© Luca C Arrà
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© Luca Carrà SALVATORE SCIARRINO (*1947) Sui poemi concentrici I, II, III (1987) for soloists and orchestra TT: 02:21:08 ensemble recherche: Martin Fahlenbock flute • Shizuyo Oka clarinet Melise Mellinger violin • Barbara Maurer viola d’amore • Lucas Fels violoncello Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin • Peter Rundel conductor Recording venue: Haus des Rundfunks Berlin, Großer Sendesaal Recording date: 13.-16.01.2004 Recording supervisor: Frank Schneider Recording engineer: Geert Puhlmann Sound technician: Hermann Leppich Executive producer: Rainer Pöllmann Final Mastering: Christoph Amann Producer: Barbara Fränzen, Peter Oswald Artwork: Jakob Gasteiger Graphic Design: Gabi Hauser Publisher: Universal Music Publishing Ricordi S.R.L. Recording by Deutschlandradio Kultur 2 Aus einem einzigen großen Atem stützen. Das Gegenteil eines Hintergrunds, Salvatore Sciarrinos Orchester-Triptychon der bruchstückhaft entsteht mit den Situati- Sui poemi concentrici onen, auf die er sich bezieht. [Vielmehr] eine Rainer Pöllmann vollständige Struktur, die sich innerhalb des Gedichts äußert, ein einheitlicher Plan. Ich Goethes Faust, Thomas Manns Zauberberg, habe an einen einzigen Bogen aus Musik ge- das Nibelungenlied – oder eben Dantes dacht, mit riesigen und doch perfekten Pro- Divina Commedia. Wie lassen sich solche portionen. Ehrfurcht gebietenden Werke vertonen? Gibt Es ist die Einheit der unvergleichlichen Reise, es nicht unzählige Beispiele von missglück- die einem verbietet, sich den großen ein- ten Faust-Opern? Musste nicht Wagner, um zelnen Geistesblitzen zu nähern. Die ganze seinen Ring zu schmieden, die Nibelungen- Divina Commedia Satz für Satz in der Art sage so radikal umformen, dass vom ur- einer Oper zu vertonen, einen Berg aus Musik sprünglichen Sinn und Gehalt nichts mehr anzuhäufen, wäre sinnlos, eine Idee von übrig blieb? Wie um alles in der Welt will man wahnsinnigen Dilettanten. Ein solches Unter- die kühnste Wanderung des Mittelalters, den nehmen verdiente Bewunderung nur wegen Abstieg in die Hölle, die Durchquerung des seines Umfangs, vielleicht noch wegen der Fegefeuers und den Aufstieg ins Paradies, mit ihm verbundenen Hingabe. Doch dann wie will man die 500 Seiten der Göttlichen entpuppte es sich schnell als brüchig und Komödie in Musik fassen? wenig bedeutsam.“ Selbst Salvatore Sciarrino, der heute wohl bedeutendste Komponist Italiens, nahm den Dichtung und Musik Auftrag des staatlichen italienischen Fernseh- senders RAI, die Musik zu einer hundertteili- Gleichzeitig mit der Fernsehfassung der Mu- gen Fernsehserie über die Divina Commedia sik zu Dantes Divina Commedia entstand aus zu komponieren, nur zögernd an. Ausführlich dem selben musikalischen Material eine Or- äußerte er sich zu den Problemen, die ein chesterfassung für den Konzertsaal: Sui po- derart groß dimensioniertes Projekt mit sich emi concentrici für Solisten und Orchester. brachte: Die zeitliche Ausdehnung von ursprünglich „Eine Musik für Dantes gesamte Commedia 15 Stunden ist auf ein Zehntel geschrumpft, zu entwerfen... Ich habe den Vorschlag für die Besetzung hingegen identisch, mit Aus- eine Fernsehausstrahlung nicht ohne Furcht nahme des in der TV-Version vorhandenen akzeptiert. Vor allem die Lesung zu begleiten: Chores, auf den Sciarrino in der konzertan- will sagen: ihr Schritt für Schritt zu folgen. ten Fassung verzichtet. Uraufgeführt wurde Aber auch sie mit einer soliden Architektur zu Sui poemi concentrici am 8. April 1988 im 3 Sendesaal der RAI in Turin vom Orchestra ins Paradies bzw. in die Verdammnis vor- Sinfonica di Torino della RAI unter der Lei- stößt. Und der Untertitel beschränkt sich auf tung des Komponisten. Drei Tage später, am die Angabe der Besetzung: „Für Solisten und 11. April 1988, wurde im Kulturprogramm RAI Orchester“. Tre auch die erste Folge der Fernsehserie Insgesamt fünf Solisten sind an Sui poemi ausgestrahlt. concentrici beteiligt. Ein Concerto grosso Sui poemi concentrici, bzw. die Musik zur also? Durchaus nicht. Die Soloinstrumente TV-Austrahlung der Divina Commedia, ist stehen nie in barocker Manier dem orches- beileibe nicht die einzige Beschäftigung tralen Klangkörper gegenüber, nie drängen Salvatore Sciarrinos mit dem Dichter Dante. sie sich in den Vordergrund oder spielen gar Im Jahr 1981 entstand für das zweite Rund- – nach der Art des Virtuosen-Concerto – ihr funkprogramm der RAI ein knapp halbstündi- eigenes Spiel vor der Folie des bloß beglei- ges elektronisches Werk, La voce dell’inferno, tenden Orchesters. Sie sind, ob alleine oder auf Texte von Dante Alighieri. Fünf Jahre nach in Kombination, eine zusätzliche Klangfarbe Sui poemi concentrici, im Jahr 1993, entstand in dieser filigranen Orchesterpartitur. Zudem für das Ravenna Festival eine weitere „Musica wechselt die Besetzung. Im ersten Teil ist nur di Scena“, nämlich Musiche per il “Paradiso” das Violoncello solistisch aktiv, im zweiten di Dante. Und wie im Falle der Musik für die Teil sind es Flöte, Klarinette und Violoncello, Commedia, so wurden auch hier die drei im dritten Teil schließlich Flöte, Violine und Teile der Schauspielmusik, Alfabeto oscuro, Viola d’amore. Der Wechsel geht allmählich L’invenzione della trasparenza und Postille, und kontinuierlich vonstatten. als drei eigenständige Orchesterwerke ver- Wie aber ist die Wahl der Instrumente, wie öffentlicht. die dramaturgische Abfolge zu verstehen? Salvatore Sciarrino befleißigt sich bei Sui Man geht wohl nicht zu weit, wenn man das poemi concentrici des größtmöglichen Un- Violoncello als eine Personifizierung (oder derstatements. Kein Hinweis auf die berühm- Instrumentalisierung?) des Führers Vergil te literarische Vorlage, kein Kokettieren mit versteht, der den Wanderer durch Inferno Himmel und Hölle – jeder noch so kleine Hin- und Purgatorio geleitet und sich schließlich weis auf eine programmmusikalische Dimen- verabschiedet, um die Führung durch das sion wird vermieden. Der Titel Sui poemi con- Paradiso Beatrice zu überlassen. Von wel- centrici („Über die konzentrischen Gesänge“) chem Instrument aber sollte die unsterbliche hilft nur dem Kundigen, der weiß, dass in Geliebte des Dichters Dante, das Symbol der Dantes Architektur des Jenseits Himmel und irdischen wie himmlischen Liebe, verkörpert Hölle in konzentrischen Kreisen angeordnet werden, wenn nicht von der Viola d’amore? sind, die umso enger werden, je weiter man Die Parallelführung von Dichtung und Musik 4 hat zugegebenermaßen Unschärfen. So tritt Korrespondenzen zwischen dem mathemati- Beatrice schon am Ende des Purgatorio in schen Gerüst der Divina Commedia und Sui Erscheinung, nicht erst im Paradiso. Noch poemi concentrici? heikler ist die Deutung der anderen drei In- In der Einführung zu seiner Dante-Vertonung strumente. Flöte, Klarinette und Violine ha- äußert sich Salvatore Sciarrino auch über die ben keine unmittelbaren Pendants in der Zahlen-Struktur des Werks: „Die ganze Kom- Dichtung. Allerdings gibt es dort noch wei- position ist in Schichten gedacht, die separat tere Führer, die für kurze Zeit den Wanderer oder simultan gelesen werden können. Aus begleiten: Cato, Lucia, Statius und Matelda, den verschiedenen Möglichkeiten der Lek- schließlich im Paradiso auch Bernhard. Und türe formt sich das außergewöhnliche Reper- so ist es wohl nicht zu verwegen, die fünf toire an Situationen, die erforderlich sind, um temporären Weggefährten der Divina Com- die ganze Wanderschaft Dantes zu füllen. media mit diesen drei Solisten in Sui poemi Ich habe zunächst einmal eine Struktur von concentrici in Verbindung zu bringen. 35 Minuten Dauer entworfen. Diese ist zyk- lisch, das heißt: man kann ohne Sprünge oder Mathematik und Musik Unterbrechung wieder von vorne beginnen. Die vollständige Lesung des Gedichts dauert „Dante rechnete, bevor er schrieb.“ Auf 15 Stunden. Wenn man mit einer Näherung diesen kurzen Nenner bringt der Literatur- von jeweils 5 Minuten rechnet, ist die zu Grun- wissenschaftler Manfred Hardt seine An- de liegende Struktur fast zehn mal in jedem merkungen zur Zahlenstruktur der Divina Gesang enthalten. Deshalb kann sie wäh- Commedia. Bis ins feinste Detail hinein ist rend des gesamten Ablaufs fast dreißig Mal Dantes großartiges Poem von einer subtilen in sich selbst kreisen. Diese Struktur weist Zahlensemantik durchwirkt, die die Großform eine geometrische Konfiguration auf, die und die Detailstruktur, die Namen und Orte nicht besonders streng ist, und wird als eine und Proportionen bestimmt. Art periodisches Schillern mit Pausen wahr- Nicht nur dem zahlengläubigen Barockzeital- genommen. Klagend ausgestoßen im Infer- ter, auch dem nicht minder zahlengläubigen no und Purgatorio, um später transparenter Serialismus hätte ein solches literarisches Dampf und Funkeln zu werden. Eine gewisse Vorbild Ansporn sein können für eigene Vieldeutigkeit der Figuren und der Klänge ist Bestrebungen, die Dreifaltigkeit von Hölle, essentiell. Deshalb das Bewusstsein dafür, Fegefeuer und Paradies in Zahlen zu bannen. dass die gleichen Elemente je nach Kontext Rechnete also auch Sciarrino, bevor er kom- unterschiedlich erscheinen können, und dar- ponierte? Wie zahlenverhaftet ist Sciarrinos aus entsteht ein übergeordneter Zusammen- Orchesterwerk? Wie ausgeprägt sind die hang in dieser weitgespannten Arbeit.“ 5 Halten wir darüber hinaus einige grundlegen- als ein ausgedehntes, etwa zweistündiges de Parallelen zwischen Dichtung und Orches- Orchesterwerk im Konzertsaal, ohne Bühne, terwerk fest: Dantes Commedia besteht aus ohne Text, ohne Handlungsfaden. drei Teilen: das Inferno umfasst 34 Gesänge, Wichtig ist deshalb, der Versuchung