17392 Deutscher – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) Es gibt viele seriöse unabhängige Organisationen ge- Jetzt versuchen Sie wieder, die Demokraten zu spalten, (C) gen den Rechtsextremismus. Diese unabhängigen Orga- und das in dieser Situation. Ich finde das unverantwort- nisationen, wie zum Beispiel die Kirchen, müssen wir lich! stärken. Aber der Kampf der Extremisten der einen Seite hat schon immer den Extremisten der anderen Seite als In der Öffentlichkeit sind unterschiedliche Zahlen ge- Vorwand und Rechtfertigung gedient. nannt worden: Die Amadeu-Antonio-Stiftung spricht von 182 Toten, die Zeit und der Tagesspiegel sprechen ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von 148 Toten. Das alles sind gut recherchierte Zahlen. NEN]: Sie merken es gar nicht! – Zuruf von Sie können nicht einfach unterstellen, dass das von ir- der SPD: Schämen Sie sich gar nicht?) gendwelchen antifaschistischen Extremisten kommt. Das ist wirklich – wie gesagt, mir fehlen die Worte – Demokraten sollten – und das zeigt Weimar – auf keiner der beiden Seiten zum Trittbrettfahrer werden. ( [SPD]: Dummes Zeug! – (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der Sönke Rix [SPD]: Unerhört!) LINKEN: So ein Dummgeschwätz!) einfach unerhört. Wir brauchen keine linksextreme Unterstützung im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kampf gegen Rechtsextreme. bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der FDP – Michael Groschek Die Bundesregierung kommt auf 48 Opfer und hat [SPD]: Das ist eine Beleidigung, die Rede! – jetzt die 10 dazugezählt; es sind jetzt also 58. Bei Ihrem Michael Leutert [DIE LINKE]: Das ist un- Redebeitrag hat man gemerkt, dass man sensibilisiert glaublich! Das ist unerhört!) sein muss. Es hat keinen Sinn, rechten gegen linken oder musli- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: misch motivierten Extremismus auszuspielen. Eindeutig!) (Zuruf von der SPD: Das machen Sie aber ge- Wenn die Sensibilität fehlt, werden die Zahlen nicht an- rade! – Michael Groschek [SPD]: Dafür sind erkannt. Deshalb ist es wichtig, dass alle Stellen, die da- Sie der Leithammel! – Stefan Rebmann mit zu tun haben – das gilt auch für Sie –, geschult wer- [SPD]: Das ist eine Schande!) den, Ich würde es begrüßen, wenn Demokraten jeglicher (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Couleur gemeinsam gegen Extremismus jeglicher Cou- DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beifall bei leur zusammenstünden und die gleichen Maßstäbe auf (B) der LINKEN) (D) alle Gegner unserer Verfassung anwenden würden. damit sie erfahren, wie es in Bezug auf dieses Gedan- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – kengut vom Denken zum Handeln kommt. Wie gesagt, Dr. [DIE LINKE]: Deshalb gehen ich bin wirklich erschüttert. die Liberalen unter!) Insbesondere im Hinblick auf die Zwickauer Zelle Vizepräsident Dr. h. c. : – da sind wir uns wahrscheinlich einig – muss es Aufklä- rung geben. Dabei nützen aber solche Ausführungen, Das Wort hat nun Monika Lazar für die Fraktion wie Sie sie hier kundgetan haben, überhaupt nichts. Bündnis 90/Die Grünen. Nicht nur die Rechtsextremisten, sondern insbesondere die Rechtspopulisten verschärfen das Problem. Ihre Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rede ging ganz klar in diese Richtung. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Mir hat es nach Ihrem Redebeitrag die Spra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, che verschlagen. bei der SPD und der LINKEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ach was! Das kann ja (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wohl nicht wahr sein! Das ist Blödsinn! – Ge- bei der SPD und der LINKEN) genruf von der SPD: Unwürdig!) Das ist bodenlos! In der aktuellen Situation und nach der – Doch, das ist so. Ich empfinde es so. Sie lenken von guten Debatte vor einer Woche hier im Bundestag dis- dem Problem ab, und Sie verhöhnen die Opfer. kreditiert das nicht nur Sie und Ihre Fraktion, sondern alle, die genauso denken. Zum Abschluss möchte ich noch einige Beispiele aus meinem Heimatland Sachsen nennen: Am 1. Mai 2008 (Zuruf von der FDP: Ach!) wurde eine Gruppe alternativer Jugendlicher in Stolpen Es ist unmöglich! Wie können Sie sich hier hinstellen in der Sächsischen Schweiz angegriffen. Mehrere Neo- und so etwas sagen? Ich bin ebenso wie alle hier für ein nazis verletzten sie schwer mit Knüppeln und Faust- breites Bündnis aller Demokraten. Vor einer Woche ha- schlägen. Bis heute – dreieinhalb Jahre nach dem ben wir es geschafft: in Form eines gemeinsamen An- Angriff – ist keiner von ihnen vor Gericht gekommen, trags mit allen Fraktionen. obwohl allesamt bekannte Neonazis sind. Einer der An- greifer, Mirko H., war bis mindestens 2002 V-Mann des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Verfassungsschutzes. Er ist ein maßgeblicher Führungs- bei der SPD und der LINKEN) kader des Netzwerkes „Hammerskins“, hat eine Firma Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17393

