwas von den Strauss‐Skizzen, die Ihnen Herr Dr. Werner Bodendorff im März 2008 zum Kauf angeboten hat? Haben Sie alle in Kopie? Hat Herr Bodendorff verkauft?

Sie erreichen mich heute bis 15.00 Uhr in der Wienbibliothek, am Wochenende bis Sonntag nachts unter den angegebenen privaten Adressen.“

Bei meinem Rückruf erfuhr ich von Dr. Aigner und von Norbert Rubey, dass Norbert Rubey auf den der LB‐Coburg überlassenen von der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek nicht inventarisierten Aschenbrödel‐Skizzen Ziffern von der Hand Prof. Fritz Raceks (früherer Leiter der Musiksammlung der WStuLb, gest. 1975) entdeckt hatte, welche beweisen würden, dass die Coburger Strauss-Manuskripte zum Bestand der Wienbibliothek gehören. Am 30. Juni über- gab die Leiterin der Landesbibliothek Coburg (Dr. Sylvia Pfister) dem hierzu dienstlich nach Coburg gereisten Norbert Rubey die der Coburger Bibliothek 2007 überlassenen Autographe.

Infolge der Anfrage von Norbert Rubey nahm ich erneut Kontakt zu Dr. Bodendorff auf und erkundigte mich, ob die Autographen inzwischen verkauft worden wären. Nach längerer Zeit erhielt ich Antwort. Dr. Bodendorff teilte mir im November 2009 mit, dass er die Autographen an ein österreichisches Auktionshaus geschickt habe, welches die Partiturskizzen angeblich Anfang 2010 versteigern wolle. Zu welchem Strauss‐Werk die Skizzen gehören, erwähnte Dr. Bodendorff immer noch nicht, nur, dass der Donauwalzer in einem Ballett (.J Strauss komponierte nur ein Ballett: Aschen brödel) ver wende t worden wäre und dass er „herausbekommen“ habe, dass „unter den Skizzen die letzten handschriftlichen Äußerungen von Strauß sein sollen“ (auch in Objektbeschreibung im Auktionskatalog erwähnt). Dies kann nur jemand wissen, der den Nachlass von Johann Strauss genau kennt. Dies sind Dr. Hilmar, Dr. Aigner und Norbert Rubey, ev. Prof. Linke. Woher kann Dr. Bodendorff behaupten: „teilweise lückenlos durchpaginiert von Johann Strauß“? Kann Dr. Bodendorff die Handschrift (Paginierungsziffern) von Johann Strauss identifizieren? Woher weiß Dr. Bodendorff, dass die von ihm angebotenen Strauss–Autographen der „größte zusammenhängende Konvolut von Strauss […], der in den letzten Jahren aufgetaucht ist“ ist.

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19.November2009 „LieberHerrBraun, entschuldigen Sie bitte, daß es so lange dauert. Ich hatte nämlich vor einiger Zeit die AutographenachÖsterreichgeschickt,weilsicheinAuktionshausdafürinteressiert.Undda dauerte es auch etwas länger mit den Kopien. Diese sind nun 1:1 kopiert worden und befindensichaufdemWegzumir.IchwerdesieIhnenpostwendendzusenden,sobaldich siehabe. Wiedamalsvermerkt,handeltessichhierbeium31Blätter(also62Seiten)handschriftliche Notenskizzen und Entwurfspartituren mit Bleistift, teilweise lückenlos durchpaginiert von JohannStrauß.DarunterbefindetsichauchdasThemadesWalzersAnderschönenblauen Donau,denStraußineinemBallettmitderDrehorgelverwendete.IndiesemBallettwollte er offenbardas bekannte Thema nochmals in den Mittelpunkt stellen.Es sollen darunter, was ich bislang herausbekommen habe, die letzten handschriftlichen Äußerungen von Straußsein. BeidenmeistenBlätternhandeltessichu.a.umdas24zeiligesNotenpapiervon"J.E.&Co." auf dem typischen Löwenwappen mit der Unterzeile "Protokoll. / Schutzmarke No. 8 / 24linig",aberaucheinigeSeitenmit12zeiligemNotenpapier.ZumPreis:Ichhattesiedort für22.000 €angeboten.DaswäreproSeiteetwa700€ fastgeschenkt.Esistimmerhin auch der größte zusammenhängende Konvolut von Strauß, der in den letzten Jahren aufgetauchtist. NächsteWochehabenSiedieKopieninHänden.IchmaileIhnen,wennichsieverschickt habe.“ 19.November2009 „LieberHerrBraun, einleidigesÜbermittlungsundVerständigungsproblemausÖsterreichhatdenPreiszusehr indieTiefegezogen. DerPreisistnicht22.000€,sonderndieVerhandlungsbasisbeläuftsichauf29.000€.Das sind935€proSeite.Tutmirleid,aberetwasSpielraumwollenwirdochhaben.Bedenken Sie,essindvermutlichdieletztenSkizzenvomgutenaltenJohann. Ichmeldemichumgehend,wenndieKopiendasind.“ 23.November2009 „LieberHerrBraun, mitheutigerPostgehen(leidernursechsSeiten,inÖsterreichistmanwohlgeizig)Kopien derAutographeinRichtungCoburg.Ichhoffe,eswirdausreichen,siesehenaberdafürgut ausundesistauchdasallbekannteDonauThemadabei.“ 23.November2009 „SehrgeehrterHerrBodendorff, vielenDankfürIhreNachricht.IchbinabMittwochwiederinCoburg.Eswürdealsoauch reichen,wennSiesieerstmorgenabschicken. 12 Das Auktionshaus müsste Ihnen doch, wenn Sie es wünschen, einen kompletten Satz Kopien senden, da Sie doch der Einlieferer sind. Ich finde, es sieht schon ein wenig komisch aus, wenn es sich um einen Kaufpreis von 30.000 Euro handelt und ich nur sechs Seiten vorweisen kann.“

Kuvert, in welchem Ralph Braun am 23. November 2009 6 Seiten Partiturskizzen aus Plön von Dr. Bodendorff geschickt wurden.

24. November 2009 „Lieber Herr Braun, wie recht Sie doch haben. Ich habe mich auch gewundert. Wenn Sie es wünschen, würde ich die Damen und Herren noch einmal bitten, mir den vollen Satz zu schicken. […]“

25. November 2009 „Lieber Herr Braun, ich [habe] dort nochmals angerufen und meiner Verwunderung Luft gemacht. Die Kopien ‐ alle ‐ werden nun direkt an Sie geschickt. Ich hoffe, diese werden noch in dieser Woche eintreffen. Vielleicht klappt's noch dieses Jahr? Es wäre nicht schlecht, da die Autographe kommendes Jahr in den Katalog aufgenommen würden.“

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„i.A.vonDr.BodendorffPlön“Kuvert,inwelchemRalphBraundieKopienderihm2008von Dr.BodendorffangebotenenAschenbrödelSkizzenam25.November2009ausKlagenfurt WohnortvonDr.Hilmargeschicktwurden

DieNeuePresseCoburgberichteteam13.November2010: „DochnachanfänglicherAufregunginWiendrohendieErmittlungengegendenDiebund seinen‚Verkäufer‘eingestelltzuwerden.DerDiebstahlausder‚WienbibliothekimRathaus‘, die die weltweit größte Handschriftensammlung von Johann Straus s Sohn beherbergt, im Jahr1994isteventuellverjährt,nichtaberderT atbestandderHehlerei.[…]

DieKölnerStaatsanwaltschaftnimmtdieErmittlungenfünfTagenachdemBerichtderNP (10.Juni2010)auf.NacheinigemHinundHerzwischendenBehördeninKöln,Coburgund Kiel liegt die Akte nun in Köln ‚auf Frist‘. Das bedeutet, dass man auf neue Ermittlungsergebnisse wartet – sei es um ein Hauptverfahren gegen den Verdächtigen zu eröffnen,oderumdieAktezuschließen. Das Problem beim Vorwurf der Hehlerei bestehe im ‚Anfangsverdacht‘, also darin, einem VerdächtigenVorsatznachzuweisen,erklärtderPressesprecherderStaatsanwaltschaftKöln, TinoSeesko.Nurwennjemandweiß,dasserDiebesgutbesitzt,könnederWeiterverkauf– oderderVersuch–alsHehlereiverfolgtwerden.[…] Auch in der österreichischen Hauptstadt laufen die Ermittlungen offenbar eher zäh, doch einesscheintklar:DassdieWienbibliothekdieStraussNotenskizzensoschnellundeinfach zurückbekommt, wie ihr Handschriftenexperte hofft, ist nicht sicher. ‚In einem Strafverfahren, wenn es denn zu einem kommt, werden nicht die Eigentumsverhältnisse geklärt‘, betont der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Thomas Vecsey. Die Wienbibliothek müsstealsoinjedemFalleinZivilverfahren gegendenAnbieteranstrengen, sonstgehendieDokumenteanihnzurück.[…] 14 Anfang April [2010] fuhr Dr. Thomas Aigner, der Leiter der Musiksammlung der Wienbibliothek, zusammen mit einem Experten aus dem eigenen Haus und einem Kriminalbeamten nach Köln, um die Blätter in Augenschein zu nehmen. Im Gepäck: eigens von der Ausfuhrsperre befreite Strauss‐Autographen zwecks Beweiserbringung. Für Aigner ist nach dieser Dienstreise klar, dass die Notenseiten zum Bestand der Wienbibliothek und dahin zurück gehören. ‚Aber wir brauchen einen Gerichtsbeschluss.‘ Eine Zivilklage will Aigner damit aber nicht angekündigt wissen, lieber formuliert er so: ‚Wir halten uns alle Möglichkeiten offen.‘ Zur polizeilichen Aussage seien er und seine Mitarbeiter noch nicht geladen worden, erklärt der Sammlungsleiter weiter.“

2. Juni 2007 Dr. Hilmar besucht von Dr. Bodendorff geleitetes Konzert in Plöner Schule

Am 2. Juni 2007 besuchte Dr. Hilmar das von Dr. Bodendorff geleitete Sommerkonzert des „Symphonischen Orchester Plön“ in der „Aula am Schiffsthal“ (Plön). Das Programm dieses Konzertes endete mit dem Walzer „An der schönen blauen Donau“. Musikwissenschaftler Dr. Michael Struck (Univ. Kiel), Leiter der Forschungsstelle Kiel der „Johannes Brahms Gesamtausgabe“, war ebenfalls Konzertgast und traf dort Dr. Hilmar, welchen er von seinen Brahms‐Forschungen in der WStuLb her kennt. Dr. Bodendorff habe Dr. Struck erzählt, dass Dr. Hilmar Bodendorff wiederholt in Plön besucht habe. Dr. Bodendorff habe sich um Mitwirkung bei der Johannes Brahms Gesamtausgabe bemüht.

Befanden sich die 61 Seiten 2008 und 2010 von Dr. Bodendorff angebotenen autographen Johann Strauss‐Partiturskizzen, darunter neun mit dem ausführlich ausgeführten Hauptmotiv des im Sommerkonzert aufgeführten Walzers „An der schönen blauen Donau“, zur Zeit dieses Plöner Konzertes bereits in Dr. Bodendorffs Besitz? Bezüglich dieser Skizzen konnte Dr. Bodendorff neun Monate später im Februar 2008 noch nicht sagen, „ob es sich bei dem in der Partitur großzügig angelegten Thema um eine Frühfassung [des Donauwalzers] handelt“ (s. S.9)? In der Konzertankündigung der Kieler Nachrichten vom 23. Mai 2007, welche berichtete: „Als krönender Abschluss des Konzertes erklingt der berühmte Walzer ‚An der schönen blauen Donau‘. ‚Wir lassen für die beiden Konzerte auch extra eine Harfe aus Süddeutschland kommen‘, um den Klang unseres Orchesters zu verstärken‘, ergänzt Peter Schmidt und hofft auf regen Zuspruch von Kulturinteressierten“, und im Text über den Walzer „An der schönen blauen Donau“ im Programblatt des Konzertes hätte sich ein Hinweis auf die im Besitz des Dirigenten des Laienorchesters befindlichen neun Seiten autographe Donauwalzer‐Partiturskizzen angeboten.

Konzertankündigung der Kieler Nachrichten 23. Mai 2007 u. Konzertprogramm: http://www.symphonisches‐orchester‐ ploen.de/media/archiv/2007/01_sommerkonzert/articles/sf_23_05_07.jpg http://www.symphonisches‐orchester‐ ploen.de/media/archiv/2007/01_sommerkonzert/SOP_Folder_Juni_2007.pdf)

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Drei Monate vor diesem Konzert hatte eine Person mit dem offenbar fingierten Namen „Prof. Heinrich Müller“ der Landesbibliothek Coburg 42 Seiten Johann Strauss‐Aschenbrödel‐ Partiturskizzen ohne Auflagen zur freien Verfügung geschickt.

Ein halbes Jahr nach dem Plöner Sommerkonzert, im Dezember 2007, veröffentlichte die Zeitschrift „Das Orchester“ eine Besprechung Dr. Bodendorffs über die neu erschienene „Hugo Wolf Enzyklopädie“ Ernst Hilmars.

Anfang März 2008 wurden mir von Dr. Bodendorff 61 Seiten Johann Strauss‐Autographe incl. der neun Seiten Donauwalzer‐Skizzen angeboten.

Dr. Bodendorff nennt auf seinem von ihm eingestellten aktuellen facebook‐Profil unter „Interessen“ neun Komponisten, Franz Schubert nicht. Über Schubert publizierte er zuletzt 2005/2006 – „Plön, im Winter 2005“: „Franz Schubert Die Texte seiner einstimmig und mehrstimmig komponierten Lieder und ihre Dichter Bd. III Die Texte der mehrstimmigen Lieder gesammelt und herausgegeben von Werner Bodendorff“ Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York, 2006

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Januar1988:lautProf.FranzM ailer„AllianzLinke/Hilmar“ 1987 war Norbert Linkes Buch „Musik erobert die Welt / Wie die Familie Strauß die ‚Unterhaltungsmusik‘revolutionierte“erschienen.Seinehierinvertretenenaufdetaillierter Kenntnis der Johann StraussBestände imB esonderen der StraussSkizzenbücher der Wiener Stadt und Landesbibliothekfußenden Thesen über das „kollektive Komponierverfahren“ der Sträusse, auf welche sich Prof. Mailer in einem Brief an ein damaliges Vorstandsmitglied unserer Gesellschaft vom Januar 1988 (auch) bezog, hatten sehrheftigedenThesenvonProf.LinkewidersprechendeReaktionenhervorgerufen.

Prof.FranzMailerJanuar1988: „[…] Dieser Herrl Linke egt es offenbar stei ts auf zwe Dinge a n : auf Ad nbie erung und Selbstbeweihräucherung.UmunsereGesellschafthierinWienmachtereinenweitenBogen. Dabeihilftesihm,daßwir(Dr.[Eduard]Straussundich)einenKonfliktgeerbthaben.Frau RosenberghatsichmitDr.Hilmarzerstritten.SiewarzwarimRecht,aberDr.Hilmarsitztin der Stadtbibliothek und damit an einer wissenschaftlichen Quelle. Nun hat sich also eine Allianz Linke/Hilmar herausgebildet. So weit, so gut. Jeder soll sehen, wo er bleibt. Gemeinsam setzen die Beiden die Arbeit unserer Gesellschaft [Johann Strauss Gesellschaft Wien]herab.IchhabedavonzufälliganzweiStellenerfahren,daruntereinmalbeiseinem VerlegerDr.Schneider.[…]NunkommtHerrDr.LinkemitseinenProvokationen.Beimirhat er ja meistens Pech: wenn er wieder so eine These aufstellt, genügt der Hinweis auf die wahre Sachlage. Natürlich weiß er, daß ich weiß, welche Dummheiten in seiner rororo BiographiestehenundnunauchinseinemBuch.AberergehtgleichsamzumGegenangriff über:erwillmichaufFehlerinmeinenPublikationenaufmerksammachen.[…]“ 1991wurdeArthurKullingzum1.VorsitzendenderDeutschenJohannStraussGesellschaft gewählt und löste damit Prof. Linke ab (s. Artikel „35 Jahre DJSG“). 1992 erschien Prof. Linkes Buch „Es musste einem was einfallen“ über die kompositorische Arbeitsweise der Sträusse und Lanners (Wiener Stadt und Landesbibliothek, „Schriftenreihe zur Musik Herausgegeben von Ernst Hilmar“, Schneider, Tutzing). Im Unterschied zu Prof. Linkes 1987 erschienenem Buch „Musik erobert die Welt“, welches kein Register und keine Quellenangaben enthält, sind in „Es musste einem was einfallen“ ein Register und Quellennachweisevorhanden. ZweiWienerJohannStraussForschungsschienen DerBriefvonProf.Mailerzeigtt dieEntstehungderbisheutebes ehend enzweiSchienender WienerStraussForschung.Dr.EduardStrausswarvon1987bis1991PräsidentderJohann StraussGesellschaftWien.1992wurdeProf.MailerzumPräsidentenderJSGWiengewählt. 1995wurdeEduardStraussObmanndes„WienerInstitutfürStraussForschung“undistes bisheute.Seit1994–JahrderSuspendierungvonErnstHilmarleitetNorbertRubeyalle wissenschaftlichenProjektedesWISF.

17 Die zwei Wiener Strauss‐Forschungsschienen:

• von Dr. Ernst Hilmar begründetes „Wiener Institut für Strauss Forschung“ WISF mit den Hauptprojekten:

Doblingers Johann Strauss Gesamtausgabe in Zusammenarbeit mit dem Wiener Institut für Strauss‐Forschung, Partitur und Stimmen, Verlag Doblinger, Wien.

Strauss‐Elementar‐Verzeichnis (SEV), thematisch‐bibliographischer Katalog der Werke von Johann Strauss (Sohn), Verlag Schneider, Tutzing.

Strauss‐Allianz‐Verzeichnis (SAV), thematisch‐bibliographischer Katalog der Werke von Johann Strauss (Vater), , Eduard Strauss und Johann Strauss (Enkel), Verlag Schneider, Tutzing.

“, Mitteilungen des Wiener Instituts für Strauss‐Forschung, Verlag Schneider, Tutzing.

Seit 2004 jährlich stattfindendes Symposion „Tanzsignale“

Prof. Norbert Linke ist bis heute im Vorstand des WISF.

• „Johann Strauss Gesellschaft Wien“ (von 1992 bis 2005 Präsident Prof. Franz Mailer) mit den Hauptprojekten:

„Neue Johann Strauss Gesamtausgabe“ laut website der JSG‐Wien: „hergestellt von der ‚Strauss Edition Wien‘ (Alexander Hermann) unter der Patronanz der Wiener Philharmoniker in Kooperation mit der Johann Strauss‐Gesellschaft Wien“

Johann Strauss Gesamtaufnahme

Johann Strauss Biographie 10 Bände Franz Mailer „Johann Strauss Leben und Werk in Briefen und Dokumenten“ Schneider, Tutzing

Zwei parallel erscheinende Johann Strauss Gesamtausgaben: Doblingers Johann Strauss Gesamtausgabe – Neue Johann Strauss Gesamtausgabe Monopolstellung der NJSGA bei den Wiener Philharmonikern und der Staatsoperette Dresden – wissenschaftliche und finanzielle Aspekte

Das WISF setzt die von der „Johann Strauss Gesellschaft‐Wien“ unter der editorischen Leitung von Prof. Fritz Racek ab 1967 herausgegebene „Doblinger Johann Strauss Gesamtausgabe“ fort, während ‐ nach Kündigung des Vertrages zwischen Doblinger und der JSG‐Wien seitens der JSG‐Wien unter Franz Mailer im Jahr 1994 ‐ seit 1995 die „Neue Johann Strauss Gesamtausgabe“ (Strauss‐Edition Wien) entsteht, welche bei den Wiener 18

Philharmonikern und an der Staatsoperette Dresden (Johann Strauss‐Operetten‐ Wiederentdeckungen) unter ihrem österreichischen Chefdirigenten Ernst Theis eine Monopolstellung besitzt. Man musiziert bei den Wiener Philharmonikern laut Prof. Franz Mailer und in Dresden laut Ernst Theis ausschließlich aus den urheberabgabenpflichtigen wissenschaftlichen Ausgaben der „Strauss‐Edition Wien“. Bei der enorm hohen weltweiten jährlichen Zuschauerzahl des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker neben dem musikwissenschaftlichen auch ein nicht unerheblicher finanzieller Aspekt. Von 1994 (CD‐ booklet Neujahrskonzert Ricardo Muti) bis 2005 (Lorin Maazel) beliefen sich Schätzungen auf jährlich weltweit 1,2 Milliarden Zuschauer. 2009 (Daniel Barenboim) wurden vom ORF 41 Millionen und 2010 (Georges Prétre) 45 Millionen Zuschauer genannt.

Bei den diesjährigen vom WISF veranstalteten und von Norbert Rubey konzipierten „Tanzsignalen“ wies Rubey in seinem Referat „Strauss‐Interpretation nach dem Verständnis des Notentextes zeitgenössischer Musikhandschriften und Notendrucke“ auf Notentextfehler bei der Interpretation von Johann Strauss‐Werken durch die Wiener Philharmoniker und damit indirekt auf Fehler in den wissenschaftlichen Ausgaben der „Neuen Johann Strauss Gesamtausgabe“ hin. Der alleinige Herausgeber der „Strauss Edition Wien“, Prof. Michael Rot, ist auch alleiniger Herausgeber der im selben Verlag wie die „Strauss Edition Wien“ (Verlagsgruppe Hermann) erscheinenden wissenschaftlichen „Edition Meisterwerke“ (ausgewählte Werke des Opern‐ und Konzertrepertoires: u.a. Carmen, Falstaff, Boris Godunow, Grand Duchess de Gérolstein) http://www.strauss.at.

„Allianz Li nke/Hi l mar“

In Vorbereitung seiner Johann Strauss‐Publikationen hatte Prof. Linke sieben Monate täglich in der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek in die dort verwahrten Johann Strauss‐Bestände Einsicht genommen. Bis heute forscht er dort. Um diese Forschungen zu betreiben, hält er sich neben seinem Wohnsitz in Borken/Westfalen seit damals bis heute eine Wohnung in Wien. Norbert Linke bezieht sich in „Musik erobert die Welt“ (1987) und in seinem Aufsatz „Strauß der Zweifler, der Überwinder, der Entdecker“ (Ausstellung „Unter Donner und Blitz“, Wien 1999) auf die Johann‐Strauss‐Skizzenbücher, z. T. Bestandteil der Sammlung Strauss‐ Meyszner. Unter Bezugnahme auf diese Skizzenbücher hatte er seine für die Strauss‐Welt sehr provozierenden Thesen über die Johann Strauss‐Operetten‐Entstehung aufgestellt: „Strauss brauchte für seine Operetten nicht neue Melodien zu erfinden: Er konnte auf seinen Vorrat zurückgreifen. [Richard] Genée konnte aus diesem Vorrat das auswählen, was er benötigte. Aus derartigen Melodie‐Sammlungen (Skizzenbüchern) wurden nicht weniger als 16 musikalische Bühnenwerke zusammengestellt. Bei diesem Verfahren waren Libretto und Gesangstext nachrangig beziehungsweise austauschbar. Da Strauß keine eigenen (textierbaren) Operetten‐Einfälle schuf, handelt es sich eigentlich um Tanzmelodien, die nachträglich textiert wurden. Über die Hälfte der [Strauss’schen] Bühnenwerke (mindestens neun) sind von Richard Genée zusammengestellt. Strauss half jeweils nur assistierend mit, lieferte allerdings den Hauptteil der Melodien.“ 19

Aus einem dieser Skizzenbücher seien laut Prof. Linke zahlreiche Seiten herausgetrennt gewesen (s.o.). Neue Presse Coburg 13.11.2010: „Nach Auskunft vom damaligen Leiter der Musiksammlung, Dr. Ernst Hilmar, hätte es dafür öfter Anfragen von Seiten der Stadt Wien gegeben. Die wollte hochrangige Gäste mit ‚verzichtbaren‘ Autographen beschenken“, so Linke. Von Gästen aus Japan und den USA sei die Rede gewesen.“

Laut Prof. Linke (was Dr. Rita Steblin bestätigt) habe sich im Büro von Dr. Hilmar ein privater Safe befunden. In diesem Safe habe Dr. Hilmar u.a. die 1948 erstellte Bestandsliste der Sammlung Strauss‐Meyszner (mit der Erwähnung der 611 Seiten „Aschenbrödel“‐Skizzen) verwahrt. Auf diese Inventarliste vom November 1948 muss sich Dr. Mattl‐Wurm in ihrer im September dieses Jahres in der „Österreichischen Musikzeitschrift“ erschienenen Replik auf einen Artikel von Frieder Reininghaus beziehen.

Dr. Mattl‐Wurm wird in der Kronen Zeitung ihrer eigenen Darstellung in der ÖMZ widersprechend zitiert

„Daß das von der Wienbibliothek verwahrte und 1994 mit 480 Seiten gezählte sogenannte ‚Aschenbrödel‘‐Konvolut ursprünglich 611 Seiten umfasste, stellte sich erst Anfang des neuen Jahrtausends bei der Durchsicht alter Akten heraus. Von einem Fehlbestand von ‚wenigstens 600 Blättern‘ kann also keine Rede sein. Ein konkreter Diebstahlsverdacht lag damals übrigens nicht vor.“

Mit diesen Worten reagierte Dr. Mattl‐Wurm in der ÖMZ (9/2010) auf Frieder Reininghaus‘ Artikel „Johann Strauss auf Irrfahrt“ (ÖMZ 7/8/2010). Dr. Mattl‐Wurm widerspricht in dieser Replik ihrer Darstellung vom 10. Juni 2010 gegenüber der Wiener „Kronen Zeitung“ am Tag nach der überraschenden Veröffentlichung der dpa‐Pressemeldung über den Strauss‐ Autographendiebstahl: „1994 war das Fehlen der [Aschenbrödel‐]Partitur vermerkt, aber nicht angezeigt worden. Mein Team und ich sind erst seit 2004 verantwortlich.“

Dr. Thomas Aigner ist seit März 2000 Leiter der Musiksammlung.

Kronen Zeitung 11. Juni 2010 20

Wie kann die laut Dr. Mattl‐Wurm 1994 (bei der Gesamtrevision der Musiksammlung der WSTuLB) als fehlend vermerkte „Leinenmappe“ mit den Aschenbrödel‐Partiturskizzen bei dieser Revision zur selben Zeit mit 480 Seiten gezählt worden sein?

Bei der in Zusammenhang mit der Suspendierung von Dr. Hilmar durchgeführten Revision konnte man seitens der Rathausbibliothek laut Bibliothekskatalog nicht wissen, dass es eine Aschenbrödel‐Mappe der Rathausbibliothek gab, da diese Mappe der Sammlung Strauss‐ Meyszner nicht inventarisiert (katalogisiert) und bereits Jahre zuvor auf Anordnung des damaligen Musiksammlungsleiters Prof. Dr. Fritz Racek beiseitegelegt worden war, wie es mir Norbert Rubey Ende 2009 erzählte. Laut unseres Ehrenmitgliedes Prof. Christian Pollack, der sich zur Direktionszeit des mit ihm gut bekannten Prof. Racek (gest. 1975) für das Aschenbrödel‐Material interessierte, war dieses damals wie auch die gesamte Sammlung Strauss‐Meyszner gesperrt. Dr. Hilmar wusste wohl aus der Zeit seiner Zusammenarbeit mit Prof. Racek von der Aschenbrödel‐Mappe. Außerdem verwahrte Dr. Hilmar laut Prof. Linke die Bestandsliste der Sammlung Meyszner von 1948 in seinem privaten Safe im Büro. Auch Dr. Aigner und Norbert Rubey, die schon 1990 mit Dr. Hilmar zum Thema Johann Strauss eng zusammenarbeiteten (1990 1. Band Strauss Elementar‐Verzeichnis SEV Werkverzeichnis, Herausgeber Dr. Ernst Hilmar, Mitarbeiter Thomas Aigner, Norbert Rubey) dürften von der Existenz der Aschenbrödel‐Mappe gewusst haben. Die Aussage von Dr. Mattl‐Wurm vom 11. Juni 2010 gegenüber der Kronen‐Zeitung, dass man 1994 die (nicht inventarisierte Mappe) „Partitur“ als fehlend vermerkte, deutet hierauf, da man ohne Inventarisierung von ihrer Existenz wusste, aber sie nicht gefunden hatte.

Dr. Mattl‐Wurm ÖMZ 9/2010: „2007 wurden der Landesbibliothek Coburg von einer Person mit dem offenbar fingierten Namen ‚Prof. Heinrich Müller‘ Strauss‐Skizzen im Umfang von 42 Seiten ohne Auflagen zur weiteren Verfügung zugesandt. Die Wienbibliothek, von den Coburgern informiert, konnte den Nachweis erbringen, dass es sich um Material aus ihrem Besitz handelt, und erhielt die Blätter ausgefolgt.“

Die Wienbibliothek wurde 2007 von der LB‐Coburg über den Fall informiert und Kopien der nicht inventarisierten Partiturskizzen wurden aus Coburg nach Wien geschickt. Zwei Jahre später, am 30. Juni 2009, konnte der Eigentumsnachweis durch Norbert Rubey in Coburg gegenüber der LB‐Coburg erbracht werden. Rubey wurden daraufhin die Autographen übergeben.

Dr. Mattl‐Wurm ÖMZ 9/2010: „Die Nachforschungen, die sich wegen des fehlenden inneren Zusammenhangs des Materials äußerst zeitaufwendig gestalteten, waren so gut wie abgeschlossen, als der Verkäufer das Material plötzlich zur Auktion in Köln einbrachte und sich Polizei und Denkmalamt einschalteten. Die Wienbibliothek machte umgehend ihren Eigentumsanspruch geltend, woraufhin erst die Polizei für die Sicherstellung der Autographe sorgen konnte.“ 21

In beiden Fällen – den der LB‐Coburg 2007 überlassenen und dem der mir 2008 angebotenen Autographen ‐ handelte es sich in der Hauptsache um Aschenbrödel‐ Partiturskizzen. Der vermutete Dieb und der von Dr. Aigner als „deutscher Mittelsmann“ des vermuteten Diebes genannte Anbieter waren Dr. Aigner und Norbert Rubey seit vielen Jahren bekannt. Im November 2009 erfuhr Norbert Rubey infolge seiner Anfrage vom Juni 2009 von mir, dass die Strauss‐Autographen im Frühjahr 2010 versteigert werden sollten. Anfang Dezember 2009 erhielt die Wienbibliothek (Norbert Rubey) von mir die mir Ende November 2009 aus Klagenfurt zugesandten Kopien der Autographen und meinen kompletten Mailwechsel mit Dr. Bodendorff. Da ich bei den Kopien für die Wienbibliothek einige Seiten irrtümlich nicht mitgeschickt hatte, übergab ich Dr. Eduard Strauss, der mir bei dieser Gelegenheit auch über die wiedergefundene Aschenbrödel‐Mappe berichtete, anlässlich des Coburger Neujahrskonzertes am 6. Januar 2010 in Coburg einen nun kompletten Satz Kopien für Norbert Rubey für die Wienbibliothek.

Dr. Mattl‐Wurm ÖMZ 9/2010: „Im Zuge eines Lokalaugenscheins in Köln durch Mitarbeiter der Wienbibliothek konnten weitere Nachweise erbracht werden, dass es sich um aus dieser Institution entwendetes Material handelt.“

Terminwiderspruch bezüglich des Diebstahlsbeweises – „Durchsicht alter Akten“

Neue Presse Coburg 13. November 2010 „Spurensuche im Strauss‐Krimi“:

„Das Kölner Auktionshaus hatte die für 26. März vorgesehene Versteigerung der 61 Notenseiten am 18. März mit der Begründung zurückgezogen, es handle sich „nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Wien“ um 1994 aus dem Bestand der Wienbibliothek gestohlene Autographen. Doch in diesem Blickwinkel wurde bisher gar nicht ermittelt. Erst zwei Wochen später, Anfang April, fuhr Dr. Thomas Aigner, der Leiter der Musiksammlung der Wienbibliothek, zusammen mit einem Experten aus dem eigenen Haus und einem Kriminalbeamten nach Köln, um die Blätter in Augenschein zu nehmen. Im Gepäck: eigens von der Ausfuhrsperre befreite Strauss‐Autographen zwecks Beweiserbringung. Für Aigner ist nach dieser Dienstreise klar, dass die Notenseiten zum Bestand der Wienbibliothek und dahin zurück gehören. ‚Aber wir brauchen einen Gerichtsbeschluss.‘ Eine Zivilklage will Aigner damit aber nicht angekündigt wissen, lieber formuliert er so: ‚Wir halten uns alle Möglichkeiten offen.‘ Zur polizeilichen Aussage seien er und seine Mitarbeiter noch nicht geladen worden, erklärt der Sammlungsleiter weiter. Man habe Unterlagen zur Ermittlung eingereicht.“

Zu Dr. Mattl‐Wurm „Bei der Durchsicht alter Akten“ ÖMZ 9/2010: Hiermit wird sich Dr. Mattl‐Wurm auf die 1948 erstellte Bestandsliste der Sammlung Strauss‐ Meyszner bezogen haben, welche Dr. Hilmar laut Prof. Linke im privaten Tresor im Büro verwahrte. Unter Nr. 6 ist in dieser Inventarliste aufgeführt: „Aschenbrödel, Ballett,

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Partiturskizzen (Bleistift) 611 88, in Leinenmappe“. Handelte es sich bei der „Durchsicht alter Akten“ um die ab 1999 von der WStuLb durchgeführte Überprüfung der Inventare der Sammlung Strauss‐Meyszner? Wenn ja, warum nennt Dr. Mattl‐Wurm diese seinerzeit von der internationalen Presse mit großem Interesse wahrgenommene Überprüfung nicht, welche zur Restituierung der Sammlung Meyszner und anschließendem Ankauf durch die Stadt Wien führte?

