Sonntag, 3. Januar 2021 Treffpunkt Klassik – Neue Cds: Vorgestellt Von Christoph Vratz
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Sonntag, 3. Januar 2021 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Christoph Vratz Orchestrales Duo Ludwig van Beethoven / Franz Liszt Sinfonie Nr. 9 Philippe Cassard, Cédric Pescia (Klavier) La Dolce Volta CD LDV 82; 3770001904115; LC 55458 Verpasste Chance Ludwig van Beethoven Klaviersonaten Nr. 1-32 Diabelli-Variationen op. 120 Daniel Barenboim (Klavier) DG 13 CDs 483 932; 0289483 9320; LC 00173 Aufregend und zart Ludwig van Beethoven/ Carl Reinecke Tripelkonzert op. 56 Frédéric Chopin Klaviertrio g-Moll op. 8 Gidon Kremer (Violine) Giedrė Dirvanauskaitė (Cello) Georgijs Osokins (Klavier) Accentus CD ACC30529 Romantisch nachschimmernd Arnold Schönberg Gurre-Lieder Stephen Gould, Camilla Nylund, Christa Mayer, Markus Marquardt, Franz Grundheber MDR Rundfunkchor Leipzig, Sächsischer Staatsopernchor Dresden Gustav Mahler Jugendorchester Staatskapelle Dresden Christian Thielemann (Ltg.) Profil 2 CDs PH 20052; 881488200522; LC 13287 Eine pianistische Ära Wilhelm Kempff Edition Werke von Bach, Beethoven, Schumann, Schubert u.a. DG 80 CDs; 483 9075; 028948390755; LC 00173 Signet SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs.. Das musik-kalendarische Großereignis des Jahres 2020 liegt erst gute zwei Wochen zurück: der 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. Auch wenn der geplante Ansturm auf diverse Live- Feierlichkeiten virus-bedingt abgeblasen werden musste, so herrschte doch zumindest auf dem CD- Markt eine Form von Dauerbrise, die den Jubilar in allen denkbaren Facetten gewürdigt hat. Und auch in der ersten Sendung des neuen Jahres bilden Nachwirkungen des Beethoven-Jahres einen Schwerpunkt. Damit heiße ich Sie „Herzlich willkommen“. Am Mikrophon begrüßt Sie Christoph Vratz. Zu Beginn möchte ich Ihnen eine Aufnahme der neunten Sinfonie Beethovens in der Fassung für zwei Klaviere von Franz Liszt vorstellen. Anschließend eine Gesamtaufnahme der 32 Klaviersonaten, die Daniel Barenboim vorgelegt hat – es ist bereits sein vierter Zyklus dieser Werke. Carl Reinecke hat eine Kammermusik-Fassung von Beethovens Tripelkonzert erstellt, die nun - mit dem Klaviertrio von Frédéric Chopin – Gidon Kremer und zwei seiner Kammermusikfreunde veröffentlicht haben. Aus Dresden stammt ein Konzertmitschnitt der Gurre-Lieder von Arnold Schönberg unter der Leitung von Christian Thielemann, aufgenommen kurz vor dem ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr. Am Ende der Sendung steht ein Pianist im Fokus, dessen Karriere vor den Aufnahmemikrophonen rund sechs Jahrzehnte währte und dessen diskographisches Erbe nun auf 80 CDs zugänglich gemacht worden ist. Die Rede ist von Wilhelm Kempff. Wäre 2020 ein normales Jahr gewesen, frei von der weltweit lähmenden Virus-Wirkung, hätte es am Silvestertag quer über den Globus sicher etliche Aufführungen der neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens gegeben. Wenn es etwas zu feiern gibt, steht meist die Neunte auf dem Programm. In Japan etwa erlebt sie zum Jahreswechsel regelmäßig mehr als 200 Aufführungen. Wohl nirgends klingt sie so monumental wie in Osaka, wo sich (in normalen Zeiten) alle Jahre wieder rund 10.000 Sänger