10,00 € Alp Eins mit der Natur Ein Bergsturz im Jahre 1172 nach Christus hat den heutigen Königssee vom Obersee Willkommen. Hier hinten sehen Sie den getrennt. Die dortige Saletalm erhielt noch Bahnhof, der von 1938 bis 1940 erbaut von Prinzregenten Luitpold die Lizenz für wurde. Der ehemalige Empfangsbereich einen 16 m2 grossen Kiosk und kann in ih- für den damaligen Führer und Reichs- ren Gasträumen gleichzeitig bis zu 300 kanzler ist heute ein Reise- Mittagsgäste beherbergen. Das Wasser des büro. Markt mit seinen Obersees übersteigt ganzjährig kaum die 7.500 Einwohnern und einer Gesamtfläche 20-Grad-Marke und gilt als sehr klar. von 35,61 km2 schaut auf eine lange Ge- schichte zurück. Der 2.713 m hohe Watzmann mit seiner vorgelagerten Watzfrau und ihren Watz- Der Ort wird zum ersten Mal 1102 ur- kindern ist nach der Zugspitze und dem kundlich erwähnt. Die Besiedelung des Hochwanner der dritthöchste Berg Tales geht auf einen Schwur der Gräfin Deutschlands. Seine berühmte Ostwand Irmgard von Sulzbach zurück. Ihr Mann fällt unterhalb des Gipfels fast 1.800 m erlitt einen Jagdunfall. Damit er genesen senkrecht ab. konnte, gründete sie in der heutigen Markt- Er wurde um 1825 von Caspar David mitte ein Kloster. Die telefonische Vor- Friedrich gemalt und steht seit 1979 auch wahl des gesamten Landkreis Berchtesga- Pate für ein bekanntes österreichisches den lautet 08652, das Autokennzeichen Blödelmusical. Die Besteigung vor allem hört auf den Namen BGL. der Ostwand hat seit Beginn der Kletterei in den Alpen zirka 100 Menschenleben Mit seinen 6,3 km Ausdehnung erreicht gefordert. Vor allem die raschen Wetter- der Königssee exakt die Länge des Ham- umschwünge, aber auch das unsachge- burger Elbtunnels, ist allerdings breiter. mässe Besteigen sind dafür verantwortlich Dazu besitzt er mit der Königsseer Ache zu machen. nur einen einzigen Abfluss. Das gesamte darin befindliche Wasser wird Das , dem Hohen Göll vor- in seinem Volumen auf 511.785.000 m3 gelagert, in nur dreizehn Monaten durch geschätzt. Es übersteigt mit seinem ge- erbaut, bietet einen schätzten Gesamtgewicht das »gesamte in fantastischen Blick auf das Voralpenland den USA entbeinte Fleisch im Jahr 1979« hinüber bis . Es war als Geschenk oder das Gewicht einer der beiden für den Reichskanzler und damaligen WTC Türme, die am 11. September 2001 Führer Adolf Hitler gedacht und wurde in New York zum Einsturz kamen. am 20. April 1939 von ihm selbst einge-

2–3 weiht. Er besuchte dieses hoch gelegene von Rumänien und den Führer des deut- Teehaus nur vierzehn Mal. Der Kamin des schen Vasallenstaates Kroatien, Ante heutigen Gastraums ist ein erhalten geblie- Pavelić (der sein Amt von 1941–1944 benes Geschenk von , die innehielt) und weitere. Möbel wurden von Paul László entworfen. Am 25. April 1945 warfen Lancaster- Bomber der Royal Air Force fast 1.300 Adolf Hitler hatte durch Bomben über dem ab, Berchtesgaden und den Obersalzberg ken- während das im Tal liegende Berchtesga- nengelernt. Im Jahre 1928 mietete der den davon nahezu vollständig verschont damals Staatenlose das Haus Wachenfeld blieb. Berchtesgaden beherbergt einige für 100 im Monat von der Juwelen der oberbayerischen Baukunst in Witwe eines Lederwarenfabrikanten aus seiner Mitte, so zum Beispiel das Schloss Buxtehude. Im Sommer 1933 kaufte er der Wittelsbacher im heutigen Markt das Haus mit Geldern aus den Tantiemen Berchtesgaden, dem gegenüber die Krieger- für sein Buch »« und be- denkmäler für den Ersten und Zweiten nannte es in »« um. Weltkrieg zu finden sind. Viele Bürger des Häufig verbrachte Hitler mehrere Monate Ortes fielen für das Vaterland. im Jahr auf dem Obersalzberg, um von Berchtesgaden aus die Regierungsgeschäf- Wir bedanken uns und wünschen Ihnen te zu führen. Unter anderem verbaute man noch einen schönen Tag. im »Berghof« das damals grösste versenk- bare Terassenfenster der Welt. Seit 1937 befand sich mit der Reichskanz- lei, Dienststelle Berchtesgaden, im Ortsteil Stanggaß am Fuss des Untersberg, auch der zweite Regierungssitz des Dritten Reichs in Berchtesgaden.

Adolf Hitler empfing als Reichskanzler auch Staatsgäste auf dem Berghof, z. B. den ehemaligen britischen Premierminister David Lloyd George, den spanischen Bot- schafter Marques de Magaz, den britischen Premierminister Arthur Neville Cham- berlain, den französischen Botschafter An- dré François-Poncet, sowie König Carol II. »Soldat« Serie Obersalzberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 »Getarnter SA-Mann« Serie Obersalzberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

»General am Watzmann« Serie Obersalzberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 KASPERL UND DAS BERGSCHLOSS (1. Akt, 4. Bild)

König: ... kommt ja gar nicht in Frage, Krokodil. Diese Autobahn muss noch viel länger werden. Wenn wir so gross werden wollen, dürfen Sie nicht klein denken. Denken Sie doch mal in historischen Dimensionen! In 1000 Jahren! So wird das nicht gemacht! (Der König geht ab)

Krokodil: So kann’s nicht weitergehen. Der König ist total überspannt vom Regieren.

Zauberer: Der macht einfach nicht mehr das, was wir wollen. Was der König will, schaffen wir nie.

Krokodil (echot): Das schaffen wir nie. (Schweigen)

Zauberer: Ich denke, unser geliebter Regent braucht dringend Erholung. War der überhaupt schon mal in Urlaub?

Krokodil: Als Kind war er mal in den Bergen.

Zauberer: Krokodil, eine hervorragende Idee. Wir fahren in Urlaub. Lassen Sie uns die Koffer packen!

2. Akt, 1. Bild Am Bahnhof einer bayerischen Kleinstadt in den Alpen.

König: Ach, ist das hübsch hier. Ist ja grossartig! Diese Landschaft. Diese Seen! Diese Berge! Krokodil, das war meine grossartige Idee. Aber... kein Emp- fangskomitee? Und dieser Bahnhof... irgendwie ist das nicht standesgemäss.

Krokodil: Das können wir grösser machen, Majestät. Das krie- gen wir schon hin. Sehen Sie, da hinten liegt auch gleich Italien. »SA-Mann am Mooslahnerkopf« Serie Obersalzberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 (Auftritt Kasperl)

Kasperl: Griass Gott! San sie der Herr Kini? Mei’ Grossmutter hat g’sagt, ich soll eanane Koffer tragn.

König (zum Krokodil): Verstehen Sie diesen Mann? Was sagt dieser Untertan?

Krokodil (zischt Kasperl an): Reden Sie nicht lange und nehmen sie die Koffer, Mann! Sonst helf’ ich Ihnen!

2. Akt, 2. Bild In der Pension der Grossmutter.

Grossmutter: Ja, der Herr König! Ist mir eine Ehre! Ich kenn’ sie ja aus dem Fernsehen. Aber in echt san’ sie ja noch viel... schöner. Vor den Bergen wirken sie ja noch viel... grösser und stärker.

König: Danke, gute Frau. Sehen Sie, Krokodil, das Volk ver- steht mich. Hier sieht man mich, wie ich bin. (Kasperl kommt mit den Koffern)

Kasperl (keucht): Mei, san die Koffer schwer! Herr König, was habn’s denn da drin?

König: Lauter grosse Pläne für mein Volk.

Kasperl: Aha... bei dem G’wicht können das keine G’scheiten sein.

Grossmutter: Kasperl, jetzt bringst Du die Koffer aufs Zimmer und dann zeigst unserer Majestät, wie schön wir’s hier haben. Schaun’s, Herr König, der Himmel weiss-blau.

Kasperl: Na, ich mog ned. I’ wollt doch mit dem Seppl fischen gehen.

10–11 »SS-Mann am Scharitzkehl« Serie Obersalzberg © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Grossmutter: Ich träume von einem Schloss auf dem Gipfel am Berg. Geh weida, dann nimmst ihn halt mit. Im Stile des Volkes. Von einem Teehaus auf dem höchsten Gipfel. Ganz bodenständig. König: Mit einem goldenen Aufzug. Ja, Kasperl, zeig mir einen See, der eines Königs Zauberer, ich brauche einen majestätischen Bahnhof! würdig ist. Einen echten Königssee. Krokodil, lassen sie den See zuschütten! Dort machen wir einen Parkplatz. Kasperl (wendet sich ans Publikum): Naa, den See zeig ich dem ned. Sonst fischt der mir Grossmutter: noch den See leer. (zum König) Ich weiss was bes- Des is a guade Idee, dann gibt’s ganz viel Arbeit seres. Wir holen den Seppl ab und steigen auf den fürs Dorf. Berg. Seppl: Und wo geh I dann hin zum Fischn? 2. Akt, 3. Bild Abends, in der Pension. Kasperl und Seppl sitzen erschlagen von der Wanderung im König: Frühstücksraum der Pension. Nun, Seppl, diese Angelegenheit können wir regeln.