Erforschung der Erwerbungsgeschichte der 1939 abgenötigten Sammlung Strauss‐ Meyszner und Überprüfung ihrer Inventare in der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek infolge des 1998 beschlossenen Österreichischen Kunstrückgabegesetzes

Zu Dr. Mattl‐Wurms Terminierung „Anfang des neuen Jahrtausends“: Auf Nachfrage der NP‐Coburg (9. November 2010), wann genau der Fehlbestand entdeckt wurde, antwortete Dr. Mattl‐Wurm, sie habe alles in der ÖMZ gut zusammengefasst. Die Redakteurin Silke Spitzenpfeil möge es dort nachlesen. 1999 wurde die Sammlung Strauss‐Meyszner infolge des 1998 beschlossenen „Österreichischen Kunstrückgabegesetzes“, dem sich im April 1999 der Wiener Gemeinderat für den Bereich der Stadt Wien angeschlossen hatte, auf ihre Erwerbungsgeschichte (Abnötigung Juni 1939) durchforstet und die Inventare von der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek sowie vom Historischen Museum der Stadt Wien überprüft.

Die WStuLb hatte die Erwerbungsgeschichte der zwei großen Strauss‐Sammlungen in ihrem ersten, 1976 erschienenen Führer nicht korrekt dargestellt. Mag. Dr. Franz Patzer, ein Vorgänger von Dr. Mattl‐Wurm als Direktor der WStuLb, schrieb damals: „Seit 1937 war der Ankauf der großen Sammlungen Strauß‐Simon und Strauß‐Meyszner betrieben worden, aber erst 1952 konnte es zur Erwerbung kommen.“ Gemeint war die 1952 durch Vermittlung des 1939 nach New York emigrierten jüdisch/österreichischen Kunsthändlers Otto Kallir erreichte Vereinbarung mit den Erben der Sammlungen und der Stadt Wien. Die Sammlung Strauss‐Simon war 1939 auf Initiative der Gestapo beschlagnahmt, die Sammlung Strauss‐ Meyszner 1939 im Zuge der Arisierung von Johann Strauss Sohn auf Initiative der Gestapo abgenötigt worden. Die „Erwerbung“ von 1952 hatte bezüglich der Sammlung Strauss‐ Meyszner keinen bleibenden Bestand. Warum wurde die Aschenbrödel‐Mappe der Sammlung Strauss‐Meyszner nicht inventarisiert?

Im September 2000 wurde der „Wiener Rückstellungskommission“ der abschließende Bericht der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek über die Sammlung Strauss‐Meyszner durch die Bibliothek vorgelegt. Daraufhin empfahl die Rückstellungskommission im März 2001 die Restituierung der Sammlung an die Rechtsnachfolger der Erben, welche dann im Mai 2001 in einem formellen Akte erfolgte. Anschließend wurde der Bestand der Sammlung von einem von den Erben beauftragten Rechtsanwalt überprüft, die Sammlung in der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek belassen und auf Kosten der Stadt Wien versichert. Ankaufsverhandlungen wurden aufgenommen. Nach Erstellung eines Wertgutachtens durch das Londoner Auktionshaus Sotheby’s beschloss der Gemeinderat der Stadt Wien am 14. Dezember 2001 den Ankauf der Sammlung Strauss‐Meyszner für 73 Millionen Schilling (5,3 23

Millionen Euro). In einer Pressekonferenz im Wiener Rathaus am 31. Januar 2002 anlässlich des Ankaufs der Sammlung wurden die Skizzen zum Ballett Aschenbrödel als zum Inhalt der Sammlung Strauss‐Meyszner gehörend genannt. Wie ich im Dezember 2009 von Norbert Rubey erfuhr, hat man die auf Anordnung von Prof. Racek vor 1975 in der Wienbibliothek beiseitegelegte Aschenbrödel‐Mappe aber erst kürzlich wiedergefunden.

Während von der Stadt Wien in der Pressekonferenz Januar 2002 das Vorhandensein der Aschenbrödel‐Skizzen behauptet wurde, schrieb Prof. Michael Rot im Revisionsbericht der 2002 von ihm herausgegebenen Aschenbrödel‐Partitur, dass der Strauss’sche Nachlass zu Aschenbrödel versc hollen ist: „Zu seinem einzigen Ballett Aschenbrödel hinterließ Strauss nach seinem Tode mehrere autographe Partiturteile, die bis heute mit Ausnahme einer einzigen Seite verschollen sind.“

Prof. Michael Rot zog zur Erarbeitung seiner „Aschenbrödel“‐Partitur die Vollendungs‐ Fassungen von Josef Bayer (1899, 1901) sowie sämtliche Quellen in der Wienbibliothek im Rathaus (u. a. aus der Sammlung Strauss‐Meyszner) heran. 1994 waren laut Dr. Mattl‐Wurm 480 Seiten autographe Aschenbrödel‐Partiturskizzen gezählt worden. Warum hat man seitens der WStuLb Herausgeber Michael Rot diese Skizzen nicht genannt und vorgelegt? Weitere in der Rathausbibliothek verwahrte autographe Aschenbrödel‐Skizzen werden von Michael Rot im Quellennachweis genannt.

Dr. Sylvia Mattl‐Wurm ÖMZ 9 2010 „Stellungnahme zu ‚Johann Strauss auf Irrfahrt‘ “ Abb. mit freundlicher Genehmigung von Dr. Marion Diederichs‐Lafite ÖMZ

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Laut Prof. Rot ist die folgend abgebildete nur faksimiliert erhaltene Partiturskizze (A1) die „einzige erhaltene Partiturskizze von Strauss’ Hand, aus der einige [vier] Takte unverändert Eingang in das fertige Werk gefunden haben“: für Prof. Rot sind diese vier Takte demnach die autographe Basis von 504 Seiten quellenkritischen Notentextes der von ihm herausgegebenen Partitur.

Abbildung in Erich W. Engel Kalender: „Johann Strauss und seine Zeit“ Wien 1911 „Original im Besitz von Frau Johann Strauß“ ab 1930 Sammlung Strauss‐Meyszner „Er hinterließ nur den fast beendeten ersten Akt und eine große Anzahl von Skizzen.“

Peter Kemp schrieb 1980 anlässlich der von ihm initiierten Aschenbrödel‐CD‐Einspielung: „Laut Kollmanns Szenar sollte auch der 1867 geschriebene Walzer ‚An der schönen blauen Donau‘ im ersten Akt von einem Werkelmann als Rundtanz gespielt werden. Strauss 25 weigerte sich anfangs, gab aber schließlich nach; allerdings legte der Verlag, dessen Eigentum der Donauwalzer damals war, das Veto ein und es wurde nichts daraus. Schließlich wurde das Copyright‐Problem bei der Premiere durch ein freies, nicht einmal acht Takte langes Zitat gelöst.“ Dr. Bodendorff hat neun von Johann Strauss durchpaginierte Partiturskizzen zum Drehorgel‐Donauwalzer angeboten.

„Der Werkelmann spielt den Walzer ‚An der schönen blauen Donau‘ “ Aschenbrödel Vollendungsfassung 1901 Klavierauszug Josef Bayer Verlag Weinberger „1900“

Die Überleitungstakte zum „Drehorgel“‐Donauwalzer sind im Klavierauszug von Josef Bayer (1900/1901) und in der 2002 erschienenen Partitur von Michael Rot identisch. Die mit „68“ und „69“ handschriftlich paginierten von Venator & Hanstein angebotenen autographen Aschenbrödel‐Skizzen geben eine andere Überleitung zum „Drehorgel“‐Donauwalzer wieder. Der an die Überleitung anschließende Drehorgel‐Donauwalzer erscheint in den von Venator & Hanstein angebotenen mit 70 ‐ 77 lückenlos hs. durchpaginierten Partiturskizzen weitgehend anders als in der von Prof. Rot herausgegebenen Partitur. Die dem Drehorgel‐ Donauwalzer folgende Musik der weiter lückenlos durchpaginierten Partiturskizzen ist eine andere als die in der Rot’schen Rekonstruktions‐Partitur.

Überleitung vor Drehorgel‐Donauwalzer Klavierauszug Josef Bayer „1900“ 26

Aschenbrödel „Rekonstruktion der Urfassung 1899“ Neue Johann Strauss Gesamtausgabe 2002 Überleitung vor Drehorgel‐Donauwalzer Partitur S. 78 u. 79

Venator & Hanstein Katalog 113 S. 10 u. 11 mit „68“ u. „69“ hs. paginierte autographe Partiturskizzen mit Überleitung vor Drehorgel‐ Donauwalzer mit den anschließenden zwei Takten des Walzers 27

Michael Rot schreibt im Vorwort zu seiner 2002 erschienenen „Rekonstruktion der Urfassung 1899“, wobei es keine Urfassung gab: „Mit der kritischen Neuausgabe zu Johann Strauss‘ einziger Ballettkomposition Aschenbrödel, die von ihm unvollendet hinterlassen und nach seinem Tode von Josef Bayer fertiggestellt wurde, wird hiermit erstmals die vollständige Rekonstruktion der autographen Fassung von 1899 vorgelegt und damit die Sensation der Welturaufführung eines Bühnenwerkes von Johann Strauss nach mehr als 100 Jahren ermöglicht.“ Bereits diese angeführten Beispiele belegen, dass eine auf den in der Wienbibliothek wiedergefundenen und auf den wieder aufgetauchten verschwundenen Aschenbrödel‐Skizzen basierende wissenschaftliche Neuausgabe einer Aschenbrödel‐Partitur geboten ist. Auf der in Überarbeitung befindlichen Website der Verlagsgruppe Hermann wird als Erscheinungsjahr der Aschenbrödel‐Partitur im Gegensatz zu den internationalen Bibliothekskatalogen (2002) das Jahr 2006 angegeben.

Antworten ‐ Fragen ‐ Widersprüche

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Dr. Hilmars wissenschaftlichen Mitarbeitern Dr. Thomas Aigner und Norbert Rubey die Existenz der auf Anordnung Prof. Raceks vor 1975 in der Wienbibliothek abseits gelegten Aschenbrödel‐Mappe bekannt gewesen sein. Wohl deshalb wird bei der Gesamtrevision der Musiksammlung der WStuLb 1994 diese nicht katalogisierte Mappe laut Dr. Mattl‐Wurm als „fehlend vermerkt“ worden sein, da nicht gefunden. Ebenfalls auf 1994 bezieht sich die terminlich und inhaltlich nicht nachvollziehbare Pressemeldung des Auktionshauses Venator & Hanstein vom 18. März 2010. Wohl ab 2000 entstand die von Prof. Rot erarbeitete wissenschaftliche Aschenbrödel‐Partitur. Bei seiner Recherche nach autographen Quellen im Besitz der Wiener Stadt‐ und Landesbibliothek – zeitgleich zur Überprüfung der Inventare der Sammlung Meyszner infolge des „Österreichischen Kunstrückgabegesetzes“ ‐ konnte die WStuLB Prof. Rot die Aschenbrödel‐ Partiturkizzen wohl nicht vorlegen, da die Aschenbrödel‐Mappe wohl noch nicht wiedergefunden war. Laut Dr. Mattl‐Wurm war die 1994 als fehlend vermerkte Mappe aber bereits 1994 mit 480 Seiten gezählt worden. Warum hat die WStuLb Prof. Rot diese 480 Seiten nicht vorgelegt? Im September 2000 wurde der Bericht der Wiener Stadt- und Landesbibliothek bezüglich der Sammlung Strauss‐Meyszner vor der Wiener Rückstellungskommission abgegeben. Wann genau wurde der Aschenbrödel‐Fehlbestand festgestellt? Nach Ankauf der im Mai 2001 an die Rechtsnachfolger der Erben restituierten Sammlung Strauss‐Meyszner durch die Stadt Wien (Januar 2002) wurden die Aschenbrödel‐ Skizzen in der Pressekonferenz im Wiener Rathaus am 31. Januar 2002 als zum Inhalt dieser Sammlung gehörend genannt. Dies war korrekt, da die Aschenbrödel‐Mappe, wie man in der WStuLb wusste, zur Sammlung Strauss‐Meyszner gehört und man davon ausging, dass sich die offensichtlich noch nicht wiedergefundene Mappe im Tresor der Bibliothek befindet. Wenn Dr. Mattl‐Wurm mit ihren unpräzisen Worten über den Zeitpunkt der Entdeckung des Aschenbrödel‐Fehlbestandes („Anfang des neuen Jahrtausends“) den Zeitraum der Überprüfung der Sammlung Meyszner von 1999 bis September 2000 meint, hätte Prof. Rot im Revisionsbericht seiner Partitur wohl nicht geschrieben „der Strauss’sche Nachlass zu 28

Aschenbrödel muss als verschollen gelten“. Da Prof. Rot dies in seiner Partitur aber behauptet, hatte man die Mappe demnach zum Veröffentlichungszeitpunkt der Aschenbrödel‐Partitur (2202) wohl noch nicht wiedergefunden. 2003 nannte Dr. Aigner die Aschenbrödel‐Partiturskizzen in seinem Artikel über den Inhalt der Sammlung Strauss‐ Meyszner im Ausstellungskatalog JOHANN STRAUSS ENT‐ARISIERT ebenfalls als zur Sammlung gehörend. Im Ausstellungskatalog ist deren 1948 erstellte Bestandsliste abgebildet (S. 69). Wurde der laut Dr. Mattl‐Wurm „Anfang des neuen Jahrtausends“ (wohl wischen 1999 und 2000) entdeckte Aschenbrödel‐Fehlbestand im abschließenden Bericht der WStuLb vor der Wiener Rückstellungskommission im September 2000 genannt? Bei der Erklärung des Fehlbestandes hätte man die Affäre Dr. Ernst Hilmar ansprechen müssen. Dr. Hilmar war – nach seiner Suspendierung 1994 ‐ 1999 (Überprüfung der Sammlung Strauss‐Meyszner) verabschiedet worden. Wurde der Aschenbrödel‐Fehlbestand gegenüber dem Rechtsanwalt der Vertreter der Erben der Sammlung Meyszner, welcher den Bestand der Sammlung im Mai/Juni 2001 auf Richtigkeit überprüfte, genannt? Bezieht sich der Ankaufsvertrag der Stadt Wien über die Sammlung Meyszner auf die komplette Aschenbrödel‐Mappe (611 Seiten) oder auf die um die entwendeten Autographen reduzierte? Wann wurde die Aschenbrödel‐Mappe wiedergefunden?

Erst durch Bereitschaft zur offenen Betrachtung und zur Nennung der Zusammenhänge ‐ auch der Affäre Dr. Ernst Hilmar – wird es möglich, zur für die Aufklärung des Strauss‐ Autographendiebstahls nötigen Beantwortung der zentralen Fragen und Klärung der offensichtlichen Widersprüche zu gelangen. Hierdurch würden die sich wohl immer noch in Köln befindenden Aschenbrödel‐Autographen, wenn sie, wie Dr. Aigner überzeugt ist, aus der Wienbibliothek entwendet wurden, nicht zu Dr. Bodendorff, sondern zur Bibliothek zurückkommen. Diese Entwicklung mit Offenheit zu unterstützen, liegt vor allem auch im Verantwortungsbereich der Leitung der Wienbibliothek im Rathaus. Wie gravierend waren die Ergebnisse der Gesamtrevision der Musiksammlung der WStuLb von 1994, dass man diese bis heute nicht nennt? Wie viele der ursprünglich 611 Seiten Aschenbrödel‐ Partiturskizzen sind noch verschwunden? Die Angaben aus der Wienbibliothek differieren: nach Dr. Aigner sind es 200 (NP‐Coburg 10. Juni 2010) ‐ nach Dr. Mattl‐Wurm 24 (Kronen Zeitung 11. Juni 2010) nie fotografisch festgehaltene oder in eine Publikation/Partitur eingeflossene, vielleicht für immer ver lorene Autographe. Am 9. November 2010 betonte Dr. Mattl‐Wurm gegenüber der NP‐Coburg bezüglich ihrer in der Kronen Zeitung zitierten Auskunft vom 11. Juni 2010 über das „Vermerken des Fehlens der Partitur“, dass es sich bei der „Krone“ um eine Boulevardzeitung handelt.

Ich freue mich über die Beiträge unserer Autoren aus Österreich, Großbritannien, Kroatien, Schweden, der Schweiz und Deutschland, bedanke mich hierfür und wünsche uns allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes und gesundes Jahr 2011.

Ralph Braun Coburg im November 2010 29

Das einzige Gastspiel der Wiener Strausskapelle in Russland: Eduard Strauss 1894 in St. Petersburg Thomas Aigner

Vortrag, erstmals gehalten beim internationalen Symposium „Wien und St. Petersburg um die Jahrhundertwende(n): kulturelle Interferenzen“ (St. Petersburg, 6.‐8. November 2000) und bei den „Tanzsignalen 2010“

Dr. Thomas Aigner „Tanzsignale 2010” 20. März

Eduard Strauss 1894 in St. Petersburg – das war der vorläufige Schlusspunkt einer mehr als sechzig Jahre währenden Beziehung zwischen seiner Familie und Russland. Sie begann mit einem vermutlich 1831 von Hand geschriebenen Notenband mit den neuesten Tänzen von Joseph Lanner, Johann Strauss (Vater) und Joseph Labitzky aus dem Besitz von Alexandra Feodorowna, der Gemahlin Nikolaus’ I. von Russland und Tochter König Friedrich Wilhelms III. von Preußen. 1832 widmete ihr Strauss seinen Alexandra‐Walzer op. 56, nachdem er bereits seit einiger Zeit in der russischen Botschaft in Wien zum Tanz aufgespielt hatte. Zwei Jahre später kam es dann in Berlin zu einem persönlichen Kennenlernen zwischen dem russischen Kaiserpaar und Strauss, der im Zuge seiner ersten Auslandsreise im Schloss des preußischen Königs zwei Konzerte mit seinem Orchester gab. Als dann 1838 in Pawlowsk bei der Endstation der ersten russischen Bahnlinie ein Vergnügungs‐Etablissement für die höheren Kreise der Gesellschaft, der sogenannte Vauxhall, eröffnet wurde, waren Strauss und sein Orchester zur Ausführung der dortigen Musikproduktionen ausersehen.

Dieser Plan konnte jedoch nicht realisiert werden; erst Johann Strauss (Sohn) gastierte von 1856 bis 1865 sowie 1869 jeweils im Sommerhalbjahr in Pawlowsk, allerdings nie mit dem inzwischen von seinem Vater übernommenen Wiener Orchester. Gleichwohl war sein Erfolg triumphal; er setzte in einer Zeit, als mit dem Petersburger Konservatorium die erste russische Musiklehranstalt von Rang ihre Pforten öffnete, als die Mitglieder des „Mächtigen 30

Häufleins“ wie auch Tschaikowsky ihre Laufbahn begannen, Maßstäbe in puncto Repertoire sowie Präzision und Nuancierung der Ausführung. Vor allem verstand es Strauss durch seine publikumswirksame Art zu dirigieren eine über das rein Musikalische hinausgehende Begeisterung um seine Person zu entfachen.

Bei seinen letzten Gastspielen in Pawlowsk schien der Schwung nachzulassen. Während Strauss in Wien seine kreativste Phase durchlebte,1 hatte er in Russland seinen ursprünglichen Enthusiasmus verloren. Mehrmals ließ er sich durch seine Brüder Josef und Eduard vertreten, ohne dass diese wesentliche Akzente zu setzen im Stande waren. Dies galt insbesondere auch für Eduard, den jüngsten, der 1865, in einem sehr frühen Stadium seiner Karriere, die erste Saisonhälfte im Vauxhall bestritt. 1872 hätte Johann Strauss, der sich inzwischen der Operette zugewandt und sein Orchester Eduard anvertraut hatte, wiederum in Pawlowsk gastieren sollen, brach jedoch den Vertrag und wurde zur Zahlung eines hohen Strafgeldes verurteilt.

Er selbst sollte nur noch ein einziges Mal in Russland gastieren, nämlich Ostern 1886 zu einer Serie von Wohltätigkeitskonzerten in St. Petersburg mit Abstechern nach Moskau und Pawlowsk. Dabei dirigierte er ausschließlich eigene Werke, während er den „ernsten“ Teil der Konzerte Karl Siecke, einem Professor des Petersburger Konservatoriums, überließ. Wohl erwies das Publikum ihrem Liebling von einst die gebührende Reverenz, doch haftete dessen Auftritten bereits etwas Nostalgisches an. Einem Teil der Presse galten die früheren Verdienste von Strauss wenig und so konnte man über ein und dasselbe Konzert völlig unterschiedliche Darstellungen lesen, wobei nicht einmal der mehr oder weniger objektiv messbare Erfolg beim Publikum außer Streit stand. Über die Ursachen dieser Entwicklung wird noch zu reden sein, denn sie sollten, sogar in verstärktem Maße, auch Eduard Strauss bei seinem Gastspiel von 1894 betreffen.

Dieser hatte dabei von vornherein keinen leichten Stand, erwies sich doch sein Familienname nicht nur als Bonus. In Russland selbst war es ihm 1865 im offenen Vergleich nicht gelungen aus dem Schatten Johanns herauszutreten und so blieb es auch bei allen seinen weiteren Unterfangen: stets musste er sich an den Erfolgen seines berühmten Bruders messen lassen.

Als „Bruder seines Bruders“ stellte ihn denn auch die „Petersburger Zeitung“ anlässlich seines Debüts in der russischen Hauptstadt vor;2 gerade diese Zeitung sollte sich aber noch als das Eduard Strauss am freundlichsten gesinnte Blatt erweisen. Maliziöser war da schon die Formulierung der Zeitung „Russisches Leben“: „der ,berühmte‘ Bruder des berühmten ,Walzerkönigs‘“ – man beachte die Setzung der Anführungszeichen!3

1 In dieser Zeit komponierte Strauss u. a. die Walzer Morgenblätter op. 279, An der schönen, blauen Donau op. 314, Geschichten aus dem Wienerwald op. 325 und Wein, Weib und Gesang op. 333. 2 „Peterburgskaja gaseta“ [„Petersburger Zeitung“], 2./16. 5. 1894, Nr. 118, S. 3. 3 „Russkaja shisn“ [„Russisches Leben“], 3./15. 5. 1894, Nr. 117, S. 2. 31

Andererseits wurde Eduard Strauss von der Presse mit pompösen Titeln ausgestattet, die in Österreich seine Kollegen vom ernsten Fach erblassen lassen hätten: „Hofkapellmeister des österreichischen Kaisers“4 oder auch „Direktor des Hoforchesters des Kaisers von Österreich“.5 In Wahrheit war er bloß „K. k. Hofball‐Musikdirektor“.

Sowohl der ewige Vergleich mit seinem Bruder Johann als auch sein Titel, sei es nun der tatsächliche oder ein von der Presse erfundener, hätte ihn dazu bewegen sollen, auch 1894 im ersten Lokal am Platze zu konzertieren – und das war nach wie vor der Vauxhall in Pawlowsk. Stattdessen trat er in dem nördlich des Zentrums auf der Apothekerinsel gelegenen Etabliss ement „Mon plaisir“ auf, das in der st rengen Hierarchie der Vergnügungsstätten im Umkreis St. Petersburgs bei weitem hinter Pawlowsk zurückstand.

Ursprünglich stand auf diesem Areal die Datscha des Fürsten Lopuchin, der dort im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ein Orchester von Leibeigenen unterhielt. Man sagt, dass sich vor dem Zaun des weitläufigen Gartens nicht selten eine Schar von Zuhörern versammelte. In den 1840er‐Jahren stand das Gebäude leer, ehe ein Pariser Kapellmeister namens Levineau dort eine Vergnügungsstätte unter dem Namen „Villa Monplaisir“ betrieb. Neben musikalischen Darbietungen wurden „Experimente der Unterhaltungsphysik und der ägyptischen Magie“ demonstriert; unter anderem fand ein Ballonflug statt.

Nach dem Ende dieser kurzlebigen Unternehmung kaufte der Millionär W. F. Gromow, ein leidenschaftlicher Blumenliebhaber, das Anwesen und ließ dort eine große Orangerie errichten. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde daraus unter dem Namen „Monplaisir‐Tivoli“ wieder ein Ort der öffentlichen Unterhaltung; es traten ein großes Symphonieorchester, ein „Tscherkessinnenchor“, ein ungarisches Ensemble und „Miss Paula – die Königin der Schlangen und Krokodile“ auf. Das Symphonieorchester spielte in der langgestreckten, aber engen Orangerie, deren Proportionen gemeinsam mit dem Glasdach für eine mehr als problematische Akustik sorgten. Zudem sorgte der Rauch von Zigarren, der sich mit dem Aroma der exotischen Pflanzen mischte, für eine ausgesprochen stickige Atmosphäre.6

1894 erfolgte anlässlich einer Neuübernahme eine gründliche Renovierung des Etablissements; vor allem wurde der Konzertsaal bedeutend verbreitert, der nun nicht mehr an das einstige Glashaus erinnerte.7 Der neue Eigentümer war ein russischer Hofrat,8 nach außen hin firmierte eine in St. Petersburg bis dahin unbekannte Frau namens D. I.

4 Anzeige in der „Petersburgskaja gaseta“ vom 8. 5. 1894, Nr. 124, S. 1, und folgenden Ausgaben. 5 „Peterburgskij listok“ [„Petersburger Blatt“], 30. 4./12. 5. 1894, Nr. 116, S. 1. 6 Ju. Aljanskij, Uweselitelnyje sawedenija starowo Peterburga [Vergnügungsanstalten des alten Petersburg], St. Petersburg 1996, S. 156 f., und M. I. Pyljajew, Sabytoje proschloje okrestnostej Peterburga [Vergessene Vergangenheit der Umgebung von Petersburg], St. Petersburg 1889, S. 38 f. 7 „Russkaja shisn“ [„Russisches Leben“], 3./15. 5. 1894, Nr. 117, S. 2.

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Sokolowskaja. Sie trat mit dem Anspruch an, nicht nur den umliegenden Vergnügungslokalen Konkurrenz zu machen, sondern auch Pawlowsk.9

Dies rief entsprechend hämische Zeitungskommentare hervor, zumal neben dem Strauss‐ Orchester und einer Militärkapelle noch ganz andere Zerstreuungen angeboten wurden, die beim soignierten Pawlowsker Publikum höchstens ein verächtliches Naserüm p fen hervorgerufen hätten: eine elektrische Gartenbahn, die übrigens die halbe Saison lang nicht funktionierte, ein „Weltpanorama“, ein Schießstand mit elektrischen Figuren, ein Moskauer Zigeunerchor, ein Warschauer Ballett10 und – nach Mitternacht – ein „,Concert Parisien‘ […] für die Liebhaber der sogenannten starken Empfindungen in der Gestalt verschiedener Chansonetten und „furoremachender“ internationaler Dämchen bestimmt, die sich bei der Auswahl ihrer ,Kostüme‘ keinerlei Zwang antun, ungeachtet jeglichen Wetters.“11

Immerhin hatte Strauss die Gefahr für seine Konzerte rechtzeitig erkannt und mit Hilfe des Stadthauptmanns, Generalleutnant von Wahl, durchgesetzt, dass während seiner Darbietungen, d. h. in den Pausen derselben, nur der Zigeunerchor und einige ausgewählte Sänger, nicht aber das Ballett und die Chansonetten auftreten durften. „Hierdurch“, so schrieb er seinem Bruder Johann, „wird ermöglicht, daß die haute volée das Concert besuchen kann u. Mütter mit Töchter, u. Studenten in Uniform in das Concert gehen dürfen, was sonst nicht der Fall ist.“12

Abgesehen davon, dass der Zigeunerchor auf wenig Gegenliebe bei Publikum und Presse stieß,13 hatte es sich Strauss durch das zweifelhafte Ambiente von vornherein mit den ernsten Musikliebhabern und deren Proponenten unter den Journalisten verscherzt. Wohl nach dem Prinzip „mitgefangen – mitgehangen“ erklärte etwa der Rezensent der „Russischen Musikzeitung“, man könne die Darbietungen von Strauss „fürs erste bestenfalls erwähnen, so wie es deren Programmen nicht nur an Geschmack, sondern an schlichter Anständigkeit ermangelt.“ Die anderen Programmpunkte fand er selbstverständlich nicht einmal einer solchen Erwähnung wert.14

Einige wenige der derart kritisierten Konzertprogramme wurden im Detail überliefert.15 Sie zeigen die seit den Tagen von Johann Strauss (Vater) übliche Zusammensetzung der Produktionen der Strausskapelle, d. h. eine Mischung aus Tänzen – hauptsächlich von Mitgliedern der Familie Strauss komponiert –, modischer Salonmusik und „ernsten“

8 Eduard Strauss, „Erinnerungen“, Leipzig/Wien 1906, S. 95. 9 „Syn otetschestwa“ [„Sohn des Vaterlandes“], 17./29. 5. 1894, Nr. 132, S. 3.

10 „Peterburgskij listok“, 30. 4./12. 5., Nr. 116, S. 1. 11 „Peterburgskij listok“, 29. 5./10. 6. 1894, Nr. 145, S. 5. 12 Brief von Eduard an Johann Strauss, St. Petersburg, 22. 5./3. 6. 1894, A‐Wst H.I.N. 120.095. 13 „Syn otetschestwa“, 2./14. 5. 1894, Nr. 117, S. 3. 14 „Russkaja musykalnaja gaseta“ [„Russische Musikzeitung“], Juni 1894, Nr. 6, S. 130 f. 15 Plakate mit den Programmen vom 1./13. Mai (Eröffnung) und 2./14. Mai befinden sich in der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg. Ein Programmzettel des 48. Konzerts vom 18./30. 6. 1894 wird im St. Petersburger Theatermuseum aufbewahrt. 33

Kompositionen. Mit solchen Programmen hatte Johann Strauss u. a. in den 50er‐ und 60er‐ Jahren in Pawlowsk Triumphe gefeiert.

Nun aber fand zumindest ein Teil der Zuhörer daran etwas Anstößiges, wobei sich die Hauptstoßrichtung der Kritik gegen die Darbietung „leichter“ Musik richtete. Gerade der Walzer war übrigens zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon einmal in Verruf gestanden; damals geißelte man den Umstand, dass sich die Tanzpaare durch die rasende Drehung um den gemeinsamen Schwerpunkt quasi in einen Rauschzustand versetzten, noch dazu, den physikalischen Notwendigkeiten eines solchen Manövers gehorchend, in engem Körperkontakt.

Inzwischen war man vom extremen Tempo längst abgekommen und der Walzer hatte auch in die höchsten Kreise der Gesellschaft Eingang gefunden. Zudem hatte er sich von der reinen Funktionalität losgelöst und hatte – vor allem dank des Wirkens Lanners und der Familie Strauss – Einzug in den Konzertsaal gehalten. Wenn nun am Ende des 19. Jahrhunderts, das übrigens auch als „Jahrhundert des Walzers“ bezeichnet wurde,16 wiederum Kritik an diesem Tanz laut wurde, dann waren dafür einzig musikalische Überlegungen ausschlaggebend.