versammeln, um gemeinsam die „Ode an die Freude“ zu schmettern. In dieser Klavierfassung ist die Neunte hingegen eher selten zu erleben: Beethoven: Sinfonie Nr. 9 2’42 1865 schreibt Franz Liszt in einem Brief rückblickend über die neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven: „1840 betrachteten die meisten Musiker und sogenannten ‚Musikkenner’ in Europa die 9. Symphonie als ein gar erschreckliches Schrecknis. Man versuchte sich mehr schlecht als recht an ihr, zunächst fragmentarisch und zu irgendeinem besonderen Anlass“. Liszt hat alle neun Beethoven-Sinfonien für Klavier bearbeitet, auch um ihre Verbreitung zur fördern. Sie sind höllisch schwer zu spielen, weshalb auch die diskographische Auswahl eher begrenzt ist. Glenn Gould hat sich einmal an die fünfte Sinfonie gewagt, zyklische Einspielungen gibt es unter anderem von Cyprien Katsaris, Yury Martinov und zuletzt durch Hinrich Alpers. Nun haben Philippe Cassard und Cédric Pescia die Neunte aufgenommen, allerdings in der Fassung für zwei Klaviere, die Franz Liszt noch vor seiner Fassung für zwei Hände erstellt hat, auch um sich in mehreren Schritten an die besondere Herausforderung heranzutasten, einen komplexen Satz wie das Finale mit Gesangssolisten, Chor und Orchester auf dem Klavier möglichst umfassend abzubilden. Dass Cassard und Pescia auf dieser CD nicht zum ersten Mal als pianistisches Doppel auftreten, hört man in allen vier Sätzen gleichermaßen. Denn Liszts Bearbeitung braucht zweierlei: einerseits zwei gute Solo-Pianisten, die jeder für sich ihren eigenen Part souverän beherrschen, andererseits zwei Musiker, die genau aufeinander Rücksicht nehmen. Schließlich vertritt jeder von ihnen, grob gerechnet, ein halbes Orchester. Es folgt ein Ausschnitt aus dem Scherzo: Beethoven: Sinfonie Nr. 9 2’06 Rhythmisch prägnant, im Anschlag klar und dennoch dynamisch sehr variabel – Philippe Cassard und Cédric Pescia haben ihr Spiel an zwei Klavieren genau aufeinander abgestimmt. Wie genau, soll das nun unmittelbar folgende Beispiel zeigen, ein Ausschnitt aus dem langsamen dritten Satz, in dem die beiden Pianisten mit größter Umsicht die jeweiligen Stimmen verteilen – das Ergebnis gemeinsamen Phrasierens und gemeinsamen Atmens. Die lyrischen Momente werden äußerst gesanglich moduliert. Kammermusik für 20 Finger: Beethoven: Sinfonie Nr. 9 2’42 Bis ins Jahr 1812 reichen nachgewiesene erste Pläne, nach denen Beethoven Schillers „Ode an die Freude“ vertonen wollte. Doch schon 20 Jahre früher, also noch zu Beethovens Bonner Zeit, hat er sich diesem Text bereits genauer zugewandt, mit Blick auf eine mögliche musikalische Ausarbeitung. Warum hat Beethoven mit einer Vertonung so lange gezögert hat, liegt möglicherweise an der besonderen Qualität der Schillerschen Vorlage. Während Schillers Dramenvorlagen verschiedenen Komponisten immer wieder als ideale Ausgangsbasis für Libretto-Bearbeitungen gedient haben, galten seine Gedichte als ungleich schwerer zu vertonen. Dass Beethoven auf seinen alten Plan ausgerechnet in der Neunten zurückkommt, ist sicher kein Zufall: Denn die Wahl des Schiller-Textes ist natürlich ein Bekenntnis, sie ist nicht Laune, nicht Notstopfen. Außerdem findet Beethoven in diesem Text seine eigene Mentalität wieder: ein Aufbegehren gegen die bürgerliche