Magazin Ausgabe Engineering 1/2020

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AUTOMOBILENTWICKLUNG DER ZUKUNFT Inside China Zu kleiner Ausfahrt aufgebrochen. Mit monumentaler Story heimgekommen.

Der neue  Turbo S. Im ƒ Turbo S hat jede Ausfahrt das Potenzial zum unvergesslichen Epos. Dafür sorgen eine Leistung von ­“ kW ( PS), Porsche Active Aerodynamics (PAA), das PASM Sportfahrwerk und eine Vielzahl intelligenter Assistenzsysteme. Mehr unter www.porsche.de/ƒ Turbo

Kraftstoffverbrauch (in l/ km) innerorts , · außerorts , · kombiniert , ; CO₂-Emissionen kombiniert ­ g/km Porsche Engineering Magazin 1/2020 EDITORIAL 3

Liebe Leserinnen und Leser,

ein chinesisches Sprichwort sagt: „Die eine Generation baut die Straße, auf der die nächste fährt.“ Wir – als Unternehmen, als Gesellschaft, als Individuen – stellen im Hier und Jetzt wesentliche Weichen für kommende Generationen. Dies betrifft konkrete Ent- wicklungen, an denen wir arbeiten, genauso wie die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten.

Seit Jahrzehnten pflegen wir eine partnerschaftliche Zusammen­ arbeit mit chinesischen Unternehmen. Und lernen täglich vonei- nander. Die Mobilität ist im Umbruch – in kaum einem anderen Land ist das stärker sichtbar als in China. Neue Antriebsstrategien, hochautomatisierte Fahrfunktionen und eine Vielzahl von Konnek- tivitätsdiensten prägen den chinesischen Markt. Gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern entwickeln wir diese Technologien weiter. Dabei hilft uns neben unserem Verständnis des Marktes und unseren Kompetenzen in klassischen wie digitalen Disziplinen insbesondere eine Sache: die tiefe Überzeugung, dann erfolgreich zu sein, wenn unsere Kunden erfolgreich sind.

Wir sind stolz darauf, seit mehr als 25 Jahren die Entwicklung der automobilen Zukunft in China zu begleiten und diese gemeinsam mit chinesischen Automobilherstellern, Zulieferern, IT­Unternehmen sowie lokalen Gesellschaften internationaler OEMs zu gestalten. Dabei ist uns eine positive Kultur der Zusammenarbeit genauso Dr. Peter Schäfer, wichtig wie neueste Erkenntnisse aus Wirtschaft und Wissenschaft, Geschäftsführer von Porsche Engineering von Tech­Playern und Universitäten. So arbeiten wir gemeinsam daran, die Straßen zu bauen, auf denen die nächste Generation fahren wird.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen dieser China­Ausgabe unseres Magazins.

Ihr Peter Schäfer

ÜBER PORSCHE ENGINEERING: Zukunftsweisende Lösungen sind der Anspruch, den bereits im Jahr 1931 mit der Gründung seines Konstruktionsbüros verfolgt hat. Er legte damit den Grundstein für die heutige Porsche­Kundenentwicklung. Dem fühlen wir uns mit jedem Projekt, welches wir für unsere Kunden durchführen, verpflichtet. Porsche Engineering kombiniert dabei Expertise aus den Bereichen Fahrzeug­ und Systementwicklung mit neuesten Innovationen aus der Funktions­ und Software­Entwicklung und validiert diese durch umfassende Simulations­ und Testingmöglichkeiten. 34 Zellkultur: Forscher entwickeln neue Batterien

52 E-Pionier: Mate Rimac baut Supersportwagen und Batteriesysteme

DOSSIER

1 0 – 3 3

12 Partnerschaft: In Shanghai arbeitet Porsche Engineering für chinesische OEMs und westliche Kunden

58 Transfer mit Tradition: Erkenntnisse aus dem Motorsport fließen in die Serie ein 42 Auf den Punkt: Perfekt temperiert an der Ladesäule Magazin Ausgabe Porsche Engineering 1/2020

03 Editorial 04 Inhalt 06 Meldungen

DOSSIER: Markt mit großem Einfluss INSIDE CHINA 10 Dossierüberblick Gefragte Expertise 12 In Shanghai bietet Porsche Engineering chinesischen und westlichen OEMs umfassende Expertise

Flexible Plattform 18 Konzept und Package für verschiedene Karosserie- und Antriebsvarianten Am Himmel befestigt 24 Neue Fahrwerkplattform mit Skyhook-Funktion für China „Wir stärken die Kernkompetenzen der Automobilhersteller“ 28 Interview mit Tencent Vice President Cham Zhong über die Zukunft des Autos Eng vernetzt 32 Chinesische Digitalkonzerne treiben die Vernetzung mit der Automobilindustrie voran TRENDS UND Die perfekte Zelle TECHNOLOGIEN 34 Forscher auf der Suche nach besseren Batterien für E-Fahrzeuge Die Datenreligion ZUKUNFT 40 Bestsellerautor Yuval Noah Harari über Algorithmen und den neuen „Dataismus“ PERFORMANCE Algorithmus mit Weitblick UND EXPERTISE 42 Mit prädiktivem Thermomanagement zur optimal temperierten Batterie Permanenter Gesundheitscheck 48 Künstliche Intelligenz überwacht den Zustand von Fahrzeugbatterien Unter Strom AUSKUNFT 52 Mate Rimac über sein Unternehmen und die Mobilität der Zukunft PORSCHE UND Von der Boxengasse ins Autohaus PRODUKT 58 Bei Porsche arbeiten Teams aus Rennsport und Serie eng zusammen Die Kraft der Evolution 64 Der neue 911 Turbo S und das neue 911 Turbo S Cabriolet im Porträt Quer gedacht QUER GEDACHT 68 Empfehlungen für Denker, Tüftler und Nerds Familienauto für China HERKUNFT 70 Porsche Engineering entwickelte 1994 den „C88“ 71 Impressum

Autoren 24 Andreas Burkert ist „ATZ“- 32 Valerio Pellegrini ist Kommunika- 58 Constantin Gillies ist Volkswirt Korrespondent und Buchautor. tionsdesigner in Mailand. Er und Wirtschaftsjournalist. Seine Er schreibt über Automobil- beschäft igt sich unter anderem mit Themen: Unternehmen, Techno- technik, Elektromobilität und KI. Datenvisualisierung und Illustration. logie, Digitalisierung und Logistik. 6 Meldungen

Virtual und Augmented Reality Schnelle Entscheidungen mit dem Visual Engineering Tool

Porsche Engineering setzt bei der Entwicklung verstärkt auf Virtual und Augmented Reality (VR und AR). Mit der Eigenentwicklung, dem Visual Engineering Tool (VET), können die Ingenieure in vielen Fällen aufwendige Realmodelle, Umbauten und somit den Zeit- und Kostenaufwand verringern. Zum Einsatz kam VET unter anderem bei der Entwicklung des neuen Coupés, zu dessen Highlights das große Glasdach gehört. Statt verschiedene Varianten real aufzubauen, erstellten die Entwickler aus CAD-Daten ein virtuelles Modell. Es ließ sich tagesaktuell mit zahlreichen realistischen Glasvarianten versehen und in unterschiedlichsten Lichtverhältnissen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Dadurch konnten notwendige Entscheidungen schneller getroffen werden. Das VET-System wird von Porsche Engineering kontinuierlich weiterentwickelt. Mit ihm lassen sich nicht nur optische Aspekte oder Bauteilvarianten beurteilen, sondern auch technische Inhalte darstellen. Bisher wurde VET für Ergonomie- und Montageuntersuchungen, Porsche Cayenne Coupé die Darstellung von Messdaten und als Kraftstoffverbrauch innerorts: 11,7 - 11,6 l/100 km virtueller Windkanal eingesetzt. Neben VR Kraftstoffverbrauch außerorts: 8,0 - 7,9 l/100 km wird derzeit auch Augmented Reality in das Kraftstoffverbrauch kombiniert: 9,4 - 9,3 l/100 km CO₂-Emissionen kombiniert: 215 - 212 g/km VET-System integriert, zum Beispiel für die Energieeffizienzklasse: D standortübergreifende Zusammenarbeit.

#Inside Porsche Engineering bei Instagram Porsche Engineering hat seinen Social-Media-Auftritt erweitert und ist unter @porsche.engineering jetzt auch Porsche auf Instagram vertreten. Neben Informationen zu aktuellen Ereignissen oder Events können die Besucher in die Welt des Unternehmens eintauchen und erleben, welchen Trends und Engineering Technologien sich seine Ingenieure widmen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 7

Weiterer Ausbau der Funktions- und Softwareentwicklung Mehr Mitarbeiter und Büroflächen in Cluj

Porsche Engineering setzt sein Wachstum im rumänischen Cluj fort. Der auf die Bereiche Funktions- und Softwareentwicklung spezialisierte Standort hatte Ende 2019 wie geplant rund 200 Mitarbeiter und wird im Laufe dieses Jahres weitere Arbeitsplätze schaffen. Auch räumlich expandiert Porsche Engineering Romania und bereitet sich so auf „Wir haben viel in weiteres Wachstum vor. Die steigenden Zahlen bei Personal und Fläche spiegeln die vielen bearbeiteten Projekte wider, vor allem in den Aktivitäten wie Bereichen Künstliche Intelligenz und autonomes Fahren. „Wir haben viel in Aktivitäten wie modellbasierte und Web-Entwicklung investiert. modellbasierte und Web- Da sich der Automobilmarkt in diese Richtung entwickelt, werden wir Entwicklung investiert.“ unsere Kompetenzen in beiden Bereichen weiter ausbauen“, sagt Marius Mihailovici, Geschäftsführer von Porsche Engineering Romania. In Cluj Marius Mihailovici, arbeiten Experten in nationalen und internationalen Teams gemeinsam an Geschäftsführer von Porsche Engineering Romania neuesten Technologien zur Entwicklung sowie Erprobung und Absiche- rung der Autos der Zukunft. 8 MELDUNGEN

Porsche Turbo Charging Porsche Leipzig eröffnet Schnellladepark und lädt zum kostenfreien Stromtanken ein 12

öffentliche Schnellladesäulen Porsche hat in Leipzig unter dem Namen „Porsche Turbo Charging“ einen neuen öffentlichen Ladepark ans Netz gebracht. Im Kundenzent- rum von Porsche Leipzig in der Messestadt sind ab sofort zwölf Schnell- ladesäulen mit 350 kW (Gleichstrom) und vier Ladepunkte mit 22 kW (Wechselstrom) in Betrieb – an sieben Tagen der Woche, rund um die Uhr und für Kunden aller Fahrzeugmarken. Die Gesamtleistung des 350 kW Ladeparks, inklusive sechs interner Schnellladepunkte und weiterer 22 Gleichstrom (12 Stück) interner Ladepunkte, beträgt rund 7 MW. Der Strom stammt vollständig aus regenerativen Energiequellen. Im Rahmen eines Lade-Flash-Mobs lud Porsche Leipzig am 29. Februar die Öffentlichkeit zum kostenfreien Stromtanken in den Ladepark ein. Das Event war nach kurzer Zeit ausgebucht: Mehr als 400 Besucher mit 170 E-Fahrzeugen nahezu aller Fahrzeugmarken nahmen an dem elektrisierenden Ereignis teil. Für 22 kW technische Fragen und Unterstützung beim Laden standen Experten Wechselstrom (4 Stück) von Porsche Engineering zur Verfügung. Die Schnellladesäulen mit dem Namen „Porsche Turbo Charger“ wurden von Porsche Engineering entwickelt und setzen in Sachen Ladedauer neue Maßstäbe: Je nach Fahrzeugmodell kann in nur fünf Minuten Energie für bis zu 100 Kilo- meter Reichweite geladen werden. Die Schnellladefunktion können alle 7 MW Fahrzeuge mit einem Combined-Charging-System-Anschluss (CCS2) Leistung, inkl. interner Ladepunkte nutzen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 9

Zukunftsweisende Dauerlauftests Fahrroboter ergänzen Testfahrer am Steuer

Das Ingenieurteam des Nardò Technical Center (NTC) beschäftigt sich außer mit neuen Möglichkeiten für die Erprobung autonomer Fahrfunktionen auch mit der Zukunft von Automotive-Dauerlauftests. Im Februar war ein Serienfahrzeug Hunderte von Kilometern auf dem Rundkurs und den benachbarten Teststrecken unterwegs. Am Steuer saß dabei kein menschlicher Fahrer, stattdessen hatte ein Roboter das Kommando über Lenkrad und Pedale. Auf der Rundstrecke wurde auf bis zu 130 km/h beschleunigt und dabei in einer einzigen Nachtschicht 600 Kilometer zurückgelegt. Während der Tests war der Sportwagen über eine direkte Funkverbindung mit einem weiteren Fahrzeug verbunden. So konnten die Ingenieure alle Parameter in Echtzeit beobachten und hätten im Notfall auch per Fernsteuerung eingreifen können. Professionelle Testfahrer werden auch in Zukunft für die Fahrzeugvalidierung unverzichtbar bleiben, allerdings lassen sich durch die Fahrautomatisierung per Roboter ähnliche Tests besser reproduzierbar durchführen. Die Fehlermarge ist dabei so klein, dass man selbst kleinste Abweichungen von den Sollwerten erkennen kann. „Diese fahrerlosen Tests sind zukunftsweisend“, sagt Davide Palermo, Manager des ADAS Center of Competence am NTC. „Wir haben dabei einen großen Sprung nach vorne gemacht – in Bezug auf die Komplexität der Testautomatisierung, die Fahrzeug- einrichtung, die Parameterabstimmung und die intensive Aktivität auf der Strecke.“

Turbo for Talents Sommercamp für Jugendliche in Nardò

Das Nardò Technical Center setzt sein Engagement für die lokale Gemeinschaft im Rahmen der Partnerschaft mit dem Fußballklub A.C. Nardò fort. Schwerpunkte des Programms sind in diesem Jahr unter anderem die Prävention von Mob- bing und Initiativen zur Verbreitung wichtiger pädagogi- scher Werte wie Sportlichkeit, Fairness, Integrität, Respekt und Vertrauen. Das Engagement in Nardò ist Teil des Porsche-Unternehmensprogramms „Turbo for Talents“, das die soziale und persönliche Entwicklung junger Menschen durch eine hochwertige Sportausbildung fördern will. 10 INSIDE CHINA

Markt mit großem Einfluss Porsche Engineering Magazin 1/2020 MARKT MIT GROSSEM EINFLUSS 11

China boomt. Eine kaufkräftige Mittelschicht erwartet erstklassige Fahrzeuge, die sich nahtlos mit den allgegenwärtigen Smartphones verbin- den. Chinesische und westliche OEMs treiben neue genauso wie klassische Fahrzeug-Entwicklungsthemen mit Hochdruck voran. Berichte aus einem Land, das die Zukunft der Mobilität mitbestimmt.

Gefragte Expertise 12 Entwicklungen für chinesische und westliche OEMs in Shanghai

Flexible Plattform 18 Variantenentwicklung in China

Am Himmel befestigt 24 Neue Fahrwerkplattform in 18 Monaten

„Wir stärken die Kernkompetenzen der Automobilhersteller“ 28 Cham Zhong, Vice President von Tencent, im Interview

Eng vernetzt 32 Chinesische Digitalkonzerne und der Automobilmarkt 12 INSIDE CHINA

Autostadt: In Anting dreht sich fast alles ums Automobil. Porsche Engineering ist hier mit einem Standort vertreten, der auf die spezifischen Bedürfnisse der lokalen Kunden eingehen und auf einen der besten Talent-Pools Chinas zugreifen kann. Porsche Engineering Magazin 1/2020 GEFRAGTE EXPERTISE 13

Seit 2015 führt das Unternehmen hier gemeinsam mit seinen Kunden vor Ort Entwicklungsprojekte durch, vor allem in den Bereichen Chassis, Elektrik/Elektronik, High Power Charging und Softwareentwicklung. Solche Aktivitäten in China haben bei Porsche Engineering eine lange Tradition: Seit mehr als 25 Jahren sind die Entwickler hier aktiv, sodass die Bürogründung nur die logische Konsequenz war. „Kundenprojekte sind Teil der Historie von Porsche“, sagt Kurt Schwaiger, Leiter der Niederlassung in Shanghai. „Und das führen wir hier fort.“ Neben chinesischen OEMs sind auch Unter­ Gefragte nehmen der VW­Gruppe wichtige Auftraggeber. Schneller auf Kundenanforderungen reagieren

Expertise Kurt Schwaigers Ziel ist es, durch den Standort in Anting schneller auf Kundenanforderungen reagieren Text: Thomas Kern Mitwirkender: Kurt Schwaiger Fotos: Kai Hartmann zu können. Denn zum einen liegen zwischen China und Deutschland je nach Jahreszeit sechs beziehungs­ weise sieben Stunden Zeitunterschied, die die Prozesse In Anting bei Shanghai arbeiten rund 75 Mitarbeiter von verlangsamen. Zum anderen gab es früher Sprach­ barrieren, die mit der Niederlassung vor Ort nun über­ Porsche Engineering für chinesische Automobilhersteller wunden sind. Jetzt kann Kurt Schwaiger mit seinem und Kunden aus der VW-Gruppe. Der Standort verfügt Team einerseits chinesische Kunden bei der Fahrzeug­ über modernste Testeinrichtungen und beschäftigt sich entwicklung unterstützen, andererseits westlichen Kunden wertvolles Wissen über den chinesischen mit aktuellen technischen Trends der Automobilindustrie Markt vermitteln. wie dem autonomen Fahren und der E-Mobilität. Die Expertise von Porsche Engineering ist derzeit besonders gefragt, denn der chinesische Markt ist im Umbruch. Die Zeiten, in denen China die „Werkbank der Welt“ war, sind lange vorbei. Das Land ist auf dem Weg zu einer Hightech­Ökonomie mit einer breiten, gebildeten und zahlungskräftigen Mittelschicht. Die Kunden sind hier längst genauso anspruchsvoll wie auf den traditionellen Märkten. Und auch die Regierung hat ehrgeizige Pläne: Das intelligente und vollständig vernetzte Auto (ICV, Intelligent and Connected Vehicle) soll bis spätestens 2025 Realität auf Chinas Straßen werden. Alle Fahrzeuge sollen dann in Echtzeit mit einer Cloud kommunizieren und Informationen teilen, zum Beispiel über Verkehrsstaus. Zudem sollen bis spätestens 2030 15 Prozent aller Fahrzeuge in China hochautomatisch, zehn Prozent sogar vollautomatisch ahe der weltbekannten Formel­1­Renn­ fahren. Auf die Zukunft des Autos hat der chinesische N Seit mehr als strecke „Shanghai International Circuit“ liegt die Stadt Markt darum einen großen Einfluss. Anting, wo sich schon früh ein Zentrum der chinesi­ schen Automobilindustrie entwickelt hat. So wurde 25 Porsche Engineering beschäftigt sich in Shanghai dort 1984 die Shanghai Automotive Industry Corpo­ Jahren ist mit nahezu allen Bereichen der Fahrzeugentwicklung. ration (SAIC) gegründet und 1988 das Joint Venture Porsche Engineering „Die Chassis­Entwicklung stand am Anfang“, sagt SAIC­VW. Inzwischen haben hier auch Start­ups wie für chinesische Kurt Schwaiger. „Damit haben wir uns hier einen guten Kunden aktiv. Nio und Zulieferer wie Schaeffler, ZF und Brose ihren Namen gemacht.“ Mittlerweile sind ganze Chassis­ Sitz. Und auch sonst dreht sich in der Stadt fast alles Systeme hinzugekommen, die auf einer hochentwi­ um das Automobil. Seit 2007 gibt es in Anting ein ckelten Elektronik basieren: Allrad­Lenkung, Stabilisa­ Automuseum, und gleich daneben befindet sich auch 2015 toren, Vierrad­Antrieb und Luftfedern. „Elektronische das Porsche Experience Center. Kein Wunder also, eröffnete Porsche Chassis­Systeme sind besonders in den vergangenen dass Porsche Engineering in Anting die ideale Umge­ Engineering den Standort zwei Jahren für viele Kunden interessant geworden“, bung für seinen Standort in China gefunden hat. in Anting bei Shanghai. so Kurt Schwaiger. 14 INSIDE CHINA

Fahrwerksysteme für China: Mitarbeiter nehmen die korrekten Einstellungen vor und kontrollieren die Fahrwerkskomponenten.