Der Rezensent des „Petersburger Blatts“ etwa, der den Konzerten von Eduard Strauss immerhin einen „äußerlich anständigen Charakter“ bescheinigte, bemängelte, dass „es darin von ,Musik‘ im ernsten Sinn dieses Wortes genauso wenig gibt wie Sonnentage in Petersburg. Auf der Empore des Konzertpodiums werden fast ausnahmslos immer die gleichen Walzer, , Märsche und Galoppe produziert“.17 Besonders aufschlussreich ist folgende Kritik in der „Neuen Zeit“:

Herr Eduard Strauss dirigiert nur Tänze und verschiedene Nichtigkeiten, bisweilen – in mikroskopischen Mengen – ernste Musik beimengend. Seine Programme werden niemanden begeistern und ob diese Strauss selbst oder irgend jemand anderer dirigiert, ist im Wesentlichen egal: Petersburg hat sich in den letzten Jahrzehnten in seinen musikalischen Neigungen und Bedürfnissen so weit entwickelt, dass sogar Johann Strauss selbst, als er vor ungefähr fünf Jahren hierher kam, mit seinen Programmen von einst kein ernsthaftes Interesse erwecken konnte. Und das war der berühmte Johann Strauss höchstpersönlich, der ehemalige Abgott von Petersburg, der von seinem Talent her nicht nur um einen Kopf, sondern um eine ganze Körperlänge größer als sein Bruder ist!18

Es folgt eine Eloge auf Pawlowsk, wo unter dem Dirigenten Nikolaj Galkin, einem Absolventen des Petersburger Konservatoriums, ausnahmslos ernste Musik gespielt wurde; sie schließt mit den abermals auf Johann Strauss bezogenen Worten: „Würde

16 Unter diesem Titel war eine Buchreihe des Wiener Musikverlags Universal‐Edition geplant; als erster Band erschien 1954: Max Schöbherr/Karl Reinöhl, Johann Strauss Vater. Ein Werkverzeichnis. 17 „Peterburgskij listok“, 29. 5./10. 6. 1894, Nr. 145, S. 4. 18 „Nowoje wremja“ [„Neue Zeit“], 12./24. 7. 1894, Nr. 6597, S. 3. 34

letzterer wieder in Pawlowsk auftreten, dann würde er als kluger Mensch unbedingt seine Programme den heutigen Ansprüchen anpassen, eingedenk seines letzten Misserfolgs bei uns.“

Aufgrund der Quellenlage lässt sich darüber streiten, ob Johann Strauss 1886 in St. Petersburg tatsächlich einen so eindeutigen Misserfolg hatte. Noch fraglicher ist, ob er, der längst bei seinen spärlich gewordenen Konzertauftritten nur noch eigene Werke dirigierte, daraus irgendwelche „Lehren“ gezogen hätte. So gab er Eduard anlässlich der Eröffnung von dessen Konzertreihe im Musikverein in der Saison 1893/94 folgenden Ratschlag:

Halte die Programme Deiner Concerte hier nicht so ernst; das Publikum besucht ein Strauss‐Concert in der Erwartung heiter gestimmt zu werden. […] das Publikum glaubt daran, daß das Straussconcert der traditionellen Berühmtheit getreu bleibt. […] das grosse Publikum verurtheilt das ihm Gebotene. Vox populi vox Dei!19

Diese Worte waren auf den führenden Konzertsaal Wiens bezogen. Dass, so merkwürdig es uns heute auch anmuten mag, mit einem solchen Credo in Pawlowsk kein Staat mehr zu machen war, wurde bereits hinreichend aufgezeigt. So gesehen war Eduard Strauss vielleicht doch nicht so schlecht beraten, seine Konzerte an einem anderen Ort abzuhalten. Dort hatte er immerhin ein Publikum, das sich an seinen Produktionen erfreute, wenngleich einige Journalisten nicht müde wurden, diesen Leuten Spießertum und andere wenig schmeichelhafte Attribute vorzuwerfen.20 Es gab jedoch auch einhellig positive Berichte, vor allem zu Beginn des Gastspiels:

Nach dem glänzenden Erfolg des ersten Konzerts von Herrn Eduard Strauss und seiner Aufnahme durch das Publikum zu urteilen, das von vielen Nummern des Programms Wiederholungen verlangt hat, kann man den Konzerten von „Monplaisir“ einen vollen Erfolg prophezeien. Auch nach einem Monat fand sich noch eine positive Stimme: „Eduard Strauss ist nach dem Geschmack der Petersburger. Seine Konzerte in ,Monplaisir‘ sind recht ordentlich besucht. Das Publikum ist vorwiegend ,ernst‘“.21 Der letzte Satz steht dabei im offenen Widerspruch zu anderen Berichterstattern. In weiterer Folge fand nur noch das Benefizkonzert zugunsten von Eduard Strauss, das am 23. Juni (5. Juli nach heutiger Zeitrechnung) stattfand, einigermaßen beifällige Erwähnung. Im benachbarten Konkurrenzunternehmen „Aquarium“ wurden die Darbietungen von Strauss immerhin noch eine Woche vor Saisonschluss parodistisch ausgeschlachtet, was auf eine zumindest lokale Bedeutung derselben hindeutet.22

19 Brief von Johann an Eduard Strauss [Wien, 23. 10. 1893], A‐Wst H.I.N. 121.586, veröffentlicht in Johann Strauss (Sohn) Leben und Werk in Briefen und Dokumenten. Im Auftrag der Johann Strauss‐ Gesellschaft Wien gesammelt und kommentiert von Franz Mailer, Bd. 6, Tutzing 1996, S. 446. 20 So etwa in „Syn otetschestwa“, 2./14. 5. 1894, Nr. 117, S. 3. 21 „Peterburgskaja gaseta“, 31. 5. 1894, Nr. 147, S. 5. 22 „Peterburgskaja gaseta“, 22. 8. 1894, Nr. 229, S. 3. 35

Über den Verlauf des Gastspiels liegen uns auch authentische Aussagen von Eduard Strauss selbst vor. In seinen „Erinnerungen“ wollte er der Nachwelt offenbar ein geschöntes Bild überliefern:

Obgleich dieses Etablissement erst sehr kurze Zeit bestand und also noch nicht sehr bekannt war, machte der Eigentümer durch die Anzeige meiner Concerte doch sehr gute Geschäfte, da sich zu denselben auf das Zeugnis der Presse hin, daß es wirklich die Wiener Capelle Strauss sei und daß ich wirklich selbst dirigiren werde, die gute „Gesellschaft“, das diplomatische Corps und die Hofgesellschaft einfand. […]

Über die Aufnahme meiner Productionen in Petersburg auch gelegentlich dieses Concert‐Cyclus kann ich nur das Beste sagen. Der bessere Mittelstand des russischen Publicums ist mit der deutschen musikalischen Literatur sehr vertraut und sind ihm Mozarts, Beethovens, Mendelssohns, Schumanns, Schuberts, Richard Wagners, Johann Sebastian Bachs Werke wohl bekannt. Die orchestrale Vorführung obgenannter Werke wurde mit lebhaftestem Beifall aufgenommen, ebenso wie die Compositionen meines Vaters, meiner Brüder, meiner eigenen Person und Josef Lanners.23

In seinen Briefen an Johann und Adele Strauss äußerte er sich freilich differenzierter. Seine Schwägerin versuchte er zumindest bisweilen mit guten Nachrichten zu erfreuen, wenngleich auch dort die Sorge über den schleppenden Publikumszustrom zu Tage tritt:

Der künstlerische Erfolg meiner Concerte hier ist hocherfreulich – ich werde täglich bei Eröffnung des Concertes warm aufgenommen, spiele vor glänzender Gesellschaft – die Ziffer an Wochentagen aber bleibt bei Schön‐Wetter zwischen 450 – 700 Pers. bei Regenwetter von 200 – 350. An Sonntagen ist natürlich der Saal zu klein[.] Pfingstsonntag (naß) 1180, Pfingstmontag, 1090. Hiebei alle Sitze u. Logen verkauft. An diesen Tagen – wie am Christihimmelfahrtstag kam ich über die garantirte Summe. Dabei sagt man, daß im „Mon plaisir“ Etablissement noch immer die meisten Leute kommen. Es sind eben 3 Vergnügungs‐Etablissements in diesen „Datschen“ […].24

Seinem Bruder schenkte Eduard von Beginn an reinen Wein ein:

Bestens dankend für Deine liebenswürdigen Zeilen, theile ich Dir mit, daß ich hier mit dem Klima sehr zu kämpfen habe, sowohl, was meine Gesundheit betrifft, als das Geschäft. Unmittelbar nach dem zweiten Concert brach Kälte u. Regen herein, und dieß dauert noch fortan. An einem besonders stürmischen und regnerischen Tag hatten wir wohlgezählte 49 Personen im Saale. Das Locale liegt viel zu weit von der Stadt. Eine gute halbe Stunde pr. Droschke u. diese ist für das Gros des Publicums zu

23 Eduard Strauss, „Erinnerungen“, a. a. O., S. 95. 24 Brief von Eduard an Adele Strauss, St. Petersburg, 12./24. 6. 1894, A‐Wst H.I.N. 120.093. 36

theuer – kommt auf 2 Rubel hin u. her!!! Zähle das Entrée u. ein bischen Essen (ein Cotelette kostet 1 Rube[l] 25 Kop.!!!) dazu – so rechne was nur eine Person da ausgeben soll; wenn er noch einen Sitz à 1 R. nimmt, kommt ihn der Abend auf 5 Rubel. Diesen Freitag war es noch am vollsten seit dem I. Concert. 750 Personen. Seit dem I. Concert kam ich nur dieß eine Mal über 300 R. u das nur mit 5 R plus; sonst bekam ich bisher nur 300 R. Da noch 84 Personen (Sänger, Sängerinen u. ein Ballet) engagirt ist, (welche sich aber nur auf der Bühne im Garten produciren) engagirt sind, so kannst Du Dir denken, was der Mann, der Eigenthümer des Locales täglich Spesen hat (mit Annoncen) u. daß er vom 13. Mai bis 13. Juni ein Capital von 30000 Rubel zusetzt. Es bangt mir denn ob er da im Juli die Zahlungen einhalten kann. Es waren in den 2 ½ Wochen sämmtliche Locale (Aquarium hat Operetten‐Theater, Arcadi ein Orpheum) sehr schlecht besucht ob Kälte u. Regen.25

Auch im weiteren Verlauf der Saison trat keine Besserung der Verhältnisse ein, wie aus den weiteren Schreiben von Strauss hervorgeht.26 Den Preis für die Sitzplätze hatte man übrigens bereits gesenkt.27 Strauss erhielt laut eigener Aussage also ein Fixum von 300 Rubel pro Tag und bei Überschreiten einer bestimmten Zuschauerzahl einen zusätzlichen Bonus. Sein Risiko war somit darauf beschränkt, dass der Unternehmer ob des schlechten Geschäftsgangs in die Zahlungsunfähigkeit schlittern könnte. Dieser Fall trat zum Glück für alle Beteiligten jedoch nicht ein und die Konzerte konnten Ende August (alter Zeitrechnung) ordnungsgemäß beendet werden.

Eduard Strauss hatte, wie man sieht, bei den finanziellen Verhandlungen mit sehr viel Fortüne agiert. Dies verwundert jedoch kaum, denn er und sein Orchester lebten mehr oder weniger von den Einkünften aus ihren Tourneen. Die einstmals so profitable Wintersaison war dank der immer drückender werdenden Konkurrenz der zahlreichen Militärkapellen zu einer finanziellen Durststrecke geworden.

Bei seinem Petersburg‐Gastspiel kam Eduard Strauss noch der Umstand entgegen, dass es sich um das erste – und wie sich herausstellen sollte, einzige – Auftreten der originalen Wiener Strausskapelle in Russland handelte. Auf diesen Umstand hatte er ja in seinen „Erinnerungen“ hingewiesen, wobei wahrheitsgemäß anzumerken ist, dass die Zeitungsannoncen und Plakate bloß ein „Wiener Orchester“, ein „Großes Konzertorchester“ oder dergleichen ankündigten.28 1856 hatte man in Pawlowsk von Johann Strauss noch

25 Brief von Eduard an Johann Strauss, St. Petersburg, 22. 5./3. 6. 1894, A‐Wst H.I.N. 120.095. 26 Vergleiche namentlich den Brief von Eduard an Adele Strauss, St. Petersburg, 6./18. 7. 1894, A‐Wst H.I.N. 120.094. 27 „Syn otetschestwa“, 31. 5./12. 6. 1894, Nr. 146, S. 3. 28 „Peterburgskaja gaseta“, 8. 5. 1894, Nr. 124, S. 1; 25. 6. 1894, Nr. 171, S. 3. 37 kategorisch, wenngleich vergeblich, die Mitwirkung der Wiener Strausskapelle gefordert29 – und nun, da sie endlich doch eingetroffen war, verlor man kaum ein Wort darüber!

Um diese Zeit ähnelte die Strausskapelle jedoch ohnehin den Ad‐hoc‐Orchestern, mit denen Johann Strauss seinerzeit auf Russland‐Tournee gegangen war; d. h. zumindest ein Teil der Musiker wurde bloß von Saison zu Saison engagiert. Aus einem Schreiben von Johann Strauss an Eduard über seine Eindrücke von einer Probe seines Bruders vor dessen Abreise nach Petersburg geht hervor, dass so wichtige Stellen wie jene des Konzertmeisters, des Flötisten und des ersten Hornisten neu besetzt waren.30 Auch dem Redakteur des „Petersburger Blatts“ war nicht entgangen, dass im Orchester vorwiegend junge Leute und mithin kaum langgediente Musiker spielten.31

Wie man gerade an dem Gastspiel von Eduard Strauss in St. Petersburg ersieht, mehrten sich also die Anzeichen, dass sich die Glanzzeit der Familie Strauss ihrem Ende zuneigte. Eduard Strauss selbst wollte sich wenige Jahre später denn auch zur Ruhe setzen, musste jedoch, von seinen beiden Söhnen um seine gesamten Ersparnisse gebracht, seine Karriere bis 1901 fortführen. In jenem Jahr löste er sein Orchester auf; un t er keinen Umständen wollte er dessen Leitung seinem Sohn Johann übertragen, der vom künstlerischen Standpunkt aus zu einer Fortsetzung der Familientradition möglicherweise befähigt gewesen wäre. Johann Strauss (Enkel) ging nach Berlin und erreichte dort mit einer eigenen Kapelle moderaten Erfolg.

In St. Petersburg, so könnte man aufgrund der bisherigen Ausführungen meinen, war man drauf und dran, der alten Walzerseligkeit abzuschwören. Dem war aber nicht ganz so, wie Janna Kniazeva 1999 anlässlich ihrer Vorträge bei dem von der Johann Strauss‐Gesellschaft Wien und den Instituten für Musik‐ und Theaterwissenschaft der Universität Wien veranstalteten internationalen Kongress anlässlich der 100. Wiederkehr des Todestags von Johann Strauss (Sohn) darlegte.32 Vielleicht ersetzte im neuen Jahrhundert beim Hören von Walzermusik vermehrt ein nostalgisches Element die einstige Unmittelbarkeit, vielleicht war auch die Scheidung zwischen E‐ und U‐Musik schärfer geworden. Wie unsicher das Terrain ist, auf dem man sich hier bewegt, beweist allein die Tatsache, dass heute in den einschlägigen Schallplattenkatalogen die Musik der Familie Strauss unter E‐Musik zu finden ist.

29 Thomas Aigner, Johann Strauss in Diensten der Zarskoje‐Selo‐Eisenbahngesellschaft. Unveröffentlichte Dokumente aus den Jahren 1838 bis 1859, in „Die Fledermaus“, Mitteilungen 11 – 13 des Wiener Instituts für Strauss‐Forschung, Tutzing 2000, S. 21, 24, 26–28. 30 Brief von Johann an Eduard Strauss [Wien, 3. 5. 1894], A‐Wst H.I.N. 121.869, veröffentlicht in Johann Strauss (Sohn) Leben und Werk in Briefen und Dokumenten. Im Auftrag der Johann Strauss‐ Gesellschaft Wien gesammelt und kommentiert von Franz Mailer, Bd. 7, Tutzing 1998, S. 39 f. 31 „Peterburgskij listok“, 2./14. Mai 1894, Nr. 118, S. 3. 32 „Strauss‐Nachklänge“ in der Petersburger Presse der Jahrhundertwende und österreichisch‐ russische Kulturkontakte, in: Straussiana 1999. Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Johann Strauss (Sohn), Bd. 2, Tutzing 2002, S. 29–39. – Die Wiener Operette in St. Petersburg, in: Straussiana 1999. Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Johann Strauss (Sohn), Bd. 3, Tutzing 2003, S. 93–97. 38

Die Aufnahme von Johann Strauss Enkel in Grossbritannien

Peter Kemp*

*Vorabdruck eines Referats, gehalten im Rahmen der „Tanz‐Signale 2010“ in Wien. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Wiener Instituts für Strauss‐Forschung (WISF).

Peter Kemp „Tanzsignale 2010“ 20. März

Grossbritannien hat lange enge Beziehungen mit der Wiener Strauss‐Familie unterhalten, mit der einzigen Ausnahme von Josef Strauss haben wir alle ihre Musiker in unserem Land willkommen geheissen. Der letzte Komponist der Familie, der seinen Fuss auf britische Erde gesetzt hat, war der Mann, den die „Neue Freie Presse“ „einen Künder wienerischer Musikalität“ nannte, „der der ganzen Welt Freude, Beschwingtheit und beseeltes Wienertum vermittelte“ (1): Johann Strauss Enkel.

Den Anlass für Johann Strauss Enkels erste Reise nach Grossbritannien war der gleiche, der auch seinen Grossvater an unsere Küsten gelockt hatte, nämlich die Krönung eines britischen Monarchen, in diesem Fall König Eduard VII. (1841–1910), des ältesten Sohnes von Königin Victoria (1819–1901). Strauss hoffte zu Recht auf die grossen finanziellen Einnahmen, die man bei den Krönungsfeierlichkeiten erzielen konnte, und so traf Johann Strauss Enkel mit seiner „Imperial Band“ Ende Mai 1902 in London ein. Strauss berichtete, er sei mit seinem Orchester engagiert worden, um beim Konzert und beim Bankett der Krönungsfeierlichkeiten im Buckingham‐Palast zu spielen. Ausserdem schrieb er: „Mein Orchester bekam britische Uniformen (und) ich selbst erhielt eine Galauniform.“ (2) Obwohl Hofberichte dies nicht bestätigen (3), erhärtet eine Aufnahme des Londoner Fotostudios W & D Downey von 1902 die von Strauss gemachte Aussage. Ausserdem war der Schnitt der Uniformjacke, die Eduard Strauss und sein Orchester im Juni 1885 beim Staatsball im

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Buckingham‐Palast trugen und die das „Fremden‐Blatt“ als „neue britische Hofuniform“ (4) bezeichnete, der gleiche. Die Krönung sollte am 26. Juni stattfinden, und in der Zwischenzeit gaben Strauss und sein Orchester Nachmittags‐ konzerte in einem sehr beliebten Konzertsaal namens „Empire Theatre“ am Londoner Leicester Square – das Haus wurde im Jahre 1927 abgerissen, an seiner Stelle steht heute das Kino „Empire Theatre“. Vom 2. bis 28. Juni nahmen Strauss und sein Orchester an Nachmittagskonzerten (Rauchen verboten!) im „Empire Theatre“ mit einer Opernsopranistin, einem Klavierbegleiter, einem Music‐Hall‐ Sänger und einer Komikerin teil, während sie bei Abendprogrammen mit solch ungewöhnlichen Variétékünstlern wie „Merian’s Dogs“ (eine Hundenummer) und „Grais’ Baboons“ (eine Paviannummer) auftraten. Auf den 36‐jährigen Mann, der erst 4 Monate vorher zum ersten Mal mit Prunk und Zeremoniell bei einem Hofball in der Wiener Hofburg dirigiert hatte, muss die ungewöhnliche Zusammenstellung seiner Künstlerkollegen wie ein Kulturschock gewirkt haben.

Die Musik, die Johann Strauss Enkel und sein 35‐köpfiges Orchester (5) beim ersten Londoner Nachmittagskonzert spielten, umfasste u. a. die „Fledermaus“‐Ouvertüre, den Krönungsmarsch aus der Oper „Die Folkunger“ (UA Hofoper Dresden, 21. März 1874) von Carl Franz Edmund Kretschmer (1830–1908), die „Serenata“ von Moritz Moszkowski (1854– 1925) und Johann Strauss Sohns Walzer „Rosen aus dem Süden“ und „“. Es erklang nur e i n e Komposition von Johann Strauss Enkel – „Von der Donau zur Oder“ –, ein Werk, das nicht im Druck erschien, zumindest nicht unter diesem Titel, und das ein Kritiker „keineswegs seines grossen Vorgängers“, des Donauwalzers, „unwürdig“ fand (6). Die Presse war wie immer geteilter Meinung über Strauss und sein Orchester. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, das trifft sehr auf die Strauss‐Familie zu“, kommentierte „The Times“ und fuhr fort: „Herr Johann, der nicht ganz so prägnant in seinen Bewegungen ist, kennt einige von den Tricks, mit denen einstmals Eduard Strauss das Publikum amüsierte. Auch er spielt in seiner Tanzmusik hin und wieder einige Passagen auf der Geige, dirigiert dann wieder mit seinem Bogen und spielt damit. Er schlägt ebenfalls den Takt mit dem Fuss, als ob er sich kaum zurückhalten könnte, ein Solotänzchen zu machen. Es ist viel von der gleichen Energie in der Interpretation vorhanden, von der gleichen Verve und dem gleichen herrlichen Rhythmusgefühl.“ Die „Sunday Times“ hingegen fand, dass „diejenigen, die sich an den Elan im Spiel des Strauss‐Orchesters unter Eduard Strauss im Jahre 1897 (…) im Imperial Institute (siehe unten) erinnerten, ein Gefühl der Enttäuschung über die Interpretation von Tanzmusik durch das bekannte Orchester empfunden haben müssen. Herr Johann Strauss (…) brachte einige lobenswerte Ausdeutungen von Ouvertüren zu komischen Opern, aber der Interpretation der Walzer, obwohl gut akzentuiert, fehlte der Esprit und die Entschlossenheit, die früher diese Werke, gespielt von diesem Orchester, so fröhlich und faszinierend gemacht hatten.“ (8) Lassen wir der Kritik Gerechtigkeit widerfahren, denn es war kaum hilfreich, dass die gedruckten Programme Johann Strauss Enkel als „Johann Strauss, Jun.“ bezeichneten, während Johann Strauss Vater und Sohn beide „Johann Strauss, Sen.“ genannt wurden. Als Folge davon schrieb der Kritiker von „The Musical Standard“ – ein gewisser R. Peggio (Wortspiel: arpeggio, nach Harfenart; auch: peggio,

40 italienisches Adverb, schlechter) – über Johann Strauss Enkels Eröffnungskonzert am Nachmittag des 2. Juni:

„Ich schaute beim ‚Empire’ vorbei, um die Strauss Imperial Band zu hören. Der Dirigent ist Johann Strauss, der Sohn von Eduard, dessen Auftreten bei der International Inventions Exhibition (1885, Internationale Erfinderausstellung) und im Imperial Institute (1895 und 1897, ständige Ausstellung von Erzeugnissen des Commonwealth) den Londonern in Erinnerung geblieben sein dürfte. Ich habe versucht, den Sta mmbaum dieses Johann Strauss zurückzuverfolgen. Wenn ich mich nicht täusche, ist er der Neffe von Johann Strauss, dem Komponisten der „Schönen blauen Donau“, und der Enkel von Johann Strauss senior, dem Verfasser der „Fledermaus“ (!) (…) Der doppelte Junior Johann Strauss dirigierte wie sein Vater, die Geige im Arm, doch unterscheidet sich sein Dirigat in einem Punkt. Ebbe und Flut des Rubato, die das Spiel des ursprünglichen Strauss‐Orchesters unter Eduard Strauss so lebensvoll und faszinierend machten, werden von seinem Sohn übertrieben und sind zu einer ermüdenden Maniriertheit geworden, und der Orchesterklang, vor allem in den Geigen, fällt gegenüber dem üblichen ‚Empire’‐Orchester deutlich ab. Ich sehe kaum einen Anlass für ein Gastspiel der Strauss Imperial Band.“ (9)

Das Ungewöhnliche an diesem abwertenden Schlusssatz ist, dass er in einer Wochenzeitung erscheint, die meist gegen britische Orchester eingestellt war. R. Peggios Ansicht unterscheidet sich allerdings sehr stark von der Meinung der meisten seiner Kollegen.

Wie die anderen Familienmitglieder erschien Johann Strauss Enkel nicht mit leeren Händen in Grossbritannien, sondern hatte ein Krönungsgeschenk in seinem Gepäck – einen König Eduard VII. und Königin Alexandra gewidmeten und passend genannten „Krönungs“‐Walzer. (10) Dieser Walzer mit seiner wunderbaren feierlichen Introduktion wurde am Samstag, dem 21. Juni, genau 5 Tage vor der Krönung, im „Empire Theatre“ aus der Taufe gehoben. Drei Tage später musste das Land mit Schrecken erfahren, dass der König wegen einer Blindarmentzündung hatte operiert werden müssen und die Krönung auf unbestimmte Zeit verschoben worden war. Man kann sich vorstellen, dass Johann Strauss Enkel über diese Nachricht nicht gerade glücklich war: Ende Juni packten er und sein Orchester traurig ihre Koffer und kehrten nach Wien zurück. Als die Krönung dann für den 9. August anberaumt wurde, waren Johann Strauss Enkel und seine Musiker bereits auf einer anderen Konzerttournee.

Es ist nicht uninteressant zu wissen, dass Johann Strauss Enkel im folgenden Jahr (1903) (11), beim Besuch von König Eduard VII. in Wien, zu denen gehörte, die vom König den Royal‐ Victorian‐Orden, in Strauss’ Fall „vierter Klasse“ (12), verliehen bekamen. Johann Strauss Enkel ist das einzige Mitglied der Strauss‐Familie, das von einem britischen Monarchen ausgezeichnet wurde. Vielleicht können wir diese königliche Geste dahingehend deuten, dass es sich um einen Trost für Strauss’ Enttäuschung wegen der Krönung handelte und Johann Strauss zusätzliche Glaubwürdigkeit verlieh, da er behauptete, er sei offiziell dazu eingeladen worden, bei den Feierlichkeiten im Buckingham‐Palast aufzuspielen.

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Es sollte ein Vierteljahrhundert vergehen, ehe Johann Strauss Enkel wieder vor britischem Publikum auftrat. Dies geschah bei einem Wiener Konzert am Sonntag, dem 24. April 1927, in der Londoner Albert Hall – am selben Ort, an dem sein Vater Eduard während seiner ersten Konzerttournee in Grossbritannien 1885 dirigiert hatte. Johann Strauss wurde angekündigt als Dirigent eines „Special Orchestra in compositions of Johann Strauss“, ein „Besonderes Orchester mit Werken von Johann Strauss“, und trat mit einem Wiener Koloratursopran namens Vilma Delmar auf. Die Gegenwart eines waschechten Strauss in London stiess auf grosses Interesse. In einer Zeitung hiess das dann 1927 so: „Ein Publikum am Sonntagnachmittag in die Albert Hall zu locken, ist eine echte Leistung.“ (13) An der Spitze dieses „Special Orchestra“, das aus ausgewählten Musikern von verschiedenen Londoner Orchestern bestand, präsentierte Johann Strauss Enkel ausschliesslich Kompositionen von Johann Strauss Sohn, darunter die „Zigeunerbaron“‐Ouvertüre, ein „Fledermaus“‐Potpourri und die Walzer „Wiener Blut“, „Geschichten aus dem Wienerwald“ und „An der schönen blauen Donau“. Vilma Delmar, deren rosafarbenes Krinolinenkleid und dunkles, gelocktes Haar viel Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde für ihre Interpretation des „Frühlingsstimmen“‐Walzers weitherum gelobt. Über den schlanken, grauhaarigen Johann Strauss Enkel und das Spiel des Orchesters waren die Meinungen der Kritik weiterhin geteilt. Die ersten Sätze des Kritikers von „The Daily Telegraph“ sind dazu sehr aufschlussreich: „Ob der Walzer bald ein Comeback feiern wird, können wir nicht sagen. In Amerika gibt es Anzeichen dafür, dass das Jazzfieber abflaut, in London grassiert es noch unangefochten, doch folgten gestern Nachmittag mehrere Tausend Zuhörer in der Albert Hall glücklich einem Programm, das aus reiner Tanzmusik und keiner einzigen Note Jazz bestand.“ (14) Zu dieser Zeit wurde in Grossbritannien eine eifrige Diskussion über die musikalische Annehmbarkeit von Jazz geführt. Johann Strauss Enkels Meinung darüber wurde nur zu gern von der Presse geteilt: „Wie können Menschen nächtelang zu dem ohrenbetäubenden Lärm eines Saxophons tanzen? Der Walzer kommt aus der Seele. Jazz hat keine Seele. Die Melodie ist der Motor der Wiener Tanzmusik. Der Rhythmus ersetzt die Melodie in der heutigen Tanzmusik. Ich glaube, dass der ständige Trommelschlag manche Leute so verrückt macht wie die Tanzschritte, die sie zu machen versuchen. Zu einem Walzer kann man immer tanzen. Ich habe das Gefühl, dass die modernen Frauenkleider dazu genau so geeignet sind wie die Krinolinen. Er wird sicher wiederentdeckt.“

Zum Konzert von Johann Strauss Enkel fasste jedoch das „Neue Wiener Journal“ (Wien) die vorherrschende Meinung zusammen:

„Aus London wird uns berichtet: Das Konzert, das Johann Strauss, Enkel und Neffe der beiden Walzerkönige gleichen Namens, mit einem englischen Orchester in der Londoner Albert Hall gab, bewies, dass die Tanzmusik einer vergangenen Generation auch heute, im Zeitalter des Charleston, ihre Anziehungskraft noch nicht verloren hat. Die grosse Halle war gefüllt, der Applaus stark und ehrlich. Mehr als das: Auch die Presse ist voll des Lobes und preist die Dirigentenkunst des Wiener Meisters. Johann Strauss hat in dieser Hinsicht besser abgeschnitten als Siegfried Wagner, der vor zwei Wochen in derselben Halle dirigierte. Während die Kritiker die akademische Steifheit bemängelten, mit der Siegfried Wagner, von 42 den Flammen des „Rheingolds“ umlodert, den Taktstock schwang, begrüsste sie in Johann Strauss III. den schneidigen Interpreten der prickelnden Champagnermusik seiner beiden grossen Vorgänger. Neu für die Engländer war die impulsive Art, wie Strauss, mit dem Bogen dirigierend, an den Höhepunkten die Geige ansetzte und, selber spielend, wiegend und werbend die Kapelle mit sich fortriss.“ (16)

Ein wichtiges Ergebnis der Reise von Johann Strauss Enkel nach London (1927) war der Plattenvertrag mit Columbia Records, nach dem er zwischen dem 24. April und dem 2. Juni 1927 in den Londoner Westminster‐Studios und der berühmten Wigmore Hall 18 Werke aufnahm. Nach dieser Arbeit verliess Johann Strauss Enkel unsere Gestade. Etwas weniger als 7 Monate später kam er, nun 61‐jährig, zurück und begann eine einmonatige Konzerttournee durch England, Schottland, Wales, Nordirland und den Freistaat Irland. Wieder in seiner Begleitung war die attraktive Vilma Delmar, ebenfalls mit von der Partie war diesmal auch Frau Strauss. (17)

Kaum hatte Johann Strauss Enkel britischen Boden betreten, wurde er bereits nach seiner Meinung über die immer noch im Lande geführte Jazz‐Debatte gefragt. Offensichtlich war er seit seinem letzen Besuch toleranter geworden; er war nun der Ansicht, der Jazz verkörpere den ruhelosen Zeitgeist. (18) Wie die Frauenkleider, meinte er, sei er eine Modeerscheinung, die vorbeigehen werde, wogegen der Walzer – der „König der Tanzmusik“ – immer währen und mehr Anhänger denn je habe werde. (19) Er schätze sich glücklich, wieder in Grossbritannien zu sein, und fügte hinzu, nach seiner Ansicht sei das britische Publikum das dankbarste. „Nun“, kommentierte ein Journalist, „man kann von einem Gentleman, der zu seiner Zeit die Ehre gehabt hat, an Kaiserhöfen und in Palästen aufzutreten, nicht erwarten, dass er bei seiner Ankunft in Grossbritannien etwas weniger Höfliches sagt.“ (20)

Die Strauss‐Tournee begann am Sonntag, dem 15. Januar 1928, in der Londoner Royal Albert Hall und endete am Sonntag, dem 12. Februar, auch dort. Die „Johann Strauss Tour“ war von der Londoner Agentur Lionel Powell & Holt für ihre 10. Saison der „Abonnementskonzerte Internationale Meisterinterpreten“ (International Celebrity Subscription Concerts) organisiert worden und pries „nur die weltbesten und brillantesten Künstler“ an, die „direkt von ihren Triumphen in allen Teilen der Welt in die Provinzen kommen“. In den folgenden Wochen beschränkten sich Johann Strauss Enkel und sein „Special Orchestra“ von 40 handverlesenen britischen Musikern auf ein festgesetztes Tourneeprogramm, u. a. mit dem „Radetzky“‐Marsch, dem „Perpetuum mobile“, einer Orchesterfantasie mit bekannten und weniger bekannten Melodien aus Strauss‐Operetten, „Geschichten aus dem Wienerwald“, „Bahn frei!“, „Mein Lebenslauf ist Lieb’ und Lust“ und – natürlich – „An der schönen blauen Donau“. Der Dirigent setzte wiederum keine eigenen Werke aufs Programm. Vilma Delmar – wieder in einem historischen Kostüm – wurde sowohl für ihre reizende Erscheinung als auch ihre glänzende Darbietung des „Frühlingsstimmen“‐Walzers von der Presse sehr gelobt. Überraschenderweise wählte sie für ihre Zugaben keine Strauss‐Musik, sondern Werke von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Max Reger (1873–1916) und Karl Anton Florian

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Eckert (1820–1879, Opern, Lieder, Pianist von Henriette Sontag in Amerika); begleitet wurde sie von der Pianistin Corinne Hay.