Kasperl: Krokodil: Mei, tun mir die Füsse weh! Dem Manne kann geholfen werden.

Seppl: Kasperl (zu sich): Ich hab überall Blasen... ich ko nimma. Au weh. Jetzt haben wir den Salat. Wie kriegen wir den jetzt wieder los? Kasperl: Ned auszuhalten! immer weiter, höher, grösser! Der hört ja nie auf! (Zum Krokodil) Ist der immer so an- strengend?

Krokodil: http://ow.ly/9Mwta Der König regiert immer mit aller Kraft.

Seppl: Die hab I nimmer. Gott sei Dank bleibt der ned lang.

Krokodil: Der ist ja hier nur im Urlaub. Stellt Euch bloss mal vor, wie er daheim in der Hauptstadt ist. Jetzt stellts Euch nicht so an. Es wird schon nicht zu Eu- ren Ungunsten sein.

(König und Grossmutter treten auf)

König: Geliebtes Volk, ich, der König, habe mich entschlos- sen, diese Gegend mit meiner dauerhaften Anwesenheit zu beglücken. Dadurch werde ich im Land noch be- liebter. Wenn ich auf dem Berg stehe, können mich ja viel mehr meiner Untertanen sehen.

12–13 Brotzeit bei Adolf

14 Besuch in einem Haus, das eigentlich nicht Die Stimme aus dem Buslautsprecher verweist kurz auf Kulisse für einige Staatstreffen bot. Geändert hat sich viel mehr sein will, als eine Panorama-Gaststätte. diesen historischen Hintergrund, lobt die einzigartige einzig die Möblierung, die jetzt Platz für Hunderte bie- Gruseln-Light im Bayernland. Aussicht, die man auf der weiterführenden Rossweid- ten muss. Eine Demokratisierung von Geschichtsgü- Panorama-Strasse geniessen kann – was man gerne tern sozusagen. Der Himmel ist heute grau in grau, in dieser unschö- glaubt, an diesem Regentag aber bestenfalls erahnen nen Ausprägung wird das Reisewetter lediglich unter- kann. Für den beträchtlichen fremdsprachigen Gäste- Der Kuchen im Halse brochen von ausgiebigen Regengüssen. An der Bussta- teil wird die Information englisch nachgereicht. Nach Allein die Menge der Schaulustigen sorgt für die Profa- tion beim Obersalzberg muss man ausnahmsweise 20 Minuten hält der Buskorso auf dem Parkplatz. Es nisierung des Raums. Ein regnerischer Tag ist für den nicht lange auf einen Platz für die Fahrt hinauf auf den wird gebeten, aus organisatorischen Gründen gleich Restaurantpächter beinahe so gut wie eine Lizenz zum Kehlberg warten. Die Bergspitze ist in Wolken gehüllt den Rückreisetermin anzugeben. Gelddrucken. Draussen auf dem Wanderweg bewegt vom Fuss des Berges aus nicht zu sehen. Der Bus füllt sich heute nur, wer einen Schirm oder eine gute Regen- sich trotz des stattlichen Fahrpreises von 15,50 Euro Durch einen kühlen Tunnel jacke dabei hat. Noch mehr als bei anderen Fotomoti- schnell. So kann die Reise bald losgehen. Ziel ist das Zwei Stunden, hatte die Lautsprecherstimme als übli- ven werden sich die Leute zuhause fragen, wo das Bild Kehlsteinhaus, von den Amerikanern mit bewundern- che Verweildauer rund um das Haus vorgegeben. Also mit dem gleichmässig bleigrauen Hintergrund wohl dem Unterton als »Eagle’s Nest« bezeichnet. holen sich die Leute den entsprechenden Stempel auf entstanden sein mag. Drinnen hingegen blitzt immer ihren Fahrschein. Nun also können ältere und jüngere wieder eine Kamera und fängt den mystischen Ort di- Der »« liegt auf beinahe 1.800 m und zieht Zeitgenossen hier oben den Atem der Zeitgeschichte gital ein. Zum Ritual gehört der Besuch der »Fotoaus- jedes Jahr rund 300.000 Besucherinnen und Besucher spüren. Der erste Weg führt durch einen kühlen Tun- stellung« in einem Durchgang. Die englisch und an. An Spitzentagen transportiert die Busflotte bis zu nel in den Berg hinein. Am Ende des Ganges nimmt deutsch gehaltenen Texte geben die Baugeschichte des 4.000 Personen die abenteuerlich steile und schmale ein Lift mit Spiegeln und messingglänzenden Wänden Hauses wieder. Ein wesentlicher Teil des Kontextes Strasse hinauf. Kreuzen können die Busse unterwegs die Gäste auf. Der »Liftboy« informiert sich während bleibt hier aber auf der Strecke. nicht. Deshalb sind alles Touristentransporter immer der Wartezeiten im Sportteil der »Süddeutschen« gleichzeitig nach oben oder nach unten unterwegs. über alles zur Fussball-WM. Für Uneingeweihte könnte der Planer und Hitlers Privatsekretär Martin Bormann ebensogut der Chef- Dass an diesem verhangenen Tag Hunderte den Weg Der Lift ist voll und steigt in die Höhe. Nach hundert dekorateur des 3. gewesen sein. Die Bildtafeln zum Kehlsteinhaus auf sich nehmen, ist nicht allein der Metern steht die Gruppe im Kehlsteinhaus. Die Mau- bieten den Gästen Geschichte light. Der Kuchen, der vermeintlich tollen Aussicht geschuldet, die dort oben ern sind im Original erhalten, vieles dürfte noch dem freundlich zum Kaffee gereicht wird, soll einem auf wartet. Das Kehlsteinhaus lockt eben auch mit greif­ Urzustand entsprechen. Die Amerikaner hatten 1945 keinen Fall im Halse stecken bleiben. Nach etwa zwei barer Nähe zur jüngeren Geschichte. Das Haus wurde die Sprengung des Gebäudes erwogen, dann aber doch Stunden fahren die Besucher mit dem nächsten Bus- zum 50. Geburtstag von Adolf Hitler mit abersinnigen davon abgesehen. Das Schicksal des Obersalzbergs, der korso wieder hinunter zum Ausgangspunkt gleich ne- Aufwand errichtet. Mehrere Tausend Arbeiter bauten nach einem Bombenhagel in Flammen aufging, blieb ben dem Dokumentationszentrum Obersalzberg, wo die Strasse und das Haus innert nur 14 Monaten. 1938 dem Gipfelhaus erspart. Dieser Entscheidung ist zu die Täter und ihre Opfer Namen und Gesichter be- wurde es seinem Zweck übergeben. verdanken, dass Touristen aus aller Welt – in grosser kommen, das Grauen nicht mehr en passant konsu- Martin Bormann wollte mit diesem Geschenk, so die Zahl auch US-Bürger – in Hitlers original erhaltenen miert werden kann. Die Besucherzahlen sind hier aller- Geschichtsschreibung, dem Diktator seine planeri- Räumlichkeiten tafeln können. dings nur halb so hoch im Kehlsteinhaus. schen Fähigkeiten beweisen. Hitler übernahm die Eine zünftige Brotzeit oder eine deftige Haxe begleiten Für diejenigen, die es bei der Busfahrt belassen haben, Gabe, führte Staatsgäste in die beeindruckende Höhe den leichten Schauer, der den Touristen die Nacken- hat sich der Ausflug trotzdem gelohnt: »Die Aussicht und bewirtete sie. Nach etwas mehr als einem Dutzend haare leicht aufstellen lässt. Mit dem Buch »Geheim- wäre zweifellos erhaben gewesen, hätte es heute bloss Besuchen auf dem wurde er des Geschenks nis Kehlberghaus« in der Hand kann man sich vorstel- nicht geregnet. Und die Brotzeit war reichlich und hat allerdings überdrüssig und beachtete es kaum mehr. len, dass der mit Mussolinis Marmor umbaute Kamin geschmeckt.«