High Power Charging: Test eines Batterie- und Batteriemanagementsystems für E-Fahrzeuge (links)

Überprüfung: Review des Entwurfs von Fahrgestell- komponenten (rechts) Porsche Engineering Magazin 1/2020 GEFRAGTE EXPERTISE 15

Hinzu kommt der Bereich der Elektrik/Elektronik (E/E), ligenten Chassis-Systeme, vor allem aber wegen der unter den alle intelligenten Steuergeräte in einem Fahr- neuen elektronischen Fahrerassistenzsysteme, die in zeug fallen. Die Ingenieure von Porsche Engineering in Zukunft zum autonomen Fahren führen werden. Gerade Shanghai entwickeln die Software zunächst nach den bei ihnen ist es wichtig, dass sie vor Ort in China ent- Anforderungen ihrer Kunden und prüfen sie anschlie- wickelt werden. „Das Verkehrsverhalten in China unter- ßend an HiL-Prüfständen (Hardware in the Loop). Die scheidet sich von Europa oder den USA. Die Menschen Prüfstände spielen den Steuergeräten vor, dass sie sich fahren hier anders“, erklärt der zuständige Ingenieur Ben bereits im Fahrzeug befinden, und erlauben auf diese Ben Wang Wang. „Zum Beispiel ist die relative Zahl der Verkehrs- Manager Software Weise Tests, lange bevor reale Prototypen zur Verfü- Development anfänger in China viel höher. Auch die Verkehrszeichen gung stehen. Wurden die Tests bisher in Deutschland sind zum Teil unterschiedlich, und beim automatischen durchgeführt, gibt es die dafür notwendigen Geräte Parken müssen wir berücksichtigen, dass Tiefgaragen seit 2017 auch in Anting. „Das spart enorm viel Zeit, in China anders gebaut sind.“ Ben Wang stammt weil wir die wichtigen Tests jetzt zeitnah vor Ort durch- ursprünglich aus der angrenzenden Provinz Jiangsu. führen können“, sagt Naikai Du, der zuständige Leiter Seit zwei Jahren ist er bei Porsche Engineering. Seine für die Entwicklung der HiL-Prüfstände in Anting. Arbeit empfindet er als herausfordernd und inspirierend: „Wir müssen uns ständig auf neue Anforderungen des Das High Power Charging von Elektrofahrzeugen ist ein Kunden einstellen. Die Bereiche Verkehr und Verkehrs- Naikai Du weiteres großes Thema in China, denn hier entsteht Senior Manager Electric & steuerung sind beispielsweise massiv in Bewegung.“ ein riesiger Markt für E-Autos. Um den Electronics in wenigen Minuten laden zu können, hat Porsche Nahtlose Verbindung von Auto und Handy Engineering eine spezielle Ladesäule entwickelt, die bis zu 350 kW Ladeleistung liefert. Allerdings haben die Testen und Validieren gehören auch zum Portfolio der großen Märkte unterschiedliche Normen. In China gilt Niederlassung Shanghai. Hier spielen Infotainment- der nationale GB/T-Standard (GuoBiao), und die Lade- Systeme und deren Interkonnektivität eine wichtige säule muss darum an die Anforderungen des chinesi- Rolle. „Darauf legen Autofahrer in China besonders viel schen Marktes angepasst werden. „Wir sind zusammen Wert“, sagt Kurt Schwaiger. Tatsächlich gibt es wohl mit einem lokalen Unternehmen dafür der Entwick- kaum ein Land, in dem das Smartphone so omniprä- Estha Li lungspartner. Alle Porsche-Händler in China werden mit Senior Manager sent ist wie hier. Nahezu alle Vorgänge des alltäglichen dieser Ladesäule ausgerüstet“, so Kurt Schwaiger. Connectivity Lebens werden mittlerweile mit dem Mobiltelefon ab- gewickelt, optimiert und gemessen. Zum Beispiel mit Die Softwareentwicklung nimmt inzwischen einen WeChat: Das Programm ist einerseits das chinesische immer wichtigeren Platz in der Arbeit von Porsche Pendant des Kurznachrichten-Dienstes WhatsApp. Engineering in Anting ein. Einerseits wegen der intel- Gleichzeitig erfüllt es aber auch noch die Funktionen von Instagram, Facebook, Twitter – und vor allem einer Kreditkarte. Nahezu alle Bezahlvorgänge in China laufen heute über WeChat Pay oder den Konkurrenz- Dienst Alipay. „Darum gehen die chinesischen Auto- fahrer davon aus, dass es eine nahtlose Verbindung von Auto und Handy gibt“, sagt Kurt Schwaiger.

911 Carrera Cabriolet Um den Verkehrsfluss besser zu steuern, Staus Kraftstoffverbrauch vorzubeugen und Unfälle sofort zu erkennen, geht die innerorts: 12,9 l/100 km Kraftstoffverbrauch Vernetzung noch weiter. „Bei Plug-in-Hybrid- sowie außerorts: 7,6 l/100 km vollelektrischen Fahrzeugen werden hierfür relevante Kraftstoffverbrauch Daten über einen vom Konzern gehosteten Server kombiniert: 9,6 l/100 km CO₂-Emissionen an die lokale Regierungs-Infrastruktur übermittelt“, kombiniert: 218 g/km erklärt Estha Li. Sie kommt ursprünglich aus Peking Energieeffizienzklasse: G und arbeitet seit 2017 für Porsche Engineering. „Durch unseren Server können wir gezielt und bedarfsgerecht Taycan Turbo S Informationen teilen, die dazu beitragen, unterschied- Stromverbrauch lichste Hilfestellungen für den Fahrer zu realisieren. kombiniert: Entsprechende Funktionen müssen und können nur in 26,9 kWh/100 km CO₂-Emissionen kombi- China selbst entwickelt werden.“ niert: 0 g/km Effizienzklasse: Deutschland: A+ Niederlassungsleiter Kurt Schwaiger lebt seit zehn Schweiz: B Jahren in Shanghai. Als er 2015 seine Stelle in Anting 16 INSIDE CHINA

Zukunftstechnologie: Arbeit am intelligent vernetzten Fahrzeug

3 Fragen an Kurt Schwaiger „China beschreitet neue, eigene Wege“

Was erwarten die Kunden in China? 1 Vor allem eine hohe Reaktionsgeschwindig- keit. Hier geht alles viel schneller. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit der Niederlassung in Shanghai in der gleichen Zeitzone wie unsere Kunden sind und über die nötige Sprachkom- petenz verfügen, um schnell und flexibel auf die Anforderungen reagieren zu können. Hinzu kommt auch eine gewisse Preissensibilität.

Wie schwierig ist es, gute Mitarbeiter „Das Verkehrsverhalten in 2 in China zu finden? China unterscheidet sich von Prinzipiell gibt es sehr viele gute Fachkräfte Europa oder den USA. Die in China. Allerdings ist es aufwendiger, sie zu finden. Wir haben in Shanghai einen Menschen fahren hier anders.“ Standortvorteil, denn die Stadt übt auf viele Chinesen eine große Anziehung aus. Unsere guten Beziehungen zur Tongji-Universität Ben Wang, Manager Software Development helfen auch bei der Suche nach neuen jungen Talenten. Hinzu kommt unsere starke Marke. Die Fluktuation ist bei unseren Mitarbeitern darum nur im niedrigen einstelligen Bereich.

Inwiefern unterscheidet sich der chinesische 3 vom westlichen Automobilmarkt? antrat, hatte der Standort Shanghai acht Mitarbeiter. Die chinesischen Unternehmen haben Mittlerweile sind es 75, und bis Jahresende sollen es mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht. über 100 sein. Die Niederlassung wird parallel von Das hochautomatisierte Fahren wird in 1.500 auf 2.100 Quadratmeter wachsen. Geogra- China in den kommenden Jahren ein großes fisch verteilt sie sich auf zwei Standorte: Im Autocity Thema werden. China beschreitet hier neue, Innovation Park in Anting befindet sich der größere >100 eigene Wege. So wird zum Beispiel für V2X- Teil. Dort soll in den kommenden Monaten noch ein Mitarbeiter sollen bis Anwendungen ausschließlich auf Mobilfunk- zweites Gebäude angemietet werden, um das Team Ende 2020 am Standort Standards wie LTE-V und 5G gesetzt. Da weiter vergrößern zu können. Im Erdgeschoss wird sich Shanghai arbeiten. es die chinesische Regierung nicht erlaubt, dann auch eine Werkstatt befinden, zu der die Kunden geobasierte Daten zu exportieren, muss die Zutritt haben. Der zweite Teil der Niederlassung ist in gesamte Testarbeit hier im Land stattfinden. Minhang, einem Randbezirk im Südosten von Shanghai.

Fester Bestandteil der Arbeit am Standort Shanghai ist auch die Kooperation mit der renommierten Tongji- Universität. Alle zwei Jahre veranstalten die Partner ge- Porsche Engineering Magazin 1/2020 GEFRAGTE EXPERTISE 17

meinsam das „Tongji Porsche Engineering Symposium“, bei dem Top-Manager über neueste Entwicklungen auf dem Automobilmarkt diskutieren. Teil der Koopera- tion ist darüber hinaus der Austausch im Rahmen von Praktika und Abschlussarbeiten sowie die Förderung des lokalen Formula-Student-Teams, bei dem Stu- denten ihren eigenen Rennwagen entwickeln und an Wettbewerben teilnehmen. So hat die Niederlassung eine ideale Anbindung an einen der besten Talent-Pools Chinas – eine wichtige Voraussetzung für weiteres Wachstum auf einem der wichtigsten Automotive- Märkte der Welt.

ZUSAMMENGEFASST

Der chinesische Automobilmarkt ist im Umbruch. Die Kunden erwarten erstklassige Technik sowie Lösungen, die sich an ihren Anforderungen orientieren – etwa bei der Vernetzung von Fahrzeug und Smartphone. In seiner Niederlassung in Anting ist Porsche Engineering nahe am Markt, sodass das Kurt Schwaiger Team schnell auf Anfragen lokaler Kunden reagieren kann. Um- Der Niederlassungsleiter lebt seit zehn Jahren in gekehrt vermitteln die Mitarbeiter westlichen Unternehmen Shanghai. Das Büro hat sich zunächst mit der wertvolles Wissen über den Markt in China. Chassis-Entwicklung einen Namen gemacht, heute bietet es ein breites Portfolio von Themen an.

Tests vor Ort: Mit HiL-Prüfständen untersuchen Ingenieure die Software von Steuergeräten. 18 INSIDE CHINA

E L X I F B E L

P L T F O A T R M Anpassungsfähig: Plattformen müssen die Anforderungen unterschiedlicher Antriebe und verschiedener Modellvarianten berücksichtigen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 FLEXIBLE PLATTFORM 19

In der Fahrzeugentwicklung nimmt die Konzept- und Package-Auslegung in der frühen Phase eine zentrale Rolle ein, denn hier werden die technischen Grundlagen für die späteren Produkte geschaffen. Für einen Kunden aus China hat Porsche Engineering aus einer vorhandenen Fahrzeugarchitektur in relativ kurzer Zeit die Machbarkeit eines umfassenden Plattformkonzepts mit verschiedenen Karosserievarianten und Antriebssystemen geprüft und wertvolle Hinweise für die weiteren Entwicklungsaktivitäten geliefert.

Text: Richard Backhaus

Mitwirkende: Humberto de Campos do Carmo, Stefan Bender

Illustrationen: Florian Müller

Wenn Automobilhersteller ein neues Varianten zu entwickeln: einerseits eine zusätzliche Fahrzeugmodell entwickeln, ist eine gute Vorplanung Limousine, andererseits Motorisierungsversionen mit gefragt. Schon zu Beginn des Entwicklungsprozesses Verbrennungsmotoren, Elektroantrieb mit Range- müssen das technische Konzept und das Package Extender sowie Hybridsystem. Soll die Konzeptent- (Auslegung der Fahrzeuggeometrie unter Beachtung wicklung wie in diesem Fall auf einem vorhandenen von Ergonomie und Nutzen sowie Definition und Fahrzeug aufbauen, beginnen die Experten mit einer Management der Bauräume) festgelegt sein, damit genauen Analyse der vorhandenen Plattform. „Dabei das fertige Fahrzeug später auch den ursprünglichen orientieren wir uns jeweils an den kritischsten Fahr- Vorstellungen entspricht. Manche Projekte erfordern zeugvarianten, wie zum Beispiel am schwersten oder allerdings ein anderes Vorgehen. Etwa wenn ein leistungsfähigsten Derivat, sozusagen dem Worst- OEM eine Fahrzeugentwicklung bereits gestartet hat Case-Szenario“, erklärt de Campos do Carmo. und sich später entscheidet, weitere davon abgelei- tete Modelle und Antriebsversionen auf den Markt Wie sich bei den Untersuchungen zeigte, war die zu bringen. Rohbaustruktur des Vorderwagens für die schwerste Variante des SUV zu weich. „Um die Crashsicherheit zu Zurzeit kommen solche Anfragen verstärkt von Auto- verbessern, haben wir eine größere Dimensionierung mobilherstellern aus China. „Dort werden aktuell viele der vorderen Längsträger vorgeschlagen“, berichtet OEMs neu gegründet, die erst seit wenigen Jahren de Campos do Carmo. „Auch die Radaufhängungen Automobile entwickeln“, erklärt Humberto de Campos do Carmo, der als Leiter Fachdisziplin Fahrzeug Konzepte und Package bei Porsche Engineering schon eine große Bandbreite unterschiedlicher Projekte für Kunden weltweit umgesetzt hat. „Für eine konzeptio- nelle Plattformentwicklung unter Berücksichtigung aller Antriebsvarianten und verschiedener Modellderi- vate wenden sich diese Unternehmen darum an uns. Es geht dann zum Beispiel darum, das vorhandene Fahr- zeugkonzept durch weitere Karosserie- und Antriebs- derivate zu einer Plattform auszubauen.“ „Wir haben Fachexperten aus allen Fahrzeug- bereichen, und bei den Werkzeugen nutzen wir neueste Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist ein im Auftrag eines Simulations- und Entwicklungstools.“ chinesischen Kunden erstelltes Plattformkonzept. Ziel war es, ausgehend von einem bereits bestehenden Humberto de Campos do Carmo, SUV-Modell mit reinem Elektroantrieb verschiedene Leiter Fachdisziplin Fahrzeug Konzepte und Package 20 INSIDE CHINA

mussten wir verändern, damit sich unterschiedliche wir kostenintensive Änderungen in diesem Bereich Bodenfreiheiten und Standhöhen bei SUV und Limousi- vermeiden konnten.“ Die Batterie des rein elektrischen ne realisieren lassen.“ Durch Reifen mit verschiedenen Fahrzeugs füllt dabei den gesamten verfügbaren Durchmessern, Federn unterschiedlicher Härte sowie Bauraum aus, bei den Versionen mit Range-Extender spezielle Distanzstücke am Achsträger konnten die und Hybridantrieb wurde hinter dem etwas kleineren Entwickler die Fahrzeughöhe an die variierenden Batteriepack noch der Kraftstofftank für den Verbren- Anforderungen anpassen, ohne in die grundlegende nungsmotor platziert. Achskonstruktion eingreifen zu müssen. Auch das Kühlsystem musste verändert werden: Die Analyse Kernelemente der Plattform zeigte, dass der Wärmetauscher für die SUV-Version mit Verbrennungsmotor zu klein ausgelegt war. Er Zeigt sich bei der Konzeptentwicklung, dass der Ände- wurde im Rahmen der weiteren Fahrzeugentwicklung rungsaufwand an der vorhandenen Plattform zu hoch an die neuen Bedingungen angepasst. ist, steht der Kunde vor der Wahl: Er kann entweder sein aktuelles Projekt zugunsten einer plattformkonfor- Eine der größten Herausforderungen war das Package men Lösung aufgeben oder beide Ansätze parallel vor- der unterschiedlich großen Batterien für die elektrifi- antreiben. „Aus Kostensicht wäre die Fokussierung auf zierten Modellvarianten. „Wir haben gemeinsam mit die zukunftsfähige Plattformarchitektur meistens am dem Kunden das Konzept für eine Unterbodenstruktur besten“, meint de Campos do Carmo. „Wenn ein Fahr- erarbeitet, die für alle Fahrzeuge identisch ist“, sagt zeugprojekt allerdings schon sehr weit fortgeschritten de Campos do Carmo. „Jeweils unterschiedliche ist, entscheiden sich die Kunden oftmals dafür, beide Aufnahmepunkte nehmen die verschieden großen Konzepte gleichzeitig zur Marktreife zu entwickeln und Batterien der elektrifizierten Varianten auf, sodass die Mehrkosten als Lehrgeld zu verbuchen.“

Konzeptionelle Plattformentwicklung

Ausgehend von einem bereits bestehenden SUV-Modell mit reinem Elektroantrieb hat Porsche Engineering verschiedene Varianten entwickelt: einerseits eine zusätzliche Limousine, andererseits Motorisierungsversionen mit Verbrennungsmotoren, Elektroantrieb mit Range-Extender sowie Hybridsystem.

Basisfahrzeug SUV 1

SUV-Varianten Limousine-Varianten Plattform Gleichteile E-Plattform HV-Modul Plattform Gleichteile E-Plattform HV-Modul

SUV 2 Limousine 1 Plattform Gleichteile E-Plattform HV-Modul Plattform Gleichteile E-Plattform HV-Modul

Verbrennungsmotor- Fahrzeug Plug-in-Hybrid-Fahrzeug Elektrofahrzeug mit Range-Extender SUV 3 Limousine 2 Batterielektrisches Fahrzeug Porsche Engineering Magazin 1/2020 FLEXIBLE PLATTFORM 21

Schrittweise Entwicklung

Die optimale Unter- Ergonomiekonzept: bringung der Passagiere: Festlegung der Sitzpositionen Das ist das wichtigste Ziel jedes Fahrzeugkonzeptes. Erster Schritt ist das Ergonomiekonzept auf Basis der Anthropometrie (der Wissenschaft von den menschlichen Körper- und Skelettmerkmalen). Das Maßkonzept be- schreibt die geometrischen Werte und Zusammen- hänge, außerdem berück- sichtigt es gesetzliche Maßkonzept: Vorgaben und die Bau- Festlegung der Hauptabmessungen räume von Komponenten. Das Packagekonzept garantiert schließlich, dass am Ende alles am richtigen Platz ist. Hier geht es unter anderem darum, die Ziele der Fachabteilungen mit ihren teilweise konträren Anforderungen in Einklang zu bringen.

Packagekonzept: Festlegung der Hauptkomponenten 22 INSIDE CHINA

Gemeinsame Unterbodenstruktur

Unterschiedliche Aufnahmepunkte der gemeinsamen Unterbodenstruktur nehmen die verschieden großen Batterien der elektrifizierten Varianten auf. Die Batterie des rein elektrischen Fahrzeugs füllt dabei den gesamten verfügbaren Bauraum aus. Bei den Versionen mit Range- Extender und Hybridantrieb wurde hinter dem etwas kleineren Batteriepack noch der Kraftstofftank für den Verbrennungsmotor platziert.

Batterie Batterie Batterie

Batterieelektrisches Plug-in-Hybrid- Elektofahrzeug mit Fahrzeug Fahrzeug Range-Extender

Idealerweise sollte ein Kunde darum schon im Vorfeld ein entscheidender Faktor, um das Projekt innerhalb definieren, welche Segmente und Antriebskonzepte der Zeitvorgaben erfolgreich abschließen zu können.“ sowie Motorisierungen eine neue Plattform abdecken soll. Das gibt den für Konzept und Package verant- Die Definition von Konzept und Package eines neuen wortlichen Ingenieuren Rahmenbedingungen sowie Fahrzeugs erfordert umfangreiche Erfahrungen auf maximale Freiräume und die Möglichkeit, die Fahr- allen Ebenen der Fahrzeugentwicklung und der Ent- zeugplattform gezielt zu entwickeln, wobei sie auch wicklungsmethodenkette. „Wir haben Fachexperten Faktoren wie die Produkt- und Markenstrategie des aus allen Fahrzeugbereichen, und bei den Werkzeugen Automobilherstellers in ihre Überlegungen einfließen nutzen wir neueste Simulations- und Entwicklungs- lassen können. Der Kunde profitiert dabei von einem tools“, so de Campos do Carmo. „Hinzu kommt die effizienten Entwicklungsprozess, der in sehr kurzer Zeit hohe Flexibilität und Kundenorientierung, mit der wir zu optimalen Ergebnissen führt. Entwicklungsprojekte bearbeiten und die auch unsere Partner aus China schätzen.“ Kunden aus China arbeiten typischerweise nach einem sehr engen Zeitplan, der nicht mit den Entwicklungszy- klen europäischer Automobilhersteller vergleichbar ist. „Beim oben genannten Projekt hatten wir rund sechs ZUSAMMENGEFASST Wochen Zeit – von der Bedarfsanalyse bis zum fertigen Ergebnis. Um Kommunikationsprobleme im Abstim- Idealerweise steht die Konzeptentwicklung ganz am Anfang eines Projektes. Aber auch aus einem bestehenden Fahrzeug mungsprozess zu vermeiden, haben uns Resident lässt sich ein Plattformkonzept für weitere Antriebs- und Engineers des Kunden als Bindeglied zum Entwickler- Modellvarianten ableiten. Im Fall eines chinesischen Kunden team in China unterstützt“, sagt de Campos do Carmo. ist dies Porsche Engineering durch Änderungen unter anderem „Diese vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit war an Fahrwerk, Kühlung und Unterboden gelungen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 FLEXIBLE PLATTFORM 23

Package von Hochvoltbatterien

China erlebt derzeit einen wahren Hybrid- teriesystems. „Da es bei Hochvoltbatterien und Elektrofahrzeug-Boom, der zur Entwick- sprichwörtlich um jeden Millimeter geht, lung einer Vielzahl neuer Fahrzeugkonzepte ist eine genaue Definition der technischen führt. „Viele der Automobilhersteller sind Anforderungen die Grundvoraussetzung der Start­up­Unternehmen, denen wir bei der Package-Entwicklung“, so Bender. Integration der Hochvoltbatterie ins Fahrzeug „Gibt uns ein Kunde das technische Unterstützung geben können“, Bei vielen kleineren Unternehmen fehlt diese Zellmodul für sein Fahrzeug- sagt Stefan Bender, Fachprojektleiter Analyse. „Oftmals führt das dazu, dass wir Batterie-Package bei Porsche Engineering. zusammen mit dem Kunden parallel zum projekt vor, integrieren wir eigentlichen Batterie-Package-Projekt einen es so, dass es alle Anforde- Generell ist die Hochvoltbatterie das größte auf seine Bedürfnisse abgestimmten Ent- rungen bestmöglich erfüllt.“ und schwerste Einzelmodul, das im Rahmen wicklungsprozess erarbeiten“, sagt Bender. der Konzept- und Package-Entwicklung im Als Beispiel nennt er einen Kunden, der Stefan Bender, Fachprojektleiter Fahrzeug untergebracht werden muss. Die eine zu groß dimensionierte Batterie in sein Batterie-Package Anforderungen an die Crashsicherheit, die für Fahrzeug integrieren wollte. „Gemeinsam mit die Fahrdynamik wichtige Schwerpunktlage ihm haben wir erst einmal festgelegt, welche des Fahrzeugs, die Verkabelung des Hochvolt- Leistungsfähigkeit das Fahrzeug und damit Bordnetzes und das Thermomanagement des die Batterie überhaupt haben muss.“ Dabei kann Porsche Engineering auf eine Energiespeichers reduzieren den Spielraum über Jahrzehnte gewachsene Expertise der Entwickler bei der Platzierung des Bat- Um alle Vorgaben mit ihren gegenseitigen bei der Entwicklung und Optimierung der Wechselwirkungen erfüllen zu können, muss elektrischen, mechanischen und thermo- die Integration der Batterie in das Fahrzeug dynamischen Eigenschaften von Batterien so früh wie möglich im Entwicklungsprozess zurückgreifen. Die Experten nutzen beispiels- angestoßen werden. Das gilt sowohl für weise Rechenmodelle, die inhouse erstellt reine Elektrofahrzeuge als auch für Hybrid­ und validiert werden – etwa für das „Herz“ modelle, die auf einer konventionellen, des Energiespeichers, die Batteriezelle. für Verbrennungsmotoren ausgelegten Für sie stehen neben den Simulationstools Fahrzeugplattform basieren und bei denen auch Prüfstände bereit. eigentlich keine Bauraumreserven für den Energiespeicher vorgesehen sind. Das Ziel „Beim Konzept und Package einer Traktions- ist immer, das Batteriemodul schon bei batterie berücksichtigen wir alle Details des der Entwicklung so kompakt wie möglich Fahrzeugs. So ist bei einem Sportwagen im zu konstruieren, um viele Freiheiten für die Gegensatz zu einem Stadtfahrzeug mit hohen Platzierung zu lassen, und es dann anforde- Momentanströmen zu rechnen“, erklärt rungsgerecht im Fahrzeug unterzubringen. Bender. „Darauf stimmen wir beispielsweise „Gibt uns ein Kunde dabei das Zellmodul die Verbindung der einzelnen Zellen innerhalb für sein Fahrzeugprojekt vor, integrieren wir des Batteriepacks ab, damit die Übergangs- es so, dass es alle Anforderungen bestmög- widerstände und die daraus resultierende lich erfüllt“, so Bender. „Zielführender sind Wärmentwicklung während mehrerer kurz Einzelmodul: Die Hochvoltbatterie hat allerdings Gesamtsystemlösungen, bei denen hintereinander folgender Beschleunigungs- große Auswirkungen auf Crashsicher- heit und Fahrdynamik. Ihre Integration wir die Batterieeinheit individuell entwickeln vorgänge nicht zu sehr steigen und die ist darum eine und maßgeschneidert auf das Package Motorleistung nicht aus Bauteilschutz- besondere Herausforderung. abstimmen können.“ gründen reduziert werden muss.“ 24 INSIDE CHINA

Am Himmel befestigt

Text: Andreas Burkert Mitwirkende: Dr. Martin Braun, Johannes Wüst

Porsche Engineering hat für einen chinesischen Kunden eine Fahrwerkplattform inklusive variablem Dämpfersystem mit Skyhook-Funktion entwickelt. Die Herausforderung: In nur 18 Monaten sollte eine intelligente und kostenoptimierte Fahrwerkkonstruktion für eine Baureihe mit zwei Elektrofahrzeugen entstehen. Im März 2020 startete pünktlich die Serienproduktion.

