Ehemalige Synagoge Von Rudolf Beringer

Nachdem Ende der 1970er Jahre die noch bestehende ehemalige Synagoge in Hemsbach als erinnerungswürdiges Bauwerk wiederentdeckt wurde, erfolgte 1981 der Ankauf durch die Stadt und ein Jahr später die Eintragung in das Denkmalbuch. Von Anfang an war eine Restaurierung vorgesehen, die von 1984 bis 1987 auch realisiert werden konnte. Das Besondere der Anlage im alten Ortskern von Hemsbach besteht darin, dass neben dem eigentlichen Synagogengebäude mit Unterrichtsraum und Lehrerwohnung auch die Mikwe (Ritualbad) vollständig erhalten ist. Das Gebäude und die Nutzung als Gedenkstätte sollen die Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Bürger und ihre Gemeinde wachhalten und dem Gedanken der Toleranz und Völkerverständigung dienen. Hierzu wird insbesondere mit Schulen eng zusammengearbeitet. Eigentümer des Gebäudes ist die Stadt Hemsbach, die die ehemalige Synagoge für kulturelle Veranstaltungen bereithält, wobei der ursprüngliche sakrale Geist des Hauses Berücksichtigung finden soll. Zu den Nutzern gehört insbesondere der „Förderverein Ehemalige Synagoge in Hemsbach e. V.“, der durch seine Veranstaltungen den Zugang zur jüdischen Kultur und Geschichte sowie zu ihrer Tradition und Bibelauslegung möglich machen möchte. Gleichermaßen will der Verein die Geschichte der Hemsbacher Juden in Erinnerung halten, zu vergangenen und aktuellen Problemen der deutsch-jüdischen Beziehungen Stellung nehmen und sich um Verständigung und Toleranz bemühen.

Die jüdische Gemeinde in Hemsbach

Juden sind in Hemsbach seit 1660 nachweisbar. Sie sind zunächst nur mit dem Eigennamen und der Beifügung „Jud“, ab 1705 dann mit Vornamen und Familiennamen erwähnt. Sie gehörten meist zu den ärmeren Bevölkerungskreisen im Ort. 1729 wohnten in Hemsbach vierzehn Familien, von denen sechs ein eigenes Haus besaßen. Die jüdische Gemeinde erreichte im Jahr 1875 mit 111 Personen ihren höchsten Bevölkerungsanteil (6,9 Prozent). Die erste Synagoge stand am Werretor (Wehrtor); sie musste 1799 verpfändet werden. Erst über vier Jahrzehnte später konnte die Gemeinde einen Neubau ins Auge fassen. Sie erwarb dafür das Grundstück Mittelgasse 16 und errichtete dort 1845 die Synagoge und die Mikwe. Im 19. Jahrhundert waren hier nacheinander drei Rabbiner tätig, denen später fünf Kantoren folgten, die zugleich den Unterricht der Kinder übernahmen, bis diese ab 1872 in die allgemeine Volksschule wechselten. Ein Licht auf die soziale und ökonomische Lage der jüdischen Bevölkerung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirft die Zahl der Auswanderer: von 1833 bis 1932 emigrierten insgesamt 37 Personen. Demgegenüber stand der reiche jüdische Bankierssohn Carl Meyer Freiherr von Rothschild (1788–1855), der das Hemsbacher Schloss kaufte. Er erweiterte und verschönerte es sogleich durch Anbauten im toskanischen Stil und legte einen repräsentativen Park mit seltenen Pflanzen an. Seine Verdienste würdigte die Gemeinde 1839 durch die Verleihung des Ehrenbürgerrechts. Der Freiherr dokumentierte sein Wohlwollen später erneut, als er zur Unterstützung bedürftiger christlicher Gemeindebürger einen ansehnlichen Betrag stiftete, aus dem bis 1917 Unterstützungsgelder nach Hemsbach flossen. Heute dient das Rothschild-Schloss der Gemeinde als Rathaus.