16–17 An einem Überbleibsel der 70er lässt sich alles Kehlsteinhaus in Wasser getaucht auf der Verkaufsauf- auf einem Blick sehen. Der Gangstock mit den lage und lässt sich nur durch aufgeschüttelteltes Styro- Plaketten von alpinen Reisezielen. Gleich rechts por ein wenig verbergen. An seinem Sockel, da wo kon- neben der Kassiererin fanden sich immer die Mo- sequenterweise ein Hakenkreuz platziert werden hätte tive von Bergen und Schlössern, gearbeitet aus müssen, prangt der Bundesadler und schafft so noch bemaltem Zink, das mit zwei feinen Stiften in das einmal den Bezug zur Jetztzeit und dem merkwürdi- Holz geschlagen wurde. gen Namen, der für diese Verbauung von US-Soldaten gefunden wurde: »Eagle’s Nest«. Das Adlernest. Schloss Linderhof, meinetwegen die Eiger Nordwand, So wie der Adler nicht mehr in der Alpen zu finden ist, auch Neuschwanstein. Mitbringsel haben diesen Moti- so wie sich der Watzmann nur bei Sonne und an Früh- Andenken – ven eine höhere Auflage beschert als es vermutlich jedes sommertagen mit dem Schnee des ausgehenden Win- andere Bildmotiv aus den Alpen für sich reklamieren ters vor Sommerwiesen zeigt, so kann niemand ein er- kann. Dabei scheint die grosse Welle der Kitschansich- standenes Andenken aus diesem Tal erwerben und es ten mit der Vorgeneration vorbei gegangen zu sein. neben die Wirklichkeit halten, die er gerade zu sehen warum Aber durch den vermehrten Tourismus von ausserhalb meint. Jedenfalls nicht, ohne sich des Unterschiedes Europas ziehen die Souvenirs wieder in die Kioske ein. klar zu werden, den er eben eingesackt hat. Vor allem der Watzmann erfreut sich bei US-amerika- nischen Reisenden einer Beliebtheit, wie er das letzte So wie Neuschwanstein und Linderhof nur den Tag- das echte Mal zu Zeiten des Dritten Reiches hatte. Wenn Reise- träumen eines lebensscheuen Monarchen zu verdanken gruppen »den Führer« sehen wollten. Und doch nur sind, haben auch die Reisemitbringsel immer weniger einen Zaun zu sehen bekamen. mit dem zu tun, was die Wirklichkeit aus drei Bussen, die die Strasse zum Kehlsteinhaus hinauf stinken, ver- Bild den Vom Obersalzberg aus ist der höchste Gipfel am muten lässt. Aber darum geht es ja gar nicht. Königssee nicht zu sehen, und auf dem Kehlsteinhaus erscheint er auf der anderen Talseite in veränderter Per- Worum es geht spektive. Die wenigsten würden ihn so erkennen. Nur Als mein Vater stolz seinen Gangstock vor sich her Gedankenort bei der Einfahrt nach Berchtesgaden und an postkar- trug, ging es ihm nicht mehr, darum mit dem Präsen- tengleichen Reisetagen sieht der Watzmann so aus, wie tieren von Schlossminiaturen auf die Errungenschaf- ihn schon Koch vor mehr als 150 Jahren gemalt hat. ten von Linderhof hinzuweisen – für das Siemens den Ein Reisszahn, der in der freundlichen Sonne wie aus ersten Stromgenerator Bayerns installierte. Oder auf zerstört Plastik anmutet. So findet er sich mit einer in bundes- den nicht vollendeten Bau von Neuschwanstein, dessen deutschen Farben gehaltenen Banderole auf dem Bauherr die erste Unfallversicherung für Bauarbeiter Gangstock meines Vaters wieder. Überhaupt scheinen in Deutschland abschloss. Es ging ihm auch nicht dar- eigene Werkstoffe für die Industrie der gebügelten Er- um, das Kehlsteinhaus als letztes Überbleibsel der innerungen erfunden worden zu sein, so wie die künst- dümmlichsten Gewaltherrschaft zu zeigen, die jemals liche Patina der Gebäude in Schneekugeln. Kein Plasti- auf Erden existiert hat. Ihn interessierte es nicht, dass lin würde den Regentag in Oberbayern nachbilden, der der offene Kamin von Mussolini stammt und so banal vielleicht die Reise zum müden Tag in einer Gaststäte dort im Gastraum herumsteht, wie der Andenken- degradierte. Es muss immer die Sonne auf wie würde- stand mit seinen »Eagle’s Nest Energy Drink« Dosen. voll vermooste Dachsparren scheinen. So steht das Es war ihm wichtig zu zeigen: Ich bin dort gewesen. 18 18–19 Ich habe einen Eindruck mitgenommen. Und in Ge- tion finden sich Schlösser und Berge als ein kleines danken ist dieser Eindruck zu einem Traum geworden. Idyll in Zink, als Abwehrzauber gegen die Realität, die Von wunderschöner Einfalt. Von der Sonne, die über vom Unrecht alter Systeme und von den Verunglück- die Gipfel scheint, von Schlössern und hoch oben ge- ten Arbeitern während des Baus von Neuschwanstein bauten Sommerhäusern, die dem Paradies abgeschaut nichts aufkommen lassen sollen. Ein Kiosk ist eine Ins- scheinen. tantvernebelungsmaschine. Ein Bierkrugdeckel mit einem Reichsadler daneben Es kann keine Wirklichkeit in Mitbringseln geben. soll die gute alte Kaiserzeit in amerikanischen Wohn- Denn die Wirklichkeit wartet zu Hause, und das Stück stuben zitieren, so wie deutsche Touristen die Insel von Plastik in Glas soll ein Gegengift zum Alltag sein. Nur Capri in den 50ern nur in Sonnenuntergangslicht dann greift ein Besucher in sein Portemonnaie und er- getaucht hatten sehen wollen. Niemand hätte damals wirbt einen Fetisch, der noch einmal das Klischee vom gerne an die amerikanischen Landungsboote in der romantischen Traum in das eigene Wohnzimmer brin- Nähe von Neapel gedacht. Es ging um die Fischer und gen soll. Nicht umsonst sind Schrebergärten voller um den Schmelz deutscher Schlager. Und so geht es Gartenzwerge und bergen in jeder zweiten Hütte eine heute bei Bierkrügen um die deutschtümelnde Trink- Ansicht von Alpenregionen, die es so noch nie gegeben gemütlichkeit, die sich jemand aus Idaho gerne mit ei- hat. Wo ein Traum zitiert wird, weil nicht einmal die nem einfachen Kauf auf das Regal stellen will. So wie Kraft zum eigenen Träumen vorhanden ist, da finden noch heute im Epcot Center der deutsche Pavillon von sich Hirsche vor Wäldern, die kein Mensch allen Erns- Disney vor allem aus deutschen Bierkneipen besteht. tes in Hohenschwangau vermuten würde. Das Kehlsteinhaus ist radikal enthistorisierter Ramsch in Touristenläden geworden, weil schon allein die Idee Das Ende des Kitsches des Hauses von Bormann auf der gleichen bräsigen Idee Der anhimmelnde Kitschblick auf das Kehlsteinhaus, des schnell gekauften Traumes basiert. Einer Idee von der es neben einem urdeutschen Zinnkrug zum Spiel- Idylle, die schon immer so oberflächlich war, weil sie zeughäuschen macht, bricht spätestens dann, wenn nur schnell einen Schenkimpuls bedienen sollte. dieser Touristenmüll auf der kleinen Shoppingmeile neben dem Parkplatz zu kaufen ist, der auf dem Gelän- Eigentlich hat man ja nicht einmal vor, das Erstandene de des ehemaligen Berghofs steht. Unwillkürlich sucht für das eigene Regal zu kaufen. Die Gangstockplakette man den Playmobil-Hitler oder den Nachbau seines of- ist für den Opa, das Kehlsteinhaus war von Bormann fenen Mercedes vor der gemalten Pappschachtel, die für Hitler gedacht. Und Hitler versteckte darin nur sei- den Königssee noch andeuten soll. Es fehlt die Göring- ne Endgattin, . Knuddelpuppe und der sprechende Goebbels, den man an der ausgestreckten rechten Hand aufziehen kann, damit er eine seiner Sportpalastreden von sich gibt.

Wie drollig. Es gibt eine Verniedlichung, die sich von http://ow.ly/9MEXU selbst verbietet, so wie es nicht angebracht wäre, die Nachbildung eines KZs in eine Schneekugel zu packen. Das sagt sich so, aber es gibt Ansichtskarten mit dem Lager als Motiv, auf denen »Viele Grüsse aus Dachau« steht. Auf den Gangstöcken unserer Vorgängergenera-