Ordnung, Sprengkraft gegen politische Fesseln und Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach Freiheit.Ohne gesungenen Text liegt die Hürde für die Interpreten noch höher, denn diese gerade genannten Aspekte wollen trotz der instrumentalen und vokalen Reduktion angedeutet und damit hörbar gemacht werden. Piano total – so hat der Pianist Cyprien Katsaris vor vielen Jahren einmal eine Fernsehsendung zum Thema Bearbeitungen benannt – und dieser Titel könnte auch für die neue CD mit Philippe Cassard und Cédric Pescia gelten. Beiden Pianisten gelingt es staunenswert selbstverständlich, ja beinahe mühelos, die Kontraste dieses Finalsatzes einzufangen und die Stimmen der vier Solo-Sänger sowie die des Chores so organisch in den pianistischen Gesamtklang einzugliedern, als habe es nie eine Trennung gegeben. In diesem engen Stimmenverbund gibt es keinerlei Störungen: keine Verspätungen, keine sanften Kollisionen, keine unverhofften Baustellen. Es folgt der Schluss der neunten Sinfonie in der Bearbeitung für zwei Klaviere von Franz Liszt. Beethoven: Sinfonie Nr. 9 3’59 Philippe Cassard und Cédric Pescia haben die neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven in der Transkription für zwei Klaviere von Franz Liszt aufgenommen - eine künstlerisch rundum gelungene und auch aufnahmetechnisch überzeugende Einspielung, die den Reiz solcher Klavierbearbeitungen hoffentlich auch über das Ende des Beethovenjahres hinaus hochhalten kann. Erschienen ist diese Produktion beim Label La Dolce Volta. Ein solch rundum positives Fazit lässt sich bei der nun folgenden Gesamteinspielung der 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven nicht ziehen. Daniel Barenboim hat diesen Zyklus nun bereits zum vierten Mal auf CD veröffentlicht. Damit übertrifft er selbst eingefleischte Beethovenianer wie Alfred Brendel, der diesen Kosmos immerhin dreimal auf Platte bzw. CD dokumentiert hat. Ursache für diese Neueinspielung war, laut Barenboim, die aktuelle Weltlage: „Die Möglichkeit, Beethovens Sonaten […] aufzunehmen, erschien mir wie die ideale Antwort auf die Pandemie. In den letzten 50 Jahren ist es nicht einmal vorgekommen, dass ich mich drei ganze Monate lang ausschließlich mit dem Klavierspiel beschäftigen konnte.“ Ende Mai dieses Jahres hat Barenboim damit begonnen, die 32 Sonaten neu aufzunehmen, und jetzt muss er sich eben messen lassen: sowohl an den zahlreichen alternativen Gesamteinspielungen, die es mittlerweile gibt – als auch an sich selbst. Beethoven: Klaviersonate Nr. 4 op. 7 2’25 „Allegro molto e con brio“ hat Beethoven über den ersten Satz seiner „Grand Sonata“ op. 7 geschrieben, er fordert also ein sehr schnelles Tempo und einen feurigen Vortrag. Barenboim fängt diesen Charakter in den ersten Takten am ehesten durch die Ton-Wiederholungen der bohrenden Bassstimme ein – aber eben auch nur da. Denn im weiteren Verlauf verflacht das innere Feuer; selbst bei den lodernden, energischen Apellen, die Beethoven hier formuliert, baut Barenboim seltsame Verzögerungen ein – was dem Vorwärtsdrängen, dem Gestus dieser Musik entgegensteht. Wenn man sich durch den kompletten Zyklus dieser 32 Sonaten hört, stößt man bei Barenboim immer wieder auf ausgesprochen klangschöne Passagen, auf tiefes Empfinden, das den Vollblutmusiker Daniel Barenboim