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Jacques Offenbachs «Les Fées du Rhin» im Theater Biel Solothurn 7. November 2018 Ein Lied für eine menschliche Welt

Feen verführen und verderben die Männer – Laura (Serenad Uya) rettet Franz (Gustavo Quaresma) aus ihren Fängen. Bilder: © Konstantin Nazlamov

Jacques Offenbachs Lorgnon ren das Ballett «» für die rung. Diese gastierte auch in Winter- Nun also im Theater Biel Solo- war nicht nur für den spötti- Grand Opéra und «» für die thur und war ein opernhistorisches thurn ein neuer Weckruf (fünf Sterne schen Blick geschliffen, son- Opéra Comique – auf einen franzö- Ereignis. Die grossen Opernbühnen dafür!). Operninteressierten sei die dern auch für den entsetzten. sischen Text für Wien, wo sie 1864 in scheinen es verschlafen zu haben. Inszenierung, die am 3. November Das Theater Biel Solothurn einer einigermassen unbeholfenen in Biel Premiere hatte, wärmstens offenbart es eindrücklich mit deutschen Übersetzung und vestüm- empfohlen – nicht nur aus histori- «Les Fées du Rhin». melt 1864 an der Wiener Hofoper schem Interesse, sondern weil es ein zur Uraufführung kam, durchaus packendes Stück ist: überraschend Um Krieg, Verwüstung, Bestiali- mit Erfolg. Das weitere Geschick des reich und stark die Musik, grossartig sierung der Männer, missbrauchte Werks und Offenbachs Karriere als die herausfordernden Partien für vier, Frauen und die romantische Visi- Opernkomponist bestimmten aber fünf Protagonisten. Zu erleben ist on der Heilung des Übels geht es in eine feindliche Presse und antisemiti- eine musikalisch starke Aufführung «Les Fées du Rhin», und der Bariton sche Ressentiments. und eine Inszenierung, die mit der als Kommandant der Soldateska ist Verlegung der Handlung aus der Zeit kein General Bumm, das Stück keine Ein opernhistorisches Ereignis der Bauernkriege im 16. Jahrhundert Operette. Die Ambitionen und Qua- Bis in die jüngste Zeit waren «Les Fées in die Zeit der jüngsten Balkankrie- lifikationen des Satirikers Offenbach du Rhin» nur noch das Gerücht eines ge die Brisanz dieser Oper für heute für das ernste Musiktheater galten pseudoromantischen Machwerks. unterstreicht: Das Wort von der An- immer und gelten noch heute als Nach einem erfolgreichen Effort des tikriegsoper und Friedensappell ist vernachlässigbar bis auf «Les Contes Offenbach-Herausgebers Jean-Chris- da schnell zur Hand, und es ist zu- d'Hoffmann» als die «phantastische» tophe Keck, der die Originalfassung treffend. Ausnahme am Ende seines Lebens. wiederherstellen konnte, kam es 2002 Die Friedensfahne im Falle Offen- Offenbach komponierte «Les Fées du zur ersten konzertanten Wiederauf- bachs ist natürlich ein Musikstück. Rhin», seine erste ernste Oper für die führung in Montpellier, 2005 in der Im Krieg traumatisiert: Gustavo Es mag in er heutigen Gefühlslage grosse Bühne – vorausgegangen wa- Oper zur ersten Inszenie- Quaresma als Franz. befremden, dass es ein patriotisches Deutschland-Lied ist. Aber es ist kein chenhaft beliebig wirkt. Offenbachs Tortur zu verstehenden Koloraturen, Höhe der Aufgabe mit zunehmender stählernes im Marschtakt, sondern Musikzauber aber bleibt virulent, und zu denen sie von den Soldaten genö- dramatischer Intensität ist auch Su- schwingt hymnisch im Zwölfachtel. wenn er in dieser Inszenierung auch tigt wird – ihr Tod im ersten Akt hätte sannah Haberfeld als Lauras Mutter Offenbach komponierte es 1848 in kein glückliches Finale herbeiführt, die Gewehrkugel des Soldaten nicht Hedwig und mit pastosem Format der Köln und verwendet es in der Oper wie es die Oper vorsieht, sondern sich gebraucht, um glaubhaft zu wirken. Alessandro Abadie, den die Regie mit präziser Dramaturgie als Leitme- als Traum entpuppt, so erhöht das Stimmig auch die Figur ihres Gelieb- mit gutem Gespür zum orthodoxen lodie. Für Laura (in der originalen