Das Fahrwerk prägt den Charakter eines Fahr- Element eines semi-aktiven Fahrwerksystems ist zeugs. Je besser das Zusammenspiel zwischen Radauf- das variable Dämpfersystem PASM (Porsche Active hängung, Reifen, Karosserie und dem Fahrer ist, umso Suspension Management). Es reagiert während der souveräner lassen sich anspruchsvolle Fahrmanöver Fahrt blitzschnell auf dynamische Veränderungen, etwa beherrschen, was für sportliche Fahrer oftmals kauf- bei plötzlichen Ausweichmanövern. In Bruchteilen einer entscheidend ist. Daneben leistet das Fahrwerk aber Sekunde erhöht PASM die Dämpferkraft an beiden auch einen bedeutenden Beitrag zur Fahrsicherheit und Achsen, um die Seitenneigung oder das Aufschaukeln zum Fahrkomfort, der wegen der Elektrifizierung des der Karosserie zu reduzieren. Damit sind äußerst prä­ Antriebsstrangs und des Trends zum automatisierten zise und sichere Fahrmanöver möglich. Fahren in Zukunft von noch größerer Bedeutung sein wird als heute. Für die internationale Automobilbranche Porsche Engineering nutzt seine Erfahrungen auf dem gehören disruptive Entwicklungen wie die E-Mobilität Gebiet der Fahrwerkkonstruktion von Sportwagen, zu den größten Herausforderungen. Automobilunter- um seinen Kunden Lösungen auf dem aktuellen Stand nehmen setzen deshalb auf fortschrittliche Entwick- der Technik anbieten zu können – zum Beispiel im Fall lungswerkzeuge, um den gestiegenen Anforderungen eines chinesischen Unternehmens: „Wir wurden be- an Fahrdynamik und -komfort gerecht zu werden. auftragt, die Vorder­ und Hinterachse für eine Baureihe mit mehreren Elektrofahrzeugen von Grund auf neu Welche Möglichkeiten moderne Fahrwerke bieten, zu entwickeln, inklusive der Softwarealgorithmen und zeigen unter anderem die Sportwagen, die Porsche bis Regler für ein variables Dämpfersystem“, berichtet heute entwickelt hat. Sie verfügen neben dem Fahr- Johannes Wüst, Leiter Fachdisziplin Fahrwerkkonstruk- dynamikregelsystem zur Stabilisierung im fahrdynami- tion. Dr. Martin Braun, Leiter Fachdisziplin Fahrwerk­ schen Grenzbereich (Porsche Stability Management, systeme bei Porsche Engineering ergänzt, dass „der PSM) auch über eine intelligente Drehmomentver- Kunde uns dazu Benchmark-Fahrzeuge vorgegeben hat, teilung (Torque Vectoring). Ein ebenfalls etabliertes deren Performance innerhalb eines herausfordernden Porsche Engineering Magazin 1/2020 AM HIMMEL BEFESTIGT 25

Souverän in den Serpentinen: Die neu entwickelte Fahrwerkplattform überzeugt durch Komfort und hohe Fahrdynamik. 26 INSIDE CHINA

Zeit- und Kostenrahmens erreicht oder übertroffen Dämpferreglung an die Steuersysteme im jeweiligen werden sollten“. Ziel war ein Fahrwerk, das sich in Zielfahrzeug optimal anpassen. Zugleich unterstützt sie puncto Komfort und Fahrdynamik mit etablierten inter- verschiedene Sensoranordnungen, wodurch man maß- nationalen Wettbewerbern messen kann. geschneiderte Lösungen in kurzer Zeit und zu geringen Kosten umsetzen kann. „Diese Art der softwarebasier- Die mechanische Konstruktion der Vorder- und Hinter- ten Regelung ist komplex“, sagt Braun. „Sie erlaubt achse war zwar klassisch, aber aufgrund der kurzen es aber, die Produktionskosten gering zu halten, da Entwicklungszeit sowie der zu betrachtenden Deri- zahlreiche Komfort- und Fahrdynamikfunktionen vate in der gesamten Plattform dennoch anspruchs- hauptsächlich durch Algorithmen abgebildet werden.“ voll. So ist ein Doppel-Querlenker-Achskonzept mit geschmiedeten Leichtmetalllenkern und Schwenk- Die Skyhook-Funktion hält den lagern wesentlicher Teil der Vorderachse. Die untere Fahrzeugaufbau möglichst ruhig Lenkerebene wurde aufgelöst, um Lenkrollradius und Spurdifferenzwinkel (Ackermann) zu optimieren. „Bei „Diese Art der Am Ende kamen dadurch nur wenige Sensoren und der Hinterachse haben wir großen Wert auf eine sehr softwarebasierten Aktoren zum Einsatz. Anstatt vier Niveau- und acht gute Dämpferübersetzung und Längsfederung gelegt“, Beschleunigungssensoren sowie einer inertialen erklärt Wüst das Fünflenker-Konzept. „Außerdem Regelung erlaubt Messeinheit (Inertial Measurement Unit, IMU) wurden achteten wir bei beiden Achsen auf hervorragende es, die Produktions- lediglich zwei Beschleunigungssensoren und zwei Werte für die Elastokinematik und Steifigkeit.“ Die kosten gering zu Niveausensoren sowie eine IMU verbaut. So entstand Achskonzepte eignen sich zudem nicht nur für einen eine kostenoptimierte, intelligente Dämpferrege- Sedan, sondern auch für einen SUV. Das betrifft die halten.“ lung (Continuous Damping Control, CDC) auf Basis Anforderungen an Federwege und die maximal mögli- einer klassischen Skyhook-Funktion mit zahlreichen che Achslast beziehungsweise Betriebsfestigkeit. Dr. Martin Braun, softwarebasierten Sonderfunktionen – unter anderem Leiter Fachdisziplin einer Schlaglocherkennung sowie einer Spurwechsel- Fahrwerksysteme Um die geforderten Fahreigenschaften zu erreichen, Funktion. Im aktiven Zustand hält sie den Fahrzeug- haben die Ingenieure für die Dämpferregelung der aufbau möglichst ruhig, unabhängig vom jeweiligen Vorder- und Hinterachse eine spezielle elektronische Fahrbahnzustand – als wäre das Fahrzeug am Himmel Systemarchitektur entwickelt. Mit ihr lässt sich die (sky) befestigt (hooked). Die Regelung schafft es dabei,

Aufbau der Dämpferregelung

Die Architektur des Reglers kann verschiedene Sensoranordnungen unterstützen. So lassen sich individuelle Kundenanforderungen in kurzer Zeit und zu geringen Kosten umsetzen.

Dämpferregelung im Steuergerät Beschleunigungs- Sensoren Vorne links Diagnose Vorne rechts Spezielle Funktionen Fehler behandlung Dämpferströme XYZ Signalfilter Vorne links Inertiale Skalierung Stromverteilung Vorne rechts Hinten links Messeinheit Signalweiterleitung Hinten rechts Verteilung Niveau- Skyhook Programmierschnittstelle IN

Sensoren Achsfusion Programmierschnittstelle OUT Hinten links Hinten rechts Porsche Engineering Magazin 1/2020 AM HIMMEL BEFESTIGT 27

Beschleunigung in Z-Richtung

Die Messergebnisse im Fahrzeug zeigen, dass sich hochfrequente Vibrationen im Frequenzspektrum von 16 bis 30 Hertz klar herausfiltern lassen.

Beschleunigung in m/s2

1,0

0,9 Referenzfahrzeug Kundenfahrzeug 0,8

0,7

0,6

0,5

0,4

0,3

0,2

0,1

2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Frequenz in Hz

während der Fahrt Vibrationen im gesamten Frequenz- Porsche Engineering gleich zu Beginn der Entwick- bereich und insbesondere höherfrequente Vibrationen lungstätigkeiten Plattformen für Simulation und Rapid im Bereich von 16 bis 30 Hertz zu dämpfen oder Prototyping eingesetzt. „So konnten wir sehr schnell herauszufiltern. erste lauffähige Prototypen realisieren“, erklärt Braun. Die eigens erstellten Entwicklungswerkzeuge erlauben Neben technischen Lösungen auf höchstem Niveau es, vor allem in der frühen Entwicklungsphase innerhalb erwartete der chinesische OEM auch eine enge Zu- kürzester Zeit ein Achskonzept auf den Punkt auszu- sammenarbeit und Unterstützung beim Aufbau seiner legen. „So vermeiden wir größere Änderungsschleifen Kapazitäten. „Die Entwicklungsmannschaft unseres im Versuch“, sagt Wüst. „Das spart nicht nur Entwick- Kunden war anfangs mit unter 400 Mitarbeitern noch lungszeit, sondern auch Versuchsteile, Prototyping- sehr klein und ist im Projektverlauf auf ein Vielfaches Werkzeuge und somit auch sehr viel Budget.“ angewachsen“, berichtet Wüst. „Außerdem wurde „Neben dem neben dem Fahrzeug selbst auch eine komplett neue Fahrzeug selbst Darüber hinaus bot das zeitgleiche Arbeiten an Regel- Produktionsinfrastruktur aufgebaut.“ In enger Zusam- wurde auch system und Software weiteres Optimierungspotenzial. menarbeit mit der Produktion des Kunden haben die Hier lobt Wüst auch den chinesischen Auftraggeber, Entwickler von Porsche Engineering die Anforderungen eine komplett neue der die Entwicklungsziele und Fahrzeugvarianten schon der Massenfertigung diskutiert und bei ihren Designs Produktions- zu Projektstart sehr klar definiert hatte. Auch wurden berücksichtigt. Zudem ließen sie ihre Erfahrungen aus infrastruktur Richtungsentscheidungen basierend auf den Emp- früheren Projekten sowie den Porsche-Produktions- fehlungen von Porsche Engineering sehr schnell und linien in Zuffenhausen und Leipzig einfließen. aufgebaut.“ pragmatisch getroffen, was Verzögerungen vermied. „Ohne diese schnellen Entscheidungen wäre eine so Herausfordernd war auch der sehr ambitionierte Zeit- Johannes Wüst, kurze Entwicklungsdauer nicht möglich gewesen“, so Leiter Fachdisziplin plan des Kunden. Nur 18 Monate nach dem Erstellen Fahrwerkkonstruktion Wüst. Am Ende wurde der ehrgeizige Zeitplan einge- des ersten Prototyps sollte schon der Produktionsstart halten, und die Serienproduktion der Baureihe konnte erfolgen. Um diese Vorgabe erfüllen zu können, hat wie gefordert pünktlich im März 2020 starten. 28 INSIDE CHINA

Technologiegigant: Tencent mit Sitz in Shenzhen ist eines der größten Internetunternehmen Chinas.

„Wir stärken die Kernkompetenzen der Automobilhersteller“

Interview: Jost Burger

Der chinesische Technologiekonzern Tencent treibt die Entwicklung neuer Mobilitätsformen und Services rund ums Fahrzeug voran. Im Interview spricht Cham Zhong, Vice President des Unternehmens, über den Automobilmarkt in China und die Kooperation von Tencent mit klassischen OEMs. Porsche Engineering Magazin 1/2020 INTERVIEW 29

Vordenker: Cham Zhong will Fahrzeuge zu Datenknoten in Smart Cities machen.

Können Sie uns dafür Beispiele nennen? ZHONG: Erstens bieten wir ganzheitliche intelligente Lösungen für Pkws an und bringen beliebte Internet- dienste wie WeChat, QQ Music oder Tencent Maps ins Auto. Darüber hinaus sind wir führend bei der Entwicklung eines In-Car-Light-App-Frameworks – mit Cloud-Update, „Use and Go“-Apps und ohne dass die Nutzer manuelle Downloads durchführen müssen. Es ermöglicht Funktionen wie intelligentes Parken, Autowäsche, Tanken, Aufladen des Autos oder die Reservierung in Restaurants, die alle auf dem „Unconscious Payment System“ von WeChat basieren. Zweitens erschließen wir das Feld des autonomen Fah- rens, wobei wir uns vor allem auf drei Säulen stützen: eine Cloud-Plattform für Daten, eine Simulations- plattform und äußerst präzise Straßenkarten. Für die Simulationsplattform hat Tencent seine Game Engine mit Fahrdynamikmodellen in Industriequalität und ganzheitlichen, auf virtueller Realität beruhen- den Verkehrssimulationen kombiniert. So können die Anwender das autonome Fahren in einer hochgradig realistischen Simulationsumgebung testen. Darüber hinaus haben wir die „Smart 4S“-Lösung eingeführt, um 4S-Händler – Händler, die in einem Full-Service-Ansatz Verkauf (Sales), Service, Ersatz- teile (Spare Parts) und Kundenfeedback (Surveys) zusammenführen – dabei zu unterstützen, Autos effizienter zu verkaufen. Durch digitale Tools und Plattformen wie WeChat sowie KI- und Big-Data- Technologien kann diese Lösung 4S-Händlern helfen, Kunden effizienter zu gewinnen. Mit seiner Automotive-Cloud-Plattform hilft Tencent den Automobilherstellern, den gesamten Produkt- lebenszyklus von der Herstellung über den Verkauf Warum ist der Automobilmarkt für Tencent attraktiv? bis hin zum Kundendienst effizient im Griff zu CHAM ZHONG: Für Tencent ist die Automobilindustrie behalten. Außerdem arbeitet das Tencent Keen eines der wichtigsten Anwendungsfelder des Security Lab seit Jahren im Bereich der Informati- Internets der Dinge. Der chinesische Automarkt onssicherheit. Hier geht es um Internetzugang und ist der größte der Welt, ganz zu schweigen von der Over-the-Air-Fähigkeiten für Fahrzeuge. hohen Akzeptanz und Nachfrage nach intelligenten Tencent Produkten bei den chinesischen Verbrauchern: Laut Wie wichtig ist die Cloud-Technologie im Zusammen- wurde 1998 gegründet einer McKinsey-Umfrage würden 69 Prozent der hang mit Over-The-Air (OTA)? und erwirtschaftete 2019 chinesischen Kunden ihr Auto gerne in ein intelligent einen Umsatz von rund ZHONG: Man kann nicht über Digitalisierung sprechen, vernetztes Fahrzeug eintauschen. Die Automobil- 49 Milliarden Euro. ohne die unverzichtbare Cloud dahinter zu erwähnen. unternehmen wetteifern darum, sich vom Autoher- Tencents Automobile Cloud bietet eine umfassende steller zum Mobilitätsdienstleister zu wandeln. Lösung, die von Infrastructure-as-a-Service und In den vergangenen Jahren sind wir mit 28 Automobil- Platform-as-a-Service über Software-as-a-Service marken aus dem In- und Ausland verschiedene 63.000 bis hin zu Data-as-a-Service reicht. Partnerschaften in den Bereichen intelligente Mitarbeiter hatte Tencent Systeme, autonomes Fahren und Shared Mobility Ende 2019. Was genau sind potenzielle Anwendungen dieser eingegangen. Als Spezialist für digitale Lösungen Technologie? kann Tencent den Automobilherstellern helfen, den ZHONG: Mit der Nutzung von großen Datenmengen chinesischen Markt und die chinesischen Kunden können Automobilhersteller in der F&E- und besser zu verstehen. Fertigungsphase Kosten senken und die Effizienz 30 INSIDE CHINA

steigern. Big Data ist auch für eine genaue Ge- „Im kommenden Kundenkommunikation auf verschiedenen Wegen nerierung von Kundenkontakten unerlässlich und Jahrzehnt wird auszubauen: Ein Spracherkennungssystem erleich- steigert so die Effizienz von Marketing und Vertrieb. tert den Kunden die Bedienung ihres Fahrzeugs. Die Im Hinblick auf den After-Sales-Bereich hilft die China ein goldenes Kunden könnten zum Beispiel über WeChat aktuelle Tencent Cloud den Herstellern bei der Einrichtung Zeitalter des Informationen über den Fahrzeugzustand und den eines umfassenden Benutzermanagementsystems industriellen Inter- Status der Wartung erhalten. Drittens geht es um und der Bereitstellung von Mehrwert-Diensten wie vielfältige Angebote während der Fahrt: Die Autoher- Mitfahrgelegenheiten, die zu neuen Geschäfts- nets einläuten.“ steller müssen ein breites Spektrum aus Entwicklern modellen führen können. Die datengesteuerten und Dienstleistungsanbietern zusammenbringen, Dienste können auch Dienste wie die Schätzung der um das Ökosystem für Apps im Auto zu erweitern. Batterielebensdauer oder die Analyse und Vorher- Viertens geht es darum, das Fahrzeug während sage von Teilefehlern bereitstellen. seines gesamten Lebenszyklus mit cloudbasierten Diensten zu begleiten: Die lange und komplexe Wie können Unternehmen wie Tencent und klassische Lieferkette von der Herstellung über den Verkauf bis OEMs von einer Zusammenarbeit profitieren? zum Kundendienst stellt die Autohersteller vor Her- ZHONG: Die Automobilhersteller haben erstklassige ausforderungen, die sie mit Cloud-Lösungen besser Fertigungsmethoden entwickelt und unterhalten ein bewältigen könnten. ausgeklügeltes Zulieferersystem. In der neuen digi- talen Ära muss die Automobilindustrie aber den Weg Welche Rolle werden Fahrzeuge in der „Smart City“ ins Internet finden, während sich die Internetfirmen der Zukunft spielen? mit den Grundzügen der Automobilindustrie vertraut ZHONG: Dank technischer Neuerungen wie Big Data, machen müssen. Tencent ist bereit, diese Lücke zu Cloud-Computing, KI und 5G wird es immer mehr schließen, indem es flexible und modulare digitale Smart Cities geben. Fahrzeuge werden dort wichtige Toolboxen anbietet. Datenknoten sein. Sie können die Umgebung wahr- Tencent stärkt die vier Kernkompetenzen der Auto- nehmen, Echtzeit-Verkehrsdaten in die Cloud laden mobilhersteller und hilft ihnen dabei, das Kunden- und so bei der digitalen Verkehrssteuerung und beim erlebnis aufzuwerten. Erstens geht es darum, Management der gesamten Stadt helfen. Selbst- Kundenbedürfnisse zu erkennen: Intelligente fahrende Autos sind außerdem vielseitiger einsetz- Systeme speichern Sitzeinstellung, Lieblingsmusik bar. Sie können beispielsweise als Konferenzraum, und oft gefahrene Strecken. Wenn ein Kunde ein Kino, Shop oder Arbeitszimmer fungieren, wobei 4S-Autohaus betritt, wird er identifiziert, und dem Autonomes Fahren: die Grenzen dazwischen immer mehr verwischen. Tencent setzt Händler wird angezeigt, welches Anliegen der Kunde Außerdem werden sie Shared Mobility voranbringen, auf die Cloud, eine voraussichtlich hat. Zweitens geht es darum, die Simulationsplattform was zu weniger privaten Autos und mehr Platz in und präzise Straßenkarten. Porsche Engineering Magazin 1/2020 INTERVIEW 31