Die meisten der Klein‐ und Grossstädte, in denen Johann Strauss Enkel und sein Orchester auftraten, waren schon von Johann Strauss Vater bei seiner Grossbritannien‐Tourneen 1838 und 1849 besucht worden. Obwohl das Tourneeprogramm nach heutiger Auffassung „logistisch schwierig“ war, konnte Johann Strauss Enkel von dem viel umfangreicheren und verbesserten Eisenbahnnetz profitieren, das das Land nun besass, wogegen sein Grossvater mehr auf die anstrengenden Pferde und Wagen angewiesen war. Obwohl die Zeitungsanzeigen für die Konzerte an prominenter Stelle platziert waren, mussten sich die Künstler gegen neuere Unterhaltungsformen behaupten, von denen das Kino mit Stars wie Charlie Chaplin und Buster Keaton die beliebteste war.

Die Kritiken waren zumindest zu Anfang der Tournee eher stillschweigend zustimmend als ungeheuer enthusiastisch und gaben die Meinung des „The Daily Telegraph“ wieder, der zum Eröffnungskonzert in London schrieb, das Orchester habe anscheinend zu wenig geprobt und es fehle ihm der Wiener Esprit, der Johann Strauss Enkel den Londoner Musikern so intensiv zu vermitteln versucht habe. (21) Als die Tournee fortschritt, wurde die Kritik am Orchesterspiel leiser. In Schottland gab es nur noch höchstes Lob für den ganzen Konzertabend. Der „Evening Dispatch“ meinte: „Spieltechnisch ist dieses Strauss‐Orchester hellwach. Seine kontrollierten Zeitmasse sind so ausgezeichnet und das Spiel so klar, dass alles, was es spielt, mit jener ungeheuer faszinierenden Leichtigkeit herüberkommt, die das Zeichen äusserste Virtuosität ist. Der Zauber seiner Rhythmen war überwältigend und oft mit einer solchen zur Schau getragenen Selbstverständlichkeit dargebracht, durch die ihre Kraft nur um so mehr zum Ausdruck kam. Eine solch lebensvolle Interpretation wird allerdings nicht nur durch die Qualität der Musiker oder das fleissige Üben zu Stande gebracht. Sie sind unabdingbar, aber ohne die geistvolle Leitung von Strauss wären sogar diese Vorzüge wertlos. Die Entschlossenheit und Beredsamkeit von Strauss’ Taktschlag sollte für angehende Dirigenten als Vorbild dienen. Diese Art Musik könnte man der Schwerkraft überlassen, ohne sie pflichtschuldigst zu dirigieren, wenn man aber echten Schwung und Elan zum Ausdruck bringen will, muss die Inspiration dem Orchester von seinem Dirigenten vermittelt werden. Darin erfüllt Strauss alle Ansprüche!“ (22) Eine Dame, mit der ich 1996 ein Gespräch führte und die als 21‐jährige Musikstudentin dem Edinburger Konzert am 21. Januar 1928 beigewohnt hatte, beschrieb dies folgendermassen: „Er war sehr dynamisch. Er dirigierte das Orchester mit seinem Geigenbogen und seiner Geige in der linken Hand, und hin und wieder drehte er sich ruckartig zu uns um, mit wehenden Schwalbenschwänzen, und spielte mit den ersten Geigen mit. Daran erinnere ich mich sehr gut. Er dirigierte allerdings nicht alle Stücke (in dieser Art), sondern vor allem Walzer und einen Galopp. (…) Strauss war ein schlanker Mann, breitschultrig, schmal. Er trug einen Eckkragen und eine weisse Binde. Er hatte grau meliertes Haar, und seine Augenbrauen hoben sich im Takt der Musik! Beim Taktschlagen zog er sie nach oben. Es war wirklich verblüffend! (…) Ich war fasziniert. (…) Und sein Gesichtsausdruck! Meine Güte! Er war manchmal meilenweit entfernt von der Musik; dann wieder wurde er lebendig und schaute alle rundherum an. Und 44 dann erschien natürlich die unvermeidliche „Schöne blaue Donau“. Ich spürte, wie er die ganze Zeit auf demselben Fleck tanzte: Stellen Sie sich vor, der ganze Körper ging mit, er strahlte alle an (…). Ich erinnere mich, dass sich der Saal in einen Hexenkessel verwandelte. Sehen Sie, bei anderen Dirigenten wie (Sir Thomas) Beecham waren sie (das Publikum) sehr wohlwollend, ja, sie applaudierten ihm sehr und so, aber bei Strauss lebte das Publikum mit. Es rief ihm zu am Ende, und das will für Schottland etwas heissen. Sie sind . . . sehr gut erzogen. Sie beherrschen ihre Gefühle . . . normalerweise!“ (23) Am nächsten Tag erreichte man Glasgow und das veranlasste den Berichterstatter des „The Glasgow Herald“ zu folgendem Kommentar: „Herr Johann Strauss schenkte uns gestern Abend unter seiner Stabführung Walzer, wie sie im Ballsaal üblich sind, und nahm sich so viele rhythmische Freiheiten, wie sie die Tänzer brauchen. Etwas mehr rhythmische Freiheit wäre begrüssenswert.“ (24) In Nordirland beklagten sich einige Kritiker über die Walzer‐ Monotonie (25), während Journalisten englischer Zeitungen oft fanden, die vielen Walzer führten zur Übersättigung, und eine Wiederholung schnellerer Stücke wie Eduards „Bahn frei!“ und „Perpetuum mobile“ von Johann Strauss Sohn forderten. In vollkommenem Gegensatz dazu bemerkte der Kritiker von „The Blackburn Times“: Obwohl die meisten Stücke bekannt seien, „hat Johann Strauss Enkel etwas vermittelt, was uns zu Bewusstsein brachte, dass das, was wir früher als das Beste akzeptierten, was man als leichte, farbige Rhythmen klassischer Prägung sich nur wünschen konnte, nur ein Ersatz des Eigentlichen war. Seine Interpretationen waren neu.“ (26) Das „Newcastle Journal“ fand, man hätte das Konzert in einem Tanzsaal abhalten sollen: „Es muss für viele Leute eine wirkliche Strafe gewesen sein, still sitzen zu müssen, wenn ein so interessantes Orchester Fröhlichkeit und unwiderstehlichen Rhythmus aus jeder Pore atmet (…) Mit Ausnahme derjenigen auf der Bühne befanden sich alle im Zustand verhaltener Erregung.“ (27) Wenn das Orchester auch Fröhlichkeit verbreitete – zumindest in Manchester –, so war das beim Dirigenten nicht der Fall. „The Manchester Guardian“ sah Johann Strauss Enkel „so feierlich wie ein Richter, was den Gesichtsausdruck betrifft, während des ganzen Programms, sogar als er das Publikum mit lustigen Gesten amüsierte.“ (28)

Die Tournee endete, wo sie am 28. Februar 1928 begonnen hatte, in der Londoner Royal Albert Hall. (29) Während der Tournee waren die Kritiker dem Programm, dem Dirigenten und dem Orchester gegenüber positiv eingestellt, schätzten aber am meisten Vilma Delmar. Nach seinem Abschlusskonzert bereitete Johann Strauss Enkel seine Abreise vor. Währenddessen könnte er einen Augenblick an die grossen britischen Triumphe seiner Vorgänger gedacht haben; das Ergebnis seines eigenen Unternehmens hat er sicher mit gemischten Gefühlen betrachtet. Es sollte jedenfalls seine erste und letzte Tournee auf den Britischen Inseln bleiben.

Knapp 3 Jahre später, am 4. Januar 1931, war Johann Strauss Enkel wieder in London, um bei einem eleganten „Strauss Ball“ im berühmten „Savoy“‐Hotel in der Nacht des 6. Januar zu dirigieren. Es sollte seine letzte Berufsreise auf die Britischen Inseln sein. Der „Strauss Ball“, der viele Mitglieder des niederen und hohen Adels anzog, war vom National Birthday Trust Fund (1928 gegründet zur Senkung der Sterberate von Mutter und Kind, vergibt heute noch 45

Zuschüsse und Stipendien für Frauenheilkunde und Geburtshilfe) organisiert worden, um im Vereinigten Königreich Anlaufstellen für werdende Mütter zu vergrössern und zu verbessern. Wenn man sich vor Augen hält, wie viel Johann Strauss Vater für die Geburt von Kindern getan hat, ist es nur billig, wenn sein Enkel Geld sammelt für die Verbesserung der Mütterhilfe! Der „Strauss Ball“ war ein voller Erfolg! Unsere Vergangenheit hat aber leider die dumme Angewohnheit, uns einzuholen. Nach den Kommentaren, die Johann Strauss Enkel in all den Jahren abgegeben hat, können wir uns gut vorstellen, was für Gedanken ihm durch den Kopf gegangen sein müssen, als er beim Betreten des „Savoy“‐Ballsaals an einem Ende des Saals eine Jazzband bei der Probe zum „Strauss Ball“ vorfand. Er bemerkte dazu diplomatisch zu einem Journalisten, das sei der Beweis, dass Wiener Musik und amerikanische Musik sehr gut neben einander existieren könnten. (30)

Am Nachmittag des „Strauss Ball“ im „Savoy“ wurde Johann Strauss Enkel als erstes Mitglied seiner Familie zu einer Privataudienz gebeten, denn der Prinz von Wales, der spätere König Eduard VIII. (1894–1972), lud ihn in sein Heim York House ein (ein Seitentrakt des St‐James’s‐ Palast, für Friedrich, Prinz von Wales, bei seiner Hochzeit 1736 errichtet). Johann Strauss Enkel spielte für seinen königlichen Gastgeben einige Walzer auf dem Klavier und sagte später einem Reporter: „Der Prinz konnte leider den Ball nicht besuchen, aber er lud mich ein, mit ihm über die Musik meines Onkels zu sprechen. Er empfing mich sehr herzlich, und nachdem er mit einer Dame seiner Begleitung getanzt hatte, sagte er, der Walzer sei wirklich der einzige Tanz, der ihn interessiere.“ Und dann geschah etwas, was sehr daran erinnert, dass Johann Strauss Enkels Vater Eduard sich von Königin Viktoria entfernend, rückwärts ging, um plötzlich mit Schrecken festzustellen, dass er in ein am Boden stehendes Blumenarrangement getreten war. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, so scheint es, denn Johann Strauss Enkel erzählte später, dass er sich beim Aufbruch vor dem Prinz von Wales verbeugte und dabei einen Tisch mit Erfrischungen umstiess. Inmitten zerberstender Cocktailgläser hörte man den Prinzen sagen: „Na ja, das künstlerische Temperament!“ (31)

Mehr als 900 Personen nahem an dem „Strauss Ball“ im „Savoy“‐Hotel teil, einem immer noch beliebten Etablissements, das sich der Stelle gegenüber befindet, an der sich die Exeter Hall (32) erhob, in der Johann Strauss Vater 1849 seine „Exeter“‐Polka (op. 249) vorstellte. Während drei Stunden spielten Johann Strauss Enkel und sein Orchester – als sein eigenes bezeichnet, aber zweifellos ein britisches – ein Programm, das fast nur aus Walzern bestand, darunter „Künstlerleben“ und „Wiener Blut“. Er muss sehr zufrieden gewesen sein mit dem Erfolg an diesem glänzenden Abend, der von einer Zeitung als „der grossartigste Wohltätigkeitsabend in London seit vielen Jahren“ gelobt wurde. (33) In einem Artikel, der an die grossen Erfolge früherer Londoner Besuche der Strauss‐Familie erinnerte, erklärte „The Times“ stolz: „Sowohl Herr Strauss als auch die Walzer, die er gestern Abend spielte, dürften sich in einer Weltstadt zu Hause gefühlt haben, in der seit fast einem Jahrhundert dieser Name und diese Musik verehrt werden.“ (34

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Meine Damen und Herren

Der berühmte britische Dirigent, Sir Thomas Beecham (1879–1961), sagte einmal: „Es ist ganz und gar unwichtig, dass das britische Volk Musik nicht mag. Es versteht sie vielleicht nicht, aber es liebt auf jeden Fall den Lärm, den sie verursacht.“ Im Lauf der vergangenen 20 Minuten habe ich, wie ich hoffe, die Beobachtung von Sir Thomas bestätigen können, „dass wir Briten auf jeden Fall den Lärm lieben“, den die Musik verursacht, aber noch wichtiger: Ich hoffe, dass ich zumindest an der Genauigkeit seiner Behauptung, „dass wir sie vielleicht nicht verstehen“, Zweifel geweckt habe.

Anmerkungen

(1) Neue Freie Presse. Nr. 26,708. 16. Januar 1939. Das vollständige Zitat lautet: „Mit ihm starb ein Künder wienerischer Musikalität, der mit einer Bescheidenheit, die von Grösse zeugt, seine eigenschöpferischen Ambitionen hinter den Dienst am Werk seiner grossen Ahnen zurückstellte, der als Dirigent Straussscher Melodien der ganzen Welt Freude, Beschwingtheit und beseeltes Wienertum vermittelte.“

(2) The Waltz Dynasty Strauss. Artikel von Johann Strauss Enkel im britischen Tourneeprogramm von 1928. (3) Briefwechsel des Autors mit dem Königlichen Archiv. Schloss Windsor. 31. Januar 1983. (4) Fremden‐Blatt. Nr. 176. 28. Juni 1885. (5) Daily Mail. Nr. 1,910. 3. Juni 1902. (6) The Era.Vol. 65. Nr. 3. 7. Juni 1902. (7) The Times. Nr. 36,785. 4. Juni 1902. (8) Sunday Times. Nr. 4,131. 8. Juni 1902. (9) The Musical Standard. Nr. 440. Vol. XVII. 7. Juni 1902. (10) Eine vollständige Wiedergabe des Walzers findet man auf der CD „Johann Strauss and Family in London“ (Chandos Records, CHAN 8739), gespielt vom Londoner Symphonieorchester unter John Georgiadis. Diese CD wurde von der Britischen Strauss‐ Gesellschaft gesponsert, um das 25‐Jahr‐Jubiläum der Gesellschaft zu feiern. (Die CD wurde 2004 unter dem Titel „ in London“ [CHAN 6691] wieder veröffentlicht.) (11) König Eduard VII. besuchte Wien vom 31. August bis 3. September 1903. Siehe: Peter Kemp. The Wienerlieder Man. Music. Nr. 97. Sommer 2009. S. 15. (12) The London Gazette. Nr. 27,604. 9. Oktober 1903. (13) Westminster Gazette. Nr. 10,533. 25. April 1927. (14) The Daily Telegraph. Nr. 22,451. 25. April 1927. (15) Westminster Gazette. Nr. 10,531. 22. April 1927. (16) Neues Wiener Journal. Nr. 12,018. 8. Mai 1927. (17) Johann Strau ss Enkel heiratete am 17. April 1894 Maria Emilie Karoline Hofer (1867–1939). (18) The Manchester Guardian (Londoner Ausgabe). Nr. 25,391. 14. Januar 1928. (19) The Daily Chronicle. Nr. 20,542. 14. Januar 1928. (20) The Halifax Daily Courier and Guardian. Nr. 13,891. 14. Januar 1928. (21) The Daily Telegraph. Nr. 20, 678. 16. Januar 1928. (22) The Evening Dispatch. Nr. 13,169. 25. Januar 1928. (23) Gespräch von Peter Kemp und Agnes Fleming Smith (1906–2009) am 20. Februar 1996. (24) The Glasgow Herald. Nr. 22. 26. Januar 1928. (25) Belfast Telegraph. 28. Januar 1928; Dublin Evening Mail. Nr. 23,932. 30. Januar 1928. (26) The Blackburn Times. Nr. 3,738. 4. Februar 1928. 47

(27 ) Newcastle Daily Journal and Courant Daily Star. Nr. 25,562. 19. Januar 1928. (28) The Manchester Guardian. Nr. 25,398. 23. Januar 1928. (29) The Times. Nr. 44,814. 11. Februar 1928. (30) The Daily Telegraph. Nr. 23,601. 7. Januar 1931. (31) The New York Times. Nr. 26,647. Vol. LXXX. 8. Januar 1931. (32) Die Exeter Hall wurde 1907 abgerissen. (33) The Daily Telegraph. Nr. 23,601. 7. Januar 1931. (34) The Times. Royal Edition. (Sonderdruck für das Königshaus und Bibliotheken, Ende 1969 eingestellt). Nr. 45,714. 7. Januar 1931.

Übersetzung: Rudolf Maeder

Die Operetten von Johann Strauss (Sohn) in Zagreb bis 1945

Nada Bezić

Vorabdruck eines Referats gehalten im Rahmen der „Tanz‐Signale 2010“ mit freundlicher Genehmigung des Wiener Instituts für Strauss‐Forschung (WISF)

Nada Bezić „Tanzsignale 2010“ 20. März

„Nirgends steht geschrieben, dass pures Gold sein muss, was den Wienern gefällt.“ (Ein anonymer Kritiker anlässlich der Zagreber Premiere des Zigeunerbarons, 1895)33

33 Anon.: "'Barun ciganin'", Obzor, 36 (1895), Nr. 75 48

Mit dem Thema Strauss in Zagreb befasste ich mich im Jahre 2002, wonach mein gleichnamiger Text in der Zeitschrift Fledermaus erschien.34 Die Aufführung der Operetten von Johann Strauss Sohn in Zagreb habe ich dabei nur am Rande berührt, während die hier dargestellte Untersuchung eine Reihe neuer Angaben hervorbrachte, die auch unser Wissen von der Operette in Zagreb allgemein bereichern.

Unter den Komponisten, deren Operetten im Zeitraum zwischen 1883 (dem Jahr der ersten Aufführung einer Strauss‐Operette in Zagreb) und 1945 (in Kroatien nicht nur das Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg endete, sondern auch ein Regimewechsel stattfand, darüber später mehr) in Zagreb aufgeführt wurden, nimmt Strauss nach der Anzahl der Aufführung seiner Werke den 3. Platz ein (nach Lehár und Kálmán). Selbstverständlich kam als erstes die Fledermaus zur Aufführung, die in den folgenden 60 Jahren noch 145 Mal zu sehen sein sollte. Die besten Strauss‐Operetten trafen mit einer den Möglichkeiten einer Provinzstadt in der Monarchie gemäßen Verspätung in Zagreb ein: Die Fledermaus, Der Zigeunerbaron und etwa ein Jahrzehnt nach der Uraufführung, die weniger erfolgreichen und bekannten Operetten und viel später, Das Spitzentuch der Königin (in Zagreb unter dem Titel Cervantes aufgeführt) sogar 30 Jahre nach der Wiener Uraufführung. Ein Kritiker erlaubte sich damals den treffenden Scherz: "Mein Großvater erzählte mir vor einigen Jahren von den großen Erfolgen, die unsere heutige Novität zu seiner Zeit erzielte."35 Die Operette Jabuka (Das Apfelfest), deren Handlung im serbischen Banat spielt, wurde in Zagreb (wie auch in ganz Kroatien im Übrigen) nie aufgeführt.36 Im Anhang befindet sich eine Tabelle mit den wichtigsten Angaben zu den aufgeführten Operetten. Im Jahre 1883 hatte Zagreb (dt. Agram) um die 30.000 Einwohner.37 Es war die Landeshauptstadt Kroatiens, das innerhalb der Österreichisch‐ungarischen Monarchie 1867 Ungarn zugeteilt worden war, blieb aber aufgrund seiner kulturellen und historischen Beziehungen mit Wien verbunden, und ein beträchtlicher Teil seiner Bürger sprach auch weiterhin täglich deutsch. In der Stadt wirkten zahlreiche Musikgesellschaften, während die Musikschule, ebenso wie in Wien, dem 1827 gegründeten und immer noch lebendigen Musikverein angehörte. In Konzerten trat das Theaterorchester auf, nicht selten waren auch Militär‐, Feuerwehr‐ und Stadtkapellen zu hören.

34 Nada Bezić: Strauss in Zagreb, in: Die Fledermaus, Mitteilungen 18‐19, Tutzing 2003, Ss. 91‐97. 35 Otto Kraus: (Kroatisches Nationaltheater), in: Agramer Tagblatt, 19. Jg. (1904), 1. Februar. 36 Das Apfelfest / Jabuka, wird von den Musikpublizisten N. Faller und V. Kučinić als Kuriosum unter den Strauss‐Operetten und im Einklang mit dem damaligen südslawischen Einheitsdenken als Operette aus „unseren Landen“ und mit Charakteren, die „unsere“ Namen tragen, bezeichnet (1913 und 1938). Siehe Nikola Faller: Barun ciganin, in: Hrvatski pokret, 9.(10.) Jg. (1913), Nr. 216, S. 11, und Viktor Kučinić: Johann Strauss proslavio je 24. oktobra 1885 premijerom "Baruna Ciganina" svoj 60 rodjendan. Posljednja izvedba u Zagrebu 1917 s Jarićem i Polakicom, in: Novosti, 32. Jg. (1938), Nr. 284, S. 12. 37 Ivo Goldstein: Hrvatska povijest, Zagreb 2003, S. 195. 49

Das mit einem einheimischen Ensemble besetzte Nationaltheater wurde 1861 gegründet, sobald die politischen Verhältnisse dies nach dem Rücktritt des Innenministers Alexander Bach erlaubten. Mit der letzten deutschsprachigen Theatertruppe verschwand auch die deutsche Sprache von der Bühne. Die erste Operette, die in kroatischer Sprache aufgeführt wurde, war 1863 Offenbachs Die Verlobung bei der Laterne. Es folgten weitere Operetten von Offenbach, von Suppé und Ivan Zajc, bis ein Ensemble entstanden war, das der Aufführung von Opern gewachsen war. Das Zagreber Opernhaus wurde 1870 gegründet. Seine Führung übernahm der Komponist und Dirigent Ivan Zajc, der zu diesem Zweck aus Wien zurückgekehrt war, wo er sich als Operettenkomponist etabliert hatte.38 Im selben Gebäude wirkten ein Dramen‐ und ein Opernensemble, später auch ein Ballettensemble, und diese Trias blieb auch im neuen 1895 errichteten Gebäude bis zum heutigen Tage erhalten.

Die Zagreber Musiköffentlichkeit verfolgte mit großem Enthusiasmus die Anfänge der Zagreber Oper. In dieser Situation wurde jeder Versuch, im Theater Höchstleistungen zu vollbringen, verherrlicht, während die Operette als profanes Anhängsel der Oper galt. Die Hetze gegen die Operette hörte auch nach 1881 nicht auf, als die kritische Stimme ihres schärfsten Gegners, des angesehenen kroatischen Schriftstellers August Šenoa, für immer verstummte. Man erachtete, dass die Operette sowohl prinzipiell als auch nach der Qualität ihrer Musik und ihrer Libretti im Nationaltheater, das aus staatlichen Geldern finanziert wurde und daher der kulturellen Erbauung der Allgemeinheit und der „reinen Kunst“ dienen sollte, fehl am Platze war.39 Die Theaterführung und später der Intendant Stjepan Miletić sowie der Operndirektor Srećko Albini wurden wegen vermeintlich schlechter Programmauswahl öffentlich angeprangert.40

Es wundert nicht, dass in dieser Stimmung die Fledermaus nicht ohne Angriffe der Kritik über die Bühne gehen konnte, und ihre Urheber Strauss und Genée wurden als Menschen beschrieben, die „in der fröhlichen Kunst bewandert waren, wie man die Sinne am besten zu reizen, das Hirn abzustumpfen und das unverdorbene Herz zu vergiften mag“. Wohl auf die Verbrüderungsszene im 2. Akt anspielend, stellte die sittsame Kritik streng fest, dass die „Unsittlichkeit des Librettos jedermanns Ohr beleidige“.41 Dem Zagreber Frosch wurde übertriebene Sauferei nachgetragen, obwohl seine Bemühungen, die Galerie zum Lachen zu

38 Vgl. Stanislav Tuksar: Premijere Zajčevih glazbeno‐scenskih djela u Beču u ogledalu kritike, in: Zbornik radova sa znanstvenog skupa o38 Otto Kraus: (Kroatisches Nationaltheater), in: Agramer Tagblatt, 19. Jg. (1904), 1. Februar. 38 Das Apfelfest / Jabuka, wird von den Musikpublizisten N. Faller und V. Kučinić als Kuriosum unter den Strauss‐Operetten und im Einklang mit dem damaligen südslawischen Einheitsdenken als Operette aus „unseren držanog u povodu 150. obljetnice rođenja Ivana Zajca, Zagreb 1982, Ss. 79‐ 113 und Stanislav Tuksar: Premijere Zajčevih glazbenoscenskih djela u Beču u ogledalu kritike, II. dio, in: Mladi Zajc, Beč 1862.‐1870., Rijeka 2003, Ss. 25‐39. 39 Janko Ibler: (Narodno kazalište), in: Pozor, 3. Jg. (1883), Nr. 245. 40 Walter Siess: (Nationaltheater), in: Agramer Tagblat,t 25. Jg. (1910), 3. December; Hugo Bresnitz: (Operette), in: Agramer Tagblatt, 10. Jg. (1895), Nr. 75. 41 Ebenda. 50 bringen, als lobenswert hervorgehoben wurden.42 Zwischen den Zeilen gelesen, war dieser Humor in seinem Niveau demnach bestenfalls etwas fürs Publikum auf den billigen Rängen, den Studenten und niederen oder ärmeren Schichten des Bürgertums.

Glücklicherweise vermochte all dies die Fledermaus nicht vom Repertoire zu vertreiben. Auch die Einstellung zur Operette veränderte sich allmählich. Als 1896 Eine Nacht in Venedig aufgeführt wurde, rechtfertigte ein wohlwollender (oder der Theaterverwaltung wohlgesinnter) Kritiker die Aufführung dieser Operette damit, dass man mit populären Werken ein neues Publikum anzulocken versuche, das sich auf diese Weise an Theaterbesuche gewöhnen solle. Bei der zweiten Zagreber Premiere der Fledermaus (1911) hatte sich die Haltung bereits von Grund auf verändert: in Erinnerung an „schöne Traditionen“ bedauerte ein Kritiker, dass die Vorführung nicht auf noch älteres Operettenrepertoire zurückgegriffen hatte, weil das „der musikalischen Erziehung des breiten Publikums“ gut getan hätte.43 Über Strauss hieß es, er folge der „großen Buffo‐ Schule Rossinis und Donizettis“ nach und sei ein „ewig junger Klassiker“ in der Gesellschaft Mozarts, Webers, Lecocqs, Bellinis und Verdis.44

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte Zagreb ein rasantes Wachstum und entwickelte sich in jeder Hinsicht weiter. In den 1920ern wurde die speziell für Operetten und Komödien bestimmte Tuškanac‐Bühne eröffnet. Das Kroatische Nationaltheater erhielt 1929 eine zweite Bühne im so genannten Kleinen Theater. In der Regel wurden dort Operetten aufgeführt, fast könnte man sagen, sie seien dorthin verbannt worden, da für sie als „etwas Fremdes, Importiertes, ihrem künstlerischen Rang nach N“iederes im Nationaltheater kein Platz war.45 Eine der Ausnahmen auf der großen Bühne war natürlich die Fledermaus, deren Aufführung im Jahr 1933 dies auch rechtfertigte. Einer Kritik ist allerdings zu entnehmen, dass es für ihre Aufführung auch andere repertoirebezogene Gründe gab: "Jetzt, wo die Dämmerung der schwarz‐jazzistischen Invasion immer mehr zu spüren ist, wird Johann Strauss, ein typischer Repräsentant der europäischen, der Wiener Tanzmusik, wieder immer aktueller, seine Popularität erlebt eine Wiederauferstehung. Nach den Irrungen eines Jahrzehnts seelischer Orientierungslosigkeit nach dem Krieg kommt die Mentalität Europas wieder zu sich, der Geschmack der Europäer kehrt wieder zu seinen alten Traditionen zurück.“46

Es gab auch einen praktischen Grund, warum die Fledermaus auf der großen Bühne inszeniert wurde: Sie wurde nämlich in der Bearbeitung Max Reinhardts und Erich Wolfgang Korngolds dargeboten, in die neue Szenen und viel neue Musik aus dem reichhaltigen Angebot Straussscher Melodien eingebaut waren, sodass die Vorführung eine Drehbühne

42 I‐s: (Narodno kazalište), in: Pozor, 3. jg. (1883), Nr. 244. 43 Anon.: Hrvatsko kazalište, in: Obzor, 52. Jg. (1911), Nr. 101. 44 Anon.: Hrvatsko kazalište, in: Novosti, 5. Jg. (1911), Nr. 103. 45 Stanislav Stražnicki: J. Strauss: "Šišmiš". Repriza u Narodnom kazalištu, in: Novosti, 27. Jg. (1933), Nr. 174. 46 Lujo Šafranek‐Kavić: Premijera nanovo uvježbane operete Johanna Straussa. Dirigent Lovro Matačić, in: Obzor, 74. Jg. (1933), Nr. 146, S. 2 f. 51 erforderte. Diese hat solche Begeisterung hervorgerufen, dass das Publikum spontan applaudierte, als sie sich zu bewegen begann. Es gab berechtigte Einwände gegen die Länge der Pausen zwischen den Akten, wofür der ganze neue Firlefanz verantwortlich gemacht wurde, und die Vorstellung dauerte auch bis nach Mitternacht, doch mit der Zeit arrangierte man sich.

Es ist bereits gesagt worden, dass die ges ellschaftlichen Verhältnisse in Zagreb Widerstand gegen die Operette als bühnenmusikalisches Genre auf den Plan riefen. Die politischen Verhältnisse aber hatten direkten Einfluss auf die Rezeption von Stra uss` Zigeunerbaron. In dieser Operette geht es schließlich um die Ungarn.

Die Geschichte der kroatisch‐ungarischen Beziehungen geht auf das 11. Jahrh u ndert zurück. Für uns steht jedoch die Krise im Vordergrund, die nach dem Österreichisch‐ungarischen Ausgleich (1867) und dem Kroatisch‐ungarischen Ausgleich (1868) ausbrach und von den Bemühungen Kroatiens geprägt war, innerhalb Ungarns die größtmögliche Autonomie zu bewahren. Entgegen den Bestimmungen des Kroatisch‐ungarischen Ausgleichs wurde in den Eisenbahnen in Kroatien die ungarische Sprache eingeführt, und im Sommer 1883 entbrannten Unruhen. Daraufhin wurde Károly Khuen‐Héderváry als Banus eingesetzt, und seine folgende zwanzigjährige Herrschaft hinterließ in Kroatien tiefe Spuren, unter anderem wegen der forcierten Durchsetzung der ungarischen Interessen. Als im Oktober 1895 Kaiser Franz Joseph I. in Zagreb eintraf, interpretierten die politischen Kreise in Zagreb diese Tatsache als Zeichen seiner Billigung der pro‐ungarischen Politik Hédervárys. Studenten haben damals aus Protest am Zagreber Hauptplatz die ungarische Fahne in Brand gesteckt. Es handelte sich um die Eskalation einer Unzufriedenheit, die sicherlich bereits im Frühling desselben Jahres vorhanden war, als der Zigeunerbaron erstmals aufgeführt wurde. Für die Zagreber Premiere war diese Operette erheblich gekürzt worden.47 „Das ist gut so“, schrieb ein Kritiker, „weil es bei uns für die vielen Csárdás‐Nummern und den Rákóczi‐Marsch weder Verständnis noch Interesse gibt. Diese Operette passt überhaupt nicht zu unseren Verhältnissen. Bei uns ist der Ungar nicht die komische Figur, die er für die Wiener etwa abgeben kann, die über die besondere Sprache und den Akzent im Deutschen aus dem Munde eines Ungarn lachen können.“48 Die auf das Wiener Publikum zugeschnittene Figur des Zsupán konnte "mit ihrer dem Geschmacke des nachdualistischen Wien angemessenen gemütlichen Persiflage des Magyarenthums, die eigentlich für das Letztere Reclam macht, in Agram nicht auf das entsprechende Verständnis stoßen."49 Außerdem genügte es nicht, das

47 Es handelte sich wahrscheinlich um Regiekürzungen, obwohl auch Zensur nicht auszuschließen ist. Den Nachweis dafür, dass die Aufführungen der staatlichen Zensur unterlagen, finden wir auf den Notenunterlagen einiger Strauss‐Operetten, die im Archiv des Kroatischen Nationaltheaters aufbewahrt werden. Nur vier Tage vor der Premiere des Cervantes im Jahre 1910 stand in der Aufführungserlaubnis im Klavierauszug, dass „die mit Rotstift gekennzeichnete Stelle (…) auszulassen ist“. Vgl. Helena Borović: Notna građa operetnoga arhiva Hrvatskoga narodnog kazališta u Zagrebu i njezin život na sceni od pojave opereta do Drugoga svjetskog rata, Zagreb 2010 (Diplomarbeit, Manuskript in der Bibliothek der Musikakademie in Zagreb). 48Anon.: „Barun Ciganin“, in: Obzor, 36. Jg. (1895), Nr. 75. 49 Bresnitz, a. a. O. 52

Libretto nur zu übersetzen; vielmehr hätte es vollständig lokalisiert und alles gestrichen werden müssen, was bei den Kroaten, vorsichtig ausgedrückt „nicht populär“ ist.50

Nach den Gepflogenheiten der Zeit wurden die Operetten von Strauss wie alle Vorstellungen in Zagreb in kroatischer Übersetzung dargeboten, selbst den Vornamen von Strauss treffen wir in einem Zeitungsartikel in kroatisierter Form als „Ivan“ an.51 In der wörtlichen Übersetzung blieben leider viele Wortspiele und Scherze in den Operetten auf der Strecke. Bedenkt man darüber hinaus die Vorwürfe wegen schlechter Aussprache oder falscher Betonungen (insbesondere wenn die Titelrolle im Zigeunerbaron von einem Bulgaren gesungen wird),52 so ist leicht nachvollziehbar, wie stark sich das auf den Gesamteindruck und Erfolg hat auswirken müssen.