20–21 entsprechend der Richtlinien des örtlichen Touristenverbands ge- staltet werden kann. Auch mit Bier. Da es sich bei dieser Walthüt- tenjause um den Markpunkt zwischen unseren Ortschaften handelt, sehen wir keinerlei Problem darin, aus beiden Ortschaften die Betrifft: Waldgedenkstätte entsprechenden Gruppen zu empfangen und sie nach der Stärkung wieder in die Ausgangsortschaften zurück zu empfehlen. Dort kann Lieber sehr geehrter Herr Hominger, das weitere Mittagessen eingenommen werden.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Schreiben vom 19.10. diesen Jahres 2. Unterweisung kann besorgt werden. Wir dachten dabei an eine und schlage die Vereinbarkeit für das weitere Vorgehen zwischen wunderschön gestaltete Schautafel, die in kurzer und einprägsamer unseren beiden Fremdenverkehrsorten gemäss Absprache vor, da Weise den Aufenthalt des Besagten in dieser Hütte beschreibt, ohne es weder Ihnen noch uns möglich erscheint, derzeit ein volles dabei zu sehr an bereits existierende historische Forschungen Zweitagesprogramm für anreisende Touristen zu bieten. Wir denken angelehnt zu sein. Auch empfi ehlt es sich, einen Kiosk mit lehrrei- auch, dass mit der von Ihnen vorgeschlagenen Lösung ein hohes chen Broschüren und des weiteren mit geringen Geschenken aufzu- Optimierungspotenzial entsteht. In den Kirchen Zum gelittenen stellen. Wir dachten dabei an den Gangstock in der Form eines Heiland und Der dornenreichen Jungfrau sind unsere lieben Touris- Waldastes inklusive einer kleinen Inschrift auf einer ten nicht einen vollen Tag über zu beschäftigen. Ganz zu schweigen Metallplatte für nicht über EUR 34,30. von der fehlenden historischen Dimension, die dem gemeinsamen Sportheim abgeht. 3. Des weiteren sollten wir auch über die schmackhaften Dosensup- pen unserer geschätzten Frau Irminger nachdenken, deren Etikett das Wir in unserem Ort haben zudem die Erfahrung gemacht, dass gerade Konterfei des Besagten beinhalten könnte. Wir kalkulieren die in der Zeit zwischen 10:00 und 12:00 Uhr vormittags, also direkt Wiederinstandsetzung der alten Waldhütte und das Aufstellen eines nach dem zweiten Frühstück, sämtliche Zerstreuungsmöglichkeiten geeigneten Kiosk mit daran angebauter Garküche und einer Wald- bereits ausgeschöpft sind, selbst wenn sich die lieben Reisenden schenke auf einem Betrag nicht über EUR 20.000. Bei entsprechendem dazu entschliessen sollten, die Frühmesse zu besuchen. Auch ein Interesse ihrerseits würden sich die Kosten dafür in etwa ein bis Einreden auf unserem hoch geschätzten Herrn Hochwürden Maier hatte zwei Monaten amortisieren – für jeweils beide Ortschaften, bei nicht zur Folge, dass die Messe um mehr als 20 Minuten verlängert hälftiger Teilung der selbigen. werden konnte. Er gibt seinen Segen dazu nicht. Wir freuen uns wie bereits ausdrücklich hervorgehoben sehr über Ihr Vorschlag, die auf der Wegstrecke liegenden Forstwirtschaft ihren Vorschlag und denken, dass sich diese grossartige Initiative als einen geheimen Unterschlupf unseres noch stets hoch verehrten bereits zur nächsten Sommersaison starten lässt. Es sollte in Prinzen zu etikettieren und damit neues Fremdenpotential anzu- unserem beiderseitigen Interesse liegen, diese Attraktion frühzeitig ziehen fi nden wir hervorragend. Ich gebe allerdings zu bedenken, in unserem Prospekt »Lebendiges Prinzenland – im Traumland der dass uns bisher von geeigneter Regierungsseite her kein Plazet für letzten Könige« unterzubringen. diese Idee beschieden ist. Der Grundplan, die besagte Forstwirt- schaft als vermutlichen Aufenthalt des Besagten zirka 3 Monate Bitte lassen Sie uns doch wissen, welche weiteren Schritte Sie als nach seiner Flucht aus der Justizvollzugsanstalt zu etikettieren, nächstes ins Auge fassen würden. Gerne treffen wir uns zu diesem fi nden wir diskussionswürdig. Behufe mit Ihnen auf ein weiteres Abendessen, wobei uns die Ortschaft des Treffens nicht primär wichtig sein soll. Wir halten also folgenden Vorschlag fest: 1. Die Reisegruppe wird nach der frühen Messe in einem dafür vor- Mit freundlichen Grüssen und besten Wünschen für die kommende gesehenen Reisebus gebeten, um über den alten Waldweg zur besagten Wintersaison Hütte zu gelangen. Dort empfehlen wir ein zweites Frühstück, das Oberbürgermeister Riemer, Anton http://ow.ly/9MF2A Ein berührter Ort. Vier Jahrzehnte dauerte es bis mit dem Bau des dahinter stand wird im Kehlsteinhaus nicht ver- Der Versuch einer Annäherung. ­Dokumentationszentrums unterhalb des in den mittelt. Auf der Webseite des Kehlsteinhauses 90er Jahren abgerissenen Platterhofes ein seriöser wird um Verständnis gebeten, dass im Kehlstein- Traumhaft ist es hier. Meine beiden Kinder juch- Versuch unternommen wurde, sich mit der haus »aus Rücksicht auf unsere Gäste keine Füh- zen bei Kaiserwetter in ihren Plastikschlitten die ­Geschichte des Berges auseinanderzusetzen. Das rungen durch Reiseleiter gestattet« sind. Die glei- Sommerrodelbahn hinab. Ein fürs andere Mal Dokumenta­tions­zentrum unter dem Grosspark- che Webseite wirbt: »Über die atemberaubende ­rasen sie die Edelstahlrinne hinunter Richtung platz wird nur von ­einem Bruchteil der Obersalz- Kehlsteinstrasse und den luxuriösen Kehlsteinlift Tal, das beeindruckend vor uns liegt. Wunder- berggäste besucht. Der Touristenstrom konzent- geht’s hinauf zum Berg­restaurant Kehlsteinhaus, schön ist er, der Obersalzberg. Der Blick zum riert sich vor allem auf den einzig verbliebenen dem Eagle’s Nest. Geniessen Sie das grandiose ­majestätischen Watzmann, dahinter das steinerne Originalort am Berg, dem Kehlsteinhaus, spekta- ­Panorama, den schnellen ­Service und die gute Meer über dem Königssee, die Aussicht runter auf kulär gelegen auf der Spitze des gleichnamigen ­Küche. Das Haus im unberührten hochalpinen Berchtesgaden, den Kreuzungspunkt dreier Täler. Berges über dem Obersalzberg. Umfeld wird Sie begeistern …«

Eine einzigartige Idylle? Im Chiemgau oder im Das Kehlsteinhaus, das Hitler zu seinem 50. Ge- Das Umfeld hier ist nicht unberührt. Es ist grau- Werden­felser Land findet man ebenso Orte dieser burtstag als Teehaus von der Partei geschenkt enhaft berührt. Der Obersalzberg ist einer der Qualität. Einzigartig an diesem Berg ist nicht das wurde, ist zu einem Ort des Massentourismus zentralen Orte der Geschichte des 20 Jahrhun- Idyll, es ist der Schatten, der über ihm liegt. Der verkommen, zu einer durchschnittlichen Aus- derts und im Umgang mit seiner Geschichte ein Schatten Adolf Hitlers, der den Berg als zweiten flugsgastronomie mit Bedienungen in auferlegtem Spiegel unserer Gesellschaft über die Jahrzehnte. Hauptsitz für das tausendjährige auserko- Trachtenzwang und den üblichen bayrischen Auf- Als einzigen unzerstörten historischen Ort auf ren hatte. Der Schatten der Schuld an Verbrechen, wärm- und Halbfertig­produkten. dem Berg kommt dem Kehlsteinhaus besondere die, auch hier oben geplant, Tod und Trauer über Bedeutung zu. Es sollte ein Lernort für uns alle die Welt gebracht haben. Kann ein Ort Schuld auf Die Geschichte ist in den hintersten Winkel des sein. Wir sind es uns und unseren Kindern schul- sich laden? Dieser Gedanke lässt mich nicht los. Hauses verbannt. Auf der Rückseite eines Aus- dig diesen Ort dazu zu machen. Ebenso wie die Frage, wie mit der Geschichte des sichtsbalkons, hinter dem leerstehenden »Eva Obersalzbergs bis heute umgegangen wird. Braun-­Zimmer« findet sich eine Fotodokumen- tation der Nazigeschichte des Hauses auf dem

Zunächst wurden alle oberirdischen Überreste des ­gestalterischen Niveau einer Gymnasialfacharbeit. http://ow.ly/9MwCf Berghofes und seiner Nebenanlagen vollständig geschliffen. Dies geschah seitens der Siegermächte Busseweise werden tagtäglich Touristen auf den aus Angst vor dem glorifizierenden ­Tourismus der ­Kehlstein transportiert. Kaum einer kommt wegen »Ewiggestrigen«. Die Nach­kriegs­gesellschaft der der atemberaubenden Aussicht hier hoch. Das BRD ­setzte der Spurenbeseitigung aus Scham und ­Kehlsteinhaus, the Eagle’s Nest, wird gerade von Angst, mit der Schuld der Väter und Grossväter den Amerikanern mehrheitlich als Symbol für den konfrontiert zu werden, nichts entgegen. Sieg über Nazideutschland gesehen. Durch die feh- lende Auseinandersetzung wirkt das Kehlstein- Der Berg wurde »tiefenttrümmert«, wie es haus wie die Höhle des Bösens einer James-Bond- ­Florian Beierl vom Obersalzberg Institut in Berch- Filmkulisse, die im Unterschied zum Strickmuster tesgaden in seinem Aufsatz »Dokumentation und der Filme nach der Weltenrettung am Ende zufäl- Destruktion« zum Denkmalschutz am Obersalz- ligerweise nicht zerstört wurde. Dass Nazideutsch- berg treffend beschreibt. land tatsächlich existierte und welcher Wahnsinn

24–25 Hotel Geiger – Perle,

Mehr als 140 Jahre galt das Geiger als Objekt, Schand- erstes Hotel im Ort. Seit 2001 steht es leer. fleck.