den Städten führen wird. Es ist sogar denkbar, dass Integration: Autos sich abends von selbst einen Parkplatz in der Tencent Auto Vorstadt suchen und morgens in die Stadt zurück- Intelligence (TAI) ermöglicht eine kehren, um Fahrgäste abzuholen. effiziente und bequeme Verar- Wie denkt Tencent über die Entwicklung von automa- beitung verschie- tisierten beziehungsweise autonomen Fahrzeugen dener Dienste. auf Level 4 oder 5? Was muss hier noch getan werden – in technischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Hinsicht? ZHONG: L4/L5 ist eine notwendige Voraussetzung für automatisiertes beziehungsweise autonomes Fahren und Shared Mobility. Gegenwärtig beschreiten wir zwei parallele Wege: Erstens treiben wir die Entwick- lung von Algorithmen und die Erhebung von Daten für eine optimale L4/L5-Lösung voran. Zweitens berück- sichtigen wir die Bedürfnisse der Kunden, indem wir Anwendungen für spezifische Szenarien vorantreiben. Wir arbeiten zum Beispiel an einer Lösung, die einen Autobahnpiloten und einen Staupiloten kombiniert, deren Einsatz uns viele Daten für unsere künftigen F&E-Bemühungen liefern wird. Aus technischer Sicht ist das autonome Fahren auf helfen, sicherer über die Sprach-Benutzeroberfläche hochpräzise Kartendaten, Cloud-Computing und zu kommunizieren. Simulationstechniken angewiesen. Auf der politi- schen Ebene müssen die lokalen Verwaltungen die Portfolio Wie definiert Tencent „Luxus“ im digitalen Zeitalter? einschlägigen Richtlinien schrittweise lockern, um Zur Produktpalette von ZHONG: Luxus im digitalen Zeitalter berücksichtigt Tests auf öffentlichen Straßen zu ermöglichen. Wir Tencent gehört unter die angebotenen Dienstleistungen – und wie man müssen die Vorschriften für die Straßensicherheit anderem WeChat, einer dafür digitale Möglichkeiten nutzen kann. Tradi- und ethische Fragen klären. Und wir brauchen Infra- der meistverbreiteten tionelle Markenimage-Kampagnen wirken leicht strukturen wie 5G-basierte intelligente Transport- Chat-und Payment- eintönig. Deshalb sollten wir unseren Schwerpunkt und Verkehrssysteme. Was den sozialen Aspekt Dienste in China. Hinzu auf Dienstleistungen verlagern. Sie können den kommen Videospiele, anbelangt, so müssen wir die öffentliche Akzeptanz Musik und zahlreiche Unterschied ausmachen und eine Marke ihren Kun- des autonomen Fahrens erhöhen, die Sorgen der Aktivitäten im Bereich den näherbringen. Verbraucher überwinden und das Vertrauen der Künstliche Intelligenz. Öffentlichkeit gewinnen. China entwickelt sich schnell. Wo wird das Land in den nächsten zehn Jahren stehen? In welchen Technologie- Was schätzt die chinesische „digitale Generation“ an bereichen wird es sich abheben? Infotainment im Pkw? ZHONG: Im kommenden Jahrzehnt wird China ein ZHONG: Die Hauptkundschaft der chinesischen Auto- goldenes Zeitalter des industriellen Internets einläu- mobilindustrie sind derzeit „Digital Natives“. Sie sind ten. Digitale Technologien wie 5G, KI und Cloud- es gewohnt, ständig mit der digitalen Welt verbun- Computing werden dazu führen, dass verschiedene den zu sein und ihre Angebote nutzen zu können. Im Branchen schneller intelligent werden. Die digitale Auto werden diese Erwartungen enttäuscht, da man Wirtschaft wird zum Wachstumsmotor für China und offline bleiben muss – es ist schwierig, das Smart- die ganze Welt werden. Gesegnet mit einem frucht- phone zu überprüfen, während man hinter dem baren Boden für neue Technologien, wird China die Steuer sitzt. beispiellose Kommerzialisierung von Spitzentechno- Um dieser „Offline-Angst“ zu begegnen und sicher- logien in großem Maßstab erleben. zustellen, dass die Dienste von verschiedenen Endgeräten und in unterschiedlichen Situationen zugänglich sind, bietet Tencent „Super ID“ an. Das ist ein einheitliches Identifikationssystem, das für eine perfekte Servicekontinuität zwischen Mobil- telefon und Cockpit sorgt. Unser Auto-Intelligence- Cham Zhong arbeitet seit 2004 für Tencent und ist jetzt System ermöglicht eine effiziente und bequeme Vice President des Unternehmens. Als Leiter des Intelligence Mobility Business und des Intelligent Platform Business ist Verarbeitung verschiedener Dienste, dank seiner er verantwortlich für Tencent Maps, Tencent Auto Intelli- stabilen interaktiven Architektur und benutzer- gence, Tencent Autonomous Vehicle, Tencent Location-based freundlichen Apps. Im vergangenen Jahr haben wir Services, Tencent Cloud Xiaowei und Tencent AI Translation WeChat fürs Auto eingeführt, um den Fahrern zu Teams. 32 INSIDE CHINA Eng vernetzt

Recherche: François Baumgartner Mitwirkender: Martin Stegelmeier lllustration: Valerio Pellegrini

Die großen chinesischen Digitalkonzerne haben den Automotive-Markt für sich entdeckt. Auf Gebieten wie autonomem Fahren, vernetzten Fahrzeugen und Mobilitätsservices kooperieren sie mit etablierten OEMs und anderen Technologieunternehmen.

Baidu Zukunftstrends Neue Technologien Baidu ist eine führende Suchmaschine wie Konnektivität und und KI-Firma, die OEMs das voll- autonomes Fahren ständig offene Ökosystem Apollo für spielen in China eine das autonome Fahren anbietet. immer größere Rolle. Große lokale Technologie- unternehmen treiben diese Entwicklung voran. Tencent

1 Zahl der Fahrzeuge Tencent ist eines der wertvollsten in China (Mio.) Technologieunternehmen der Welt Anteil (in %) und ein Vorreiter bei autonomen und vernetzten Fahrzeugen. Connected Cars E-Fahrzeuge Autonome Fahrzeuge Alibaba

100 % 369 Zur Alibaba Group gehören etwa die B2B-Plattform Alibaba.com und das Online-Auktionshaus Taobao. Ihr Be- 303 80 % triebssystem YunOS läuft auch in Autos.

227 60 % Huawei

197 Der Smartphonehersteller Huawei bietet unter anderem HiCar an, eine 40 % eigene Schnittstelle für die Nutzung des Telefons im Auto.

20 % DiDi Auto Alliance

Didi Chuxing („DiDi“) vermittelt 0 % ähnlich wie Konkurrent Uber Mobilitäts- 2018 2020 2025 2030 dienstleistungen. Pro Jahr sind es rund (Quelle: PwC) acht Milliarden Fahrten. Porsche Engineering Magazin 1/2020 ENG VERNETZT 33

Datengetriebene Strategien Führungskräfte aus der Automobilindustrie sehen viele Wege, wie sich aus Daten neue Werte schaffen lassen:

Neue Erfahrungen Personalisierte Berührungspunkte mit den Kunden schaffen.

86 %

Neue Expertise Mit anderen Industrien neue Chancen erschließen.

84 %

Neuer Fokus Neue Geschäftsmodelle formulieren und testen.

82 %

Neue Arbeitsformen Eine reaktionsfähige Orga- nisation ermöglichen.

76 %

(Quelle: IBM) 34 TRENDS UND TECHNOLOGIEN

Allgegenwärtige Energiespeicher: Ohne Batterien geht nichts in der künftigen Mobilität - entsprechend intensiv werden sie weiterentwickelt. Porsche Engineering Magazin 1/2020 DIE PERFEKTE ZELLE 35

Die perfekte Zelle

Text: Chris Löwer Mitwirkende: Dr. Stefanie Edelberg

Moderne Fahrzeugbatterien ermöglichen bereits heute hohe Reichweiten und komfortable Ladezeiten. Dennoch arbeiten Forscher an noch besseren Energiespeichern – auf Basis der bewährten Lithium-Ionen-Technologie und mithilfe neuer Ansätze.

Die Tester von der „Auto Bild“ waren beein- haben.“ Ultraschnell laden bei hoher Energiedichte? druckt. In rund 22 Minuten konnten sie den fast leeren Das geht nicht. Denn unter dieser Kombination würde Akku eines Porsche Taycan auf 80 Prozent aufladen. die Lebensdauer leiden. Daher ist Sauer angesichts Eine Bestmarke, die in diesem Segment fast zwin- medialer Meldungen über vermeintliche Wunderbatte- gend ist: Wer sportlich fährt, will auch schnell laden. 500 Wh/l rien skeptisch, denn meist wird dabei nur ein einziger „Insbesondere für Porsche spielen hohe Ladeleistungen beträgt die Energiedichte Parameter zulasten anderer optimiert. „Einen universel- eine große Rolle“, sagt Dr. Stefanie Edelberg, Ent- moderner Lithium- len Alleskönner-Akku wird es nicht geben“, sagt er. wicklungsingenieurin bei Porsche Engineering. „Durch Ionen-Batteriezellen. sportliches Fahren wird die Batterie schneller leer, und Lithium-Ionen-Zellen: hohe Energiedichte der Kunde möchte keine Stunde warten müssen, um sie wieder voll zu laden.“ Aber immer bessere Energiespeicher für E-Fahrzeuge, wobei auf absehbare Zeit Lithium-Ionen-Zellen die Das müssen die Fahrer inzwischen auch nicht mehr. Technologie der Wahl bleiben werden. Denn die hohe „Die Akku-Technologie für Autos funktioniert in der Reaktivität des Lithiums und die hohe Energiedichte Praxis gut, auch was Leistungsfähigkeit, Lade- und der Zellen ermöglichen es, auf geringem Raum relativ Lebensdauer anbelangt“, sagt Dirk Uwe Sauer, Profes- viel Energie zu speichern. Hinzu kommen ihre gute sor am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewand- Lagerbarkeit und die Robustheit der Zellen, weswegen lung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. sie bei einem rein elektrisch betriebenen Fahrzeug „Allerdings lassen sich mehrere Extremeigenschaften bei großer Entladetiefe erst nach rund 2.000 Lade- nicht vereinen. Man kann nicht alles gleichzeitig zyklen unbrauchbar werden. Entwickler halten aber 36 TRENDS UND TECHNOLOGIEN

ein Mehrfaches davon für möglich. Außerdem kennen Lithium-Batterien keinen Memory-Effekt, unter dem Nickel-Cadmium-Akkus leiden. Bei häufiger Teilentla- dung „merken“ sie sich den typischen Energiebedarf und passen ihre Kapazität genau daran an. „Insbesondere für Porsche Zudem gibt es bei der Lithium-Ionen-Technik noch viele spielen hohe Ladeleistungen Entwicklungsmöglichkeiten in Bezug auf Zellchemie eine große Rolle.“ und Zelldesign. Davon könnte zum Beispiel die Energie- dichte profitieren: Laut Forschern des Fraunhofer- Dr. Stefanie Edelberg, Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) Entwicklungsingenieurin hat sie sich in den vergangenen zehn Jahren bei groß- formatigen Lithium-Ionen -Batteriezellen für E-Autos fast verdoppelt – auf mittlerweile durchschnittlich 250 Wh/kg spezifische Energie (beziehungsweise 500 Wh/l Energiedichte). Bis zum Jahr 2030 könn- te die Energiedichte nochmals um den Faktor zwei genau bedeutet“, sagt Sauer. „An Möglichkeiten, dies zunehmen. im Labor und dann vor allem im Fahrzeug selbst zu erkennen, wird allerorten intensiv geforscht.“ Auch die anderen Eigenschaften von Lithium-Ionen- Zellen lassen sich weiter verbessern. „Die größten Auch weitere technologische Hürden warten auf Herausforderungen sind schnelles Laden und Sicher- die Entwickler: Die Ladestecker, Ladekabel und die heit“, berichtet Prof. Dr. Stefano Passerini, Direktor fahrzeugseitige Infrastruktur müssen ebenfalls für der Forschungsgruppe Elektrochemie der Batterien die hohen Ströme ausgelegt sein. Dabei gilt „Ampere am Helmholtz-Institut Ulm. „Ein schnelles Aufladen macht schwer“. Soll heißen: Hohe Ströme bedeuten auf 80 Prozent in 15 Minuten oder weniger würde C=10 dicke Kabel und damit Gewicht. Das kann jedoch durch E-Fahrzeuge noch attraktiver machen. Die Sicherheits- würde bedeuten, dass eine höhere Spannung des Batteriesystems ausgegli- anforderungen wachsen jedoch, wenn Schnellladen man eine Batterie in etwa chen werden. Darum wurde der Taycan bei Porsche mit sechs Minuten aufladen eingesetzt werden soll.“ kann. Heute liegt der einer Systemspannung von 800 Volt anstatt der bei Wert bestenfalls bei C=4. Elektroautos üblichen 400 Volt ausgestattet. Kapazität und Leistung der Batterie schwinden mit jeder zu schnellen Ladung Um die Ladezeiten von E-Fahrzeugen mit unterschied- lichen Batteriekapazitäten vergleichen zu können, Das Schnellladen ist eine Herausforderung, weil sich bietet sich die C-Rate an (C steht für „Capacity“, beim Aufladen Lithium-Atome in die Kohlenstoffkris- Kapazität). Sie gibt das Verhältnis aus dem Lade- talle der Elektrode einlagern. Beim Entladen werden sie oder Entladestrom einer elektrochemischen Zelle in von dort wieder abgerufen. „Je schneller die Batterie Ampere (A) zur Kapazität der Zelle in Amperestunden geladen wird, desto größer ist die Gefahr, dass die (Ah) an. Ein Wert von 1 bedeutet, dass das komplette Ladungsträger auf der Oberfläche der Kristalle haften Nachladen eine Stunde dauert. 2 steht für eine halbe bleiben, dort eine metallische Schicht bilden und da- Stunde, 3 für 20 Minuten. durch die Zelle geschädigt wird“, erklärt Sauer. Kapazi- tät und Leistung schwinden also mit jeder zu schnellen Die Entwickler streben eine C-Rate von 10 an, also Ladung. Im Extremfall kommt es zum Kurzschluss. etwa sechs Minuten Ladezeit – ähnlich wie beim „Leider ist es nicht einfach zu sagen, was ‚zu schnell‘ Tanken. Davon ist man heute noch weit entfernt. Doch

Dr. Stefanie Edelberg arbeitet als Entwicklungs- Prof. Dirk Uwe Sauer ist Professor am Lehrstuhl für Prof. Dr. Stefano Passerini ist Direktor der For- ingenieurin bei Porsche Engineering in der Abteilung Elektrochemische Energiewandlung und Speicher- schungsgruppe Elektrochemie der Batterien am Elektro- und Hybridfahrzeug Konzepte und Package. systemtechnik der RWTH Aachen. Zusammen mit Helmholtz-Institut Ulm (HIU). Sein Team beschäftigt Das Team beschäftigt sich mit der Konzeption, dem Prof. Martin Winter ist er seit 2009 wissenschaft- sich mit Energiespeichern sowie dem nachhaltigen Packaging und der Entwicklung von HV-Batterien. licher Leiter der Konferenz „Kraftwerk Batterie“. Umgang mit Ressourcen, Umwelt und Ökonomie. Porsche Engineering Magazin 1/2020 DIE PERFEKTE ZELLE 37

Energiebündel: Moderne Lithium-Ionen-Batterien könnten im Jahr 2030 bis zu 1.000 Wh/l speichern.

Produktionskapazitäten von Lithium-Ionen-Batterien

Auch wenn China mit weitem Abstand die größten Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Batterien behalten wird – Europa und vor allem Deutsch- land holen auf. Ende des Jahrzehnts sollen dort Fabriken mit 413,5 GWh beziehungsweise 173 GWh jährlicher Kapazität zur Verfügung stehen.

Nach einer Untersuchung des Fraunhofer- Fabriken* Asien

Deutschland andere Instituts für System- und Innovations- 6 (ohne China) Batteriefabriken 1% forschung befinden sich Anfang 2020 3% weltweit über 7,5 Millionen E-Fahrzeuge in Europa 2029: Nordamerika auf den Straßen. Ihr Anteil an den globalen 5 Hauptstandort 9% Autoverkäufen wird je nach Marktstudie Deutschland ab 2030 auf 25 bis 75 Prozent geschätzt. 4 Dadurch dürfte die globale Nachfrage nach Europa Gesamt- Lithium-Ionen-Batterien stark ansteigen: 17% Ungarn kapazität von 500 GWh bis 1.500 GWh um 2025 auf 3 1.000 GWh bis 6.000 GWh im Jahr 2030. 2,4 TWh Ein Bedarf, der laut Fraunhofer-Forscher wohl gedeckt werden kann – vor allem durch 2 China Anbieter aus Asien, die derzeit rund 70% Frankreich Slowakei Tschechien Polen UK 80 Prozent des Marktes beherrschen. Aber Schweden 1 andere Weltregionen wollen bis Ende des Jahrzehnts ebenfalls massiv in neue Weltweite Produktionskapazität 2029: Batteriefabriken investieren. 0 China bleibt vorne, Europa holt auf.

*Fabriken mit mehr als 5 GWh Produktionskapazität pro Jahr Quelle: Benchmark Mineral Intelligence 38 TRENDS UND TECHNOLOGIEN

Laden und Entladen einer Lithium-Ionen-Batterie

Laden e−

Kathode (positive Elektrode) Separator Anode (negative Elektrode) meist Übergangsmetalloxid- semipermeable meist Graphite auf verbindungen auf Membran Kupferableiterfolie Aluminiumableiterfolie + – Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Lithium-Ionen-Strom Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+ Li+

Elektrolyt Leitsalz gelöst in organischem Lösemittel

e− Entladen

Die theoretische spezifische Kapazität von Lithiummetall beträgt

In Lithium-Ionen-Batterien sind die negative Elektrode (meist aus Graphit) und die positive Elektrode (meist aus Übergangsmetallschichtoxiden) durch einen 3.862 Separator getrennt. Positiv geladene Lithium-Ionen können in beide Richtungen frei durch ihn hindurch wandern. Beim Entladen fließen Elektronen von der Anode über mAh/mg. den äußeren Stromkreis zur Kathode, gleichzeitig wandern positive geladene Lithi- um-Ionen durch den Separator ebenfalls dort hin und migrieren in die Kathoden- struktur. Beim Laden treibt eine von außen angelegte Spannung die Lithium-Ionen wieder in Richtung der negativen Elektrode. Lithium eignet sich besonders gut für Li C Batterien, weil das leichteste Metall des Periodensystems besonders gern 1 6 eines seiner drei Elektronen abgibt. Zugleich führt ihre hohe Reaktivität aber auch Beim Ladevorgang kann das Aktivmaterial Graphit bis zu ein dazu, dass die Lithium-Atome leicht chemische Bindungen eingehen. Um das Lithium-Atom auf sechs zu verhindern, müssen sie in der Batterie vor Luft oder Wasser geschützt werden. Kohlenstoff-Atome aufnehmen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 DIE PERFEKTE ZELLE 39

im Forschungsprojekt „FastCharge“ arbeiten unter „Wir erwarten, dass Festkörper- anderem Siemens, Phoenix Contact E-Mobility und Lithium-Ionen-Batterien die Porsche daran, die Energieversorgung von Elektro- Sicherheitsprobleme verringern, fahrzeugen zu verbessern. Das Industriekonsortium hat bereits große Fortschritte erzielt. Ein Porsche- da Festkörperelektrolyte Forschungsfahrzeug mit einer Batteriekapazität von weniger anfällig für Feuer sind.“ circa 90 kWh erreichte eine Ladeleistung von 400 kW und ermöglichte damit Ladezeiten von weniger als Prof. Dr. Stefano Passerini drei Minuten für die ersten 100 Kilometer Reichweite. Ein kompletter Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent an der Ultra-Schnellladestation dauerte 15 Minuten. C-Raten von 4 bis 5 sind also machbar. „Entscheidend sich noch im Bereich der Grundlagenforschung, wie war ein innovatives Kühlsystem der Batterie, des Fahr- etwa Natrium-Ionen anstelle von Lithium-Ionen oder zeugs und des Ladesystems“, erklärt Edelberg. Metall-Sauerstoff-Kombinationen.

Fortschritte in puncto Schnellladen und Sicherheit Sauer sieht bei allen Entwicklungen eine entscheiden- soll die Feststoffbatterie bringen. Bei ihr wird statt 400 kW de Frage: die Kosten. „Letztlich ist die Reichweite eines der Elektrolytflüssigkeit ein Polymer oder Keramik Ladeleistung erreichte Fahrzeuges nicht durch das Gewicht einer Batterie verwendet. Da keine Flüssigkeit mehr eingesetzt wird, ein Porsche-Forschungs- begrenzt, sondern durch ihren Preis.“ Zwar sind laut werden die Batterien kompakter, wodurch sich ihre fahrzeug. In15 Minuten den Beratern von Horváth & Partners die Preise für Energiedichte deutlich steigern lässt. Gleichzeitig sind war ein kompletter Lade- Lithium-Ionen-Batterien pro kWh von 400 Euro im die Zellen weniger entflammbar. „Wir erwarten, dass vorgang abgeschlossen. Jahr 2013 auf 107 Euro im Jahr 2019 gefallen, doch Festkörper-Lithium-Ionen-Batterien die Sicherheits- der Preisrückgang wird sich angesichts steigender probleme verringern, da Festkörperelektrolyte weniger Nachfrage so nicht fortsetzen. Was vor allem an den anfällig für Feuer sind“, sagt Passerini. Theoretisch Rohstoffen liegt: „Der Rohmaterialeinkauf macht bis zu könnte also auch schneller geladen werden. „Die 75 Prozent der Kosten einer Batterie aus“, weiß Sauer. praktische Machbarkeit muss aber noch nachgewiesen werden“, schränkt Passerini ein. 5 Volt Fest steht: Auch in der nächsten Dekade werden Zellspannung erreichen Lithium-Ionen-Akkus mit all ihren Weiterentwicklungen Hochvoltmaterialien, die dominierende Technologie bleiben. „Die Fortschritte Leichte Alternative: Lithium-Schwefel an denen praxisnah geforscht wird. werden evolutionär und nicht revolutionär sein“, sagt Basis wird aber auch hier Lithium bleiben – wie auch Sauer. „Ich erwarte keine großen Sprünge, da bereits bei einer weiteren Variante, an der derzeit intensiv heute die Grenzen der Naturgesetze ausgelotet werden.“ geforscht wird: Lithium-Schwefel-Akkus. Bei ihnen Was nicht schlecht sein muss: „Die Eigenschaften dieser besteht die Kathode aus einem Schwefel-Geflecht, 107 Euro Technologie sind zu gut, als dass sie durch etwas grund- das die gängige Gitterstruktur aus Kobalt, Mangan kosteten 2019 Lithium- legend anderes ersetzt werden müsste. Elektromobilität und Nickel komplett ersetzt. Dadurch sind die Akkus Ionen-Batterien pro kWh funktioniert mit dem, was Batterien heute hergeben, deutlich leichter als herkömmliche Energiespeicher. Speicherkapazität. und dem Weiterentwicklungspotenzial der kommenden Aber momentan auch deutlich teurer, weswegen sie Jahre schon sehr gut“, unterstreicht Sauer. eher für künftige Flugtaxis eine Option sein könnten. Als problematisch gilt noch ihre Dauerhaltbarkeit.