Obwohl Kritiker bei der Beurteilung einer Aufführung selten einer Meinung sind, kann festgestellt werden, dass die Premieren der Operetten des „Walzerkönigs“ in Zagreb meistens ein Erfolg waren. Besonders gelungen waren die Aufführungen der Fledermaus in der ersten Inszenierung 1883 und auch in späteren. Andererseits war auch über den Prinz Methusalem 1904 zu lesen, dass er zu den besten Aufführungen der Spielsaison gehört, wonach er in jenem Frühling trotzdem nur vier Mal auf dem Programm war, danach kein einziges Mal mehr.53 Schlechte Aufführungen waren nach den Stimmen der Kritiker durch zu wenige Proben54 oder den Mangel an adäquaten Sängern zu erklären.55

Was war nach Meinung der Zagreber Kritiker unerlässlich für die Aufführung einer guten Strauss‐Operette? Angesagt war nicht nur guter Gesang, sondern auch ein „besonders geschickter Vortrag“ des Gesungenen,56 bei den Sängern wiederum „echte salonfähige Finesse und Eleganz“.57 Vom Operettenensemble wurde ein „Glanz der Stimmen“ gefordert, einige Gestalten wie etwa Zsupán im Zigeunerbaron sollten über eine „liebevoll eingehende, humoristische Charakteristik, überhaupt wirklichen Humor“ verfügen.58 Die Kritiker lobten die Auftritte von Chor59, Orchester und Ballett, nur manchmal zogen sie über den Kostümbildner her (z. B. bei Eine Nacht in Venedig: „Das Pittoreske in Ehren, aber nicht

50 Das Libretto der Operette ist für unsere Verhältnisse nicht sehr günstig gelegen, um die Musik für uns zu retten, müßte nicht eine bloße Uebersetzung geschaffen, sondern ein vollständige Localisirung vorgenommen werden, welche den Stoff aller Zuthaten entäußern würde, die hier – sagen wir: nicht populär sind.", Ivan Souvan: Kunst‐Chronik, in: Agramer Zeitung, 70. Jg. (1895), Nr. 75, S. 6. 51 Viktor Novak: Novo naučeni Straussov "Barun Ciganin", in: Obzor, 54. Jg. (1913), Nr. 255, S. 3. 52 Stojan Kolarov, ist 1938 in Zagreb aufgetreten. 53 Srećko Zindl: Hrvatsko zem. kazalište, in: Narodne novine, 70. Jg. (1904), Nr. 25. 54 Z. B. Eine Nacht in Venedig 1896, Siehe Hugo Bresnitz: (Operette), in: Agramer Tagblatt, 11. Jg. (1896), Nr. 116, S. 5. 55 Z. B. Der lustige Krieg, 1900. Siehe Anon.: Kunst‐Literatur, in: Agramer Zeitung, 75. Jg. (1900), Nr. 101, S. 5. 56 D.: "Veseli rat", opereta u 3 čina od J. Straussa, in: Svjetlo, 15. Jg. (1900), Nr. 19. 57 I‐s., a. a. O. 58 Souvan, a. a. O. 59 Anon.: „Barun Ciganin“, in: Obzor, 36. Jg. (1895), Nr. 75. 53 einmal eine Operettenaufführung muss einem Faschingsball gleichen.“).60 Ums Bühnenbild machte sich der bekannte kroatische Maler Marijan Trepše besonders verdient. Die Regie der Fledermaus von Ivo Raić im Jahre 1911 „verwandelte Bühne und Ensemble zu einem Bild, das der größten Theaterhäuser würdig wäre“,61 während die Regie des Zigeunerbarons von einem unbekannten Regisseur im Jahre 1913 „ziemlich geschmacklos und fad“ war.62 Regier und Choreographie der Strauss‐Operetten in den 1930ern unterschrieb Margareta Froman, einst Mitglied der berühmten Balletttruppe Djagilews.

Unter den Dirigenten nehmen vier Namen einen besonderen Platz ein. Die erste Fledermaus dirigierte Gjuro Eisenhuth,63 ein vielseitiger Musiker, der wegen seiner physischen Ähnlichkeit, aber auch wegen seines Wirkens als Dirigent und Komponist der „Zagreber Strauss“ genannt wurde. Einige Premieren wurden von Srećko Albini dirigiert,64 der auch selbst international erfolgreiche Operetten komponierte und eine Zeit lang auch Operndirektor war. Die Fledermaus‐Aufführung im Jahre 1944 wurde von Berislav Klobučar dirigiert,65 der später langjähriger Dirigent der Wiener Staatsoper war, doch der berühmteste Dirigent von allen war sicherlich Lovro von Matačić,66 in dessen internationalem Auftrittsverzeichnis auch ein Konzert mit Werken von Strauss im Jahre 1964 in London unter Mitwirkung von Elisabeth Schwarzkopf als Solistin vermerkt ist.

Da einige Strauss‐Operetten nicht von Operetten‐, sondern von Opernsängern aufgeführt wurden, fand das bei den Kritikern recht viel Beachtung.67 Unter den zahlreichen Solisten sollen an dieser Stelle einerseits jene hervorgehoben werden, die auch außerhalb Kroatiens auftraten wie Zvonimir Freudenreich68, und andererseits die Stützen der Zagreber Operette wie Arnošt Grund, der stets gelobte Frosch. Die Sopranistin Irma Polak war der Liebling des Zagreber Publikums und garantierte so gut wie jeder Operette, in der sie auftrat, den Erfolg. Vor ihrer Zagreber Zeit, die 1900 begann, war sie fünf Jahre lang in Wien aufgetreten, unter

60 Branimir Ivakić: Johann Strauss: „Jedna noć u Veneciji“. Opereta u 3 čina, in: Obzor, 80 Jg. (1940), Nr. 93, S. 4. 61 Anon.: Hrvatsko kazalište, in: Novosti, 5. Jg. (1911), Nr. 103. 62 ‐n.: "Barun Ciganin" 18. IX. 1913., in: Novosti, 7 Jg. (1913), Nr. 254. 63 Gjuro Eisenhuth (1841‐1891), Komponist, Violinist, Dirigent und Musikpädagoge. 64 Srećko (Felix) Albini (1869‐1933), Komponist und Dirigent, Direktor der Zagreber Oper 1909‐1919. Operetten: Barun Trenk (1908), Nabob/Bosonoga plesačica (Die barfüßige Tänzerin 1905, 1909). 65Berislav Klobučar (1924‐), Dirigent, von 1953 an vier Jahrzehnte lang Dirigent in der Wiener Staatsoper. 66 Lovro von Matačić (1899‐1985), Dirigent und Komponist. 67 Vladimir Ciprin: Uspjeli nastup Opere u klasičnoj opereti "Barun Ciganin", in: Večer, 19. Jg. (1938), Nr. 5370, S. 7; Natko Devčić: "Barun Ciganin", in: Jutarnji list, 27. Jg. (1938), Nr. 9605, S. 21.; Hubert Pettan: "Barun Ciganin", komična opera u 3. čina, in: Obzor, 78. Jg. (1938), Nr. 241, S. 2. 68 Freudenreich (1888‐1915): Der Eisenstein gehörte zu seinen bedeutenderen Rollen. Er war ein wunderbarer lyrischer und ausgezeichneter Schauspieler. Von 1898 an wirkte er in Deutschland und Österreich (Innsbruck, Wiener Neustadt), 1902 trat er auch im auf. 54 anderem mit dem namhaften Strauss‐Interpreten Alexander Girardi.69 Irma Polak war Slowenin und fügte so manches Mal im zweiten Akt der Fledermaus nach der Arie der Rosalinde alias der ungarischen Gräfin das slowenische Volkslied Prišla bo pomlad70 ein, wofür sie Riesenapplaus erntete, weil sie dadurch „Liebe und Eintracht zwischen den beiden brüderlichen Völkern dokumentierte“, was in den Jahren, die dem Zusammenbruch Österreich‐Ungarns vorhergingen, von besonderer Aktualität war.71

Den Libretti gaben die Zagreber Kritiker (außer bei der Fledermaus und beim Zigeunerbaron) fast immer einhellig schlechte Noten, was schließlich auch der herkömmlichen Meinung entspricht.72 Die Musik selbst war überwiegend von früher aus den Ta nzsälen oder vom häuslichen Musizieren her bekannt, und zwar nicht nur den Kritikern, sondern auch dem Publikum, was die Aufgabe für die Interpreten gewiss nicht erleichterte.73 Die Rezeption der Operetten hing natürlich auch von den Gegebenheiten in der bühnenmusikalischen Produktion und im Repertoire ab. Nach dem großen Erfolg von Lehárs Lustiger Witwe und Oscar Straus` Walzertraum im Jahre 1907 konnte die Aufführung des schwachen und veralteten Cervantes 1910 keine gute Aufnahme finden. „Die Couplets, Walzerlein und Polken können auf unsere verwöhnten Sinne keinen Eindruck mehr machen. In der Operette muss mehr Parfum sein, Champagnermusik ohne Sentimentalität“.74 In kurzer Zeit wurden sogar drei Operetten von Leo Fall dargeboten,75 sodass es kein Wunder ist, wenn die Fledermaus mit den Operetten von Lehár und Fall verglichen wurde, „bei denen es reicht, dass sie zwei drei nette Walzer komponieren und sie ir gendwie in ein nettes Libretto hineinstopfen und damit Erfolg haben.“76

Vor Abschluss möchte ich noch eine Zagreber Besonderheit preisgeben. In der Aufführung des Prinz Methusalem (1904) sorgte Arnošt Grund als „Musikant“ mit seinem „Kvak‐Lied“ im einheimischen kajkavischen Dialekt für Lachsalven.77 Es handelt sich um eine Nummer, die im Rahmen des 1879 gegründeten Zagreber Spaßclubs Kvak („Quack“) entstanden war. Die Kvakianer waren nach dem Vorbild der in Europa zuvor verbreiteten Schlaraffia‐ Vereinigungen entstanden; darin versammelte sich der Geistes‐ und Geldadel vor allem, um sich gut zu vergnügen und edlen Humor zu pflegen. Bei ihren Treffen und internen

69 Vgl. Marija Barbieri: Hrvatski operni pjevači, Knjiga prva, Zagreb 1996, S. 98. In Österreich trat Irma Polak unter dem Nachnamen Fabiani auf. 70 „Der Frühling wird kommen“ 71 Anon.: Straussov "Šišmiš", in: Hrvatska sloboda, 4. Jg. (1911), Nr. 85. Siehe auch Anon.: Hrvatsko kazalište, Hrvatska, (1914), Nr. 923. 72 Nur ein Beispiel hierzu: das Sujet des Cervantes „ist eine Tortur par exellence“. Hätte einer von unseren Librettisten das geschrieben, „sie hätten ihn an der ersten Säule im Theater aufgehängt.“, Anon.: Hrvatsko kazalište, in: Hrvatsko pravo, 16. Jg. (1910), Nr. 4510(65). 73 "Mit so allgemein bekannten, alten Sachen, wo fast jeder zweite Besucher pfeifend oder trällernd an der Aufführung teilnimmt, muss man vorsichtiger umgehen.“, Anon.: Straussov "Barun‐ciganin", in: Hrvat, (1913), 19. September. 74 Anon.: Hrvatsko kazalište, in: Hrvatsko pravo, 16. Jg. (1910), Nr. 4510(65). 75 Die Dollarprinzessin und Die Geschiedene Frau 1910 und im Februar 1911 gleich Das Puppenmädel. 76 Lehárs Operette Die lustige Witwe wurde 1907 uraufgeführt, der Graf von Öuxemburg 1910. 77 Das Kajkavische ist ein in Nordwestkroatien gesprochener Dialekt, der auch in Zagreb zu Hause ist. 55

Aufführungen wurde auch viel musiziert. Da den Kvakianern auch Künstler angehörten, entstanden in ihren Werkstätten unter anderem Operetten‐Parodien,78 dargeboten von Mitgliedern, unter denen auch Darsteller von Strauss‐Operetten waren: der Dirigent Nikola Faller, der Sänger Drago Hržić, der Komponist, Sänger und Regisseur Đuro Prejac sowie die Theaterintendanten vom Anfang des 20. Jahrhunderts Ivo und Guido Hreljanović.*

Zu guter Letzt soll noch gesagt werden, was geschah, nachdem am 26. April 1945 zum letzten Mal vor dem Einzug der Partisanen in Zagreb am 8. Mai desselben Jahres eine Operette (von Strauss) aufgeführt worden war. Die Härte, mit der das neue kommunistische Regime in Kroatien einen Großteil der bürgerlichen Kultur und so auch der Musikkultur auslöschte (z. B. durch Auflösung bedeutender alter Gesangsvereine), hat erstaunlicherweise die Operette nicht völlig eliminiert, wie dies in einigen anderen jugoslawischen Republiken der Fall war.79 Auf der Bühne des Kroatischen Nationaltheaters wurde 1947 zuerst die sowjetische Operette Die Hochzeit in Malinovka von Boris Alexandrovich Alexandrov, danach aber Mam'zelle Nitouche und eine der besten kroatischen Operetten Die kleine Floramy von Ivo Tijardović aufgeführt. 1950 war das Stadttheater "Komedija" eröffnet worden, das sich bald zum Haus der Operette und des Musicals entwickeln sollte. Trotzdem glänzte die Fledermaus zuerst auf der großen Bühne (1952) in einer hervorragenden vom Operndirektor Milan Sachs persönlich geleiteten Aufführung. Verständlicherweise war sie vorsichtig angekündigt worden, denn diese Musik galt als „Bestandteil eines sozialen Milieus und einer Mentalität, die man keinesfalls als fortschrittlich bezeichnen kann“.80 Die grundsätzliche Kritik an der Operette, die nun auf anderen Argumenten gründete als jene im 19. Jahrhundert, hat der Fledermaus nicht geschadet: sie ist 1966 auf die Bühne des Kroatischen Nationaltheaters zurückgekehrt und erstrahlte Ende der 1990er Jahre im Theater „Komedija“ in neuem Glanz.

Übersetzung: Vesna Ivančević Ježek

1.Advent in Wien

Leif Johannisson

Nach den aufregenden Tagen in Žilina kamen die etwas ruhigeren in Wien. Die Stadt war voll von Besuchern aus aller Welt, die zu den Weihnachtsmärkten gekommen waren. Der grösste von ihnen steht von dem Wiener Rathaus und ist immer gut besucht.

78 Drei Jahre nach dem Kvak‐Lied in der Operette von Strauss wurde auf der Bühne des Kroatischen Nationaltheaters auch die Kvakianer Operettenparodie Cavalleria rusticana von Srećko Albini und Nikola Faller dargeboten. Vgl. Nada Bezić: From Private to Public – the Kvak Club and Music, in Druck. 79 Vgl. Nada Bezić: Vsakih sto let novo – začetki operete in muzikala v Zagrebu, in: Glasbeno gledališče – večeraj, danes, jutri. 100‐letnica rojstva skladatelja Danila Švare, Ljubljana 2003, S. 250. 80 Nenad Turkalj: Klasična opereta i naša današnja publika. Povodom obnovljene izvedbe "Šišmiša" u Hrvatskom narodnom kazalištu, in: Narodni list, (1952) 30. Oktober. 56

In Wien traf ich John und Mina Diamond in der Volksoper, wo die Lehár‐Operette „Der Graf von Luxemburg“ gegeben wurde. Ich besuchte auch das Johann‐Strauss‐Museum und stand vor dem Johann‐Strauss‐Denkmal im Volkspark.

„Indigo und die vierzig Räuber“

Nach drei Tagen in Wien setzte ich meine Reise am 8. Dezember fort, wieder in die Slowakei. Ich fuhr mit dem Bus vom Matzleinsdorferplatz nach Bratislava zum Busbahnhof. Ein weiterer Bus brachte mich 15 Minuten später nach Banská Bystrica, 23 Kilometer von Wien entfernt.

Ich hatte im Hotel „Národný“, das sich im selben Gebäude wie die Oper befindet, ein Zimmer bestellt. Im selben Hotel waren auch Jiří Preisinger (Konzertmeister) und Adrian Keeling Dirigent) abgestiegen.

Kurz nach der Ankunft nahm ich sofort Kontakt mit Jiří Preisinger auf, den ich schon seit langem kenne. Er sagte mir, es fände am Abend ein vollständiger Durchlauf von „Indigo“ statt. In der Oper erhielt ich dann vom Intendanten und vom Dirigenten die Erlaubnis, die Probe zu filmen. Wiederum sollte eine bisher nicht gespielte Strauss‐Operette aufgeführt werden. Viel Musik kannte man vorher von den verschiedenen Orchesterwerken und einer Bearbeitung der Operette: „1001 Nacht“ (Phantastische Operette in 2 Akten und einem Vorspiel von und Karl Lindau, Musik von Johann Strauss, arrangiert von Ernst Reiterer, UA Volksoper, Wien, 27. 10. 1907).

Mit Jiří ging ich den kurzen Weg zur Štátna Opera, wo ich im Parkett in der ersten Reihe Platz nahm. Ich installierte die Videokamera, um die Abendprobe zu filmen, mit einer zweiten Kamera machte ich Fotoaufnahmen.

Die Ouvertüre enthielt all die Melodien, die von LP‐ und CD‐Aufnahmen bekannt sind. Dann ging der Vorhang auf und Ali Baba trat auf . . .

Besetzung Indigo, der Herrscher von Macassar: Peter Ďurovec/Martin Popovic Ali Baba: Ján Rusko/Peter Schneider Romadour, Priester: Igor Lacko/Ivan Zvarík Fantasca: Katarina Perencseiová/Alžbeta Trgová Janio, Indigos Ratgeber: Martin Gyimesí/Dušan Šimo Toffana, Ali Babas Frau: Diana Deáková/Olga Hromadová Behemio, Kriegsminister: Daniel Kovácik Dalseni, Finanzminister: Matej Bartko Otrokar, Handelsminister: Igor Kuchen Etrillo, Polizeiminister: Dušan Kubiny Falsetto, Eunuch: Peter Vigas , Eunuch. Jozsef Rochovsky

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Lilia: Irena Glélová Dalida, Ministergattin: Adrina Skrvanová Dodo, Ministergattin: Darina Kunková Cigar, Ministergattin: Anna Ondreková/Michaela Sojcaková Tulipa, Indigos Ehefrau: Jitka Tatliaková Banana, Indigos Ehefrau: Drahoslava Svetliková Dodona, Indigos Ehefrau: Viera Mlynarciková Florida, Indigos Ehefrau: Anna Martinelliová Dryade; Haremsdame: Katarina Adamiková Rubina, Haremsdame: Michaela Kopálová Riosa, Haremsdame: Gabriela Brincková

Indigo mit seinen Ministern

„Indigo” wurde auf slowakisch gesungen, die Operette hat ziemlich lange Dialoge. Die deutschen Gesangstexte waren auf einem Schirm über der Bühne zu sehen. Jiří Preisinger erzählte mir, dass es ein Jahr gedauert habe, mit Hilfe des Computers aus dem Autograf brauchbares gedrucktes Material herzustellen. Marco Polo trägt sich mit dem Gedanken, die Operette auf CD aufzunehmen, allerdings in Deutsch, mit anderen Solisten, die deutsch singen können.

Nach der Probe besuchte ich mit Jiří Preisinger ein slowakisches Restaurant, in dem wir aßen und uns bis spät in die Nacht unterhielten.

Die Operette spielt in dem Fantasiereich Makassar. Der Herrscher Indigo liebt Fantasca, die er in seinem Serail gefangen hält. Indigo wird von Räubern bedroht und verspricht sie gehen zu lassen, er bricht aber sein Versprechen. Fantasca liebt Janio und versucht dem Serail zu entkommen. Das Original war in 3 Akten und 4 Bildern, in dieser Version gibt es 2 Akte und

58 einen gekürzten Text. Das Ziel war es, die gesamte Musik beizubehalten, sie wurde auch in der Originalbesetzung gespielt. In diesem Jahr wird sie ebenfalls gegeben, die nächste Vorstellung findet am 22. April 2010 statt. Weitere Aufführungsdaten finden Sie auf www.stateopera.sk.

Leif Johannison, Adrian Kokoš und Jiři Preisinger

Intendant Julius Gyermék, Jiři Preisinger und Christian Pollack

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„Die Göttin der Vernunft“ Bericht von der konzertanten Aufführung in Žilina, Slowakei

Leif Johannisson

Ich war sehr gespannt darauf, Johann Strauss’ erste und seine letzte Operette zu sehen. Nach einem zweistündigen Flug landete die Tyrolian‐Maschine der AUA auf dem Wiener Flughafen. Kaum hatten wir die Ankunftshalle verlassen, stand da bereits der Bus nach Bratislava, der fünf Minuten später abfahren sollte. Ich wollte im Zug nach Žilina weiterfahren, also begab ich mich in Bratislava mit einem Trolleybus von der Busstation zum Bahnhof; von dort erreichte ich in 20 Minuten Žilina.

Ich war im Hotel „Galileo“ am Stadtrand von Žilina unterbracht, in dem auch Peter Kemp und John Diamond von der Britischen Strauss‐Gesellschaft wohnten. Beim Frühstück traf ich Peter Kemp, der mir mitteilte, dass an diesem Morgen die Generalprobe der „Göttin der Vernunft“ stattfinden würde. Wir beschlossen, mit einem Taxi hinzufahren.

Am Eingang des Konzerthauses trafen wir Christian Pollack, der die Operette dirigierte. Er führte uns hinein und zeigte uns die Plätze, auf denen wir am Abend sitzen würden. Ich erhielt die Erlaubnis, die Operette auf Video aufzunehmen, und machte mich mit dem Sitzplatz und den Aufnahmemöglichkeiten vertraut.

Konzerthaus in Žilina

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Wir lernten Techniker der CD‐Aufnahme von Naxos kennen; hoffentlich erscheinen die CDs im Laufe dieses Jahres! Das Orchester und die Solisten nahmen ihre Plätze ein und wir setzten uns in die erste Reihe meiner Loge. Die Ouvertüre begann . . . Sie klang vertraut, aber der Rest der Operette war mir weit gehend unbekannt. Die Operette stammt aus dem Jahre 1897 und wurde jetzt wie Dornröschen aus dem Schlaf geweckt, nach einem Jahr Arbeit, das Übertragen vom Autograf zum gedruckten Klavierauszug. Danke, Christian Pollack, dass diese Musik wieder erklingen kann!

„Die Göttin der Vernunft” ist eine Operette in 3 Akten von Alfred Maria Willner und Bernhard Buchbinder. Sie spielt 1793 während der Herrschaft von Robespierre.

Der 1. AKT spielt im französischen Hauptquartier in Chalons.

Offiziere sitzen an einem Tisch unter einem Vordach. Sie trinken und rauchen und verfolgen zufrieden, was sich vor ihnen abspielt. An einem weiteren Tisch sitzt Sergeant Pandore und verhandelt angeregt mit den jungen Bauernmädchen, die sich um ihn scharen. Einige Mädchen tauschen mit den Offizieren Geschenke aus. An einem weiteren Tisch sitzt der Karikaturenzeichner Jaquelin und arbeitet, ohne von den anderen Notiz zu nehmen.

Im Hauptquartier tummeln sich alle möglichen Leute mit schlechtem Gewissen und gefälschten Pässen, welche glücklich sind, der bedrückenden Atmosphäre von Paris entronnen zu sein. So der Karikaturenzeichner Jaquelin, der sich als Theaterdirektor ausgibt und dessen Theater die Offiziere alle Tage unterhalten soll. Nun erscheint der gemütliche alte Gutsbesitzer Bonhomme, der in Paris die Göttin der Vernunft kennen gelernt hat, mit ihr gegessen hat und nun vor ihren Liebesbezeugungen und Heiratswünschen auf der Flucht ist.

Eine weitere unerwartete Besucherin des Hauptquartiers ist die edle Komtesse Mathilde Nevers, eine Nichte des Herzogs von Braunschweig, zu dem sie flüchten möchte. Sie hat keinen Pass, aber sie hat eine kluge Zofe, die ihr aus der Verlegenheit helfen soll. Mit Hilfe von Jaquelin präsentiert sie ihre Herrin als die lang erwartete Primadonna Ernestine, die frisch gebackene Göttin der Vernunft, aus Paris. Während sich die Offiziere ihr zudringlich nähern, erscheint die echte Ernestine, die Braut von Jaquelin. (Die historische Göttin der Französischen Revolution heisst Amélie‐Julie Candeille.)

Ernestine spielt die Vorsteherin eines Mädcheninternats in Chalons. Sie hat ein Dekret bei sich, in dem Robespierre den völlig unbekannten und unintelligenten Bonhomme als Convention‐Delgierten mit einer Vollmacht ausstattet. Der 1. Akt endet mit einer heftigen Eifersuchtsszene der beiden Göttinnen und einem vielsagenden verliebten Gespräch zwischen der Komtesse und dem Kapitaine Robert.

In der Pause gab’s in der Bar des Konzerthauses, die für die Ausführenden geöffnet war, ein tschechisches Bier.

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Besetzung Komtesse Mathilde Nevers: Veronika Groiss Susette, ihre Zofe: Eva Kumpfmüller Oberst Furieux: Manfred Equiluz Kapitaine Robert: Kirlianit Cortes Sergeant Pandore: Andreas Mittermayr, Bonhomme, Gutsbesitzer: Franz Födinger Ernestine, Volkssängerin: Isabella Ma‐Zach Jaquelin, Karikaturenzeichner: Wolfgang Veith Chalais, Schuster, Jakobiner: Wolfgang Veith Balais, Bäcker, Jakobiner: Andreas Mittermayr Calais, Schneider, Jakobiner: Nicolas Legoux Nanette, Bäuerin: Mariana Garcia‐Crespo Georgette, Bäuerin: Angela Wandrascheck Cliquette, Bäuerin: Natalia Ritt Friquette, Bäuerin: Barbara Ramser

Peter Kemp, Christian Pollack und Leif Johannisson

Der 2. AKT spielt I in Chalons in der Herberge “Zu den tugendhaften Schwestern”

Zu Beginn des 2. Aktes sehen wir den schlafenden Kapitaine Robert im Gastgarten. Drei Schritte weiter schlummert in einer Rosenpergola die Komtesse. Sie erwacht und fragt sich, wo sie ist, ob das alles ein Traum sei. Nach einem begeisterten Liebesduett mit Robert folgt ein Streitduett mit Ernestine. Als Oberst Furieux Mathilde mit Liebesbeteuerungen belästigt, bittet sie Robert energisch, ihr zu helfen. Robert weiss sich zu helfen und ernennt Mathilde kurzerhand zur Marketenderin. Nun werden sie plötzlich als Adlige entlarvt, sollen vom Oberst verhaftet und vor Gericht gestellt werden. Die Rettung naht in Gestalt von

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Bonhomme, der kurzerhand die ganze Gesellschaft in sein Schloss einlädt. Ernestine präsentiert sich nun als Göttin der Vernunft, und der 2. Akt endet in allgemeiner Zufriedenheit mit dem Marsch „Wo uns’re Fahne weht“

Der 3. Akt folgt ohne Pause auf den 2. Akt.

Der 3. Akt spielt in Bonhommes Schloss in der Nähe von Chalons. Ein Zimmer im alten Stil mit großer Terrasse und einer Treppe in den baumgesäumten Park. Bonhomme spendiert seinen Gästen reichlich zu essen und zu trinken. Plötzlich bilden sich wieder dunkle Wolken am Himmel. Oberst Furieux erscheint und will zur Verhaftung schreiten, doch Hilfe naht. Es kommt die Nachricht, dass Robespierre gestürzt worden sei. Der Herzog von Braunschweig erscheint, erkennt seine Nichte und gibt ihr und Robert seinen Segen. Ernestine versöhnt sich mit Jaquelin, Susette verlobt sich mit Bonhomme.

Ich bin erfüllt von der neuen Musik. Es ist Zeit für ein verspätetes Mittagessen, anschliessend ein Spaziergang in der Altstadt von Žilina, bevor ich mit Peter Kemp ins Hotel zurückkehre, um mich kurz auszuruhen. Bald ist es so weit, wieder ins Konzerthaus zu gehen. Ich treffe mehrere Leute wie Peter Kemp, Christian Pollack, Thomas und Jarka Jelinowicz, bevor die Aufführung der „Göttin der Vernunft“ beginnt.

Um 19 Uhr fängt es an, vorher installiere ich mein Stativ und die Kamera, um die Vorstellung aufzunehmen. Von der Generalprobe her weiss ich, dass 2 DVD‐Bänder zu je 60 Minuten für die Aufnahme genügen werden.

In dem fast ausverkauften Konzerthaus hatte die „Göttin der Vernunft“ am 3. Dezember ein begeistertes Publikum. Da die Operette deutsch gesungen wurde, gab Thomas Jelinowicz von der Tschechischen Strauss‐Gesellschaft eine Zusammenfassung für das Publikum, das zum großen Teil kein Deutsch verstand. In der Pause offerierte der Leiter des Konzerthauses, Wladimir Šalagan, den Vertretern der internationalen Strauss‐Gesellschaften in seinem Büro Wein und Snacks.

Die Pause war schnell vorbei und schon war es wieder Zeit, sich hinter die Kamera zu setzen und die Akte 2 und 3 aufzunehmen. Kaum war die Musik verklungen, wurden die Sänger und das Orchester und sein Dirigent mit einer Standing Ovation bedacht und mit Beifallsstürmen gefeiert. Es war erstaunlich zu sehen, wie eine völlig unbekannte Strauss‐Operette das Publikum begeisterte. „Die Göttin der Vernunft“ enthält viele mitreißende Melodien im Walzer‐ und im Polkatakt. Was für ein Gefühl, Johann Strauss’ letzte Operette nach 55 Jahren der Begeisterung für seine Musik gehört zu haben.

Der Abend klang in einem Pizza‐Restaurant in der Nähe des Konzerthauses aus. Die Küche schloss um 22 Uhr, Peter Kemp musste das leider bei seiner verspäteten Ankunft erfahren. Ich gab ihm die Hälfte meiner Pizza, da sie für mich ohnehin zu groß war.

Nach dem Essen kehrten wir ins Hotel zurück. Am nächsten Tag war mehr Zeit, sich die Stadt anzusehen. 63

Zur zweiten Vorstellung der „Göttin der Vernunft“ reisten Susanne und Eduard Strauss aus Wien an. Sie kamen gerade recht zum Mittagessen. Nach einem Spaziergang trafen wir uns alle in einem Restaurant auf dem Hauptplatz, auf dem Stände für den Weihnachtsmarkt und ein großer geschmückter Weihnachtsbaum errichtet worden waren.

Nach dem Essen ging ich mit Peter Kemp zum Bahnhof, um Fahrkarten nach Bratislava und Wien zu kaufen. Peter sollte am nächsten Tag nach London zurückfliegen, ich würde nach Wien fahren.

Nachdem alles für die Reise vorbereitet war, ruhte man sich im Hotel noch ein wenig aus, dann begann die nächste Vorstellung der „Göttin der Vernunft“.

Diese Vorstellung nahm ich mit Christian Pollacks Kamera in HD‐Qualität (höhere Auflösung) auf. Eduard Strauss sprach vor der Vorstellung über das Europäische Johann Strauss Bühnenwerke Festival, in dessen Rahmen alle Strauss‐Werke aufgeführt werden sollen. Eduard war sehr dankbar dafür, dass er in Žilina „Die Göttin der Vernunft“ erleben konnte.

