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SZ-Landkreisausgaben Samstag, 18. Oktober 2014 Bayern Region Seite 98DAH,EBE,ED,FS,FFB,München City,München Nord,München Süd,München West,STA,Wolfrhsn. Seite R20 Brutal schön „Hier stehen sie auf der Terrasse des Berghofs“: Jedes Jahr zieht es 300 000 Besucher auf den Obersalzberg. Sie erwartet dort eine seltsame Mischung aus Grusel und Aufklärung. Nun wird das NS-Dokumentationszentrum für 17 Millionen Euro erweitert von heiner effern Obersalzberg – Es sind Menschen wie die- ser 66 Jahre alte Niederländer, an denen zu sehen ist, wie verführerisch diese Mi- schung aus Naturschönheit und teufli- scher Inszenierung bis heute wirkt. Man steht noch gar nicht an der Hangkante, von der durch die Äste lichter Bäume das Massiv des Untersbergs zu sehen ist, da eilt er herbei und legt sofort los, ohne dar- um gebeten worden zu sein: „Hier stehen sie auf der Terrasse des Berghofs“, sagt er, und deutet auf Teile eines Fundaments, die er mit einem Spaten frei gelegt hat. „Hier auf der anderen Seite war das Pan- oramafenster. 15 Meter lang. Genau ge- nommen 14,98 Meter.“ Genau an diesen Stellen stand der „Führer“,von der NS-Pro- paganda inszeniert als Privatmann, als sin- nierender Naturliebhaber, der in die Berge blickt. Und hier wollen bis heute immer noch viele Menschen stehen und in die Ber- ge blicken. Der Mann aus den Niederlanden sagt, er sei Hobby-Historiker und keinesfalls ein Verehrer Adolf Hitlers. Er kommt seit Jahren zum Obersalzberg, angezogen von diesem mit Mythen belasteten Ort. Er ver- bringe dann stets den ganzen Tag hier auf dem Areal des früheren Berghofs. Dort räu- Mit dem Erfolg des Zentrums hatte bei der Eröffnung 1999 niemand gerechnet me er runtergefallene Äste weg oder auch Kerzen, die Alt- oder Neonazis hier immer noch anzünden. Die kämen aber immer weniger, sagt er, dafür aber viele Gäste aus aller Welt, die wissen wollten, wie der Mann, der Millionen von Menschen ermor- den ließ, privat gelebt habe. Diese könnten sich über den Berghof oberhalb von Berchtesgaden detailliert und wissenschaftlich fundiert informie- ren. Sie müssten nur ein paar Minuten durch den Wald nach oben wandern, weg von den letzten sichtbaren Resten des Berghofs, den Stützmauern am Hang, Der Berghof, Hitlers Domizil auf dem Obersalzberg, wurde von den Amerikanern gesprengt. Dennoch zieht das Areal, auf dem dann stünden sie vor dem NS-Dokumenta- mittlerweile Bäume wachsen, Besucher aus aller Welt an. Diese können sich auch in der NS-Dokumentationsstelle über den tionszentrum. Seit nunmehr 15 Jahren Terror des NS-Regimes informieren. Unweit davon errichtete der Freistaat ein Luxushotel. FOTO: SCHERL, IFZ, GETTY klärt es über die Gräuel des NS-Regimes auf und vermittelt, wie untrennbar verbun- den die scheinbare Idylle und Hitlers Le- beheben: Es gab nie und gibt immer noch könnte. Und dass ein Gesamtkonzept ei- ben am Obersalzberg sind. Am Montag kein Gesamtkonzept, das Besucher über nes Tages doch umgesetzt werde. Die Gele- wird das Jubiläum des Dokuzentrums mit denvon den Nazis kontaminierten Berg lei- genheit dazu hatte der Freistaat bereits in einem Festakt gefeiert. tet. Die größte touristische Attraktion, das den 1990er Jahren, als die US-Armee den Dafür besteht durchaus Grund: Weit Kehlsteinhaus, fahren Busse im Pendelver- Obersalzberg nach etwa 50-jähriger Besat- mehr als zwei Millionen Menschen sind in kehr vom Obersalzberg aus an. Die etwa zungszeit verließ und alle verbliebenen Ge- den 15 Jahren seit der Gründung gekom- 300 000 Besucher im Jahr erhalten ein bäude und die Flächen an den Staat gin- men. Mit einem solchen Erfolg hatte nie- paar Informationen, doch sie werden mit gen. Die Regierung entschied sich für das mand gerechnet, das Gebäude war an- dem Teehaus Hitlers in einzigartiger Berg- sogenannte Zwei-Säulen-Modell, um die fangs auf 30 000 bis 40 000 Besucher pro lage noch viel zu sehr alleine gelassen. We- Geschichte