Weitere Technologien zur Erhöhung der Energiedichte, die aktuell erforscht werden und bereits jetzt oder in den kommenden Jahren auf den Markt kommen ZUSAMMENGEFASST könnten, sind Elektrodenmaterialien aus Silizium- Kohlenstoff-Kompositen, Nickel-reiche Kathoden- Schon heute bieten Lithium-Ionen-Batterien hohe Reichweiten und kurze Ladezeiten für elektrisch angetriebene Fahrzeuge. materialien oder Hochvoltmaterialien, die etwa fünf Aber die Entwicklung bleibt nicht stehen, sodass neue Techno- Volt Zellspannung ermöglichen. „Forschungen auf logien wie Feststoffbatterien oder neue Elektrodenmaterialien diesen Gebieten sind schon näher an der Praxis“, in Zukunft die Energiedichte weiter steigern und die Ladezeiten sagt Sauer. Viele andere Ansätze hingegen bewegten nochmals verkürzen könnten. 40 ZUKUNFT Die Datenreligion

Querdenken ist der Ursprung von Porsche Engineering. Ohne unkonventionelle Idee gibt es keine Innovationen – und keinen verantwortlichen Umgang mit neuen Technologien. Darum denken wir gerne quer und lassen uns regelmäßig von außen inspirieren. Zum Beispiel von Yuval Noah Harari. Der israelische Historiker und Bestsellerautor ist einer der gefragtesten Denker der Gegenwart. Sein Buch „Homo Deus“ beschäftigt sich mit der Frage nach der Zukunft der Menschheit. Im folgenden Auszug daraus geht es um die neue „Datenreligion“, die Tiere, Menschen und Gesellschaften lediglich als verschiedene Formen der Datenverarbeitung betrachtet.

GASTAUTOR

Yuval Noah Harari ist ein israelischer Bestsellerautor em Dataismus zufolge Für Politiker, Unternehmer und ganz ge- und einer der bekanntesten Historiker weltweit. Der besteht das Universum aus Datenströmen, wöhnliche Konsumenten hat der Dataismus wiedergegebene Auszug Dund der Wert jedes Phänomens oder jedes grundstürzende Technologien und unge- stammt aus seinem Buch Wesens bemisst sich nach seinem bzw. heure neue Möglichkeiten im Angebot. Für „Homo Deus“ (Verlag ihrem Beitrag zur Datenverarbeitung. Das viele Wissenschaftler und Intellektuelle C.H. Beck). Ebenfalls von mag manchem als exzentrische Außenseiter- verspricht er zudem den Heiligen Gral zu Harari sind erschienen: meinung erscheinen, doch in Wirklichkeit liefern, der uns seit Jahrhunderten versagt „21 Lektionen für das hat sie bereits einen Großteil des wissen- bleibt: eine einzige übergreifende Theorie, die 21. Jahrhundert“ und „Fürsten im Fadenkreuz“. schaftlichen Establishments erobert. alle wissenschaftlichen Disziplinen von der Entstanden ist der Dataismus aus dem Musikwissenschaft über die Ökonomie bis zur rapiden Zusammenfluss zweier wissenschaft- Biologie vereint. Glaubt man dem Dataismus, licher Flutwellen. In den 150 Jahren seit der so sind Beethovens Fünfte Symphonie, König Veröffentlichung von Charles Darwins Schrift Lear und das Grippevirus nur drei Muster Über den Ursprung der Arten haben die des Datenstroms, die sich mit den gleichen Biowissenschaften Organismen zunehmend Grundbegriffen und Instrumenten analysieren als biochemische Algorithmen betrachtet. lassen. Diese Vorstellung ist ungeheuer at- Gleichzeitig haben Computerwissenschaftler traktiv. Sie verschafft allen Wissenschaftlern in den acht Jahrzehnten seit Alan Turings eine gemeinsame Sprache, überbrückt aka- Erfindung der nach ihm benannten Maschine demische Gräben und erleichtert den Export gelernt, immer ausgeklügeltere elektronische von Erkenntnissen über Fächergrenzen hin- Algorithmen zu entwickeln. Der Dataismus weg. Musikwissenschaftler, Ökonomen und bringt die beiden Entwicklungen zusammen Zellbiologen können sich endlich gegenseitig und verweist darauf, dass für die biochemi- verstehen. schen wie für die elektronischen Algorithmen genau die gleichen mathematischen Gesetze Im Zuge dessen kehrt der Dataismus die gelten. Damit reißt der Dataismus die Grenze traditionelle Erkenntnispyramide um. Bislang zwischen Tieren und Maschinen ein und geht galten Daten lediglich als der erste Schritt davon aus, dass elektronische Algorithmen in einer langen Kette geistiger Aktivität. irgendwann biochemische Algorithmen ent- Man ging davon aus, dass Menschen aus schlüsseln und hinter sich lassen werden. Daten Informationen gewannen, Informati- Porsche Engineering Magazin 1/2020 DIE DATENRELIGION 41

onen in Wissen verwandelten und Wissen in Klugheit. Dataisten dagegen glauben, dass Menschen die ungeheuren Datenströme nicht mehr bewältigen können und deshalb Daten nicht mehr zu Informationen und schon gar nicht mehr zu Wissen oder Klugheit destillie- ren können. Die Arbeit der Datenverarbeitung sollte man deshalb elektronischen Algo- rithmen anvertrauen, deren Kapazitäten die des menschlichen Gehirns weit übertreffen. Dataisten sind also, was menschliches Wissen und menschliche Klugheit angeht, skeptisch und vertrauen lieber auf Big Data und Computeralgorithmen.

Am festesten verankert ist der Dataismus in seinen beiden Mutterdisziplinen: der Computerwissenschaft und der Biologie. Die wichtigere von beiden ist die Biologie. Es war schließlich die biologische Übernahme des Dataismus, die aus einem begrenzten Durchbruch in der Computerwissenschaft eine welterschütternde Umwälzung machte, die womöglich die Natur des Lebens voll- kommen verändert. Vielleicht lehnen Sie die Vorstellung ab, dass Organismen Algorithmen sind und Giraffen, Tomaten und Menschen nur unterschiedliche Methoden der Daten- verarbeitung. Aber Sie sollten wissen, dass das gängige wissenschaftliche Lehre ist und unsere Welt gerade bis zur Unkenntlichkeit erzeugen, dass selbst optimierte menschli- einen Algorithmus entwickeln, der die gleiche verändert. che Algorithmen damit überfordert sind. Als Funktion besser erfüllt, werden menschliche das Auto die Pferdekutsche ersetzte, haben Erfahrungen ihren Wert verlieren. Wenn wir Nicht nur individuelle Organismen gelten wir die Pferde nicht optimiert – wir haben sie also nicht nur Taxifahrer und Ärzte, sondern heute als Datenverarbeitungssysteme, in den Ruhestand geschickt. Vielleicht ist es auch Anwälte, Dichter und Musiker durch sondern auch ganze Gesellschaften wie Zeit, das Gleiche mit Homo sapiens zu tun. überlegene Computerprogramme ersetzen Bienenvölker, Bakterienkolonien, Wälder und können, warum sollte es uns kümmern, dass menschliche Städte. Auch die Wirtschaft Der Dataismus nimmt gegenüber der diese Programme über kein Bewusstsein und interpretieren Ökonomen zunehmend als Menschheit eine streng funktionale Hal- keine subjektiven Erfahrungen verfügen? Datenverarbeitungssystem. Laien glauben, tung ein und misst den Wert menschlicher Wenn manche Humanisten nun die Ehr- die Wirtschaft bestehe aus Bauern, die Erfahrungen allein nach ihrer Funktion in würdigkeit menschlicher Erfahrung preisen, Weizen anbauen, Arbeitern, die Kleidungs- Datenverarbeitungsmechanismen. Wenn wir würden Dataisten das als sentimentalen stücke herstellen, und Kunden, die Brot und Humbug abtun. „Die Erfahrung, die Sie da in Unterhosen kaufen. Experten betrachten die den Himmel loben, ist nichts weiter als ein Ökonomie jedoch als einen Mechanismus, veralteter biochemischer Algorithmus. Vor um Daten über Wünsche und Fähigkeiten zu 70.000 Jahren in der afrikanischen Savanne sammeln und diese Daten in Entscheidungen „Der Dataismus war dieser Algorithmus modern. Selbst im zu verwandeln. […] verweist darauf, 20. Jahrhundert war er für die Armee und für die Wirtschaft noch zu gebrauchen. Aber Die Sapiens entwickelten sich vor Zehn- dass für die schon bald werden wir über viel bessere tausenden von Jahren in der afrikanischen biochemischen wie Algorithmen verfügen.“ […] Savanne, und ihre Algorithmen sind schlicht und einfach nicht dafür gemacht, die Da- für die elektronischen Die dataistische Revolution wird vermutlich tenströme des 21. Jahrhunderts zu bewäl- Algorithmen ein paar Jahrzehnte, wenn nicht sogar ein tigen. Wir könnten deshalb versuchen, das oder zwei Jahrhunderte dauern. Aber auch menschliche Datenverarbeitungssystem zu genau die gleichen die humanistische Revolution vollzog sich optimieren, aber das reicht womöglich nicht mathematischen damals nicht über Nacht. […] aus. Das „Internet aller Dinge“ könnte schon bald derart riesige und schnelle Datenströme Gesetze gelten.“ © Yuval Noah Harari 42 PERFORMANCE UND EXPERTISE

Algorithmus mit Weitblick

Text: Constantin Gillies Mitwirkende: Björn Pehnert, David Kuhn, Ondrej Holub

Nur wenn Batterien optimal temperiert sind, lassen sie sich mit der maximalen Leistung aufladen. Das vorausschauende Thermomanagement von Porsche Engineering sagt den Fahrverlauf voraus und stellt so sicher, dass sich die Energiespeicher an der Ladesäule im bestmöglichen Temperaturbereich befinden.

Autobahn Die Batterie hat sich erwärmt. Das Thermo- management setzt ein und kühlt sie fürs spätere Aufladen herunter.

Büro Der Fahrer macht sich auf den Heimweg. Die Batterie ist beim Start noch kalt, erwärmt sich aber allmählich. Porsche Engineering Magazin 1/2020 ALGORITHMUS MIT WEITBLICK 43

Wohnung Mit frisch geladener Batterie kommt der Fahrer zu Hause an. Sie hat sich während der Fahrt wieder etwas erwärmt.

Ladestelle Pünktlich zur Ankuft an der Ladestelle hat das Thermo­ management die Batterie optimal temperiert. 44 PERFORMANCE UND EXPERTISE

Aufwärmen des Energiespeichers: Beim Start ist die Batterie sehr kalt. Bis zur Ankunft an der Ladesäule hat das ürzere Batterie-Ladezeiten und höhere Thermomanagement regulieren“, erläutert Björn Pehnert, Fachprojektleiter K sie durch Aufheizen Reichweiten: Das verspricht das vorausschauende Thermomanagement bei Porsche Engineering. in den optimalen Thermomanagement, das Porsche Engineering im Temperaturbereich vergangenen Jahr als Konzeptstudie entwickelt hat. gebracht. Um die große Batterie in E-Fahrzeugen rechtzeitig auf Die Technologie sorgt dafür, dass Batterien für den die richtige Temperatur fürs Laden zu bringen, muss Stopp an der Ladesäule optimal temperiert sind und die Fahrzeugsteuerung mögliche Belastungen früher das Schnellladen nur wenige Minuten dauert. Die erkennen. „Es wird unerlässlich, weiter in die Zukunft Temperatur spielt dafür eine Schlüsselrolle: Sind zu schauen“, fasst Pehnert zusammen. Genau diese die Zellen zu kalt oder zu heiß, sinkt die Ladeleis- Herausforderung haben die Ingenieure angenommen tung. Dieses Phänomen könnte dank des prädiktiven und ein vorausschauendes Thermomanagement ent- Thermomanagements jedoch bald der Vergangenheit wickelt, das die Batterietemperaturen der kommenden angehören: Eine Software im Auto soll den kommen- Fahrt vorhersagt. Merkt das Prognoseprogramm zum den Fahrtverlauf voraussagen und alle thermischen Beispiel, dass der Fahrer eine Schnellladesäule ansteu- Komponenten so steuern, dass die Batterie optimal temperiert ist. Durch diesen Blick in die Zukunft wird zudem unnötiges Aufheizen oder Abkühlen verhindert, was Energie spart und die Reichweite erhöht.

Diese Vorhersage unterscheidet das neue System vom herkömmlichen Thermomanagement, wie es derzeit in Fahrzeugen realisiert ist. Im einfachsten Fall handelt es sich dabei heute um einen Regelkreis, der die Motortemperatur immer in einem sicheren Korridor hält. Das funktioniert aber meist rein reaktiv: Wird das Antriebsaggregat zu heiß, öffnet sich zum Beispiel die Kühlerjalousie, um die Temperatur zu senken. Bei Ver- „Um die Batterie auf die richtige Temperatur fürs brennern funktioniert diese Ad-hoc-Regelung recht gut, Laden zu bringen, muss die Fahrzeugsteuerung da sich ein Motorblock in wenigen Minuten abkühlen lässt. Die bis zu 700 Kilogramm schweren Batterien in weiter als bisher in die Zukunft schauen.“ E-Fahrzeugen sind allerdings thermisch deutlich träger. „Bei ihnen lässt sich die Temperatur nur sehr langsam Björn Pehnert, Fachprojektleiter Thermomanagement Porsche Engineering Magazin 1/2020 ALGORITHMUS MIT WEITBLICK 45

ert, aktiviert das System mit dem nötigen Vorlauf die Das im Rechner nachgebaute Auto liefert jedoch nur Kühl- oder Heizsysteme an Bord, sodass die Batterie einen Soll-Zustand. In der Realität beeinflussen viele bei Ankunft die perfekte Temperatur für einen schnellen weitere und oft nicht direkt messbare Faktoren das Ladevorgang hat. Für solche komplexen Berechnungen Verhalten eines Fahrzeugs: der Fahrstil, die Zuladung, in Echtzeit waren bis vor Kurzem noch leistungsstarke die Straßenoberfläche, sogar Verschmutzungen an Großrechner nötig. Durch clevere Optimierung läuft die der Karosserie oder die Farbe der Lackierung (bei Software dagegen auf einem normalen Steuergerät. schwarzen Modellen heizt sich der Innenraum stärker auf). Deshalb sorgt ein spezielles Software-Modul Simulation des gesamten Fahrzeugs (Real-time Estimator, RTE) dafür, dass auch diese thermischen Einflüsse berücksichtigt werden. Es ver- Damit die Fahrzeugsteuerung entscheiden kann, 700 gleicht das tatsächliche Verhalten des Fahrzeugs mit wann kühlend oder heizend einzugreifen ist, muss sie der Simulation und passt das Modell so schrittweise zunächst wissen, wie die verschiedenen Komponenten Kilogramm an die Realität an. zusammenspielen. Werden die Zellen zum Beispiel kann eine Batterie im Fahrzeug wiegen. gekühlt, steigt der Stromverbrauch, was wiederum Die Energiespeicher sind Um in die Zukunft blicken zu können, muss das Fahr- Reichweite kostet. Deshalb bildet eine Simulation des thermisch träge und zeug natürlich wissen, wohin die Reise gehen wird. gesamten Fahrzeugs die Basis des Thermomanage- lassen sich nur langsam Doch kaum jemand gibt jedes Ziel ins Navigationsgerät ments: In ihr wird alles – von der Batterie über Antrieb temperieren. ein. Deshalb kann der Fahrer seinem Auto auch einfach und Kühlung bis zur Klimaanlage – mittels Modellen erlauben, die Fahrten zu „lernen“. Es verfolgt dann nachgebildet. Dieser digitale Zwilling verhält sich per GPS die Routen und identifiziert von selbst häufig genau wie ein echtes Fahrzeug. Wird zum Beispiel gefahrene Strecken. Aufgrund dieser Erfahrungswerte die Heizung aufgedreht, lässt sich an der Simulation kann das System später bereits kurz nach dem Start genau ablesen, wie das den Ladezustand der Batterie die vor ihm liegende Fahrt erkennen und intern eine beeinflussen wird. Karte der kommenden Strecke erstellen. Zum Beispiel

Blick in die Zukunft

Der Real-time Estimator (RTE) sagt voraus, welche thermische Last das Fahrzeug in Zukunft (zum Beispiel in 40 Minuten) erzeugen wird. Dazu kombiniert er den aktuellen Zustand des Fahrzeugs, von außen gelieferte Lastvorhersagen und das Modell des Fahrzeugverhaltens. Der MPC Optimizer (Model Predictive Control) steuert das Heiz- und Kühlsystem, wobei er neben den Berechnungen des RTE auch Anforde- rungen an Komfort und Effizienz berücksichtigt (ausgedrückt durch die Kostenfunktion und die Randbedingungen).

Modell des thermischen Kühler Verhaltens Real-time Estimator Real-time Kostenfunktion Kühlmittelkühler MPC Optimizer MPC

Randbedingungen Elektrischer Heizer

Messungen Korrigierte Messungen

Lastvorhersagen Korrigierte Vorhersagen 46 PERFORMANCE UND EXPERTISE

„fünf Kilometer Stadtverkehr gefolgt von 20 Kilometern schon vor dem Erreichen einer Autobahnauffahrt vor- Autobahn mit 120 km/h“. heizen, damit schneller beschleunigt werden kann. Das Besondere am Optimizer ist, dass er seine Prognose Kern des vorausschauenden Thermomanagements alle paar Sekunden neu berechnet und an die Realität ist der Optimizer. Er nimmt die Daten des simulierten anpasst. Zieht sich der Fahrer zum Beispiel die Jacke Fahrzeugs plus die Routeninformationen und berech- aus und schaltet die Heizung herunter, würde der Algo- net daraus die optimale thermische Reaktion des rithmus das bemerken und die Auswirkungen in seiner Autos. Wann muss die Wärmepumpe aktiviert werden, nächsten Prognose berücksichtigen. um die Batterie vorzuheizen? Wann empfiehlt es sich, sie mithilfe von Kühler oder der Klimaanlage auf eine Der ständige Blick in die Zukunft bringt etliche Vorteile: niedrigere Temperatur zu bringen? Wird ein E­Auto beispielsweise überwiegend für kurze Innenstadtfahrten genutzt, lernt das Steuer- Welches Ziel dabei verfolgt wird, legt die sogenannte gerät dieses Muster und kann die Batterietemperatur Kostenfunktion fest. Standardmäßig versucht der über den normalen Korridor hinaus – aber dennoch Algorithmus, sowohl die Ladezeit als auch den Energie­ im sicheren Bereich – ansteigen lassen. Denn es verbrauch zu minimieren. Theoretisch könnte die weiß, dass die Fahrt ohnehin bald zu Ende sein wird Priorität jedoch auch auf Leistung gelegt werden: Das und das Fahrzeug sich beim Parken dann von selbst Thermomanagement würde in diesem Fall die Batterie abkühlt. So würde keine Energie für eine überflüssige

Genau im optimalen Temperaturbereich

Die schwarze Kurve zeigt, wie sich die Temperatur der Batterie im Lauf der Zeit entwickelt. Bei der Ankunft an der Ladesäule ist sie dank des prädiktiven Thermomanagements genau im optimalen Bereich, der zwischen 25 und 30 °C liegt. So kann die Batterie mit der maximalen Leistung in nur wenigen Minuten aufgeladen werden.

Temperatur in °C

40

Temperaturverlauf in der Batterie

30

20

Erlaubter Temperaturkorridor Immer im Korridor: Auch während der Fahrt muss die

10 Batterie in einem bestimmten Tempe- raturbereich sein. Er hängt vor allem davon ab, ob das Fahrzeug auf der Autobahn, 0 über Land oder in der Stadt unterwegs ist.

