Polen-Analysen Nr
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NR. 158 17.02.2015 p o l e n - a n a l y se n www.laender-analysen.de/polen Die polnische Bauernpartei ■■AnAlyse Die Bauernpartei als neue Volkspartei? 2 Stefan Garsztecki, Chemnitz ■■DokumentAtion Außerordentlicher IX. Parteikongress der Polnischen Bauernpartei Ideologische Erklärung der Polnischen Bauernpartei 7 Dokumente des X. Parteikongresses der Polnischen Bauernpartei 8 ■■GrAfiken zum text Abstimmungsverhalten bei den Wahlen zu den Woiwodschaftsparlamenten 2014 in Umfragen 12 Selbsteinschätzung der Landbevölkerung 13 Meinungen über die Landbevölkerung 17 Bewertungen der Veränderungen in Polen seit dem Ende der 1980er Jahre bis heute 18 ■■Chronik 3. – 16. Februar 2015 20 Forschungsstelle Deutsche Gesellschaft Osteuropa für Osteuropakunde e.V. POLEN-ANALYSEN NR. 158, 17.02.2015 2 Analyse Die Bauernpartei als neue Volkspartei? Stefan Garsztecki, Chemnitz zusammenfassung Lange Zeit wurde die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) von den Beobachtern der politischen Landschaft in Polen kaum wahrgenommen, da sie nur ein Mal bei Parlamentswahlen ein zwei- stelliges Ergebnis erzielen konnte und ihr konservatives ländliches Profil wenig attraktiv erschien. Dabei ist die Bauernbewegung, aus der sich die PSL rekrutiert, seit Ende des 19. Jahrhunderts die dritte traditionelle Kraft in Polen und hat die PSL weite Abschnitte der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert mit geprägt. In der Dritten Polnischen Republik seit 1989 gehört die PSL zum politischen Establishment und ist län- ger in Regierungsverantwortung gewesen als jede andere Partei des Landes. Dabei kann sich die PSL auf eine nach wie vor große Mitgliederzahl, eine tiefe Verankerung im ländlichen Polen und einen festen Wer- tekanon bei der ländlichen Bevölkerung verlassen. Ihr Erfolg bei den letzten Wahlen zu den Selbstverwal- tungseinheiten auf lokaler und regionaler Ebene im November 2014 mit fast 24 Prozent offenbart nun ihre Ambitionen, auch auf nationaler Ebene eine größere Rolle zu spielen. Mit einem jungen Präsidentschafts- kandidaten möchte die PSL die Stärke aus der Region nach Warschau tragen und möglicherweise mehr als die dritte Kraft im Lande werden. u den zentralen politischen Strömungen in Polen über den passenden Weg in die Unabhängigkeit führ- Zgehört neben den Sozialisten, den Konservativen, ten im Vorfeld des Ersten Weltkrieges im Jahr 1913 zu christlichen Strömungen, der Nationaldemokratie und einer Spaltung der Partei, die unter der Bezeichnung nach 1989 den post-Solidarność-Parteien wie der Bürger- PSL Piast – letzteres der Name einer Zeitschrift, die sich plattform (Platforma Obywatelska – PO) oder der Partei im Titel auf das erste polnische Herrschergeschlecht der Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) Piasten bezieht – bis 1931 existieren sollte. Dominante auch der sogenannte Ruch Ludowy, d. h. die Bauernbewe- politische Figur der PSL Piast, langjähriger Vorsitzen- gung, die heute mit der Polnischen Bauernpartei (Polskie der und dreimaliger Ministerpräsident in der Zwischen- Stronnictwo Ludowe – PSL) in der Regierung vertreten kriegszeit war Wincenty Witos (1874–1945), der sich bis ist. Zwar gibt es noch andere Parteien und Strömungen heute größter Anerkennung in der Polnischen Bauernpar- im polnischen Parteiensystem, aber nur wenige haben tei erfreut. Dominante Ideologie der Zwischenkriegszeit die politische Landschaft Polens so lange und intensiv war der Agrarismus, der im 19. Jahrhundert in Deutsch- geprägt wie die Bauernbewegung. land entstanden war und verschiedene Ideen umfasste. Ihren Anfang nahm die Bauernbewegung wie auch Zentral waren u. a. eine dominante Rolle für eine selb- die Nationaldemokratie oder die sozialistische Bewe- ständige Landwirtschaft als Grundlage der Nation, die gung gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den unter- Idee der Selbstverwaltung, das Dorf als Keimzelle des schiedlichen Teilungsgebieten. Die sich beschleuni- gesellschaftlichen Lebens mit ursprünglichen Formen genden Modernisierungsprozesse, die Abwehr von der Vergesellschaftung und eine begrenzte Rolle für den Germanisierungs- und Russifizierungsanstrengungen Staat. Verknüpft damit waren patriarchalische Vorstel- der preußischen bzw. russischen Teilungsmacht und die lungen über die Familie. Zunahme des Bildungsniveaus führten zu einer Stär- Die Bauernbewegung stellte in der Zwischenkriegs- kung des nationalen Bewusstseins auch in den ländli- zeit in der Zweiten Polnischen Republik in den ersten chen Bevölkerungskreisen. Parlamenten die stärkste politische Kraft dar, trotz der In diesem Kontext entstand im österreichischen Tei- Aufteilung auf verschiedene Bauernparteien. Im Jahr lungsgebiet im Jahr 1895 eine selbständige Bauernpar- 1929 gründeten die PSL Piast mit den Bauernparteien