des Obersalzbergs aufzuarbei- Jahr ausgelegt. Es kommen regelmäßig nigstens sind dort und am gesamten Ober- ten und vor allem braune Wallfahrer fern- mehr als 150 000 Besucher. Unhaltbare Zu- zuhalten. Die eine Säule ist das Dokumen- stände in einer so wichtigen Ausstellung. An einigen Orten werden tationszentrum, die zweite der Tourismus. Der Freistaat reagiert nun darauf: Gerade die Besucher noch immer Die Bayerische Landesbank als Staats- wurde der Architektenwettbewerb für ein tochter baute ein 50 Millionen Euro teures zweites Gebäude mit einer mehr als dop- alleine gelassen Fünf-Sterne-Hotel auf dem Eckerbichl, pelt so großen Ausstellungsfläche abge- den manche nach dem zeitweiligen Bewoh- schlossen. 17 Millionen Euro wird der Frei- salzberg die Zeiten vorbei, als im besten ner auch Göring-Hügel nannten. Das Ho- staat dafür ausgeben. Fall verharmlosend zu nennende Broschü- tel ist so exklusiv, dass tatsächlich keine „Die neue Ausstellung wird den Ober- ren und Postkarten verkauft wurden. Al- oder zumindest nicht wahrnehmbare Be- salzberg und die Allgemeingeschichte lein gelassen werden Obersalzberg-Besu- sucher mit rechtsextremer Gesinnung noch sehr viel stärker verknüpfen“, sagt cher auch, wenn sie die paar Meter von Hit- mehr hier logieren. Allerdings kommen Andreas Wirsching, Leiter des Instituts für lers früherem Anwesen zum Gasthaus auch insgesamt zu wenige Besucher, so Zeitgeschichte (IfZ),das die inhaltliche Auf- „Zum Türken“ hinübergehen. Vor der zeit- dassdie Bayern LB Jahr für Jahr einen Fehl- arbeitung der NS-Zeit auf dem Obersalz- weiligen Unterkunft von Hitlers Leibwa- betrag von etwa drei Millionen Euro aus- berg verantwortet. Dazu gehört auch, dass che wirbt ein Schild: „Bunkeranlagen, Teil- weisen muss. Ein Zwei-Säulenmodell mit das Areal von Hitlers Berghof als Außenan- bereich Reichssicherheitsdienst, Teilbe- enormer Schieflage, das trotzdem aufge- lage in das Konzept eingebunden werden reich Berghofbunker.“ gangen sei, sagt IfZ-Leiter Wirsching. soll. Die Bäume sollen stehen bleiben, der Für 3,50 Euro geht es durch eine Dreh- „Wenn man den Handlungsdruck berück- Blick von Hitlers Terrasse wird nicht freige- tür und dann eine Wendeltreppe hinab bis sichtigt, unter dem sich die Staatsregie- schnitten, kein weiteres Mauerwerk wird in einen der Gänge, mit denen die Nazis rung damals gesehen hat, war es ein hinrei- bloßgelegt. Der Besucher solle auch die den ganzen Berg durchlöcherten. Nass, chend praktikables Konzept.“ Vergänglichkeit des Nazi-Regimes erle- kalt und dunkel ist es dort. Direkt an die Auch Charlotte Knobloch von der Israeli- ben, sagt Axel Drecoll, der wissenschaftli- Wand geschrieben sind einzelne kurze In- tischen Kultusgemeinde Oberbayern sieht che Leiter des Dokuzentrums. „Die Faszi- formationen, wo zum Beispiel Maschinen- das so. „Es ist ein schmaler Grat zwischen nation, die der Ort ausübt, soll bewusst ge- gewehrstände waren, wo sich eine Hei- Schauer und Idylle, auf dem dort oben ba- brochen werden.“ zungsanlage oder eine Toilette für die SS- lanciert werden muss.“Das gelinge bisher, Der auf den Ruinen des Berghofs mit Leute befand. An einer zugemauerten Tür das Konzept sei „per se nicht zu beanstan- dem Spaten herumkratzende Niederlän- steht, dass sich dahinter Hitlers und Eva den“. Wichtig sei, dass Besucher dieses der belegt, wie notwendig dieser Schritt Brauns Bunkerräume befänden. Grusel- schönen Fleckens Bayern eines nicht ver- ist. Ein wichtiger Beitrag, um den ur- tourismus. IfZ-Chef Wirsching würde sich gäßen. „Die Idylle des Obersalzberges und sprünglichen Konstruktionsfehler im Um- wünschen, dass der Freistaat den privaten das unvorstellbare Grauen der Todesfabri- gang mit dem Täter-Ort Obersalzberg zu Gasthof und die Bunkeranlagen erwerben ken wie Auschwitz sind untrennbar.“ DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München A58318900 Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de libnetfhdeggendorf.