Hamsters (Cricetus Cricetus) 3.1
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3. Genetische Diversität, Populationsstruktur und Phylogeografie des Feld- hamsters (Cricetus cricetus) 3.1. Zur Biologie des Feldhamsters Der Feldhamster ist mit 200 – 600 g der größte Vertreter der Cricetinae (Abb. 2). Sein Verbreitungsgebiet reicht vom Jenissej in Westsibirien bis nach Belgien und den Niederlanden (Niethammer 1982). Feldhamster sind ein typisches Element der Of- fenlandschaften (Steppe, Waldsteppe) und kommen in Mitteleuropa vor allem auf Agrarflächen vor. Im östlichen Kernverbreitungsareal werden aber auch Auen und krautreiche Wälder besiedelt, wobei der Hamster im Alatau bis auf Höhen von mehr als 2000 m vordringen kann (Berdyugin und Bolshakov 1998). Die relativ komplexen Baue werden bevorzugt in Löss oder tiefen lehmreichen Böden angelegt. Abb. 2 Feldhamster Cricetus cricetus (Foto: K. Neumann) Feldhamster sind weitgehend solitär lebende Nager, doch ergaben neuere Untersu- chungen in Sachsen-Anhalt (Kayser 2003), dass Interaktionen zwischen Individuen sehr häufig sind. Eine noch laufende Studie auf einer Versuchsfläche in Sachsen- 36 Anhalt zeigt, dass die Aktivität adulter Feldhamster vor allem in den Morgen- und Abendstunden liegt (Mundt, Dissertation in Vorbereitung). Es gibt keine ausgeprägte Nachtaktivität. Eine ähnliche bimodale Aktivitätsverteilung mit Maxima am Morgen und in der Abenddämmerung wurde auch bei anderen mitteleuropäischen Populatio- nen belegt (Nechay et al. 1977; Wendt 1989a; Kayser 2003). Im Gegensatz dazu werden ausgedehnte Streifzüge bis 2,5 km während der Nacht und ganztägige Akti- vität in der Fortpflanzungsperiode für russische Hamster angeben (Berdyugin und Bolshakov 1998). Relative einheitlich sind die Befunde zum Raumnutzungsverhalten. Männliche Feldhamster haben größere Streifgebiete als Weibchen und halten sich öfter außerhalb und in größerer Entfernung der Baue auf (Karaseva 1962; Weinhold 1998; Kayser 2003). Die Streifgebiete der Männchen überlappen sich häufig mit de- nen mehrerer Weibchen (Weinholdt 1998; Kayser 2003). Die Nahrung der Hamster besteht vor allem aus grünem Pflanzenmaterial und Samen. Der Anteil tierischer Kost schwankt entsprechend seiner Verfügbarkeit und kann zwischen 10 und 20 % betragen. Im Spätsommer werden Wintervorräte angelegt, die in Extremfällen weit mehr als 30 kg betragen (Wendt 1989b; Berdyugin und Bolshakov 1998). Die Tiere sind fakultative Winterschläfer, deren Schlafintervalle (ca. 7 - max. 15 Tage) von Ak- tivitätsphasen unterbrochen werden (Wendt 1984; Wollnik und Schmidt 1995; Wassmer 2004). Feldhamster erscheinen in Mitteleuropa im März-April mit dem Be- ginn der Fortpflanzungsperiode, wobei Männchen eher aktiv werden als Weibchen. Das Paarungssystem ist promiskuitiv. Genetische Analysen (Neumann unpubliziert) haben gezeigt, dass im Fall von zwei aufeinander folgenden Würfen eines Weib- chens (Hakel/Sachsen-Anhalt, 2000), diese jeweils von einem anderen Männchen stammten. In einem Wurf (4 Junge) aus der Umgebung von Brno (Tschechische Re- publik, 1999) konnte eine multiple Vaterschaft nachgewiesen werden (2 Väter). Die Angaben zur Tragzeit sind uneinheitlich. Nach Mohr et al. (1973) beträgt sie 15,5 - 17 Tage, wogegen Petzsch (1950) von 19 - 20 Tagen ausgeht. In Mitteleuropa und Russland kommen in der Regel 1 - 2 Würfe vor, während für das östliche Verbrei- tungsareal und den pannonischen Raum bis zu 3 Würfe belegt sind (Niethammer 1982; Nechay et al. 1977; Nechay 2000). Hamster erreichen die sexuelle Reife meist erst nach dem ersten Winter, aber es gibt Hinweise, dass junge Weibchen bereits im Jahr der Geburt reproduzieren können (Vohralίk 1974; Nechay et al. 1977). Die Wurfgrößen liegen zwischen 3 und 11 Tieren (Vohralίk 1974), sind mitunter aber auch höher. Das enorme Reproduktionspotential führt zu sehr dynamischen Popula- 37 tionsentwicklungen (Grulich 1980) und in günstigen Jahren zu Massenvermehrungen (Grulich 1986; Nechay et al. 1977). 3.2. Bestandssituation und Schutzstatus in Europa Als Steppenart trat der Feldhamster vor allem während der kühleren und gemäßigten Abschnitte des Pleistozäns auf (Storch 1974; Kowalski 2000). Dagegen verursachten die Kältemaxima der Glaziale aber auch sehr warme Abschnitte, z.B. im Atlantikum und Subatlantikum des Holozäns, deutliche Arealverluste (Markova et al. 1995; Spit- zenberger und Bauer 2001) für die Art. Eine letzte Ausbreitungsphase in Richtung Westen fand im Zuge der neolithischen Rodungen in Europa statt (Niethammer 1982; Clason 1999). Die heutige Verbreitung wurde somit wesentlich durch die fort- schreitende anthropogene Landwirtschaft bestimmt. Seit Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts kam es zu bedeutenden Bestandsrückgängen insbesondere im westli- chen Mitteleuropa (Libois und Rosoux 1982; Baumgart 1996; Backbier und Gubbels 1998), aber auch im osteuropäischen Raum sind Rückgänge zu verzeichnen (Mar- kov 1998; Murariu 1998; Nechay 2000). Als entscheidender Auslöser für den teilwei- se dramatischen Zusammenbruch der Feldhamsterbestände gilt die umfassende In- tensivierung der Landwirtschaft mit veränderten Bearbeitungsmethoden, Anbaukultu- ren und Fruchtfolgen (Pelzers et al. 1984; Backbier und Gubbels 1998; Kayser 2003). Inzwischen wurden nationale Schutzmaßnahmen für den Feldhamster in ver- schiedenen europäischen Ländern getroffen. In Deutschland wurde die Art in die Ro- ten Listen der einzelnen Bundesländer aufgenommen. Die Rote Liste der Bundesre- publik Deutschland führt den Feldhamster als stark gefährdet (Binot et al. 1998). Eu- ropaweit ist der Hamster durch die Berner Konvention und die FFH-Richtlinie ge- schützt (Mitchell-Jones et al. 1999). Trotz intensiver Bemühungen sind einige westli- che Populationen vom Aussterben bedroht oder schon weitestgehend verschwun- den, wie in den Niederlanden. Hier läuft seit 1999 ein Gefangenschafts- Zuchtprogramm für den Feldhamster und mit den ersten Wiederansiedelungen wur- de 2002 begonnen (Krekels 1999). Sämtliche genetischen Begleituntersuchungen für das niederländische Zuchtprojekt werden in Halle (unter meiner Leitung) durchge- führt. Im Jahre 2005 wurde ein Zuchtprogramm für den Feldhamster in Deutschland beschlossen. 