In den letzten Jahren sind einige Operetten von Johann Strauss Sohn aufgeführt worden: „“ in Zürich und in Coburg, „Der Carneval in Rom“ und „Das Spitzentuch der Königin“ in Dresden, „Jabuka“ in Brünn, „Fürstin Ninetta“ in Stockholm, „Die Göttin der Vernunft“ in Žilina und „Indigo und die vierzig Räuber“ in Bánska Bystrica. Im April dieses Jahres wird Dresden „Prinz Methusalem“ herausbringen.

Nach dem 1. Akt wurden alle noch einmal vom Konzerhausleiter zu einem Glas Wein und Gebäck eingeladen. Der Abend endete wiederum im Pizza‐Restaurant, alle mit glücklichen Gesichtern, erfüllt von der Musik der „Göttin der Vernunft“ . . .

Johann Strauss, „Indigo und die vierzig Räuber“ Staatsoper Banská Bystrica, Dezember 2009

John Diamond

Geschichte und Hintergrund der Operette

Dies war Johann Strauss’ erster Versuch auf dem Gebiet der Operette, denn seine erste Frau Jetty und Maximilian Steiner, der Direktor des Theaters an der Wien, hatten ihn schliesslich dazu überreden können, für die Bühne zu schreiben. Als solches muss das als Meilenstein betracht werden, und es ist überraschend, dass niemand bisher an eine Wiederaufführung gedacht hat. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die erste Strauss‐Operette von Offenbach beeinflusst wurde, was nicht weiter verwunderlich ist, da Strauss vorher nur seine Bühnenwerke kannte. Richard Genée war es, der den Text zu Ende schrieb, ein Libretto, das auf der Geschichte von „Ali Baba und den vierzig Räubern“ aus „Tausendundeiner Nacht“ beruht. Den Anfang machte Steiner mit verschiedenen anderen heute unbekannten 64

Mitarbeitern, aber sie alle zusammen brachten ein zusammenhängendes Libretto nicht zustande. Daher rührt der bekannte Witz, dass die Operette nicht „Indigo und die vierzig Räuber“, sondern „Indigo und die vierzig Librettisten“ heissen sollte.

Die Reaktionen des Publikums waren gemischt, trotz der grossen Reklame für die Premiere und einer grossen Ausstattung, die von Steiner für die geräumige Bühne entworfen worden war und aus der er Kapital zu schlagen beabsichtigte. Die Musik wurde sehr gut aufgenommen, da in ihr viel neue, Erfolg versprechende Strauss’sche Tanzmusik enthalten war, aber das Buch wurde heftig kritisiert. Strauss’ Frau Jetty begriff, dass die Operetten Strauss mehr Tantiemen einbringen könnten, und zwar bei jeder Aufführung, und dass daneben zukünftige Arrangements, Tanzmusik und Operettengesänge zu verkaufen wären.

„Indigo“ erlebte 46 Aufführungen, und Strauss’ Berühmtheit war so gross, das die Operette auch in anderen österreichischen Städten und in Berlin, in Prag, in Bratislava und in weiteren mitteleuropäischen Städten gespielt wurde, wobei das Buch in den folgenden 16 Jahren mehrmals umgearbeitet wurde. Eine vollkommen neue Fassung erschien in Paris unter dem Titel „La Reine Indigo“ („Königin Indigo“). Unter diesem Titel kehrte sie nach Wien zurück, wo sie 1877 für kurze Zeit im Theater an der Wien die Bühne beherrschte. Verschiedene Fassungen wurden auch in Amerika gespielt, zuerst in Deutsch und später in Englisch; sie folgten zum Teil der französischen Version. Andere Länder, die verschiedene überarbeitete Fassungen zeigten, waren Ungarn, Russland, Italien, Polen, Spanien, Malta, und auch in Südamerika waren sie zu sehen. Die britische Erstaufführung fand im Londoner Alhambra Theatre statt, und obwohl sie der französischen Fassung nachgebildet war, enthielt sie doch auch einiges aus dem Wiener Original. Die langlebigste Bearbeitung der ursprünglichen Operette war „1001 Nacht“ aus dem Jahre 1906 mit einem völlig neuen Buch. Diese Fassung wurde länger gespielt, war überall in Europa zu sehen, darunter auch 1949, 1959 und 1978 auf der Seebühne in Bregenz.

Die Wiederaufführung

Dank der umfangreichen Forschungsarbeit von Prof. Nischkauer und der Mithilfe von Konzertmeister Jiří Preisinger ist diese bedeutende Neuaufführung nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, da sie Originalmusik und ‐buch wiederherstellt, obwohl die Dialoge (vernünftigerweise) deutlich gekürzt wurden: Das Original mit 3 Akten hätte etwa 4 Stunden gedauert. Es ist möglich, dass die nötigen Kürzungen zu einer allzu vereinfachten Handlung geführt haben (siehe Handlungsverlauf), dies beeinträchtigt aber nicht die Musik. Thomas Jelinowicz hat uns freundlicherweise einen Vergleich zwischen der ursprünglichen und der jetzt gespielten Musik zur Verfügung gestellt, der am Ende des Artikels zu sehen ist.

Die Staatsoper Banská Bystrica kann nicht genug dazu beglückwünscht werden, dass sie dieses Werk im Original in der Saison 2009/2010 als Teil des Europäischen Johann Strauss Bühnen Festivals herausgebracht hat. Dieses wurde von unserem Ehrenmitglied, Dr. Eduard Strauss, ins Leben gerufen, damit alle Johann‐Strauss‐Bühnenwerke aufgeführt werden. Es war vor zwei Jahren vorgesehen, das Werk konzertant in Bratislava mit österreichischen 65

Sängern zu geben, aber das Projekt scheiterte. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, denn diese Operette ist besonders geeignet für eine raffinierte Bühnenausstattung, farbenprächtige Kostüme, viel Tanz, Dialog und natürlich einen grossen Chor. Die Operette bietet sich in ihrer originalen Form als gross ausgestattetes, gross besetztes und chorreiches Werk an, auch dank der vielen jungen Damen im königlichen Harem. Sie geben der Operette eine farbige und herrliche stimmliche Prägung, die den ganzen Abend über anhält.

Die Operette enthält so viel wunderbare Musik, dass die Aufführungsdauer (auch mit gekürzten Dialogen) dem Werk wirklich angemessen ist. Dadurch wird sie für das Publikum attraktiver, das, wie ich oft erfahren habe, lange Dialoge schlecht erträgt, auch wenn sie in seiner Muttersprache gesprochen werden. Diese Aufführung wurde in Slowakisch gespielt, mit deutscher Übertitelung. Schade, dass es keinen englischen Text gab, aber das war zu erwarten. Alle Solisten waren erstaunlich gut und alle stammten aus dem hauseigenen Ensemble des Theaters, das sich zweifellos seines hohen künstlerischen Niveaus rühmen kann. Wenn man etwas kritisch betrachten könnte, so wäre anzumerken, dass man sich ein bisschen mehr um die Kostüme der Haremsdamen in ihrer Stillosigkeit hätte kümmern können, denn sie sahen aus, als hätten sie alles Bunte zusammengerafft, was sie konnten, um es irgendwie zu verwenden. Das Orchester spielte ausgezeichnet unter seinem jungen Dirigenten, und das Publikum feierte die Aufführung mit gebührender Begeisterung. Es scheint, dass keine Aufnahme der Operette in den Handel kommen wird, was sehr schade ist, aber alle, die dieses Juwel sehen möchten, haben noch Gelegenheit dazu. Wenn sich der Erfolg einstellt, wird es in der nächsten Saison wieder gespielt.

Der Dirigent war Adrian Kokos, der am Konservatorium in Bratislava ausgebildet worden ist. Seit 2004 ist er Künstlerischer Direktor und Dirigent des Kinderchors im Slowakischen Rundfunk und tritt regelmässig mit dem Slowakischen Rundfunk Symphonie Orchester auf. Er dirigierte einige weitere Orchester, darunter das Slowakische Kammerorchester, und seit 2006 arbeitet er mit dem Coburger Johann Strauss Orchester zusammen. Er trat an verschiedenen Festivals auf, z. Bsp. beim jährlich stattfindenden Smetana Festival und in Wien. Er hat zahlreiche Opern dirigiert, vor allem solche von zeitgenössischen Komponisten, und letzten September „Wiener Blut“ in Deutschland.

Der Regisseur war Július Gyermek, der in Bratislava in Musik und Schauspiel sowie Opernregie ausgebildet worden ist und beim Slowakischen Nationaltheater beschäftigt war; 1958 wurde er Oberspielleiter der Slowakischen Nationaloper. Er hat überall in Europa, auch in Grossbritannien, zahlreiche Opern inszeniert. Er ist ausserdem Präsident der Slowakischen Richard‐Wagner‐Gesellschaft und Mitglied der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien.

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Die Handlung

Die Operette spielt im Orient; ohne Zeitangabe.

1. Akt

Ali Baba, der Eseltreiber, gut bekannt aus orientalischen Erzählungen, gibt die Geschichte von einem jungen Wiener Paar, Fantasca und Janio, die Schiffbruch erlitten haben und als Sklaven des dummen Königs Indigo im Lande Makassar stranden, zum Besten. Der König hat sich in Fantasca verliebt, die er in seinen Harem gesperrt hat, aber er hat bei dem intelligenten Wiener Mädel keine Chancen. Indigo hat ihren klugen Begleiter Janio zu seinem Ratgeber gemacht, schadet damit aber dem Einfluss und dem Ruf des königlichen Grosswesirs Romadour, ebenfalls ein Wiener.

Fantasca plant mit den Haremsdamen zu entfliehen. Als sie entdecken, in welch schlechtem Zustand die Armee, die Finanzen, die Polizei und die Verwaltung in Indigos Königreich sind, wollen sie mit Ali Baba einen Staatsstreich wagen, da sie sicher sind, damit Erfolg zu haben. Ihre Absichten werden von Romadour entdeckt, der nicht fliehen will, da es ihm beim König gut geht, aber er entschliesst sich, den Verschwörerinnen zu helfen, weil er sich damit seinen Rivalen Janio vom Halse schaffen kann.

Ali Baba geht im Königspalast aus und ein, um den Damen Blumen zu verkaufen und immer mit ihnen zu flirten, doch wird er diesmal von seiner schwatzhaften und eifersüchtigen Frau Toffana dabei erwischt. Als ihr Ali Baba einen Kaschmirschal verspricht, von dem sie geträumt hat, beruhigt sie sich für kurze Zeit, schickt ihn aber sofort nach Hause.

Unterdessen sammeln sich angeblich Räuber im Wald, von denen sich Indigo befreien will, denn er weiss nicht, dass diese seit Jahren nicht mehr gesichtet wurden. Demjenigen, der ihrer habhaft werden könne, verspricht er eine hohe Belohnung. Sein Liebling Fantasca möchte die Belohnung gerne verdienen, Indigo verspricht sie ihr beim Bart des Propheten. Fantasca macht sich selber zur Belohnung, Indigo protestiert heftig, kann aber nichts ausrichten, weil er sein königliches Wort gegeben hat. Alle möchten die Belohnung gerne haben und suchen nach den Räubern. Sie lachen alle über Indigo, da sie sicher sind, dass Indigo wegen seines voreiligen Versprechens Fantasca verlieren wird.

2. Akt

In der Nacht erreichen Fantasca und die Ha remsdamen das Versteck der Räuber im Wald, wo diese ihren Schatz versteckt haben, sie selber aber sind nicht da. Fantasca hat die Höhle früher einmal zufällig entdeckt. Sie kam manchmal mit den Damen dorthin, um sich zu vergnügen. Heute Nacht ist den Damen aber nicht nach Vergnügen zumute. Sie haben sich als Räuber verkleidet, um die königliche Armee zu besiegen. Auch Ali Baba erscheint in der Höhle, und alle werden wieder von Toffana entdeckt. Sie glaubt, er treffe sich mit den Frauen, und wirft ihn aus dem Haus.

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Janio trifft ein. Nach einer Liebesszene erzählt ihm Fantasca von der Verschwörung, aber ohne Einzelheiten zu nennen, dann verschwindet sie mit ihren kämpferischen Damen. Ali Baba kommt zurück und will sich den Strick geben, weil ihn seine Frau tatsächlich des Hauses verwiesen hat. Janio beobachtet versteckt die Ankunft von Indigos Furcht erregendem Heer, Ali Baba versteckt sich ebenfalls. Beide sehen, wie die Armee, in Auflösung begriffen, zurückweicht, und die siegreichen Damen mit Fantasca an der Spitze in die Höhle kommen, um ihren Sieg zu feiern. Janio und Ali Baba schleichen sich heran, und die Damen beginnen den Schatz der Räuber unter sich zu verteilen, da ja die Räuber geflohen sind (!). Die Damen feiern ein grossartiges Fest feiern; sie wollen nicht mehr entfliehen, sondern den Schatz ganz unter sich aufteilen. Das passt Fantasca nicht in ihren Plan, also schüttet sie Schlafmittel in den Wein und alle schlafen ein.

Inzwischen bereiten sich im Königspalast grosse Veränderungen vor. Der besiegte König erhebt sich mit Hilfe seines Grosswesirs Romadour zum Gott. Janio und Ali Baba treffen im Palast ein und bringen die „Räuber“ und ihren Hauptmann in Ketten mit. Nun stellt sich heraus, dass die Räuber Frauen sind und Fantasca ihr Hauptmann. Man hört Matrosen in der Ferne auf einem Schiff, das Fantasca und Janio nach Hause bringen soll. Ali Baba schenkt seine Frau dem König Indigo, denn sie spricht und widersprich ihm zu viel; er will alleine nach Europa fahren, weil dort, wie er meint, genügend Esel für ihn als Eseltreiber seien. Die Operette schliesst mit einem Walzerterzett von Janio, Fantasca und Romadour: „Ja, so singt man, ja, so singt man in der Stadt, wo ich geboren. Ja, so singt man, ja, so singt man allein doch nur in Wien!“

Anhang Vergleich der aufgeführten Musik mit der Musik im Klavierauszug: 1. Akt Nr. 1 vollständig Nr. 2 gekürzt Nr. 3 vollständig, nach Nr. 5 eingeschoben Nr. 4 vollständig Nr. 5 vollständig, Nrn.5a und 5b gestrichen Nr. 6 ersetzt durch ein Duett Ali Baba und Toffana (Autograf) Nr. 7 gekürzt Nr. 8 gekürzt

2. Akt Nr. 9 gekürzt Nr. 10 und Nr. 10a vollständig Nr. 11 vollständig Nr. 12 gekürzt Nr. 13 vollständig Nr. 14 gestrichen Nr. 15 gekürzt Nr. 16 gekürzt Nr. 17 gekürzt 68

3. Akt Nr. 18 ersetzt durch die Coda des Balletts, Nr. 18a gestrichen Nr. 19 vollständig Nr. 20 vollständig Nr. 21 gekürzt Nr. 22 gestrichen, 22a vollständig Nr. 23 vollständig

Der Dank des Autors John Diamond und des Übersetzers Rudolf Maeder geht an Thomas Jelinowicz von der Tschechischen Strauss‐Gesellschaft für seine freundliche Unterstützung bei der Abfassung und Übersetzung des vorliegenden Textes.

Eine Operetten‐Tour‐de‐force „Die Göttin der Vernunft“ im Fatra‐Palast der Künste in Žilina, Slowakei am 3. und 4. Dezember 2009

Peter Kemp

Für Operettenliebhaber ist es wahrscheinlich nicht übertrieben, die erste Aufführung der „Göttin der Vernunft“ (1) seit 111 Jahren als d i e Operetten‐Entdeckung des 21. Jahrhunderts zu feiern. Zweifelsohne wird es für alle, die von nun an über die Bühnenwerke von Johann Strauss schreiben, Pflicht werden, sich eine neue Betrachtungsweise seiner sämtlichen Bühnenwerke anzueignen. Dies sei sofort klargestellt: „Die Göttin der Vernunft“ steht auf der Höhe der besten Strauss‐Operetten, wobei sie sich über eine deutliche künstlerische Entwicklung gegenüber ihren Vorgängerinnen ausweist. Doch was diese letzte wunderbare Blüte von Strauss’ Operettenschaffen so ungewöhnlich macht, sind die unglücklichen Umstände ihrer Komposition.

Johann Strauss begann seine Arbeit an dem Libretto von A. M. Willner und Bernhard Buchbinder augenscheinlich im Juli 1896 und beendete sie im Herbst 1897. „Die grosse Schaffensfreudigkeit“, mit der „Meister Strauss an das Werk gegangen ist“, war jedoch von kurzer Dauer, denn es kam bald zu einer Reihe von Unstimmigkeiten zwischen ihm und seinen Librettisten. Obwohl Johann Strauss die Texte der ersten drei Nummern der Operette am oder um den 12. Juli 1896 erhielt, lieferten ihm Willner und Buchbinder das vollständige Buch erst zu Beginn des folgenden Monats. Als Strauss nun zum ersten Mal die ganze Handlung kennen lernte, fühlte er sich abgestossen von einer Geschichte, die burlesken Offenbach‐Stil mit den antiklerikalen, grausamen und blutigen Tagen der Französischen Revolution zu verbinden suchte, und er wollte sofort von der Abmachung mit den beiden Librettisten zurückzutreten. Er protestierte vergebens. Man drohte ihm gerichtliche Schritte an, wenn er es wagen sollte, seinen Vertrag nicht zu erfüllen; er brauchte schliesslich – enttäuscht und gereizt – nur acht Monate, um die Operette zu schreiben. Er blieb aber der

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Premiere am 13. März 1897 fern, wurde jedoch telefonisch darüber informiert, wie jeder Akt aufgenommen worden war.

Im Abstand zu jener Zeit ist es leicht zu verstehen, warum das Willner‐und‐Buchbinder‐ Libretto das Empfinden und die Sitten des ausgehenden 19. Jahrhunderts verletzt hat. Die Französische Revolution (1789–1799), während der mehr als eine Million Menschen starben, war erst ein Jahrhundert her; für uns wäre das so, wie man sich über die Geschehnisse des 1. Weltkriegs lustig machen würde. Doch mit dem durch die inzwischen vergangene Zeit grösseren gefühlsmässigen Abstand wird ein Publikum des 21. Jahrhunderts zweifelsohne eine Handlung weniger kritisch betrachten, die in den Tagen von Robespierres Schreckensherrschaft spielt und sich über die Religion, den Adel, die Moral und das Heer lustig macht. Ausserdem ist das Libretto der „Göttin der Vernunft“ – verglichen mit den armseligen Libretti einiger früher Strauss‐Werke – erstaunlich gut, und manche Witze haben die Zeit glänzend überstanden.

Doch die Journalisten jener Zeit verrissen weitgehend das Libretto und hielten es im Allgemeinen für von schlechtem Geschmack; manche fanden es ein ziemliches Durcheinander und gaben der Operette sogar den Spitznamen „Die Göttin der Unvernunft“. Wenn wir einmal vom Libretto absehen, ist es für uns völlig unverständlich, wie der Kritiker der „Wiener Rundschau“ über solch zauberhafte Walzer wie „Schöne, wilde Jugendzeit“ und „O Nachtigall, es ist die Liebe“ schreiben konnte: „Trotzdem weist die Partitur natürlich viele Feinheiten, besonders in der Instrumentation, auf, wenn auch der vom Premièrepublicum sehnlichst erlauerte Schlager in Walzerform vergeblich auf sich warten liess“, oder dass der Kritiker der Wiener „Deutschen Zeitung“ sich bemüssig fühlte anzumerken: „Erfindung und Kraft der Durchführung haben den greisen Componisten gleichmässig verlassen; was übrig bleibt, erhebt sich nur an wenig Stellen über die Banalität“. Das „Fremden‐Blatt“ traf wohl den Nagel auf den Kopf, als es schrieb, dass zu Ende des 1. Aktes die Neuigkeit von Strauss’ Abwesenheit „sich wie ein Flor über die Stimmung des Hauses gebreitet hat. Eine Strauss‐ Première ohne Strauss – das war zum Mindesten eine Enttäuschung. […] Wir können es nur dem Eindruck dieser Stimmung zuschreiben, dass die musikalischen Prachtnummern des zweiten und des dritten Aktes nicht so mächtig einschlugen, als unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre.“

Die Orchestertänze opp. 471 bis 476 (2) nach Motiven der „Göttin der Vernunft“, die Marco Polo auf der Johann‐Strauss‐Gesamtaufnahme, Volumes 35, 41, 44 und 50, präsentiert, geben nur einen kleine Kostprobe von den musikalischen Kostbarkeiten der Operette und bereiten uns in keiner Weise auf die ungetrübte Freude vor, mit der wir sie im Zusammenhang des vollständigen Werkes hören können. Wenn „Der Carneval in Rom“ (1873) Johann Strauss’ „Polka‐Oper“ (wie er sie selbst bezeichnete) ist, dann ist „Die Göttin der Vernunft“ bestimmt seine „Marsch‐Oper“ Mehr als alle anderen seiner Bühnenwerke wird „Die Göttin der Vernunft“ von Marschrhythmen bestimmt, Rhythmen, die der Musik eine Kraft geben, die ich nie bei einer anderen Operette von Strauss oder einer seiner

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Konkurrenten angetroffen habe. (Natürlich muss ich zugeben, dass Žilina eine konzertante Aufführung bot, ohne die Dialoge einer Bühnenaufführung, aber die hilfreichen verbindenden Worte von Tomas Jeliowicz führten doch zu Brüchen zwischen den einzelnen Gesangsnummern.) Da gibt es ausgereifte und zu Herzen gehende wunderbare Walzerlieder, die Empfindungen wecken und den Körper in Schwingungen versetzen, doch die eigentliche Antriebskraft in der „Göttin der Vernunft“ ist der Marsch. Und w a s für ein Marsch! „Im Kriege ist das Leben voll Reiz und wunderschön“, „Der Schöpfung Meisterstück ist der Husar“ und „Wo uns’re Fahne weht“ gehören zu den temperamentvollsten und mitreissendsten Strauss‐Melodien im Marschrhythmus, während das kecke Marschquartett im 3. Akt, „Vorwärts, greifet zu“, eine Nummer ist, die sich mit Rasanz im Kopf festsetzt, so dass man sie nicht mehr los wird. In diesem Zusammenhang muss man auch Ernestines Carmagnole aus dem 2. Akt, „Gavott’, Musett’ und Bourrée“, erwähnen, die vielleicht d e n Moment in seinem Werk darstellt, in dem Strauss dem Geist von Suppès mitreissendem „Fatinitza“‐ Marsch (1876) am nächsten kam.

Die Interpretation der Slowakischen Sinfonietta Žilina (mit ihrem ausgezeichneten Konzertmeister František Figura) war so vorbildlich, wie wir das von einem Klangkörper von den Marco‐Polo‐Aufnahmen von Johann Strauss Vater erwarten durften, wobei es sehr schwer fällt, sich vorzustellen, dass irgendjemand dieses Werk besser dirigieren könnte als Prof. Christian Pollack. Niemand kennt auch die Musik besser als er. Maestro Pollack war ausserdem für die ausserordentliche Besetzung der Naxos‐Aufnahme und die Konzerte verantwortlich: Gräfin Mathilde Nevers (Veronika Groisss, Sopran), Ernestine (Isabella Ma‐ Zach, Sopran, triumphierend in ihrer Carmagnole des 2. Aktes und ihrem „Plapperlied“ des 3. Aktes, „Über Felder, über Hecken“) und Bonhomme (Franz Födinger, Tenor) haben alle Operetteninterpreten, die ich in vielen Jahren gehört habe, weit hinter sich gelassen. (Veronika Groiss und Franz Födinger singen auch auf der Naxos‐Aufnahme von Strauss’ „Jabuka“ [Cat. 8.660216‐17] aus dem Jahr 2007). Lob gebührt ausserdem Eva Kumpfmüller (Sopran) als Susette und Manfred Equiluz (Tenor) als Oberst Furieux für ihr zauberhaftes Duett „Sind jung die Gatten noch an Jahren“ aus dem 3. Akt.

„Die Göttin der Vernunft“ bildet einen Teil des laufenden Europäischen Johann Strauss Bühnenwerke Festivals, das von unserem Ehrenmitglied, Dr. Eduard Strauss, ins Leben gerufen wurde. Die Aufführungen in Žilina fanden unter seinem Patronat statt, und das Publikum des zweiten Konzerts bedachte seine kurze Ansprache vor der Vorstellung mit freundlichem Beifall. Ein grosser Dank geht auch an Magister Vladimir Šalaga, den Direktor der Slowakischen Sinfonietta Žilina, ohne dessen künstlerische Umsicht das Projekt der „Göttin der Vernunft“ niemals zu Stande gekommen wäre.

Die Reihe von Zufällen, die uns „Die Göttin der Vernunft“ heute geniessen lässt, ist eine Geschichte voller Wagemut. Prof. Christian Pollack – ein Mann, auf dessen Konto eine grosse Menge von wiedergefundenen „verlorenen“ musikalischen Schätzen geht –, fand das ganze Autograf und Orchesterstimmen der „Göttin der Vernunft“ im Untergeschoss der

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Österreichischen Nationalbibliothek. Es war in sehr schlechtem Zustand und in dieser Form völlig unspielbar (nur der 1. Akt ist in Strauss’ Handschrift erhalten). Nun began nen sechs Monate intensiver Arbeit, bei der Prof. Pollack das handgeschrieben Material sichtete, wobei er auch später eingefügte Seiten aus der Operette „Reiche Mädchen“, einer neuen Fassung von Ferdinand Stolberg, entfernte. Als er jede brauchbare Seite fotografiert hatte, begann er die Musik von den 2000 Bildern auf seinen Computer zu übertragen. Was er fand, verblüffte ihn. Es war bereits bekannt, dass der Klavierauszug der Operette, herausgegeben von Emil Berté & Cie, erst nach der 25. Aufführung gedruckt worden war, denn er enthält die Ouvertüre, die Strauss erst zu diesem Anlass geschrieben hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt stellte das Werk allerdings eine verstümmelte Fassung desjenigen Werks zur Premiere und natürlich kurz davor dar. Prof. Pollack rechnet damit, dass ein ganzes Drittel der vielen Musik, die Strauss für die „Göttin der Vernunft“ komponiert hatte, vor der Premiere gestrichen wurde und man noch mehr Nummern kurz nachher fallen liess. Ausser der zur 25. Aufführung beigesteuerten Ouvertüre schrieb Strauss noch ein Walzerlied, „Schöne gold’ne Lieutenantszeit“ für den 2. Akt und das Marschquartett „Vorwärts, greifet zu“ im 3. Akt. Wäre das Autografenmaterial, das in der Österreichischen Nationalbibliothek gefunden wurde, bei der Premiere gespielt worden, hätte die Aufführung zwischen dreieinhalb und vier Stunden gedauert. Christian Pollack hat das Werk rekonstruiert, das bei der Premiere gegeben wurde, und hat die von Strauss für die 25. Aufführung komponierte Musik eingefügt. Das Resultat besteht aus einer glänzenden Nummer nach der anderen, von denen alle sofort ins Ohr gehen. In einer Zeit, in der wir leider an neue „Musicals“ gewöhnt sind, die höchstens zwei eingängige Nummern enthalten, können wir nicht genug staunen über Strauss’ musikalische Erfindungskraft – auch wenn er nicht mit dem Herzen bei der Sache war. Es ginge nicht mit rechten Dingen zu, wenn nach dem Erscheinen der Naxos‐Aufnahme der „Göttin der Vernunft“ Opern‐ und Operettenhäuser rund um die Welt nicht ernsthaft eine Neuinszenierung dieses – bis jetzt – völlig vergessenen strahlenden Meisterwerks, mit dem sich Johann Strauss von der Operettenwelt verabschiedete, in Erwägung ziehen würden. Übersetzung: Rudolf Maeder, 2010

Anmerkungen: (1) Die Göttin der Vernunft, Operette in 3 Akten von Johann Strauss, Text von. M. Willner & Bernhard Buchbinder, vollständiger Klavierauszug mit Text, Emil Berté & Cie, Berlin, Paris, Wien, 1897 (2) Op. 471 Heut’ ist heut’, Walzer, dem Maler Leopold Horowitz (1838– 1917) gewidmet, Emil Berté & Cie Op. 472 Nur nicht mucken, Polka française, Emil Berté & Cie Op. 473 Wo uns’re Fahne weht, Marsch, Emil Berté & Cie Op. 474 Da nicken die Giebel, Polka Masur, Klavierfassung Rudolf Raiman, nicht erschienen Op. 475 Frisch gewagt, Galopp, Klavierfassung Rudolf Raimann, nicht erschienen Op. 476 Die Göttin der Vernunft, Quadrille, Klavierfassung Rudolf Raimann, nicht erschienen Anhang:

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UA 13. März 1897, Theater an der Wien, Wien

Personen: Der Herzog von Braunschweig Hr. Kormann Komtesse Mathilde Nevers Frl. Dirkens Susette, deren Kammermädchen Fr. Biedermann Oberst Furieux Hr. Josephi Kapitaine Robert Hr. Streitmann Lieutenant Chambord Hr. Woller Lieutenant Dufeux Hr. Fichtner Sergeant Pandore Hr. Luzer Bonhomme, Gutsbesitzer Hr. Blasel Ernestine, Volkssängerin Fr. Kopasci‐Karczag Jaquelin, Karikaturenzeichner Hr. Werner Chalais, Schuster, Jakobiner Hr. Pohl Balais, Bäcker, Jakobiner Hr. Wallner Calais, Schneider, Jakobiner Hr. Kaufmann Ein Hauptmann des Herzogs von Braunschweig Hr. Alery Nanette, Bäuerin Frl. Schreiter Georgette, Bäuerin Frl. Kucher Eliquette, Bäuerin Frl. Leithner Friquette, Bäuerin Frl. Roé In Szene gesetzt von Direktorin Schönerer, Anfang 7 Uhr.

Um die etwas komplizierte Handlung der Operette verständlich zu machen, drucken wir im Folgenden den ersten Teil die Kritik des „Berliner Tageblatts“ vom Sonntag, dem 14. März 1897, ab: Die Göttin der Vernunft (Eine neue Operette von Johann Strauss) Wien, 12. März

Nach längerer Ruhepause hat Johann Strauss wieder eine Operette komponiert. So oft der allgemein beliebte „Walzerkönig“ mit einem neuen Bühnenwerk hervortritt, bildet dies für unsere gesamten künstlerischen Kreise und Theaterfreunde ein Ereignis, zu dem sie sich herandrängen. Die am Donnerstag im Theater an der Wien abgehaltene Generalprobe zu der am Sonnabend zur ersten Aufführung gelangenden Novität bot denn auch das Bild eines ausverkauften Hauses. Das dreiaktige Libretto haben A. W. Willner und Bernhard Buchbinder geschrieben. Die Handlung spielt unter dem Regime Robespierres im französischen Lager bei Chalons und in einem Schlosse unfern davon. In das vom Obersten Furieux befehligte Lager verirren sich mehrere verfolgte Personen, darunter ein Karikaturenzeichner, dessen boshafter Stift die Revolutionshelden lächerlich gemacht hat. Er heisst Jaquelin. Der Oberst scheint mit seiner Füsilierung nur zu zögern, damit er durch ihn die Volkssängerin Ernestine, die Freundin Jaquelins, herbeilocke. Die Komtesse Mathilde Nevers, die Nichte des Herzogs von Braunschweig, gerät mit ihrer Zofe Susette bei dem Versuch, über die Grenze zu 73 flüchten, ebenfalls in das Lager, in die Gewalt Furieux’. Dem ihr hier drohenden Schicksal entrinnt sie nur dadurch, dass der Gutsbesitzer Bonhomme, der einst ihrem Vater Verwalter war, sie erkennt und ihr rät, sich für die vielgesuchte und vom Obersten herbeigesehnte Ernestine auszugeben. Diese hat inzwischen die Rolle der „Göttin der Vernunft“ in Paris gespielt und war also „berühmt“ geworden. Die Komtesse kommt da vom Regen in die Traufe; man verfolgt sie jetzt zwar nicht mehr als Aristokratin, aber der Oberst und die Offiziere stellen ihr Zumutungen, die sie in die peinlichste Verlegenheit stürzen. Unter den „Bürgeroffizieren“ befindet sich auch ein Marquis Robert v. Turenne, der sich zur Republik geschlagen; er ist sofort bereit, die angebliche Volkssängerin, in der er eine Dame von Rang vermutet, zu beschützen. Allein, nun erscheint Ernestine, die „Göttin der Vernunft“, auf der Suche nach ihrem Jaquelin. Ihr dünkt es vorteilhafter, nach dem reichen Gutsbesitzer Bonhomme zu fahnden. Wer ist nun die wirkliche „Göttin der Vernunft“, Ernestine oder die anonyme Komtesse? Der Oberst ist stutzig, er will Beide verhaften lassen. Bohnhomme hat inzwischen das Dekret als Vertrauensmann des Konvents erhalten und vereitelt die Verhaftung. Im kritischen Augenblick erstürmen die Truppen des Herzogs von Braunschweig unter seinem eigenen Kommando das Schloss, wo eben der Oberst und seine Offiziere vom Lager zu Gaste sind, der Herzog erkennt seine Nichte, die Verfolgten sind gerettet, die Komtesse bekommt ihren Marquis, und auch die übrigen Pärchen (Jaquelin und Ernestine, Bonhomme und Susette, Anm. d. Übers.) kriegen sich. […]

Die Schreibweise wurde der modernen angepasst.