26 Das »Geiger« strahlte Grösse und Bürgerstolz aus – dem Kaminzimmer ist nicht mal die Vertäfelung erhalten geblieben.

Was passiert mit einem Hotel, wenn die Gäste ausblei- ben? Das »Geiger« in Berchtesgaden zeigt musterhaft, was passiert, wenn der Tourismus wegbricht.

Wer von Bischofswiesen nach Berchtesgaden fährt, kann »dem Geiger« beim Sterben zusehen. Das Ho- tel an der Berchtesgadener Strasse ist nicht zu überse- hen: Ein denkmalgeschützter, mondäner Komplex in traumhafter Lage. In seiner Blütezeit galt das Hotel als eines der ersten Adressen Deutschlands – heute trägt seine Fassade die Züge einer Diva, die verbittert dem Verfall trotzt. Jahr für Jahr verschwinden seine Bauten weiter hinter wucherndem Grün, als zöge sich das Hotel verschämt in den Wald zurück.

Die Perle Dass Berchtesgaden einmal Touristenort wurde, ist eher erstaunlich. Der Marktflecken war rau, unwirt- lich, ungastlich. Münchner und Salzburger verirrten sich vor 150 Jahren selten in die ehemalige Fürst- propstei, denn die Anreise war lang und beschwerlich. Die »Dependence«, der zweite Bau auf dem weitläufigen Hotel-Areal Sommerfrischler fuhren lieber zum Tegernsee oder nach Murnau. Erst Caspar David Friedrich, Ludwig Richter und weitere Maler der Romantik machten 2 den Watzmann bei Adel und Bürgertum populär. 1888 kam die Eisenbahn, mit ihr die ersten Gäste.

28–29 2 jede Schranktüre mit einem anderen Vogelmotiv be- malt, kein Raum glich dem anderen, im Kaminzimmer Paul Heyse, konnte man herrliche Abende verbringen, der Wein- Ferdinand Sauerbruch und keller war gut sortiert, auf den Biedermeiermöbel sass Thomas Mann man gemütlich, der Service war exzellent – das alles er- frühstückten hier mit Blick auf zeugte einen Charme, der so gar nichts mit dem baye- den Watzmann 5 rischen Gemütlichkeits-Kitsch zu tun hatte. Das Haus und seine Besitzerfamilie strahlten eine Grandezza aus,

Der ehemalige Dass noch heute in die Ruine eingebrochen die heute nicht mehr erreichbar zu sein scheint. Wahr- Direktor wird, schmerzt den ehemaligen Besitzer: scheinlich, weil so eine Grösse nicht mehr zur heutigen und Besitzer »Bei allem, was wir für den Ort getan haben« des Hotel Geiger Zeit passt – und sich vor allem nicht refinanziert. arbeitet heute Die schiere Grösse – mehrere Gästehäuser und eine als Kältetechnik- Betriebsleiter Parkanlage – wurde dem Hotel zum Verhängnis. In in Norddeutsch- erste im Ort. Im Dritten Reich übernahmen die Nazis den Siebzigern lief alles noch gut, das Geiger war gut land das Hotel und verwandelten es in ein Erholungsheim ausgebucht. In den Achtzigern wurde ein Schwimm- der . Als das tausendjährige Reich in Trüm- bad sowie ein nicht sonderlich schönes Bettenhaus Hochfinanz und Hochadel entdeckten den aufstre- mern lag, logierten ab 1945 Amerikaner im Geiger dazu gebaut. Doch die Gäste kamen immer seltener benden Kurort, der sich für seine Klientel pittoresk (darunter auch ein Soldat Namens John Fitzgerald nach Berchtesgaden – oder wohnten lieber in kleinen, herausputzte. Auch der pensionierte Zollinspektor Kennedy), bevor es wieder in Besitz der Familie über- billigen Pensionen. Ende der Neunziger hatte der Ort Hugo Geiger baute ein Bauernhaus aus dem 18. Jahr- Sachsen-Meiningen, die russische Prinzessin, Prinz ging. als Reiseziel nahezu ausgedient. hundert zur Pension um. Die Lage war perfekt: Traum- Max von Baden und die niederländische Königsmut- hafter Blick aufs Watzmann-Massiv, ein charmanter ter Emma von Waldeck-Pyrmont. Die Familie baute Das Objekt Besitzer Stefan Geiger ging in die Offensive: Sterne- Park, Anreise ohne Strapazen, und das alles in Fla- aus, eine »Dependance« wurde wenige Meter vom Das Geiger besass nie die nüchterne Zweckmässigkeit koch, Tagungsräume, neues Konzept. Doch die Gäs- nier-Distanz zum Marktflecken Berchtesgaden. 1866 »Alten Haus« errichtet. Im nächsten Jahrhundert und Perfektion moderner Hotels. Treppen und Böden te blieben aus, der Unterhalt war kaum zu bezahlen. eröffnete die Pension. Sie wurde schnell populär. nahmen Paul Heyse, Ferdinand Sauerbruch und Tho- knarzten ein wenig, die Armaturen waren verschnör- 1999 sahen sich die Familie – inzwischen in der fünften »Das Geiger« galt als erste Adresse. Hier logierten mas Mann ihr Frühstück mit Blick auf den Watzmann kelt, die Wannen tief, das Gebäude verwinkelt, der Generation – mit dem hässlichen Wort »Insolvenz« Prinz Friedrich von Anhalt, Prinzessin Marie von ein. 1924 bekam das Hotel eine eigene Tankstelle – die nachträglich eingebaute Lift immer zu klein. Dafür war konfrontiert.

30–31 Der Schandfleck Die Angelegenheit, erfährt man im Ort, sei völlig fest- Das Personal musste gehen. Nachdem der Hotelbe- gefahren. Besitzer und Hauptgläubigerbank verfolgen trieb eingestellt wurde, diente das Geiger noch als gegensätzliche Interessen. Der Besitzer sucht Investo- Kulisse für TV-Serien und Kinofilme – doch dann ren, die zumindest einen Teil des Hauses übernehmen, wurde die gesamte »bewegliche Ausstattung« des die Bank will Geld sehen. Die Gemeinde wäre das Ge- Hotels versteigert. Seitdem ist im Haus ausser zer- bäude gerne los, doch das verbietet der Denkmalschutz. trümmerten Waschbecken nichts mehr zu finden. Bis Für einen potentiellen Kaufinteressenten erteilte das 2001 wurde das Anwesen bewacht und beheizt, dann Landratsamt Berchtesgadener Land 2006 bereits eine war Schluss. Seitdem verfällt der Bau – und gibt sich Abrissgenehmigung – gegen den Willen des Inhabers dabei bemerkenswert zäh. Die meisten Räume lassen und des Bayerischen Landamtes für Denkmalschutz. sich noch begehen, das Dach hält dicht. Dafür brach Doch dann zog sich dieser Investor zurück … wohl der im vorgelagerten »Schneiderhäusl«, in dem frü- einzige Grund, warum die Bagger nicht ausrückten. her die Familie wohnte, die Decke ein. Im Hof rinnt Leere in über hundert Zimmern – Wasser aus einem Schlauch. Als habe der Hausmeister Ein paar Jahre wird die Diva ihrem Verfall noch trotzen unter dem Dach wohnten früher meist die vergessen, den Hahn abzudrehen. Dass das Geiger in können. Solange muss man, wenn man von Bischofs- Angestellten. altem Charme erblühen wird, ist unwahrscheinlich. wiesen nach Berchtesgaden fährt, dem Hotel Geiger Zu viele Interessengruppen zerren an der Immobilie. beim Sterben zusehen.