0 500 1000 1500 2000 2500 3000 Zeit in s Porsche Engineering Magazin 1/2020 ALGORITHMUS MIT WEITBLICK 47

beispielsweise mit Look­up­Tables, in denen diskrete Werte stehen, etwa über den Zusammenhang zwi­ „Wir haben das Beste aus der schen Temperatur und Batteriewiderstand. Das spart Rechenzeit. „Zudem mussten wir ein robustes System akademischen und automobilen Welt schaffen, das niemals versagt“, ergänzt Professor Kvasnica. „Alle paar Sekunden eine komplett neue zusammengebracht.“ Prognose zu erstellen bedeutet bei durchschnittlicher Fahrleistung mehrere Hunderttausend Vorhersagen Prof. Michal Kvasnica, Technische Universität Prag pro Jahr – und jede muss stimmen.“

Die Entwicklung der Prognose­Software stellte Schritt eins dar. Der zweite bestand darin, die neue Technolo­ gie erlebbar zu machen und in einem Prototyp zu im­ plementieren. „Wir mussten eine Lösung finden, die mit Kühlung verschwendet werden. Vorausschauendes existierenden Steuergeräten funktioniert, ohne weitere Thermomanagement kann dadurch nicht nur das Laden Unterstützung durch einen Zulieferer“, sagt David verkürzen, sondern auch die Reichweite des Fahrzeugs Kuhn, Entwicklung Gesamtfahrzeug Thermomanage­ verbessern. „10 bis 30 Prozent Energieeinsparung sind ment bei Porsche Engineering. Der Code wurde zu­ theoretisch möglich“, sagt Ondrej Holub, der ein Team nächst an die Fahrzeugarchitektur angepasst, danach der Softwareentwicklung bei Porsche Engineering in in einem Demonstrator­Fahrzeug vom Typ Porsche Prag leitet. Taycan getestet und kalibriert. Dabei wählten die Entwickler realitätsnahe Fahrten aus, also zum Beispiel Rechenintensive Methode fürs Steuergerät durch die Stadt, über Landstraßen oder die Autobahn, inklusive Stau. Es wäre sinnlos, ein solches System auf Mathematisch handelt es sich bei der Temperatur­ einer Teststrecke zu erproben. Denn dort geschieht steuerung um eine modellbasierte prädiktive Regelung nur wenig Unvorhersehbares, was in einer Prognose (Model Predictive Control, MPC). Sie kommt überall berücksichtigt werden müsste. Nach sechs Monaten dort zum Einsatz, wo viele Faktoren auf ein System war die Umsetzung geschafft. Spürt der Fahrer etwas einwirken und kommende Ereignisse berücksich­ vom Eingreifen der Software? „Nein, und genau das ist tigt werden müssen. Die Ölindustrie nutzt MPC zum das Ziel“, so Kuhn. „Es geht darum, die Erwartungen Beispiel, um Raffinerien zu steuern. Allerdings hat die des Kunden zu jedem Zeitpunkt zu erfüllen.“ Methode auch einen Nachteil: Sie ist sehr rechenin­ tensiv. „Traditionell laufen solche Optimierungen auf Mittlerweile ist das Projekt abgeschlossen. Die extrem leistungsfähigen Computern“, erklärt Professor Konzeptstudie hat gezeigt, dass das prädiktive Michal Kvasnica von der Tschechischen Technischen Thermomanagement ein hohes Potenzial für die Universität Prag, der mit seinem Team den Kern des Serienentwicklung hat und in Zukunft in ein Kunden­ Prognose­ Codes entwickelt hat. fahrzeug eingebaut werden kann. Wobei „eingebaut“ eigentlich das falsche Wort ist. Denn es handelt sich Die größte Herausforderung für die Mathematiker um eine typische Innovation des 21. Jahrhunderts, bestand darin, das hochkomplexe Optimierungspro­ die nur aus Code besteht, nicht aus Hardware – allein gramm so zu verändern, dass das Steuergerät eines ein Algorithmus bringt hier den Fortschritt, in diesem normalen Autos die Berechnungen stemmen kann. Fall bis zu 30 Prozent weniger Energieverbrauch. Dafür waren einige Kniffe nötig, weil dort in der Regel Das Fazit von Mathematiker Kvasnica: „Wir haben das weniger Rechenleistung als in einem Smartphone Beste aus der akademischen und automobilen Welt zur Verfügung steht. Darum arbeitet das Programm zusammengebracht.“

Durch prädiktive Optimierung sind ZUSAMMENGEFASST

Was bisher nur auf Großrechnern möglich war, lässt sich jetzt auch mit einem Steuergerät realisieren: Eine Software, die während der Fahrt in die Zukunft blickt und die Batterie in 10 bis 30 % einem E­Fahrzeug pünktlich zur Ankunft an der Ladesäule optimal temperiert. Testfahrten belegen, dass die Lösung Energieeinsparung im Thermomanagement möglich. großes Potenzial für die Serienentwicklung hat. 48 PERFORMANCE UND EXPERTISE

Permanenter Gesundheitscheck

Text: Christian Buck Mitwirkende: Jiří Valtr, Dr. Joachim Schaper

Porsche Engineering hat eine neue Methode entwickelt, den aktuellen Innenwiderstand von Fahrzeugbatterien zu bestimmen. Von dem KI-basierten Ansatz profitieren Fahrer und OEMs gleichermaßen.

Wegen ihrer hohen Energie- und Leistungs- einem bestimmten Ladestand sehr präzise abschät- dichte sind Lithium-Ionen-Batterien derzeit erste Wahl zen“, erklärt Dr. Joachim Schaper, KI-Experte bei als Energiespeicher für Elektrofahrzeuge. Allerdings Porsche Engineering. „Aber auch die Fahrzeughersteller verändern sich ihre Eigenschaften im Laufe eines können aus der Alterung der Batterien wichtige Infor- Fahrzeuglebens: Durch Alterung verringern sich die mationen ableiten, zum Beispiel die maximal abrufbare Speicherkapazität und die maximal abrufbare Leistung. Leistung oder technische Auffälligkeiten, die einen Diese Effekte kennt man auch aus anderen Anwendun- Werkstattbesuch nötig machen.“ Gesucht ist darum gen, zum Beispiel in Smartphones oder Notebooks. Sie eine Methode, die möglichst zuverlässig Auskunft über sind Folge der chemischen Prozesse in den Batterien den Zustand einer Batterie gibt. und prinzipiell nicht zu vermeiden (siehe den Kasten zur Alterung von Batterien auf Seite 51). Der wichtigste Indikator dafür ist ihr Innenwiderstand. Er steigt wegen der irreversiblen Veränderungen inner- Für die Fahrer von Elektrofahrzeugen ist der aktuelle halb des Energiespeichers während der Lebensdauer Zustand der Batterie eine wichtige Information. „Mit kontinuierlich an, weswegen der aktuelle Wert ein seiner Hilfe lässt sich die verbleibende Reichweite bei guter Gradmesser für den „Gesundheitszustand“ der Porsche Engineering Magazin 1/2020 PERMANENTER GESUNDHEITSCHECK 49

Blicke ins Innenleben: Röntgenstrahlen zeigen, was in Batterien steckt. KI findet heraus, wie es den Energiespeichern geht. 50 PERFORMANCE UND EXPERTISE

Batterie ist. Allerdings lässt er sich nicht direkt bestim- men und muss aus verschiedenen Messwerten berech- net werden. Dafür kommen in den Batterien Sensoren zum Einsatz, die in kurzen Abständen regelmäßig die Stromstärke, die Spannung einzelner Batteriezellen und die Temperatur von Zellgruppen ermitteln.

Ihre Messwerte werden genutzt, um mithilfe einer elektrischen Ersatzschaltung den aktuellen Zustand der Batterie zu berechnen. Das Verhalten des Energie- „Wir wollten das herkömmliche speichers wird dabei durch den Innenwiderstand Modell durch einen fortschrittlicheren und die Batteriekapazität sowie zwei Kombinationen von Widerständen und Kondensatoren (RC-Glieder) Ansatz zur Bestimmung des modelliert. „Während der Fahrt ändert sich der Strom- Innenwiderstandes ersetzen.“ verbrauch immer wieder, etwa wenn der Fahrer aufs Gaspedal tritt. Das führt zu Sprüngen bei den gemes- Jiří Valtr, senen Werten von Strom und Spannung. Aus diesen Porsche Engineering Prag

Ersatzschaltbild der Batterie Sprüngen können wir den Innenwiderstand der Batterie berechnen“, erklärt Jiří Valtr von Porsche Engineering Reale Batterien lassen sich als Kombination einer idealen Spannungsquelle mit Widerständen Prag. „Dabei gilt: Je höher die Spannungssprünge (R) und Kondensatoren (C) modellieren. So kann man ihr Verhalten unter statischer und aufgrund eines gegebenen Stromsprungs sind, desto dynamischer Belastung beschreiben – etwa den Spannungsrückgang bei Stromanstieg. höher ist der Innenwiderstand.“

Die konventionelle Methode hat allerdings einige Nach- U teile: Die Werte der Widerstände und Kondensatoren C OCV im Ersatzschaltbild sind keine Konstanten, sondern n hängen von der Temperatur und vom Ladezustand der Batterie (State of Charge, SoC) ab. Und selbst wenn man all diese Einflüsse berücksichtigt, repräsentiert R U 0 RO das Modell den wirklichen Zustand der Batterie immer noch nicht präzise genug. „Ursachen dafür sind unter anderem Nichtlinearitäten bei niedrigen Tempera- turen. Dann verhält sich die Batterie nicht wie ein herkömmlicher elektrischer Widerstand“, erklärt Valtr. „Darum wollten wir das herkömmliche Modell durch einen fortschrittlicheren Ansatz zur Bestimmung des R1 C1 U RC1 Innenwiderstandes ersetzen.“ Er gehört zu einem UBatt Team, das seit 2012 bei Porsche Engineering Prag die Batterie-Management-Software entwickelt. So konnten die Experten ihre Arbeit auf profunde Kennt- nisse und jahrelange Erfahrungen aus der Entwicklung von Seriensoftware stützen, die vom gesamten VW- R C U Konzern genutzt wird. 2 2 RC2 Dabei setzen die Entwickler auf Künstliche Intelligenz (KI). Zuerst messen sie den Innenwiderstand der Batterie unter bestimmten Randbedingungen auf dem Prüfstand. Zusätzlich wird während realer Fahrten mit maschinellem Lernen ein Korrekturfaktor ermittelt, der die Berechnung des Innenwiderstandes der Batterie Cn repräsentiert die Kapazität der Batterie, R0 ihren Innenwiderstand. UBatt ist die an den Anschlüssen gemessene Spannung, UOCV gibt die Spannung ohne Belastung deutlich präziser macht, indem unter anderem äußere (Open Circuit Voltage, OCV) an, den Spannungsabfall am Innenwiderstand. UR0 URC1 Einflüsse wie Temperatur und Ladezustand berück- und hängen vom Verlauf des Stromflusses ab (mit verschiedenen Zeitskalen). URC2 sichtigt werden. Die Daten für die Berechnung des Korrekturfaktors stammen aus verschiedenen Quellen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 PERMANENTER GESUNDHEITSCHECK 51

Alterungsprozesse in Batterien

Bei der Alterung von Batterien über- Dabei spielt die Entladungstiefe hohe Ströme die zyklische Alterung, lagern sich zwei Effekte: diekalenda - (Depth of Discharge, DoD) eine wich- wobei sich hohe Ladeströme deutlich rische und die zyklische Alterung. Die tige Rolle. Sie gibt das Verhältnis von schneller auf die zyklische Alterung kalendarische Alterung hängt nicht genutzter Energie zur Gesamtbatte- auswirken als hohe Entladeströme. von der Nutzung ab und beschränkt rieenergie an. Ein DoD von 80 Prozent Beim Schnellladen mit hohen Strö die mögliche Lebensdauer des Ener bedeutet beispielsweise, dass nur - - men können ungewollte chemische giespeichers grundsätzlich – auch 80 Prozent der Gesamtenergie ge - Nebenreaktionen in den Batterie­ ohne Belastung. Sie hängt vor allem nutzt werden. Je höher der DoD, desto zellen in Gang gesetzt werden: vom Ladezustand (State of Charge, schneller altert die Batterie. Dabei Metallisches Lithium kann sich auf SoC) und der Lagertemperatur ab. müssen auch die Ladezustandsgren - der Anodenoberfläche absetzen DoD zen betrachtet werden. Ein DoD von Je höher die Batterie aufgeladen ist, (Lithium­ Plating). Das metallische Die Entladungstiefe (Depth of 80 Prozent kann durch eine Ladung desto schneller nimmt ihre Kapazität Lithium reagiert mit dem Elektro­ Discharge) gibt das Verhält- von 20 Prozent SoC auf 100 Prozent ab. Hohe Temperaturen lyten und bildet neue Deckschichten nis von genutzter Energie zur beschleu- SoC erzielt werden. nigen die kalendarische Alterung aus, wodurch weitere Lithium­ Ionen Gesamtbatterieenergie an. Aber auch eine Ladung von 10 Pro ebenfalls. Hier gilt: Eine Erhöhung der - verbraucht werden. Somit stehen zent auf 90 Prozent SoC ergibt einen Temperatur um 10 Kelvin verdoppelt weniger Lithium­Ionen für die Energie­ DoD von 80 Prozent. Generell führt ungefähr die Alterungsgeschwindig­ speicherung zur Verfügung, was zu ein höherer SoC zu einer stärkeren keit ihrer elektrochemischen Kom einem irreversiblen Kapazitätsverlust - zyklischen Alterung. ponenten. führt. Um solche Nebenreaktionen 10 Kelvin Auch die Stromraten (C-Raten) zu vermeiden, werden spezielle Beim Betrieb von Batterien wird die Temperaturerhöhung haben einen großen Einfluss auf die Schnellladeprofile entwickelt, die kalendarische Alterung zusätzlich von verdoppeln ungefähr zyklische Alterung. Grundsätzlich be auf die jeweilige Batteriezelle exakt der zyklischen Alterung überlagert. - die kalendarische Alterung schleunigen hohe C­Raten und damit angepasst sind. von Batterien.

Eine davon sind Langzeit­Prüfstandmessungen des Noch umfassendere Informationen über den Gesund- Innenwiderstandes unter verschiedenen Umge- heitszustand der Batterie lassen sich durch Auswer- bungsbedingungen wie Temperatur, Fahrzyklus und tungen in der Cloud gewinnen, weil hier die Rechen- Ladeverhalten. Weiteren wertvollen Input liefern unter kapazität praktisch unbegrenzt ist. Fahrzeughersteller anderem Daten einer Testfahrzeugflotte. „In all diesen können dort beispielsweise Temperaturverläufe in Daten sind auch Einflüsse enthalten, die wir bisher den Batterien auswerten und daraus den Zustand nicht berücksichtigen konnten“, sagt Valtr. „Dazu ganzer Fahrzeugflotten ableiten. „Aus diesen Analysen gehören unter anderem die Außentemperatur, die Zahl können die OEMs neue Zusammenhänge erkennen“, der bereits durchgeführten Lade­ und Entladezyklen so Schaper. „Interessant ist unter anderem die Frage, sowie der Fahrstil.“ welche Faktoren die Alterung einer Batterie bestim- KI men. Das kann die Fahrweise des Kunden sein, aber Genauere Prognosen zur Restreichweite kann auch Einflüsse wie auch an Problemen der Ladesoftware oder am Zell­ Temperatur oder Fahrstil Lieferanten liegen.“ Ziel ist es letztlich, mit den Daten- Das neue Verfahren liefert Fahrzeugbesitzern genauere berücksichtigen, die analysen künftige ­E Fahrzeuge weiter zu verbessern. Prognosen über die Restreichweite, wobei das System bisher nicht in die Berech- mit der Zeit immer mehr dazulernt und beispiels nung des Innenwiderstandes Der neue Ansatz zur Berechnung des Innenwiderstan - eingegangen sind. - weise auch den persönlichen Fahrstil des Besitzers des von Batterien ist bereits weit fortgeschritten. Die zunehmend besser berücksichtigen kann. Außerdem Entwickler können mithilfe des maschinellen Lernens ermöglicht es eine Ladestrategie, die an den Gesund- aus Prüfstanddaten, aus Daten von Testfahrzeugen heitszustand der Batterie angepasst ist: Falls der Ener- sowie aus den Protokolldateien von Kundenfahrzeugen giespeicher bereits deutliche Alterungserscheinungen bereits Modelle für den Alterungsprozess erstellen. zeigen sollte, kann man ihn mit besonders sachtem Die Cloud­Lösung ist derzeit in Arbeit. Kunden dürften Aufladen schonen. Das neue Verfahren ist auf die be- in etwa zwei Jahren von der neuen Reichweitenbe- grenzte Rechenkapazität der Steuergeräte in Fahrzeu- rechnung profitieren, die dann schrittweise in diverse gen zugeschnitten und zum Patent angemeldet. Fahrzeugmodelle integriert werden soll. 52 AUSKUNFT

Senkrechtstarter: Firmengründer Mate Rimac an der Öffnung einer Autoklave, in der sein Unternehmen Komponenten aus Verbundfaserwerkstoffen herstellt.

Verrückt nach Autos Mate Rimac ist seit seiner Kindheit mit dem PS-Virus infiziert. Heute leitet er Rimac Automobili, den einzigen Automobilhersteller in seiner Heimat Kroatien. Porsche Engineering Magazin 1/2020 UNTER STROM 53

Unter Strom

Text: Christian Buck Fotos: Alexander Babic

Mate Rimac baut in Kroatien elektrisch angetriebene Supersportwagen und hat sich als Zulieferer von zuverlässigen und leistungsstarken Batteriesystemen für OEMs etabliert. Auch Porsche hat in Rimac Automobili investiert und arbeitet mit dem Unternehmen im Bereich der Batterietechnologie zusammen.

ein Lebensweg war bereits früh vor- Drehmoment und eine Beschleunigung von 0 auf gezeichnet. „Ich war schon immer verrückt nach Autos, 100 km/h in 2,5 Sekunden aufweist. Seine Höchst- Snoch bevor ich laufen oder sprechen konnte“, erinnert geschwindigkeit liegt bei 355 km/h. Auf dem Genfer sich Mate Rimac. „Ich weiß nicht, woher das kommt. Auto-Salon 2018 präsentierte Rimac Automobili den Mit meiner Familie hat es jedenfalls nichts zu tun.“ Nachfolger „C_Two“, der mit vier Elektromotoren – Aber ganz egal, wann und wie der 32-Jährige mit dem einem pro Rad – mehr als 1.900 PS und 2.300 Nm auf PS-Virus infiziert wurde, seit seiner Kindheit drehte die Straße bringt. Mit Rennreifen schafft er den Sprint sich bei ihm fast alles um Autos. Inzwischen hat Mate von 0 auf 100 km/h in weniger als zwei Sekunden. Rimac seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Seit Bei maximal 412 km/h bleibt die Tachonadel dank der 2009 leitet er Rimac Automobili, den einzigen Auto- elektronischen Abregelung stehen. 150 Stück des zwei mobilhersteller seines Heimatlandes Kroatien mit Sitz Millionen Euro teuren Elektro-Sportwagens will das in Sveta Nedelja nahe der Hauptstadt Zagreb. Porsche Unternehmen bauen. ist seit 2018 an dem Unternehmen beteiligt. Die Prototypen Nummer vier und fünf des C_Two Rimacs Spezialität sind elektrisch angetriebene stehen in der Werkstatt, wo sich Rimac-Techniker ge- Supersportwagen, von denen zwei Exemplare in der rade an ihrer Elektronik zu schaffen machen. Im Gang Empfangshalle des Unternehmens stehen. Sie gehören lagert das schwarze, 198 Kilogramm leichte Carbon- zu den nur acht Stück des ersten Modells „Concept_ Monocoque für ein weiteres Exemplar, nur wenige One“, das mehr als 1.200 PS Leistung, 1.600 Nm Schritte von den beiden großen Autoklaven entfernt. 54 AUSKUNFT

In den zylinderförmigen Öfen stellt das Unternehmen alle Komponenten aus Verbundfaserwerkstoffen bei Temperaturen von bis zu 350 °C selbst her. Schräg gegenüber sind Rimac-Mitarbeiterinnen gerade dabei, in Handarbeit CFK-Matten Lage für Lage in Formen aufeinanderzuschichten. Rund 2.000 Stunden Arbeit stecken in jedem Auto.

Mit Handarbeit zum Erfolg

Am Anfang der Rimac-Erfolgsstory stand ebenfalls eine Menge Handarbeit. Als 18-Jähriger kaufte sich der junge PS-Liebhaber einen 3er BMW, der 1984 vom Band gerollt und somit vier Jahre älter war als er. Doch schon beim zweiten Drifting-Rennen platzte der bereits in die Jahre gekommene Motor durch die Überlastung. So kam der passionierte Elektronik-Bastler auf die Idee, es mit einem elektrischen Antriebsstrang zu versu- chen. Mit dem E-Motor aus einem Gabelstapler und alten Batterien trat er wieder an und erntete zuerst nur Spott. „Kann ich mit deinem Auto mein Handy laden?“, lautete nur eine der ironischen Fragen von damals.

Aber Rimac war ausdauernd und zeigte es schließlich den Skeptikern. Nach vielen Umbauten schlug er mit seinem elektrifizierten BMW die Konkurrenten mit Verbrennungsmotor und stellte mit dem Oldtimer 2011 gleich fünf FIA-Beschleunigungsweltrekorde auf. Kein Wunder: Dank technischer Verbesserungen hatte das Auto mittlerweile 600 PS Leistung, 900 Nm Drehmoment und konnte in 3,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen. Die extremen Leistungs- werte in Kombination mit der grünen Lackfarbe brach- ten dem BMW den Spitznamen „Grünes Monster“ ein. Beim Rundgang über das Firmengelände sucht man ihn allerdings vergebens. „Der BMW muss restauriert werden, weil ein Freund damit vor einigen Jahren gegen eine Wand gefahren und das Auto darum stark beschä- digt ist“, sagt Rimac.

Ebenfalls stark mitgenommen ist ein Batteriesystem, das in einer Vitrine auf dem Firmengelände ausge- stellt ist. Es musste bei einem Test zwei Minuten im Feuer überstehen und beweisen, dass es auch dieser Extrembelastung standhält. Solche zuverlässigen und leistungsfähigen elektrischen Energiespeicher und ihre Elektronik sind eine Spezialität von Rimac Automobili. Sie werden ebenfalls selbst entwickelt und produ- ziert, einige Kilometer vom Hauptsitz in Sveta Nedelja entfernt und sorgfältig abgeschirmt von neugierigen Blicken. Denn dort entstehen nicht nur Bauteile für den eigenen Bedarf.

„Wir machen 80 Prozent unseres Umsatzes mit dem Verkauf von Komponenten“, erklärt Rimac. „Unsere eigenen Autos sind dafür die besten Aushängeschilder und die perfekte Spielwiese für neue Technologien.“ Zum Zulieferer wurde er aus der Not heraus. Nach seiner Gründung stand das junge Unternehmen Porsche Engineering Magazin 1/2020 UNTER STROM 55

Firmensitz

Sveta Nedelja ist eine Kleinstadt mit rund 18.000 Einwohnern, die etwa 17 Kilometer vom Stadtzentrum der kroatischen Hauptstadt Zagreb entfernt liegt.

Schmiede elektrischer Supersportwagen: Derzeit bauen und testen die Mitarbeiter von Rimac Automobili die Prototypen des neuen Modells C_Two, dessen Monocoque aus Carbon besteht und nur 198 Kilogramm wiegt. Alle Komponenten stellt das Unternehmen selbst her, einen großen Teil davon in aufwendiger Handarbeit. Im Showroom können Besucher die Rennwagen und High-End-E-Bikes der Rimac-Schwestermarke „Greyp“ besichtigen. 56 AUSKUNFT

„Wir wissen, wie man viel Leistung auf wenig Raum unterbringen kann.“

Mate Rimac

Rimac Automobili hat 650 Mitarbeiter.

Die Porsche AG hält 15,5 %

der Rimac-Anteile.