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Die Synagoge Hemsbach

Die Synagoge in Hemsbach wurde 1845 durch den Weinheimer Architekten Fuchs in dem damals für christliche sakrale Gebäude bevorzugten Rundbogenstil errichtet. Der Gebetsraum im östlichen Teil des Gebäudes ist durch zwei Säulenreihen dreischiffig gestaltet. Die Rundbogenfenster reichen bis in das obere Stockwerk, in dem sich die an drei Seiten umlaufende Frauenempore befindet. Im westlichen Teil des Gebäudes sind das Schulzimmer und eine Lehrerwohnung untergebracht. Das Portal zwischen beiden Gebäudeteilen wird von Halbsäulen flankiert. Die darüber angebrachte schwarze Steintafel trägt den eingemeißelten Segenspruch: „Jegliches Gebet, jegliches Flehen, das irgend ein Mensch vorbringt von deinem ganzen Volk Israel, wenn er inne wird jeder Plage seines Herzens, und er breitet seine Hände aus zu diesem Hause: so höre du im Himmel, der Stätte deines Sitzes, und vergib und gewähre“ (1. Könige 8, 38 ff.). Nicht einmal hundert Jahre konnte die Synagoge ihrer Bestimmung dienen. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 drangen Nazitrupps ein und zerstörten das Innere. Von der geplanten Sprengung ließen sie aus Furcht vor der Beschädigung der angrenzenden Gebäude ab. Gerettet wurde eine von Moritz Oppenheimer der Gemeinde gestiftete Thorarolle. Diese wurde ihm später nach Toms River, New Jersey (USA) nachgeschickt und diente in der dortigen Synagoge noch einige Jahre für die Lesung. Am 22. Oktober 1940 deportierten die Nationalsozialisten die letzten neunzehn Juden aus Hemsbach – die jüdische Gemeinde war damit ausgelöscht; die Synagoge wurde „arisiert“. Der Käufer verwendete sie zunächst für eine Matratzenfabrik, später durch das Einziehen von Decken und Wänden als Wohnungen für ausländische Arbeitnehmer.

Erinnerungskultur in Hemsbach seit 1981

Mit der Hilfe von Zuschüssen des Landes -Württemberg ließ man von 1984 bis 1987 den Originalzustand der Synagoge wiederherstellen, nachdem durch private Initiativen beide Gebäude geräumt worden waren. Noch im Jahr 1984 bildete sich der Verein „Ehemalige Synagoge Hemsbach“, dessen Mitglieder es sich in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung zur Aufgabe gemacht haben, die fast vergessenen, unmittelbar sichtbaren Zeugnisse der jüdischen Ortsgeschichte – Synagoge, Mikwe und Friedhof – in der Erinnerung wieder lebendig werden zu lassen. Eine Projektgruppe der Schillerschule hat unter Anleitung ihrer Lehrerin Margret Richter zwischen 1981 und 1984 eine eindrückliche Dokumentation der Geschichte der Hemsbacher Bürger jüdischen Glaubens unter dem Titel „Spuren – Erinnerungen“ erstellt und damit den Grundstein für die Erinnerungskultur im Ort gelegt. Die Förderung der Dokumentation durch die Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg markierte gleichzeitig deren Einstieg in die aktive Gedenkstättenarbeit. Seitdem findet alljährlich in Hemsbach zum Gedenktag an die Deportation der badischen Juden am 22. Oktober 1940 eine Gedenkveranstaltung statt.