32–33 seinen gewohnten Lauf. »Jes- Sicherheit und Geborgenheit. sanftmütiges Lächeln, das ihr higen Orte. Zum Tannenhof beladene Schubkarre aus dem Stürmische sas mei«, sagte Franz und bis zu diesem Abend bedauer- führte sie ein schöner Zufall Stall stiess und Johanna mit ei- nestelte verlegen an seinem * * * * licherweise immer schwer fiel, und die Empfehlung eines ner Schaufel über der Schulter Zeiten auf dem Hosenträger. »Passt scho«, genau genommen nie gelang. Freundes von der CIA. Nach munter hinterher hüpfte. Ihr Tannenhof hauchte Johanna mit feiner Auch unten im Kuhstall einem Burn-out hatte dieser Dirndl blähte sich im Abend- Stimme und strich ihr Dirndl herrschte wieder Ruhe. In * * * * kurz vor der Pensionierung wind auf und die Schleife der glatt. Die fesche Jungbäuerin Reih und Glied stand das hier in der Stille des Tales für Schürze flatterte lustig im tief- Aus der Serie »glitzernde Bergkristall- mochte es, wenn sich die Na- prächtige Milchvieh, genoss Oben in der Dachkammer drei Wochen Kräfte getankt, roten Gegenlicht. »Jo, mei«, Geschichten« des Enzian-Verlags tur mit einem gewaltigen Ge- wiederkäuend das Nachlassen war seit zwei Woche ein al- um die letzten Monate bis entfuhr es Franz und Johan- Folge 16. witter entlud und der diesige des Unwetters. Vom Aufruhr, tes Paar aus Amerika als zum Rentenbezug gestärkt na beruhigte: »Passt scho.« Dunst einer klaren Weitsicht der hier vor kurzem noch die Tannenhof-Gäste bei Bed & hinter sich zu bringen. Phil Jerry fasste sich an die Brust, wich. Die Spannungen, die viehischen Gemüter bewegte, Breakfast einquartiert. Die und Jerry­ waren glücklich die- wollte etwas sagen. Phil De- Endlich hatte sich der Sturm sich zwischen ihr und Franz war nichts mehr zu spüren. beiden bildeten im New York sen Ort gefunden zu haben. cker wurde es in diesem Mo- gelegt. Die krachenden Don- regelmässig aufbauten und Am Rand des Ganges beim der fünfziger Jahre ein un- Nach drei Bypass-­Opera­tio­ ment bang ums Herz und er ner waren nur noch als fernes den häuslichen Frieden be- Stalleingang lag Franz’ Mut- zertrennliches Duo. Unlös- nen mied Jerry jede Aufre- ahnte: Dieser Urlaub könnte Grollen zu vernehmen, und drohten, hatten in solchen ter, ihr Schädel von einer dun- bare Fälle waren dem G-man gung. Phil oblag deshalb die trotz der traumhaften Ruhe erste Lichtstrahlen zwängten Momenten keine Bedeutung. kelroten Blutlache malerisch Jerry Cotton und Phil De- Rolle des Schutzengels, der hier oben unschön enden. sich durch die kleinen Lücken umrahmt. Das Bild erinnerte cker, seinem Assistenten und den Freund vor jeder Art von der aufreissenden Wolken- * * * * an eine zersplitterte Korbfla- Lebenspartner, unbekannt. Hektik zu schützen. * * * * decke. Einem göttlichen Fin- sche. Das langsam über den Weitaus höher anzurechnen gerzeig gleich richtete sich ein Johanna schob die schwere Stallboden fliessende Blut der als ihre kriminalistischen * * * * Werden Franz und Johanna heller Lichtkegel durch die Teigschüssel zurück in die Altbäuerin hatte die dunkle, Erfolge ist den inzwischen den neuen Frieden auf dem feuchte Luft auf den Tannen- Mitte des Küchentisches und gesunde Farbe eines kräftigen 87-Jährigen indes, dass sie mit Draussen zwitscherten die Tannenhof wirklich genies- hof, das prächtige Bauerngut machte sich wie befreit an die Rotweins. Spontan würde ihren Geschichten Myriaden Vögel, der Bergsommer zeigte sen können und werden noch am Bergfuss. Wie glänzende Arbeit. Mit kräftigen Bewe- man eine Note von Brom- von Groschenroman-Autoren sich von seiner schönsten Sei- einmal heftige Gewitter den Perlenschnüre reihten sich gungen knetete sie mit ihren beere oder Schwarzkirsche vor Arbeitslosigkeit und Sozi- te. Als sich die Abendsonne Streit darüber, wer künftig die Regentropfen jetzt an schlanken Händen die feste, erwarten, die kräftige Farbe alhilfe bewahrten. In Ehren rotglühend hinter den Gip- die Arbeit der Altbäuerin den Tannennadeln und sanft klebrige Masse, die einmal ein liesse einen Ausbau im Ei- ergraut und im allerletzten Le- feln niederliess, war die Welt übernimmt, beilegen kön- wogte der mächtige Baum deftiges Brot werden sollte. chenfass vermuten. Doch das bensabschnitt angekommen im Tannenhof in Ordnung. nen? Wird wenigstens der neben dem Haus. Der Wind Im Hintergrund loderte die malerische Äussere täuschte. war Jerry längst nicht mehr Einzig Jerry und Phil fragten Herzschrittmacher von Jerry war vom wütenden Sturm zur Glut des Holzofens, die Fens- Der Abgang von Johannas nach seinem Jaguar XKR sich, ob ihr Ferienidyll gefähr- Cotton den Spannungsan- sanfte Sommerbrise gezähmt. terscheiben waren noch im- Schwiegermutter im Umfeld und Verfolgungsjagden durch det ist. Sollten Sie vielleicht stieg unbeschadet überstehen Ein buschiges Eichkätzchen, mer beschlagen. Der hoch ge- biologischer Milchwirtschaft die tiefen Häuserschluchten doch schleunigst zurückkeh- oder sollte er gar als Folge ei- das sich eben noch ängstlich wachsene Franz, kein Mann war offensichtlich herb. Ihr der Grossstadt. Im Sommer, ren in die geordnete Welt der nes Kabelbrandes irreparabel am Stamm festgekrallt hat- grosser Worte, schlüpfte, sei- Kopf war zweifellos mit ei- wenn es in der staatlichen Seniorenresidenz an der 61. Schaden nehmen? te, sprang nun ungestüm von nen wuscheligen Haarschopf nem recht groben Gegenstand Seniorenresidenz an der 61. Strasse, wo es mittags Tanz- Lesen Sie auch Folge 17. von Ast zu Ast, verharrte kurz, einziehend, durch den niede- aus seiner ursprünglichen Strasse jeweils unerträglich tee, Bingo und Attraktionen »Stürmische Zeiten auf dem um sich bei einem Tannzap- ren Türsturz hinüber in die Form gebracht worden. Sym- heiss wurde, zogen Jerry und wie den Magier Mirakuli mit Tannenhof«, Eine Geschich- fen zu vergnügen. Während- gute Stube. Das Kruzifix in pathisch und erfreulich war Phil für einige Wochen nach seinen faszinierenden Tricks te voll Harmonie, Romantik dessen nahm auch in der der Zimmerecke vermittelte einzig der friedliche Gesichts- Europa. Hier suchten sie ei- gab. Durchs Fenster sahen sie, und vielen reizenden Famili- Küche des Hofes wieder alles ihm stets eine eigentümliche ausdruck der Altbäuerin: Ein nen kühlen und vor allem ru- wie Franz gerade die schwer enszenen.