Erfolgreicher Unternehmer: Nur wenigen ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, einen neuen Automobilhersteller zu etablieren. Mate Rimac ist einer davon – dank seiner Erfahrungen als Komponentenlieferant. Seine eigenen Produkte wie der C_Two (unten ein Windkanalmodell) dienen ihm als Aushängeschilder. Porsche Engineering Magazin 1/2020 UNTER STROM 57

ständig vor dem finanziellen Aus. „Uns wurde der mehr, sondern bloßes Mittel zum Zweck. Und warum Strom abgeschaltet, und ich wusste nicht, wie ich Rimac sollten sie monatelang fahren lernen, wenn autonome die Löhne bezahlen sollte“, erinnert sich Rimac. „In Fahrzeuge bald viel sicherer und effizienter unterwegs dieser Zeit bin ich schnell erwachsen geworden.“ Kurz Meilensteine einer sein werden? Heute verursachen Unfälle noch mehr als bevor seine letzten Reserven erschöpft waren, fuhr er Erfolgsgeschichte eine Million Tote weltweit und große volkswirtschaft­ 2011 nach Frankfurt am Main auf die Internationale liche Schäden – unter anderem, weil Menschen nur mit Automobilausstellung (IAA), um sein erstes eigenes 1988 ,zwei schlechten Kameras‘ ausgestattet sind. Auto- Auto vorzustellen – und kam mit seinem ersten Auftrag Mate Rimac nome Fahrzeuge haben nicht nur bessere Kameras, als Zulieferer zurück. Ein Kunde wollte ein Elektroauto kommt in Livno im sondern auch Radar­ und Lidar­Sensoren. Darum wird bauen und bat Rimac um Unterstützung. „Das war ehemaligen Jugoslawien der Computer der bessere Fahrer sein.“ zur Welt. mein Weg, zu überleben und meine damals sechs Mit- arbeiter zu bezahlen, denn nun waren sofort Umsätze In der Mobilitätswelt der Zukunft sind da.“ Danach wurden es immer mehr Projekte, darunter 2009 Privatautos etwas für Liebhaber ganze elektrische Antriebssysteme und Prototypen für Rimac Automobili Zulieferer und Technologieunternehmen. wird gegründet. Zuvor In Rimacs Zukunftsvision werden darum die meisten hatte Mate Rimac Menschen in autonomen und vorwiegend elekt- Für Mate Rimac war der Schwenk zum Komponenten­ einen BMW E30 (Bau- risch betriebenen Fahrzeugen von Carsharing­ oder lieferanten aber nicht nur die Rettung aus einer akuten jahr 1984) zu einem Ride­Hailing­Anbietern unterwegs sein. „Natürlich E­Fahrzeug umgebaut. Er finanziellen Notlage: „Ohne diese Erfahrungen mit heißt „Grünes Monster“. wird es auch dann noch Autos im Privatbesitz geben, Kunden wären wir wahrscheinlich in die falsche Rich- aber sie werden so sein wie Pferde heute: etwas für tung gelaufen, hätten das Geld von Investoren einfach Liebhaber. Autos sind die Rennpferde von morgen.“ verbrannt und wären heute wohl tot. Stattdessen 2011 Kunden der Automobilindustrie wären in der neuen haben wir ein Team und Kompetenzen aufgebaut und Rekordjahr und Mobilitätswelt dann keine Privatpersonen mehr, uns einen Namen als zuverlässige Technologiefirma Concept_One sondern Flottenbetreiber mit ganz klaren Anforderun- gemacht.“ So schaffte Rimac ein höchst seltenes Das „Grüne Monster“ gen an die Fahrzeuge – gewonnen aus den riesigen Kunststück: Er gründete einen erfolgreichen neuen stellt am 17. April Datenmengen, die beim täglichen Betrieb anfallen. Sie fünf Weltrekorde auf, Automobilhersteller, der inzwischen rund 650 Mitar- unter anderem über einen werden unter anderem Informationen über die Nut- beiter beschäftigt. zungsgewohnheiten oder das Verhalten der Passagiere Kilometer (23,26 Se- kunden) und eine Meile während der Fahrt liefern, woraus sich wiederum die Seine Expertise auf dem Gebiet elektrischer Antriebe (35,35 Sekunden). geforderten Reichweiten oder Ausstattungsmerkmale hat nicht nur Kunden aus aller Welt, sondern auch Auf der IAA wird das erste ableiten lassen. Investoren nach Kroatien gelockt. So hat Porsche Modell Concept_One beispielsweise seinen Anteil nach dem Einstieg im Jahr vorgestellt. Sein eigenes Unternehmen sieht Rimac gut aufgestellt 2018 mittlerweile auf 15,5 Prozent erhöht. „Uns war für die Zukunft. „Wir wissen, wie man viel Leistung auf schnell klar, dass Porsche und Rimac viel voneinander 2018 wenig Raum unterbringen kann. Darum kommen alle zu lernen können“, sagt Lutz Meschke, stellvertretender C_Two uns, die ein E­Fahrzeug oder einen Hybriden mit hoher Vorstandsvorsitzender und Vorstand Finanzen und IT Auf dem Genfer Performance bauen wollen. Wir können aber auch elek- der Porsche AG. „Wir sind von Mate Rimac und seiner Auto­Salon präsentiert trischen Fahrspaß in den Massenmarkt bringen.“ Mit Firma überzeugt, deshalb haben wir jetzt unsere Rimac Automobili dem autonomen Fahren befassen sich die Ingenieure den Supersportwagen Anteile erhöht und bauen unsere Zusammenarbeit im in Kroatien ebenfalls, wenn auch für eine sehr spezielle C_Two. Bereich der Batterietechnologie aus.“ Nische: Der modifizierte C_Two wird einen computer­ gestützten „Driver Coach“ enthalten, der seinem Besit- Dass batterieelektrischen Antrieben die Zukunft gehört, zer dabei helfen soll, bei 300 km/h auf der Rennstrecke steht für Mate Rimac fest: „Brennstoffzellen sind keine ein besserer Fahrer zu werden. „Fahrspaß und autono- Alternative, weil man für die Produktion von Wasser- mes Fahren verbinden“, nennt Mate Rimac das. stoff sehr viel Energie braucht. Sie bieten höchstens in wenigen Nischen Vorteile, etwa für Busse oder Lkws.“ Für die etablierten OEMs und Zulieferer sieht er durch den neuen Antrieb keine Gefahr heraufziehen: „Früher hat man Verbrennungsmotoren in die Autos eingebaut, ZUSAMMENGEFASST in Zukunft werden es eben ­E Motoren sein. Das macht zunächst keinen großen Unterschied.“ Rimac Automobili ist ein etablierter Hersteller von elektrisch angetriebenen Supersportwagen und Zulieferer von leistungs­ starken Batteriesystemen für OEMs weltweit. Gründer Mate Ein wesentlich größerer Umbruch komme durch das Rimac stellte mit einem auf E­Antrieb umgerüsteten BMW di- veränderte Nutzerverhalten auf die Branche zu. „Für verse Weltrekorde auf und glaubt, dass in Zukunft die meisten junge Menschen ist das Auto kein Statussymbol Menschen in autonomen E­Autos unterwegs sein werden. 58 PORSCHE UND PRODUKT Porsche Engineering Magazin 1/2020 VON DER BOXENGASSE INS AUTOHAUS 59

Von der Boxengasse ins Autohaus

Technische Innovationen aus dem Rennsport fließen bei Porsche seit jeher in die Serienentwicklung ein. Das gilt jetzt auch für die Formel E, in der seit letztem Jahr das TAG Heuer Porsche Formel-E-Team startet.

Text: Constantin Gillies

Mitwirkende: Christian Wiedenbrügge, Martin Füchtner 60 PORSCHE UND PRODUKT D as Ambiente erinnert an ein Raumschiff: weiße Wände, klinisch sauberer Boden, helles Neon- licht. Orangefarbene Kabel schlängeln sich zu einer Maschine in der Mitte des Raumes. Die Warnfarbe hat ihren Grund: Die Leitungen führen 800 Volt Spannung. Denn hier im Hochvoltverbundprüfstand im Porsche Entwicklungszentrum Weissach werden Elektro- motoren getestet. Aktuell steht ein ganz beson- deres Exemplar auf dem Prüfstand: der Motor des Porsche 99X Electric. Er treibt den Rennwagen an, mit dem Porsche seit letztem Jahr in der Formel E startet. Die E- Maschine beschleunigt den schwarz-weiß-roten Rennwagen in nur 2,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h.

Auf dem Prüfstand wollen die Ingenieure den Wirkungs­ grad des Antriebs weiter optimieren. Dafür muss er zahllose Runden auf einer virtuellen Rennstrecke drehen, wobei er den gleichen Beschleunigungs- und Brems- vorgängen wie im realen Betrieb ausgesetzt wird. Die Tests sollen jedoch nicht nur dabei helfen, den Renn- wagen aufs Podium zu bringen. Porsche will langfristig auch möglichst viele Innovationen aus dem Rennsport in Serienfahrzeugen einsetzen. „Wir haben den Auftrag, Rennen zu gewinnen. Aber es geht auch immer darum, den Weg zur Serie zu ebnen“, erklärt Martin Füchtner, Leiter Entwicklung Hochvoltantriebe, Motorsport. Wechselwirkung: Mit dem Porsche Taycan Turbo S (links) und dem Porsche 99X Electric Die E-Mobilität als Ganzes voranbringen – dieses Ziel wird der Technologietransfer zwischen Rennsport und Serie bei Porsche weitergehen. verfolgen auch die Veranstalter der Formel E. Die Renn- serie soll kein isoliertes Technikreservat sein, sondern auch ein Ansporn für Serieninnovationen. Deshalb gel- Taycan Turbo S die dazugehörigen Fahrwerksteile an der Hinterachse ten hier völlig andere Gesetze als bei den Verbrennern. Stromverbrauch sowie Kühlsystem und Steuergerät. So müssen die Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Renn- kombiniert: Teams weniger Teile selbst entwickeln, wovon weni- 26,9 kWh/100 km ställe größtenteils identische Fahrzeuge verwenden CO₂­Emissionen kombiniert: ger kapitalstarke Teilnehmer profitieren. Außerdem müssen. Die Formel E stellt das Fahrzeugchassis und 0 g/km konzentrieren sich die Ingenieure auf den eigentlichen Effizienzklasse: die Einheitsbatterie. Sämtliche Antriebskomponenten Deutschland: A+ Elektroantrieb, anstatt viel Geld in kostspielige Neben- sind dagegen Eigenentwicklungen. Dazu gehören Elek- Schweiz: B schauplätze wie die Aerodynamik zu investieren. tromotor, Umrichter, Brake­by­Wire ­ System, Getriebe, Differenzial, Antriebswellen, die tragende Struktur und Seinen Auftrag umreißt ­E Antriebsexperte Füchtner so: „Wir müssen die Grenzen des technisch Machbaren austesten.“ Zwei Bauteile stehen dabei momentan ganz besonders im Fokus: E­Maschine und Umrichter. Die E-Maschine wandelt Wechselstrom in Dreh- moment um, welches zum Antrieb des Fahrzeugs zur Verfügung steht. Es gilt interne Wirbelstrom­ und Leitungsverluste zu minimieren und ein minimales Bauteilgewicht zu erzielen. Dabei kommt dem Team die bereits zu Zeiten des Le­Mans­ Prototypen (LMP) begonnene Grundlagenforschung zugute, die neue Maschinentopologien und Werkstoffe hervorgebracht „Wir haben den Auftrag, Rennen zu hat. „Es ist faszinierend zu sehen, welchen immensen Technologiesprung wir in den letzten Jahren geschafft gewinnen. Aber es geht auch immer darum, haben – heute bietet ein Antrieb mit kaum fünf Litern den Weg zur Serie zu ebnen.“ Volumen bereits Antriebsleistungen eines ausge­ wachsenen Sportwagenmotors. Und das bei kaum Martin Füchtner, Leiter Entwicklung Hochvoltantriebe, Motorsport für möglich gehaltenen Wirkungsgraden.“ Porsche Engineering Magazin 1/2020 VON DER BOXENGASSE INS AUTOHAUS 61

„Ein Großteil der Taycan- Mannschaft stammt aus dem Team, das vorher den 918 Spyder entwickelt hat."

Christian Wiedenbrügge, Teamleiter Software und Applikation

wöhnlich hohen Wirkungsgrad erreicht“, freut sich Füchtner. Bei der Weiterentwicklung von Umrichter und Maschine profitiert das Team von seinen en- gen Verbindungen zur Forschung. Viele Mitarbeiter kommen frisch von der Uni und bringen das neueste Wissen mit. „Ich staune immer, wie versiert sie mit hochkomplexen Themen umgehen“, lobt Füchtner.

Was die jungen Talente anzieht, ist unter anderem die flache Hierarchie im Werksteam. Man kann viel expe- rimentieren, schnell umsetzen und produktive Fehler machen. Gleichzeitig müssen sich die jungen Ingenieure Doch es reicht nicht, nur eine Komponente zu op- keine Gedanken über Gewährleistung und die zeitlichen timieren – das Zusammenspiel des Triebstrangs ist Vorläufe in der industriellen Umsetzung machen. Nur entscheidend. So kann es sinnvoll sein, Wirkungs- in einer solchen Kultur sei es möglich, in kurzer Zeit gradeinbußen bei der E-Maschine in Kauf zu nehmen, große technologische Sprünge zu machen, ist Füchtner um beim Umrichter mehr zu gewinnen. Oder umge- überzeugt: „Wir haben Start-up-Charakter.“ kehrt. Was zählt, ist das Gesamtergebnis. Der Umrich- ter ist der Partner der E-Maschine und wandelt den Entscheidung für 800 Volt unterstützt Gleichstrom der Batterie in Wechselstrom um. Dafür ist ein Halbleiterbauelement zuständig, das viele Tausend Von den Innovationen aus dem Rennsport profitiert Mal pro Sekunde umschaltet und bei jedem Schalt- regelmäßig auch die Serienentwicklung (siehe Kasten vorgang kleine Verluste produziert. Diese versucht 2,8 Seite 62/63). Ein aktuelles Beispiel: Der Porsche Porsche Schritt für Schritt zu reduzieren – eine echte Sekunden Hybrid 919 gewann drei Hersteller-WM-Titel sowie Hightech-Aufgabe. Denn bei der Suche nach dem drei Siege beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans braucht der Porsche 99X effizientesten Halbleiter für den Schalter bewegen sich Electric für den Sprint in den Jahren 2015, 2016 und 2017. Beim LMP war die Ingenieure auf der atomaren Ebene. Siliciumcarbid von 0 auf 100 km/h. es entscheidend, dass er Energie schnell speichern (SiC) gilt derzeit als Material der Wahl, ein in reiner und abrufen konnte. Deshalb entschieden sich die Form sehr teurer Werkstoff. Ingenieure für eine interne Spannung von 800 statt der sonst üblichen 400 Volt. Die Erfahrungen von der Eine zweite Stellschraube für effizientere E-Antriebe Rennstrecke – insbesondere mit der hohen elektro- ist das Taktmuster des Umrichters, also die Art und magnetischen Abstrahlung – halfen bei der Umset- Geschwindigkeit, in der er schaltet. Komplexe ma- SiC zung in der Serie. „Der LMP hat die Entscheidung für Der Verbindungshalbleiter thematische Algorithmen bestimmen dieses Muster, Siliciumcarbid (SiC) eignet 800 Volt beim Taycan unterstützt“, so Füchtner. und selbst kleinste Veränderungen können auf der sich besonders gut für Rennstrecke über Sieg oder Niederlage entscheiden. effiziente Schalter – im Am meisten Anknüpfungspunkte gibt es bei der Prüf- „Über verschiedene Generationen von Halbleitern und Rennsport und in der Serie. standstechnik. Auf diesen Anlagen lassen sich einzelne Algorithmen hinweg haben wir jetzt einen außerge- Komponenten unter genau kontrollierten Bedingungen 62 PORSCHE UND PRODUKT

Serien-Innovationen aus dem Motorsport

Synchronisiertes Antiblockiersystem (1968) Aktive Aerodynamik (1969) Fünfgang-Getriebe (1955) Der KH wird als Um mehr Anpressdruck in den Porsche entwickelt für den 550 Testplattform für ein erstes Anti­ Kurven zu bekommen, baut Porsche Spyder ein synchronisiertes blockiersystem (ABS) genutzt, im Rennwagen 917 zeitweise beweg- Fünfgang-Getriebe, das schnelleres das stabileres Einbremsen in die liche Klappen am Heck ein, die beim Schalten ermöglicht. Kurven ermöglicht. Ab 1983 Einlenken ausfahren. Das ist der erste Ab 1963 wird es auch in die wird ABS als Sonderwunsch, Schritt zur aktiven Aerodynamik, Serienmodelle 911 eingebaut. ab 1986 dann serienmäßig im die mit dem automatischen S angeboten. Heckspoiler ab der Elfer-Generation 964 in Serie geht.

testen, ohne dass Runden auf einer realen Teststrecke verfeinert, weil beim E-Antrieb jedes Zehntelgrad eine gedreht werden müssen. Das spart immens Zeit. „Um Rolle spielt. Aus der Serie kamen Verbesserungen in der die gesetzlich vorgeschriebenen Testzyklen zu absol- Automatisierung der Prüfläufe. vieren, sind im realen Fahrzeug zehn Tage nötig. Auf dem Prüfstand reichen ein Arbeitstag und eine Nacht- Expertenkreise für den internen Austausch schicht“, erklärt Christian Wiedenbrügge, Teamleiter zwischen Rennsport und Serie Antriebssoftware und Applikation für batteriebetrie­ bene Fahrzeuge. Doch man trifft sich nicht nur auf dem Prüfstand, um Ein Tag gemeinsam den E-Antrieb voranzubringen. Porsche hat Natürlich verfolgen die unterschiedlichen Teams reicht aus, um die intern Expertenkreise zu bestimmten Komponenten bei den Prüfstandstests unterschiedliche Ziele. Der gesetzlich vorgeschrie- eingerichtet, die etwa alle acht Wochen zusammen- Rennstall würde zum Beispiel die Nordschleife des benen Testzyklen kommen. Hier sprechen zum Beispiel Umrichter- Nürburgrings simulieren, um ein Bauteil auf schnellste auf dem Prüfstand zu Fachleute aus Serie und Rennsport miteinander. Das absolvieren. Rundenzeit zu trimmen, während der Serienentwickler hat sich bewährt. Wenn sich die Technikexperten auf der Jagd nach noch mehr Reichweite womöglich treffen, fangen viele Sätze an mit: „Wir haben da was, eine virtuelle Fahrt durch den Schwarzwald wählt. das für euch interessant sein könnte …“. Genau das „Die Methoden sind jedoch die gleichen“, betont ist gewünscht. Renn- und Serienentwickler sollen Wiedenbrügge. Beide Seiten treiben zudem die Technik beim jeweils anderen die eigenen Herausforderungen der Prüfstände voran. Die Rennwagen­Ingenieure wiedererkennen und sich über mögliche Lösungen haben zum Beispiel die Temperierung der Prüflinge austauschen. Porsche Engineering Magazin 1/2020 VON DER BOXENGASSE INS AUTOHAUS 63

Porsche Doppelkupplungs- Geregelter Allradantrieb 800-Volt-Technik (2014) getriebe (1983) (1986) Nach 16 Jahren Abwesenheit kehrt Um Gangwechsel ohne Unterbre- Mit dem 959 gelingt Porsche Porsche 2014 mit dem revolutionären chung der Zugkraft zu ermöglichen, Anfang der 1980er-Jahre der Durch- 919 Hybrid nach Le Mans zurück. kombiniert Porsche beim Renn- bruch im Rallyesport, unter Um schneller die Energie aus den wagen 956 zwei Getriebe zu einem. anderem mit einem Sieg beim Akkus abrufen zu können, legen die Fortschritte in der Steuerungstechnik Klassiker Paris–Dakar. Basis des Ingenieure die E-Technik auf 800 Volt ermöglichen es im Modelljahr 2009, Erfolgs ist ein programmgesteuerter aus – 400 Volt waren bis dato dieses Doppelkupplungsgetriebe Allradantrieb, der das Drehmoment üblich. Drei aufeinanderfolgende erstmals in ein Serienfahrzeug ein- flexibel auf die Achsen verteilt. Gesamtsiege zeigen, dass die zubauen, den Carrera 4. Ab der Elfer-Generation 964 ist er Entscheidung richtig war. Sie wird auch im 911 Carrera 4 eingebaut. 2019 im Taycan übernommen.