38 3.3. Zur genetischen Diversität und Differenzierung europäischer Feldhams- terpopulationen Der Verlust genetischer Variabilität durch stark verringerte Individuenzahlen (Fla- schenhals, Gründereffekt) und eine geschlossene Populationsstruktur stellt ein we- sentliches Aussterberisiko für Wildpopulationen und Gefangenschaftszuchten dar (Frankel 1983; Frankel und Soulé 1991; Crnokrak und Roff 1999; Hildner 2003). Eine Erhöhung des Homozygotiegrades kann zu Inzuchtdepressionen führen. Gründe da- für sind die Expression rezessiver nachteiliger Allele oder die nicht mehr ausbalan- cierten Effekte überdominanter Loci (Frankel 1983; Reed et al. 2003). Gleichzeitig beeinträchtigt eine reduzierte Anzahl adaptiver Allele das Vermögen eines Organis- mus, auf Änderungen seiner Umwelt zu reagieren. Studien belegen, dass eine Re- duktion genetischer Variabilität mit verminderter Überlebenswahrscheinlichkeit, klei- neren Wurfgrößen und verzögerter Jungenentwicklung assoziiert sein kann (Madsen et al 1996; Dietz et al. 2000; Meagher et al. 2000). Es konnte ein deutlicher negativer Zusammenhang zwischen genetischer Variabilität und Populationswachstum herge- stellt werden (O’Brien 1985; Saccheri et al. 1996; Hildner 2003). Allerdings gibt es auch Beispiele, wie Mauritiusfalke Falco punctatus (Groombridge et al. 2000) und skandinavische Biber Castor fiber (Ellegren et al. 1993), bei denen Populationen trotz hoher genetischer Homogenität eine gute Bestandsentwicklung genommen haben. Inzuchteffekte sind häufig maskiert und werden erst in einer entsprechenden Um- weltsituation wirksam, wie z.B. intra-spezifische Konkurrenz (Meagher et al. 2000; Joron und Brakefield 2003) oder Erregerresistenz (Kappe et al. 1997). Eine Reihe von Arbeiten beschäftigt sich mit der phänotypischen Variabilität und Po- pulationsstruktur (Grulich 1987a, 1987b; Petzsch 1961; Pradel 1985; Kayser und Stubbe 2000) bzw. mit taxonomischen Aspekten des Feldhamsters (Niethammer 1982; Nechay et al. 1977; Mitchell-Jones et al. 1999; Nechay 2000). Die Studien er- gaben eine relativ hohe Variabilität morphologischer Merkmale, wie z.B. Fellfarbe oder Körpermaße, innerhalb und zwischen Populationen aufgrund ausgeprägter Geschlechtsdimorphismen als auch in Abhängigkeit von Populationsdichten. Spit- zenberger (2001) schlussfolgerte, dass eine Gliederung europäischer Feldhamster aus diesen Gründen nicht möglich ist. Trotz der einschränkenden Bewertung mor- phologischer Charakteristika wird die Existenz zweier Unterarten C. c. cricetus (Ost- hamster) und C. c. canescens (Westhamster) für Mitteleuropa angegeben (Mitchell- Jones et al. 1999). Berdyugin und Bolshakov (1998) listen weitere Unterarten für 39 Osteuropa und Asien, die im Allgemeinen nicht anerkannt werden (Niethammer 1982, Nechay 2000). Die im Zusammenhang mit den dramatischen Bestandseinbrü- chen in West- und Mitteleuropa eingeleiteten Schutzmaßnahmen der letzten Jahre erforderten eine umfangreiche Kenntnis der genetischen Variabilität und Populati- onsdifferenzierung. Im Extremfall sank die Feldhamsterpopulation in Lim- burg/Niederlande auf wenige Individuen. Fünfzehn Tiere wurden 1999 bei Heer ein- gefangen und bilden die Basis eines umfangreichen Feldhamster-Zucht und Wieder- ansiedelungsprogramms in den Niederlanden (Krekels 1999, Jansman et al. 2003; Abb. 3). Aus diesen Gründen entstanden eine Reihe von Projekten im Auftrag des Kultusministerium Sachsen-Anhalts und der niederländischen Umweltorganisation