vielleicht sogar die Glaubwürdigkeit ten Franz, für dessen Verstörung und Priester gemacht hat. Dass beim Män- Version Armgard) ist es das Lied, das ihres Appells. Absenz der Gustavo Quaresma nerchor als wilder Kriegsmeute auch an glückliche Zeiten der Liebe und des Die Glaubwürdigkeit ist auch die mit lyrisch schwebendem Legato den der Klang unpoliert über die Rampe Friedens erinnert, und es ist das Mit- der Interpreten in ihren herausfor- Ton genau trifft. kommt, hat seine eigene Logik. tel, um den vom Krieg traumatisier- dernden, musikalisch breit angelegten Mit der Figur des Conrad bringt ten, an Gedächtnisverlust leidenden Partien. Am Werk ist ein Ensemble, Gustavo Galeazzi faszinierend und Präzise Dramatik Geliebten zur Besinnung zu bringen . das mit starker Identifikation den darstellerisch stark die grosse Bari- Man bewundert mit dem Engage- Musiktherapie avant la lettre: Da- symbolhaft überhöhten Figuren die ton-Palette ins Spiel, den Haudegen, ment des Ensembles auf und vor der mit macht Offenbach überraschend menschlich-körperhafte Wirklichkeit den skrupellosen Widerling – die Bühne Offenbachs feines Gespür und Ernst. Seine Oper ist kein beliebiges gibt. Serenad Uyar in der Rolle der aufgeputschte Melodik seines Trink- seine Pranke für den dramatischen romantisches Effektstück, der deut- Laura berührt mit ihrem klangvollen lieds kennt man ebenfalls aus «Hoff- Ernstfall. Für seine präzise Orchest- sche Titel «Die Rheinnixen» führt Sopran in der schlichten Melodie wie manns Erzählungen»–, und mit sei- rierung steht das Sinfonieorchster Biel auf eine falsche Fährte. Der gezielte im suggestiven Balladenton, und sie ner Wandlung die überschwängliche Solothurn ein. Es beeindruckt durch Einsatz weiterer prägender Melodien, bewältigt mit sicherem Griff die als Emotionalität des Vaters. Auf der seine differenzierte, noch und noch darunter die berühmte Barcarolle, exponierte, von vielen solistischen zielt auf eine Musikdramatik, deren Einsätzen geprägte Mitsprache im Verknotung und Lösung sich in der szenischen Geschehen. Der Dirigent Musik vollzieht. Benjamin Pionnier, Leiter der Opé- ra de Tours, mit der diese Inszenie- Offenbachs Barcarolle rung als Koproduktion entstanden Offenbachs populärste Musik, eben ist, hat es mit den Grenzen des Bieler die «Barcarolle», die er später für Theatersaals zu tun, steuert aber mit den schummrigen Venedig-Akt von grosser Intensität die Kraft von Offen- «Hoffmanns Erzählungen» wieder bachs eindringlicher Musik. Sie über- verwendete, hat ihren ursprünglicher mittelt eine Botschaft aus der tiefen Ort beim Feenzauber im dritten Akt Sehnsucht nach einer menschlichen und im Finale der «Feés du Rhin», Welt auch für uns heute. Herbert und sie erklingt zu Beginn der Ou- Büttiker vertüre gleichsam als Signatur der Oper. Ihr sinnlich-morbider Zauber Aufführungen in Biel bis 24. Januar, Gast- entspricht der szenischen Funktion spiel in Schaffhausen am 21. und 22. Januar. genau, Verführung und Vernichtung gehören hier zusammen, im Feen- Hintergrundbeiträge und Dokumentation wald tanzen nicht nur die Elfen in des Verlags Boosey & Hawkes zu «Les Fées duftigen Schleiern, es steigen auch die du Rhin» siehe: Toten aus ihren Gräbern – die wüs- http://www.boosey.com/downloads/OEK- te Männerhorde wird in ihrem Bann FeesBuch2006.pdf gleichsam paralysiert. Die Inszenierung von Pierre-Em- manuel Rousseau tut sich mit diesem symbolhaft-musikalischen Zentrum der Oper schwerer als mit der Um- setzung des realistischen Geschehens. Die Konfrontation folkloristischer Kostüme der Frauen mit den Tarn- anzügen der Männer und der Kont- rast zwischen der bilderbuchschönen Idylle und dem brutalen Auftritt der Soldaten ist sehr wirkungsvoll, eher blass dagegen die geisterhafte Wald- szene, die mit ihren Tiermasken mär- In der Musik versöhnt – die Protagonisten im Finale der Oper.