Vielleicht ist am wichtigsten jedoch der Technologie- eines der größten Entwicklungspotenziale für elektri- transfer über Köpfe. „Ein Großteil der Taycan-Mann- Taycan Turbo S sche Fahrzeuge, denn beim Antrieb sind wir schon sehr schaft stammt aus dem Team, das vorher den 918 Stromverbrauch gut aufgestellt“, ist Füchtner überzeugt. „Andererseits kombiniert: Spyder entwickelt hat“, berichtet Wiedenbrügge. Sol- 26,9 kWh/100 km könnte der Batteriewettbewerb der Formel E schaden, che Seitenwechsel sind bei Porsche an der Tagesord- CO₂-Emissionen kombiniert: da hohe Kosten anfallen und dadurch ein verzerrter 0 g/km nung. So hat ein Experte für Schwingungstechnik aus Effizienzklasse: Wettbewerb entstehen würde. Wir haben reichlich der Serie den Motorsportlern geholfen, die Schwing- Deutschland: A+ Ideen für Zelltechnologien, die über eine ganze Saison ungen an den E-Boliden in den Griff zu bekommen. Schweiz: B halten und auch für die Serienproduktion interessant Eine wichtigere Rolle spielt auch die örtliche Nähe: Das sein könnten.“ Porsche 911 Carrera 4 Porsche Entwicklungszentrum ist nur rund 1.000 Me- Kraftstoffverbrauch ter von der Motorsportbasis entfernt. „Wir benutzen innerorts: 12,6 l/100 km alle den gleichen Eingang – und wir essen zusammen“, Kraftstoffverbrauch sagt Füchtner und lacht. Er weiß: So manche gute Idee außerorts: 7,8 l/100 km Kraftstoffverbrauch für den ersten Formel-E-Sieg könnte in der Kantine in kombiniert: 9,6 l/100 km ZUSAMMENGEFASST Weissach entstehen. CO₂-Emissionen kombiniert: 218 g/km Rennsport und Serie: Der Austausch zwischen beiden Berei- Energieeffizienzklasse: G chen hat bei Porsche Tradition. Das gilt auch für E-Fahrzeuge. An Verbesserungsideen mangelt es bislang nicht – So hat der Taycan von den Erfahrungen profitert, die Porsche allerdings lassen sich noch nicht alle umsetzen. „Es mit dem 919 Hybrid gesammelt hat. Gemeinsame Experten- wäre toll, wenn die Formel-E-Teams auch ihre Batte- kreise garantieren, dass auch künftig neue Ideen schnell rien selbst entwickeln könnten. Hier schlummert noch zwischen Renn- und Serienteams ausgetauscht werden. 64 Porsche und Produkt

Die Kraft der Evolution

Text: Hans Oberländer

Stärker, fahrdynamischer, komfortabler: Mit dem neuen 911 Turbo S und 911 Turbo S Cabriolet setzt Porsche in der Liga der Sportwagen erneut ein Ausrufezeichen. Zahlreiche Verbesserungen machen das Fahren zum sicheren und alltagstauglichen Vergnügen.

er neue 911 Turbo S ist wieder ein Hochleis- breiter. Vorne hat er 45 Millimeter zugelegt und misst Dtungssportler und fühlt sich beim Sprint am wohlsten. jetzt 1,84 Meter, über der Hinterachse ist er um Denn dann kann er seine ganze Kraft und seine phäno- 20 Millimeter auf 1,90 Meter gewachsen. Erstmals menale Beschleunigung zeigen: Geschaltet von einem hat der Turbo S Räder mit verschiedenen Zollgrößen Achtgang-Porsche-Doppelkupplungsgetriebe benötigt und Mischbereifung. An der Vorderachse trägt er der 911 Turbo S von 0 auf 100 km/h gerade einmal 255/35er-Reifen auf 20-Zöllern, hinten imposante 2,7 Sekunden. In 8,9 Sekunden ist er bei 200 km/h – 315/30er auf 21-Zoll-Rädern. Mit dieser Dimensio­ eine volle Sekunde früher als sein Vorgänger aus der nierung von Rädern und Reifen wird eine weitere Modellreihe 991. Und erst bei 330 km/h hat der jüngs- Verbesserung der fahrdynamischen Eigenschaften des te Spitzen-Elfer die Höchstgeschwindigkeit erreicht. 2,7 911 ­Turbo S erreicht.

Eine zweite Neuerung ist der Sechszylinder-Boxer­ Sekunden Das Porsche Active Suspension Management (PASM) benötigt der neue motor mit zwei VTG-Ladern. Der Biturbo hat 650 PS 911 Turbo S für den Sprint regelt elektronisch das Stoßdämpfersystem für jedes und 800 Nm Drehmoment. Das sind 70 PS und 50 Nm von 0 auf 100 km/h. einzelne Rad, abhängig von Fahrbahnzustand und mehr als im Vorgänger. Das neue Triebwerk basiert auf Fahrweise und reduziert so die Bewegungen der Karos- dem 3,0-Liter-Biturbo des 992 Carrera. Hinzu kommen serie. Im serienmäßigen PASM-Adaptiv-­Fahrwerk des eine völlig neu gestaltete Ladeluftkühlung, größere und Turbo S arbeiten die Stoßdämpfer nun noch schneller symmetrisch aufgebaute VTG-Turbolader mit elekt- und präziser: Ein durch Magnetkraft stufenlos verstell- risch verstellbaren Wastegate-Klappen sowie Piezo-­ 330 km/h bares Steuerventil und eine spezielle Software passen Einspritzventile. Sie verbessern Ansprechverhalten, beträgt seine fahrsituationsabhängig und radselektiv die Dämpfkraft Drehfreude und Leistungsfähigkeit. Ottopartikel­filter Höchstgeschwindigkeit. an, exakt und in Sekundenbruchteilen. Und das im optimieren das Emissionsverhalten. Vergleich zum bisherigen System deutlich weicher oder auch straffer – mit erheblichen Vorteilen in Bezug Seine gesteigerte Dynamik demonstriert der ­Porsche auf Wankstabilität, Fahrbahnanbindung, Einlenk­ 911 Turbo S auch deutlich sichtbar: Nie war ein Elfer verhalten und mögliche Kurvengeschwindigkeiten. Porsche Engineering Magazin 1/2020 DIE KRAFT DER EVOLUTION 65

911 Turbo S Cabriolet Kraftstoffverbrauch innerorts: 15,9 l/100 km Kraftstoffverbrauch außerorts: 8,6 l/100 km Kraftstoffverbrauch kombiniert: 11,3 l/100 km CO₂-Emissionen kombiniert: 257 g/km Energieeffizienzklasse: G

Optimierte Fahrdynamik: Erstmals hat der 911 Turbo S verschiedene Radgrößen sowie Mischbereifung vorne und hinten (oben). Das Porsche Communication Management (unten links) erkennt Handschriften und lässt sich per Sprache steuern. Der Heckspoiler (unten rechts) ist Teil der adaptiven Aerodynamik und sorgt für ausreichend Abtrieb und Sicherheit. 66 Porsche und Produkt

Wer es ganz besonders sportlich mag: Erstmals ist ein Vollbremsung aus hohen Geschwindigkeiten lässt PASM-Sportfahrwerk mit zehn Millimetern Tiefer­ Airbrake den Bugspoiler und Heckflügel in die Perfor- legung bestellbar. mance-Stellung fahren. Durch den höheren Luftwider- stand und den verstärkten Anpressdruck verkürzt sich Mehr Sicherheit bei nasser Fahrbahn der Bremsweg, und die Fahrstabilität wird verbessert. Und auch die weiterentwickelte Keramikbremsanlage Allradantrieb und Allradlenkung sorgen für verlässliche mit ihren Bremsscheiben von bis zu 420 Millimetern Bodenhaftung, und eine weiter verfeinerte ­adaptive Durchmesser packt kraftvoller zu als je zuvor. Aerodynamik, die mit dem Vorgängermodell als Weltneuheit eingeführt wurde, garantiert zusätzliche 1974 war der erste Porsche 911 Turbo eine Revo- Sicherheit. Der neu geformte, pneumatisch ausfahr­ lution im Automobilbereich. 46 Jahre später ist der bare Frontspoiler und der vergrößerte Heckflügel 911 Turbo S ein Musterbeispiel für die schöpferische schaffen 15 Prozent mehr Abtrieb. Neu sind die Funk- Kraft der Evolution. Das beweist zum Beispiel die tionen „Wet Mode“ und „Airbrake“: Bei nasser Fahrbahn Lithium-­Eisenphosphat-­Batterie, die im 911 Turbo S erhöhen sich die Anpresskraft auf der Hinterachse und erstmals serienmäßig verbaut ist. Im Vergleich zur der Kraftschluss zwischen Reifen und Straße. Bei einer konventionellen Bleibatterie hat sie ein deutlich gerin-

Technische Daten des 911 Turbo S

300 Lux Ausleuchtung bieten die Matrixscheinwerfer mit 84 Pixeln. 15 % mehr Abtrieb erzeugen der neue Bugspoiler und der 911 Turbo S vergrößerte Heckflügel. Kraftstoffverbrauch innerorts: 15,5 l/100 km Kraftstoffverbrauch außerorts: 8,6 l/100 km Kraftstoffverbrauch kombiniert: 11,1 l/100 km 10,9 Zoll CO₂-Emissionen Bildschirmdiagonale hat kombiniert: 254 g/km Energieeffizienzklasse: G der Centerscreen des Porsche Communication Managements. Noch nie war ein Elfer breiter. Neu ist auch die 1.840 Millimeter 20 Zoll 1.900 Millimeter 21 Zoll Mischbereifung. Breite vorne Ø Räder vorne Breite hinten Ø Räder hinten 570 Watt liefert das serien- mäßige BOSE® Das neu entwickelte Triebwerk basiert auf der Surround-Sound-System aktuellen 911 Carrera-Motorengeneration und bietet 650 PS 800 Nm mit zwölf Lautsprechern. einen deutlichen Leistungssprung. Porsche Engineering Magazin 1/2020 DIE KRAFT DER EVOLUTION 67

1974 1995 2009 Porsche stellt einen Hochleistungs-­ Der 911 Turbo der Generation 993, Der erste von Grund auf neu Sportwagen vor, der Maßstäbe bei ein neues Highlight im Sport­ konstruierte Turbomotor mit Leistung und Luxus setzt: wagenbau: Mit 408 PS und jetzt 500 PS verfügt über Benzin-Direkt­ Der 911 Turbo 3.0 leistet 260 PS aus serien­mäßigem Allradantrieb einspritzung und reduziert drei Litern Hubraum und ermöglicht ­beschleunigt der 3,6-Liter-Motor den ­Verbrauch im Vergleich eine Höchstgeschwindigkeit von 0 auf 100 km/h in 4,5 Sekunden, zum ­Vorgänger um bis zu von 250 km/h. Damit ist er lange die Höchstgeschwindigkeit 16 Prozent. Zeit Deutschlands schnellster beträgt 290 km/h. Straßensportwagen.

geres Gewicht sowie eine höhere Spannungsstabilität kein Problem für das PCM. Darüber hinaus erkennt das und einen deutlich geringeren Innenwiderstand. Für Display Handschriften und auch über die Sprachbedie- den Fahrer bedeutet das: kürzere Reaktionszeit und die nung lassen sich viele Funktionen komfortabel nutzen. Möglichkeit, die kraftstoffsparende Start-Stopp-Funk- Eine neuartige optionale Geräuschschutzverglasung tion häufiger zu aktivieren. Denn der leistungsfähigere macht ihrem Namen alle Ehre und erhöht den Genuss, Stromspeicher lässt auch bei niedrigem Ladezustand wenn die Kabine zum Konzertsaal wird: Das BOSE® einen erheblich längeren Betrieb energieintensiver und Surround-­Sound-System mit einer Gesamtleistung von elektrischer Bordsysteme zu, etwa des Soundsystems 12,75 570 Watt liefert über zwölf Lautsprecher akustische bei ausgeschaltetem Verbrennungsmotor. Kilogramm Finesse. Extreme Sportlichkeit und luxuriöser Komfort: wiegt die Batterie des Im Porsche 911 Turbo S sind es Gegensätze, die sich Serienmäßige LED-Matrixscheinwerfer mit dunklen Porsche 911 Turbo S. ergänzen. Soundanlage, GT-Sport­lenkrad, Carbon-­ Innenblenden, die optional sogar in einer noch dunk- Erstmals kommt eine Deko, Sport Chrono Paket – alles ab Werk, ebenso die leren Ausprägung erhältlich sind, unterstreichen den Lithium-Eisenphosphat- bequemen, langstreckentauglichen Ledersitze. Mit markanten Auftritt des Turbo S. Das Modul ermöglicht Batterie zum Einsatz, ihrer speziellen Steppung erinnern sie an den ersten wodurch das Gewicht des eine Ausleuchtung mit über 300 Lux und zahlreiche Bordakkus um mehr als 911 Turbo. Funktionen. Leuchtweite und Kurvenausleuchtung las- die Hälfte sinkt. sen sich individuell und dynamisch regeln. Autobahn­ Wie bei den aktuellen 911 Carrera-Modellen wurde licht, ­Nebel- und Schlechtwetter­licht leuchten das auch beim neuen 911 Turbo S Cabriolet die Klima- Sichtfeld angepasst aus, gezieltes Dimmen verhindert, tisierungsfunktion bei geöffnetem Verdeck deutlich dass Schilder blenden. verbessert. Neu sind die automatische Anpassung und Regelung der Klimaautomatik nach dem Öffnen Zwölf Lautsprecher machen die Kabine des Verdecks. Unter Berücksichtigung von Außen- zum Konzertsaal temperatur, Sonneneinstrahlung und vielen weiteren Parametern passen sich Gebläsesteuerung, Tempe­ Evolutionären Fortschritt spürt man auch im Innen- raturregelung und die Luftverteilung im Innenraum an raum des 911 Turbo S. Das Porsche Communication die jeweilige Situation an. Management (PCM) mit Online-Navigation vereint eine intuitive Steuerung mit einer Vielzahl von Infotainment-­ Natürlich ist der Porsche 911 Turbo S absolut alltags­ Angeboten. Einfache Wischbewegungen, Vergrößern, tauglich. Doch viel mehr noch ist er ein Fahrzeug, um Verkleinern oder Drehen der Anzeige mit zwei Fingern – den Alltag hinter sich zu lassen. 68 Quer gedacht

Wissen vertiefen Über den Tellerrand

Tradition und Ignorierte Hälfte der Herausforderung Menschheit Der ehemalige US-Außen- minister Henry Kissinger ist Die These der Autorin Caroline ein exzellenter Kenner Chinas Criado-Perez lautet: Unsere Welt ist und erzählt in diesem Buch von Männern für Männer gemacht und die Geschichte des Landes von tendiert dazu, die Hälfte der Bevöl- den frühen Dynastien bis zur Gegenwart – teils kerung zu ignorieren – etwa durch auf Basis eigener Erfahrungen mit den politischen geschlechtsspezifische Unterschiede Führern der heutigen Supermacht. bei der Erhebung wissenschaftlicher Daten. China Henry Kissinger Unsichtbare Frauen Pantheon Caroline Criado-Perez btb Verlag

Wettrennen der „Ein Buch über KI-Supermächte die ganze Welt – und In seinem Bestseller wirft der eine Pflichtlektüre KI-Experte und Investor Kai-Fu für die ganze Welt.“ Lee einen Blick auf die Zukunft der künstlichen Intelligenz und Österreichischer Rundfunk auf das Wettrennen der beiden „KI-Supermächte“ China und USA. Ein faszinie- rendes Buch über Technologie und unser Leben im 21. Jahrhundert. Wie man’s hinkriegt AI Superpowers Kai-Fu Lee Dieses Buch verspricht „absurde, wirklich wissenschaftliche Mariner Books Empfehlungen für alle Lebenslagen“. Auf der Suche nach einer Lösung für Probleme gibt es laut Randall Munroe neben dem richtigen und dem falschen auch den offensichtlich absurden Weg. Chinas Diesen Ansatz propagiert der neue Bestseller Munroes. grenzenloser Traum how to Randall Munroe Der Journalist Evan Osnos gilt Penguin als einer der besten Kenner des heutigen Chinas. Für dieses Buch sprach er mit vielen Menschen über ihre Hoffnungen Plaudern mit den Aliens und Erwartungen. Er traf Glücksritter auf der Jagd nach Reichtum und begleitete bekannte Persön- Wie würden wir mit Außerirdischen sprechen, wenn lichkeiten. wir eines Tages wirklich auf sie treffen sollten? Der „WIRED“-Autor Daniel Oberhaus nimmt in seinem Buch Große Ambitionen verschiedene Möglichkeiten unter die Lupe, darunter Evan Osnos Mathematik und Kunst. Suhrkamp Extraterrestrial Languages Daniel Oberhaus The MIT Press Porsche Engineering Magazin 1/2020 EMPFEHLUNGEN FÜR DENKER, TÜFTLER UND NERDS 69

Für das Kind in uns Intelligent unterhalten

↓ Unerkannte Heldinnen

Im Mittelpunkt dieses mehrfach Oscar-nominierten Films stehen die drei afroamerikanischen Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson, die während der Zeit der Rassentrennung in den USA in der Abteilung „Colored Computers“ wichtige Berechnungen für das Mercury- und Apollo- Programm der NASA durchgeführt haben (das Wort „Computer“ stand damals auch für Menschen). Hidden Figures Theodore Melfi (Regisseur), 2016

↓ Action Cam zum Zusammenstecken

Die modulare Action-Kamera Insta360 ONE R lässt sich mit weni- gen Handgriffen auseinandernehmen und neu zusammensetzen. Auf dem Akku haben das Bedienmodul mit Display und ein Kamera- modul Platz. Je nach Konfiguration kann man Weitwinkel- oder 360-Grad-Aufnahmen machen (Fotos und Videos). In China ist die Kamera ein Hit. Insta360 ONE www.insta360.com

Gegen alle Widerstände

Ein Meteorit trifft in den 50er-Jahren auf die Ostküste der USA. Die Mathematikerin ↓ Einstieg und Pilotin Elma York erkennt in diesem mehrfach ausgezeichneten Roman, dass der in die Spielepro- dadurch hervorgerufene Klimawandel die grammierung Erde unbewohnbar machen wird. Sie tritt der International Aerospace Coalition bei Einfache Videospiele für das und will die erste Astronautin überhaupt werden – ein Bruch iPad selbst programmieren: mit allen Konventionen ihrer Zeit. Das macht der Arcade Coder The Calculating Stars möglich. Schon Kinder ab sechs Jahren werden durch das Board mit Mary Robinette Kowal 144 programmierbaren LED-Knöpfen an die Grundlagen von Grafik Tor Books und Spieleprogrammierung herangeführt. Arcade Coder www.techwillsaveus.com/shop/arcade-coder 70 HERKUNFT

Familienauto für China: Die Optik des „C88“ orientierte sich an Elementen der chinesischen Kultur. 1994 P orsche Engineering blickt auf eine lange nesischen Experten und Journalisten. Sie banden Tradition von Entwicklungsprojekten in China auch einen Techniker und einen Designer aus China In nur vier Monaten entwickelte Porsche Engineering das Konzept zurück. Im November 1994 präsentierten das in das Projekt mit ein. für ein Familienauto für den chine- Unternehmen und mehrere internationale OEMs sischen Markt. Der „C88“ sollte in auf Einladung der chinesischen Regierung unter Am Ende entstand ein Auto, das sich durch eine drei Versionen gebaut werden. Sein anderem auf dem „Familienauto-Kongress“ in ruhige Linienführung, hohe Sicherheit und Qualität Design und die Technik wurden an Peking eine Studie für ein Fahrzeug für den damals sowie eine vergleichsweise einfache Fertigung die Anforderungen des noch jungen noch recht jungen Automarkt. auszeichnete. Ein langer Radstand und kurze Über- Automarktes angepasst. An der Entwicklung waren auch chinesische hänge ergaben zukunftsorientierte Proportionen, Mitarbeiter beteiligt. Die „C88“-Konzeptstudie war in nur vier Monaten 15-Zoll-Stahlräder gewährleisteten komfortable entwickelt worden. Das Fahrzeug sollte in drei Abrolleigenschaften. Das Interieur wies eine auf die Versionen auf den chinesischen Markt kommen. chinesische Bevölkerung abgestimmte Ergonomie Die günstige Einstiegsvariante mit vier Sitzen auf. Dort dominierten benutzerfreundliche Mate- hatte zwei Türen, einen Vierzylinder-Benzinmotor rialoberflächen, und der großzügig bemessene mit 35 kW Leistung, ein Viergang-Getriebe und Innenraum sorgte für Wohnlichkeit und Komfort. sollte rund 45.000 Renminbi (circa 4.000 Euro) Die Ästhetik orientierte sich an Elementen der kosten. Die Standardvariante hatte die gleiche chinesischen Kultur. Motorisierung, war etwas größer und lag je nach Ausstattung zwischen 60.000 und 65.000 Das Porsche-Logo suchte man damals aber ver- Renminbi (circa 5.800 Euro). Die Luxusvariante gebens auf dem Showcar. Stattdessen waren an bot für rund 80.000 Renminbi (circa 7.000 Euro) der Front drei Kreise zu sehen, die die chinesische noch mehr Platz, hatte vier Türen sowie einen Ein-Kind-Politik symbolisieren sollten. Auch der stärkeren Motor mit 50 kW Leistung und einem Name hatte einen Bezug zum Reich der Mitte: Das Fünfgang-Getriebe. Als Sonderausstattung sollte „C“ stand für „China“, und die Zahl „88“ bedeutet auch ein Viergang-Automatikgetriebe angeboten dort „viel Glück“. Am Ende ließ die chinesische Re- werden. gierung allerdings weder Porsche Engineering noch einen anderen Bewerber zum Zug kommen. Vom Um den Geschmack der chinesischen Käufer zu „C88“ gibt es darum nur ein einziges Exemplar, das treffen, sprachen die Entwickler nicht nur mit chi- heute im Porsche Museum in Stuttgart steht. 71

Magazin Ausgabe Porsche Engineering 1/2020

Impressum

Herausgeber Porsche Engineering Group GmbH Michael Merklinger

Redaktionsleitung Frederic Damköhler

Projektleitung Caroline Fauss

Redaktion Axel Springer Corporate Solutions GmbH & Co. KG, Berlin Chefredaktion: Christian Buck Projektmanagement: Marie Fischer Bildredaktion: Farimah Justus, Gesche Wendt

Autoren Richard Backhaus, François Baumgartner, Jost Burger, Andreas Burkert, Constantin Gillies, Thomas Kern, Chris Löwer, Hans Oberländer

Gastautor Yuval Noah Harari

Art Direction Christian Hruschka, Juliane Keß, Maria Christina Klein

Übersetzung RWS Group Deutschland GmbH, Berlin

Kontakt Porsche Engineering Group GmbH Porschestraße 911 71287 Weissach Tel. +49 711 911 0 Fax +49 711 911 8 89 99 Internet: www.porsche-engineering.de

Produktion Herstellung News Media Print, Berlin

Druck Eberl Print GmbH, Immenstadt

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Bildquellen, soweit nicht anders ausgewiesen: Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG S.1: Getty Images; S. 4: Claudia Klee+Julia Gonser, Alexander Babic, Kai Hartmann; S.10: Jacob Wagner; S.11: Kai Hartmann, Florian Müller, Getty Images, Tencent, Valerio Pellegrini; S.25: Getty Images; S.28: Tim Griffith; S. 29–31: Tencent; S. 34: Claudia Klee+Julia Gonser; S. 40: Getty Images; S. 49: Science Photo Library/Gustoimages; S. 69: © 2017 Twentieth Century Fox Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers. Für die Rücksendung unverlangt eingesandten Materials kann keine Gewähr übernommen werden. Porsche Engineering ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG. VON ZELL AM SEE NACH LOS ANGELES. AUF KNOPFDRUCK.

Allzeit bereit – weltweit. Der innovative

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Drücker kann die aktuelle Zeitzone im -Stunden-Takt ohne Verlust der exakten Zeiteinstellung [Min./Sek.] verstellt werden.

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PORSCHE DESIGN KALIBER WERK —˜. — www.porsche-design.com/GlobetimerUTC