Die Göttin der Vernunft

Kurze Zusammenfassung von John Diamond, Präsident der Britischen Strauss‐Gesellschaft, unter Benutzung einer tschechischen Zusammenfassung von Thomas Jelinowicz.

Die Operette spielt in der französischen Stadt Chalons, nahe der deutschen Grenze, zur Zeit der Französischen Revolution (1789–1799). Die Stadt ist stolz auf ihr Militärlager und ihr Kloster.

Der 1. Akt spielt im Heerlager, an dessen Spitze der arrogante Oberst Furieux steht. Junge Frauen aus der Stadt versuchen sich als Marketenderinnen anstellen zu lassen. Jaquelin ist ein politischer Karikaturist, der in Paris mit der Primadonna Ernestine gelebt hat, bis seine Karikaturen ihn zwangen, die Flucht zu ergreifen. Er gibt sich als Theaterdirektor aus und soll den Oberst davon überzeugen, ihnen Pässe auszustellen, damit sie aus dem Lande fliehen können, doch Ernestine zögert unter den Vorwand, dass sie in Paris die Göttin der Vernunft darstellen müsse, ihre Ankunft hinaus.

Drei Jakobiner, die der Geheimpolizei der Revolution angehören, suchen nach Jaquelin. In der Zwischenzeit erscheint die schöne Komtesse Mathilde mit ihrer Zofe Susette, beide verkleidet, und gibt sich als die Volkssängerin aus, was Furieux allerdings misstrauisch macht. Bonhomme, ein reicher Landbesitzer, der ihre wahre Identität entdeckt hat, gibt sie aber als 74

Göttin der Vernunft aus. Die Komtesse entdeckt unterdessen ihre Zuneigung zu einem Kapitaine Robert! Zum Schluss dieses Aktes trifft die echte Ernestine in Chalons ein.

Der 2. Akt spielt im Klostergarten. Mathilde und Robert gestehen sich ihre Liebe. Obrist Furieux erscheint auf der Suche nach der Göttin der Vernunft und schickt Kapitaine Robert weg. Die Komtesse schwört nun gezwungenermassen einen Fahneneid, und wo die Fahne weht, wird sie sein und kämpfen. Furieux erkundigt sich bei Jaquelin, warum er der Göttin erlaube, mit Robert zu gehen, entreisst ihm seinen Zeichnungsblock und begreift plötzlich, dass sie die Komtesse ist, die er verhaften soll. Es kommt im Finale zu grossen Komplikationen! Bonhomme versucht, die Komtesse und Robert, der in Wahrheit ein echter Marquis ist, zu retten, während sich Ernestine als die wahre Göttin der Vernunft zu erkennen gibt.

Der 3. Akt spielt in Bonhommes Schloss, wo Ernestine das Kleid der Göttin anzieht und auf einem Platz alle Anwesenden begeistert. Inzwischen kommt Furieux auf der Suche nach den Adligen und wird sofort von Susette erkannt. Nach langem Hin und Her bekommen die Komtesse und Robert ihre Pässe. Deutsche Truppen marschieren ein, alle sind gerettet. Robert heiratet die Komtesse und alle sind zufrieden. Das Glück war Husarenglück und nicht das Glück der Liebe.

Diese kurze Zusammenfassung sagt natürlich nichts über die wahre Satire und die Verspottung der Gesellschaft in der Operette aus (siehe Peter Kemps Artikel in dieser Ausgabe, darin der Abschnitt „Im Abstand zu jener Zeit ist es leicht zu verstehen . . .“). Eine genauere Zusammenfassung wird im Klappentext zur CD‐Aufnahme der Operette erscheinen.

Anhang Vive la déesse Raison! Flamme pure, douce lumièr e.

Es lebe die Göttin der Vernunft! Reine Flamme, sanftes Licht.

Die Göttin der Vernunft zu Zeiten der Französischen Revolution

Die Religion der Vernunft wurde von den Hébertisten (Chaumette, Chabot, Coliot d’Herbois usw., Anhänger des Revolutionärs Jacques René Hébert [1757–1794]) ins Leben gerufen („Da das Höchste Wesen nichts anderes wollte als die Religion der Vernunft, wurde diese Religion Staatsreligion“) und sollte in der Französischen Revolution das Christentum ersetzen. Auf Geheiss des Procureur‐syndic (Bürgermeisters) der Stadt Paris wird die neue Religion am 10. November 1794 (le 20 Brumaire) mit einem grossen Fest der Bürger in der Pariser Kirche Notre Dame („der Tempel der Vernunft“) eingesetzt. In zwei Tagen war im Chor der Kathedrale eine Art „Berg“, ein der Philosophie geweihter und mit Büsten weiser Männer geschmückter Tempel errichtet worden. Hinter einer langen Reihe von weiss gekleideten 75 jungen Frauen, die Kränze aus Eichenlaub trugen, strömten Kindergruppen, alte Menschen und Musikanten und viele Mitglieder politischer Clubs ins Hauptschiff. Beim Erscheinen der Führer der Commune tritt die Göttin der Vernunft, Mademoiselle Aubry, Primaballerina der Opéra, die rote Mütze kokett auf den Kopf gesetzt, in einem wehenden blauen Mantel über ihrer Tunika, einen Spiess in der Hand, mit majestätischen Schritten aus dem Tempel und setzt sich auf einen mit Grün geschmückten Stuhl, um die Huldigung der Anwesenden entgegenzunehmen. Alle strecken ihre Arme zu ihr aus und beginnen eine Hymne von François‐Josephe Gossec (1734–1829, dem offiziellen Komponisten der Französischen Republik) auf Verse von Marie‐Joseph Chénier (1764–1811, dem Bruder von André Chénier) zu singen:

Descends, O Liberté, fille de la Nature! Le Peuple a reconquis son pouvoir immortel. Sur les pompeux débris de l’antique imposture Ses mains relève ton autel . . . Steig hernieder, o Freiheit, Tochter der Natur! Das Volk hat seine unsterbliche Macht zurückerobert. Auf den erhabenen Resten des uralten Betrugs Errichten seine Hände deinen Altar . . .

Nach der Aufführung einer schwungvollen Darbietung zu den Klängen der „Marseillaise“, inszeniert vom Ballettmeister der Opéra, steigt die Göttin auf ein Tragebett, um ihre Getreuen zu den Tuilerien zu führen. Chaumette stellt sie der Convention vor: „Gesetzgeber“, ruft er, „der Fanatismus hat keine Macht meh r über uns. Seine schielenden Augen haben den Glanz des Lichts nicht ertragen . . . Wir haben die leblosen Götzen mit der Vernunft, diesem lebensvollen Bild, dem Werk der Natur, vertauscht. Die reizende Primaballerina springt von ihrem Bett und umarmt den Präsidenten. Unterdessen lässt Chabot darüber abstimmen, ob Notre Dame den Namen „Temple de la Raison“ („Tempel der Vernunft“) tragen soll. Der Zug setzt sich wieder in Bewegung, viele Abgeordnete folgen ihm. Nicht mehr ganz so geordnet, beginnt die Zeremonie vor ihnen aufs Neue.

Die Franzosen haben nun eine offizielle Göttin. Die Vernunft . . . Nichts Ungewöhnliches im Lande von Descartes. Leider ist die Vernunft nicht die Weisheit. Es handelt sich nicht um die große Athene, die nachdenklich lächelt, die Hand an der Lanze, sondern eine kleine Juristengottheit, die immer diskutiert . . . Man hat die Geduld zu warten, und siehe da, die neue Religion, in der man so gut Orgien feiern kann, läuft sich tot. Robespierre zuckt mit den Schultern, Danton schürzt die Lippen über diese Kinderei, lässt die Hébertisten gefangen nehmen und guillotinieren. Die Göttin der Vernunft tritt ab . . .

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Wie Joachim Viedbantt sagte, hatten sich bereits 40 Mitglieder angemeldet, von denen aus Termingründen nur wenige hier teilnehmen konnten. Eine wichtige Entscheidung: auch ausländische Mitglieder sind willkommen, ebenfalls ein Beitrag zur Völkerverständigung.

Es schien fast wie ein gutes Omen, dass in Hamburg die Gründung erfolgte ‐ der Geburtsstadt von Johannes Brahms, der zum Freundeskreis von Strauss gehörte und genau wie seine zeitgenössischen großen Kollegen wie Richard Wagner, Anton Bruckner, Giuseppe Verdi u.a. dem Walzerkönig und seinem Werk höchste Anerkennung zollte – was leider so manche nicht wahrhaben wollen!

Der erste offizielle Auftritt der neuen Gesellschaft erfolgte am 25. Oktober 1975 bei den Feiern in Wien. Am Ehrengrab von Johann Strauss legte Joachim Viedebantt einen Kranz nieder.

Ein Jahr später gab es eine Schallplattenproduktion durch BASF/Polytel International (1997 auch auf CD herausgegeben) an der Hans Ulrich Barth als Regisseur beteiligt war: eine komplette Einspielung der originalen Musik der Operette „Eine Nacht in Venedig“ unter dem Dirigenten Ernst Märzendorfer (+ 2009), einem Schüler von Clemens Krauss, der in einem Vorbericht scharf gegen die Bearbeiterseuche mit Verstümmelung und Verfremdung der Musik speziell bei Korngold vorging und hier bewies: Das Original ist immer besser!! Was ebenfalls immer noch ignoriert wird!

Nach einiger Zeit stellte ich eine Chronik der Gesellschaft mit ihren Daten zusammen, die regelmäßig ergänzt wird. In der Festschrift zu ihrem 25. Geburtstag wurde die Zeit ihrer Aktivitäten von 1975 bis 2000 genannt. Es würde zu weit führen hier ins Detail zu gehen, was in den Jahren geschah, aber so manches sei hier doch berichtet.

Der plötzliche Tod von Joachim Viedebantt 1978 war ein Schock, aber man verlor trotz aufkommender Schwierigkeiten den Mut nicht. Dr. Udo Unger übernahm zusammen mit Gerhard Fink vom Deutschen Bücherbund kommissarisch die Geschäftsführung, der Sitz der Gesellschaft nach Stuttgart verlegt, wo auch die Sammlung von Viedebannt (Bücher, Noten, Schallplatten u.a.) als Archiv der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft katalogisiert wurde und hier seinen Platz fand. Eurocord produzierte fünf LP‐Doppelalben mit den Werken von Lanner und der Strauss‐Dynastie, gespielt vom Wiener Kammerorchester unter Paul Angerer. Ein wichtiges Datum gab es 1972: Konzertmeister Arthur Kulling von den Stuttgarter Philharmonikern (Mitglied seit 1980) gründete das Alt‐Wiener Strauss‐Ensemble mit zwölf Musikern, welche sich besonders der Pflege dieser Musik widmet – in der gleichen Besetzung, wie die beiden Johanns ihre Laufbahn begannen.

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In den folgenden Jahren gab es Internationale Meetings der Johann Strauss Gesellschaften: 1983 in Wien, 1985 in Stockholm, 1989 in London mit Konzerten, Vorträge, Bälle und Ausflüge, wo auf internationale Basis viele Kontakte geknüpft wurden.

Die ersten Ehrenmitglieder wurden Dr. Eduard Strauss, der Urgroßneffe des Walzerkönigs und Prof. Max Schönherr, der langjährige Leiter des Wiener Rundfunkorchesters. 1985 erhielt die Gesellschaft bei der Neuwahl des Vorstandes einen neuen 1. Vorsitzenden: Prof. Norbert Linke, von dem 1982 in der Reihe Rororo‐Bildmonographien eine über Johann Strauss erschien. Da er in Duisburg wohnte, wo er als Dozent an der dortigen Universität tätig ist, hatte die Gesellschaft nun hier ihren Platz und die Stadtbibliothek übernahm das Archiv, das 1986 in einer Ausstellung gezeigt wurde. 2. Vorsitzender wurde Werner Abel aus Darmstadt, der eine reiche Sammlung von Strauss‐Dokumenten besitzt.

Vorstand der DJSG 1986 v.l.n.r Jürgen Leukel, Ursula Wahnfried, Norbert Linke, Werner Abel, Inge Röhre

Zwei neue Ehrenmitglieder gab es: Prof. Franz Mailer, Präsident der Wiener Gesellschaft und einer der ersten Strauss‐Forscher Österreichs, und Dr. Udo Unger für seine Verdienste um die Gesellschaft nach dem Tod unseres Gründervaters.

Immer noch war als Sitz der Gesellschaft im Vereinsregister Amtsgericht Hamburg angegeben, Stuttgart und Duisburg waren als Wohnsitze der ersten Vorsitzenden Geschäftsstelle. Wenn auch der Kontakt zwischen den Vorstandsmitgliedern ausgezeichnet war, so wurde es doch Zeit für eine dauerhafte echte Bleibe – und die war schneller wie gedacht bald gefunden:

1975 wurde auch die fast vergessene Episode bekannt, dass Johann Strauss seine dritte Ehe mit Adele in Coburg schloss. Es war Herzog Ernst II. von Sachsen‐Coburg und Gotha, ebenfalls sein musikalischer Verehrer wie manche unter den Fürstlichkeiten dieser Zeit, der wie bekannt ihm die Möglichkeit hierzu gab. 79

So begann auch eine Spurensuche in Coburg und brachte eine Vielzahl von Dokumenten zum Vorschein, von denen auch einige bei der Wiener Strauss‐Ausstellung 1975 zu sehen waren. In Coburg selber war Gymnasialprofessor Dr. Friedrich Klose hier besonders rührig und setzte es durch, dass im Treppenhaus des Coburger Rathauses eine Gedenktafel angebracht wurde, die auf die standesamtliche Trauung des Paares in diesem Hause hinwies. Allen Kleingeistern zum Trotz, die von „Ehebruch und moralischen Fehltritt des Komponisten“ sprachen, wies Dr. Klose darauf hin, dass Strauss mit seiner Entscheidung durchaus ehrenhaft gehandelt habe. Am 23. Oktober 1982 wurde die Tafel feierlich enthüllt, wo Bürgermeisterin Edith Seifarth; Prinz Andreas, der Chef des Hauses Sachsen‐Coburg und Gotha (seit 1996 bei uns Mitglied) und die bayerischen Landtagsabgeordneten Siegfried Möslein und Albert Koch anwesend waren.

1987 war der Jahrestag der „Coburger Hochzeit“ in der widerentdeckten „deutschen Strauss‐ Stadt“. Dieser brachte eine “Internationale Johann Strauss‐Woche“ veranstaltet von der Gesellschaft, wo Werner Abel und Alfred Dreher mit Dr. Klose die Hauptorganisatoren waren und die unter der Schirmherrschaft von Coburgs Oberbürgermeister Heinz Höhn stand. Mit vielen Gästen von nah und fern wurde diese Jubiläumsfeier ein unerwarteter Erfolg.

Die Gesellschaft hatte einen Gedenkstein gestiftet, ausgeführt vom Coburger Bildhauer Jürgen Speer. Der Stein wurde in einer Feierstunde von Elisabeth Strauss, Witwe des Dirigenten Eduard Strauss II. und Mutter von Dr. Eduard Strauss feierlich enthüllt. Ferner gab es eine Ausstellung mit Briefen und Dokumenten; Konzerte und Vorstellungen im Landestheater, Empfang im Rathaus und einen Besuch in Bayreuth, der Stadt des Strauss‐ Verehrers Richard Wagner.

Am 6. Januar 1988 fand auf Anregung von Dr. Klose im Kongresshaus das 1. Coburger Neujahrskonzert des Alt‐Wiener Strauss‐Ensembles statt, das einen so glänzenden Erfolg brachte, dass es in den folgenden Jahren am Dreikönigstag, moderiert von Dr. Eduard Strauss, im stets voll besetzten Haus zu einer echten Tradition wurde. Ergänzend dazu kamen jedes Jahr am 5. Januar Vorträge von Professor Franz Mailer über das vielseitige Wirken der Strauss‐Dynastie, welche echte authentische Fakten enthielten und immer noch gängige Zerrbilder widerlegten. Ferner gab es jetzt regelmäßig Strauss‐Wochen mit Konzerten, Vorträge und Ausflüge im Verbindung mit dem Internationalen Gesangswettbewerb „Alexander Girardi“.

1991 wurde bei der Jahreshauptversammlung ein neuer Vorstand gewählt: 1. Vorsitzender Arthur Kulling, 2. Vorsitzender Werner Abel, Vorstandsmitglieder: Inge Röhre (Schriftführung), Hubert Köhler (Schatzmeister), Albrecht Tauer (Kulturamt der Stadt). Pressesprecher wurde Hans Höfer vom „Coburger Tageblatt“, Ehrenmitglied wurde Dr. Friedrich Klose, durch dessen Initiative Coburg zu deutschen Johann Strauss‐Stadt wurde.

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Vorstand der DJSG 1999 v. Inge Röhre h.v.l.n.r. Hubert Köhler, Albrecht Tauer, Werner Abel, Arthur Kulling, Georg Günther

Ferner brachte das Jahr eine juristische Veränderung: der Sitz der Gesellschaft war nun von Hamburg nach Coburg verlegt worden, hier hatte sie nun ihren endgültigen Platz gefunden wie auch das Archiv in der Landesbibliothek. Dann gab es neue Informationsblätter: das Mitteilungsblatt hieß nun „Neues Leben“ (PM op.278) und ein zwei Mal im Jahr erscheinendes Rundschreiben bekam den Namen „Telegramme“ (W op.318)

Das Jahr 1999 brachte zwei Gedenktage: am 3. Juni den 100. Todestag von Johann Strauss und am 25. September den 150. Todestag seines Vaters. Bei den Feiern in Wien am 3. Juni: Kranzniederlegung am Ehrengrab und Denkmal vertrat Vorstandsmitglied Inge Röhre die Gesellschaft, da Arthur Kulling und Werner Abel in Coburg die Vorbereitungen für die Feiern übernahmen: Kranzniederlegung am Gedenkstein, Eröffnung einer Ausstellung und die besonders festliche Johann Strauss‐Wochen Juni/Juli.. Am 25. September gab das Kulling‐ Ensemble ein Sonderkonzert zu Ehren von Johann Strauss‐Vater.

Im Jahre 2000 feierte die deutsche Gesellschaft ihren 25. Geburtstag und brachte eine spezielle Festschrift heraus, die schwedische Gesellschaft wurde 40 Jahre alt. Im Juni fand das Internationale Symp osium in Coburg statt und brachte auch den Teilnehmern einen mehrtägigen Aufenthalt in Berlin, wo die Strauss‐Dynastie oft zu Gast war wie im Königlichen Schauspielhaus und Schloss Charlottenburg. Ferner gab es einen Besuch im Friedrichsstadtpalast, Ausflüge nach Potsdam und den Spreewald.

Bei der Jahreshauptversammlung gab es beim Vorstand einen Wechsel: Kurt Hinrichs trat an die Stelle von Albrecht Tauer. Zum Ehrenmitglied wurde Inge Röhre ernannt und empfing herzlichen Dank für ihre Aktivitäten seit Gründung der Gesellschaft.

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Vom 7. bis 14. März 2004 gab es eine gemeinsame Fahrt von 85 Mitgliedern nach Wien. Es war die Festwoche zum 200. Geburtstag von Johann Strauss‐Vater. Zum Programm gehörten u.a. eine Feier am Ehrengrab mit Kranzniederlegung und zwei besondere Konzerte: das Alt‐ Wiener Strauss‐Ensemble spielte zum ersten Mal im Sendesaal des ORF, und im Wiener Musikvereinssaal gab es ein eindrucksvolles Festkonzert des Wiener Johann Strauss‐ Orchesters, das von Dr. Eduard Strauss moderiert wurde.

Bei der Jahreshauptversammlung in Coburg 2006 wurde ein neuer 1. Vorsitzender gewählt, da Arthur Kulling aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat und auch die Leitung seines Ensembles seinem Sohn Ralph übergab, der sich beim Neujahrskonzert des Jahres bereits als musikalischer Leiter bewährte.

So gab es eine würdige Feier für das achtzigjährige Geburtstagskind, das zum Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft ernannt wurde. Sein Nachfolger als 1. Vorsitzender wurde wieder ein Musiker: Ralph Braun, Konzertmeister im Philharmonischen Orchester des Landestheaters Coburg, der hier bereits teils konzertant, teils szenisch die Aufführung zwei wenig bekannten Operetten von Johann Strauss ermöglichte: 2004 „Simplicius“, 2006 „Das Spitzentuch der Königin“ was einen ungewöhnlich starken Beifall fand.

Bei der Neuwahl des Vorstandes drei Jahre später 2009 übergab Hubert Köhler das Amt des Schatzmeisters an Dr. Michael Mahlert aus Ulm; Pressesprecher wurde Manfred Drescher. Für ihre langjährigen Verdienste für die Gesellschaft wurden Werner Abel, Alfred Dreher und Hubert Köhler Ehrenmitglieder.

Hier seien auch die gemeinsamen Reisen der Gesellschaft erwähnt, wo sich Werner Abel und Hubert Köhler ihr besonders organisatorisches Geschick bewiesen: u.a. nach Wien, Salzburg, Paris, Budapest und seine Umgebung und Japan führten. Dazu zwei Besuche in Baden‐ Baden, wo 2002 eine Gedenktafel für Johann Strauss am Musikpavillon enthüllt wurde. Jahreshauptversammlungen gab es in Gotha ((1997), Zürich (2001) wozu die Schweizer Freunde einluden, Dresden (2005) und Bad Reichenhall (2008). Neue Ehrenmitglieder wurden Prof. Yoichiro Omashi (Tokio) und Christian Pollack (Wien)

„Licht und Schatten“ op.374 heißt eine Polka mazur von Johann Strauss und das Letztere bringt nicht nur der Tod, wenn er jene trifft, die besondere Verdienste im Zeichen der Walzerdynastie besaße n ; 1984 st arb Max Schönherr, 1995 Dr. Friedrich Klose „die Stimme des Mahners ist verstummt“ schrieb die Presse; 1997 Dr. Udo Unger, 2001 Elisabeth Strauss, 2003 Prof. Eberhard Würzl aus Wien, ein Straussexperte der viele Artikel für unsere Schriften brachte; 2006 Max Auer und Ingolf Lipski, deren Forschungsarbeiten zu den ursprünglichen Librettos der Operette und zeitgenössische Presseberichte neue Erkenntnisse brachten. 2007 Hans Höfer, 2008 durch einen tragischen Unfall Arthur Kulling, 2010 Franz Mailer, dessen zehn Bände umfassendes Lebenswerk „Johann Strauss, Briefe und Dokumente“ eine echte Biographie ist, die keine der bekannten Klischees und Abwertungen kennt. 82

Denn das ist der Schatten, der unsere Arbeit belastet: dass die Straussdynastie und besonders ihr Hauptvertreter immer noch nicht ernst genommen wird. Bestimmte Bücher, Filme und eine Fernsehserie bieten nur Zerrbilder, sodass im Musikunterricht jeglicher Form man das Thema als minderwertig ignoriert. Wie kann man den jungen Menschen ihren Wert vermitteln, wenn man nur die „große, ernste“ Musik“ gelten lässt? Manche wollen es nicht glauben, aber ohne Zweifel trägt auch eine bestimmte Szene im Showgeschäft dazu bei, wo karikierende Persiflage Strauss lächerlich macht und nicht nur allein das unwissende Publikum hier irreführt und trotz aller Erfolge aber kein Gütesiegel für Niveau ist, wie es Strauss‐Experten Nikolaus Harnoncourt und Franz Mailer zu Recht bestätigten und auch die echten Fans und Kenner es so empfinden.

35 Jahre Erfolg und auch Enttäuschungen, und da kann es auch Mitverständnisse geben. Aber man sollte das vermeiden, wo es um das Ansehen eines „der größten Wunder der musikalischen Welt“ geht – so der Dirigent Arthur Nikisch (1855‐1922) über Johann Strauss. der immer noch Gegner hat. Und wenn man sich für ihn einsetzt, sollte es heißen: Viribus unitis – mit vereinten Kräften.

Ein Wiener Maler erinnert sich an Johann Strauss und Alexander Girardi zum 160. Geburtstag (5.12.) von Alexander Girardi

Peter Ziegler

In Deutschland wohl kaum bekannt, interessiert uns der Wiener Maler Josef Engelhart als Chronist der österreichischen Hauptstadt zur Zeit der Donaumonarchie. In seinen Erinnerungen, die 1943, zwei Jahre nach seinem Tode erschienen sind, erzählt er auch über seine Bekanntschaft mit Johann und Eduard Strauss und Alexander Girardi.

Josef Engelhart um 1890 83

Otto Stradal, der liebenswerte Heimatschriftsteller, hat in seinem Buch „Es steht manch Schloss in Österreich“ auch den von Touristen weniger besuchten III. Wiener Bezirk „Landstraße“ besungen. Dort lebte der Maler Engelhart in der Steingasse, einer Abzweigung der Landstraßer Hauptstraße. In dieser Gegend lebte auch bis zu seinem Tod im Jahre 1922. Stradal meint, Ziehrer könnte seinen Walzer „Wiener Bürger“ op. 419 nirgendwo anders komponiert haben, als in diesem Bezirk, klingt doch aus ihm das Fluidum der echt bürgerlichen Behäbigkeit der umliegenden Gassen mit ihren Menschen, ihrer Geschichte und ihren Geschichten.

Auch Beethoven wirkte im III. Bezirk

Otto Stradal schildert den III. Bezirk sozusagen als Wirkungsstätte bekannter Persönlichkeiten: „Es ist eine Umwelt, in der drüben in der stillen Steingasse ein Josef Engelhart seine Wäschermädeln, seine Harfenisten und Volkssänger gemalt oder etwas seinen herrlichen Karl‐Borromäus‐Brunnen modelliert hat, der heute vor dem Landstraßer Bezirksamt steht: es ist eine Welt, in die einst Schillers Gefährte auf der Flucht, Andreas Streicher, gekommen ist. Von dem in der benachbarten Ungargasse auch noch eine Gedenktafel erzählt, in dessen Haus die berühmten Streicher‐Klaviere gebaut worden sind. Auch Beethoven begegnen wir hier wieder, dem ewig herumziehenden Mieter, der in der Ungargasse an seiner Neunten Symphonie, im alten Rochuskloster aber an seiner ‚Missa solemnis’ gearbeitet hat.“ Hermann Bahr, der das alte Wien in seinen einst berühmten Lustspielen, man erinnere sich an „Das Konzert“ und „Wienerinnen“, besonders treffend darstellte, erkannte auch richtig die Kunst des Josef Engelhart: „Ich weiß heute überhaupt keinen Maler, der so überzeugend malt. Man fühlt, dass alles so ist, wie es sein muss, aus der unabänderlichen Notwendigkeit einer geraden und sicheren Natur heraus.“

Johann und Eduard Strauss

Josef Engelhart erzählt, er wäre kein schlechter Tänzer gewesen, weshalb er bei Hausbällen häufig in das Haus des Walzerkönigs geladen wurde. Der Maler erinnert sich:

„Johann Strauss war von zierlicher, eleganter Gestalt, mit einem charakteristischen blassen, von schwarzen Haaren umrahmten Gesicht. Seine lebhaften, fast stechenden Augen und der samtschwarze Schnurrbart gaben der ganzen Erscheinung etwas Frisches und Temperamentvolles.

Ich habe häufig mit ihm Tarock gespielt. Gewann er, so konnte er sich wie ein Kind freuen, mehr als über einen künstlerischen Erfolg; verlor er, so wurde er leicht melancholisch. Überhaupt lag etwas Naives in seiner Natur, das sich im Gespräch offen zeigte. Mit leuchtenden Augen erzählte er von dem Riesenerfolg seiner ‚Fledermaus’: ‚Denken Sie, 17‐ mal nacheinander wurde sie gegeben!’ Ich habe ihn oft am Harm onium und am Flügel musizieren hören. Aber er kam mir vor, als ob andere Interpreten seine Walzer viel

84 wirkungsvoller spielten. Den Walzer ‚Frühlingsstimmen’ hörte ich in seinem Hause bei der ersten Aufführung, und ebenso als Bub die Operetten ‚Der lustige Krieg’, ‚Zigeunerbaron’, ‚Eine Nacht in Venedig’ usw. Um billige Plätze auf der vierten Galerie des Theaters an der Wien zu ergattern, musste man sich für die Abendvorstellung um zwei Uhr nachmittags anstellen und dann im Galopp die vier Stockwerke hinaufsausen. Ich verzichtete an solchen Premierentagen gern auf das häusliche Mittagessen, um einer Vorstellung beiwohnen zu können.

Strauss’ Bruder Eduard habe ich erst zwanzig Jahre später kennen gelernt. Damals war er nicht mehr der ‚schöne Edi’ mit gewichstem Schnurrbart und gefärbten Haaren, der mit seiner eleganten modischen Art das tanzende Wien beherrschte.

Es war im Jahre 1916, als ich ihn für einen Sa mmler zeichnen sollte. Ich sehe ihn noch vor mir: einen weißhaarigen, gebeugten, eleganten Herrn, der gerne und offen über sein Leben sprach. Er erzählte von seinen großen Konzertreisen durch ganz Europa und die Vereinigten Staaten. Er hatte sein Vermögen durch Vertrauensmissbrauch verloren und wieder von vorne anfangen müssen, als er sich schon zur Ruhe setzen wollte.

Auf meine Frage, wie er jetzt seine Zeit zubringe, antwortete er: ‚Ich fahre täglich in den Prater, mache einen kleinen Spaziergang und freue mich dann auf mein Griechisch, das ich wieder neu gelernt habe.’

Er verließ Wien auch im Sommer nie, führte das Leben eines alten Hagestolzes, obwohl er eine Frau und zwei Söhne hatte – und übersetzte Sophokles.‐

Beinahe hätte es im Wiener Stadtpark ein Johann‐Strauss‐Denkmal nach einem Entwurf von Josef Engelhart gegeben. Doch der Künstler hatte den Zuschlag für eine wichtige Arbeit erhalten, den Karl‐Borromäus‐Brunnen, der zu Ehren des äußerst beliebten Wiener Bürgermeisters Dr. Karl Lueger errichtet wurde. Während der Erledigung dieser Aufgabe lud ihn die Stadt Wien dazu ein, sich am Wettbewerb für ein Johann‐Strauss‐Denkmal zu beteiligen. Sein Entwurf gelangte unter die Arbeiten von sieben Künstlern, unter denen die letzte Wahl getroffen werden sollte. Engelharts Zeit wurde durch die Arbeit am Borromäus‐ Brunnen so sehr beansprucht, dass er sich nicht mehr am Wettbewerb beteiligte. Dr. Karl Lueger war jedoch über den Borromäus‐Brunnen so erfreut, dass er für Engelhart eine weitere Aufgabe durchsetzte. So entstand 1913 das Marmordenkmal für den Maler Ferdinand Georg Waldmüller im Ratha u spark.

Girardi war eine einmalige Erscheinung

Für das Valentinsbild aus dem Raimundzyklus im Schloss Kogl stand dem Maler Josef Engelhart ein außergewöhnliches Modell zur Verfügung. Es war Alexander Girardi selbst, der mit dem Valentin aus Raimunds „Verschwender“ wohl seine berühmteste Rolle verkörpert hatte. Doch Engelhart schätzte in Girardi auch den Verkörperer von Rollen aus der Welt der Operette:

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„Die Gestalten aus dem ‚Lustigen Krieg’, dem ‚Bettelstudent’, den ‚Glocken von Corneville’, die er in seiner Jugend und auf der Höhe des Lebens verkörperte, bezauberten durch eine unnachahmliche, überzeugende, ja graziöse Wahrhaftigkeit. Später, in der ‚Fledermaus’, im ‚Zigeunerbaron’ spielte er komische Rollen, oder er schuf wie als ‚Valentin’ und ‚Eingebildeter Kranker’ Charaktergestalten von großer, unvergesslicher Wirkung. Als er schließlich ans Burgtheater berufen wurde, meinte er halb scherzend, halb wehmütig: ‚Es ist halt a Leichenbegräbnis erster Klass’.“

Er war ein urwüchsiger Mensch und, wie die vielen über ihn umlaufenden Anekdoten zeigen, begabt mit schlagfertigem Witz. So fuhr einmal Millöcker, der die Probe leitete, den wie gewöhnlich zu spät kommenden Girardi grob an: I an deiner Stell’ kummert überhaupt net.’ Darauf Girardi höflich: ‚Ja, ich bin eben gewissenhafter als du!’