34–35 Das Böse und Kranke

36 Wir befinden uns 500 Höhenmeter von der Talstation der angeblichen Medikamente, und mehr als ein nack- Aber nachdem man sich ein bis zwei Nächte darüber Selbstkur gehen weiter. Die Ausfälle in Afghanistan entfernt und laufen auf die ersten drei Gästehäuser zu, ter Kranker soll gesichtet worden sein, wie er dem unterhalten hatte, beschlossen die Krankenräte ohne beunruhigen die Bevölkerung zunehmend. Man wird die seit etwa 15 Jahren kranke Kinder beherbergt. Al- Drang seiner Blase auf einer der Stützmauern gen Tal weitere Diskussion, diese Angriffe auszustehen. Zum das bald erklären müssen. Bisher hat sich dazu aber kei- lerdings nehmen die Zuständigen dieser Kurkliniken nachgegeben haben soll. einen sah man sich in der Unterzahl, zum anderen war ne Lösung gefunden. In Mittenwald dachten die Un- zunehmend mehr Patienten mittleren Alters auf. Nach klar, dass jegliche Form des Protestes erst eine Öffent- teroffiziere auch freier über das Ende dieses Projektes Anraten der Ärzte haben sich diese Leidenden auf die Gezahlt wird das alles von den örtlichen Krankenkas- lichkeit herstellen würde. Und genau diese Öffentlich- nach. Die Vorschläge reichten von atomarem oder che- Höhe bringen lassen, denn im Tal scheinen die Kran- sen. Die Kontrolle der Bücher findet einmal im Jahr keit würde auch die Frage nach der Rechtfertigung mischem Beschuss durch die befreundeten amerikani- kenhäuser keine Heilung für sie zu finden. statt. Der Kontrolleur ist ein Schulfreund des Gesund- einer solchen Siedlung stellen. Genau diese Rechtferti- schen Truppen bis hin zur Auflösung der AOK. Klar heitsministers. gung war aber nicht vorhanden. ist allerdings auch, dass die Presse nur noch wenige »Hier oben mit Blick auf Berge und den Wolken nahe Monate zurückgehalten werden kann, bis sie in einer dehnt sich der Himmel und gibt den Kranken zum ers- Natürlich sind diese Umtriebe den örtlichen Politikern Man beschloss vielmehr, ein wenig privates Kapital der folgenden Sommer über die merkwürdigen Um- ten Mal seit Monaten das Gefühl, dass das Leben für bekannt, und natürlich könnte man mit einem einzi- zusammen zu stellen, einen alten Bekannten mit Ver- triebe am Südrand der Republik berichten wird. sie nicht nur ein Tränental sein muss. « gen Federstrich in der Verwaltung die Freiheit dieser bindungen in den Nahen Osten zu kontaktieren und Nutzniesse beenden. Aber niemand schreitet ein. Zum Flakgeschütze in Stellung zu bringen, die man billig er- Zusätzliche Dramatik erhält diese Frage noch durch die So ist es in der Broschüre der Sanatorienkette zu le- einen wäre es möglich, dass diese Politiker eines Tages stehen konnte. Das Kalkül lief dahin gehend, dass ab- Tatsache, dass inzwischen auch einzelne Soldaten als sen, die diese Häuser hier in den bayerischen Alpen sich zu den Kranken gesellen, um auch einen Anteil geschossene Hubschrauber einer Einheit, die unerlaubt angebliche Lungenkranke in den Hospitälern erkannt betreibt. Zunehmend erhärtet sich aber der Verdacht, an der ständigen Krankfeier zu erhalten. Zum anderen an Wochenenden auf eigene Rechnung kämpften, so und aus dem Gelände heraus verwiesen wurden. Es es handele sich um inoffizielle Zusammenkunft von kann es sein, dass einzelne Politiker sich um die Stim- wohl kaum in den offiziellen Berichten auftauchen deutet sich an, dass in der nächsten Zeit via infiltrierter scheinbaren Kranken, die nur einen Zweck verfolgt: men ihrer Wählersorgen machen. Fast jede der Famili- konnten. Es war wohl davon auszugehen, dass even- Sondertruppen Einsätze zu erwarten sind. Auch sollen die Simulanten wollten die Zeit, die ihnen noch bleibt, en im Wahlkreis hat einen Kranken, der sich hier oben tuelle Verluste unauffällig in die laufenden Kämpfe in bereits die ersten Patienten begonnen haben, sich an in möglichst schöner Umgebung verbringen. Und das am Berg kuriert. Afghanistan und Pakistan eingeordnet wurden. Aber Hubschraubern ausbilden zu lassen. Es steht deshalb zu kann angesichts der grosszügigen Frühverrentungen in irgendwann würde sich der Nachschub an Fluggerät befürchten, dass in nächster Zeit die Gefechte auch auf der Bundesrepublik sehr lange sein. Es war deshalb für Aber damit kann es nun vorbei sein. Denn es regt sich nicht mehr budgetieren lassen. Schon gar nicht an der die umliegenden Dörfer und deren Polizeistationen die beschriebene Gruppe sehr wichtig, ärztliche Gut- ausserparlamentarischer Widerstand. Südgrenze des eigenen Landes. übergreifen werden. achter davon zu überzeugen, dass sie in den folgenden Monaten Empfehlungen aussprachen, derer sich die Die K. E. G., die Krankeneinsatzgruppe mit Sitz in Wieder stiegen die Hubschrauber auf und erlebten am Es ist mit Verletzten und weiteren Toten am Kurberg Kranken bedienten, sich auf den schönsten Plätzen des der Kaserne Mittenwald, ist keine offizielle Abteilung 13. August vergangenen Jahres zum ersten Mal Gegen- zu rechnen. Einzelne Einwohner der nächst gelege- Landes niederzulassen. Abseits der grossen Städte und der Bundeswehr. Einzelne Offiziere der dort anwesen- feuer, als sie versuchten, einen Lehrer mit vorhandener nen Stadt bezeichnen die Umtriebe auf dem Berg als damit auch aus dem Sichtkreis eines überwiegenden den Gebirgsjägerdivision haben es sich allerdings wü- Krankenakte und auf dem Weg zum Bergschwimmbad »krank« und verweigern weitere Auskünfte. grossteils der Bevölkerung, um dort eine angebliche tend für die Wochenenden als Aufgabe gestellt, diesen zu beschiessen. Das Geknatter der Hubschrauber und Heilung vorzutäuschen. Umtrieben ein Ende zu bereiten. Sie können die Ver- die einprasselnden Garben der Geschütze beider Sei- schwendung von Steuergeldern durch Kranke schon ten waren weit hinaus in das Tal zu hören, als an diesem Tagsüber, vor allem zu Besuchszeiten, sind die Strassen alleine mit ihrem Diensteid nicht mehr in Einklang Morgen der vergebliche Angriff mit dem Decknamen vor den Häusern oft menschenleer. Kaum ein Patient bringen. Kurz vor Sonnenaufgang steigen sie mit ih- Lunge in einem Desaster für die Angreifer endete. Die kommt aus seinem Zimmer. Viele von ihnen haben ren Hubschraubern auf und beschiessen im Gegenlicht Lokalzeitung vermied einen Aufmacher über diesen eine Diagnose auf schweres Asthma anhängig. Bald von Osten her einfliegend die umliegenden Kranken- Angriff, so wie auch die Bevölkerung tat, als wäre nichts aber nach Sonnenuntergang beginnt das laute Leben siedlungen mit ihren Raketen. Keine der Siedlungen geschehen. Abends fehlten in der Kaserne Mittenwald immer dann, wenn sich gegen Abend zu das Pflegeper- hat bisher die geeigneten Mittel dazu gehabt, dagegen zwei Hubschrauber, und vier Unteroffiziere mit schwe- sonal in das Tal begibt, um dort seinen Feierabend zu vorzugehen. Es wäre ein leichtes, diese brutalen Über- ren Verletzungen hatten das Hospital aufzusuchen. geniessen. Vom Berg schallt es dann im Drogenrausch griffen über den Weg der Politik Einhalt zu gewähren. Die Angriffe der Selbstjustiz auf die Vertreter der