tei (Stronnictwo Ludowe), die ab Februar 1903 unter der PSL Wyzwolenie (Befreiung) und der Bauernpartei (Stron- Bezeichnung Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo nictwo Chłopskie) gemeinsam mit zwei christlichen Par- Ludowe – PSL) figurierte. Ähnliche Parteien entstanden teien die Vereinigung Centrolew (etwa: Mitte-Links), in der Folge auch im preußischen bzw. russischen Tei- die sich gegen den autoritären Kurs von Marschall Józef lungsgebiet. Ziele der neuen Partei waren eine bessere Piłsudski wandte, der 1926 per Staatsstreich die Macht soziale, ökonomische und politische Lage der Landbe- im Land ergriffen hatte. Für den Vorsitzenden vonPSL völkerung und die Wiedererlangung der Unabhängig- Piast Wincenty Witos hatte dies einen Prozess, eine Ver- keit Polens. Die Frage eines möglichen Kompromisses urteilung zu anderthalb Jahren Haft und die Emigra- mit den österreichischen Behörden und Diskussionen tion bis kurz vor Kriegsbeginn zur Folge. Seine Partei, POLEN-ANALYSEN NR. 158, 17.02.2015 3 die PSL Piast, vereinigte sich mit der PSL Wyzwolenie Besatzung und gegen die Sowjetisierung des Landes und der Bauernpartei Stronnictwo Chłopskie im Jahr sind wichtige Traditionslinien der Partei. Hinsichtlich 1931 zur Bauernpartei Stronnictwo Ludowe (SL). Unter der Geschichte der ZSL betont die Partei heute, dass die diesem Namen wurde die Partei nach dem Zweiten ZSL die einzige, legal mögliche Vertretung der Bauern Weltkrieg – in dem die Partei im Untergrund mit einer und der Landbevölkerung gewesen sei, die sich bemüht eigenen militärischen Formation, den sogenannten Bau- habe, deren Interessen zu artikulieren. Sowohl die in den ernbatallionen (Bataliony Chłopskie), agierte –auch wie- fünfziger Jahren von Seiten der Machthaber versuchte dergegründet. Da die Partei aber bereits beträchtlich von Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, die nach Kommunisten unterwandert war, riefen der ins Land dem Oktober 1956 gestoppt wurde, als auch der staat- zurückgekehrte Ministerpräsident der Exilregierung Sta- liche Zentralismus, der der von der Bauernbewegung nisław Mikołajczyk und Wincenty Witos im August traditionell vertretenen Selbstverwaltung widersprach, 1945 erneut die Polnische Bauernpartei (Polskie Stron- stellten die ZSL in eine natürliche Opposition zum Sys- nictwo Ludowe – PSL) ins Leben. Nach den gefälsch- tem, die sich aber erst im Jahr 1989 in eine unabhän- ten Wahlen zum verfassungsgebenden Sejm im Januar gige Bauernpartei umsetzen ließ. Am Runden Tisch war 1947 und der Flucht von Mikołajczyk in den Westen die ZSL noch auf Seiten der Regierungskoalition ver- im Oktober 1947 wurde der Druck auf die PSL und treten. Der legalen Existenz zu Zeiten der Volksrepu- ihre Mitglieder seitens der kommunistischen Machtha- blik Polen verdankt die heutige PSL aber eine sehr gute ber aber immer größer und Ende 1948 kam es schließ- Infrastruktur und eine hohe Mitgliederzahl. Organisa- lich zur Zwangsvereinigung der PSL mit der SL unter torisch ist sie nach eigenen Angaben in allen Woiwod- dem neuen Namen Vereinigte Bauernpartei (Zjednoczone schaften und in über 90 Prozent der Gemeinden vertre- Stronnictwo Ludowe – ZSL), die als eine der Blockpar- ten und hat ca. 140.000 Mitglieder, womit sie nach wie teien bis 1989 eine der Stützen des Systems war. Den- vor die mitgliederstärkste polnische Partei ist. Zudem noch beruft sich die PSL in ihrem Selbstverständnis hat sie auch das Parteivermögen der ZSL in die neuen auf den Widerstand gegen autoritäre Regierungsfor- Strukturen überführt. Dank dieser guten Infrastruktur men, sowohl in der Zweiten Polnischen Republik unter hat sich die ZSL bzw. deren Nachfolger die PSL Odro- Piłsudski ab 1926 als auch nach 1945 gegen die kom- dzenie auch in der wiederbegründeten PSL durchgesetzt. munistische Herrschaft. Der erste Vorsitzende der PSL nach der Vereinigung der Bauernparteien im Mai 1990, Roman Bartoszcze, der Die Bauernpartei und der systemwechsel mit der Gewerkschaft der Individualbauern verbunden Der Durchbruch zur Demokratie und die Vereinba- war, übte den Vorsitz nur bis 1991 aus und trat danach rungen am Runden Tisch vom April 1989 erlaubten aus der Partei aus. auch die Wiedererstehung einer unabhängigen Bau- Trotz ihrer Beteiligung am Runden Tisch des Jah- ernpartei. Zunächst unterstützte die ZSL die Beru- res 1989 steht die Partei den ökonomischen Ergebnis- fung einer von der Gewerkschaft Solidarność getra- sen der Transformation durchaus kritisch gegenüber. In genen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki, der die einer programmatischen Erklärung, die auf dem Außer- ZSL mit drei Ministern angehörte. Seitens der Par- ordentlichen Parteikongress vom April 2007 angenom- tei wurde der Systemwechsel dann auf einem Sonder- men wurde, unterstreichen die Parteivertreter, dass die parteitag im November 1989 abgerundet.