Kam er vormittags am Naschmarkt vorbei, so umringten ihn sofort die Standlweiber: und wenn er dazu aufgefordert wurde, sang er ihnen bereitwillig ein Couplet oder ein Lied vor. Ebenso spaßte er gern mit den Fiakern am Standplatz. Von seiner Beliebtheit in allen Volkskreisen gibt folgendes Geschichtchen eine Vorstellung: Als er einmal das bekannte Hutgeschäft Habig in der Kärntnerstraße aufsuchte, wurde dies vom Publikum bemerkt und vor dem Laden bildete sich eine Menschenansammlung, dass die Wache einschreiten musste. Auf die Frage, was denn da besonderes los sei, erfolgte prompt die Auskunft: ‚Der Girardi kauft sich an Hut.’ – Kein Wunder, dass das Theater jeden Abend übervoll war, denn jeder vornehme Nichtstuer, jedes Naschmarktweib musste den Girardi sehen.

Dem geradezu geheimnisvollen Einfluss Girardis auf das Wiener Publikum war es – obwohl er kein gebürtiger Wiener war – sogar gelungen, eine Art von neuem Wiener Dialekt und eine Wiener Herrenmode zu kreieren. Der flache Strohhut, nach ihm benannt, und der kurze Überzieher wurden durch ihn modern.

Alexander Girardi im Jahre 1916 Bleistiftzeichnung von Josef Engelhart aus seiner Porträtsammlung „Zeitgenossen“

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Girardi war imstande, die elendesten Couplets mit dem blödesten Text, die jedem anderen Vortragenden ‚den Kragen gebrochen’ hätten, durch die unnachahmliche Art seines Vortrages, seiner exentrischen Betonungen und komischen Wortverdrehungen, seiner Gesten und, man muss schon sagen, oft auch seiner Grimassen so wunderbar lustig und witzig zu bringen, dass sie bald ganz Wien nachsummte und sich bemühte, ‚Girardi’ zu spielen.

Wer aber diesen großen Künstler in anderen Rollen, so z.B. in dem Volksstück ‚Mein Leopold’ gesehen hatte, der bekam gewaltigen Respekt vor der beispiellosen Gestaltungskraft dieses einzigartigen Darstellers. Mit beißender Ironie sprach er über seine Ehe mit Helene Odilon, die er den ‚dunkelsten Punkt’ in seiner Vergangenheit nannte. Rührend war es, wenn er zur Sitzung kam, wie er sich bemühte, meine Kinder zur Jause zu unterhalten. Seine Scherze waren so herzlich, so ursprünglich und kindhaft, dass sie meinen Kindern heute noch, nach zwanzig Jahren, im Gedächtnis geblieben sind. Im Grunde war Girardi kein Komiker, kein Spaßmacher, wie man annahm, sondern ein Menschengestalter von bezwingender Herzenswärme und überzeugender Kraft, Eigenschaften, die hinreißend auf die Menschen wirkten. In der Zeit, wo ich ihn malte, 1916, lagen bereits die schwarzen Schatten des großen Krieges schwer auf uns allen. Auch er blickte scheu und bangend in die Zukunft. Hätte er das Ende erlebt, er wäre zusammengebrochen, so heiß liebte er unsere Heimat. Ich verehrte Girardi schon von Jugend auf, als ich aber bei den Modellsitzungen sein eigentliches Wesen noch tiefer erfasste, habe ich den Eindruck eines ganz großen Künstlers von ihm gewonnen. Girardi hat keinen Nachfolger gefunden und konnte keinen finden, denn er war eine einmalige Erscheinung und zugleich der Repräsentant einer Wiener Epoche, die allen, welche das Glück hatten, sie mitzuerleben, immer als kostbare und wehmütige Erinnerung im Gedächtnis bleiben wird.“ Hiermit enden die interessanten Erinnerungen an Johann Strauss und Alexander Girardi, die es bestimmt wert sind, den Freunden der Johann‐Strauss‐Gesellschaft publik gemacht zu werden.

Literatur:

Josef Engelhart: Ein Wiener Maler erzählt – Mein Leben und meine Modelle, Wien 1943 Otto Stradal: Es steht manch Schloss in Österreich, Wien 1957

Aus Anlass 150 Jahre Wiener Operette – erstmalig eine Operettenaufführung von Franz von Suppè in Gars am Kamp

Ingrid Scherney

Mit der Operette „Das Pensionat“ leitete Franz von Suppè (1819 – 1895) den Beginn der „Goldenen Operetten Ära“ ein. Am 24. November 1860 fand am Theater an der Wien die Uraufführung statt. Suppè verfolgte die Darbietungen aus Paris von Jacques Offenbach und schuf „Das Pensionat“ als erste Wiener Operette in einem Akt mit zwei Bildern. Es ist die 87

Geschichte um die Liebe des jungen Rechtsgelehrten Karl zu dem Internatszögling Helene, welche schließlich in einer Hochzeit mündet, nachdem Karl eine Anstellung, welche er mit einiger List erreichen konnte, den Eltern seiner Angebeteten aufweisen kann. Die Operette beginnt mit einem Präludium und dem Kirchenchor „Mutter vor deinem Bilde“, setzt sich mit der Ballade „Wenn in des Mondes bläulichem Schimmer“ und einem Tanz fort, einem Ständchen Karls „Wenn des Mondes Licht durch die Büsche bricht“ und schließlich mit der Klage von Helene und Karl über ihre Situation in „O Pein! Ach der Gedanke bringt mich um!“, bevor ein Quartett mit „Gute Nacht“ das erste Bild abschließt. Das zweite Bild beginnt mit „Hör meiner Lieder tiefen Liebeslust“, dem Durchführen der List mit der Internatsleiterin Frau Brigitte, um eine Arbeitsstelle zu erreichen. Diese heikle Situation ruft den Spottchor „Eilet schnell wir müssen sehen“ auf den Plan, um schließlich im Finale mit Happy End zu enden „Wenn des Mondes Licht durch die Büsche bricht.“

Die Überleitung von Suppès erster klassischen Wiener Operette „Das Pensionat“ zur wohl bekanntesten Operette Suppès „Boccaccio“ (1879) findet nicht besser durch „Wenn des Mondes Licht durch die Büsche bricht“ statt. Erstmalig wurde in Gars eine Operette von Suppè aufgeführt und zwar auf einer Freilichtbühne umgeben von Bäumen im Kurpark Gars, nahe der Franz von Suppè Promenade. Präsentiert wurde aus dem besonderen Anlass 150 Jahre Wiener Operette die in Gars komponierte Operette „Boccaccio“ von der Sommerakademie Gars. Beinahe 20 Jahre lang war Franz von Suppè mit seiner Gattin Sofie in der Sommerfrische Gars, wo er zunächst von 1876 bis 1878 bei Baron von Haan gewohnt hatte, bis er sich schließlich einen Landsitz in der Kremserstraße 40 erbauen ließ. Noch heute weist ein Schild in der Haangasse 27 darauf hin, dass hier Suppè den Boccaccio komponiert habe.

Peter Svensson, geboren in Wien, 20 Jahre internationale Sängerkarriere als Heldentenor u.a. an der Mailänder Scala, Opera di Roma, weiters in Mexico City, Tokio, Buenos Aires, Paris, Barcelona, u.v.a. und Gründer und Leiter der Sommerakademie Gars im Jahre 2009, hatte sich im zweiten Jahr der Sommerakademie Gars auf die Fahnen geschrieben, dem „Genius loci“, Franz von Suppè zu huldigen. Schließlich war es am 20. August um 20.00 Uhr so weit (weitere Termine 21., 27. und 28. August 2010) und „Boccaccio“ (Intendant Peter Swensson) wurde in unter freiem Himmel aufgeführt. Die Geschichte um den Dichter und Frauenversteher Boccaccio, um die liebeshungrigen Ehefrauen und ihre gehörnten Ehemänner wurde in einer turbulenten und zugleich stimmigen Inszenierung geboten, unterstützt mit Videoprojektionen von Florenz der Renaissance und mit glanzvollen Leistungen der Solotänzer mit akrobatischen Tanzeinlagen. Die musikalische Leitung hatte Konrad Leitner (o. Univ. Prof. für Korrepetition und Operndirigieren an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, zahlreiche Engagements im In‐ und Ausland), es spielte das Kammerorchester Robert Stolz. Die Inszenierung übernahm Charlotte Leitner (Ausbildung in Wien, von 1988‐97 Mitglied beider Wiener Opernhäuser Staats‐ und Volksoper, danach zahlreiche Gastengagements und Musiktheater Workshops zur Ausbildung des Bühnennachwuchses). Zu dem Ensemble zählten der Gaststar Ks Heinz Holecek (ständiges Mitglied der Wiener Staatsoper), welcher den Herzog von Toscana gab, 88 weiters Martin Thyringer (Pietro, Prinz von Palermo), Andrea Martin (Scalza, Barbier), Annette Fischer (Beatrice, seine Frau), Felix Muzlai (Lotteringhi, Fassbinder), Anja Markwart (Isabella, seine Frau), Axel Schein (Lambertuccio, Gewürzkrämer), Irene Wallner (Petronella, seine Frau), Kerstin Grotrian / Anita Tauber (Fiametta, Ziehtochter), Johannes Schwendinger (Leonetto, Student), Tom Reisinger (Fresco, Lehrbub Lotteringhis), Johannes Hanel (Bücherverkäufer), weiters Alexander Rafanowitsch (Major Domus des Herzogs), Julia Melcher und Vadym Yarmolenko (Solotanzpaar) und Studenten und Studentinnen (TeilnehmerInnen der Sommerakademie). Da Michaela Christl, welche „Giovanni Boccaccio“ spielen sollte, kurzfristig vor der Premiere erkrankte, war große Improvisierung angesagt. Peter Svensson übernahm mit seinem strahlenden Heldentenor die gesangliche Synchronisation der Bühnendarstellung der Regisseurin Charlotte Leitner, die ihrerseits souverän spielend und sprechend in die Hosenrolle des Giovanni Boccaccio geschlüpft war. Der Start der „1. Garser Operettenfestspiele“ war trotz einiger „Hoppalas“ gut gelungen und 2011 sollen die „Garser Operettenfestspiele“ fortgesetzt werden.

„Wiener Blut“ auf der Luisenburg in Wunsiedel Johann Strauss bei der Wiener Oper ettenbühne

Manfred Drescher

Im letzten Jahr hatte ich ein prachtvolles „Wiener Blut“ in Heldritt erlebt, eine Aufführung, von der ich glaubte, dass sie so schnell nicht wieder getoppt werden könnte. So kann man sich täuschen. Heinz Hellberg zeigte mit seiner Operettenbühne Wien, dass „Wiener Blut“ auch auf der Felsenbühne der Luisenburg in Wunsiedel begeistern kann.

Voraussetzung ist natürlich auch gutes Wetter – und auch hier hatten die Besucher (jedenfalls bei der von mir am 14. August besuchten Aufführung) das Glück gepachtet gehabt.

Und um es gleich vorweg zu nehmen, das zehnjährige Jubiläum von Heinz Hellberg auf der Bühne in Wunsiedel war in jeder Weise gelungen. Hellberg inszenierte die Operette in der authentischen wienerischen Form – und er tat gut daran. So macht Operette Spaß, so kann sie auch denen gefallen, die glauben, dass die kleine Tochter der Oper nur ein Ausrutscher, ein nichteheliches Kind sei.

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Auf der Felsenbühne des Fichtelgebirges prangt hoch oben zwischen den Felsen ein Riesenrad und weist unübersehbar auf Prater und Volksfest hin. Die Kostüme von Lucia Kerschbaumer sind prachtvoll und stilsicher und beleben das Bild auf das trefflichste wie das an die Gegebenheiten hervorragend angepasste Bühnenbild.

Viel Zwischenapplaus, gerne gegebene „erzwungene“ da capos, viele Lacher und Mitgehen des Publikums (auch wenn mir das rhythmische Mitklatschen nicht so unbedingt gefällt) begeistern das gut gelaunte Publikum. Und der Funken springt über, über auf ein Ensemble, bei welchem es keinen Ausfall gibt.

Dies merkt man zuerst am glänzend disponierten Orchester, welches von Heinz Hellberg straff aber gleichzeitig locker geführt wird. Der typisch Weaner Schmäh kommt über die Rampe, wienerischer und zündender kann man die Operette kaum anbieten. Es wird in bestechender Form gesungen und getanzt, dafür sorgt das ausgezeichnete 32‐köpfige Ensemble der Wiener Operettenbühne. Jeder Akt wird abgeschlossen von der großartigen Leistung der drei Ballettpaare. Und das die Aufführung länger dauert als geplant, liegt auch daran, dass manches spontan wiederholt werden muss – das Publikum applaudiert so lange, bis es die erwünschte Zugabe erhält. Auf die Handlung näher einzugehen, hieße Eulen nach Athen tragen (welcher Strauss Freund kennt diese nicht in‐ und auswendig), deshalb möchte ich einiges über die Sängerdarsteller sagen. Und auch hier hat Hellberg wieder „ein gutes Händchen“. Mit weichem angenehmem Tenor gibt Michael Kurz den leichtlebigen Graf Zedlau und seine drei Grazien stehen sich gegenseitig in nic hts nach. Die bewährte quicklebendige und stimmlich frische Susanne Fugger als Pepi Pleiniger, die mit einem reifen ausgezeichneten Sopran brillierende Elena Schreiber als Gabriele Gräfin Zedlau und schließlich Verena Barth als Tänzerin Franziska Cagliari mit zierlich‐kapriziösem und brillierendem Sopran. Alexander M. Helmer als Kammerdiener Josef ist sowohl stimmlich als auch darstellerisch voll auf der Höhe und fügt sich nahtlos in das Ensemble ein. Gerhard Karzel (in vielfachen Rollen bewährt und beliebt) als Kagler und Georg Lehner als sächselnder (da muss noch etwas Nachhilfe her) Fürst Ypsheim‐Gindelbach vervollständigen das ausgezeichnete Ensemble.

Eine schöne, das begeisterte Publikum in jedem Bereich mitreißende Aufführung, die Spaß macht und alle fröhlich und glücklich nach Hause gehen lässt. Und das ist doch das schönste, was man über eine Operettenaufführung sagen kann. besuchte Aufführung am 14.08.2010

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Lehár Festival in Bad Ischl mit Emmerich Kálmán und Leo Fall

Manfred Drescher

Bad Ischl ist eigentlich immer eine Reise wert. Operettenliebhaber bekommen hier in der Regel Operette noch so vorgesetzt, wie sie ursprünglich einmal komponiert und geschrieben wurde. Und das ist doch schon viel. Beim Lehár‐Festival trat Franz Lehár nur einmal in zwei konzertanten Aufführungen von „Frasquita“ auf, die ich leider nicht besuchen konnte. Man setzte heuer in Bad Ischl auf die unverwüstliche „Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán und den leider sehr selten gespielten „Der fidele Bauer“ von Leo Fall.

„Die Csárdásfürstin“ war ‐ und das sei gleich zu Beginn gesagt ‐ eine schmissige und schwungvolle Operettenaufführung, an der es praktisch nichts auszusetzen gab. Sowohl szenisch als auch musikalisch konnte man eine Operette erleben, wie sie leider nur noch selten aufgeführt wird. Das Orchester war blendend aufgelegt und Marius Burkert holte das letzte schmissig und schwungvoll aus ihm heraus. Man musste unwillkürlich mitwippen, so rissen einen die Musik und das prachtvoll musizierende Orchester mit. Als Csárdásfürstin konnte Miriam Portmann glänzen. Sie, die Ischl erprobt, das letzte aus ihrer Rolle herausholte, konnte gesanglich mit kräftigem, reinem Sopran als auch darstellerisch voll überzeugen. Matjaz Stopinsek machte als Edwin eine gute Figur, der slowenische Tenor hat aber sicher noch Reserven, die er bei späteren Aufführungen herausholen sollte. Ganz ausgezeichnet der Graf Boni von Roman Martin – bei ihm sah man die alte Garde der Operettenbuffos wie Harry Friedauer oder Willy Hofmann wieder auferstehen. Eine ganz hervorragende Gesamtleistung, der die Komtesse Stasi der Yvonne Friedli in nichts nachstand. Sauber, glockenhell und vor allem unglaublich spielfreudig waren die beiden ein ideales Buffopaar, bei dem es Spaß machte zuzuhören und zuzusehen. Ein kleines Glanzstück brachte der „alte Haudegen“ Kurt Schreibmayer als Feri Bácsi auf die Bad Ischeler Operettenbühne. Er lebte alle Facetten dieser Rolle aus und wurde zu Recht gefeiert. Gefeiert wie auch das Fürstenpaar, welches von Gerhard Balluch und vor allem auch der unverwüstlichen Helga Papouschek ideal auf die Bretter gestellt wurde. Lang anhaltender Applaus zeugte davon, dass diese Aufführung ihr Publikum gefunden hatte. So will man Operette sehen und hören und so macht die gute alte Operette auch Freude.

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„Der fidele Bauer“ eine wunderschöne und leider viel zu selten aufgeführte Operette von Leo Fall, wurde am nächsten Tag von Dolores Schmidinger mit viel Gespür für das Machbare auf die Bretter der Bühne in Bad Ischl gestellt. Und auch mit dieser Inszenierung bewies man in Bad Ischl ein gutes Händchen. Ein begeistertes Publikum jubelte der Inszenierung, aber auch den Sängern und den Singschaupielern zu. Diese Operette von Leo Fall ist nicht ganz so leicht zu nehmen wie die Csárdásfürstin. Hier steht die Auseinandersetzung der Städter mit dem Bauernstand in Oberwang im Vordergrund. Eine Geschichte, die tatsächlich passiert sein soll und die den Konflikt zwischen Stadt und Land auf unterhaltsame, aber auch zuweilen nachdenkliche Art und Weise wiedergibt. Dieser Spagat zwischen ausgelebtem Konflikt und unbesc h werter Operettenseligkeit ist sicher nicht einfach zu bewerkstelligen, in Bad Ischl ist er ausgezeichnet gelungen.

Der Zipfelhaubenbauer, eine Paraderolle für einen Singschauspieler, wird von Franz Suhrada auf die Bühne gestellt und was er aus dieser Rolle macht sucht schon seinesgleichen. Seine Naivität, sein Nichtsehenwollen, dass sein Sohn Stefan ihn immer mehr verleugnet, sich seiner schämt, sein Verzicht und sein Glück den Sohn in Berlin (ungewollt) wiederzusehen spielt und singt er in unnachahmlicher Weise aus. Sein Bauer Mathaeus Schleichelroither bewegt und macht zuweilen auch betroffen. Betroffenheit, die dann wieder in Freude umschlägt, wenn alles zu einem guten Ende findet.

Rupert Bergmann stellt einen bassgewaltigen Lindoberer, den reichen Bauern, mit einer großen Portion Komik auf die Bretter. Eine ganz vorzügliche Leistung. Ebenso vorzüglich das Liebespaar Annamirl, Tochter des Zipfelhaubenbauern und Vinzens, dem Sohn Lindoberers. Laura Scherwitzl und Robert Maszl holten alles aus ihrer Rolle heraus und überzeugten in jeder Hinsicht. Thomas Zisterer als Vertreter der Obrigkeit gab viele Facetten seiner Darstellungskunst und bereicherte die Aufführung ungemein. Ebenso wie Christine Ornetsmüller als rote Lisl und Scheby Kanner, der an diesem Abend den Heinerle gab, dessen berühmtes Heinerle‐Lied begeistert aufgenommen wurde.

Zwischen den Bauern der Oberwang und den Städtern steht Stefan, der Sohn des Zipfelhaubenbauern. Er wird verkörpert von Eugene Amesmann, der einen wunderschönen, ausdrucksstarken und viele Facetten umfassenden lyrischen Tenor besitzt, den er voll erblühen lässt. Er war für mich bei dieser Aufführung neben Franz Suhrada die eindrucksvollste Gesangspersönlichkeit. Ich hatte ihn Jahre zuvor in Wunsiedel bereits als Franz Schubert im „Dreimäderlhaus“ erlebt ‐ und damals war er für mich der Inbegriff des Schubert, so wie er diesmal den Stefan so interpretierte, dass er zum Stefan wurde. Von diesem jungen kraftvollen Tenor wird man mit Sicherheit noch viel hören – und ich freue mich schon darauf. Vinzens Praxmarer führte das Lehár‐Orchester einfühlsam und entlockte ihm ein gefühlvolles und zugleich zupackendes Spiel.

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Mit diesen beiden Aufführungen hat Bad Ischl wieder unter Beweis gestellt, dass hier die Operette noch in allen Facetten blüht und seine Zuhörer und Zuseher nach wie vor verzaubern kann.

Im Anschluss an die Aufführung, hatte ich die Gelegenheit ein paar Worte mit Eugene Amesmann zu wechseln. Er, der gebürtige Tiroler, wuchs in Wien auf. Von 1997 bis 2000 war er festes Ensemblemitglied am Theater Annaberg‐Buchholz im Erzgebirge (seine Rollen u.a. Alfredo in „La Traviata“, Carlos in „Don Carlos“, Don José in „Carmen“ u.v.a.). Auftritte am Stadttheater Baden bei Wien („Wiener Blut“, „Dreimäderlhaus“) und an der Wiener Volksoper vervollständigten seine Auftritte. Engagements führten ihn auch zu den Luisenburg Festspielen nach Wunsiedel, den Operettenfestspielen Bad Ischl, Laxenburg und Bad Hall. „Hoffmanns Erzählungen“ am Stadttheater Baden bei Wien und verschiedene Konzerte in Deutschland und Österreich stehen demnächst an. Der überaus sympathische und vor allem natürlich gebliebene Künstler (der spontan um Mitternacht, als er erfährt, dass meine Tochter Geburtstag hat, ihr ein Ständchen singt) erzählt mir, dass er demnächst mit dem „Bettelstudent“ auf eine Deutschlandtournee gehen wird. Premiere wird am 25.12.2010 sein. Er möchte auch, obwohl er die Operette wahnsinnig gerne singt, wie er spontan erklärt, sein Augenmerk in der Zukunft etwas mehr der Oper widmen und den Schwerpunkt mehr in diese Richtung verlagern. Als freier Künstler ist es immer etwas schwerer, aber er ist guter Hoffnung, vieles von dem, was er sich vorstellt, in nächster Zeit verwirklichen zu können. Zu gönnen ist es ihm von Herzen, denn ich habe selten einen so offenen, herzlichen und unkomplizierten Künstler getroffen (gerade Tenöre sind da mitunter etwas zickig). Ich erzähle ihm von unserem Neujahrskonzert in Coburg – spontan erklärt er mir, dass er hier sehr gerne einmal auftreten würde. So, wie er insgesamt gerne in Deutschland auftritt und auch viel Resonanz vom deutschen Publikum bekommen hat. Ich nehme mir fest vor, zu einer der „Bettelstudent“ – Aufführungen zu fahren und wünsche ihm im Namen von allen Freunden der Johann Strauss Gesellschaft alles erdenklich Gute für die Zukunft. Und wer weiß? Vielleicht sehen wir ihn und vor allem hören ihn einmal bei einem unserer Neujahrskonzerte in Coburg. Wünschen würde ich es uns. Herzlichen Dank Eugene Amesmann für das nette Interview, welches den Aufenthalt in Bad Ischl für mich sicherlich zu einem Höhepunkt werden ließ. besuchte Aufführung „Die Csárdásfürstin“ am 20.08.2010 besuchte Aufführung „Der Fidele Bauer“ am 21.08.2010

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Eine Reise nach Gut Immling Ein Geheimtip – der viele Freunde finden sollte

Manfred Drescher

Gut Immling – ja wo ist das denn? So hörte ich es von vielen Seiten, als ich mich entschloss – auf Empfehlung eines guten Freundes – mit einer größeren Gruppe an den Chiemsee zu reisen. Und diese Reise haben wir nicht bereut. Im Gegenteil, im nächsten Jahr fahren wir wieder hin und über 2/3 der Teilnehmer waren bereits in diesem Jahr dabei. Im nächsten Jahr werden wir uns an „Aida“ und „Don Giovanni“ erfreuen können, in diesem Jahr standen „Der fliegende Holländer“ und „Carmen“ auf dem Programm. Heute möchte ich ein bisschen über das Opernfestival und dessen Philosophie berichten, die Aufführungen selbst werde ich am Schluss noch kurz behandeln.

Der ‐Bariton Ludwig Baumann, der sein erstes Engagement 1971 erhielt und dessen Karriere zu den größten Hoffnungen Anlass gab, hatte nach seinem Wechsel vom Bass zum Bariton sein Debüt am Landestheater Coburg. Hier sang er eine Vielfalt von Opernpartien und wurde durch den Coburger Kirchenmusikdirektor Martin Rauch in den Oratorien‐ und Konzertgesang eingeführt. Seine Karriere führte ihn als Gastsolist nach Berlin an die Deutsche Oper, die Semper Oper Dresden, die Pariser Oper, die Deutsche Oper am Rhein, an die Staatsopern nach München und Hamburg und viele ausländische Opern‐ und Konzerthäuser. Im Jahr 1994 stürzte er an der Semper Oper Dresden bei der Hauptprobe zu Verdis „Ein Maskenball“ so unglücklich auf den Rücken, dass er nach langem Krankenhausaufenthalt Schmerzpatient ist und leider nicht mehr in der Lage ist, Opernpartien stehend zu bewältigen. Er pachtete das Gut Immling (zwischen Bad Endorf und Halfing im Chiemgau) und führte in der dortigen Reithalle im Jahr 1997 Mozarts „Zauberflöte“ auf, da diese ‐ ursprünglich als Freilichtaufführung auf einem nahe gelegenen See geplant – wegen Dauerregens verlagert werden musste. Dies war die Geburt des Reithallen‐Opernhauses mit ca. 700 Plätzen. Das stattfindende Opernfestival in traumhafter Kulisse mit den weitläufigen Pferdekoppeln macht den speziellen Reiz dieser Opernaufführungen im malerischen Chiemgau zwischen Rosenheim und dem Chiemsee aus. Ludwig Baumann stellt kein Tourneetheater auf die Bühne sondern ausschließlich Eigenproduktionen mit den Münchner Symphonikern und internationalen Sängern. Die Mischung macht den Reiz aus, neben etablierten Gesangsstars treten junge 94

Nachwuchskünstler auf, von denen viele von Gut Immling aus, den Weg auf die großen Bühnen der Welt fanden.

Man kommt auf das Gut Immling, ist umgeben von Tieren, die hier ein liebevolles Zuhause gefunden haben. Intendant Ludwig Baumann und die Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock (die fast alle Opern auf Gut Immling dirigiert) sind mit der Natur, den Tieren und der Musik verwachsen. Und das spürt man auch. Ich habe im Gespräch selten so natürliche, liebevolle und alles mit Herzblut angehende Künstler erlebt, wie hier auf Gut Immling. Die Augen der beiden le uchten, als sie uns auf dem Gut herumführen, alles zeigen, aber auch von den Schwierigkeiten berichten, die ein so großes Gut mit sich bringt. Und dann das Opernfestival. Neben Intendant Ludwig Baumann und der Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock zeichnet auch noch deren Schwester Verena von Kerssenbrock als „Stamm‐Regisseurin“ für die Aufführungen verantwortlich.

Die Philosophie von Gut Immling ist für mich das Gesamterlebnis. Man wird herzlich begrüßt und geht vor der Oper ins Kultur‐Gastronomiezelt, in welchem man vor der großen Oper einen kleinen Imbiss zu sich nimmt. Und dann erlebt man die Oper. Leidenschaftlich inszeniert, leidens chaftlich dirigiert und leidenschaftlich interpretiert. Wenn man dann zur Pause aus der mit hervorragender Akustik versehenen Reithalle heraustritt kann man – wenn man Glück hat – ein farbenprächtiges Abendrot in einer herrlichen Landschaft erleben. Und wenn dann die Oper zu Ende und der langanhaltende Applaus verebbt ist, geht man erneut ins Gastronomiezelt. Hier nimmt man nun einen ausgiebigen Imbiss zu sich und versucht die hervorragenden Weine der Umgebung um den Abend ausklingen zu lassen. Doch dann kommt die nächste Überraschung. Begleitet am Klavier geben die Künstler des Festivals ein weiteres Konzert. Einmalig und ausgiebig. Und wenn die Stimmung im Zelt steigt, steigt auch die Laune der Künstler. Nach unserer „Carmen‐Aufführung“, die exzellent war, erlebten wir noch 20 Lieder und Arien der versammelten Künstler. Das ist mehr als bei einem normalen Konzert. Aber hier auf Gut Immling ist eben nichts normal – und dies ist einfach herrlich.

Alles hier ist etwas familiärer, individueller, li eben s wert e r als bei anderen Fe stivals. Dieser Satz, der in der Werbung im Internet bei Gut Immling steht, kann von mir voll und ganz unterschrieben werden, Ich werbe – aus voller Überzeugung – für dieses tolle Festival mit liebenswerten Verantwortlichen und einer Betreuung, bei der man sich einfach wohl fühlt.

Am Rande sei noch erwähnt, dass wir am 24.07.2010 einen imponierenden „Fliegenden Holländer“ sahen. Cornelia von Kerssenbrock lenkte die Münchner Symphoniker mit Akkuratesse un d viel Lust und Gefühl. Und diese sind an die sem Abend sehr gut auf gelegt, musizieren leicht und packend die wagnerischen Klangwogen. Hervorzuheben ist die Senta von Héléne Bernardy mit bravourösen Tönen und Leidenschaften, durchschlagskräftig und anrührend. Der Holländer von Dimitri Kharitonov beeindruckt, ebenso wie der Erik des Ralf Willershäus er. Auch Mare k Gastecki als Daland fällt nicht ab und alle bek ommen ihren 95 verdienten Applaus. Beifall auch für den hervorragenden Festivalchor mit rund 70 Sängern aus der Gegend, der mit Herzblut überzeugen kann.

Dies gilt auch für die „Carmen“ des nächsten Tages, Eine etwas eigenwillige, aber dennoch stimmige Interpretation besticht das mitgehende Publikum. Cornelia von Kerssenbrock leitet die Münchner Symphoniker, die – bis auf kleinere Abstriche – prächtig musizieren. Karine Ohanyan ist eine exzellent singende und agierende Carmen. Bei ihr fällt es nicht schwer sich vorzustellen, dass sich die Männer reihenweise in sie vergucken. Ihr Don José ist Gustavo Casanova, der mit dem Verführer gleichnamigen Namens nicht so viel „am Hut“ hat. Etwas zu altväterlich wirkt auf mich seine Interpretation, wenngleich er die Töne für den Don Jose sicherlich „drauf hat“. Gestalterisch, sowohl stimmlich als auch von der Ausstrahlung ist ihm hier der Escamillo des Michael Bachtadze überlegen. Bei ihm versteht man, warum Carmen Don José für ihn zurücklässt. Eine sehr gute Leistung bietet Sieglinde Zehetbauer, die eine anrührende mit zartem Sopran versehene Micaela darstellt. Insgesamt eine runde Aufführung, die ihren krönenden Abschluss im Kulturzelt findet.

Ich kann nur empfehlen, die Atmosphäre von Gut Immling einmal mit zu erleben. Ich bin sicher, dass es jedem so geht wie mir und meiner Familie, wir werden mit Sicherheit Stammgäste im Chiemgau.

Cornelia von Kerssenbrock, Intendant Ludwig Baumann, der Rezensent Manfred Drescher mit seiner Gattin Edeltraud besuchte Aufführungen „Der Fliegende Holländer“ am 24.07.2010 und „Carmen“ am 25.07.2010

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Ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest mit der „Geburtstagsmehlspeise“ aus der Kindheit von Johann Strauss: „Erdäpfelnudeln mit Weinbeerln“ Rezept aus dem „Kochbuch für Alice Strauss. Weihnachten 1887“ Besitz ehemals Alice Strauss ‐ nun Ralph Braun

Ignatz Schnitzer „Meister Johann“ Bd. 2 S.44

„Erdäpfelnudeln

3 Deka Butter werden in ¼ Liter Mehl gebröckelt, dann 1 Ei dazugeschlagen und diese Masse mit ½ Kilo Kartoffeln gemengt und etwas gesalzen. Nun werden Weinbeeren dazu gegeben und tüchtig durchgeknetet, dann formt man den Teig in lange Würstchen, diese werden in heißes Wasser geworfen und so lange darin gelassen, bis sie auf die Oberfläche kommen. Kurz vor dem Anrichten werden Semmelbröseln in heißes Schmalz geschüttet und ein paar Sekunden darin gelassen. In dieses Schmalz wirft man die Erdäpfelnudeln und schwenkt sie so lange darin, bis sie gleichmäßig mit Semmelbröseln bedeckt sind. Dann werden die Erdäpfelnudeln mit Zucker bestreut auf eine Schüssel gegeben.“