38–39 Guidebook für Arkadien

40 Was tun, wenn das Staatsoberhaupt eines Lan- nend und in überwiegendem Freilauf. In der vorhande- strukturiert zu verwildern. Denn vom Zimmer des Ordnung und in der Ausgewogenheit einer Landschaft des richtig ausspannen muss und bisher kein ge- nen Fachliteratur raten die Experten übereinstimmend Obersten ausgesehen sollte alles so scheinen, als wäre stehe, dann kann er sich darin erholen. Dass ausserhalb eignetes Objekt zur Verfügung steht? Soll man die davon ab, deren ursprüngliche Rückzugsgebiete zu be- das Tal in allen Jahrhunderten so belassen worden. Aller- dieses Talkessel die Welt hungert, oder sich im Krieg Stadt rund um seinen Regierungssitz räumen oder lassen. Stattdessen ist der Neubau einer Bestallung (im dings handelt es sich hier um gekonnt vorgenommene befindet, oder massenweise stirbt, soll ihn an diesen doch lieber auf ein Tal zurück greifen, dass weit ab- Falle von Rotwild) oder eines Gemeindezentrums (Be- Pflanzungen, so wie auch in Naturparks immer wieder Tagen nicht stören. Es ist nicht die Aufgabe dieses Tal- geschieden Ruhe und Frieden für ihn verspricht? völkerung) zu empfehlen. der Eindruck aufkommen kann, es handele sich hier kessels, die Realität der Welt zu zeigen. Es ist vielmehr Soll man dieses Tal ein wenig an seine Vorlieben noch um ursprüngliche belassene Landschaft. die Aufgabe dieses Talkessel, nur eine einzige Person, anpassen? 2. Anbindung wegen derer diese Landschaft gestaltet wurde, in einen Die Zubringerstrasse in den Talkessel sollte dabei 5. Kunst Zustand der Unbeschwertheit zu führen. Daran hat Ein Sommersitz muss her, der abseits von allen Städ- höchstens eng zweispurig angelegt sein, um ein massen- Wir wollen das Tal mit kleinen, aber sehr wichtigen eine ganze Region mitzuwirken. ten am besten in einem einsamen Bergtal angelegt wer- haftes Vordringen zu »A.« zu verhindern. Parkplätze Kunsteinrichtungen versehen, diejenigen, die Natur den sollte. Leicht erhöht vielleicht, der Aussicht und sind ausserhalb der Sichtweite der Terrassen möglich. gerade soweit hervor stechen lassen, dass sie in einem 7. Schutz der Bedeutung wegen. Zweck dieser Skizze ist eine Eine Eisenbahn scheint dabei aber wenig produktiv zu Gleichgewicht mit den künstlichen Einrichtungen »A.« dankt für diese Erholung damit, dass er die Men- erste Orientierung über notwendige Massnahmen zur sein, denn Besucherströme sind vor dem Eingang des steht. Wie in einem Park mitteleuropäischer Könige schen in diesem Areal schützt. Er schützt sie, nachdem Erstellung und Aufrechterhaltung eines solchen Som- Tals abzufangen und mit einer Wanderausstellung ab- sind dabei kleine, versteckte Annehmlichkeiten die er sie ausgewählt hat. Er schützt und fördert sie, damit mersitzes für Alleinregierende. Die folgenden Ausfüh- zuspeisen. Es bleibt abzuwägen, ob die Lage an einer Kunst des Ganzen. So reicht es nicht, einen See zu plat- sie auch weiterhin wirken, als hätte sie ein Landschafts- rungen verstehen sich als grundsätzliche Anmerkun- Landesgrenze auf der einen Seite nicht eine für das zieren. Es bedarf vielmehr auch einer kleinen Kapelle, maler an die richtige Stelle gesetzt. »A.« hat kein In- gen, die weiterer Verfeinerung in der Durchführung Volk ungünstige Anbindung bieten könnte. Auf der deren Aussehen Weltruhm besitzt. Und diese Kapelle teresse an den einzelnen Personen, er sucht die Bevöl- bedürfen. anderen Seite ist die Gefahr eines plötzlichen Einmar- hat einem Ort zu stehen, der nur vom Arbeitsraum von kerung als integrales Bestandteil des Landschaftsbildes. sches durch die Armee des Nachbarlandes genau in »A.« aus diesen weltberühmten Blick darauf ermög- Sie haben sich ihm zuzuwenden und ihn zu grüssen. 1. Areal dieser Region nicht zu unterschätzen. Staatsoberhäup- licht. Es ist auch denkbar, eine Form der ungewöhn- Alle anderen Äusserungen sind für »A.« nicht von Das ganze Areal besteht aus einem an mindestens drei ter sind in jedem Falle gerade zu Urlaubszeiten geson- lichen Mobilität in den Wäldern zu verstecken. Etwa Interesse. Was für den »A.« wichtig und erholsam ist, Seiten abgeschlossenen und von aussen nicht gut ein- dert zu schützen. eine Rodelbahn, oder auch eine Standseilbahn, die soll auch für seine Untergebenen und Angestellten zur sehbaren Bergkessel. Auf eine angemessene Bewachung vom Vorplatz des Sommersitzes direkt zu einem Kiosk Verfügung stehen. Das Tal wird weitergeführt, sobald des Kessels, die unbemerkt vom Alleinregierenden (im 3. Szenario führt. Man beachte allerdings eventuelle Höhenangst »A.« in die Hauptstadt fährt. Das Tal hat sein Schau- Weiteren »A.« genannt) stattfinden kann, soll hier Wenn an einem Morgen »A.« von seinem Frühstücks- von »A.«. spiel weiter zu bieten. Das Tal wird nie wieder in den hingewiesen werden. Die randstelligen Bergketten sol- raum aus zum See hinunter schaut und dabei ein Früh- Zustand seiner Ursprünglichkeit zurückfinden, auch len dabei nicht über 3000 m über den Meeresspiegel stücksei köpft, soll er das Gefühl haben, einen neuen 6. Abgeschlossenheit wenn »A.« nie wieder dieses Tal besuchen sollte. Al- reichen, um keine allzu extremen Eindrücke oder gar Tag im Garten Eden zu beginnen. Wir erzeugen Un- Das ganze Areal kann nur wirken, wenn alle Berge die lein die Möglichkeit, dass »A.« zurückkehren könnte, Wetterumbrüche zu erhalten. Zur weiteren Ausstat- schuld als Erholungsfaktor. Die Fenster vor seinem Landschaft nach aussen komplett absperren. Kein An- bindet das Tal an seine Rolle. Es wird somit staatstra- tung gehören ein tiefblauer Bergsee, dessen Abschluss Frühstückstisch können dabei geöffnet sein, denn kein blick der dahinter liegenden Ebene darf zu sehen sein. gend. oder wahlweise auch der Ausläufer eines Gletschers, unnötiges Geräusch wird zu vernehmen sein. Das Rau- Es muss für »A.« so scheinen, als ob sie sich ihm so dessen zweiter Arm in einem Seitental verschwindet. schen des Gebirgsbaches, der vor dem Anwesen vorbei darbieten will, als wäre der Talkessel das einzig exis- 8. Undenkbares Szenario Von Vorteil ist mit Sicherheit ein kleines Bergdorf plätschert, wird den einen oder anderen unnötigen tierende der Welt. Dieses Tal ist ein scheinbar ewi- An einem Morgen im August geht »A.« nach seinem rechterhand. Es kann sich dabei auch um die Ansamm- Schrei der Anwohner überdecken. Idealerweise schrei- ges Zwischenreich. Es muss nicht regiert werden von Frühstückstisch zu Fuss und nur begleitet von den we- lung von ein bis zwei Weilern handeln. Weniger wich- en Anwohner nie. »A.« den es entspricht ihm offensichtlich ganz. Das nigsten seiner Getreuen in das Tal hinunter. Er hat be- tig sind dabei dessen Einwohner, die bei mangelndem ist das komplette Geheimnis dieses Sommersitzes. Es reits die Talsohle erreicht und ist nur wenige Schritte Vorkommen auch aus Dörfern umgesiedelt werden 4. Garten Eden befindet sich ausserhalb jeglicher Notwendigkeit, eine vom See entfernt, als er unversehens über einen acht- können. Sie sind dabei gleich pfleglich zu behandeln Die Kunst der Gestaltung besteht darin, diese Wildnis Regierung dafür zu bilden. Nur wenn »A.« in dieser los fallen gelassenen Eimer stolpert, der ihm während wie das unbedingt vorzuweisende Rotwild. Also scho- wie einen Garten aussehen zu lassen, und den Garten überschaubaren Welt das Gefühl erhält, dass alles in seines Spaziergangs dahin bisher nicht aufgefallen war.

42–43 44–45 Noch im Torkeln schreit er auf und verlangt, dass die selbst in ihre eigene Ur-Ordnung zurückfällt. Von ihm Impressum schuldige Person vorgeführt werden soll. Sofort. Es beherrscht und doch nicht an ihm lastend. handelt sich dabei um eine alte Frau, die ihre Rolle ge- Bilder mäss jeden Morgen Wasser aus dem See zu holen hat, 10. Simulation Andreas Mühe (5 – 9) dabei aber stürzt, und ärztlich versorgt werden muss. Es würde vollauf genügen, diese Landschaften in Kar- www.andreasmuehe.de Man hat in der Eile vergessen, den Eimer voller Wasser ten wiederzugeben. Diese Karten sollten über dem Kla- Harald Taglinger (1, 20, 41, 44 – 45) beiseite zu stellen. Zum einen kann der Frau klar eine vier des Salons hängen. Ob die Menschen weiter weg www.taglinger.de Mitschuld attestiert werden, denn nur jede Unacht- von diesem Tal wissen oder nicht wissen, ob es ein sol- Peter Hunziker (14, 26 – 33) samkeit verbunden mit ihren Schwächeanfällen führt ches Tal ausser für ihn gibt, hat nur minimales Interesse www.verbis.ch zum Stolpern von »A.«. Aber auch den Sanitätern sei für »A.«, solange er es vor seinen Augen sehen kann. Anatol Locker (26 – 33) eine Mitschuld anzurechnen. Nur durch ihre schnelle Da nach seinem Ableben ein gewisser Besucherstrom www.anatollocker.de Versorgung und deren Unachtsamkeit, die eigentlich einsetzen würde, wäre ein rein in der Imagination vor- nicht in ihren Prozessen abgebildet ist, kann es zu die- handenes Arkadien natürlich von Vorteil. Anstatt wie Texte sem Eimer kommen. zu Lebzeiten das Tal unter Einsatz von Ressourcen ab- Anatol Locker (8 – 13, 26 – 35) »A.« ist deshalb dazu gezwungen, alle Beteiligten hin- zusperren und zu überwachen, würde es genügen, die Harald Taglinger (3 – 4, 18 – 21, 22, 38 – 46) richten zu lassen. Den Sanitäter und die alte Frau. Das beschriebenen Karten dem Feuer zu übergeben oder Peter Hunziker (16 – 18, 34 – 35) geschieht nicht in seiner Anwesenheit. Aber dieser Tag sie einfach umzugestalten. Utto Kammerl (8 – 13, 23) kann als nicht erholend abgetan werden und ist eine Auch wäre es denkbar, diese Karten für einen Preis von Florian Wenz (8 – 13) Katastrophe für »A.« Selbst das mehrmalige Abhören 19.90 an Kiosken zu verkaufen und so das Mausoleum seines Lieblingskomponisten von seiner Lieblingsbank für »A.« zu finanzieren. Grafiken mit Blick auf die majestätische Bergwelt will ihn nicht Florian Wenz (24 – 25) zur Ruhe kommen lassen. Man erwägt zusätzliche www.unodue.de Hinrichtungen, aber »A.« wird bald schon wieder in Simone Schöler (36 – 37) der Hauptstadt weilen. http://ow.ly/9MwEv Art Direction 9. Ausweitung Neue Gestaltung GmbH, Es gibt immer Pläne, das Tal zu erweitern und auf www.neuegestaltung.de ein weiteres Tal durchzubrechen. Allerdings genügt es vollkommen, »A.« zu vermitteln, dass hinter dem Druck: Brandenburgische Universitätsdruckerei und bereits bekannten Tal die Möglichkeit eines anderen Verlagsgesellschaft Potsdam mbH Tales existiert. Man kann immer noch den zaghaften Ausbau auf der anderen Seite der Berge beginnen, Herausgegeben von der Schweizer Genossenschaft solange dieser nicht den Erholungsalltag im Bergkes- »Alpgang« sel stört. Es ist bekannt, dass sich »A.« nachts, wenn er sich von einigen Regierungsgeschäften geplagt im ISBN 978-3-9810362-3-7 Schlaf wälzte, nichts sehnlicher wünscht, als dass die ganze Welt aus einem einzigen Talkessel bestände. Sie sollte sich so ähnlich verhalten, wie das dieses Areal tut. Mit einer Bevölkerung, die sich als Schauspieler für ihn versteht. Mit einer Landschaft, wie sie scheinbar von

46–47 Ein Alpgang im Berchtesgadener Land. Es entsteht eine Reflektion zu diesem Kulturraum.

Darüber, dass Diktatoren die Idylle suchen, sie besetzen und sie dadurch verändern. Ihnen folgen Schaulustige nach, die die Landschaft zum Konsumgut machen.

www.alpgang.net