Der Judenfriedhof

Der jüdische Friedhof in Hemsbach wird erstmals 1678 in einem Zinsbuch der Kellerei Hemsbach erwähnt. Er liegt in dem Gemarkungsteil „Auf der Au“ am oberen Mühlbach auf einem 1,42 Hektar großen Areal. Etwa 1.400 Grabstellen sind nachweisbar; die früheste lesbare Inschrift nennt das Jahr 1682. Für eine kleine Landgemeinde wie Hemsbach war ein eigener Friedhof mit der Pacht und den Ausgaben für den Unterhalt nicht finanzierbar gewesen, weswegen dieser als Verbandsfriedhof konzipiert wurde. Zum Unterhalt und zur Wahrung der Rechte und Pflichten der einzelnen

Verbandsgemeinden wurde 1716 eine sogenannte Begräbnisbruderschaft gegründet. Die in diesem Verband zusammengeschlossenen Gemeinden waren , Feudenheim, Großsachsen, Hemsbach, , , Laudenbach, , Leutershausen, Lützelsachsen, , und . Aus Heimatorten außerhalb des Friedhofverbandes stammen 39 Bestattete. Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nutzten nur noch Großsachsen, Hemsbach, Leutershausen, Lützelsachsen, Viernheim und Weinheim den Friedhof; die übrigen Verbandsgemeinden eröffneten eigene Friedhöfe. Die letzte Beerdigung fand am 20. August 1940 statt. Der Friedhof sollte während der nationalsozialistischen Diktatur verkauft und die „verwertbaren Steine“ ebenfalls veräußert werden. Die Verhandlungen zogen sich bis Januar 1945 hin, sind aber glücklicherweise nicht zum Abschluss gekommen, obwohl es einen Kaufinteressenten für die Steine gab. Bei dem jüdischen Friedhof in Hemsbach handelt es sich um einen der größten erhaltenen jüdischen Friedhöfe in Baden-Württemberg. Auf ihm lässt sich der Weg der Juden während der letzten dreihundert Jahre als Minderheit im christlichen Umfeld nachvollziehen. Für Juden galt und gilt, dass Grab und Grabstein schlicht gestaltet sein und Unterschiede in der gesellschaftlichen Stellung nicht zum Ausdruck gebracht werden sollen. Die Grabinschriften waren ursprünglich hebräisch. Dies änderte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich. Die Anpassung an den Stil der christlichen Umgebung wird dadurch deutlich: Die Grabsteine weisen nun als Zeichen der Emanzipation und Assimilation zunehmend schmückende Elemente und die Verwendung der deutschen Sprache auf. Im 20. Jahrhundert ist dann mit Ausnahme der biblischen Formeln „Möge seine bzw. ihre Seele eingebunden sein im Bündel des Lebens“ und „Hier liegt verborgen ...“ kein hebräisches Wort mehr zu finden. Nach jüdischem Brauch sind Gräber immerwährende Ruhestätten, die keine Veränderung erfahren dürfen. So sind die heute noch vorhandenen Gräber oft die einzigen Zeugen zum Gedenken an jüdische Menschen, deren Lebensläufe nach jüdischer Tradition auf den Grabsteinen verzeichnet sind. Sie sind somit Zeugnisse ihres Familienstandes, ihres Wissens, ihrer Gelehrsamkeit, ihres Fleißes und Könnens und Ausdruck der Anerkennung ihrer jüdischen und gelegentlich auch ihrer christlichen Zeitgenossen. Darum ist dieser Friedhof ein Ort der Trauer und des Gedenkens, aber auch ein unverzichtbarer Teil der Heimatgeschichte des Rhein--Raumes.

Rudolf Beringer, Gymnasiallehrer i. R., ist Mitglied im „Förderverein Ehemalige Synagoge in Hemsbach e. V.“.

Publikationen

 Edwin H. Höhn: Die Hemsbacher Synagoge. Hemsbach 1988.  Verein Ehemalige Synagoge in Hemsbach e.V. (Hrsg.): 150 Jahre Synagoge – 1200 Jahre Hemsbach. Begleittexte zur Ausstellung "Der Vorzeit Tage gedenke", Geschichte der Juden in Hemsbach und an der mittleren Bergstrasse, erstellt von Renate Fischer-Hoffmann und Ulrike Laufer, Hemsbach 1995.  Margret Richter: Spuren-Erinnerungen. Unsere Nachbarn jüdischen Glaubens, Dokumentation, Hemsbach 1984.