Monika Lazar (A)namens „Hate Records“ und vertreibt Hass-CDs. Vermu- zugrunde liegen, seinerzeit von Rot-Grün so festgelegt (C) tet wird, dass er auch mit dem Terrortrio aus Zwickau in worden sind. Verbindung stand. Es ist beschämend, dass die Täter im- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE mer noch frei herumlaufen, während sich die Opfer auch GRÜNEN]: Mit den Ländern zusammen! Da heute noch unwohl und unsicher fühlen. waren Schwarz und Gelb auch dabei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vereinfacht gesagt, ergibt sich die große Differenz da- bei der SPD und der LINKEN) durch, ob die Beurteilung, wie in dem einen Fall, aus- In Leipzig gab es vor einem Jahr einen rassistischen schließlich anhand des Kriteriums erfolgt, ob der Täter Mord an einem jungen Iraker namens Kamal K. Es dau- dem rechten Milieu zuzuordnen ist, oder ob, wie in dem erte eine ganze Weile, bis auch die Justiz anerkannte, anderen Fall, sich aufgrund des Ermittlungsverfahrens dass er Opfer rassistischer Gewalt wurde. In der Urteils- und der Feststellungen der Gerichte hat manifestieren begründung wurde angeführt: „Er hat das Opfer nicht als lassen, dass die Gesinnung des Täters bei der Tat aus- Mensch gesehen, sondern als Ausländer, den man töten schlaggebend war. kann.“ Ich möchte aber gar nicht mit Ihnen darüber streiten, Lebenslange Haft bekam auch der Mörder von ob die eine oder die andere Zahl die richtige ist. Ich bin Marwa al-Schirbini aus Dresden. Dieser tragische Vor- mit Ole Schröder der Auffassung: Jedes einzelne Opfer fall ist Ihnen allen sicherlich noch in Erinnerung. Marwa ist ein Opfer zu viel. al-Schirbini hatte den Täter, der sie beschimpft hatte, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie wegen Beleidigung verklagt. Sie wurde im Gericht er- bei Abgeordneten der SPD) stochen, und ihr Ehemann wurde lebensgefährlich ver- letzt. Ich denke, dass wir darin übereinstimmen. Die unsägli- che Mordserie der Neonazi-Bande aus Thüringen ist für Es ist traurig, dass die Debatte immer nur dann wie- uns alle erschütternd. Es trifft uns in besonderer Weise, deraufgenommen wird, wenn etwas so Furchtbares ge- dass solch verabscheuungswürdige Taten gerade in unse- schieht. Ich finde es wichtig, dass wir unsere Arbeit in rem Land passieren. Dabei wurde in den letzten Wochen, der Demokratie auf möglichst breiter Basis voranbrin- natürlich immer vorschnell, von interessierter Seite zu- gen. Wir sollten eine nachhaltige bundesweite Gesamt- mindest unterschwellig die Behauptung aufgestellt, un- konzeption entwickeln. Dazu gehört auch, dass die sere Behörden seien auf dem rechten Auge blind. Das Reform der Ermittlungsbehörden unter die Lupe genom- muss ich allerdings mit Entschiedenheit zurückweisen. men wird. Nicht förderlich ist es, die zivilgesellschaftli- In den letzten Jahrzehnten haben gerade wir in der Bun- chen Initiativen, die wir mehr denn je brauchen, weiter- desrepublik alles getan, um unsere Vergangenheit aufzu- (B) hin mit der Extremismusklausel, die von Ministerin arbeiten, aber insbesondere auch, um den Rechtsextre- (D) Schröder und anderen Unbelehrbaren immer noch auf- mismus in seine Schranken zu weisen. Es ist nicht rechterhalten wird, zu knebeln. bestreitbar, dass dies nicht vollumfänglich gelungen ist. Weiterhin ist es wichtig, dass wir jeder Form von Dis- In der letzten Sitzungswoche – das ist hier eben zu kriminierung und Menschenfeindlichkeit besonders in Recht erwähnt worden – haben wir uns in einer gemein- der Mitte der Gesellschaft entgegentreten. Wir brauchen samen Erklärung aller fünf Fraktionen ausdrücklich ge- mehr Aufklärung, Prävention und Kooperation. Das sind gen den Extremismus ausgesprochen. Meine sehr ver- wir dem Schutz unserer Demokratie und dem Schutz der ehrten Damen und Herren von links bis rechts, ich Menschenwürde schuldig. meine, wir sollten dieses Einvernehmen gerade in dieser Frage nicht aufgeben. Danke. (Zuruf von der LINKEN: Wer hat das denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, aufgekündigt?) bei der SPD und der LINKEN) Wichtig ist im Augenblick, dass die Mordtaten um- fassend aufgeklärt werden und eine umfassende Fehler- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: analyse vorgenommen wird. Ich danke hier ganz aus- Das Wort hat nun für die CDU/CSU- drücklich dem Innenminister, der hier besonnen, aber Fraktion. auch mit großer Bestimmtheit nicht nur Konsequenzen aus diesen Taten gefordert hat, sondern auch unverzüg- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich Arbeitskommissionen eingesetzt hat. Inzwischen liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer Helmut Brandt (CDU/CSU): Verbunddatei zum Erfassen der Rechtsextremisten in Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Deutschland bereits vor. Damen und Herren! Mehrfach ist schon dargestellt wor- Die Erkenntnisse, die sich hier ergeben, müssen über den, weshalb wir uns heute hier unterhalten. Es geht tat- die Fehleranalyse hinaus zu konkreten Schritten führen. sächlich um eine große Diskrepanz – das ist unbestreit- Dabei müssen auch die Länder positiv mitwirken, wenn bar –, was die Zahlen angeht. Nach meiner Auffassung sich herausstellen sollte, dass die bisherigen Strukturen ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Große zu Fehleinschätzungen geführt haben. Anfrage schon hinreichend deutlich geworden, woran dies liegt. Der Staatssekretär hat eben schon darauf hin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gewiesen, dass die Kriterien, die den offiziellen Zahlen neten der FDP)